Читать книгу Butler Parker 136 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3
ОглавлениеSie hatte geläutet, und Butler Parker erschien in ihrem Salon, den sie sich als Studio hatte einrichten lassen. Sie saß vor der elektrischen Schreibmaschine und hatte natürlich wieder mal keine Zeile zu Papier gebracht.
Lady Agatha Simpson, die vor Jahren beschlossen hatte, sechzig zu bleiben, war eine majestätisch stattliche Dame mit energischem Gesicht. Sie wandte sich zu ihrem Butler um und verkündete, sie habe einen perversen Appetit.
»Mylady schweben eine bestimmte Spezialität vor?« erkundigte Josuah Parker sich gemessen. Er war etwas über mittelgroß, fast schlank und strahlte eine beeindruckende Würde aus. Sein Alter war nur schwer zu bestimmen, was auf sein stets ausdrucksloses, glattes Pokergesicht zurückzuführen war.
»Machen Sie mir Vorschläge«, antwortete die ältere Dame ungeduldig. Sie schaltete die Schreibmaschine ab und schien ihre Absicht nachhaltig vergessen zu wollen, einen Krimi-Bestseller zu schreiben. Damit beschäftigte sie sich schon seit Monaten. Es war ihr erklärtes Ziel, einer gewissen Agatha Christie zu zeigen, wie ein spannender Kriminalroman wirklich auszusehen habe.
Bei dieser Absicht war es bisher allerdings geblieben. Sie fand immer wieder Entschuldigungen. Dazu gehörte auch ihr Interesse an Kriminalfällen aller Art.
Sie konnte sich dieses Hobby leisten, weil es einen Butler Parker gab, der seine schützende Hand über sie hielt. Darüber hinaus aber war sie eine immens reiche Frau, die sich fast jede Verrücktheit leisten konnte.
»Ich warte auf Ihre Vorschläge, Mister Parker«, wiederholte sie mit ihrer dunklen Stimme, die an einen Baß erinnerte. »Sie sind natürlich wieder mal ratlos, nicht wahr?«
»Ich befinde mich im Stadium des intensiven Nachdenkens, Mylady«, antwortete Parker gemessen. »Könnten Mylady sich für einen Krabben-Cocktail erwärmen?«
»Ihre Phantasie ist nicht gerade ausgeprägt«, grollte sie und schüttelte den Kopf.
»Es wäre noch ein Himbeerpudding vorhanden, Mylady.«
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?« Agatha Simpson sah ihren Butler leicht gereizt an.
»Bevorzugen Mylady möglicherweise eine Fleischpastete?«
»Unsinn, Mister Parker! Ich brauche etwas Appetitanregendes, was meine Kreativität beflügelt. Habe ich mich endlich deutlich genug ausgedrückt?«
»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit ein wenig ratlos«, gestand Josuah Parker.
»Dieser Zustand ist mir nicht neu«, bemerkte die resolute Dame spitz, doch dann erhellte sich ihre Miene. »Ich hab’s jetzt. «
»Mylady sehen mich glücklich.«
»Frühlingsrollen«, sagte sie stichwortartig.
»Frühlingsrollen?« Parker hüstelte diskret. »Mylady meinen jene chinesische Vorspeise, die ...«
»Die meine ich«, sagte sie, ihren Butler unterbrechend.
»Um besagte Frühlingsrollen werde ich mich selbstverständlich sofort bemühen.«
»Sie müssen an Ort und Stelle gegessen werden, heiß und frisch, Mister Parker.«
»Mylady beabsichtigen demnach, das Haus zu verlassen?«
»Natürlich, Mister Parker. Und zwar möglichst schnell. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.«
»Falls Mylady einverstanden sind, könnten Mylady in einem ausgezeichneten chinesischen Restaurant die erwähnten Frühlingsrollen zu sich nehmen.«
»Und wo ist das?« Die Detektivin war ungeduldig geworden.
»In Soho, Mylady. Ein gewisser Mr. Hua Li gilt als einer der besten Vertreter der chinesischen Küche.«
»Worauf warten Sie noch?« Lady Agatha wurde sehr aktiv. »In ein paar Minuten werde ich unten sein.«
Parker deutete eine knappe Verbeugung an und verließ Myladys Studio. Obwohl es auf Mitternacht zuging, machte ihm die geplante Ausfahrt nichts aus. Er war ein Mann, der nur wenig Schlaf brauchte. Als perfekter Butler rief er natürlich das Restaurant an und ließ sich mit Mr. Hua Li verbinden. Parker bestellte einen Tisch und gab zudem die Wünsche nach einigen Frühlingsrollen durch. Da er Myladys Appetit kannte, einigte er sich mit Hua Li auf ein halbes Dutzend dieser fernöstlichen Köstlichkeiten.
Zu diesem Zeitpunkt dachte er wirklich nicht an Verwicklungen. Und er konnte schon gar nicht ahnen, daß dieser Abend der Beginn eines haarsträubenden Abenteuers werden sollte.
*
»Warum, zum Teufel, halten Sie nicht an?« grollte die ältere Dame. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums, wie Parkers Privatwagen von Freunden und Gegnern genannt wurde. Es handelte sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das nach den Wünschen und Vorstellungen des Butlers sehr nachhaltig frisiert worden war.
Dieses Monstrum hatte es tatsächlich in sich. Unter der eckigen Motorhaube arbeitete eine Art Rennmotor, der dem Wagen die Rasanz eines Tourensportwagens verlieh. Entsprechend war das Fahrwerk ausgelegt worden, das diese Geschwindigkeiten ohne weiteres schluckte. Darüber hinaus aber war das ehemalige Taxi zu einer wahren Trickkiste auf Rädern geworden. Es enthielt schon fast skurril zu nennende technische Überraschungen, und mancher Verfolger in der Vergangenheit war daran schon gescheitert.
Parker hielt an und wandte sich gemessen zu Lady Simpson um.
»Dort droben ist ein chinesisches Restaurant«, sagte sie.
»In der Tat, Mylady«, räumte Parker ein. »Darf ich mir jedoch erlauben darauf zu verweisen, daß dieses Restaurant nicht unbedingt einen einladenden Eindruck macht?«
»Papperlapapp«, gab sie unwirsch zurück und öffnete bereits die Wagentür. »Ich will meine Frühlingsrolle endlich haben.«
»Möglicherweise entspricht die Qualität dieser Spezialität nicht Myladys Vorstellung«, warnte Parker.
»Das wird man ja sehen!« Die Sechzigjährige ließ sich natürlich nicht beirren und setzte ihren Kopf durch. Sie marschierte bereits auf den Eingang des kleinen Lokals zu und machte sich im Geist bereits über die erste Frühlingsrolle her.
Butler Parker hatte nicht übertrieben.
Das kleine, nur spärlich beleuchtete Restaurant entsprach niemals den Vorstellungen seiner Herrin. Es war schmal, lang wie ein Korridor und enthielt eine Vielzahl von kleinen Nischen. Die Ausstattung war abenteuerlich kitschig. Parker sah mit einem Blick, daß echte Kunst aus Ostasien nicht vertreten war. Dieser Tand stammte mit Sicherheit aus einem Plastikbetrieb Hongkongs.
Lady Agatha kümmerte dies wenig.
Sie hatte bereits eine freie Nische angesteuert und nahm Platz. Parker setzte sich notgedrungen zu ihr, obwohl das seinem Gefühl für Distanz nicht entsprach. Er hatte sich jedoch inzwischen daran gewöhnt, daß seine Herrin darauf bestand.
Ein schmaler Chinese erschien, der ein akzentfreies Englisch sprach und sich nach den Wünschen der Herrschaften erkundigte.
»Frühlingsrollen«, erwiderte Lady Simpson. »Sagen wir, so für den Anfang, erst mal drei. Und Sie, Mister Parker?«
»Ich würde einen grünen Tee bevorzugen«, gab der Butler zurück.
»Drei Frühlingsrollen?« wiederholte der Chinese. »Das macht genau zwölf Pfund.«
Mylady schluckte und schickte sich an, dem jungen Mann einiges über Preisgestaltung an sich und im allgemeinen zu erzählen, doch Butler Parker reagierte erstaunlich. Er zückte seine Brieftasche, warf Lady Simpson einen schnellen, warnenden Blick zu und bezahlte im voraus. Der Chinese nahm die Banknoten entgegen und trollte sich, nicht ohne noch einen prüfenden Blick auf Lady Agatha und Josuah Parker geworfen zu haben.
»Das ist doch unverschämt«, grollte Agatha Simpson. »Sind Sie sich klar darüber, was Sie da gerade gezahlt haben?«
»Zwölf Pfund, Mylady«, antwortete Parker gemessen. »Es dürfte sich, wenn ich so sagen darf, um Frühlingsrollen besonderer Art handeln.«
»So einmalig gut kann keine Frühlingsrolle sein, Mister Parker.« Sie war sehr aufgebracht, begriff dann aber plötzlich und spitzte ihren Mund. »Sie glauben...?«
»Eine vage Vermutung, um offen zu sein, Mylady.«
»Das wäre ja wunderbar.« Sie wirkte plötzlich sehr animiert. »Diese Nacht scheint noch interessant zu werden.«
Der junge Chinese tauchte bereits wieder auf.
Er stellte einen Teller auf den Tisch, auf dem drei Karikaturen von Frühlingsrollen lagen. Sie waren total verbrannt, trieften vor Öl und rochen bedenklich.
»Tee ist nicht mehr da«, sagte er zu Parker.
»Wie erfreulich«, erwiderte der Butler und musterte die Frühlingsrollen. Der Chinese entfernte sich, und Lady Agatha beugte sich angewidert zurück.
»Wo ist nun die Überraschung, die zwölf Pfund gekostet hat?« fragte sie Parker.
»Mylady erlauben?« Parker zog den Teller zu sich heran, nahm eine Gabel und brach mit einiger Mühe die erste verkrustete Frühlingsrolle auf. Er stocherte in der Füllung herum und wurde fündig: Mit der Gabelspitze deutete er auf ein schmales Plastikbriefchen, wie man es in Imbißstuben als Portionssenf erhält.
»Senf?« fragte die Detektivin, die schon wieder gereizt war.
»Dem äußeren Anschein nach, selbst die Beschriftung deutet auf das von Mylady erwähnte Gewürz hin.«
Parker hatte das Plastikbriefchen mit der Gabel ein wenig gesäubert und wies auf den Text. Er sah sich nach einer Serviette um, doch in diesem Moment erhielten Mylady und er Besuch in der Nische.
Ein untersetzter, stämmiger Chinese langte ungeniert nach dem Teller mit den Frühlingsrollen. Und genau damit war die resolute Dame nun überhaupt nicht einverstanden. Sie hatte schließlich bezahlt!
*
Agatha Simpson reagierte blitzschnell und unkonventionell.
Sie stach mit der Gabel zu und traf den Handrücken des stämmigen Chinesen. Gut, sie durchbohrte nicht gerade die Hand des aufheulenden Mannes, doch sie piekte auch nicht nur oberflächlich.
Der Getroffene starrte auf seine Finger und schien diese Behandlung nicht fassen zu können. Er vergaß verständlicherweise die Frühlingsrollen, die von Parker inzwischen geborgen wurden. Er gab sie in sein blütenweißes Taschentuch und formte damit ein kleines Bündel.
»Sie Lümmel«, herrschte Lady Agatha den Dieb indessen an. »Was erlauben Sie sich eigentlich?«
Der stämmige Chinese hatte nichts von der stoischen Gelassenheit des Asiaten an sich. Er leckte sich erst mal die vier kleinen Stichwunden und wollte dann zur Tat schreiten. Er holte aus und hatte tatsächlich die unverkennbare Absicht, der älteren Dame so etwas wie einen Kinnhaken zu versetzen.
Er kannte Lady Simpson nicht!
Sie hatte selbstverständlich ihren Pompadour bei sich, jenen perlenbestickten Handbeutel, wie er von den Damen der besseren und besten Gesellschaft um die Jahrhundertwende benutzt wurde. In diesem Pompadour befand sich Lady Agathas Glücksbringer, ein echtes Pferdehufeisen, das nur recht oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt war. In Agatha Simpsons Hand aber war das eine äußerst gefährliche Waffe, wie sich zeigen sollte.
Parker beobachtete die Szene, griff aber noch nicht ein. Er wollte seine Herrin nicht verärgern, darüber hinaus aber kannte er natürlich ihre Wehrhaftigkeit.
Der stämmige Chinese wollte ihr also einen Kinnhaken versetzen und sich rächen, doch er erlebte eine peinliche Überraschung. Lady Agatha schwang den Pompadour gekonnt nach vorn und setzte ihn auf die Nase des Mannes.
Der ›Glücksbringer‹ verformte nicht nur die Nase, sondern traf mit seinen Ausläufern auf die Stirn. Der Stämmige verdrehte die Augen, schielte abenteuerlich und setzte sich erst mal auf den Boden.
»Was sind denn das für Manieren?« fragte Lady Agatha entrüstet und sah ihren Butler kopfschüttelnd an. »In was für eine Spelunke haben Sie mich da geführt?«
»Darf ich daran erinnern, daß es Myladys ausdrücklicher Wunsch war, dieses Restaurant zu besuchen?« Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er war es schließlich gewöhnt, daß Lady Simpson stets ihm die Schuld in die Schuhe schieben wollte. Dann entschuldigte er sich kurz und klopfte mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms auf den Kopf des stämmigen Chinesen, der sich gerade wieder erheben wollte. Parker wollte sich in der Unterhaltung nicht stören lassen.
Der Frühlingsrollenräuber sackte wieder zurück, legte sich diesmal aber flach auf den an sich nicht sonderlich sauberen Boden. Der Bambusgriff war schließlich mit Blei ausgegossen und dementsprechend schwer.
Die schlagfertige Diskussion war in dem chinesischen Lokal nicht unbemerkt geblieben. Aus einigen Nischen erschienen Gäste und musterten die Szene. Sie machten keinen sonderlich freundlichen Eindruck und warteten nur auf ein Stichwort, um über die Lady und ihren Butler herzufallen.
»Man sollte vielleicht das suchen, Mylady, was man im Volksmund das Weite nennt«, schlug Parker seiner Herrin vor.
»Gehen wir.« Sie war einverstanden. »Der Service hier ist ja unter aller Kanone.«
Parker hatte sich bereits erhoben und geleitete Lady Simpson aus der Nische. Die Zuschauer aber bildeten eine Mauer und wollten die beiden Gäste nicht, so ohne weiteres gehen lassen. Ihre Haltung war sogar eindeutig drohend zu nennen.
Lady Simpson nahm das jedoch überhaupt nicht zur Kenntnis. Sie marschierte auf die Mauer der Leiber zu und musterte die Gäste mit scharfem Blick. Der Pompadour in ihrer rechten Hand kreiste irgendwie unternehmungslustig.
Butler Parker hatte vor dem Aufstehen nach einer der Gewürzdosen gegriffen und sie aufgeschraubt. Der Inhalt bestand aus einer pikanten Mischung von Pfeffer, Curry und exotisch scharfen Gewürzen in Pulverform.
Diese Mischung befand sich in seiner linken, schwarz behandschuhten Hand. Um weitere Komplikationen zu vermeiden, streute Josuah Parker dieses Gewürz freigebig in die Gesichter der drohenden Gäste, deren Augen prompt in Mitleidenschaft gezogen wurden.
Mit seinem Universal-Regenschirm bahnte Parker der älteren Dame anschließend eine Gasse.
Die Getroffenen kämpften mit Tränen in den Augen, niesten explosionsartig und gerieten aus der Fassung. Mylady ließ den Pompadour kreisen und drückte ihren ›Glücksbringer‹ auf verschiedene Gesichtspartien.
Die von Parker geschaffene Gasse ins Freie weitete sich. Agatha Simpson kam ungehindert zur Tür, während Parker eine Art Rückzugsgefecht lieferte und einige vorwitzige Verfolger außer Gefecht setzte. Dabei übertrieb er keineswegs und hielt sich an die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Unnötige Härte war ihm verhaßt.
Als auch er endlich auf der Straße war, hinterließ er eine Art Sperre oder Barrikade aus übereinanderliegenden Gästen, die den Eingang ungewollt völlig blockierten.
»Darf ich mir erlauben, mich nach Myladys weiteren Wünschen zu erkundigen?« fragte er, als er sie zu seinem hochbeinigen Monstrum führte. Eilig schien er es überhaupt nicht zu haben.
»Ich will endlich meine Frühlingsrolle haben«, lautete ihre Antwort. »Hoffentlich zeigen Sie mir wenigstens jetzt ein halbwegs anständiges Restaurant.«
*
Hua Li war ein schlanker, mittelgroßer Mann mit vollendeten Manieren. Seine Höflichkeit wirkte nicht aufgesetzt. Er hatte dunkle, intelligente Augen, die einen wachsamen Ausdruck angenommen hatten.
»Dieser werte Kollege ist mir nur oberflächlich bekannt«, behauptete er, als Parker sich nach dem Restaurant erkundigt hatte, das er vor knapp zehn Minuten zusammen mit Lady Simpson verlassen hatte.
»Seine Frühlingsrollen sind sehenswert«, sagte Lady Agatha und lachte spöttisch.
»Hoffentlich werden Mylady mit meinen bescheidenen Speisen zufrieden sein«, gab er zurück, verbeugte sich und verließ den Tisch, an dem das Duo Platz genommen hatte.
Das Restaurant des Mr. Hua Li war geschmackvoll eingerichtet. Die angebotenen Spezialitäten waren nicht gerade billig, und entsprechend war daher auch die Zusammensetzung der Gäste. Hier verkehrte nur ein Publikum, das Wert auf Qualität und gepflegte Umgebung legte.
»Ihnen ist doch hoffentlich aufgefallen, daß dieser Hua Li mehr weiß, als er zugeben will, oder?« fragte Lady Simpson ihren Butler.
»In der Tat, Mylady!« Parker saß stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, auf der Kante seines Sitzes. Er demonstrierte damit seine Stellung als Butler, der nur sehr widerwillig am Platz seiner Herrschaft Position bezogen hatte.
»Wollen Sie diese drei scheußlichen Frühlingsrollen nicht endlich untersuchen?« redete die ältere Dame ungeduldig weiter. »Ich will endlich wissen, was in diesen Plastikbriefchen ist.«
»Ich habe sie im Kofferraum meines bescheidenen Wagens zurückgelassen, Mylady.«
»Hoffentlich sind sie dort auch sicher.«
»Einigermaßen schon, Mylady. Zudem möchte ich von der Annahme ausgehen, daß die Plastikbriefchen wahrscheinlich irgendein Rauschgift enthalten.«
»Natürlich, Mister Parker.« Sie nickte unverfroren, obwohl sie daran noch gar nicht gedacht hatte.
»Schon allein wegen des Preises der drei Vorspeisen, Mylady.«
»Reden Sie nicht über Selbstverständlichkeiten«, meinte sie wegwerfend.
»Es könnte sich um Heroin handeln, Mylady.«
»Oder Kokain«, fügte sie geistesgegenwärtig hinzu.
»Auch diese Möglichkeit ist nicht auszuschließen, Mylady. Aus diesem Grund ist mit einigen Überraschungen zu rechnen.«
»Worum ich auch gebeten haben möchte, Mister Parker. Ich will Ihnen mal etwas sagen, wir haben es hier mit einem neuen Fall zu tun. Und wem haben Sie das wieder zu verdanken?«
»Myladys Appetit auf Frühlingsrollen.«
»Das auch«, sagte sie, »in erster Linie aber meinem Instinkt! Wer wollte in dieses Restaurant? Wer hat’s mal wieder in den Fingerspitzen gehabt?«
»Ich möchte mich erkühnen, Mylady meine tiefste Bewunderung zu zollen«, versicherte Parker gemessen. »Darf ich mich bei dieser Gelegenheit nach Myladys weiteren Plänen erkundigen?«
»Wir werden diesen Sündenpfuhl natürlich ausheben, Mister Parker.« Sie machte einen unternehmungslustigen Eindruck. Ihre Wangen glühten, die Augen blitzten.
»Man wird es mit entschlossenen und unter Umständen auch brutalen Gegnern zu tun haben, Mylady.«
»Was ich mir auch ausgebeten haben möchte.« Nein, sie ließ sich wieder mal nicht abschrecken. Parker unterdrückte automatisch einen Seufzer. Er ahnte, was da wieder auf ihn zukam.
Hua Li ließ es sich nicht nehmen, die Frühlingsrollen zu servieren. Sie sahen appetitlich aus, und die süßsaure Sauce, die er dazu reichte, brachte die Geschmacksnerven in Wallung.
»Und hier Ihr grüner Tee, Mister Parker!« Hua Li stellte eine Deckeltasse vor Parker und verbeugte sich tief. Er vermied es, Parker anzusehen, verbeugte sich erneut und verließ dann den Tisch.
Agatha Simpson machte sich sofort über die erste Frühlingsrolle her, kostete von der herrlichen Sauce und nickte ihrem Butler begeistert zu.
»Ausgezeichnet«, stellte sie fest »Genau das schwebte mir vor. Sehr gut, Mister Parker, wirklich!«
Sie entwickelte einen bewundernswerten Appetit, während Parker den natürlich ungesüßten, grünen Tee probierte, der ebenfalls sehr gut war. Doch nach einigen Minuten stellte der Butler eine deutliche Schwächung seines Sehvermögens fest: Er sah plötzlich Agatha Simpson nur noch in Umrissen, die sich verdoppelten, wieder ineinanderflossen, übereinander lagerten und dann breiig auswucherten.
Er wollte sich auf seine Herrin konzentrieren und ihr eine Frage stellen. Parker war jedoch nicht in der Lage, auch nur ein einziges Wort zu sagen. Lähmende Müdigkeit erfaßte ihn, und er lehnte sich zurück.
Bevor er einschlief, bekam er gerade noch mit, wie zwei Angestellte des Restaurants einen Paravant mit Lackmalereien um den Tisch stellten. Sekunden später wußte Parker nichts mehr.
*
Kathy Porter war aus dem Theater in das Haus der Lady Simpson zurückgekehrt, das sich in Shepherd’s Market befand. Es handelte sich um einen altehrwürdigen Fachwerkbau aus dem Mittelalter, der zusammen mit ähnlich alten Häusern hier inmitten der hektischen Metropole London eine Oase der Stille bildete.
Kathy Porter war eine junge Frau von fünfundzwanzig Jahren, langbeinig, exotisch-attraktiv und an ein scheues Reh erinnernd, wozu ihr kastanienbraunes Haar noch zusätzlich beitrug. Sie war die Sekretärin und Gesellschafterin von Lady Simpson und darüber hinaus eine mehr als gelehrige Schülerin des Butlers.
Ihr Aussehen täuschte. Sie konnte sich innerhalb von Sekunden in eine wilde, angriffslustige Pantherkatze verwandeln. Und sie war erfahren in allen Künsten der Selbstverteidigung. Sie beherrschte die Kunst der Maske wie ein Mime und brauchte nur wenige Hilfsmittel, um blitzschnell in eine andere Rolle zu schlüpfen, die sie dann auch perfekt spielte.
Kathy Porter merkte natürlich sofort, daß Mylady und Parker ausgefahren waren. Also ging sie in den großen Wohnraum und schaltete ein Tonbandgerät ein. Wenig später war Parkers Stimme zu vernehmen, der eine Nachricht hinterlassen hatte. Sie lächelte unwillkürlich, als sie Parkers würdevolle Stimme hörte, der ihr mitteilte, Mylady habe einen schier unstillbaren Appetit auf chinesische Frühlingsrollen verspürt und man suche daher das Restaurant Mr. Hua Li’s auf. Die genaue Uhrzeit der Abfahrt war angegeben, ebenfalls die Zeit der wahrscheinlichen Rückkehr.
Und jetzt lächelte Kathy plötzlich nicht mehr. Sie hatte automatisch auf ihre Armbanduhr geblickt. Mylady und Butler Parker waren demnach eigentlich schon überfällig. Es ging auf 1.30 Uhr zu.
Kathy suchte im internen Telefonverzeichnis die Nummer des chinesischen Restaurants und wählte dann. Als die Verbindung hergestellt war, nannte sie ihren Namen und fragte nach dem Butler.
»Mister Parker?« erwiderte Hua Li, der sich gemeldet hatte. »Ich bedaure sehr, Miß Porter, aber er und Lady Simpson haben mein Restaurant bereits vor einer halben Stunde verlassen.«
»Dann werden Sie ja gleich hier sein«, sagte Kathy Porter beruhigt. »Nein, nein, es war nicht sonderlich wichtig, Mister Hua. Vielen Dank für die Auskunft!«
Sie legte auf und wartete auf das Erscheinen von Parkers Monstrum vor dem Haus. Doch die Zeit verrann, aber der Wagen erschien einfach nicht. Nach einer weiteren halben Stunde geriet Kathy Porter nun doch in Sorge. Obwohl die Zeit der mutmaßlichen Rückkehr weit überschritten war, hatte Parker sich noch nicht gemeldet, wie es sonst üblich war.
Es mußte etwas passiert sein!
Kathy war eine Frau, die auch ohne Anweisungen handelte. Sie hinterließ nun ihrerseits eine Nachricht auf dem Tonband, verließ das Haus und setzte sich in ihren kleinen Mini-Cooper, um nach Soho hinüber zu fahren. Sie benutzte den Picadilly und wechselte dann von Picadilly Circus hinüber in die Lexington Street. Hier ließ sie ihren Kleinwagen auf einem Parkplatz stehen und näherte sich zu Fuß dem Restaurant des Mr. Hua Li, das sie von früheren Besuchen her gut kannte.
Das Glück stand ihr zur Seite.
Als sie eine Seitenstraße passierte, auf die sie kaum geachtet hätte, entdeckte sie eine Ansammlung von neugierigen Zuschauern, die in respektvoller Entfernung einen hochbeinigen Wagen umstanden, der aus allen Nähten zu rauchen schien. Rußschwarze Wolken stiegen zum nächtlichen Himmel hoch und verdunkelten die bunten Neonreklamen.
Da wußte sie sofort, daß es sich nur um Parkers Wagen handeln konnte, der sich aus irgendwelchen Gründen gegen fremde Zugriffe zur Wehr setzte.
Kathy Porter pirschte sich an die neugierige Menge heran und schaltete auf höchste Wachsamkeit. Ihr Verdacht hatte sich bestätigt: Lady Simpson und Butler Parker mußten sich in Schwierigkeiten befinden ...
*
Josuah Parker wachte fast übergangslos auf und hatte heftige Kopfschmerzen.
Er versuchte herauszufinden, wo er sich befand und dachte gleichzeitig an Agatha Simpson. Dunkelheit umgab ihn, doch ganz in der Nähe war das Plätschern von Wasser zu vernehmen. Zudem roch es penetrant nach Fäulnis, Schlick und Schlamm. Und wenn ihn nicht alles täuschte, dann pfiffen und trippelten Ratten herum.
Langsam gewöhnten seine Augen sich an die herrschenden Lichtverhältnisse. Er erkannte die langgestreckten Lagerhallen im Hintergrund, sah knapp neben sich eine Mauer, die halb eingestürzt war und beobachtete einige Meter vor sich den Bug eines Kahns, der halb im Schlick zu stecken schien.
Man mußte sie in irgendeinen Hafen gebracht haben. Sie? Wo aber war dann Lady Simpson? Parker fühlte sich verantwortlich für seine Herrin und wollte gerade diskret nach ihr rufen, als er ihr grollendes Räuspern hörte.
»Mylady?« fragte er jedoch sicherheitshalber in die Dunkelheit hinein.
»Verdammte Ratte«, lautete die etwas überraschende Antwort. Und fast gleichzeitig mit diesem Ausruf erfolgte ein halblautes Klatschen. Ein schrilles Quieken war zu vernehmen, hastiges Trippeln überall, dann herrschte für einen Augenblick wieder Stille.
»Darf man unterstellen, daß Mylady sich den Umständen entsprechend wohl fühlen?« fragte Parker.
»Wo stecken Sie?« war die Gegenfrage.
»Ich werde mir erlauben, Mylady ein Lichtzeichen zu geben.« Parker griff nach einer der vielen Westentaschen seines Anzugs und holte einen Patentkugelschreiber hervor. Es handelte sich dabei um eine geschickt getarnte Miniatur-Taschenlampe von hoher Lichtstärke. Der Butler schaltete diese Taschenlampe ein und suchte mit dem Lichtstrahl nach Lady Simpson.
Sie arbeitete sich gerade machtvoll und energisch aus einem Berg alter und deformierter Pappkartons. Ihr Hut, eine Art Kreuzung aus Südwester und Napfkuchenform, saß schief auf dem Kopf. Nasse Holzwolle rahmte fast schon dekorativ ihr Gesicht.
»Was haben Sie uns da wieder eingebrockt?« grollte sie prompt, als Parker ihr half.
»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit irritiert«, antwortete der Butler.
»Wo hat man uns eigentlich abgeladen?« wollte sie wissen.
»Es scheint sich hier um ein verlassenes Dock zu handeln. Mylady fühlen sich wohl?«
»Mein Kreislauf scheint nicht ganz in Ordnung zu sein«, stellte sie fest.
»Sofort, Mylady.« Parker hatte verstanden. Er griff in eine der Innentaschen seines schwarzen Zweireihers und holte eine flache, lederumhüllte Flasche hervor. Er schraubte den Verschluß ab, der als Becher diente, und goß ein wenig von dem alten, französischen Kognak ein.
Lady Agatha kippte den Inhalt des kleinen Silberbechers gekonnt hinunter und nickte fast schon wieder wohlwollend.
»Worauf warten Sie noch?« fragte sie dann ungeduldig, als Parker fragend schaute. »Natürlich brauche ich einen zweiten Kreislaufbeschleuniger.«
Parker servierte ihr den gewünschten zweiten Kognak, den sie schluckweise genoß.
»Man hat uns betäubt«, sagte sie später grimmig. »Damit hätten Sie rechnen müssen.«
»Ich werde Mr. Hua Li selbstverständlich zur Rechenschaft ziehen«, antwortete der Butler. »Darf ich mir erlauben, Mylady in zivilisiertere Bereiche zu führen?«
»Und dann sofort zurück zu diesem Hua Li«, forderte sie energisch. »Ich bin in der richtigen Stimmung, dem Subjekt eins auf den Pelz zu brennen.«
»Vorsicht, Mylady!« Parker sprach plötzlich leise. »Mir scheint, daß wir Besuch bekommen. Vielleicht sollten wir uns wieder niederlegen.«
Er hatte das Licht der kleinen, aber leistungsstarken Taschenlampe bereits ausgeschaltet und half der älteren Dame zurück auf die Pappkartons. Dann bezog auch er Position und wartete auf das Erscheinen zumindest einer einzigen Person, deren Schritte jenseits des Müllberges zu hören waren.
*
Kathy Porter hatte sich nicht getäuscht.
Butler Parkers Wagen hing am Haken eines Abschleppwagens, doch er rührte sich nicht. Seine Hinterräder waren derart blockiert, daß der anziehende Abschleppwagen keinen Zentimeter gewann.
Währenddessen aber stieß das hochbeinige Monstrum weiterhin Rußwolken aus und hüllte die gesamte Szene in tiefes Schwarz. Die neugierigen Zuschauer wichen verständlicherweise noch weiter zurück und amüsierten sich über die drei verzweifelten Männer, die den Wagen abschleppen wollten.
Es handelte sich um Chinesen, die Overalls trugen. Es paßte ihnen gar nicht, daß sie im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses standen. Sie gestikulierten, redeten aufeinander ein und benutzten natürlich ihre Muttersprache, die Kathy Porter nicht verstand.
Verärgerte Anwohner hatten inzwischen die Polizei alarmiert. Von fern her war die Sirene eines Polizeistreifenwagens zu vernehmen. Dieses nervenverschleißende Geräusch machte die drei Overallträger noch unruhiger. Plötzlich, als das Polizeifahrzeug sich durch die neugierige Menge schob, setzten sie sich einfach ab. Sie waren an dem Abschleppversuch nicht weiter interessiert.
Kathy Porter heftete sich an die Fersen der drei Chinesen, die getrennte Wege einschlugen, als sie eine kleine Straßenkreuzung erreicht hatten. Kathy entschied sich für den größten der drei Männer, der ihrer Beobachtung nach der Wortführer gewesen war.
Ihre Verfolgung fiel hier in Soho nicht weiter auf. Selbst um diese Zeit herrschte in den Straßen, Gassen und Passagen noch viel Betrieb. Soho, das Vergnügungszentrum der Millionenstadt, ging erst in den frühen Morgenstunden zur Ruhe.
Kathy Porter konnte immer wieder hinter Passanten verschwinden, sich fast unsichtbar machen und den Blicken des Chinesen entziehen, der sich hin und wieder umwandte und nach Verfolgern Ausschau hielt.
Sie hatte sich ihren leichten Trenchcoat abgestreift und ihn gewendet. Er war jetzt zu einem billig aussehenden Lackmantel geworden, zu einem Bekleidungsstück, wie es die Damen eines gewissen leichten Gewerbes zu tragen pflegten. Kathy hatte sich ein buntes Halstuch hinter das Haar gebunden und sah jetzt sehr kokett und einladend aus.
Lange dauerte die Verfolgung nicht.
Der Chinese betrat eine schmale Ladenpassage und verschwand in einem Geschäft, das laut Reklameaufschrift eine Maßschneiderei beherbergte. Durch das kleine Schaufenster konnte Kathy Porter gerade noch erkennen, daß der Chinese eine Umkleidekabine am Ende der langen Verkaufstheke betrat.
Sie wechselte zur anderen Straßenseite hinüber und baute sich im Eingang zu einem Haus auf. Inzwischen hatte sie das bunte Tuch aus dem Haar entfernt und den Lackmantel weit geöffnet. Durch Raffen und Heben des Rocks schuf sie die Illusion, man habe es mit einem besonders leichten Mädchen zu tun.
Lange brauchte sie nicht zu warten.
Nach etwa drei Minuten erschien ein zweiter Chinese, der unbedingt um diese Zeit wohl einen Maßanzug kaufen wollte. Er trug keinen Overall, war jedoch identisch mit einem der drei Abschlepper, die Kathy an Parkers Wagen beobachtet hatte.
Dieser angebliche Kunde betrat das Geschäftslokal und verschwand ebenfalls in der Umkleidekabine.
Nach weiteren fünf Minuten tauchte der dritte Abschlepper auf. Auch er verspürte das dringende Bedürfnis, sich mit einem Maßanzug zu versehen. Er schlüpfte in die Maßschneiderei und benutzte denselben Weg wie seine beiden Vorgänger.
Kathy Porter verließ den Hauseingang und ging zurück zu jener Stelle, wo sie Parkers Wagen gesehen hatte. Er hing zwar noch am Haken, produzierte jedoch keine Rußwolken mehr. Zwei recht ratlos aussehende Polizisten sicherten den Wagen, hielten jedoch auf Distanz. Sie schienen diesem seltsamen Gefährt nicht recht über den Weg zu trauen.
Kathy hatte sich in eine seriöse junge Dame zurückverwandelt. Sie trat auf einen der Beamten zu, grüßte freundlich, stellte sich als Lady Simpsons Sekretärin vor und identifizierte das hochbeinige Monstrum eines gewissen Butler Parkers.
Die beiden Beamten verhielten sich reserviert, ließen sich Kathy Porters Papiere zeigen und wurden erst dann zutraulicher, als die junge Dame sich erbot, den Wagen nach Shepherd’s Market zu fahren.
Die Wagenschlüssel zauberte sie förmlich hervor: Unter den forschenden Blicken der beiden Beamten holte sie ein Duplikat der Schlüssel aus einem Versteck seitlich neben dem Auspuffrohr. Als sie imstande war, die Tür zu öffnen, nickten die beiden Vertreter der Gesetze gewährend. Sie wollten allerdings wissen, wo sich Lady Simpson und Butler Parker befanden.
Darauf konnte Kathy Porter selbstverständlich keine Antwort geben. Sie war aber damit einverstanden, daß einer der Beamten sich zu ihr in den Wagen setzte, um sie zurück nach Shepherd’s Market zu begleiten. Bevor man diese gemeinsame Fahrt unternahm, setzte ein Beamter sich per Funk mit seinem Revier in Verbindung.
Parkers Wagen wurde vom Haken gelassen. Kathy übernahm das Steuer und lächelte den jungen Beamten an, der neben ihr Platz genommen hatte. Dann steuerte sie das Monstrum des Butlers durch Soho und nahm Richtung auf Shepherd’s Market.
Während der Fahrt – der Streifenwagen folgte dichtauf – versuchte der Polizeibeamte Kathy Porter auszuhorchen. Sie schlüpfte prompt in eine andere Rolle und tat ahnungslos. Ja, sie beschwerte sich sogar ein wenig über die Exaltiertheit der Lady, die ihrer Ansicht nach unberechenbar war.
Kathy Porter war nicht sonderlich erstaunt, als sie vor Myladys Haus auf einen untersetzten, stämmigen Mann traf, der etwa fünfzig Jahre alt war. Er ähnelte einer stets leicht gereizten Bulldogge, die nur darauf wartete, bissig werden zu können.
»Hallo, Miß Porter«, sagte er mißmutig. »Wieder ein neues Abenteuer fällig? «
»Ich weiß es wirklich nicht, Superintendent«, gab Kathy Porter wahrheitsgemäß zurück. »Ob Sie es glauben oder nicht, Sir, das hier mit dem Wagen ist das Ende einer Kette von verrückten Zufällen.«
»Ich glaube Ihnen kein Wort«, sagte Superintendent McWarden, der eine Sonderabteilung des Yard leitete.
»Ich wußte es bereits im voraus«, antwortete Kathy Porter. »Sie trauen ja auch mir nicht, Sir.«
»Sie haben natürlich keine Ahnung, wo Mylady und Parker stecken, wie?«
»Wüßte ich es, Superintendent, ich wäre glücklich«, gestand Kathy Porter. »Sie haben mir noch nicht mal eine Nachricht hinterlassen.«
»Natürlich nicht«, schnappte McWarden skeptisch zu. »Aber gehen wir doch ins Haus. Ich habe Ihnen einige Fragen zu stellen.«
*
»Hier müssen sie liegen«, sagte eine rauhe, unterdrückte Stimme. »Schalt’ mal das Licht ein!«
Das Licht einer Taschenlampe stach wie ein langer, fahlweißer Finger durch die Dunkelheit und suchte nach Mylady und Josuah Parker. Im Widerschein dieses Lichtes waren zwei Gestalten auszumachen: Es handelte sich um einen großen und um einen kleineren Mann, die Parkas trugen.
Der Lichtfinger suchte, doch er konnte die beiden Gesuchten nicht ausmachen. Parker und Agatha Simpson hatten eine Art Versteck bezogen und warteten darauf, daß die beiden Männer sich noch näher an das Ufer herantrauten.
Und sie mußten es tun, ob sie es nun wollten oder nicht. Der Müll, der hier abgelagert worden war, versperrte ihnen die Sicht. Sie stiegen über die Pappkartons und gerieten so in den Wirkungskreis des Duos.
Mylady und Parker verständigten sich durch knappe Handzeichen, um dann zur Tat zu schreiten.
Lady Simpson ließ ihren Pompadour über dem Kopf kreisen, visierte den größeren der beiden Männer an und ließ dann los. Der perlenbestickte Handbeutel zischte durch die Luft wie ein Kleinstkomet. Und der Glücksbringer landete haargenau auf dem Hinterkopf des Mannes, der überrascht aufgrunzte, für Bruchteile von Sekunden starr stehen blieb, um dann kopfüber in die Pappkartons zu fallen.
Parker war natürlich nicht tatenlos geblieben.
Seine Waffe war die schwarze Melone, deren Wölbung, wie Eingeweihte wußten, mit Stahlblech gefüttert war. Er verwendete diese Kopfbedeckung als eine Art Bumerang oder Diskus. Wie eine fliegende Untertasse rauschte die Melone durch die Dunkelheit und erwischte den Mann am Hals. Er fiel wie vom Blitz getroffen vornüber und landete im Schlick.
»Darf ich mir erlauben, Mylady zu ihrem Treffer zu beglückwünschen?« fragte Parker.
»Papperlapapp«, gab sie zurück, wegwerfend, aber dennoch mit dem Unterton von Zufriedenheit. »Dieses Subjekt war ja gar nicht zu verfehlen. Sehen wir nach, wer sie sind.«
Mylady und Parker verließen ihr Versteck am Fuß der brüchigen Mauer und kümmerten sich um ihre Jagdbeute. Agatha Simpson durchsuchte schnell und geschickt den Mann, den sie an den Beinen resolut aus den alten Pappkartons gezogen hatte. Parker hingegen barg den Mann aus dem Schlick.
»Nun sehen Sie sich das an, Mister Parker!« Myladys Stimme klang entrüstet. »Das hier ist doch ein Totschläger! Und das hier eine Fahrradkette.«
»Ich kann mit einer Faustfeuerwaffe und einem Dolch dienen, Mylady«, vermeldete der Butler.
»Haben Sie irgendwelche Papiere entdeckt?«
»Damit war von vornherein nicht zu rechnen, Mylady.« Parker schüttelte den Kopf. »Es scheint sich um zwei gedungene Handlanger zu handeln.«
»Und was wollten die von uns? Warum suchten sie nach uns?«
»Darf ich Mylady eine mögliche Erklärung anbieten?«
»Nun zieren Sie sich nicht!« Ihre Stimme klang ungeduldig.
»Wahrscheinlich sollte nach den Wagenschlüsseln gefahndet werden, Mylady.«
»Nach welchen Wagenschlüsseln?« Die Detektivin verstand nicht sofort.
»Die ich vor der einsetzenden Ohnmacht noch unter das Polster meines Sitzes zu schieben vermochte, Mylady.«
»Reden Sie etwa vom Schlüssel zu Ihrem unmöglichen Auto?« Agatha Simpson war ein Licht aufgegangen.
»In der Tat, Mylady«, lautete Parkers Antwort. »Meiner bescheidenen Ansicht nach dürften gewisse Herrschaften Mühe haben, an die drei Frühlingsrollen heranzukommen.«
*
Die beiden Strolche, wie Lady Simpson sie genannt hatte, waren wieder zu sich gekommen und fühlten sich schlecht.
Sie befingerten ihre wunden Stellen und sprachen von der Tücke gewisser Leute, die aus dem Dunkeln heraus und ohne jede Vorwarnung zulangten. Aus der Unterhaltung ergab sich, daß der größere der beiden Männer Fred, der kleinere Oscar hieß. Natürlich suchten sie nicht weiter nach ihren Opfern, sondern sie arbeiteten sich zurück zu einer der nahen Dockstraßen, wo ihr Wagen stand. Sie waren nicht gerade Spitzenklasse, die beiden Gauner, und kamen überhaupt nicht auf die Idee, daß man sie weiter aus nächster Nähe beobachtete. Sie stiegen in ihren Ford und wollten losfahren. Oscar hatte das Steuer übernommen und zündete sich gerade eine Zigarette an, als er im Rückspiegel ein glattes Pokergesicht entdeckte.
Er ließ das brennende Streichholz fallen, das auf Freds Knien landete, der daraufhin lautstark fluchte.
»Ich möchte doch um Manieren bitten«, ließ sich eine würdevolle Stimme vernehmen. »Sie befinden sich immerhin in Gesellschaft einer Dame.«
Diese Dame rügte den Fluch auf ihre spezielle Art und Weise. Sie legte ihren Pompadour auf Freds Kopf, der daraufhin um etwa anderthalb Zentimeter zusammenrutschte.
Oscar hob schleunigst die Hände und zeigte damit, daß er an Gegenwehr überhaupt nicht dachte. Ihm ging mit einiger Spätzündung auf, daß ihre beiden Opfer sich während ihrer Abwesenheit in den Wagen gestohlen und auf den Rücksitzen versteckt gehalten hatten.
»Worauf warten Sie noch?« grollte die ältere Dame. »Fahren Sie hinaus nach Shepherd’s Market!«
»Na ... Na ... Natürlich, Madam«, antwortete Oscar mit vibrierender Stimme. »Ehrenwort, wir wollten eigentlich nichts von Ihnen, großes Ehrenwort!«
»Wonach sollten Sie suchen?« erkundigte sich Butler Parker, während Oscar langsam anfuhr.
»Wir... Wir hatten da’n Geräusch gehört, so’n Stöhnen und Rascheln«, schwindelte er.
»Verärgern Sie mich nicht, Sie Lümmel!« Lady Simpson verabreichte Oscar eine harmlose Ohrfeige, worauf Oscar leicht das Steuer verriß.
»Ging es nicht um die Schlüssel eines Wagens?« fragte Parker höflich weiter.
»Ich ... Ich weiß von nichts«, stotterte Oscar, während Fred sich endlich wieder hochdrücken konnte.
»Ich ... Ich weiß auch von nichts«, fügte Fred hinzu, während er gleichzeitig sicherheitshalber den Kopf einzog.
»Ihre Auftraggeber werden mit Ihnen sehr unzufrieden sein«, stellte Josuah Parker fest. »Möglicherweise müssen Sie sogar mit erheblichem Ärger rechnen, falls es sich herausstellt, daß Sie versagt haben.«
»Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken«, unkte Agatha Simpson. »Es stirbt sich schnell in gewissen Kreisen!«