Читать книгу Butler Parker Jubiläumsbox 8 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 7
ОглавлениеButler Parker legte seinen behandschuhten Finger auf den Klingelknopf, läutete und trat abwartend zurück. Er war zwar eine knappe halbe Stunde vor der verabredeten Zeit gekommen, aber er hoffte, trotzdem empfangen zu werden.
Als habe man im Haus nur auf dieses Signal gewartet, so prompt waren Schritte zu hören, die sich der Tür näherten. Sekunden später wurde sie spaltbreit geöffnet. Ein schmales, nervös wirkendes Gesicht war zu erkennen.
Josuah Parker lüftete seine Melone.
»Mr. Bracer?« erkundigte er sich.
»Stimmt, und was wollen Sie?«
»Ich bin Parker, mit dem Sie sich verabredet haben.«
»Richtig, natürlich. Warten Sie, ich werde die Sperrkette aushaken.«
Die Tür wurde angedrückt, Jeff Bracer löste die Kette und zog die Tür weit auf.
»Treten Sie bitte näher«, sagte er. »Ich habe schon auf Sie gewartet!«
»Hoffentlich bin ich nicht zu früh gekommen«, sagte Josuah Parker. »Es wäre mir peinlich, falls ich Ihren Zeitplan gestört haben sollte.«
»Aber das spielt doch keine Rolle«, meinte Bracer lächelnd. »Moment, ich werde vorausgehen. Nehmen Sie hier im Wohnraum Platz, Mr. Parker.«
Der Butler folgte seinem Gastgeber, ließ sich in einen Sessel nötigen und stellte seinen schon sagenhaften Universal-Regenschirm zwischen die Knie.
»Warten Sie, ich werde uns ein paar Drinks besorgen«, sagte Bracer. »Ich bin gleich wieder zurück.«
»Machen Sie nur keine Umstände«, wehrte Parker sehr verhalten ab. Bracer ließ sich nicht stoppen, sondern verließ den Wohnraum.
Seine Schritte verhallten im Korridor, eine Tür wurde geöffnet und leise geschlossen.
Josuah Parker sah sich diskret im Wohnraum um. Die Einrichtung war schlechter Durchschnitt. Auf dem Boden lag ein abgewetzter Teppich, auf dem frische Schmutzspuren zu erkennen waren, die hinüber zur halb geöffneten Terrassentür führten. Rechts von dieser Tür befand sich eine Sitzecke aus ein paar billigen Sesseln und einem altertümlichen Ledersofa.
Neben dem imitierten Kamin, in dem eine Gasheizung untergebracht war, stand eine Stehlampe, die den Raum nur sehr sparsam erhellte. Mr. Bracer schien sehr viel geraucht zu haben. Warmer Tabakgeruch hing dicht und schwer unter der Zimmerdecke.
Obwohl Josuah Parker sich erst für zwanzig Uhr angesagt hatte, mußte Jeff Bracer bereits auf ihn gewartet haben. Parker war gespannt, was Bracer ihm wohl zu erzählen hatte. Am Telefon hatte er sich nur mit Andeutungen begnügt.
Irgendwo im Haus klappte eine Tür.
Parker wartete auf Bracer und auf die Drinks. Seiner Schätzung nach war Bracer völlig durcheinander und sehr nervös, sonst hätte er mit den Drinks viel schneller erscheinen müssen. Parker sah zur Tür. Aber sie öffnete sich nicht.
Die Minuten verrannen.
Parker, der seine Taschenuhr befragt hatte, verlor die Geduld. Er war nicht gewohnt, sich derart behandeln zu lassen. Seine Zeit war schließlich kostbar. Er wollte sich gerade erheben und nach Mr. Bracer forschen, als er ein seltsames Geräusch hörte. Es klang wie ein ersticktes, heiseres Röcheln, das Sekunden danach mit einem Gurgeln schloß. Dieses unheimliche Geräusch kam aus dem Zimmer, in dem sich Parker aufhielt.
Parker erhob sich, lauschte und hörte im gleichen Moment das Zufallen einer Tür.
Beruhigt ließ sich der Butler wieder nieder und wartete auf Mr. Bracer. Aber er sollte sich getäuscht haben. Mr. Bracer erschien nicht. Selbst Schritte waren nicht zu vernehmen.
Dafür klang das seltsame Geräusch wieder auf.
Josuah Parker, der den Dingen stets auf den Grund ging, stand nun endgültig auf und verließ seinen Platz. Er ging auf die Sesselgruppe zu, vor der ein niedriges, langes Bord lief. Es war mit geschmacklosen Schaustücken in Bleikristall, Porzellan und anderem Material gefüllt.
Parker kam um das Bord herum und blieb wie erstarrt stehen. Vor ihm auf dem Boden lag ein füllig aussehender Mann, der sich langsam und schwerfällig auf die Seite rollte. Das Gesicht dieses Mannes war jetzt zu erkennen. Es war unnatürlich bleich, die Nase war spitz, und die Lippen hatten sich schmerzvoll verzogen. Mit solch einer schrecklichen Überraschung hatte Parker gewiß nicht gerechnet.
Die Augen des Mannes waren weit geöffnet, dennoch reagierten sie nicht auf den Butler, der sich niederbeugte, um den Mann näher zu untersuchen.
Der Mann war offensichtlich angeschossen und schwer verwundet. Aus seinem Mundwinkel rann ein dünner Blutfaden. Sein Hemd stand am Hals offen und war verschmiert von Blut, das noch nicht geronnen war.
Parker ließ sich auf die Knie nieder. Wie sollte er sich in diesem Moment Gedanken über den Mann machen, der ihn ins Haus gelassen hatte? Helfen wollte er, das Blut stoppen und retten, was noch zu retten war.
Durch den Körper des schwer getroffenen Mannes ging ein krampfhaftes Zucken. Seine Beine bewegten sich und plötzlich erkannte er Parker. Der Ausdruck panischer Angst trat in seine Augen. Abwehrend versuchte er die Arme zu heben, aber dazu war er bereits zu kraftlos.
»Ich will Ihnen helfen...!« sagte Parker langsam und laut. »Bleiben Sie ruhig liegen!«
Die Lippen des Mannes bewegten sich, aber Worte oder auch nur Laute waren nicht mehr zu vernehmen. Parker sah, daß dieser Mann sterben mußte. Es konnte sich nur noch um wenige Minuten handeln.
»Wer hat geschossen?« fragte Parker laut. »Wer hat geschossen? Sie müssen antworten! Antworten Sie doch!«
Der Butler brachte sein Ohr dicht an die Lippen des Sterbenden. Der Mann schien ihn nämlich verstanden zu haben. Er nahm den Rest seiner Kräfte zusammen, versuchte sich verständlich zu machen.
»Jane... Jane soll vorsichtig sein«, hauchte der Sterbende.
»Hat Jane geschossen?« fragte Parker.
Der Sterbende schüttelte den Kopf, ganz schwach nur, aber Parker bemerkte es.
»Wer hat geschossen?« fragte der Butler noch einmal sehr eindringlich. »Der Mörder darf nicht entkommen. Sie müssen reden.«
»Hank Müsset... aufpassen. Er muß...!«
Das war alles.
Es hatte keinen Sinn, weitere Fragen zu stellen. Der Mann war tot. Die Augen brachen. Der Unterkiefer fiel herab.
Josuah Parker richtete sich auf und suchte nach dem Telefonapparat, den er auf dem Bord fand. Er wählte eine Nummer und wartete, bis Anwalt Mike Rander sich meldete.
»Sir, ich habe die traurige Pflicht, Sie vom überraschenden Ableben des Mr. Bracer zu verständigen«, sagte Parker in seiner etwas umständlichen Art. »Augenscheinlich ist er durch zwei Schüsse getötet worden.«
»Donnerwetter«, gab Mike Rander, bekannter Anwalt und Strafverteidiger, zurück. »Was ist passiert?«
Parker schilderte kurz, was geschehen war.
»Es ist mir äußerst peinlich, sagen zu müssen«, schloß er, »daß ich den Mörder, der mir die Tür öffnete, mit Mr. Bracer verwechselte. Er konnte ohne Schwierigkeiten entwischen.«
»Woher wissen Sie, daß der Mann an der Tür der Mörder war?« fragte Mike Rander zurück.
»Sir, das ist eine Annahme von mir«, berichtigte sich Parker sofort. »Eines möchte ich allerdings herausstellen, er verfügte über erstaunlich gute Nerven.«
»Das muß ich auch sagen, Parker. Aber lassen Sie sich deshalb keine grauen Haare wachsen. Sie hatten Bracer ja vorher noch nie gesehen. Übrigens eine Frage am Rande: Sind Sie sicher, daß der Tote auch wirklich Jeff Bracer ist?«
»Sir, ich bin ganz sicher«, erwiderte Josuah Parker. »Genau neben mir steht ein Foto, das den Toten zeigt. Es ist eine ältere Aufnahme, worauf der Tote zusammen mit einigen anderen Männern zu sehen ist. Die Widmung beweist, daß Bracer der Tote ist.«
»Schön, Parker, verständigen Sie jetzt die Mordkommission. Ich werde selbst so schnell wie möglich dort sein. Und noch etwas. Auf ein paar Minuten wird es gewiß nicht ankommen. Bevor Sie die Polizei verständigen, könnten Sie vielleicht eine erste Sichtung vornehmen, wie? Sie haben mich doch verstanden, ja?«
»Ich habe begriffen, Sir.«
»Ende«, sagte Mike Rander nur. Es knackte in der Leitung, und Parker ließ den Hörer zurück auf die Gabel gleiten.
Er sah sich den Toten noch einmal an und begann anschließend mit einer ersten Untersuchung. Nach fünf Minuten verständigte Parker die Mordkommission und ließ sich abwartend in einem Sessel nieder.
Er dachte an die Vorgänge, die diesen Besuch eingeleitet hatten. Ein Mr. Jeff Bracer hatte sich telefonisch an das Anwaltsbüro Mike Rander gewandt und um Hilfe gebeten. Bracer, ein entlassener Häftling, hatte von bösen Schwierigkeiten gesprochen.
Rander hatte Bracer vorgeschlagen, doch zu ihm in die Kanzlei zu kommen, aber Bracer hatte das fast ängstlich abgelehnt. Er hatte von Beschattung und Überwachung gesprochen und flehentlich darum gebeten, man möge ihm doch einen unauffällig wirkenden Mann ins Haus schicken, mit dem er seine Probleme besprechen könne.
Mike Rander hatte daraufhin seinen Butler losgeschickt. Josuah Parker, ein Kriminalist aus Leidenschaft, hatte aber leider so gut wie nichts mehr in Erfahrung bringen können. Was hatten die wenigen Worte zu besagen, die Jeff Bracer vor seinem Tod gehaucht hatte? Von einer Jane hatte er geflüstert, und der Name Hank Mussel war zu verstehen gewesen. Vielleicht waren das bereits Hinweise, die eine erkennbare Spur ergeben würden. Daher beschloß Parker, diese spärlichen Angaben vorerst nicht auszuposaunen. Wenn es sein mußte, konnte er als echter Butler ungemein schweigsam sein!
*
»Sie müssen Jeffs Mörder finden«, sagte Mrs. Bracer mit monotoner Stimme. »Sie müssen ihn finden, ich hätte sonst keine Ruhe mehr. Mein Gott, wie hatten Jeff und ich uns das alles ausgemalt! Es sollte so schön werden. Er mußte die schrecklichen Jahre vergessen, die hinter ihm lagen.«
Tränen erstickten ihre Stimme. Sie ließ den Kopf sinken und zupfte an ihrem kleinen Taschentuch.
Jane Bracer war zweiunddreißig Jahre alt, mittelgroß, schlank und glich einem verschüchterten Vogel, der keinen Platz mehr in der Welt hat. Ihr naturbraunes Haar wirkte ungepflegt, aber das war verständlich. Die vergangenen Stunden hatten ihr schrecklich zugesetzt. Sie war zusammen mit einer Freundin im Kino gewesen und wurde zu Hause von der Mordkommission in Empfang genommen. Ohne große Rücksicht hatte man sie vor ihren Mann gebracht, den sie identifizieren mußte. Sie brach zusammen und wurde später von Mike Rander, der am Schauplatz der Tat eingetroffen war, mit in die Anwaltspraxis genommen. Rander hatte sich gleich als ihren Anwalt bezeichnet, um die junge, verzweifelte Frau vor den Fragen der Polizisten zu schützen.
»Wir werden alles tun, Mrs. Bracer, um den Mörder zu finden«, sagte Mike Rander. »Aber ohne Ihre Hilfe werden wir nicht viel ausrichten können.«
»Wie könnte ich Ihnen schon helfen?« fragte sie mutlos und nahm den Kopf hoch. »Ich hatte doch schließlich keine Ahnung, daß Jeff sich an Sie gewandt hat.«
»Mit Ihnen hat er nie über seine Schwierigkeiten gesprochen?« fragte Mike Rander weiter.
»Nein, niemals«, war ihre Antwort. »Jeff hatte sich sehr verändert. Er war anders, verstehen Sie? So verschlossen. Er ging kaum aus dem Flaus. Er war menschenscheu geworden.«
»Verständlich«, sagte Mike Rander und nickte. »Immerhin war er jahrelang von der Außenwelt abgeschlossen worden.«
»Warum soll ich das verschweigen?« meinte Mrs. Bracer tapfer. »Ich habe trotzdem immer zu ihm gehalten. Immer... Da konnten die Leute reden, was sie wollten.«
»Wir wissen leider nur sehr wenig über Ihren Mann, Mrs. Bracer.«
»Er hat im Gefängnis gesessen. Vier Jahre.«
»Und was hat ihn dahin gebracht?«
»Daß Jeff gegen das Gesetz verstoßen hatte, hat er immer offen zugegeben«, schickte sie voraus. »Aber Jeff war kein Gangster, Mr. Rander. Leider war er nur sehr leicht zu beeinflussen.«
»Weswegen wurde er verurteilt?«
»Er hat einen Wagen gefahren, in dem drei Bankräuber flüchteten. Es kam zu einer Schießerei. Der Wagen prallte gegen einen Hydranten. Jeff wurde schwer verletzt, brach sich einige Rippen und hatte einen leichten Schädelbruch.«
»Was wurde aus den drei anderen Männern?«
»Einer starb sofort nach dem Unfall, einer konnte entkommen, der dritte erhielt lebenslänglich. Er hatte einen Polizeibeamten erschossen.«
»Wann ist das passiert, Mrs. Bracer?«
»Vor gut vier Jahren«, erwiderte Jane Bracer. »Jeff wurde vor vier Wochen entlassen. Eigentlich sollte er zehn Jahre bleiben, aber der Rest der Strafe wurde wegen guter Führung geschenkt.«
»Hat ihr Mann vielleicht nach seiner Entlassung Besuche erhalten?«
»Nein, gar keine. Er wollte auch keinen Menschen sehen. Er hatte sich vollkommen verändert.«
»Wollte er wieder in seinen alten Beruf zurückkehren?«
»Ich redete ihm gut zu, aber Jeff konnte sich noch nicht entschließen. Er wollte noch damit warten.«
»In welchem Beruf hat er gearbeitet?«
»Jeff war Automechaniker, Sir.«
»Und wie haben Sie sich durchgeschlagen, Mrs. Bracer?«
»Ich habe als Verkäuferin gearbeitet«, sagte Jane Bracer. »Ich bin Zigarettengirl in einem Nachtclub.«
»Kein leichtes Leben«, sagte Mike Rander mitfühlend. »Wann haben Sie geheiratet?«
Diese Frage hätte er nicht stellen sollen. Er schien eine offene und besonders schmerzhafte Wunde berührt zu haben. Jane Bracer schluchzte auf und brach zusammen.
Mike Rander sah sich hilfesuchend nach seinem Butler um, der sich im Hintergrund gehalten hatte.
Als geschulter Butler hatte Parker bereits wirksame Mittel zur Hand, um die Frau zu beleben. Er servierte einen Kognak, den Jane Bracer sich fast willenlos von Mike Rander einflößen ließ.
Sie schüttelte sich, als das Getränk über ihre Lippen rann. Nur langsam erholte sie sich von ihrem Schock. Ihre Augen waren nun tränenlos. Tapfer richtete sie sich auf und preßte die Lippen zusammen, bis ihre Nerven sich beruhigt hatten.
»Sie sollten jetzt nicht mehr antworten«, meinte Rander. »Ich werde Sie nach Hause bringen, Mrs. Bracer.«
»Nein, auf keinen Fall werde ich zurück ins Haus gehen«, sagte sie. »Ich würde doch nur immer an... an das erinnert.«
»Können Sie anderweitig Unterkommen?«
»Ich werde wohl zu meiner Freundin gehen. Bringen Sie mich bitte zu ihr!«
»Aber das ist doch selbstverständlich«, sagte Rander und erhob sich.
»Sie fragten mich, wann ich Jeff geheiratet habe«, redete Jane Bracer weiter. »Erst vor vier Wochen. Verstehen Sie jetzt, wie es in mir aussieht?«
»Du lieber Himmel«, sagte Mike Rander bestürzt. »Das konnte ich leider nicht wissen. Verzeihen Sie meine Frage!«
»Ich habe die ganze Zeit über auf Jeff gewartet«, redete Jane Bracer weiter. »Ich wußte, daß er im Grunde ein guter Kerl war, glauben Sie mir. Wir wollten die Stadt verlassen und irgendwo völlig neu beginnen. Er hatte sich bereits um eine Stelle in Los Angeles beworben.«
»Wir sollten jetzt aber wirklich gehen«, sagte Mike Rander. »Sie muten sich zuviel zu, Mrs. Bracer.«
»Sie glauben ja nicht, wie gut es tut, sich mal richtig auszusprechen«, redete sie weiter und beschäftigte sich erneut mit dem kleinen Spitzentaschentuch, das fast zerrupft und zerfetzt war. »Warum ist Jeff wohl erschossen worden? Er hatte doch seine Strafe verbüßt. Er hat doch keinem Menschen etwas getan?«
»Eines Tages werden wir die Antwort auf Ihre Fragen wissen«, tröstete Rander die junge Frau.
»Sie wollen das also in die Hand nehmen, Sir?« fragte sie. »Ich zahle jeden Preis. Ich habe gespart. Sie verstehen?«
»Wir werden Ihnen helfen«, sagte Rander. »Aber jetzt wollen wir wirklich gehen. Sie haben immerhin ein Verhör der Polizei hinter sich.«
»Wenn Sie erlauben, Mrs. Bracer, möchte ich Ihnen gern einige Beruhigungstabletten mitgeben«, schaltete sich Parker aus dem Hintergrund ein. »Sie werden dann wenigstens schlafen können.«
»Parker, bringen Sie Mrs. Bracer nach Hause«, sagte Rander. »Ich habe noch etwas zu erledigen. Sie werden mich hier in der Kanzlei finden.«
Josuah Parker schien Mitleid mit der jungen Frau zu haben, denn er umsorgte sie mit einer Wärme, die man sonst nicht an ihm beobachten konnte. Sorgsam geleitete er sie hinaus, führte sie zum Lift und fuhr mit ihr hinunter in die große Halle.
Mrs. Bracer merkte überhaupt nicht, in was für einen eigenartigen Wagen sie einstieg. Es handelte sich um Butler Parkers hochbeiniges Monstrum, ein ehemaliges Londoner Taxi, das nach speziellen Wünschen des Butlers umgebaut worden war.
Parker gab sich die größte Mühe, nicht zu schnell zu fahren. Für seine Begriffe kroch er förmlich durch die Straßenschluchten. Normalerweise fuhr er ein anderes Tempo, das starke Männer schwach werden ließ.
»Wohin darf ich Sie bringen?« erkundigte sich Parker während der Fahrt.
Sie nannte ihm die Adresse.
Parker fuhr hinüber in den Ostteil der Stadt und setzte die junge Frau vor einem grauen Mietblock ab.
»Ich bringe Sie gern hinauf«, sagte er.
»Aber das ist wirklich nicht nötig«, wehrte Jane Bracer ab. »Sie haben schon so viel für mich getan.«
»Es macht mir wirklich nichts aus.«
»Nein, danke, Mr. Parker«, sagte Jane Bracer. Sie nickte ihm flüchtig zu und verschwand im Hauseingang.
Josuah Parker wartete, bis sie nicht mehr zu sehen war. Dann löste er sich von seinem hochbeinigen Monstrum und folgte ihr. Unten im Treppenhaus blieb er stehen und lauschte auf die Schritte nach oben. Im dritten Stockwerk betrat sie den Korridor. Nach wenigen Schritten pochte sie gegen eine Tür.
Parker, der von Natur aus dazu neigte, den Dingen auf den Grund zu gehen, stieg nun ebenfalls drei Treppen hoch, bis er die bewußte Etage endlich erreicht hatte. Ein Lichtschein, der unter einer Tür hervortrat, wies ihm den Weg.
Parker genierte sich nicht, durch das Schlüsselloch zu schauen.
Viel war leider nicht zu erkennen. Jane Bracer schien knapp hinter der Tür stehen geblieben zu sein. Sie weinte und schluchzte und ließ sich von einer Frau trösten, die eine dunkle Altstimme besaß.
Parker pochte gegen die Tür.
Die Stimmen im Zimmer brachen jäh ab. Es dauerte eine Weile, bis die Altstimme in ziemlich forscher Tonart fragte, wer da sei.
»Hier ist Parker, Josuah Parker«, meldete der Butler sich. »Darf ich Mrs. Bracer noch einmal belästigen?«
»Mr. Parker...?« fragte Jane Bracer überrascht, aber auch irgendwie erleichtert zurück. Ein Schlüssel wurde herumgedreht, dann schob sich die Tür auf.
»Oh, das ist mir aber ungemein peinlich«, sagte Parker und senkte verschämt die Augen. Vor ihm stand eine junge Frau, die einen nachlässig geschlossenen Bademantel trug. Sie merkte sofort, daß ihre Kleidung nicht in Ordnung war, lächelte flüchtig und schloß den Mantel.
Die junge Frau, die sehr zurechtgemacht war und deren Make-up für Parkers Begriffe reichlich auffällig war, ließ den Butler eintreten.
»Kann ich noch irgend etwas für Sie tun?« fragte Parker besorgt.
»Nein, danke«, sagte Jane Bracer irritiert. »Meine Freundin wird nicht zum Dienst gehen. Sie will hier bleiben.«
»Das durfte doch wohl klar sein«, meinte die junge Frau burschikos. »Ich werde Jane doch jetzt nicht allein lassen. Keine Sorge, sie ist bei mir gut aufgehoben.«
»Das wollte ich nur feststellen«, sagte Josuah Parker, verbeugte sich und verließ die kleine Wohnung. Er hatte die Türklinke noch in der Hand, als er drüben an der Treppe ein ächzendes Geräusch hörte. Ein loses Dielenbrett mußte jäh belastet worden sein.
Parker beeilte sich, zur Treppe zu kommen.
Er hatte eine zusammengekauerte Gestalt ausgemacht, die sich hinter dem Geländer verbarg.
Aber weit kam er nicht.
Für Bruchteile von Sekunden funkelte ein Lichtstrahl auf. Das Licht der Flurbeleuchtung brach sich auf einem Gegenstand, den der Butler noch nicht ausmachen konnte.
Einen Moment später klatschte dicht neben ihm ein Wurfmesser gegen den Türrahmen und landete klirrend auf dem Boden. Da wußte der Butler genau, um welchen Gegenstand es sich gehandelt hatte...
*
Verfolgung wäre sinnlos. Der Vorsprung des Messerwerfers war einfach zu groß. Josuah Parker hob das Messer auf, benutzte dabei aber ein kleines Tuch, um etwaige Fingerabdrücke nicht zu verwischen. Er überlegte, ob er die beiden Frauen nicht informieren und warnen sollte, entschied sich aber dafür, nichts zu sagen. Sie sollten nicht in Angst und Schrecken versetzt werden.
Dennoch mußte etwas für sie getan werden. Nach Lage der Dinge war Jane Bracer jemand auf den Fersen. Die Warnung des sterbenden Jeff Bracer war richtig gewesen. Jane mußte vorsichtig sein.
Parker schritt gemessen und würdevoll die Treppen hinunter, als sei nichts passiert. Er sah sich nach einer Gelegenheit um, Mike Rander anzurufen. In der Nachbarschaft des Mietshauses entdeckte er eine Kneipe. Sofort ging er darauf zu.
Der Butler erregte wieder einmal Aufsehen, als er das Lokal betrat. Parker mißachtete jedoch die neugierigen und amüsanten Blicke, die ihm galten. Er schritt zur Theke und fragte nach dem Telefon. Der Wirt deutete auf ein Wandbrett, wo das Telefon stand.
Mike Rander meldete sich sofort.
Parker meldete, daß die Dame sicher nach Hause gebracht worden sei.
»Und weshalb rufen Sie wirklich an?« erkundigte sich Rander, der hellhörig geworden war.
»Sir, ich würde vorschlagen, Mr. Porters auf den Weg zu schicken«, sagte Parker. »Es könnte sein, daß er gebraucht wird.«
»Ist etwas vorgefallen?«
»Nun ja, Sir, ich sollte mit einem metallenen Gegenstand beschenkt werden.«
»Wie war das? Man hat ein Messer auf Sie geworfen?«
»Genau das, Sir.«
»Schön, bleiben Sie im Hause, bis Sammy Porters eintrifft«, sagte Mike Rander. »Jane Bracer muß selbstverständlich abgeschirmt werden. Ich werde Porters sofort verständigen.«
»Mehr hatte ich nicht zu vermelden, Sir.«
»Danke, mir reicht das bereits«, Rander lachte leise auf. »Mag der Henker wissen, was eigentlich gespielt wird.«
Parker legte den Hörer auf und ging zurück zur Theke, um das Gespräch zu bezahlen. War es Absicht oder nur Zufall, daß er von einem Angetrunkenen angerempelt wurde? Klar zu ersehen war noch nichts. Der Angetrunkene, ein breitschultriger Mann mit tückisch blickenden Augen, plusterte sich sofort auf.
»Willste Streit anfangen, Alter?« fragte er mit rauher Stimme und baute sich vor Parker auf.
»Das ist ganz gewiß nicht meine Absicht«, erwiderte Josuah Parker höflich und lüftete seine Melone. »Falls Ihnen damit gedient sein sollte, entschuldige ich mich hiermit in aller Form.«
»Du willst mich wohl auf den Arm nehmen?« fauchte der Angetrunkene und sah den Butler mißtrauisch an.
»Laß doch den Mann zufrieden«, sagte der Wirt besorgt. »Du siehst doch, was mit ihm los ist.«
»Halt den Rand«, antwortete der Krakeeler. »Der Kerl geht mir auf die Nerven!«
Der Mann schien ein bekannter und gefürchteter Schläger zu sein. Einige andere Gäste, die an der Bartheke standen, zogen es vor, erst einmal in Deckung zu gehen. Der Wirt brachte schleunigst seine Gläser in Sicherheit.
»Was ist meine Schuldigkeit?« erkundigte Parker sich, als habe er weder etwas bemerkt noch gehört.
»Merkste denn nicht, daß uns der Kerl aufziehen will?« fragte der Angetrunkene gereizt. Er beabsichtigte, Parker an den Kragen zu fassen. Doch er kam nicht dazu, seine Absicht auszuführen. Parker klopfte ihm leicht und verweisend auf die Hand, die groß wie eine mittlere Kohlenschaufel war.
»Ich schätze Vertraulichkeiten nicht«, meinte Parker sanft. »Wollen Sie mir bitte den Weg freigeben«
»Was war das...?« fragte der Angetrunkene überrascht und starrte auf seine Hand. »Hast du mich etwa geschlagen?«
»O nein«, versicherte Parker freundlich. »Das war nur ein kleiner Klaps.«
»Bist wohl wahnsinnig geworden!«
Der Angetrunkene verlor jede Übersicht. Er holte zu einem üblen Schlag aus. Wenn Parker nicht ausgewichen wäre, hätte es ihn ordentlich erwischt. Bevor der Schläger seinen Arm wegziehen konnte, hatte der Butler bereits zugepackt. Eine kurze Drehung, ein schneller Ruck und schon brüllte der Angetrunkene auf, verbeugte sich vor Parker, verlor die Beine unter dem Körper und landete krachend auf dem Boden. Ein Stöhnen ging durch die Kneipe.
Die Überraschung war allgemein, daß dieser ulkig aussehende, ganz in Schwarz gekleidete Mann den Schläger zu Boden gezwungen hatte. Aber jeder wußte auch, was jetzt folgen würde. Der Krakeeler stand langsam auf und rieb sich den Unterarm. Es dauerte einige Sekunden, bis er begriffen hatte. Ein wütendes, gefährliche Knurren war zu hören.
Dann, ohne jede Vorwarnung, versuchte er, Parker einen gemeinen Fußtritt zu versetzen.
Aber der Mann schien sich in einer Pechsträhne zu befinden. Er verfehlte sein Ziel, dafür griff der Butler aber zielsicher zu. Er benutzte den Fuß des Mannes als Hebel. Die Bartheke zitterte, als der Krakeeler zum zweiten Male zu Boden stürzte.
»Sie sollten sich Ihre Gäste aber wirklich besser aussuchen«, sagte Parker zu dem fassungslosen Wirt. »Wieviel sagten Sie, habe ich zu zahlen?«
»Mann, bisher haben Sie ein sagenhaftes Glück gehabt«, stieß der Wirt hervor. »Verschwinden Sie, solange noch Zeit dazu ist! Sie brauchen nicht zu zahlen. Verschwinden Sie, er macht Sie zu Hackfleisch, wenn er wieder hoch ist!«
»Ich bin es gewohnt, meine Schulden zu bezahlen«, sagte Josuah Parker hartnäckig. »Wollen Sie mir bitte...«
Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden.
Der Krakeeler stand erneut auf den Beinen. Er musterte Parker aus blutunterlaufenen Augen, griff dann langsam in die Rocktasche und zog ein Messer hervor, das er aus dem Heft hervorspringen ließ. Er grinste bösartig, als er sich langsam an Parker heranschob.
»In Ihrem Alter sollte man sich mit solchen Spielereien nicht mehr abgeben«, sagte Parker vorwurfsvoll. »Stecken Sie das Messer ein und setzen Sie sich an einen Tisch!«
»Ich schlachte dich ab«, zischte der Angetrunkene gefährlich.
»Später vielleicht, aber nicht jetzt«, erwiderte Parker höflich.
Der Mann stürzte sich erneut auf den Butler. Diesmal war der Mann erheblich vorsichtiger. Er wollte wohl nicht noch einmal auf dem Boden vor der Theke landen.
Aber er hatte es mit Josuah Parker zu tun. Es war sein Pech, daß er den Butler nicht kannte. Sonst hätte er es vorgezogen, sich schleunigst abzusetzen.
Parker wich einen halben Schritt zur Seite. Das Messer verfehlte sein Ziel. Vom Schwung des Zustechens mitgerissen, stolperte der Messerheld und fiel mit seinem Kinn genau in den Aufwärtshaken, den Parker kurz und trocken schlug.
Wie vom Blitz getroffen sackte der Krakeeler in sich zusammen. Er fiel auch noch mit dem Hinterkopf auf die Fußleiste der Theke und blieb regungslos liegen.
»Manieren sind das«, meinte Parker und schüttelte den Kopf. »Und was habe ich nun zu zahlen?«
Der Wirt stotterte herum. Parker legte eine Münze auf den Tisch und schickte sich an, das Lokal zu verlassen. Aber nach ein paar Schritten blieb er stehen und ging zu dem Krakeeler zurück, der sich gerade zu rühren begann.
Ohne dem Mann einen einzigen Blick zu gönnen, bückte sich Parker nach dem Klappmesser, ließ die Klinge im Heft verschwinden und steckte das Messer ein. Dann ging er endgültig.
Parker setzte sich in sein hochbeiniges Monstrum und wartete auf Sammy Porters.
Porters, der eine Detektei betrieb, wurde von Mike Rander sehr oft beschäftigt. Nur Parker, Rander und Porters wußten, daß diese Detektei eigentlich nichts anderes war, als eine Filiale der Anwaltskanzlei. Mike Rander hatte seinerzeit das notwendige Geld zur Verfügung gestellt, damit Porters sich selbständig machen konnte.
Der war ein gerissener Detektiv. Kein Eisen war ihm zu heiß. Zwanzig Minuten nach dem Zwischenfall in der Kneipe tauchte ein harmlos aussehender Wagen auf. Parker hatte die Lichter weit hinten auf der Straße gesehen. Er ließ sein hochbeiniges Monstrum anrollen. Die Scheinwerfer folgten. In einer Seitenstraße hielt Parker an und stieg aus.
Sammy Porters kletterte aus seinem Wagen. Er war nicht allein. Er hatte einen von seinen Leuten mitgebracht.
»Wie ist die Lage, Parker?« fragte Porters, ein hochgewachsener, schlanker Mann von knapp vierzig Jahren.
Butler Parker sagte kurz und knapp, worauf es ankam.
»Ich würde weiterhin empfehlen«, schloß Parker seine Rede, »Mrs. Bracer überwachen zu lassen. Auch ihre Freundin dürfte nicht uninteressant sein.«
»Ich habe schon mit Mr. Rander darüber gesprochen«, antwortete Porters. »Wir werden uns ausschließlich mit dieser Sache befassen. Das wäre doch gelacht, wenn wir den Mörder nicht schnell finden würden.«
»Ich bin ganz sicher, Mr. Porters, daß Mrs. Bracer uns einige Tatsachen vorenthalten hat«, sagte Butler Parker. »Ihr leider verstorbener Mann hielt sie für gefährdet. Mrs. Bracer aber will nichts davon wissen.«
»Wir werden ihr bald auf die Schliche kommen«, sagte Porters und gähnte. »Halten Sie sie für verdächtig, Parker?«
»Da mochte ich mich lieber nicht festlegen«, erwiderte Josuah Parker zurückhaltend.
»Interessieren würde mich, in welchem Nachtclub sie arbeitet und mit welchen Personen sie befreundet ist.«
Von der Straßenecke aus zeigte Parker, wo Mrs. Bracer nun wohnte. Er beschrieb die Lage der Wohnung und verabschiedete sich anschließend von Porters.
Aber er fuhr nicht gleich nach Hause, also zu Mike Rander. Parker baute sich mit seinem Wagen so auf, daß er den Eingang zur Bierbar gut übersehen konnte.
Seine Wachsamkeit sollte sich lohnen.
Nach zehn Minuten verließ der Krakeeler die Bar. Er war sehr unsicher auf seinen stämmigen Beinen, aber diese Unsicherheit rührte ganz gewiß nicht nur vom Alkohol her. Ihm staken noch die Niederschläge in den Beinen.
Der Mann hatte es eilig, wegzukommen. Da er keinen Wagen hatte, mußte Parker aussteigen. Er hakte sich den Universalschirm über den linken Unterarm, kontrollierte den Sitz seiner schwarzen Melone und folgte dem Schläger, der auf ein Gewirr kleiner und enger Gassen zuhielt...!
*
Butler Parker war ein sehr vorsichtiger Mensch. Er hielt nichts davon, in fremde Fallen zu laufen.
Er konnte das Gefühl nicht loswerden, daß der Krakeeler aus der Kneipe ihm etwas vormachte. Der Mann übertrieb seine Trunkenheit um einige Grade. Er wollte den Butler augenscheinlich in Sicherheit wiegen und ihn arglos werden lassen.
Selbstverständlich folgte der Butler dem Manne nach wie vor. Aber er schaltete auf allergrößte Vorsicht um und rechnete damit, plötzlich angefallen zu werden.
Möglichkeiten dazu boten sich genug. Der Krakeeler hatte eine kleine Nebenstraße betreten, die kaum Licht aufwies. Hier gab es Mietskasernen, lange und hohe Fabrikmauern, drohende Torbogen und enge Niedergänge, die zu Kellerwohnungen führten. Wer wollte, konnte sich hier wunderbar verstecken und in den Hinterhalt legen.
Nach außen hin wirkte der Butler gelassen, ja seine Art bedächtig weiterzugehen, wirkte ungemein naiv. Rechnete er nicht mit Schwierigkeiten? War er seiner Sache so sicher?
Das war natürlich nicht der Fall.
Josuah Parker paßte scharf auf. Da sein Mißtrauen einmal geweckt war, pflegte er es. Ihm kam zustatten, daß er Gummisohlen unter den Schuhen hatte. Seine Schritte waren unhörbar, dafür aber konnte er die harten Schritte des Krakeelers hören, der seiner Schätzung nach nun etwas schneller vorausschritt.
Dann waren die Schritte nicht mehr zu hören.
Parker blieb sofort stehen und lauschte. Ganz in der Nähe mußte der Messerstecher in Deckung gegangen sein. Ob er diesmal eine Schußwaffe benützen würde?
Um das herauszufinden, wandte der Butler einen uralten Kavallerietrick an. Er drehte sich nämlich plötzlich auf den Absätzen herum und ging hastig zurück, als habe er seinen Gegner bereits gesehen und wollte sich retten. Damit provozierte er den Messerstecher. Der mußte glauben, es sei höchste Zeit, seinen Angriff auszuführen.
Der Krakeeler hatte sich tatsächlich ganz in der Nähe hinter einem Treppenvorbau aufgehalten. Jetzt ging er daran, zu retten, was noch zu retten war.
Er stürzte aus seinem Versteck heraus und versuchte, Parker anzufallen. Auf seine Schußwaffe verzichtete er. In seiner Rechten hatte er nur einen Totschläger. Der mußte in seiner breiten, schaufelförmigen Hand eine vernichtende Waffe sein.
Butler Parker horte die schweren, schnellen Schritte hinter sich, fühlte, daß er nicht weiterlaufen durfte, und wandte sich hastig um. Aber er hatte sich in der Distanz verrechnet. Der Krakeeler schlug bereits zu.
Parker wurde voll getroffen.
Genauer gesagt, der Totschläger, ein Stück Gummischlauch, der mit Blei gefüllt war, traf haargenau die Kopfbedeckung des Butlers und trieb sie ihm in die Stirn.
Der Butler ging in die Knie.
Er rutschte gegen ein rostiges Geländer, hielt sich aber absichtlich nicht fest, sondern ließ sich haltlos zu Boden sinken. Der Halunke, der sein Mordinstrument zu einem erneuten Schlag hochgerissen hatte, grinste zufrieden. Schließlich kannte er die Wirkung seiner Schläge. Wenn sein Opfer mit einem Schädelbruch davonkam, hatte es großes Glück gehabt...
Der Gangster blieb einige Sekunden abwartend stehen und schleifte Parker dann in einen dunklen Torbogen. Weich und schlaff ließ sich der Körper des Butlers bewegen.
Der Gangster suchte nach dem Messer, das Parker ihm abgenommen hatte. Es war seine Lieblingswaffe. Und er war ganz versessen darauf, Parker damit den Rest zu geben.
Die Hand des Schlägers tastete die Kleidung des Butlers ab, suchte nach dem sichergestellten Messer. Das war nicht einfach, weil Parkers schwarzer, weitfallender Covercoat überraschend viele Taschen aufwies.
Plötzlich schrie der Gangster auf, als hätte ihn der Teufel persönlich in seinen Klauen.
Seine suchend ausgestreckte Hand war wie in einen Schraubstock geraten. Ein kurzer, schneller Ruck, und der Gangster vollführte einen Salto und landete klatschend auf dem Rücken. Der Aufprall war derart heftig, daß er nach Luft schnappte. Bevor er sich wieder aufrappeln konnte, war Parker bereits über ihm.
Was nun folgte, war kurz und peinlich.
Der Gangster erhielt eine Lektion wie noch nie vorher in seinem Leben. Was mit ihm passierte, konnte er später nicht mehr genau berichten. Er kam nicht dazu, auch nur die geringste Abwehrbewegung zu machen. Das Ende vom Lied war, daß er stöhnend und restlos ausgepumpt liegenblieb.
Parker richtete sich auf und klopfte sich bedächtig seine Kleidung ab. Er steckte ein paar Dinge ein, die er in den Taschen des Mannes gefunden hatte, brachte mit einiger Mühe die in die Stirn getriebene Melone wieder in die richtige Lage und verließ den Schauplatz seiner erzieherischen Tat.
Parker dankte auf dem Rückweg der Stahleinlage seiner Melone, die sich wieder einmal als lebensverlängernd erwiesen hatte.
Zehn Minuten später erreichte der Butler die Seitenstraße, in der sein hochbeiniges Monstrum stand. Parker setzte sich ans Steuer und fuhr in durchaus zivilem Tempo zurück zum Michigan Boulevard, um seine Arbeit für die Nacht zu beschließen.
Mike Rander erwartete bereits seinen Butler.
Parker erreichte den Bungalow auf dem Dachgarten, entledigte sich seines Covercoats und warf einen prüfenden Blick auf die Melone, die den schweren Schlag mit dem Totschläger abgewehrt hatte. Nur ein paar feine Kratzer zeigten an, was sich in der Dunkelheit abgespielt hatte.
»Ich habe das deutliche Gefühl, Parker, daß Sie in der letzten Stunde nicht untätig gewesen sind«, sagte Mike Rander lächelnd.
»Ihr Gefühl in Ehren, Sir«, antwortete Parker. »Man hatte sich darauf versteift, mich umzubringen. Verständlicherweise mußte ich darum zu Gegenmaßnahmen übergehen.«
»Das kann ich mir gut vorstellen.«
»Wenn Sie gestatten, möchte ich Ihnen zwei Messer vorlegen, Sir, die ich einsammeln konnte«, redete Parker gelassen weiter. »Wenn mich nicht alles täuscht, müssen sie von einer Hand geworfen worden sein.«
»Sie sprechen von zwei Messern?«
»Wenn ich sie Ihnen vorlegen darf?«
Parker packte seine nächtliche Beute an Schneidewaren auf den Tisch. Mike Rander sah sich die Hieb- und Stichwaffen interessiert an und ließ sich Bericht erstatten. Parker faßte sich für seine Begriffe ungemein kurz. Schon nach knapp zwanzig Minuten hatte er seine Erzählung beendet.
»Ich möchte nun, Sir, wenn Sie gestatten, mit dem Fingerabdrucktest beginnen«, meinte der Butler abschließend. »Darf ich Ihre Aufmerksamkeit inzwischen auf die Papiere lenken, die ich dem Schläger aus der Kneipe abnahm?«
»Lassen Sie sich nur nicht aufhalten, Parker.«
Während Mike Rander sich über die Papiere des Gangsters hermachte, holte Parker sein kleines Notbesteck zur Bestimmung von Fingerabdrücken und verwandelte sich in einen kaum zu schlagenden Experten. Genau und ordentlich, wie er nun einmal war, fixierte er die betreffenden Abdrücke auf einer Fotoplatte. Die Abzüge wanderten später dann in das Archiv des Butlers, das sich in seinen Privaträumen befand.
»Der Schläger heißt Billy Signal«, sagte Mike Rander, als Parker an den Kamin trat, vor dem Rander saß. »Er arbeitet als Packer in einer Möbelfirma und wohnt im Osten der Stadt. Die genaue Adresse habe ich herausgezogen. Und was haben Sie gefunden, Parker?«
»Es ist mir fast peinlich, wieder einmal festgestellt zu haben, daß mich mein Gefühl nicht getäuscht hat, Sir.«
»Mit anderen Worten, die beiden Messer sind von einer Hand geworfen worden?«
»Allerdings, Sir.«
»Demnach werden wir uns also sehr nachdrücklich mit Billy Signal befassen müssen«, redete Mike Rander weiter. »Nach Lage der Dinge müßte er eigentlich den Mörder von Jeff Bracer kennen.«
»Gedenken Sie die Polizei zu informieren, Sir?«
»Wir wären dazu verpflichtet, Parker.«
»Gewiß, Sir, aber...«
»Na, begeistert wirken Sie nicht gerade.«
»Sir, darf ich mir die Freiheit nehmen, Ihnen einen Vorschlag zu machen?«
»Ihrer Meinung nach sollten wir wohl sofort zu Billy Signal fahren, nicht wahr?«
»Das wäre mein Vorschlag gewesen, Sir.«
»Ein verlockender Gedanke«, sagte Mike Rander nachdenklich und stand auf. »Ein paar Stunden nach der Tat könnten wir den Mörder bereits festsetzen. Das wäre zu schön, um wahr zu sein.«
»Sie haben Bedenken, Sir?«
»Nun, wenn Sie mich fragen, Parker, mir ging das alles viel zu geschmiert. Aber warum sollen wir auch nicht mal Glück haben? Treffen Sie alle Vorbereitungen. Wir werden uns diesen Billy Signal mal aus der Nähe ansehen.«
Schon nach fünf Minuten fuhren Mike Rander und Josuah Parker mit dem Lift hinunter in die Tiefgarage des Hauses, wo ihre Wagen standen.
»Haben Sie besondere Wünsche, Sir, was den Wagen anbetrifft?« erkundigte der Butler sich, als sie vor den Boxen standen, die mit Draht eingegittert waren.
»Da ich heil und gesund zu Billy Signal kommen will, werden wir meinen Wagen nehmen«, entschied Rander. »Und damit keine Mißverständnisse aufkommen, Parker, ich selbst werde das Steuer übernehmen. Sie wissen, Ihre spezielle Kurventechnik schlägt mir meist auf den Magen.«
Billy Signals Adresse war mit der Anschrift der Firma identisch, die ihn als Möbelpacker beschäftigte.
Hinter einem grauen, vierstöckigen Haus, durch das ein hoher, aber sehr enger Torbogen führte, befanden sich der Parkplatz der Speditionsfirma sowie große Garagen und Lagerhallen.
Rander und Parker hatten den Wagen weit vor dem Haus verlassen und waren zu Fuß weitergegangen. Sie hatten nun den Torbogen erreicht und hielten Kriegsrat.
»Meiner Schätzung nach müßte Signal hinten auf dem Lagerplatz wohnen. Vielleicht über einer Garage«, sagte Rander. »Halten Sie mir den Rücken frei, Parker, ich werde mal nachsehen.«
»Darf ich Sie auf das erleuchtete Fenster aufmerksam machen, Sir.«
»Stimmt, habe auch ich bereits gesehen. Das Licht kommt aus einem Fenster über der rechten Garage. Spricht eigentlich für meine Annahme. Signal hat bestimmt eine Menge zu tun, um seine Wunden zu pflegen.«
Rander verließ Parker, der in den Torbogen eintrat und sich hier aufbaute. Da der Butler wie immer schwarz gekleidet war, war er im Torbogen kaum zu erkennen.
Mike Rander hatte inzwischen den Lagerplatz erreicht, auf dem mehrere Sattelschlepper abgestellt waren. Er benutzte die Kolosse als Deckung und schob sich schnell an die Garage heran, über der ein helles Fenster zu erkennen war.
Eine Außentreppe aus Eisen führte nach oben. Von der Galerie aus konnte man die vier Zimmer betreten, deren Türen im Widerschein einiger Bogenlampen zu erkennen waren. Mike Rander blieb am Fuß der Eisentreppe einen Moment stehen, holte seinen 22er aus der Rocktasche und entsicherte ihn. Dann stieg er leise, aber schnell hinauf zur Galerie, blieb vor der Tür stehen, hinter der das erleuchtete Zimmer sein mußte, und schaute durch das Schlüsselloch. Im Ausschnitt war nur ein Stuhl zu sehen, über dessen Lehne ein Rock hing. Ein Radio spielte leise.
Mike Rander drückte die Klinke leise, fast millimeterweise herunter, prüfte, ob sich die Tür öffnen ließ und schob sie schnell auf.
Er sah Billy Signal, den Krakeeler, auf den ersten Blick.
Der Gangster lag auf einem einfachen Bett und schien zu schlafen. Er hatte sich nicht entkleidet, ja selbst die Schuhe staken noch in seinen Füßen. Rander hob seine Waffe etwas an, ging auf Zehenspitzen näher an das Bett heran und ließ die Waffe sofort sinken, ja er steckte sie sogar ein.
Sie wurde nicht mehr gebraucht. Wenigstens nicht mehr im Hinblick auf Billy Signal, denn der Mann war tot, konnte keinen Ärger mehr machen und nie mehr mit Messern werfen...!
Billy Signal war erschossen worden. Auf seiner Brust waren Blutflecke zu sehen, die bereits eingetrocknet waren.
Mike Rander sah sich im Zimmer um.
Ein Kampf schien nicht stattgefunden zu haben. Einige billige Strohsessel, der Tisch und die Kommode, das alles stand am richtigen Platz und war nicht durcheinandergewirbelt worden.
Von welcher Stelle aus mochte der Gangster erschossen worden sein?
Rander prüfte die Stelle, an der Signal lag. Nein, von der Tür aus konnte er unmöglich getötet worden sein. Auch das einzige Fenster des Raumes schied aus. Nachdem der Anwalt sich die Leiche genauer angesehen hatte, stutzte er. Auf dem blutverkrusteten Rock waren feine, kleine Brandspuren festzustellen, die nur vom Mündungsfeuer eines Revolvers herrühren konnten. Demnach war es dem Mörder also gelungen, dicht an sein Opfer heranzukommen. Es konnte allerdings auch gut möglich sein, daß das Opfer seinen Mörder gut gekannt und ahnungslos begrüßt hatte.
Bevor Mike Rander das Zimmer verließ, sah er sich noch etwas genauer um, und suchte nach Anhaltspunkten und Spuren. Aber er konnte nichts finden. Billy Signal schien nur über sehr wenig Habe verfügt zu haben. Um jedoch vollkommen sicher zu gehen, schob Rander einen Stuhl an den einfachen Kleiderschrank heran, bestieg ihn und sah sich auf dem Schrank um.
Er sah sofort das staubfreie Rechteck auf dem Schrank. Hier mußte sich vor ganz kurzer Zeit noch ein Koffer befunden haben. Ob der Mörder ihn mitgenommen hatte? Eine knappe Prüfung mit dem benetzten Zeigefinger bewies das deutlich. Nicht eine Spur von Staub blieb am Finger haften.
Mike Rander stieg vom Stuhl herunter, brauchte ihn in seine alte Lage zurück und entfernte erst einmal sämtliche Fingerspuren, die er hinterlassen hatte. Dann verließ er das Zimmer, trat hinaus auf die Galerie und ging die Eisentreppe hinunter. Hier gab es für Parker und ihn nichts mehr zu holen. Jetzt mußte dafür gesorgt werden, daß die Polizei erschien und die Ermittlungen aufnahm.
»Hallo, Sir?« wurde Rander im Torbogen von seinem Butler angerufen.
Mike Rander ging auf Parker zu und schob ihn aus dem Torbogen hinaus. Er sagte kein Wort.
»Ich fürchte, Sir, Sie sind auf einen Toten gestoßen«, tippte der Butler an.
»Richtig. Billy Signal ist erschossen worden«, antwortete Rander. »Da scheint jemand sehr schnell zu reagieren.«
»Haben Sie Patronenhülsen gefunden, Sir? Entschuldigen Sie meine so direkt klingende Frage.«
»Unsinn, was soll ich entschuldigen? Solche Fragen tun mir direkt wohl, Parker. Was die Hülsen angeht, so habe ich nichts finden können.«
»Auch im Mordfall Jeff Bracer wurden keinen Hülsen gefunden«, meinte Parker da nur. »Wir haben es mit einem sehr vorsichtigen Mörder zu tun, Sir.«
»Ich wette, Parker, daß wir uns noch oft die Köpfe zerbrechen werden müssen.«
Ein durchaus interessanter Fall, Sir, falls Sie Wert auf meine Meinung legen.«
»Ob interessant oder nicht, Parker. Ich müßte die Polizei informieren.«
»Wenn Sie erlauben Sir, würde ich das gern übernehmen.«
»Sie mißverstehen mich absichtlich, Parker. Es geht darum, daß ich selbst diesen Mord anzeigen müßte.«
»Vielleicht können Sie sich noch ein paar Tage zurückhalten, Sir«, schlug der Butler vor. »Im Polizeihauptquartier schätzt man es nicht, wenn Sie Leichen anzumelden haben.«
»Das ist ja eben der springende Punkt«, sagte Mike Rander, als sie zurück zum Wagen gingen. »Wo wir auch erscheinen, Parker, immer stolpern wir über Tote.«
»Das liegt ausschließlich an der Art der Aufgaben, die Sie zu übernehmen belieben, Sir.«
»Ein schwacher Trost«, erklärte Rander und mußte wider Willen lächeln. Um seiner Pflicht aber in etwa Genüge zu tun, rief Mike Rander von der nächstbesten öffentlichen Sprechzelle aus die Mordkommission der Polizei an. Seinen Namen nannte er allerdings nicht. Er fühlte sich dabei nicht ganz wohl in seiner Haut, denn gerade als Anwalt wußte er sehr genau, wie falsch er sich verhielt.
»Darf ich mir erlauben, Ihnen sonst noch irgendwelche Wünsche zu erfüllen?« erkundigte Parker sich, als Rander wieder im Wagen Platz genommen hatte.
»Und ob, Parker. Sprechen Sie den Rest der Nacht nicht mehr von diesem Fall. Wir fahren jetzt schleunigst nach Hause und nehmen erst eine Mütze voll Schlaf.«
Mike Rander ließ den Wagen anrollen und fuhr in schnellem Tempo durch die nächtlichen Straßen. In der Tiefgarage angekommen verließen sie den Wagen und fuhren mit dem Lift hinauf zur Dachgartenwohnung, die sich auf dem Dach eines großen Wohnblocks befand. In der dreizehnten Etage hielt der Lift. Rander und Parker mußten den Rest des Weges zu Fuß machen. Von der Endstation des Lifts aus führte eine gewundene Treppe hinauf zum Dachgarten, der durch eine besonders konstruierte Tür gegen ungebetene Gäste abgesichert war.
Butler Parker, der vorangegangen war, blieb vor der Tür stehen und bückte sich. Als er sich aufrichtete und zu Rander umdrehte, hielt er einen Zettel in der Hand, den jemand flüchtig aus einem großen Notizblock herausgerissen haben mochte.
»Eine Botschaft, Sir, die an Sie gerichtet ist«, sagte Parker.
»Lassen Sie doch mal sehen«, meinte Rander interessiert. »Sollte der Mörder sich gerührt haben?«
Parker beschäftigte sich bereits mit dem Türschloß, um es aufzusperren. Rander überflog inzwischen den Text. Er war kurz und knapp gehalten. Er wurde gewarnt, sich mit Jeff Bracer zu befassen. Er wurde weiterhin darauf hingewiesen, daß gegen eine Bleiladung kein Kraut gewachsen war. Eine Unterschrift war nicht vorhanden. Der Text war mit einer offenbar stark verdreckten Schreibmaschine geschrieben worden.
»Haben Sie schon gelesen, Parker?« fragte Rander seinen Butler nachdenklich.
»Ich habe mir die Freiheit genommen, Sir, den Text zu überfliegen«, bemerkte Parker. »Weiterhin möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß am Türschloß herummanipuliert worden ist. Ich konnte einige Metallkratzer entdecken.«
»Hat man die Tür aufbekommen?«
»Aber, Sir«, erwiderte Parker fast entrüstet. »Das von mir erdachte Türschloß ist selbst von einem Tresorknacker nur mit einem Schweißgerät zu öffnen.«
»Ich mußte das vergessen haben«, entschuldigte sich Rander grinsend. »Aber jetzt nichts wie rein in die gute Stube. Wir werden erst einmal eine kleine Pause einlegen.«
Parker hatte nicht übertrieben. Das Schloß war nicht geöffnet worden. Sie kamen ungehindert über den Dachgarten und näherten sich dem flachgestreckten Bungalow, der inmitten eines blühenden Gartens stand.
Kaum hatten sie es sich im Wohnzimmer gemütlich gemacht, da untersuchte Parker schon das Stück Papier nach Fingerabdrücken, konnte aber keine finden. Der Verfasser der Zeilen war vorsichtig gewesen.
Bevor der Butler die Ergebnisse seiner Untersuchung mitteilen konnte, ging das Telefon. Rander, der im Salon vor dem Kamin stand und sich einen Drink gemixt hatte, nahm den Hörer von der Gabel und meldete sich.
»Hallo, hier spricht Sammy Porters«, reagierte der Privatdetektiv. Seine Stimme ging fast im Lärm einer Tanzmelodie unter. »Ich habe schon ein paarmal versucht, Sie zu erreichen.«
»Ist etwas passiert?« wollte Rander wissen. Er wurde sofort unruhig und winkte den Butler zu sich an den Apparat. Parker nahm den Zweithörer hoch und preßte ihn gegen das Ohr.
»Weiß ich nicht mit Sicherheit, Mr. Rander. Jane Bracer oder ihre Freundin erhielten ein Telegramm. Es wurde vor einer halben Stunde gebracht. Daraufhin verließen die beiden das Haus und fuhren mit einem Taxi hinaus zu einem Nachtlokal in der Nähe des Hafens. Von dort aus spreche ich jetzt.«
»Haben Sie Mrs. Bracer aus den Augen verloren?«
»Leider«, antwortete Porters mit verlegener Stimme. »Sie verschwand in den hinteren Räumen. Ich habe versucht Anschluß zu bekommen, aber das schaffte ich nicht.«
»Und wo steckt Mrs. Bracers Freundin?« fragte Rander weiter. Er dachte an den Mörder, der bisher immer sehr schnell und brutal reagiert hatte.
»Moment, Mr. Rander, ich werde gleich noch mal anrufen«, sagte Sammy Porters hastig. »Sie kommt gerade zurück zur Bartheke.«
»Wer kommt zurück?« fragte Rander. »Die Freundin oder Jane Bracer?«
»Abwarten, ich...«
»Sprechen Sie doch, Porters!«
Aber Porters hatte schon aufgelegt!
Mike Rander und Butler Parker warteten über eine Stunde, aber Sammy Porters meldete sich nicht.
»Ich mache mir Vorwürfe«, sagte Rander schließlich, das Schweigen brechend. »Wir hätten längst mal hinaus zur Nachtbar fahren sollen.«
»Porters vergaß den Namen der Bar zu sagen«, warf Parker ein.
»Das ist tatsächlich ein Trost«, antwortete Rander. »Warum sollen wir hier noch länger herumsitzen, Parker. Gehen wir in die Betten. Irgendwann wird Porters sich mal melden.«
Es war wie verhext.
Mike Rander, der sich den Bademantel übergeworfen hatte und aus dem Badezimmer kam, wurde vom Schrillen des Telefons alarmiert. Er lief zurück in den Salon und meldete sich.
»Gott sei Dank, Porters«, sagte er, als sein Mitarbeiter sich gemeldet hatte. »Wo haben Sie die ganze Zeit über gesteckt? Wir planten schon die Entsendung einer Hilfsexpedition.«
»Alles in bester Ordnung«, sagte Sammy Porters. »Ich habe meine beiden Schäfchen wieder unter Bewachung.«
»Haben Sie sich bemerkbar gemacht?«
»Natürlich nicht. Die beiden haben keine Ahnung, daß ich Ihnen auf den Fersen bin. Sie sind zurück in die Wohnung der Freundin gefahren.«
»Dann war die ganze Aufregung also umsonst. Sie wissen nicht, wo Jane Bracer gesteckt hat?«
»Leider nein.«
»Ist auch kein Beinbruch, Porters. Morgen werden Parker und ich ihr auf die Zähnchen fühlen. Dann wird sie Farbe bekennen müssen. Ich würde empfehlen, daß die beiden Frauen weiterhin unter Kontrolle bleiben.«
»Okay, danach wollte ich gerade fragen.«
»Wir sehen uns am Vormittag in meinem Stadtbüro«, schlug Rander vor. »Lassen Sie sich die Zeit nicht zu lange werden, Porters!«
Rander legte auf, informierte seinen Butler, der selbstverständlich schon wieder in der Tür zum Salon stand und seinen jungen Herrn fragend ansah. Die beiden so ungleichen Männer trennten sich und verschwanden in ihren Schlafräumen.
Gegen neun Uhr ließ Mike Rander sich im Salon sehen. Er hatte zwar nur kurz, dafür aber fest und tief geschlafen. Er fühlte sich in bester Verfassung und überlegte, wie man den Fall Jeff Bracer anfassen mußte. Es gab eine Menge zu tun. Sie standen immerhin erst am Beginn ihrer Arbeit.
»Ich erlaube mir, Ihnen einen guten Morgen zu wünschen, Sir«, sagte Josuah Parker wenige Minuten später. Er trug ein Tablett hinein. Darauf war alles, was zu einem soliden Frühstück gehört, aufgebaut. Der Butler stellte sich seitlich neben den Sessel, in dem der junge Anwalt saß. Mit Luchsaugen wachte Parker darüber, daß Rander auch wirklich das aß, was er gebracht hatte.
»Haben Sie schon gefrühstückt?« erkundigte Rander sich. Es war eine reine Routinefrage, denn Parker pflegte stets früher aufzustehen.
»Gewiß, Sir. Darf ich noch etwas Kaffee nachgießen?«
»Ich bin doch kein Säugling, Parker, das kann ich selbst tun.«
Mike Rander haßte es, von Parker, seinem engsten Mitarbeiter, bedient zu werden. Aber er kam einfach nicht gegen den sanften Trotz seines Butlers an. Parker hatte bereits die Kanne in der Hand und füllte die Tasse. Er räusperte sich bedeutungsvoll.
»Ich habe mir die Freiheit genommen, Sir, einige Ermittlungen anzustellen.«
»Und was haben Sie ausgegraben?«
»Zuerst erkundigte ich mich auf Umwegen nach diesem Hank Mussel, den der sterbende Jeff Bracer erwähnte.«
»Wunderbar. Ist dieser Mussel der Polizei bekannt?«
»Überhaupt nicht, Sir.«
»Schade, das wird unsere Arbeit mächtig erschweren. Und was sonst noch?«
»Ich habe bereits mit Porters gesprochen«, berichtete Parker weiter. »Die Freundin der Mrs. Bracer heißt May Limp. Sie arbeitet zusammen mit Jane Bracer in einem Nachtclub, der sich ›Gaslight‹ nennt.«
»Ist das der Club, den Porters beobachtet hatte?«
»Richtig, Sir.«
»Wie ich Sie kenne, Parker, wissen Sie bereits einiges über den Besitzer dieses Clubs, oder?«
»Es lag in der Natur der Dinge, Sir, daß ich mich danach erkundigte. Der Besitzer ist ein Italiener, der vor einigen Jahren eingebürgert worden ist. Sein Name ist Carlo Caletti. Obwohl er selbst bisher nichts mit der Polizei zu tun gehabt hat, verkehren in seiner Bar Männer und Frauen, die man als lichtscheues Gesindel bezeichnen würde.«
»Gute Arbeit, Parker«, meinte Rander und lächelte. »Über den erschossenen Billy Signal wissen Sie vielleicht auch einige Details, nicht wahr?«
»In der Tat, Sir. Die Zeitungen berichteten über den Mord.«
»Lassen Sie doch mal sehen, Parker.«
Geschickt wie ein Zauberer hatte Parker plötzlich mehrere Morgenblätter in der Hand. Sie waren schon so zurechtgekniffen, daß Mike Rander sofort die betreffenden Artikel sah, die Parker zusätzlich noch mit Rotstift ausgezeichnet hatte.
Rander nahm einen Schluck Kaffee und widmete sich der Lektüre. Er überflog die Berichte und legte die Blätter auf einen freien Stuhl.
»Dieser Signal scheint ja ein schwerer Junge gewesen zu sein«, sagte er aufatmend. »Er war der Polizei gut bekannt.«
»Das kann man wohl sagen, Sir. Der Gangster hat einige kleinere Strafen absitzen müssen. Zur Zeit lief ein Verfahren wegen Erpressung gegen ihn.«
»Davon habe ich in den Zeitungen aber nichts gelesen, Parker.«
»Ich habe mit einem guten Bekannten bei der Polizei gesprochen«, meinte Parker. »Billy Signal war gegen Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt worden.«
»Ach nee...!« sagte Mike Rander und richtete sich steil auf. Er setzt die Tasse, die er zum Mund führen wollte, zurück auf den Tisch. »Gegen Stellung einer Kaution wurde er freigesetzt? Parker, wir müssen herausfinden, wer ihm die Kaution verschafft hat.«
»Auch ich dachte bereits daran, Sir«, sagte Josuah Parker in einem Ton, der gewiß nicht wie Besserwisserei klang. »Normalerweise hätte man einen Vorbestraften wie Billy Signal nicht wieder freigelassen.«
»Da werde ich mal meine Beziehungen spielen lassen«, erklärte Rander. »Irgendein Anwalt muß ihm doch geholfen haben. Bis gegen Mittag werden wir wissen, Parker, wer ihm unter die Arme gegriffen hat.«
»Mit Ihrer freundlichen Genehmigung Sir, würde ich mich gern mit den Vorgängen beschäftigen, die seinerzeit zur Verhaftung des ermordeten Jeff Bracer geführt haben.«
»Fein, dann werden wir also mal wieder getrennt marschieren«, meinte Rander lächelnd. »Seien Sie vorsichtig, falls Sie ins Hauptquartier der Polizei gehen. Lieutenant Wanders ist ein sehr hellhöriger Bursche, dem man nicht trauen kann.«
»Oh, ich vergaß, Sir, Ihnen mitzuteilen, daß Lieutenant Wanders Sie in Ihrem Büro besuchen wird. Er hat sich für elf Uhr angesagt.«
»Da haben wir den Salat«, sagte Mike Rander. »Er scheint bereits Witterung aufgenommen zu haben. Er traut uns ohnehin nie über den Weg, Parker.«
Der Butler gestattete sich ein diskretes Schmunzeln. Auch ihm war nur zu gut bekannt, wie eifersüchtig Lieutenant Wanders auf Rander und auf ihn war. Dennoch verstanden sich die drei Männer ausgezeichnet. Sie hatten gemeinsam schon manch verzwickten Kriminalfall lösen können.
Kurz nach Mike Rander verließ auch Butler Parker die Dachgartenwohnung, fuhr mit dem Lift hinunter in die Tiefgarage des Hauses und bestieg sein hochbeiniges Monstrum. Er war korrekt wie immer gekleidet: schwarzer Covercoat, schwarze Melone, schwarze Handschuhe. Dazu kam der Universal-Regenschirm, der einige raffinierte Geheimnisse barg.
Da die Straßen sehr belebt waren, mußte Parker sich an die Vorschriften halten. Er saß steif und würdevoll hinter dem Steuer und bugsierte sein Monstrum durch den Verkehr. Obwohl man gerade in den Staaten den Anblick alter Wagen mehr als gewöhnt ist, erregte Parker mit seinem Vehikel Aufsehen. Eigentlich fehlten nur noch Blumenkästen vor den Wagenfenstern. Dann wäre der Eindruck einer fahrbaren Gartenlaube vollständig gewesen.
Butler Parker besuchte zuerst die Städtische Bibliothek und befaßte sich mit den Sammelbänden der Zeitungen. Er blieb über zwei Stunden im Archiv und machte sich Notizen. Anschließend ließ er sich im Polizeihauptquartier sehen und hatte eine längere Unterhaltung mit einem Polizeibeamten, den er gut kannte. Auch hier machte Parker viele Notizen.
Auf seinem sonst so beherrschten Gesicht war ein Anflug von innerer Zufriedenheit zu entdecken, als er das Polizeihauptquartier verließ. Seine Studien mußten also erfolgreich gewesen sein. Um seinem jungen Herrn Bericht zu erstatten, ließ er sich im Anwaltsbüro von Mike Rander sehen, das sich in einem Bürohochhaus befand.
Parker hatte die nötigen Schlüssel und das Privileg, unangemeldet bei Mike Rander hereinzukommen. Er brauchte nicht durch Büroräume und Vorzimmer zu gehen.
Mike Rander stand am Fenster seines Privatbüros, als Parker erschien. Als Rander sich umdrehte, wirkte sein Gesicht sorgenvoll.
»Ich bringe gute Nachrichten, Sir«, sagte Parker, um seinen Herrn aufzuheitern.
»Ich habe schlechte Nachrichten«, antwortete Mike Rander. Lieutenant Wanders ist uns auf die Schliche gekommen. Er weiß, daß "Sie sich mit Billy Signal in der Kneipe herumgeschlagen haben.«
»Wie war das möglich, Sir?«
»Lieutenant Wanders erhielt einen anonymen Anruf, Parker. Er ging der Sache nach, fand die Kneipe und unterhielt sich mit dem Wirt. Alles weitere war dann eine Kleinigkeit. An Sie, Parker, kann sich jeder erinnern, wenn man Sie auch nur einmal gesehen hat.«
»Darf ich fragen, Sir, wie Sie reagiert haben?«
»Was sollte ich machen? Ich habe unsere Karten auf den Tisch gelegt.«
»Hat Wanders Ihnen Vorwürfe gemacht?«
»Natürlich, aber die waren nicht so gemeint, wie sie sich angehört haben. Was mich ärgert, ist mein Eindruck, daß Wanders mehr weiß als wir. Er hat nicht geblufft, dazu kenne ich ihn viel zu gut. Er weiß offenbar mehr und scheint uns das Wasser abgraben zu wollen. Und das würde mich mächtig ärgern.«
»Nun, Sir, vielleicht ist das Gleichgewicht rasch wiedergewonnen«, gab Parker zu bedenken. »Meine Ermittlungen dürften durchaus als positiv bewertet werden können.«
»Dann lassen Sie mal hören.«
Parker straffte sich, verzichtete auf den Stuhl, den Rander ihm anbot und berichtete.
*
»Mrs. Jane Bracer hat uns die richtigen Hinweise gegeben«, begann Josuah Parker. »Vor vier Jahren wurde ein Überfall auf eine Bankfiliale verübt, und zwar im Westen der Stadt. Drei maskierte Männer erschienen im Schalterraum und schüchterten die Angestellten und die wenigen Kunden ein. Während ein Täter in der Nähe der Tür stehenblieb, kletterten die beiden anderen maskierten Täter über die Kassentheke und schaufelten die Scheine in einen großen Sack. Ohne Zwischenfall verließen sie die Schalterhalle und liefen auf einen parkenden Wagen zu, der mit laufendem Motor etwa dreißig Yards vor dem Eingang der Bankfiliale stand.«
Butler Parker legte eine kleine, gekonnte Pause ein und warf einen Blick auf die Notizen.
»Am Steuer dieses Wagens saß ein vierter Mittäter«, berichtete Butler Parker weiter. »Beim Auftauchen der drei Männer ließ er den Wagen langsam anrollen. Die drei Täter hielten auf den Wagen zu, als von der Bank aus Alarm gegeben wurde. Ein zufällig in der Nähe fahrender Streifenwagen wurde auf die Bankräuber aufmerksam, wendete und nahm sofort die Verfolgung auf. Das Gangsterauto, Sir, hielt auf ein Gewirr von kleinen Straßen und Gassen zu, um dort besser untertauchen zu können. Aber man hatte wohl nicht mit der Härte der Polizisten gerechnet, die sich einfach nicht abschütteln ließen.
Nach wilder Hetzjagd durch die Straßen und Gassen kam der Gangsterwagen ins Schleudern und prallte gegen einen Wasserhydranten. Die Gangster verließen den Wagen, wurden aber von der Polizei gestellt. Es fand ein wildes Feuergefecht statt.
Die Gangster flüchteten in den Hof eines Schrotthändlers und merkten zu spät, daß sie regelrecht in der Falle steckten. Sie konnten nicht mehr entwischen. In diesem Feuergefecht wurde ein Polizeibeamter schwer verletzt. Er starb in einem Spital. Einer der vier Gangster wurde erschossen, ein anderer Gangster wurde gefaßt und der dritte Mann konnte entkommen. Jeff Bracer konnte sich an diesem Feuergefecht nicht beteiligen. Seine Verletzungen vom Aufprall des Wagens gegen den Hydranten waren so schwer, daß ihn seine drei Partner sogar aus dem Wagen zerrten. Aus diesem Grund wurde er auch nur mit zehn Jahren bestraft; an der Schießerei war er nachweislich nicht beteiligt gewesen. Selbst der Gangster, der lebenslänglich erhielt, entlastete seinen Partner Jeff Bracer.«
»Haben Sie die Namen der drei anderen Gangster, Parker?« erkundigte sich Mike Rander.
»Gewiß, Sir. Mit Ihrer Erlaubnis werde ich jetzt darauf zurückkommen. Der von der Polizei erschossene Gangster hieß Glenn Torch. Der Gangster, der lebenslänglich Zuchthaus erhielt, heißt John Bleeding und befindet sich im Staatszuchthaus. Der entkommene Gangster, von dem man nie wieder etwas gehört hat, heißt Butch Debtor.«
»Ein Hank Mussel ist demnach also nicht vertreten«, sagte Rander und winkte ab.
»Leider nicht, Sir«, erwiderte der Butler.
»Was wurde aus der Beute, Parker? Wieviel hatte man geraubt?«
»Es waren fast 110 000 Dollar«, antwortete Parker und warf einen schnellen Blick auf seine Notizen. »Das Geld war nicht aufzufinden, um auch diese Frage zu beantworten.«
Mike Rander, der entspannt zugehört hatte, straffte sich plötzlich. Er kniff die Augen zusammen und sah seinen Butler fragend an.
»Das Geld, Sir, konnte niemals aufgespürt werden«, wiederholte Josuah Parker noch einmal. »Es war und ist wie vom Erdboden verschwunden.«
»Wie ist denn das möglich?«
»Die Polizei hat an Ort und Stelle gesucht, das Geld im Sack aber nicht finden können.«
»Sagten Sie eben nicht, die Gangster hätten auf dem Schrottplatz in einer richtigen Falle gesteckt?«
»So steht es in den Zeitungen, Sir. Man müßte vielleicht eine Ortsbesichtigung vornehmen.«
»Guter Vorschlag, Parker. Wir werden so schnell wie möglich hingehen. Haben die Zeitungen seinerzeit irgendwelche Vermutungen laut werden lassen?«
»Sie meinen, wo das verschwundene Geld geblieben sein könnte?«
»Richtig. Irgendwo muß es doch sein? Könnte es auf der Flucht aus dem Wagen geworfen worden sein?«
»Die verfolgende Polizei hatte das gesehen, Sir. Nach der Flucht aus der Bank wurden die Gangster keinen Moment aus den Augen gelassen.«
»Demnach müßte das Geld also noch auf dem Schrottplatz zu finden sein, wie?«
»Auch das, Sir, vermutete man zunächst. Die Polizei nahm sich sehr viel Zeit und durchsuchte alles. Aber der Geldsack blieb verschwunden. Ich brauche wohl nicht zu betonen, Sir, daß man natürlich auch den Gangsterwagen genau untersuchte.«
»Wer ist der Besitzer dieses Schrottplatzes?«
»In den Zeitungen wurde damals von einem Mr. Lemmy Linen geschrieben. Er wurde vorübergehend sogar in Haft genommen. Er blieb jedoch bei seiner Behauptung, er wisse nichts von einem Sack voll Geld. Man mußte ihn wieder freilassen: «
»Eine ganz erstaunliche Geschichte«, sagte Rander nachdenklich. »Demnach müssen irgendwo noch 110 000 Dollar sein.«
»Sir, ob diese Dollar nicht der Grund sind, warum man Jeff Bracer erschossen hat?«
»Diese Vermutung liegt tatsächlich nahe, Parker. Ich möchte mir diesen Schrottplatz mal ganz aus der Nähe ansehen. Wissen Sie was, wir werden sofort losfahren.«
»Ob es diese Tatsachen sind, die Lieutenant Wanders triumphieren ließen?«
»Sieht ganz danach aus, Parker. Aber das dürften wir inzwischen aufgeholt haben. Fahren wir also!«
Sie verließen Randers Büro durch die Privattür, nachdem der Anwalt sein Büro verständigt hatte. Sie fuhren mit dem Lift hinunter in die große Halle und setzten sich in Randers Wagen.
Es zeigte sich, daß Josuah Parker ausgezeichnete Arbeit geleistet hatte. Er konnte vom Wagen aus den seinerzeitigen Fluchtweg der Gangster genau rekonstruieren.
Sie begannen mit ihrer Arbeit vor der Bankfiliale, die nur eine neue Fassung erhalten hatte. Aber der Vorplatz, die sechs Parktaschen vor dem zweistöckigen Gebäude und die kleine Grünanlage auf der gegenüberliegenden Seite hatten sich in den vier Jahren nicht verändert.
Rander verwandelte seinen Wagen in ein flüchtendes Gangsterauto. Natürlich verzichtete er auf die Schnelligkeit, mit der der Wagen damals durch die Straßen gesteuert worden war. Josuah Parker saß stocksteif neben seinem jungen Herrn und dirigierte ihn in das Gewirr der vielen kleinen Straßen und Gassen hinein.
Sie hatten übrigens großes Glück.
Zwar war ein Teil der Häuser und Straßen bereits abgerissen und zugedeckt worden. Dort erhoben sich jetzt moderne, luftige Mietshäuser, aber die Straßen um den Schrottplatz des Mr. Linen waren den Städtebauern noch nicht zum Opfer gefallen.
»Dort müßte die Einfahrt zum Schrottplatz sein, Sir«, sagte Parker nach einer Weile.
»Stimmt, habe sie bereits entdeckt«, gab Rander zurück. »Wir werden mal mit Linen reden, Parker.«
»Das würde auf keinen Fall schaden. Bei einigem Glück macht unser Aufkreuzen ihn vielleicht sogar nervös.«
»Und wenn wir richtig liegen, treiben wir Lieutenant Wanders zum Wahnsinn«, sagte Mike Rander lächelnd. »Ich wette, wir bekommen so heraus, ob wir Wanders Spur aufgenommen haben.«
Er bremste den Wagen etwas ab, ließ ihn nach rechts auslaufen und fuhr durch das geöffnete, windschiefe Tor, hinter dem der Schrottplatz lag. Rostige Autowracks waren aufeinandergetürmt worden. Es gab Schrottberge aus Buntmetall und einige Verschläge, in denen man ausgebaute, noch intakte Autoteile aufgehäuft hatte.
»Tatsächlich, wie eine Falle«, sagte Rander. »Nichts wie Brandmauern, die man überfliegen müßte, um hier rauszukommen.«
Rander und Parker stiegen aus und warteten auf Bedienung. Mike Rander, der sich eine Zigarette angezündet hatte, sah sich genauer um.
Sein erster Eindruck vertiefte sich.
Der Schrottplatz bestand aus einem Geviert, das von drei Brandmauern und einer Mauer mit dem Zugangstor begrenzt wurde. An der linken Brandmauer zog sich langgestreckt ein Steinbau entlang, dessen Verputz bereits in großen Fladen abgeblättert war. Alles hier auf dem Platz wirkte verrostet, verkommen, unaufgeräumt.
»Warten Sie hier, Parker, ich werde mal zum Haus hinübergehen«, sagte Rander. Er schob sich den Hut etwas ins Genick und marschierte auf den einstöckigen Steinbau zu. Hier in dieser tiefen Schlucht, die aus den haushohen Brandmauern gebildet wurde, herrschte lastende, bleierne Hitze.
Rander stieß die Tür auf und sah in den Raum hinein, der mit vielen verschiedenartigen Möbeln eingerichtet war. Vor dem Fenster stand ein mächtiger Schreibtisch, der mal bessere Tage gesehen haben mußte. Hinter diesem Schreibtisch saß ein fetter, schwitzender Mann, der nur ein Netzhemd und eine Hose trug. Er kaute hingebungsvoll auf seiner Zigarre herum und hob nur andeutungsweise den Kopf, als er Rander sah.
»Ich störe hoffentlich nicht«, sagte Rander lächelnd.
»Doch, tun Sie«, erwiderte der Mann. Seine Stimme klang quäkend und wirkte unangenehm.
»Dann bin ich ja beruhigt«, frotzelte Rander, der sich grundsätzlich nie verblüffen ließ. »Ich will Ihnen ein Geschäft vorschlagen.«
»Ein Geschäft...?«
»Ich bin Schriftsteller«, redete Rander weiter. »Ich schreibe an einer Serie unaufgeklärter Verbrechen.«
»Ach, die alte Leier«, sagte der Mann und rülpste zur Abwechslung. »Sie sind bestimmt der zwanzigste, der über die alte Geschichte schreiben will.«
»Es ist immerhin eine interessante Geschichte«, sagte Rander.
»Für mich nicht mehr«, brummte der Mann. »Wenn Sie wollen, können Sie die Wände abklopfen, den Boden umgraben und mit einem Minensucher herumspüren. Hauptsache, meine Kasse stimmt.«
»Wie teuer sind Sie?«
»Für ein Interview verlange ich grundsätzlich hundert Dollar.«
»Die werden Sie bekommen, Mr. Linen.«
»Die will ich erst mal sehen. Sagen Sie, was ist das für ein Rabe, den Sie da mitgebracht haben?«
Der Fette deutete mit der Zigarre durch das blinde Fenster. Er meinte Butler Parker, der suchend auf dem Schrottplatz umherschritt.
»Das ist mein Butler«, sagte Mike Rander.
»Donnerwetter, müssen Sie aber ’n vornehmer Schriftsteller sein.«
»Gehen wir hinaus«, schlug Rander vor. »Hier sind übrigens die Scheinehen.«
»Die sind steuerfrei für mich. Eine Quittung bekommen Sie nicht.«
»Ich kann es zur Not verschmerzen«, antwortete Rander. »Waren Sie damals auf dem Schrottplatz, als das Feuergefecht stattfand?«
»Natürlich, ich habe alles aus nächster Nähe gesehen«, antwortete Lemmy Linen grinsend. »Mein lieber Mann, war das damals eine wilde Schießerei!«
»Ich glaube, Sie sollten mir alles der Reihe nach erzählen«, meinte Rander interessiert. »Kümmern Sie sich nicht um meinen Butler. Er hat eine Schwäche für alte Autos.«
»Ach so, das ist es«, erwiderte Linen und begann wieder auf der Zigarre herumzukauen. Mike Rander hörte gespannt auf das, was Lemmy Linen zu erzählen hatte. Endlich erfuhr er aus erster Hand, was sich damals abgespielt hatte...
*
Lemmy Linen und Mike Rander hatten längst die Steinbaracke verlassen.
Der Schrotthändler hatte sich in Eifer geredet und erklärte Rander alles ganz genau. Er beschrieb den Standpunkt des Wagens, der fast in der Einfahrt zum Schrottplatz stehengeblieben war, berichtete, wo der Polizeibeamte erschossen wurde und wo der Gangster Glenn Torch auf der Strecke blieb. Kurz, er konnte sich an jede kleinste Einzelheit erinnern.
Josuah Parker wanderte unterdessen kreuz und quer über den Schrottplatz und näherte sich wie zufällig der Steinbaracke. Josuah Parker sah, daß sein Butler in diesem Bau verschwand, vermied aber peinlich, Lemmy Linen darauf aufmerksam zu machen.
»Ihr Platz gleicht einer richtigen Mausefalle«, sagte er zu dem Schrotthändler. »Wie konnte Butch Debtor Ihrer Meinung nach entkommen, Mr. Linen?«
»Was glauben Sie, wie oft ich schon danach gefragt worden bin«, antwortete der Schrotthändler. »Aber ich kann wirklich keine Antwort darauf geben, verstehen Sie? Sie müssen sich mal vorstellen, was damals hier los war. Die Polizei feuerte aus allen Rohren, die Gangster ballerten zurück, was das Zeug hielt. Ich hockte in der Steinbaracke und habe mich kaum getraut, den Kopf hochzuheben. Und dann warfen die Polizisten auch noch mit Tränengas. Da war es mit dem Zusehen ganz Essig.«
»Man hat Sie damals festgenommen, Mr. Linen?«
»Warum soll ich das verschweigen?« fragte Linen zurück. »Meine Unschuld hat sich ja bald herausgestellt.«
»Was hat man Ihnen vorgeworfen?«
»Ich soll diesen Sack mit Geld versteckt haben«, meinte Linen. »Verrückte Idee. Die Polizei hat meinen Platz auf den Kopf gestellt, das können Sie mir glauben Sie hat jeden Quadratzentimeter abgesucht.«
»Aber das Geld blieb verschwunden, wie?«
»Nicht einen einzigen Schein konnte man entdecken.«
»Angenommen, die Gangster brachten das Geld mit hierher«, sagte Mike Rander. »Wohin könnten Sie es versteckt haben?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Linen. »Sie sind doch auf dem Platz. Wo hätte man so einen vollgestopften Sack verstauen sollen, ja, wo? Und das alles in dieser Aufregung? Nee, nee, meine Meinung ist die, daß die Gangster die Scheine unterwegs losgeworden sind.«
»Wie aber konnte einer der Gangster verschwinden?«
»Sehen Sie die Wand da hinten?«
Lemmy Linen hatte sich etwas umgedreht und zeigte auf die niedrigste der drei Brandmauern. Hinter ihr war ein flaches, geteertes Dach zu erkennen. Es stand auf einem Nachbargrundstück.
»Eine ganz glatte Mauer«, sagte Mike Rander.
»Das ist eben der Irrtum«, antwortete Linen. »Wir sollten mal näher rangehen. Dann werden Sie merken, worauf ich hinaus will.«
»Ich lasse mich gern überraschen«, sagte Rander lächelnd. »Noch weiß ich nicht, worauf Sie anspielen.«
Sie gingen um einen Berg von Autowracks herum und blieben am Fuß der Mauer stehen.