Читать книгу Butler Parker 127 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3
ОглавлениеFlugtrainer Higgins geriet völlig aus der Fassung und hatte echte Mühe, dies nicht sichtbar werden zu lassen. Der drahtige, mittelgroße Mann hatte im Lauf der Zeit schon viel erlebt, doch das hier überstieg alles bisher Dagewesene. Er wußte nicht, ob er weinen oder lachen sollte.
»Sind Sie sicher, daß Sie Flugstunden nehmen wollen?« fragte er seine angehende Schülerin.
»Dumme Frage, junger Mann, sonst wäre ich ja nicht hier«, erwiderte die majestätisch aussehende Dame, die ein recht ausgebeultes Tweedkostüm trug. Sie schien um die sechzig zu sein, wirkte aber noch sehr aktiv und resolut.
»Mylady besitzen bereits einen Flugschein«, schaltete sich der Butler der unternehmungslustigen Dame ein. Er besaß ein durchschnittliches Gesicht, das glatt und ausdruckslos wie das eines versierten Pokerspielers war. Der Butler war etwas über mittelgroß, fast schlank und trug einen schwarzen Zweireiher. Auf seinem Kopf thronte eine schwarze Melone. Über seinen angewinkelten linken Unterarm hing ein altväterlich gebundener Regenschirm.
»Mylady?« Flugtrainer Higgins war leicht überrascht.
Diese sich burschikos gebende Dame hätte er niemals für eine Angehörige des englischen Adels gehalten. Auf der anderen Seite atmete er innerlich ein wenig auf. Sie besaß also bereits einen Flugschein und wollte sicher ein paar Auffrischungsstunden nehmen. Das hörte sich schon wesentlich besser an.
»Er stammt aus dem Jahr neununddreißig«, präzisierte Agatha Simpson, um die es sich handelte. »Aber im Grund hat sich an der ganzen Fliegerei ja kaum etwas geändert, oder?«
»Kaum, kaum.« Flugtrainer Higgins grinste wider Willen.
»Höhensteuer ist Höhensteuer, und Seitenruder bleibt Seitenruder«, verkündete Lady Agatha. »Worauf warten Sie eigentlich noch? Besorgen Sie einen passenden Vogel, junger Mann!«
»So schnell geht das nicht, Mylady«, entgegnete Higgins. »Wir werden uns erst mit der Theorie befassen müssen.«
»Reine Zeitverschwendung, junger Mann.« Agatha Simpson schüttelte energisch den Kopf. »Ich bin eine Frau der Praxis.«
Dem Flugtrainer kam eine geradezu teuflische Idee. Warum sollte er nicht jetzt hier dieser Frau die Flausen aus dem Kopf vertreiben. Warum packte er sie nicht in einen offenen Doppeldecker und schwenkte sie durch die Lüfte? Nach zehn Minuten würde sie um Gnade winseln und ein für allemal darauf verzichten, je wieder als Flugschülerin in die Luft zu steigen.
»Also gut, Mylady«, sagte er. »Warten Sie hier! Als alte Praktikerin macht es Ihnen ja wohl nichts aus, in einen Doppeldecker zu steigen, wie?«
»Das Wort ›alt‹ möchte ich nicht gehört haben.« Lady Simpson sah Higgins strafend an. »Natürlich werde ich in eine offene Kiste steigen. Früher hat es ja nichts anderes gegeben.«
Higgins nickte und trollte sich vondannen.
»Finden Sie nicht auch, daß er sehr umständlich wirkt?« Agatha Simpson sah ihren Butler kopfschüttelnd an.
»Mister Higgins gilt als erfolgreicher Trainer«, erwiderte Josuah Parker gemessen. »Er wurde mir sehr empfohlen.«
»Wir werden ja sehen.«
»Sollten Mylady nicht vielleicht passende Kleidung anlegen?« erkundigte sich Parker.
»Papperlapapp, Mister Parker! Wir fliegen ja nur eine kleine Informationsrunde. Ich möchte wissen, ob meine Reflexe noch in Ordnung sind.«
»Selbstverständlich. Und versuchen Sie nicht schon wieder, mir das auszureden, Mister Parker. Nur so kann ich den internen Betrieb hier studieren. Sie wissen, daß das Innenministerium mich um Hilfe gebeten hat.«
Die Augen der Lady glänzten, als Higgins sich näherte. Er saß bereits auf dem hinteren Sitz der kleinen kunstflugtauglichen Maschine und dirigierte den Doppeldecker an Agatha Simpson und Butler Parker heran.
Higgins schien seine Freunde und Bekannten informiert zu haben. Am Fuß des kleinen Tower sammelten sich Menschen, die sich diesen Spaß nicht entgehen lassen wollten. Sie kannten Higgins und wußten, daß es ihm bisher noch immer gelungen war, Mitflieger knieweich zu kriegen. Von diesem Unternehmen versprachen sie sich einiges.
Butler Parker leistete diskrete Hilfe, als seine Herrin in den vorderen Sitz stieg. Es dauerte eine Weile, bis sie ihre Fülle dort untergebracht hatte. Anschließend bemühte Parker sich, Lady Simpson die Gurte anzulegen, was jedoch an sich nicht notwendig gewesen wäre. Die korpulente Flugschülerin saß derart fest im schmalen Cockpit, daß sie selbst bei einem Looping mit Sicherheit nicht herausfiel.
»Darf ich mir erlauben, Mylady einen guten Flug zu wünschen?« Parker lüftete grüßend seine schwarze Melone.
»Natürlich dürfen Sie!« Agatha Simpson nickte strahlend. »Wir werden die Wolken erstürmen, Mister Parker. Schade, daß Sie nicht mitkommen können!«
»Mein Ehrgeiz, Mylady, geht in eine erheblich andere Richtung«, antwortete der Butler. Dann trat er zurück und verfolgte den Start der zierlichen, leichten Maschine, die, wie bereits gesagt, voll kunstflugtauglich war.
*
Flugtrainer Higgins verstand sein Handwerk. Er hatte den leichten Doppeldecker hochgerissen und stieß fast senkrecht zum Himmel hoch. Dann ließ er ihn über die Luftschraube wieder nach unten fallen, drehte dabei eine hart gerissene Rolle und jagte zurück auf den Boden zu. Dicht über der Piste fing er die Maschine ab und begann dann mit seinem eigentlichen Kunstflugprogramm. Er war fest entschlossen, sich die ältere Dame vom Hals zu schaffen. Er hatte keine Lust, seine Nervenkraft zu vergeuden.
Josuah Parker bezog am Fuß des Tower Posten und beobachtete die Demonstration eines einmaligen Könners. Es gab da Rollen, Loopings, Messerflug, Rückenflug und jähe Auf- und Abschwünge. Im Grund bedauerte Parker zwar die Belastungen, die Mylady zugemutet wurden, auf der anderen Seite aber begrüßte er sie auch. Er hielt nichts davon, daß seine Herrin diesen Auftrag so ernst nahm. Sie war dabei, sich wieder mal zu intensiv einzusetzen. Zudem hegte der Butler gewisse Befürchtungen: War nicht zu erwarten, daß Agatha Simpson ihn eines Tages zu einem Rundflug einlud? Solch einem Risiko wollte Parker sich nicht unnötig aussetzen.
Knapp zehn Minuten waren verstrichen.
Der Doppeldecker setzte zur Landung an. Parker sah um sich herum erwartungsvoll-schadenfrohe Gesichter. Die Flugschüler und das technische Personal erwarteten ein menschliches Wrack, das aus dem Doppeldecker geborgen werden mußte. Die Besatzung eines Krankenwagens machte sich bereit, mit dem Wagen dicht an die Maschine heranzurollen, um die entnervte Mylady zu übernehmen.
Higgins rollte mit dem Doppeldecker bis dicht an die Hangars und an den Tower. Die Schraube drehte sich noch ein paarmal und blieb dann stehen.
Parker schritt zwar gemessen, aber doch nicht gerade langsam in Richtung Maschine und legte sich bereits einige tröstende Worte zurecht. Er wurde überholt von den Flugschülern, die den Zustand des Passagiers aus nächster Nähe begutachten wollten.
Higgins war bereits ausgestiegen und wurde von seinen Flugschülern umringt. Agatha Simpson saß noch im Cockpit und rührte sich nicht. Parker dachte sofort an einen mittelschweren Kreislaufkollaps und nahm sich vor, mit Higgins ein paar ernste Worte zu reden. Es war geradezu unverantwortlich, was er da mit seinem Fluggast angestellt hatte.
»Es ist nicht zu glauben«, hörte er Higgins sagen.
»Dieser Ihrer Meinung möchte ich mich in aller Bescheidenheit, aber auch Entschiedenheit anschließen«, erwiderte Parker, der sich seinen Weg durch die Neugierigen gebahnt hatte.
»Ich ... Ich habe alles versucht«, redete Higgins schnaufend weiter. Er sah erstaunlicherweise ein wenig mitgenommen aus.
»Auch dies kann ich nur unterstreichen«, kommentierte der Butler.
»Wer hilft mir endlich aus der Kiste heraus?« war in diesem Moment die äußerst munter klingende Stimme der Lady zu hören. »Mister Parker, verplaudern Sie sich nicht schon wieder!«
»Mylady fühlen sich den Umständen entsprechend einigermaßen wohl?« erkundigte sich Josuah Parker. Er stand auf der unteren Tragfläche und beugte sich über seine Herrin.
»Was heißt hier wohl?«
»Darf ich mir gestatten, Mylady einen Kreislaufbeschleuniger anzubieten?« Parker hatte die flache, lederumhüllte Flasche bereits in Händen und schraubte den Verschluß ab, der als Trinkbecher diente.
»Higgins dürfte ihn nötiger halben«, erwiderte Agatha Simpson. »Wissen Sie, er hat schwache Nerven.«
»Schwache Nerven, Mylady?« Parker steckte die bewußte Flasche weg und wuchtete die korpulente Dame aus dem engen Cockpit. Die Maschine ging nach rechts in die Federn, als Agatha Simpson die Tragfläche mit ihrem Gewicht einseitig belastete. Dann stieg sie auf die Grasnarbe hinunter, worauf der Doppeldecker sich wieder erleichtert aufrichtete.
»Schwache Nerven«, wiederholte Lady Agatha und nickte. »Als ich den Steuerknüppel übernahm und ihm zeigte, wie man bewußt trudelt, geriet er in Panik.«
»Diese Figur flogen Mylady?« Parker erinnerte sich an dieses Programm, das einem Absturz glich.
»Natürlich, Mister Parker«, sagte sie. »Higgins wollte mir das streitig machen und eingreifen, doch ich war stärker.«
»Mylady bemerken möglicherweise meine Unkenntnis.«
»Der Vogel hat Doppelsteuerung«, sagte sie. »Wer stärker ist, fliegt die Figuren. Und ich war stärker!«
Flugtrainer Higgins wankte auf die ältere Dame zu, diskret gestützt von zwei Flugschülern, die sich seine Knieweichheit immer noch nicht erklären konnten. Er blieb vor Lady Simpson stehen und sah sie klagend an.
»Wieder erholt, junger Mann?« fragte sie.
»Ich... Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, stotterte Higgins. »Sie ... Sie hätten uns mit dem Trudeln beinahe umgebracht.«
»Papperlapapp, junger Mann«, gab sie zurück. »Mit der Fliegerei ist es wie mit dem Radfahren: So etwas vergißt man nie. Gelernt ist Gelernt!«
*
»Was hast du ausgegraben?« fragte der kleine, magere Mann, der irgendwie an eine struppige Ratte erinnerte. Er hieß Paul Maser und mochte etwa sechsundzwanzig Jahre alt sein.
»Die Alte will Flugstunden nehmen«, erwiderte Steve Ralston. Er war etwa vierundzwanzig Jahre alt, mittelgroß und sah treuherzig aus. Selbst ein erfahrener Beobachter der Gangsterszene hätte ihn nie für einen Gangster gehalten.
»Flugstunden? Sag das noch mal...«
»Die Lady will fliegen«, wiederholte Ralston wunschgemäß. »Ich habe es aus erster Hand. Die ist total verrückt.«
»Oder genau das Gegenteil.« Paul Maser schüttelte langsam den Kopf. Sein rattenähnliches Gesicht mit den schwarzen Augen nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. »Warum ausgerechnet hier im Club? Nee, das kann kein Zufall sein.«
»Komisch ist das wirklich.« Steve Ralston nickte. »Ob wir den Chef verständigen sollten?«
»Worauf du Gift nehmen kannst, Junge.« Maser nickte. »Die Lady will, hier doch nur herumschnüffeln. Ich möchte bloß mal wissen, wie sie Lunte gerochen hat. Normalerweise arbeitet sie doch nur in London und Umgebung.«
»Ich verdrücke mich wieder.« Steve Ralston, der als Koch im Flugplatzrestaurant arbeitete, verließ seinen Mittelsmann und ging zurück zu der großen zweistöckigen Steinbaracke, in der das einfache Restaurant und die Küche untergebracht waren.
Der Flugplatz befand sich in der Nähe von Ipswich nahe der Kanalküste. Während des zweiten Weltkriegs hatte er als Feldflugplatz gedient. Aus dieser Zeit stammten noch die zweistöckige Steinbaracke, die Hangars, die zum Teil unbenutzt waren, die Reihe der halb versenkten Munitionsbunker am Ende der Rollbahn und auch die Verwaltungsgebäude, die jetzt als Unterkünfte der Flugschule dienten.
Der normale Linienverkehr der Fluggesellschaften war hier nicht anzutreffen. Auf dem alten Feldflugplatz landeten und starteten nur noch Privatmaschinen. Die Ausbildungsschule, in der Trainer Higgins tätig war, erfreute sich großer Beliebtheit und wurde frequentiert. Der Club hatte keine finanziellen Sorgen.
Paul Maser hatte es eilig, zur Telefonzelle zu kommen. Das plötzliche Auftauchen der Lady Simpson hatte ihn alarmiert. Er hatte sie rein zufällig vor dem Tower entdeckt, worauf er sofort einen trockenen Mund bekam.
Noch besser kannte er natürlich den Butler Parker.
Vor Jahren hatte er mal mit ihm in London zu tun gehabt An diese Begegnung erinnerte er sich nur ungern. Er hatte dabei nämlich auf der ganzen Linie draufzahlen müssen und war zum Gespött seiner Freunde geworden. v Mit dem Chef selbst konnte Paul Maser natürlich nicht sprechen, dazu war seine Stellung viel zu gering. Er war schon froh, daß sich ein gewisser Teddy Tralley meldete. Paul Maser nannte seinen Namen und setzte seine Meldung ab.
»Sind Sie noch dran?« fragte er, als auf der Gegenseite keine Antwort erfolgte.
»Was denn sonst?« Teddy Tralleys Stimme klang gereizt. »Ein Irrtum ist also ausgeschlossen?«
»Ralston weiß mit Sicherheit, daß die alte Schreckschraube Flugstunden nehmen will. Er bleibt am Ball.«
»Er bleibt weg vom Ball«, erfolgte jetzt die schnelle Antwort, die keine Auslegung zuließ. »Ihr beide macht euch unsichtbar, ist das klar?«
»Natürlich, Tralley«, erwiderte Paul Maser respektvoll.
»Wir werden uns um dieses Duo kümmern«, schloß Teddy Tralley. »Das ist was für Spezialisten, Maser.«
Paul Maser legte auf und war wütend. Was dieser arrogante Tralley sich bloß dachte? Spezialisten! Sollten die doch herkommen und sich mit Lady Simpson und Butler Parker anlegen. Schadenfroh im voraus, hoffte Paul Maser, daß diese angeblichen Spezialisten sich eine blutige Nase holten.
*
»Haben Sie Quartier gemacht, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha. Sie saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und genoß den Blick auf den Orwell, der der Nordsee zuströmte.
»Mylady werden, falls Mylady meiner bescheidenen Wahl zustimmen, im ›Golden Horse‹ wohnen, eine seriöse Herberge in der Nähe des Flugplatzes.«
»Sehr schön, Mister Parker. Sagen Sie, hätten Sie nicht Lust, auch ein paar Flugstunden zu nehmen? Sie sollten Ihre Kenntnisse wieder mal auffrischen. Wer rastet, der rostet!«
»Wie Mylady meinen.« Parker deutete ein höfliches Nicken an. »Falls die Zeit bleibt, werde ich mir erlauben, Myladys Anregung aufzugreifen.«
»Warum sollte die Zeit nicht reichen?« wunderte sich die Detektivin.
»Der sprichwörtliche Zufall, Mylady, spielte mir eine Information visueller Art zu.«
»Was soll denn das schon wieder heißen?«
»Erinnern Mylady sich an Mister Paul Maser?«
»Nie gehört, Mister Parker. Was ist mit diesem Mann?«
»Als ich seinerzeit für Mister Ränder arbeitete, Mylady, der jetzt in den Staaten weilt, hatte ich eine kleine Auseinandersetzung mit dem erwähnten Mister Maser.«
»Ein Gangster etwa?« Lady Agathas Stimme nahm einen sehr interessierten Klang an.
»In der Tat, Mylady, ein Gangster der unteren Klasse, ein Schläger und Messerstecher.«
»Das klingt nicht schlecht!« Agatha Simpson beugte sich vor. »Zufall oder Absicht?«
»Das, Mylady, würde ich gern herausfinden, wenn es gestattet ist.«
»Warum treibt ein Gangster sich in der Nähe des Flugplatzes herum, Mister Parker?« fragte die ältere Dame sofort. Ihre Phantasie heizte sich bereits leicht auf. Sie witterte einen neuen Kriminalfall. »Ob er etwas mit unserem Sonderfall zu tun hat?«
»In Sachen Spionage war Mister Paul Maser noch nie tätig, Mylady. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er sein Metier gewechselt hat. Zudem würden sich Spionageringe niemals solcher Männer bedienen.«
»Auch als bezahlte Killer nicht?« Lady Agatha kannte sich in den Praktiken der Unterwelt aus.
»Mit Sicherheit nicht, Mylady.« Parker wußte ebenfalls über die Praktiken der Spionagearbeit Bescheid. Natürlich waren Lady Simpson und er nicht zufällig hier in Ipswich und wollte Lady Agatha nicht aus Langweile Flugstunden nehmen.
Das Innenministerium hatte sich an Agatha Simpson und Josuah Parker mit der dringenden Bitte um Hilfe gewandt. Nach leider nur spärlichen Informationen eines weil vom Erdboden verschwundenen Mannes des britischen Geheimdienstes sollte sich ein ausländischer Agentenring im Flugclub eingenistet haben.
Nach dem Anhören dieser Bitte hatte Mylady sich sofort in Marsch gesetzt. Sie witterte selbstverständlich wieder mal den Stoff für ihren geplanten Kriminalbestseller, mit dem sie eine gewisse Agatha Christie in den Schatten stellen wollte. Parker war weniger optimistisch als Lady Simpson. Für ihn waren die spärlichen Hinweise noch zu mysteriös und zu mager. Es war von Flugzeugen gesprochen worden, doch im Grund nicht von diesem Club, den sie gerade besucht hatten. Es wäre jedoch sinnlos gewesen, sich gegen Myladys Pläne stemmen zu wollen. Selbstverständlich hatte er seinen Privatwagen aus der Garage geholt und die Reise vorbereitet.
»Um noch mal auf dieses Subjekt Maser zu kommen«, ließ die ältere Dame sich vernehmen. »Hat er Sie ebenfalls gesehen, Mister Parker?«
»Davon sollte man sicherheitshalber ausgehen, Mylady.«
»Glauben Sie, daß er etwas gegen uns unternehmen wird?«
»Man sollte sich darauf einrichten, Mylady.«
»Sehr schön, sehr nett.« Lady Simpson liebte aufregende Abenteuer. »Hoffentlich enttäuscht uns dieser Lümmel nicht. Falls aber doch, werden wir ihn leicht reizen und aus seiner Reserve locken.«
»Myladys Wunsch wird mir Befehl sein.« Parker bedauerte es fast schon, seine Herrin auf Paul Maser hingewiesen zu haben. Kommende Verwicklungen waren bereits so gut wie vorprogrammiert.
Insgeheim fragte Parker sich natürlich, ob der wie vom Erdboden verschwundene Agent Ihrer Majestät auf das Konto dieses Paul Maser ging. Zuzutrauen war Maser so etwas schon. Diesem Mann kam es auf ein Menschenleben überhaupt nicht an.
»Hören Sie denn nichts?« fragte Agatha Simpson plötzlich energisch.
»Mylady?« Parker wußte nicht, was die Detektivin meinte, doch eine Sekunde später wußte er sehr genau, worauf sie anspielte. Dicht über dem hochbeinigen Monstrum mußte sich ein Flugzeug befinden. Das Geräusch wurde aufdringlich, die Maschine hatte die zulässige Mindesthöhe bei weitem unterschritten. Und das geschah wahrscheinlich nicht aus Leichtsinn oder Zufall!
*
Aus einem stets wachen Instinkt heraus, der bei Parker schon fast überentwickelt war, trat der Butler hart aufs Bremspedal, ohne seine Herrin vorwarnen zu können.
Sie stieß einen Überraschungsruf aus, als sie plötzlich in ihrem Anschnallgurt hing, den sie auch auf dem Rücksitz angelegt hatte. Bevor sie sich dazu grollend äußern konnte, jagte über dem hochbeinigen Monstrum des Butlers eine kleine moderne Sportmaschine entlang. Bruchteile von Sekunden später landete etwa fünfzig Meter vor dem Kühler des Wagens eine Art Kanister auf der Fahrbahn, der aufschlug, hochsprang, weitergewirbelt wurde und dann mit einem Satz in der nahen Wiese landete.
Parker hatte bereits den Rückwärtsgang eingelegt und gab Vollgas. Sein Wagen, ein ehemaliges Londoner Taxi, rollte im Eiltempo in die Gegenrichtung und wurde dann von der Druckluftwelle des detonierenden »Kanisters« erfaßt und durchgeschüttelt.
Aus der Wiese stieg ein schwarzer Rauchpilz hoch, als sei dort eine Bombe eingeschlagen. Erde, Steine und Grasnarben wirbelten durch die Luft und prasselten auf die Straße. Parkers Monstrum schaukelte in der Federung, Erdreich prasselte aufs Wagendach, und eigentlich erst jetzt war das reißende Krachen der Detonation so richtig zu vernehmen.
»Das ist aber die Höhe!« entrüstete sich Lady Simpson. »Was war denn das, Mister Parker?«
»Ein Explosivkörper, Mylady«, lautete Parkers Antwort. »Man könnte unter Umständen auch Bombe dazu sagen.«
»Das ist ja lebensgefährlich.« Myladys Stimme ließ erkennen, wie beeindruckt die ältere Dame war.
»Die beobachtete Sprengkraft möchte ich als durchaus beachtlich qualifizieren«, sagte Parker. »Wahrscheinlich ist mit einem zweiten Anflug zu rechnen.«
»Dann tun Sie gefälligst etwas dagegen«, verlangte Agatha Simpson grimmig. »Natürlich, das Motorengeräusch ist schon wieder zu hören.«
Parker hatte es ebenfalls mitbekommen.
Er stand inzwischen neben der geöffneten Fahrertür und beobachtete den Himmel. Die Angreifer hatten sich ein besonders gutes Gelände für ihren Tiefangriff ausgesucht. Die Straße befand sich auf einer Art Damm, der zum Fluß hin steil abfiel. Auf der anderen Straßenseite fiel das Gelände ebenfalls recht steil ab und ging dann in weite, baumlose Wiesen über. Man befand sich wie auf einem Präsentierteller. Die Angreifer konnten sich in aller Ruhe und Gelassenheit mit ihrem Zielobjekt befassen.
Und dann war der kleine schnelle Tiefdecker bereits wieder zu sehen.
Hinter einem fernen Wäldchen hatte er gedreht und flog seinen zweiten Angriff. Die Lage war mehr als kritisch. Parker mußte sich tatsächlich etwas einfallen lassen, wenn er und seine Herrin nicht tödlich getroffen werden sollten.
Obwohl sein hochbeiniges Monstrum durchaus als eine Trickkiste auf Rädern bezeichnet werden konnte, verfugte Parker selbstverständlich nicht über ein Maschinengewehr, mit dem er sich jetzt hätte wehren können.
Er setzte sich zurück in den Wagen und drückte auf einen der vielen Bedienungsknöpfe des Armaturenbretts. Dann gab er Vollgas und wartete darauf, daß die Einnebelung begann.
Es dauerte etwa zehn Sekunden, bis aus am Wagen versteckt angebrachten Düsen tiefschwarze Rauch- und Rußwolken quollen, die eine undurchsichtige Zone bildeten. Parker ließ seinen Trickwagen vorrollen, um dann wieder zurückzustoßen. Auf diese Art und Weise nebelte er ein gutes Stück der Dammstraße ein und machte es dem Bombenschützen unmöglich, das Ziel genau zu orten.
Eine zweite Detonation!
Parkers Wagen wurde erneut durchgeschüttelt. Wieder prasselten Erdschollen auf das Wagendach. Irgendwo in der Rauchzone schoß ein orangefarbener Blitz hoch.
»War das nicht eine zweite Bombe?« erkundigte sich Agatha Simpson mit erstaunlicher Ruhe. Sie war keine Frau, die sich gehen ließ.
»Myladys Deutung dürfte mit den Tatsachen übereinstimmen«, antwortete Josuah Parker. »Darf ich mir die Freiheit nehmen, Mylady einen Moment allein zu lassen?«
»Was haben Sie vor, Mister Parker?«
»Vielleicht sollte man einem dritten Angriff vorbeugen, Mylady«, gab der Butler würdevoll zurück. »Diese Belästigungen erweisen sich auf die Dauer als störend, wenn ich es so umschreiben darf.«
*
Josuah Parker öffnete den Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums und entnahm ihm einige Gegenstände, die an lustige Feuerwerkskörper erinnerten. Sie wurden gemeinhin in Silvesternächten verwendet, um das neue Jahr gebührend zu begrüßen. Es handelte sich also um Raketen, die man im freien Fachhandel kaufen konnte. Sie waren an langen Holzpflöcken befestigt, um den Amateurfeuerwerker nicht zu gefährden.
Parker schritt mit diesen Raketen durch den dichten schwarzen Nebel, bis er eine hellere Zone erreicht hatte. Er hörte den Motor des kreisenden Tiefdeckers, ohne die Maschine im Moment aber schon ausmachen zu können. Er holte eine kleine Taschenschere aus einer seiner vielen Westentaschen und verkürzte die Lunten der Feuerwerkskörper derart drastisch, daß sie unmittelbar nach dem Anzünden zischten. Parker verließ die Dämmerzone der dunklen Schwaden und blieb plötzlich stehen.
Der Tiefdecker suchte nach seinem Opfer.
Die Maschine flog sehr nieder über die Dammstraße, tauchte sogar im Rauch ein und erschien dann wieder in östlicher Richtung. Für einen Augenblick hegte Parker die Befürchtung, eine dritte Bombe sei vielleicht abgeworfen worden, doch das war erfreulicherweise nicht der Fall. Der Bombenschütze wollte diesmal sicher sein und das anvisierte Ziel auch tatsächlich treffen.
Parker nahm Deckung hinter einem Meilenstein und wartete auf den nächsten Anflug des Tiefdeckers. Er war bereit, sich energisch zu wehren.
Da erschien der Tiefdecker bereits wieder. Er hatte eine scharfe Kurve gezogen und jagte im Tiefflug heran. Josuah Parker nahm seinen ersten Feuerwerkskörper und peilte die Maschine an. Mit der linken Hand knipste er sein altertümlich aussehendes Sturmfeuerzeug an und setzte die kurze Lunte in Brand.
Ein, zwei Sekunden später raste die Rakete auf ihr Ziel los, einen bunten, nicht unfreundlich aussehenden Feuerschweif hinter sich herziehend.
Der Feuerwerkskörper lag gut, doch er traf nicht. Er zischte dicht unter dem Fahrwerk der Maschine hindurch und löste sich wenig später in eine Art feurigem Wasserfall auf.
Die zweite Rakete!
Diesmal hatte Parker besser gezielt. Sie erwischte das Leitwerk des Tiefdeckers und zerplatzte am Seitenruder.
Der Tiefdecker wurde hochgerissen und gab seine Absicht auf, weiterhin die Straße abzusuchen. Er legte sich auf die Seite und geriet in bedenkliche Schwankungen, die schon nicht mehr als regulär bezeichnet werden konnten.
Die dritte Rakete lag ausgezeichnet. Parker erwies sich als Richtschütze von höchster Präzision. Der Feuerwerkskörper zerplatzte unter der geschlossenen Kabine und regnete als ein Gebilde aus vielen bunten Feuersternen zurück auf den Boden.
Der Tiefdecker bäumte sich auf, jagte senkrecht zum Himmel, legte sich wieder auf die Seite und brauste dann im Tiefflug hinaus auf die Wiesen. Er wackelte bedenklich, hüpfte wie ein junger Ziegenbock und verschwand wenig später hinter dem kleinen Waldstück.
Dann erfolgte eine Detonation, die sich mit den ersten überhaupt nicht mehr messen konnte.
Eine schwere Bombe schien im Wäldchen aufgeschlagen zu sein. Ein schwarzer Rauchpilz schoß aus der Baumgruppe empor, dann war das Geräusch der Detonation zu vernehmen.
Parker schritt zurück in die Rauchwolke und suchte nach Mylady. Er erreichte sein hochbeiniges Monstrum, doch der Wagen war leer.
Parker rief diskret nach seiner Herrin und erhielt endlich eine Antwort. Er folgte ihr und fand die Detektivin, die inzwischen ebenfalls den Dunstkreis des Nebels verlassen hatte und vom Damm aus die Absturzstelle beobachtete.
»Das sieht nicht gut aus«, meinte sie, zum Wäldchen hinüber zeigend.
»In der Tat, Mylady«, antwortete Josuah Parker. »Die Täter dürften diesen jähen Bodenkontakt kaum überlebt haben.«
*
»Wer ist denn die?« fragte Steve Ralston neugierig.
Sein Interesse galt einer sehr pikant aussehenden Blondine, die es mit jedem Berufsmannequin aufnehmen konnte. Sie trug ein knappes, schwarzes Servierkleid, eine Miniatur schürze und zeigte einen geradezu atemberaubenden Ausschnitt.
»Das ist die Neue«, antwortete Mel Farrow, der Manager des Flugplatz-Restaurants, der gleichzeitig auch den Wirtschaftsbetrieb der Flugschule leitete.
»Die ist ja ’ne Wucht«, freute sich Steve Ralston.
»Darum habe ich sie ja auch eingestellt«, meinte Mel Farrow, ein sechsunddreißigjähriger Mann, der groß und schlank war und einen militärisch straffen Eindruck machte.
»Und woher kommt die Neuentdeckung?« fragte Steve Ralston weiter.
»Aus Blackpool. Sie hat dort in ’nem Club gearbeitet.«
»Und so was verändert sich?« Ralston schüttelte erstaunt den Kopf. »Gegen Blackpool ist das doch hier tiefste Provinz.«
»Sie wird ihre Gründe gehabt haben, Ralston.« Mel Farrow war an einer weiteren Unterhaltung nicht interessiert. Er war ein Mann, der auf Abstand hielt. Als Manager verkehrte er mit dem Personal nur auf dienstlicher Ebene. Er haßte Vertraulichkeiten.
Natürlich wußte er über Judy Gander mehr, als er Ralston gegenüber gesagt hatte. Bevor er sie eingestellt hatte, waren ein paar diskrete Telefonate erfolgt. Diese atemberaubend aussehende Blondine hatte in ihrem Club in Blackpool Ärger gehabt und auch gemacht. Sie war, gelinde ausgedrückt, ein wenig zu schnell auf gewisse Einladungen von Clubgästen eingegangen und hatte sich auf charmante Art und Weise kleine und größere Geldbeträge ausgeliehen, deren Rückzahlung von ihr total vergessen worden war.
Mel Farrow stieß sich nicht daran. Für seinen Betrieb hier, den er verantwortlich leitete, brauchte er eine weibliche Attraktion, um den Umsatz zu heben. Der eigentliche Pächter des Gesamtunternehmens wollte mehr Geld sehen. Judy Gander brachte genau die Voraussetzungen mit, um das in Zukunft sicherzustellen.
Sie merkte, daß sie von Mel Farrow beobachtet wurde, lächelte neutral und beschäftigte sich weiter damit, die Bar aufzuklaren. Farrow schlenderte zu ihr hinüber und schaute ihr einen Moment zu.
»Schon eingelebt?« erkundigte er sich. »Wie haben Sie den ersten Ansturm überlebt, Judy?«
»Es war ein leichtes Vergnügen«, meinte sie. »Die Gäste machten alle einen ziemlich aufgeregten oder aufgekratzten Eindruck. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. Draußen auf dem Flugplatz muß irgend etwas passiert sein.«
»Worauf Sie sich verlassen können, Judy.« Mel Farrow schmunzelte. »Unser Cheftrainer Higgins ist geschafft worden.«
»Wie soll ich das verstehen?« Sie beugte sich ein wenig über den Tresen der Bar und verwirrte so selbst einen abgebrühten Mann wie Mel Farrow. Das Dekolleté war tatsächlich schon mehr als kühn.
»Wir haben eine neue Flugschülerin«, sagte Mel Farrow hastig und lenkte sich ab. Er zündete sich umständlich eine Zigarette an. »Eine gewisse Lady Simpson ist das. Eine Art Fossil, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Uralt also?« Judy Gander lächelte.
»Fast noch älter«, bestätigte Farrow. »Higgins wollte sie fertigmachen, doch als er aus der Kiste kletterte, war er es, der um ein Haar erste Hilfe gebraucht hätte.«
»So gut fliegt sie?«
»Sie hat ’ne Fluglizenz aus dem Jahr 39«, entgegnete Farrow. »Aber sie scheint nichts verlernt zu haben. Sie wird für uns Reklame machen. Lady Simpson ist millionenschwer und hat die besten Verbindungen. Ich bin froh, daß sie hier schulen wird.«
»Um ihre Kenntnisse aufzufrischen, Mister Farrow?«
»Stellen Sie sich vor, sie will auf Düse umschulen!« Mel Farrow holte tief Luft. »Auf was die Leute nicht alles kommen! Es ist nicht zu glauben.«
»Hatte sie nicht einen Butler bei sich?« Judy lächelte amüsiert. »Ich glaube, so etwas gesehen zu haben.«
»Sie hat einen Butler bei sich«, bestätigte Mel Farrow. »Ein verrücktes Gespann. So was sieht man eigentlich nur noch im Film oder im Fernsehen.«
Bevor Judy Gander darauf antworten konnte, waren die Martinshörner eines Feuerwehrwagens und eines Rettungswagens zu hören. Beide Fahrzeuge rasten dicht an der Steinbaracke vorüber und verschwanden in Richtung Straße.
»Was ist denn das?« wunderte sich Mel Farrow. Er lief ans Telefon und rief den Tower an. Nach wenigen Augenblicken wandte er sich zu Judy Gander um, die ihm gefolgt war.
»Da ist ’ne Maschine abgestürzt«, sagte er. »Und vorher soll sie noch Bomben geworfen haben! Bomben! Das kann doch nur ein Irrtum gewesen sein. Wer wirft denn heute noch Bomben über England ab?«
*
»Chief-Inspektor Broken«, stellte der sportlich aussehende Mann sich vor und musterte Lady Simpson und ihren Butler. »Ich bin hier für den Bezirk zuständig. Erzählen Sie mir genau, was passiert ist!«
»Das überlasse ich Mister Parker.« Agatha Simpson deutete auf ihren Butler. »Ich muß erst mal mit meinem Schock fertig werden, junger Mann.«
»Verständlich, Mylady«, erwiderte der Chief-Inspektor und widmete sich Josuah Parker, der eine detaillierte Schilderung des Geschehens lieferte.
»Sie haben die Kiste mit einem Feuerwerkskörper abgeschossen?« fragte Broken schließlich und starrte Parker fassungslos an. »Ich habe mich doch nicht verhört, oder?«
»Mitnichten und durchaus nicht, Sir«, reagierte Parker würdevoll. »Dies geschah in einem Akt der Notwehr, wenn ich es so ausdrücken darf.«
»Und diese Feuerwerkskörper hatten Sie so einfach bei sich, wie?« Broken traute der Darstellung des Butlers nicht, was an sich verständlich war. Ihm waren Lady Simpson und Butler Parker natürlich völlig unbekannt.
»Unter anderem, Sir«, lautete Parkers würdevolle Antwort. »Sie erwiesen sich in dem hier zu behandelnden Fall als ausgesprochen nützlich und wertvoll.«
»Sie wissen, wer die Bomben geworfen hat?«
»Natürlich nicht, Sir.«
»Aber Sie rechneten damit, daß so etwas wie ein Mordanschlag auf Lady Simpson und Sie verübt werden sollte?«
»Dies, Sir, ermag ich mit letzter Sicherheit nicht zu beantworten. Mylady ist manchem Unterweltler, um es mal so auszudrücken, ein Dorn im Auge.«
»Wieso denn das?« Chief-Inspektor Broken schüttelte amüsiert den Kopf.
»Mylady beschäftigt sich in ihrer Freizeit mit der Aufklärung von Kriminalfällen.«
»Sie hat eine Lizenz als Privatdetektiv?« Broken fühlte sich leicht auf den Arm genommen.
»Mylady betreibt dies als eine Art Hobby, Sir.«
»Noch mal zurück zu dem Flugzeug. Sie sind also sicher, daß man so eine Art von Bomben geworfen hat?«
»In der Tat, Sir, es handelte sich, wie ich beobachten konnte, um kanisterähnliche Explosivkörper. Der Zustand der Dammstraße dürfte Bände sprechen.«
»Das allerdings.« Chief-Inspektor Broken sah sich die zerstörte Straße an. »Lady Simpson scheint es da mit einem mächtigen Gegner aufgenommen zu haben. So viel Aufwand!«
»Die Methoden der Unterwelt werden immer rüder, Sir«, pflichtete der Butler dem Chief-Inspektor bei. »Darf ich mir nun erlauben, meinerseits einige Fragen zu stellen?«
»Na bitte, Mister Parker.«
»Konnten die beiden Insassen der Maschine identifiziert werden?«
»Bisher nicht. Daran wird noch gearbeitet.«
»Sie verbrannten nicht in der Maschine?«
»Sie wurden hinausgeschleudert.«
»Den Tod der beiden Flugzeuginsassen bedaure ich selbstverständlich zutiefst.«
»Was werden erst die Leute sagen, die Ihnen diese Maschine auf den Hals gehetzt haben, Mister Parker? Haben Sie daran schon mal gedacht?«
»Man dürfte sehr ungehalten sein, fürchte ich.«
»Das ist stark untertrieben, Mister Parker. Man wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sich für den Abschuß zu rächen. Ich mache Lady Simpson und Ihnen einen Vorschlag: Fahren Sie möglichst schnell zurück nach London, und tauchen Sie dort unter! Noch besser, verlassen Sie England, bis wir die Dinge geklärt haben! Wer ein Flugzeug einsetzt und Sie mit Bomben bewirft, der wird sich noch ganz andere Dinge einfallen lassen, glauben Sie mir.«
Parker unterhielt sich noch eine Weile mit Chief-Inspektor Broken, brachte ihn dann zum Dienstwagen und kehrte zu seiner Herrin zurück, die im Wintergarten des »Golden Horse« ihren Tee nahm. Sie lachte grimmig, als Parker ihr mitteilte, was Chief-Inspektor Broken vorgeschlagen hatte.
»Natürlich werden wir bleiben«, entschied sie dann. »Aber unter uns, Mister Parker, wem haben wir diesen Angriff zu verdanken? Wer könnte sich da gerührt haben?«
»Mylady denken an die Spionageorganisation, die Mylady aufspüren soll?«
»Natürlich denke ich daran. Diese Kerle scheinen etwas gewittert zu haben.«
»Eine bestechende Theorie, Mylady«, stellte Parker höflich fest. »In diesem Zusammenhang sollte man sich auch mal mit Mister Paul Maser befassen. Vielleicht existieren hier Querverbindungen, die sich als interessant erweisen.«
Während Parker noch sprach, erschien eine Hotelangestellte und überbrachte einen Brief, der für Lady Simpson bestimmt war. Parker nahm ihn erst mal in Empfang und begutachtete ihn sorgfältig. Er war zu dünn, um eine kleine Sprengladung enthalten zu können.
»Nun öffnen Sie ihn schon«, drängte die Detektivin. Parker öffnete gemessen und ohne Hast den Umschlag und reichte das Schreiben ungelesen an Lady Simpson weiter.
Sie überflog den Text und stieß dann ein grollendes Räuspern aus, das wie ein fernes, aufkommendes Gewitter klang.
»Eine Unverschämtheit«, sagte sie und reichte Parker das Blatt. Der Butler überflog den Text.
»Eine kollektive Mordandrohung, die Mylady und meine bescheidene Person betrifft«, faßte Butler zusammen. »Dem Ton nach zu urteilen stammt dieses Schreiben aus Kreisen der Unterwelt. Man sollte nicht versäumen, Mister Maser schnellstens aufzusuchen.«
»Glauben Sie, daß er diesen Brief geschrieben hat?«
»Nicht unmittelbar, Mylady, aber er dürfte wissen, wer der Verfasser ist.«
»Und wo finden wir diesen Lümmel?«
»Dies, Mylady, bedarf gewisser Ausforschung«, gab der Butler zurück. »Wenn Mylady erlauben, werde ich mich sofort an die Arbeit machen.«
»Glauben Sie etwa, ich würde hier im Hotel bleiben und die Hände in den Schoß legen?«
»Darf ich daraus schließen, daß Mylady mitzukommen gedenken?«
»Sie dürfen, Mister Parker.« Agatha Simpson stand auf und verwandelte sich sofort in Energie.
»Die Ermittlungen können sich unter Umständen als gefährlich erweisen, Mylady.«
»Das möchte ich aber auch stark hoffen«, schloß sie. »Wir sind ja nicht hierher nach Ipswich gekommen, um uns zu amüsieren, oder?«
*
Paul Maser erinnerte nicht nur an eine Ratte, er verfügte auch über die Gerissenheit und das Mißtrauen eines solchen Nagers.
Sein Ärger nach dem Telefongespräch mit Teddy Tralley war längst verraucht. Er saß in der kleinen Ortschaft Bramford-Village in einer Teestube, von wo aus er die Pension beobachten konnte, in der er wohnte.
Er hatte sich dort als Chefmonteur einer Londoner Drahtfirma eingetragen, der hier für Weidezäune werben wollte. Paul Maser fuhr einen kleinen Kastenlieferwagen, der mit entsprechenden Mustern und Ausrüstungsgegenständen bepackt war. Eine Kontrolle seines Wagens hätte also keinen Verdacht erregt. Er war ein Mann, der elektrische Weidezäune anbot und auch installierte, falls man es wünschte. Seine Londoner Firma existierte ebenfalls. Eine Nachfrage dort hätte alle Angaben bestätigt. Die tatsächliche Firma, für die Maser arbeitete, war sehr gut organisiert und sorgte dafür, daß ihre Mitarbeiter einen durchaus ehrenhaften Hintergrund aufzuweisen hatten.
Da Maser wie eine Ratte dachte, saß er in der Teestube.
Nach seinem Gespräch mit Teddy Tralley war er mißtrauisch und vorsichtig geworden. Er ärgerte sich nachträglich darüber, Tralley informiert zu haben. Das konnte, wie er jetzt glaubte, tödlich sein. War er jetzt nicht zu einem echten Sicherheitsrisiko für die Organisation geworden?
Er trank seine dritte Tasse Tee und wartete geduldig. Er hatte das Gefühl, daß bis zum Erscheinen der angekündigten Spezialisten nicht mehr viel Zeit verstrich. Dann würde es sich ja zeigen, wie falsch oder richtig er mit seinen Bedenken lag.
Als ihm die vierte Tasse Tee von der mürrischen Bedienung serviert worden war, drückte er seine gerade angerauchte Zigarette aus und beugte sich vor, um die gegenüberliegende Pension besser beobachten zu können.
Vor dem einfachen Haus hielt nämlich ein staubbedeckter Ford, dem zwei Männer entstiegen. Paul Maser hatte sie zwar noch nie gesehen, doch er merkte sofort, daß sie aus seiner Branche stammten. Sie bewegten sich betont unauffällig, sahen sich vorsichtig nach allen Seiten um und betraten dann die Pension.
Maser zündete sich die nächste Zigarette an, ohne es zu merken. Wieso kreuzten diese beiden Männer in der Pension auf? Weshalb suchten sie direkten Kontakt? Das war eigentlich gegen die normalen Spielregeln. Hatten sie es so eilig, einen Schlußstrich zu ziehen? Standen sie etwa unter Zeitdruck?
Natürlich blieben sie nicht lange.
Sie erschienen wieder vor dem Haus, gingen auf den Ford zu und übersahen den Kastenlieferwagen, der auf dem kleinen Parkplatz der Pension stand. Sie setzten sich in den Ford und fuhren davon. Maser verließ den Tisch, ging hinüber an das kleine Eckfenster der Teestube und sah dem Ford nach. Er erschien nach wenigen Augenblicken auf dem Marktplatz und hielt dort am Straßenrand. Die beiden Männer blieben im Wagen. Von ihren Plätzen aus konnten sie die Pension gut überblicken.
Nein, das war kein Höflichkeitsbesuch!
Paul Maser wußte Bescheid. Er war für die Organisation tatsächlich zu einem Sicherheitsrisiko geworden. Man wollte ihn erledigen, bevor dieser verdammte Butler Parker über ihn, Maser, sich an die Organisation heranmachen konnte. Wahrscheinlich war es aus Teddy Tralleys Sicht einfacher, als sich mit dem Butler anzulegen.
Maser war noch nicht mal sauer, als er dies erkannt zu haben glaubte. So ging es nun mal in einem Laden zu, wie er dachte, in dem Riesenumsätze gemacht wurden und in dem man selbst auch prächtig verdiente. Wenn diese Umsätze in Gefahr gerieten, wurde man halt abserviert...
An Verrat oder Rache dachte Paul Maser nicht. So etwas wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Jetzt half nur schnelles Absetzen. Er mußte aus dieser Gegend verschwinden und irgendwo auf der Insel untertauchen. Vielleicht war Schottland das richtige Fleckchen Erde, um erst mal in volle Deckung zu gehen. Geld hatte er ausreichend in seiner Brieftasche. Außerdem existierte schließlich ein Konto, an das nur er allein herankonnte. Für ein paar Monate reichte das. Danach konnte man ja wieder Kontakt mit Tralley aufnehmen und so beweisen, daß man doch kein Sicherheitsrisiko darstellte. Zu diesem Zeitpunkt mußten die Spezialisten Butler Parker und die schrullige Lady längst erwischt haben...