Читать книгу Butler Parker 133 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3

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Lady Agatha Simpson erlitt einen etwas aufgesetzt wirkenden Hustenanfall, als der Geistliche volltönend und überzeugend von der guten Seele sprach, die jetzt ihre letzte Ruhe gefunden habe. Der rosig aussehende Mann der anglikanischen Kirche ließ sich weitschweifig über das Leben der Verstorbenen aus und rühmte ihre Gutherzigkeit und Lauterkeit, ihre Charakterstärke und ihren Gemeinsinn.

Butler Parker, ein Mann undefinierbaren Alters, vielleicht ein wenig vollschlank, etwas über mittelgroß und mit dem ausdruckslosen Gesicht eines gewieften Pokerspielers, wußte sehr wohl, was dieser Hustenanfall ausdrückte: Mylady war erheblich anderer Meinung als der Geistliche, der es wohl nicht besser wußte.

Josuah Parker war mit Mylady auf den altehrwürdigen Dorffriedhof vor den Toren der Millionenstadt London gefahren, wo man Lady Bushter zur letzten Ruhe geleitete. Die Trauergemeinde war schon riesig zu nennen. Der Blut- und Geldadel Englands, mit dem Agatha Simpson eng verschwistert und verschwägert war, hatte sich ein Stelldichein gegeben.

Auf dem kleinen Parkplatz vor dem Friedhof standen dicht an dicht die teuersten Nobelmarken der Fahrzeugindustrie.

Parker langweilte sich ein wenig, doch er hätte sich nie gestattet, dies optisch auszudrücken. Sein Gesicht war ausdruckslos, seine kühlgrauen Augen hingegen blickten interessiert und wachsam. Er hatte sich, wie er sich eingestand, ein wenig ablenken lassen. Weit im Hintergrund, neben einem alten Grabstein unter einer noch älteren Linde, stand ein junger Mann, natürlich ebenfalls korrekt in Schwarz gekleidet. Dieser etwa dreißigjährige Mann schien entweder verstohlen Radio zu hören oder aber gewisse Funkdurchsagen zu erledigen. Ob der junge Trauernde nun ein kleines Transistorradio in der Hand hielt oder ein Funksprechgerät, ließ sich wegen der Entfernung nicht eindeutig klären.

Parker wurde schließlich doch abgelenkt.

Der Sarg war bereits ins Grab gesenkt worden, und Lady Simpson wurde ungeduldig.

»Gehen wir«, sagte sie zu ihrem Butler. »Mein Bedarf an Lobreden ist reichlich gedeckt.«

»Mylady waren und sind offensichtlich anderer Meinung als der Geistliche?« fragte Parker in gewohnt höflicher Art.

»Dieser Geistliche muß die falsche Beerdigung betreut haben«, antwortete Lady Agatha mit ihrer dunkel getönten Baritonstimme, die weit trug und die sie absolut nicht zu dämpfen gewillt war. »Die Verblichene war geizig, ein Klatschweib und verschlagen. Das weiß doch jeder hier.«

»Über Tote, so sagt ein lateinisches Sprichwort, Mylady, wenn ich darauf verweisen darf, soll man nur Gutes reden«, gab der Butler gemessen zurück.

»Papperlapapp«, raunzte seine Herrin. »Verschonen Sie mich mit Ihren Sprüchen, Mr. Parker!«

»Werden Mylady an der anschließenden Feier im privaten Kreis teilnehmen?«

»Das fehlte noch!« Sie schüttelte grimmig den Kopf. »Ich kann diese Heuchelei nicht ertragen. Wir fahren selbstverständlich zurück in die Stadt.«

»Wie Mylady wünschen.« Parker lüftete höflich seine schwarze Melone und geleitete die ältere Dame, die vor Jahren beschlossen hatte, ihr Alter mit sechzig anzugeben, zum Parkplatz. Agatha Simpson war eine majestätische Dame, die an die Walküre einer Wagner-Oper erinnerte. Sie sah erstaunlich rüstig aus, ja sie wirkte geradezu dynamisch. Sie trug ein schwarzes Kostüm und einen schwarzen Hut, der an einen Südwester erinnerte. Sie war eine skurrile Erscheinung, doch das machte ihr nichts aus. Sie lebte ihr Leben und scherte sich den Teufel darum, wie andere Menschen über sie dachten. Sie konnte sich ihre Exaltiertheit leisten, denn sie war eine immens reiche Frau.

Inmitten der Nobelkarossen auf dem Parkplatz stand ein ungemein schäbig aussehendes Londoner Taxi älterer Bauart. Es handelte sich um Parkers Privatwagen, der allerdings nach seinen sehr eigenen Wünschen technisch umgestaltet worden war. Lady Simpson nahm im Fond Platz und zerrte sich den schwarzen »Südwester« vom Kopf.

»Ich brauche etwas für meinen Kreislauf«, forderte sie von Parker. »Diese Lobhudeleien sind mir auf den Magen geschlagen.«

Butler Parker wußte, was dagegen zu tun war.

Aus der Innentasche seines schwarzen Zweireihers holte er eine flache Taschenflasche hervor, die in schwarzes Leder gehüllt war. Er schraubte den Verschluß ab, der dann als Silberbecher diente, und reichte Lady Agatha einen alten Kognak, den sie geübt wie ein Fuhrmann kippte.

»Das ist schon besser«, sagte sie. »So, und jetzt zurück nach Shepherd’s Market, Mr. Parker, mag man von mir denken, was man will. Was ist denn?«

»Sofort, Mylady«, erwiderte Parker. »Mylady mögen verzeihen, daß ich mich ablenken ließ. Der junge Trauernde dort scheint von seinem Transistorgerät förmlich hingerissen zu sein, wenn ich es so ausdrücken darf.«

Parker wandte den Blick ab von dem Mann, der wahrscheinlich der Übertragung eines Fußballspiels lauschte und jetzt langsam zu den Nobelwagen hinüberschlenderte, wo er dann hinter einem Daimler verschwand.

*

Sir Edward Lime gehörte zu den illustren Trauergästen und hielt es für seine selbstverständliche Pflicht, der kleinen Feier beizuwohnen. Er war mit dem Haus Bushter weitläufig verwandt und konnte sich dieser Ehrenpflicht nicht entziehen. Zusammen mit den übrigen Trauergästen saß er im Saal des Bushter-Anwesens und stocherte gelangweilt in dem Apfelkuchen herum, den man als kleinen Imbiß serviert hatte.

Sir Edward, ein gestandener Endfünfziger, untersetzt, bullig, war froh, als einer der Hausangestellten an ihn herantrat und ihm meldete, in der Halle des Hauses erwarte ihn dringend sein Fahrer. Da sei etwas mit dem Wagen geschehen.

Sir Edward erhob sich, entschuldigte sich bei seinen Sitznachbarn und eilte erleichtert aus dem düsteren Saal. Er nahm sich vor, nicht wieder zurückzukehren. Er wollte sich eine Zigarre anzünden und ein wenig durch den Park des Bushter-Landsitzes schlendern.

Sein Fahrer hieß Harry Linson – ein mittelgroßer, schlanker Mann, vierzig Jahre alt, zuverlässig wie eine Schweizer Präzisionsuhr – und kam ihm zitternd vor Empörung entgegen.

»Was gibt’s denn, Harry?« erkundigte sich Sir Edward jovial. »Mann, Sie sehen ja aus, als hätte man den Wagen total zusammengefahren.«

»Was auch der Fall ist, Sir!« Harry Linsons Stimme zitterte vor Erregung. »Grundlos, Sir, bestimmt. Er ist absichtlich angefahren worden. Ich habe es ganz deutlich gesehen.«

»Und wer hat das getan?« Sir Edward geriet nun ebenfalls in Empörung, denn er fuhr einen sehr teuren Rover, der ein kleines Vermögen gekostet hatte. Und als Bankier schielte Sir Edward auf den Cent.

»Zwei junge Strolche, Sir«, antwortete Fahrer Linson. »Und sie behaupten, ich hätte die Schuld.«

»Das wollen wir doch mal sehen!« Sir Edward nahm ruckartig den Kopf vor und damit seine typische Kampfhaltung ein. Begleitet von seinem Fahrer, ging er zum rückwärtigen Parkplatz, wo sich die Chauffeure der übrigen Staatskarossen bereits um den Rover versammelt hatten und den Fall diskutierten.

Die Fahrer traten respektvoll zurück und stellten ihre Unterhaltung ein, als Sir Edward auf dem Plan erschien. Er wandte sich den beiden jungen Männern zu, die neben ihrem uralt aussehenden Ford standen und den Schaden besichtigten.

Der teure Rover war schlimm zugerichtet worden.

Der Uraltford hatte ihn seitlich gerammt und beide Türen eingedrückt. Der Ford zeigte hingegen erstaunlich wenig Sachschaden, nur sein linker Kotflügel war eingebeult.

Die beiden Männer mochten zwischen achtundzwanzig und dreißig Jahre alt sein. Sie trugen sportliche Anzüge, gaben sich lässig und verfügten durchaus über Manieren, wie sich zeigte.

»Hier, meine Karte, Sir Edward«, sagte der jüngere der beiden Männer. »Bevor wir uns beschimpfen, sollten wir uns kennen, denke ich.«

Sir Edward Lime nahm die Karte entgegen, überflog den Aufdruck und ... schluckte dann. Er schaute hoch, sah die beiden jungen Männer an und ... schluckte erneut.

»Schon gut, Harry«, sagte er dann, sich an seinen Fahrer wendend. »Ich werde das mit den beiden Herren regeln. Sie können wieder zurück zum Tee gehen. Sie übrigens auch!«

Er meinte damit eindeutig die übrigen Fahrer, die sich daraufhin zusammen mit Harry Linson zurück in die Küche des Hauses begaben, wobei man leise das, seltsame Verhalten des Sir Edward Lime diskutierte, der für sein cholerisches Temperament bekannt war.

»Wir werden uns schnell einigen«, sagte nun der ältere der beiden Fordfahrer lächelnd. »Ich denke, der Schaden an unserem Wagen beträgt etwa zehntausend Pfund.«

»Eine Kleinigkeit, wenn man bedenkt, wie teuer seine Anschaffung war«, fügte der jüngere hinzu und lächelte ebenfalls.

»Zehn... zehn...«

»Zehntausend Pfund«, wiederholte der ältere der beiden Fordfahrer. »Damit ist der Fall für uns dann auch schon vergessen. Ich denke, so billig kommen Sie normalerweise nicht davon, wie?«

»Ich ... ich habe keine zehntausend Pfund bei mir«, gab Sir Edward Lime zurück.

»Das macht doch nichts.« Der jüngere der beiden Fordfahrer winkte freundlich und beruhigend ab. »Überweisen Sie den kleinen Betrag an unseren Büroboten!«

»Und zwar sofort«, sagte der andere Fordfahrer. »Wie wir uns das vorstellen, sagen wir Ihnen noch genau, Sir Edward. Glauben Sie uns, das klappt nahtlos, wir haben da bereits unsere Erfahrung.«

»Vergessen Sie nicht, Sir Edward, was unsere Visitenkarte verrät«, schloß der andere Fahrer freundlich. »Die Berufsbezeichnung stimmt haargenau!«

*

Basil Lefka und seine Frau befanden sich auf der Heimfahrt und unterhielten sich über die Trauerfeier. Sie waren übereinstimmend der Ansicht, daß der Sekt billig, der Portwein schlecht, der Sherry zu süß und der Apfelkuchen einfach schlecht gewesen war, von dem gereichten Gebäck mal ganz zu schweigen.

Auch sie hatten notgedrungen an der Trauerfeier teilgenommen und sich in Anbetracht ihrer gesellschaftlichen Position nicht vorzeitig verabschieden können. Sie besaßen nur Geld, dafür aber leider keinen Titel. Sie gehörten am Rande mit dazu, wie es in den Klatschspalten der Boulevardzeitungen hieß. Basil Lefka machte sein Geld im Ölgeschäft und verdiente beträchtlich. Der stets ein wenig schwitzende Mann, dessen Vorfahren aus Griechenland stammten, hätte sich selbstverständlich einen Fahrer leisten können, doch an seinen neuen Rolls ließ er keine fremde Hand. Am liebsten hätte er diesen teuren Wagen sogar noch selbst gewaschen.

In gemächlichem Tempo fuhr er über die schmale Straße, um über die breite Chaussee dann später zurück nach London zu kommen. Er lästerte gerade verächtlich über den Adel, den er aus nächster Nähe genossen hatte, und achtete nicht weiter auf den ramponierten Ford, der aufholte, energisch hupte und ihn überholen wollte, obwohl es gerade an dieser Stelle der Straße fast so gut wie unmöglich war. Erst als der Ford ihm sehr unsanft gegen den hinteren rechten Kotflügel schrammte, fuhr Lefka zusammen, fluchte fürchterlich und riß seinen schweren Wagen zur Seite.

Er kam automatisch mit der linken Wagenseite in Konflikt mit der Steinmauer, die hier als Straßenbegrenzung diente, wurde überholt und erlebte Sekunden später seine zweite, böse Überraschung. Der Ford, der ihn gerade überholt hatte, bremste ohne Grund scharf ab. Bevor Lefka reagieren konnte, fuhr er auf und demolierte das Heck des vorausfahrenden Wagens.

Zwei sportlich gekleidete Männer im Alter zwischen achtundzwanzig und dreißig Jahren stiegen aus und lächelten neutral, als Lefka sie mit einer Flut von Schimpfworten belegte.

»Erst mal unsere Karten«, sagte der jüngere der beiden Fordfahrer und reichte Lefka eine Visitenkarte, die ein wenig groß ausgefallen war. Lefka griff automatisch zu, überlas den Text und... schluckte kaum weniger als ein gewisser Sir Edward Lime.

»Was ... was soll das heißen?« fragte er schließlich mit heiserer Stimme.

»Sie können doch lesen, oder?« erkundigte sich der zweite Fordfahrer lächelnd.

»Ja, aber da steht doch, daß Sie ein... Inkassobüro betreiben.«

»Killer und Company«, bestätigte der jüngere der beiden Fordfahrer und nickte. »Wie Sie lesen können, schießen wir bei Nichterfüllung unserer Vertragsbedingungen.«

»Ich ... ich verstehe immer noch nicht.«

»Sie haben unseren Wagen, der uns sehr teuer ist, sinnlos gerammt«, rügte der ältere. »Aber ich denke, nach Zahlung von fünfzehntausend Pfund wollen wir die Affäre vergessen.«

»Fünfzehntausend Pfund für Ihre jämmerliche Kiste?« entrüstete sich Basil Lefka und sah rot. Das heiße Blut seiner Vorfahren geriet in Wallung. »Das ist doch Straßenraub, das ist glatte Erpressung! Sie glauben doch wohl nicht, daß ich...«

Er beendete den Satz nicht.

Es zeigte sich, daß Basil Lefka sehr flink war, obwohl er danach gar nicht aussah. Er schlug blitzschnell mit seiner Linken zu und traf den älteren der beiden Fordfahrer hart am Kinn. Der Fahrer taumelte zurück, stolperte und fiel zu Boden.

Der jüngere Fordfahrer reagierte nun ebenfalls. Er hielt plötzlich eine schallgedämpfte Pistole in der rechten Hand und schoß ohne jede Vorwarnung.

Lefka blieb für einen Bruchteil einer Sekunde unbeweglich stehen, faßte dann mühsam nach seiner rechten Schulter, fiel auf die Knie und dann seitlich auf die Straße.

Seine Frau schrie gellend, doch die beiden Männer schien das überhaupt nicht zu kümmern. Der Schütze beugte sich über den am Boden liegenden Lefka und sagte etwas eindringlich zu ihm, er sagte es in einer penetranten Mischung aus Höflichkeit und Drohung. Dann stiegen die beiden Verbrecher zurück in den Ford und waren kurz danach hinter der nächsten Straßenbiegung verschwunden.

*

Kathy Porter hatte am Begräbnis nicht teilgenommen.

Sie war im Haus der Lady Agatha Simpson in Shepherd’s Market geblieben, um wichtige Post aufzuarbeiten, die Mylady ihr diktiert hatte.

Sie hatte diese Arbeit in der kleinen Bibliothek des Hauses gerade beendet, als an der Haustür geläutet wurde. Kathy Porter, eine attraktive Erscheinung, die jedoch an ein scheues Reh erinnerte, ging in den Vorflur und schaltete das kleine Fernsehgerät ein. Auf dem Bildschirm waren zwei in Overalls gekleidete Männer zu sehen, die einen ordentlichen Eindruck machten. Hinter ihnen am Straßenrand stand ein Möbelwagen.

Kathy schaltete das Gerät ab und öffnete die Tür, ohne jedoch die Spezial-Sicherheitskette zu lösen.

»Bitte?« fragte sie höflich.

»Mach auf, Süße«, sagte einer der Packer lässig. »Wir wollen die Vitrine abholen.«

»Die Vitrine?« Kathy Porter hatte keine Ahnung, um was es sich handelte.

»Die Vitrine, Mädchen«, sagte der zweite Packer. »Hier is’ doch bei Lady Simpson, oder?«

»Allerdings.« Kathy Porter nickte.

»Sie hat angerufen. Das Ding soll renoviert werden.«

»Nun mach endlich«, drängte der erste Packer. »Wir wollen noch vor Feierabend zurück in der Firma sein.«

Kathy Porter nickte verschüchtert, löste die Sicherheitskette und ließ die beiden Männer herein. Sie trat zur Seite, damit sie durch den Vorraum in die Wohnhalle gehen konnten.

»Welche Vitrine meinen Sie denn?« fragte Kathy Porter dann. »Mylady hat mir nichts gesagt.«

»Kann sie auch nicht, Süße«, sagte der erste Packer, ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, mittelgroß und schlank.

»Nun paß mal genau auf, Mädchen«, setzte der zweite Packer hinzu, der knapp zwanzig Jahre alt schien und nett aussah. »Wir werden dich jetzt im Keller einschließen. Und dann ist alles bereits überstanden.«

»Im Keller einschließen?« Kathy Porter sah die beiden Möbelpacker aus großen Augen an.

»Im Keller!« Der erste von den beiden Eindringlingen nickte. »Dir passiert überhaupt nichts. Wir möchten nur unsere Ruhe haben, wenn wir die Bude ausräumen. Ist das in dein kleines Köpfchen reingegangen?«

»Sie... Sie wollen stehlen?« Kathy Porter schnappte nach Luft.

»Abräumen«, sagte der zweite Packer. »So, und jetzt zeig uns mal ’nen netten, passenden Keller, bevor wir ärgerlich und böse werden.«

»Aber Mylady wird gleich zurückkehren!« Kathy Porter war in Panik geraten.

»’nen Dreck wird sie.« Der ältere Mann lachte. »Die treibt sich noch auf ’ner Trauerfeier draußen auf dem Land rum, stimmt doch, wie?«

Kathy Porter senkte nur den Kopf.

»Na also.« Der jüngere Möbelpacker hielt plötzlich ein Messer in der Hand. »Gehen wir jetzt, oder möchtest du erst angebohrt werden, Hübsche?«

»Nein, nein!« Kathy Porter hob abwehrend und total verängstigt beide Arme, um ... dann blitzschnell und hart zuzuschlagen. In der Kunst des Karate wohlerfahren, wußte sie sehr genau, wo sie ihre Schläge anzubringen hatte.

Die beiden Burschen gurgelten ein wenig, rissen nun ihrerseits die Augen auf und legten sich dann zu Kathys Füßen nieder, ohne weiter in Konversation zu machen. Wozu sie übrigens auch gar nicht mehr in der Lage gewesen wären, denn sie waren bereits ohnmächtig, bevor sie auf dem gepflegten Teppich landeten.

*

»Was ist denn, Mr. Parker?« fragte die Detektivin grollend. »Geht es wirklich nicht schneller? Fühlen Sie sich nicht in Form? Möchten Sie, daß ich das Steuer übernehme?«

»Mylady dürfen versichert sein, daß es meiner bescheidenen Person ausgezeichnet geht«, antwortete Parker. »Mein Interesse gilt einem grauen Ford, der uralt zu sein scheint.«

»Aha.« Ihre Stimme besänftigte sieh sofort. »Werden wir verfolgt? Das wäre eine nette Abwechslung.«

»Nach einer gewissen Verfolgung sieht die Situation zweifelsfrei aus, Mylady.«

»Können Sie die Insassen im Ford erkennen, Mr. Parker?«

»Es handelt sich um zwei Personen männlichen Geschlechts, Mylady.«

»Dann tun Sie etwas, Mr. Parker. Ich möchte wissen, woran ich bin.«

»Meiner bescheidenen Ansicht nach werden die Fordfahrer bereits aktiv, Mylady.«

Agatha Simpson nahm ungeniert ihren Kopf herum und schaute durch das Rückfenster von Parkers Monstrum nach hinten. Nun konnte auch sie den zerbeulten, tatsächlich sehr alten Ford sehen, der schnell näher kam und überholen wollte.

Sie sah auch die beiden Fahrer. Sie waren ihrer Schätzung nach zwischen achtundzwanzig und dreißig Jahre alt und hatten fast identisch geschnittene Frisuren und blondes Haar.

Parker war keine Sekunde lang aus seiner sprichwörtlichen Ruhe geraten. Verfolgungen aller Art und Härte waren ihm wohlvertraut. Sein hochbeiniger Wagen war zudem eine Trickkiste auf Rädern. Er verfügte über eine Fülle von Möglichkeiten, um lästigen Angreifern begegnen zu können.

Agatha Simpson als passionierte Detektivin freute sich ehrlich auf ein kleines Intermezzo. Sie war eine energische Dame, die sich einem riskanten Hobby verschrieben hatte: Sie löste Kriminalfälle und hatte die Eigenart, stets für die verrücktesten und gewagtesten Verwicklungen zu sorgen.

Der Ford hatte inzwischen dicht aufgeschlossen und überholte. Die beiden Fahrer schienen sich für die Insassen des ehemaligen Londoner Taxis überhaupt nicht zu interessieren. Sie unterhielten sich und merkten gar nicht, wie sie Parkers Monstrum von der Fahrbahn abdrängten.

Das heißt, sie versuchten es vielleicht, doch sie hatten damit wenig Erfolg. Parker hatte um die Schönheit seines Privatwagens noch nie gefürchtet. Zudem handelte es sich ja inzwischen um eine Spezialausführung. So bestanden die Kotflügel längst nicht mehr aus dem üblichen, dünnen Blech, sondern aus einer kaum verformbaren Stahllegierung.

Parker behielt also seinen Kurs bei, obwohl die Straße schmal war, zog sogar seinerseits ein wenig nach rechts und versetzte dem Ford einen leichten Stoß.

Jetzt schien der Kontrahent erst zu merken, wie unachtsam er gewesen war. Er bog weg, geriet leicht ins Schleudern und hatte Mühe, seinen Ford auf der Straße zu halten. Parker, ein durch und durch höflicher Mensch, lüftete seine schwarze Melone in Richtung Fordfahrer.

Ihm entging nicht das schier grenzenlose Erstaunen des Mannes, der solch einen Gruß sicher nicht erwartet hatte. Dann gab der Fahrer Vollgas und jagte los, als säße ihm der Satan persönlich im Genick. In halsbrecherischem Tempo raste der Ford auf eine scharfe Kurve zu, nahm sie mit Mühe und Glück und verschwand.

»Was sagen wir denn dazu, Mr. Parker?« wollte die ältere Dame enttäuscht von ihrem Butler wissen. »Sehr eigenartig, dieses Benehmen. Die beiden Lümmel tun ja gerade so, als hätten sie’s plötzlich mit der Angst bekommen.«

»Ich möchte mich erkühnen, Myladys Ansicht zu teilen«, antwortete Josuah Parker.

»Warum fahren Sie diesen beiden Flegeln nicht nach?« Lady Simpson geriet in Jagdfieber. »Ich spüre es in den Fingerspitzen, Mr. Parker, hier haben wir es mit einem neuen Fall zu tun.«

»Wie Mylady wünschen.«

Parker brachte das hochbeinige Monstrum auf Touren, wozu allerdings nicht viel nötig war. Unter der eckigen Motorhaube befand sich ein hochgezüchteter Motor, der in einen Tourenrennwagen gepaßt hätte. Auch wegen der Straßenlage brauchte der Butler sich keine Sorgen zu machen. Das ehemalige Londoner Taxi verfügte über Achsaufhängungen, die es ebenfalls nur im Rennsport gab. Parker verwandelte das eckig und antiquiert aussehende Monstrum also in eine Art rasenden Pfeil und nahm die Verfolgung auf.

Lange dauerte diese Jagd nicht.

Schon nach wenigen Minuten war der Uraltford zu sehen. Er stand auf einem Parkplatz, der bereits zur Ausfallstraße gehörte. Von den beiden Fahrern war weit und breit keine Spur.

»Was ich Ihnen gesagt habe«, meinte Lady Agatha. »Ein geheimnisvoller Kriminalfall. Wäre Ihr Reaktionsvermögen besser, Mr. Parker, hätten wir die beiden Kriminellen bestimmt erwischt.«

»Wie Mylady meinen.« Parker ließ sich natürlich nicht aus der Ruhe bringen. Er kannte die Tonart seiner Herrin und amüsierte sich insgeheim über sie. Was die beiden angeblichen Kriminellen betraf, so war das letzte Wort sicher noch nicht gesprochen ...

*

»Wiederholen Sie das noch mal, Kindchen«, verlangte Lady Simpson erfreut. »Sie haben zwei Subjekte außer Gefecht gesetzt?«

»Sie wollten angeblich eine Vitrine abholen, Mylady.«

»Ein Vorwand.« Agatha Simpson strahlte.

»Ein Vorwand, Mylady, um, wie sie sagten, das Haus leer zu räumen. Ich hielt es für richtig, sie erst mal in den Keller zu sperren.«

»Das lobe ich mir, Kindchen.« Lady Agatha nickte wohlwollend. »Ich will nicht hoffen, daß Sie die Polizei verständigt haben.«

»Natürlich nicht, Mylady.«

»Hübsch, sehr hübsch, Kathy.« Agatha Simpson wandte sich an ihren Butler. »Was halten Sie von der Geschichte, Mr. Parker? Sie schweigen wieder mal so bedeutungsvoll.«

»Es lag mir fern, Mylady vorgreifen zu wollen.«

»Und was halte ich von dieser Geschichte?«

»Es scheint sich um die Wiederholung eines sattsam bekannten Gaunertricks zu handeln, Mylady.«

»Genau das ist meine Meinung.« Mehr sagte die Detektivin jedoch nicht. Sie hatte nämlich keine Ahnung, um welchen Trick es sich handelte.

»Sogenannte Packer oder auch Abstauber, Mylady, verschaffen sich unter irgendeinem Vorwand Zutritt in eine Wohnung oder in ein Haus, um es dann leer zu räumen. Das Interesse dieser Gauner richtet sich natürlich auf Häuser, die mehr oder weniger teuer und kostbar eingerichtet sind« Bei dieser Gelegenheit werden auch recht gern Sammlungen aller Art mitgenommen.«

»Das alles wußte ich gleich.« Agatha Simpson lächelte überlegen. »Das drängte sich ja förmlich auf.«

»Etwas Ähnliches habe ich in einem Fernsehkrimi gesehen«, schaltete Kathy Porter sich ein. »Darum wurde ich auch sofort mißtrauisch.«

»Diese Arbeitsmethode ist eigentlich veraltet«, redete Parker weiter. »Eine Organisation hier in der Stadt scheint sie neu beleben zu wollen.«

»Woher wissen diese ›Packer‹ denn, wo sie Beute machen können?« Lady Simpson merkte ein wenig zu spät, daß ihre Frage verriet, wie wenig sie informiert war. Sie korrigierte sich schnell. »Ich möchte nur mal wissen, ob Sie auch vollkommen orientiert sind, Mr. Parker.«

»Entweder werden die betreffenden Wohnungen oder Häuser überwacht, Mylady, oder aber man wählt dazu passende Gelegenheiten wie Hochzeiten, Begräbnisse oder andere Feierlichkeiten. Die entsprechenden Daten und Anlässe entnimmt man den Gesellschaftsspalten der Presse.«

»Die Beerdigung Lady Bushters, nicht wahr?« Jetzt bekam die ältere Dame prompt Oberwasser.

»Durchaus, Mylady, dies scheint im vorliegenden Fall der Anlaß gewesen zu sein.«

»Diese beiden Subjekte im Keller werden was erleben«, versprach die Hausbesitzerin grimmig.

»Erlauben Mylady einen Nachtrag?« erkundigte Parker sich gemessen.

»Natürlich. Mir ist aufgefallen, daß Sie ein wichtiges Detail vergessen haben.« Es war ihr natürlich überhaupt nicht aufgefallen, aber das hätte sie niemals zugegeben.

»Ich darf an den jungen Mann auf dem Dorffriedhof erinnern, Mylady, der einer Radioübertragung zu lauschen schien.«

»Ein pietätloser Flegel! Ich kann mich erinnern.«

»Es handelte sich nicht um ein Transistorradio, Mylady, sondern um ein Funksprechgerät, wie ich jetzt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unterstellen möchte. Der junge Mann informierte seine Handlanger hinsichtlich der Zeitvorgaben und Adressen.«

»Das ahnte ich gleich.«

»Es steht zu befürchten, Mylady, daß noch andere Wohnungen besucht und möglicherweise ausgeräumt wurden.«

»Das werden Sie feststellen, Mr. Parker. Sie kennen ja die Liste der Trauergäste. Und jetzt werde ich Ihnen etwas sagen, was Sie völlig übersehen haben.«

»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit höchst erwartungsvoll und gespannt.«

»Die beiden Fordfahrer«, antwortete die ältere Dame. »Die gehörten natürlich ebenfalls dazu, aber das ist Ihnen natürlich entgangen.«

Parker war zwar anderer Meinung, doch er widersprach nicht. Er verbeugte sich nur andeutungsweise und geleitete seine Herrin dann hinüber in die Wohnhalle, von dort ins Souterrain, um dann mit ihr hinunter in die eigentlichen Kellerräume zu gehen. Agatha Simpson wollte nämlich mit ihrem Verhör beginnen.

*

Sie standen unter Dampf, die beiden »Packer«.

Sie hatten etwa knapp zwei Stunden in dem halbdunklen Keller zugebracht und sich zuerst mal ausgiebig und gegenseitig mit Vorwürfen bedacht. Danach waren sie etwas ruhiger geworden, hatten das »scheue Reh« verflucht, das sie hereinlegte, und brannten nun darauf, zur Sache zu kommen. Als zwei Riegel vor der Tür bewegt und der Schlüssel herumgedreht wurde, sahen sie ihre Gelegenheit gekommen. Sie hatten sich vorher alles genau zurechtgelegt und bauten sich links und rechts von der Tür auf. Sie wollten diesmal schneller sein und blitzartig angreifen. Noch mal durfte es für sie keine Panne geben.

Die Tür öffnete sich, und eine Gestalt schob sich in den spärlich beleuchteten Raum.

Die beiden Ganoven warfen sich auf diese Gestalt und ... begriffen viel zu spät, daß sie auf einen simplen Trick hereinfielen. Ihr Opfer entpuppte sich als eine Kleiderpuppe, die sich einfach alles gefallen ließ. Sie krachten mit ihr zu Boden, schlugen wild um sich und musterten sich schließlich ziemlich dumm und ernüchtert.

»Was sollen diese Albernheiten?« fragte dann eine grollende, dunkle Frauenstimme. »Benehmen Sie sich gefälligst wie erwachsene Menschen!«

Während die Gefangenen diese Stimme hörten, strahlte die Deckenbeleuchtung hell auf und zeigte eine majestätisch anmutende Lady, die ein Tweedkostüm trug und wie eine Heroine vergangener Zeiten aussah. Am rechten Handgelenk der Dame baumelte ein perlenbestickter Pompadour, eines jener Handbeutelchen, wie man es in der Gesellschaft um die Jahrhundertwende benützt hatte.

Die beiden »Packer« waren fassungslos.

Mit solch einem Besuch hatten sie nicht gerechnet. Sie standen langsam auf, schoben die Kleiderpuppe zur Seite und kamen sich ein wenig hilflos vor.

»Wie ich hörte, wollten Sie mein Haus leer räumen«, sagte Lady Agatha streng. »So etwas habe ich gar nicht gern.«

»Wer... wer sagt denn das?« fragte der ältere der beiden Männer gereizt.

»Meine Gesellschafterin«, gab Lady Simpson zurück. »Leugnen ist sinnlos! Ihre Unterhaltung wurde automatisch auf Band aufgezeichnet.«

»Blödsinn«, brauste der jüngere »Packer« auf. »Das ist ’n Mißverständnis. Wir haben uns vielleicht in der Adresse geirrt, aber das is’ auch schon alles.«

»Das ist Freiheitsberaubung und heimtückische Körperverletzung von Ihrer Gesellschafterin gewesen«, fügte der erste »Packer« hinzu und ... wurde ausgesprochen leichtsinnig.

Er sah eine ältere Dame vor sich, die seiner Ansicht nach leicht zu beeindrucken sein mußte. Der »Packer« hatte also noch nicht ganz seinen Satz beendet, als er Agatha Simpson förmlich ansprang. Er setzte seine ganze Jugend und seinen ganzen Schwung in diesen Sprung und hatte Bruchteile von Sekunden später das sichere Gefühl, von einem auskeilenden Pferd getreten worden zu sein.

Er hatte überhaupt nicht bemerkt, daß Lady Simpson ihren Pompadour blitzschnell hochgerissen hatte. Da sich in ihm Myladys »Glücksbringer« befand, war der Vergleich mit einem Huftritt noch nicht mal so abwegig. Im Pompadour befand sich nämlich ein echtes Hufeisen, das aus Gründen der Humanität nur leicht mit Schaumstoff umwickelt war.

Der getroffene »Packer« schlug einen halben, mißglückten Salto rückwärts und krachte zu Boden. Er japste anschließend nach Luft und blickte seine Gegnerin aus schielenden Augen an.

Der zweite »Packer«, der ebenfalls einen Angriff wagen wollte, nahm deshalb Abstand von seinem Vorhaben, hob zum Zeichen frühzeitiger Aufgabe die Arme und wich langsam gegen die Kellerwand zurück.

»Schon gut, Mylady, schon gut«, sagte er hastig. »War ja nicht so gemeint. Vielleicht kann man sich einigen, ja?«

»Das klingt schon besser.« Agatha Simpson nickte wohlwollend. »Dann erzählen Sie mal, junger Mann! Wie viele Wohnungen sind denn heute anläßlich der Bestattung Lady Bushters ausgeräumt worden?«

*

»Ich komme zufällig vorbei«, behauptete Superintendent McWarden wieder mal. Er errötete nicht, obwohl es sich um eine faustdicke Lüge handelte. Er wußte, Mylady und auch Josuah Parker kannten diese Einleitung bereits in- und auswendig.

»Sie haben also Sorgen«, stellte die Detektivin fest.

»Aber nein, wirklich nicht, Mylady.« McWarden, ein kleiner, untersetzter, zur Rundlichkeit neigender Choleriker, tat harmlos wie immer.

»Sie stehen aber wieder mal vor einem Fall, der Ihnen über den Kopf wächst«, fügte Lady Agatha schadenfroh hinzu. Sie gab sich nicht die geringste Mühe, diesen Gefühlszustand zu verbergen.

»Ich brauche im Grunde nur eine Auskunft«, sagte McWarden.

»Wir wissen überhaupt nichts, nicht wahr, Mr. Parker?« Lady Simpson schaltete sofort auf Vorsicht um und dachte an ihre beiden Gäste im Keller des Hauses. Konnte McWarden davon wissen?

»Meine bescheidene Wenigkeit steht zu Ihrer Verfügung, Sir«, bot Parker sich gemessen an.

»Sie waren doch gestern auf der Beerdigung von Lady Bushter, nicht wahr?« fragte McWarden. Er nickte dankbar, als Parker ihm einen trockenen Sherry servierte.

»Eine Pflichtübung«, meinte Lady Agatha unumwunden. »Warum sollte ich Ihnen etwas vormachen, McWarden?«

»Sie haben doch auch Mr. Basil Lefka gesehen?«

»Haben wir das?« Agatha Simpson wandte sich ihrem Butler zu. Sie konnte sich wirklich nicht erinnern.

»Mr. Basil Lefka und Frau«, bestätigte Parker.

»Was ist mit diesem Lefka?« wollte die ältere Dame wissen.

»Er ist auf eine ziemlich undurchsichtige und rätselhafte Art und Weise angeschossen worden, als er von der Beerdigung zurück nach London fuhr.«

»Sehen Sie sich in der Lage, Sir, zu diesem Vorfall einige Details zu liefern?« erkundigte Parker sich.

»Die Geschichte ist schnell erzählt.« McWarden nippte an seinem Sherry. »Mrs. Lefka erschien mit ihrem schwerverwundeten Mann vor einer örtlichen Polizeistation, und die Kollegen alarmierten Arzt und Rettungswagen. Mrs. Lefka war nicht in der Lage, irgendwelche Angaben zu machen, sie stand unter einem Schock.«

»Und Mr. Lefka, wenn ich fragen darf? Konnte er sich bereits zu dem Vorfall äußern?«

»Vorweggesagt, er befindet sich nicht in Lebensgefahr«, berichtete Superintendent McWarden weiter. »Er konnte bereits eine erste Aussage machen. Danach wurde er während der Rückfahrt nach London von zwei Fahrern angehalten, die eine Panne hatten oder dies auch vortäuschten. Als er ausstieg, wurde er angeschossen. Mehr weiß er nicht zu sagen. Und mir ist das zuwenig.«

»Glauben Sie denn wirklich, er würde je mehr sagen?« Agatha Simpson wußte natürlich schon wieder Bescheid. »Dieser Lefka hat Angst, das liegt doch auf der Hand, McWarden. Zwei Fahrer, sagten Sie?«

»Zwei Fahrer«, bestätigte der Superintendent. »Sie fuhren einen uralten Ford, wie Mrs. Lefka zuerst behauptete, später korrigierte sie sich dann aber und sprach von einem General Motors.«

»Ein uralter Ford?« Lady Simpsons Augen glitzerten lebhaft. Sie warf ihrem Butler einen schnellen, warnenden Blick zu.

»Wie gesagt, dieser Teil der Aussage wurde später widerrufen«, wiederholte McWarden. »Nun meine Frage, Mylady, sie richtet sich übrigens auch an Sie, Mr. Parker: Ist Ihnen während der Beerdigung oder danach etwas aufgefallen?«

»Natürlich nicht«, lautete die schnelle Antwort der älteren Dame. »Was vermuten Sie denn, McWarden?«

»Diese beiden Fordfahrer wurden auf dem Parkplatz des Bushter-Landsitzes gesehen. Einige Angestellte erinnerten sich genau daran. Die Fahrer unterhielten sich auch mit Sir Edward Lime. Das ist belegt.«

»Und worüber? Sie werden Sir Edward doch sicher bereits gefragt haben, oder?« Agatha Simpson war sehr interessiert.

»Wegen einer Schadensregulierung«, lautete die prompte Antwort des Superintendent. »Die beiden jungen Männer hatten den Rover Sir Edwards leicht gerammt.«

»Weiter, weiter«, drängte Lady Agatha. »Dann müßte Sir Edward ja die beiden Fahrer kennen.«

»Vielleicht, Mylady, aber Sir Edward ist im Moment nicht zu erreichen. Er mußte überraschend und dringend in Geschäften nach Frankreich, wie man mir mitteilte.«

»Das ist aber großes Pech für Sie, McWarden«, bedauerte die Detektivin ohne jede Überzeugungskraft. »Und jetzt kommen Sie nicht weiter, nicht wahr?«

»Zumal Sir Edwards Fahrer auch nicht zu erreichen ist«, fügte der Yard-Beamte hinzu. »Er befindet sich ebenfalls in Frankreich.«

»Tut mir leid, McWarden, wir wissen von nichts«, entgegnete die Lady nachdrücklich. »Sie wissen doch, wie gern ich Ihnen geholfen hätte, nicht wahr?«

»Natürlich weiß ich das, Mylady«, schwindelte McWarden und zog ein saures Gesicht. »Sie sind also nicht belästigt worden?«

»Mylady wurden nicht inkommodiert«, antwortete Butler Parker steif und würdevoll. »Aus Gründen der Vollständigkeit möchte ich hinzufügen, daß Mylady an der Trauerfeier nach der Beerdigung nicht teilnahm.«

»Richtig, stimmt ja.« McWarden schien sich bereits ausgiebig informiert zu haben. »Vielleicht darf ich bei Gelegenheit noch mal vorbeikommen?«

»Wenn der Zufall es fügt, McWarden, immer!« Agatha Simpson lächelte penetrant. »Sie wissen doch, wie gern ich Ihnen helfe.«

»Nur zu genau, Mylady«, meinte McWarden und lächelte süß-sauer. »Ihre Zusammenarbeit mit der Polizei ist vorbildlich, anders kann man’s wirklich nicht ausdrücken.«

*

Das »Haar-Studio« in einer Seitenstraße von Soho erfreute sich am Abend regen Zuspruchs.

Die Geschäfts- und Behandlungsräume befanden sich im Erdgeschoß eines vierstöckigen, alten Hauses, das man durch neuen Farbanstrich chic hergerichtet hatte. Es gab hier einen Beratungsraum, Behandlungskabinen, die nicht einsehbar waren, einen normalen Friseursalon und zusätzlich zu einer kleinen Boutique noch eine Espresso-Bar, in der wartende Kunden bei leiser Musik sich die Zeit vertreiben konnten.

Der Inhaber des »Haar-Studio« hieß Mel Enfield. Es handelte sich um einen etwa fünfundvierzigjährigen, schlanken Mann, der in seiner Betriebsamkeit an den Figaro aus Rossinis Oper »Der Barbier von Sevilla« erinnerte. Mel Enfield, sportlich gebräunt, strahlendes Lächeln, sehr höflich und diskret, hatte nur männliche Angestellte, die sich durch guten Wuchs und gutes Aussehen auszeichneten. Sie alle stellten irgendwie eine Kopie ihres Chefs dar. Jeder von ihnen hätte es mit einem Dressman aufnehmen können, wie sie in Warenhauskatalogen zu sehen sind.

Mel Enfield hatte sich auf männliche Kundschaft spezialisiert. Es gab sehr viele Männer aller Altersklassen, deren Haar gelichtet war oder überhaupt nicht mehr existierte. Für diese Männer bot das »Haar-Studio« Toupets an, die bis zur Vollperücke reichten. Darüber hinaus konnte man bei Mel Enfield auch Brustbehaarung erwerben, eine besondere Spezialität seines Hauses. Er erfüllte praktisch jeden noch so ausgefallenen Wunsch. Seine Verbindungen zur Theater- und Filmwelt waren eng. Mel Enfield hatte wirklich gut zu tun und sorgte dafür, daß sein »Haar-Studio« seinen streng seriösen Ruf behielt. Eindeutige Zweideutigkeiten gab es bei ihm nicht.

Am Abend herrschte, wie gesagt, reger Verkehr in den Räumen des Hauses. Es wurden Haare geschnitten, Toupets angemessen, und die kleine Espresso-Bar war gut besucht. Mel Enfield befand sich in seinem Büro, dessen Mobiliar praktisch nur aus Chrom und Glas bestand. Er hatte einige Angestellte um sich versammelt und sah sie nicht gerade freundlich an. Sein Ton war allerdings verbindlich und leise.

»Fehler können wir uns nicht leisten«, stellte er gerade fest und sah seine vier jungen Helfer an. »Fehler können tödlich sein, Freunde.«

»Wir haben zu spät bemerkt, wer in dem Taxi saß«, entschuldigte sich einer der jungen Angestellten.

»Butler Parker und diese schreckliche Lady«, fügte sein Nebenmann hinzu. »Als wir das dann sahen, sind wir sofort losgeprescht und haben uns abgesetzt.«

»Das war richtig«, fand Mel Enfield, »aber ihr hättet euch eben besser informieren müssen. Natürlich wird Butler Parker längst Lunte gerochen haben.«

»Er würde uns niemals wiedererkennen, Chef«, sagte der erste Sprecher überzeugt. »Wir hatten schließlich Maske gemacht.«

»Und der alte Ford sagt überhaupt nichts», fügte der zweite Angestellte hinzu.

»Warten wir es ab.« Mel Enfield winkte ab. »Ihr könnt gehen. Wahrscheinlich habe ich für die Nacht noch eine Spezialaufgabe für euch. Ihr hört noch von mir.«

Die beiden jungen Angestellten verließen das Büro. Man sah ihnen deutlich an, daß sie unter Druck standen. Ein Tadel vom Chef schmeckte nicht und rief manchmal böse Konsequenzen hervor.

»Nun zu euch.« Mel Enfield wandte sich an die beiden anderen Angestellten. Sie hätten Kopien der ersten beiden Angestellten sein können, was Größe und Aussehen anbetraf. »Dieser Schuß auf Basil Lefka war unnötig, dumm und gefährlich. Jetzt wird sich natürlich die Polizei damit befassen.«

»Dieser Lefka spielte verrückt, Chef«, verteidigte sich einer der beiden Zurückgebliebenen. »Ich hab’ ganz automatisch zur Waffe gegriffen und mich gewehrt.«

»Das darf sich nicht wiederholen«, tadelte Mel Enfield leise. »Bisher haben wir stets diskret gearbeitet, nur diese Methode garantiert den Erfolg.«

»Wir haben die beiden Lefkas aber vergattert«, sagte der andere junge Mann hastig. »Ich weiß, daß die vor lauter Angst den Mund halten werden.«

»Vorerst befinden wir uns in einer heiklen Situation«, meinte Mel Enfield. »Ich werde dafür sorgen, daß die Lefkas um keinen Preis der Welt reden werden. Darum braucht ihr euch nicht weiter zu kümmern. Auch für euch habe ich in der kommenden Nacht noch einen besonderen Auftrag. Ihr könnt gehen.«

Zwei weitere begossene Pudel räumten das Büro.

Mel Enfield lehnte sich in seinen Chromledersessel zurück und zündete sich eine stark parfümierte Zigarette an. Er schloß die Augen und überlegte die nächsten taktischen Maßnahmen. Seine Gedanken kreisten immer wieder nur um zwei Personen: Butler Parker und Lady Agatha Simpson. Sie stellten eine echte Gefahr dar. Als Kenner der Unterweltszene wußte Enfield nur zu genau, wie erfolgreich dieses skurrile Paar bisher gewesen war. Er hatte allerdings Angst, gleich einen Doppelmord zu befehlen. Zu oft schon war versucht worden, Lady Simpson und ihren Butler umzubringen. Für die gedungenen Gangster und Killer waren solche Unternehmungen stets mehr als peinlich ausgegangen.

Butler Parker 133 – Kriminalroman

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