Читать книгу Butler Parker 139 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3

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»Sie sind mehr als nur leichtsinnig, Parker«, sagte Mike Rander und sah sein Gegenüber amüsiert an, »Sie beschwören das Unheil ja förmlich herbei.« »Möglicherweise, Sir«, erwiderte der Butler in seiner höflich-zurückhaltenden Art, »auf der anderen Seite wurden Saiten in meiner becheidenen Wenigkeit angeschlagen, denen ich mich nicht entziehen kann.« »Kindheitserinnerungen?« fragte der Anwalt lächelnd. »In der Tat, Sir«, gestand Josuah Parker, »ein sogenannter Rummelplatz, um bei diesem volkstümlichen Ausdruck zu bleiben, besitzt einen Zauber eigener Art.« »Das will ich überhaupt nicht bezweifeln«, antwortete Mike Rander, »aber vergessen Sie nicht, daß Mylady Sie begleiten wird. Der Ärger dürfte damit bereits vorprogrammiert sein.«

»Meine Wenigkeit wird versuchen, aufkommendes Unheil abzuwenden«, versprach der Butler. Er war ein etwas über mittelgroßer Mann unbestimmbaren Alters, sein Gesicht höflich glatt wie das eines berufsmäßigen Pokerspielers.

»Ich werde sicherheitshalber die umliegenden Hospitäler und Notärzte alarmieren«, spottete der Anwalt. Er war etwa vierzig, groß, schlank und erinnerte deutlich an einen bekannten James-Bond-Darsteller. Während er noch sprach, erschien Agatha Simpson auf der geschwungenen Treppe, die hinunter in den großen Wohnraum des Fachwerkhauses führte.

Sie war eine wahrhaft königliche Erscheinung, groß, stattlich und füllig. Sie trug ein zu weites Tweed-Kostüm und einen Hut, den man nur als eigenwillig oder abenteuerlich bezeichnen konnte. Er war eine mißglückte Kreuzung aus einem Napfkuchen und einem Südwester. An ihrem linken Handgelenk pendelte sanft ein sogenannter Pompadour, ein Handbeutel, wie ihn die Damen um die Jahrhundertwende trugen.

Lady Agatha, immens vermögend, hatte das sechzigste Lebensjahr mit Sicherheit überschritten, doch ihre Energie war nicht zu übersehen. Ihre grauen Augen funkelten unternehmungslustig.

»Sie sind herzlichst eingeladen, mein lieber Mike«, rief sie Anwalt Rander zu, »Sie wissen ja wohl, daß ich mich ein wenig amüsieren will.«

»Vielen Dank für die Einladung, Mylady«, erwiderte Rander, »aber ich habe leider wichtige Termine.«

»Papperlapapp, mein Junge«, gab sie burschikos zurück, »verschieben Sie alles bis auf morgen. Wann sind Sie zum letzten Mal in einem Stoß-Auto gewesen?«

»Das muß eine Ewigkeit zurückliegen«, sagte Mike Rander. Zusammen mit Kathy Porter verwaltete er das Vermögen der Lady und betrieb darüber hinaus eine eigene Anwaltskanzlei in der nahen Curzon Street.

»Ich werde mir einige hübsche Papierblumen schießen«, kündigte die ältere Dame an.

»Allmächtiger«, murmelte Rander in Richtung Parker, »passen Sie höllisch auf, damit kein Blutbad entsteht.«

»Ich werde Zuckerwatte essen«, schwärmte Lady Agatha weiter, »und vielleicht auch eine kleine Rostbratwurst.«

»Selbst das klingt gefährlich«, murmelte Mike Rander.

»Und wahrscheinlich werde ich einen Hauptgewinn in einer Tombola ziehen«, wußte die ältere Dame bereits im vorhinein.

»Und falls nicht, Mylady?« erkundigte sich der Anwalt.

»Dann dürfte Betrug vorliegen«, sagte sie, »und so etwas werde ich mir natürlich nicht bieten lassen, mein Junge.«

»Ich kann es mir bereits jetzt genau vorstellen«, sagte der Anwalt und tauschte einen schnellen Blick mit Parker, »ich denke Mylady, ich muß gehen. Vielleicht schinden Miß Porter und ich etwas Zeit heraus, dann werden wir nachkommen.«

»Man könnte gemeinsam die Achterbahn befahren«, schlug die ältere Dame äußerst munter vor, »können Sie sich eigentlich noch an eine Geisterbahn erinnern?«

»Nur schwach«, behauptete der Anwalt und hatte es eilig, das Feld zu räumen. Er fürchtete, unter Druck gesetzt zu werden, und er hatte einfach keine Lust, freiwillig den Gang in ein Chaos zu machen. Aus Erfahrung wußte er, daß Lady Agatha immer gut für Verwicklungen und Sensationen war. Die Dame entließ ihn huldvoll und winkte freundlich, als Rander zur Tür strebte. Dann wandte er sich Parker zu.

»Habe ich genügend Kleingeld bei

mir?« erkundigte sie sich.

»Mylady werden sich einem geradezu grenzenlosen Vergnügen hingeben können«, antwortete Josuah Parker.

»Worauf warte ich dann noch?« Sie räusperte sich explosionsartig und setzte ihre Fülle in Bewegung.

»Ich werde heute jedem Streit konsequent aus dem Weg gehen«, meinte sie ein wenig später, als sie Parkers hochbeiniges Monstrum bestieg.

»Mylady wollen sich nur dem ausgelassenen Vergnügen hingeben?«

»Falls man mich natürlich nicht reizt«, schränkte sie ein.

»Wer sollte solch einen kecken Mut schon aufbringen, Mylady?«

»Man kann nie wissen«, erwiderte sie, »aber ich spüre, daß ich heute gut gestimmt bin. Man wird mich kaum provozieren können, Mr. Parker.«

»Das sogenannte und oft zitierte Schicksal wird darüber letztendlich befinden, Mylady«, lautete Parkers Antwort. Er dachte an die ironische Warnung, die Anwalt Mike Rander eben erst ausgesprochen hatte.

*

»Mr. Parker, ich möchte etwas von Ihnen hören«, verlangte sie, als sie von einer kleinen Anhöhe hinab ins Themse-Tal blickte. Man hatte die hübsche, noch mittelalterlich gefärbte Stadt Staines erreicht und konnte südlich davon bereits die bunten Fahnen und Zelte des Rummelplatzes erblicken. Der sanfte Wind trug Musikfetzen auf die Höhe und die schnarrenden Stimmen der Anreißer, die auf die einmaligen Attraktionen hinwiesen und zum Besuch einluden.

»Mylady erwarten einen allgemeinen Kommentar?« fragte Parker, nachdem seine Herrin ihn erwartungsvoll-ungeduldig ansah.

»Ist es nicht wundervoll?« schwärmte sie dann. »Ich komme mir vor wie ein junges Mädchen.«

»Der Jahrmarkt von Staines ist in der Tat weit über die engere Region hinaus bekannt«, meinte Parker ausweichend.

»Wem sagen Sie das, Mr. Parker.« Sie lächelte versonnen. »Übrigens, eine Frage am Rand: wurde ich bisher verfolgt?«

»Noch nicht mal andeutungsweise, Mylady.«

»Erstaunlich«, ärgerte sie sich ein wenig, »normalerweise läßt die Unterwelt mich nie aus den Augen.«

»Vielleicht respektiert man Myladys Wunsch, mal richtig ausspannen zu wollen.«

»Reden Sie keinen Unsinn«, grollte sie, »einer Lady Simpson gönnt man keine Ruhe. Vielleicht haben Sie während der Fahrt nur nicht aufgepaßt. Sie wissen ja, daß Sie zum Leichtsinn neigen, nicht wahr?«

Während sie diese Behauptung aufstellte, blickte sie sich ungeniert um und musterte ihre nähere Umgebung. Ihr Blick konzentrierte sich dabei auf einige Motorradfahrer, die neben ihren schweren Maschinen standen und sich lärmend miteinander unterhielten. Es war weder zu übersehen noch zu überhören, daß sie sich über Agatha Simpson amüsierten, über den Butler und auch natürlich über das hochbeinige Monstrum, wie Parkers Privatwagen von Eingeweihten genannt wurde. Es handelte sich dabei um ein ehemaliges Londoner Taxi, das bereits einen echten Anspruch auf einen Museumsplatz zu haben schien. Man sah es dem eckigen Wagen wirklich nicht an, daß sich unter dem eigenwilligen, altmodischen Blechkleid modernste Technik befand.

»Sucht man etwa Streit mit mir, Mr. Parker?« fragte die ältere Dame hoffnungsvoll.

»Keineswegs und mitnichten, Mylady«, wiegelte Josuah Parker sofort ab, »man dürfte sich nur einer allgemeinen guten Laune hingeben, die unmittelbar mit dem Jahrmarkt zusammenhängt.«

»Nun, ich habe mir etwas vorgenommen.« Agatha Simpson gab sich einen inneren Ruck. »Fahren wir weiter, Mr. Parker, bevor ich mich angegriffen fühle.«

Die passionierte Detektivin stieg zurück in den Wagen, und Parker schloß den hinteren Schlag. Er setzte sich ans Steuer und lenkte sein Gefährt in die weite Talsenke in der Nähe der Wiesen, die die Themse säumten. Auf einem der vielen Parkplätze stellte er den Wagen dann ab und geleitete seine Herrin zum eigentlichen Festplatz.

Es war alles vorhanden, was Lady Agatha sich wünschte: eine ansehnliche Achterbahn, einige sogenannte Schiffschaukeln, diverse Karussells, eine gruselig wirkende Geisterbahn, einige Schießbuden und eine große Zahl von Imbißstuben, deren Duft allein schon animierte.

»Ich denke, ich werde erst mal mit einer kleinen Portion Zuckerwatte beginnen«, sagte sie, als sie sich energisch durch das Gewühl der Menschen schob. Sie glich dabei einem Räumpanzer, für den es keine Hindernisse gab.

»Darf man sich erlauben, Mylady auch auf gebrannte Mandeln hinzuweisen?« fragte Parker.

»Eines nach dem anderen«, sagte sie und nickte huldvoll, »nehmen auch Sie Zuckerwatte?«

»Vielleicht später, Mylady«, reagierte Parker in seiner bekannt höflichen Art. Er blieb vor einer Verkaufsbude stehen, deren Betreiber sich auf Süßigkeiten spezialisiert hatte. Lady Agatha deutete auf den Kessel, in dem die Zuckerwatte hergestellt wurden und verlangte zwei Portionen.

»Es ist ja im Grund nichts als Luft«, redete sie sich ein, »damit werde ich meine Diät auf keinen Fall durchbrechen, oder?«

»Höchstens andeutungsweise, Mylady«, erwiderte Parker und zahlte die beiden Portionen, die Agatha Simpson sich reichen ließ. Genußvoll öffnete sie den Mund, um an der Zuckerwatte zu schlecken, als sie angestoßen wurde. Ob es sich um einen Zufall handelte, ob Absicht vorlag, ließ sich im Augenblick nicht feststellen. Lady Simpsons Nase senkte sich in jedem Fall in das feine Gespinst der Zuckerwatte. Und einige Fäden dieser Süßigkeit drangen in ihre Nase, deren Schleimhäute leicht gekitzelt wurden. Ein explosionsartiges Niesen folgte als Reaktion auf diesen feinen Reiz.

Lady Agatha wandte sich um und musterte ihre nähere Umgebung. Sie sah lächelnde Gesichter, die wirklich keinen Hohn verrieten, suchte nach einem Opfer und entdeckte dann einige junge Leute, die ungeniert prusteten.

»Fühle ich mich angegriffen und beleidigt, Mr. Parker?« fragte sie bei ihrem Butler an.

»Mylady sind nach wie vor fest entschlossen, sich nicht provozieren zu lassen«, erinnerte Parker.

»Richtig«, räumte sie ein und wischte sich mit dem Handrücken die Nase, »aber es gibt natürlich Grenzen, oder?«

»Die erfreulicherweise keineswegs erreicht wurden«, meinte Parker und deutete auf einen der Schießstände, »Mylady wollten Papierblumen schießen?«

»Später«, sagte sie und schritt auf die jungen Männer zu, »ich habe da erst etwas zu klären.«

Parker folgte höflich und würdevoll. Erneut dachte er an den Anwalt, der einige Prophezeiungen gemacht hatte. Sollte das Chaos schon jetzt ausgelöst werden?

Lady Agatha hatte die jungen Männer erreicht, die im Schnitt etwa fünfundzwanzig sein mochten. Sie starrten die ältere Dame an und spürten wohl instinktiv die Gefahr, die auf sie zukam. Als sie dann auch noch den funkelnden Blick der Lady sahen, wandten sie sich hastig ab und verschwanden zwischen zwei Verkaufsbuden.

»Feiglinge«, knurrte die ältere Dame, »man hat noch nicht mal den Mut, sich zu stellen.«

»Darf man sich nach dem Geschmack der Zuckerwatte erkundigen?« fragte Parker ablenkend. Er war froh, daß die jungen Männer sich abgesetzt hatten.

»Die Lümmel werden mir nicht entkommen«, drohte sie und kostete erneut von der Zuckerwatte, »wo sind die Motorradfahrer, Mr. Parker?«

»Sie dürften sich in die Arme des Vergnügens geworfen haben, Mylady«, antwortete der Butler.

»Wie auch immer.« Lady Agatha blickte sich suchend nach allen Seiten um und konzentrierte sich dann auf einen muskulösen, stämmigen Mann, dessen Oberkörper nackt war. Er schien zu den Arbeitern zu gehören, die gerade eine Salto-Schaukel aufbauten.

Der Mann spürte Myladys forschenden Blick, duckte sich und boxte sich förmlich durch eine Gruppe von Besuchern, um neben einem Zelt zu verschwinden, in dem eine Wahrsagerin ihre Dienste anbot.

Die ältere Dame ließ sich natürlich sofort ablenken.

»Ich werde mir die Zukunft deuten lassen«, entschied sie, »und bei dieser Gelegenheit wird mir die Wahrsagerin verraten müssen, wo sich die Lümmel befinden. Kommen Sie, Mr. Parker! Möchten Sie nicht erfahren, was die Zukunft für Sie parat hält?«

»Nicht unbedingt, Mylady«, gab der Butler zurück. Auch er hatte den muskulösen Mann beobachtet und wußte, daß er ihn in der Vergangenheit schon gesehen hatte. Parker wußte nur nicht, bei welcher Gelegenheit dies der Fall war.

Er beschloß, auf der Hut zu sein!

*

Madame Batour war eine große, füllige Frau von etwa fünfundfünfzig Jahren. Ein buntes Kopftuch reichte bis tief in die Stirn. Die Frau trug einen weiten, wallenden Mantel aus dünnem Stoff und hatte ihre mit vielen Ringen geschmückten Hände um eine Kristallkugel gelegt. Als Lady Agatha sich ins Kabinett schob, blickte Madame Batour überrascht auf.

»Was kostet eine Zukunftsberatung?« erkundigte sich Lady Agatha, »ich bin nicht gewillt, ein Vermögen dafür auszugeben, meine Liebe.«

»Das Wissen um die Zukunft ist kostbar«, meinte die Wahrsagerin mit tragisch-düsterer Stimme.

»Keine Ausflüchte! Was verlangen Sie für Ihren Weitblick?« Agatha Simpson nahm bereits in dem tiefen Sessel Platz, der vor dem Tisch stand, hinter dem die Zukunftsdeuterin saß.

»Ein Pfund«, sagte Madam Batour mit fester Stimme.

»So weit in die Zukunft will ich nicht sehen«, gab Agatha Simpson zurück, »ein halbes Pfund genügt bei weitem. Fangen Sie an.«

»Zuhörer sind nicht erwünscht«, stellte die Wahrsagerin klar und blickte auf Butler Parker, der knapp neben dem Zelteingang stand und seine schwarze Melone höflich gelüftet hatte.

»Mr. Parker bleibt«, entschied die ältere Dame.

»Ich könnte vertrauliche Dinge im Kristall der Zukunft erblicken«, wandte Madame Batour ein, die mit französischem Akzent redete.

»Ich gehe stets jedes Risiko ein«, antwortete Agatha Simpson ungeduldig, »zieren Sie sich nicht länger, meine Liebe.«

Die Wahrsagerin nickte, blickte noch mal schnell zu Butler Parker hinüber und konzentrierte sich dann auf die Kristallkugel. Ihre langen, schlanken Finger umspannten die Kugel, während es wie durch Zauberei im kleinen Zelt dunkel wurde. Das Licht unter dem Zeltdach wurde immer schwächer, doch dafür erstrahlte die Kristallkugel von innen heraus in milchigem Licht, das von Sekunde zu Sekunde immer weißer wurde und dann in dunkelrotes Glühen überging.

»Sehr hübsch«, murmelte Lady Agatha und setzte sich zurecht, »sehr wirkungsvoll.«

»Ich sehe«, flüsterte Madame Batour.

»Was ich mir auch ausgebeten haben möchte«, warf die ältere Dame warnend ein.

»Ich sehe vorerst nur Umrisse«, murmelte Madame Batour weiter. Ihre Stimme war in monotonen Singsang übergegangen, »ich sehe Nebel und Farben ... Gräber... eine Kirche ... Ich sehe Kränze und Särge ... Nein, es ist nur ein Sarg... Ich sehe Schleifen an den Kränzen ... Schleifen, die Aufschriften tragen, doch die kann ich nicht lesen ... Sie sind undeutlich ... Ich sehe eine Straße und ein Auto... Ich beobachte eine Kurve und dann sehe ich ... Nein, nein!«

»Sehen Sie nun oder sehen Sie nicht?« Lady Agathas Stimme war in leichtes Grollen übergegangen. »Konzentrieren Sie sich gefälligst!«

»Ich sehe ein Messer und in Unfallauto«, redete die Wahrsagerin weiter. Sie schien nichts gehört zu haben, »ich sehe eine Frau am Boden und sehe wieder einen Friedhof...«

»Ist das alles?« räsonierte Agatha Simpson.

»Ich ... möchte hier abbrechen«, sagte Madame Batour und atmete tief durch. Sie lehnte sich weit zurück und schob die große Kristallkugel fast wie angeekelt zur Seite.

»Und dafür soll ich ein halbes Pfund zahlen?« Agatha Simpson war aufgestanden. Empörung lag in ihrer Stimme.

»Ich will kein Geld«, entgegnete die Wahrsagerin und griff mit ihren Fingerspitzen nach den Schläfen. Sie machte einen gequälten Eindruck. Ihr Atem ging stoßweise, auf der Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet.

»Darf und sollte man sich nach Ihrem werten Kreislauf erkundigen?« schaltete Parker sich in distanziert-höflicher Art ein.

»Gehen Sie, bitte«, antwortete Madame Batour und blickte die ältere Dame beschwörend an, »gehen Sie ... Verlassen Sie den Jahrmarkt... Spielen Sie nicht mit Ihrem Schicksal, achten Sie auf die Zeichen der Zeit und der nahen Zukunft.«

»Natürlich werde ich gehen, meine Liebe«, meinte Lady Agatha, »aber erst werde ich mich ein wenig vergnügen. Sie glauben doch nicht im Ernst, daß ich Ihnen diesen Mumpitz abnehme, oder? Sie haben es mit einer aufgeklärten Frau zu tun. Ist es nicht so, Mr. Parker?«

»Meine Wenigkeit möchte sich erkühnen, jedes Wort Myladys zu unterstreichen«, erklärte Josuah Parker.

»Ich wasche meine Hände in Unschuld«, bekannte die Wahrsagerin leise, »ich wiederhole: es wäre besser, wenn Sie sofort gehen würden ... Man soll sein Schicksal nicht unnötig herausfordern.«

»Schnickschnack«, grollte die ältere Dame, »ich habe übrigens schon bessere Wahrsagerinnen als Sie erlebt, meine Liebe. Sie sind wahrscheinlich noch Anfängerin.«

Josuah Parker hörte zwar, daß seine Herrin etwas sagte, doch er konzentrierte sich keineswegs auf das, was sie sagte. Er hatte dicht neben sich ein feines, scharrendes Geräusch bemerkt und dann eine fast unmerkliche Bewegung in der Zeltleinwand registriert. Seine innere Alarmanlage sprach sofort an und ließ ihn blitzschnell handeln, als eine Hand sich vorsichtig durch den Schlitz des Eingangs schob. Butler Parker entdeckte zwei Finger, die eine Messerschneide hielten. Es war eindeutig, daß der Besitzer der beiden Finger ein Messer schleudern wollte.

Parker reagierte!

*

Mit der Wölbung seiner schwarzen, mit Stahlblech ausgefütterten Melone, schlug er hart und unnachgiebig zu. Das Messer wurde kraftvoll zu Boden geschlagen, gleichzeitig folgte ein unterdrückter Schmerzenslaut.

Parker riß den dünnen Vorhang vor dem eigentlichen Zelteingang zur Seite und sah gerade noch den Rücken eines athletisch gebauten Mannes, der davonhastete. Bevor Parker ihn stoppen konnte, war der potentielle Messerwerfer bereits in der Menge der Jahrmarktbesucher verschwunden.

»Was ist denn, Mr. Parker?« fragte Lady Agatha ein wenig unwirsch.

»Möglicherweise bestand gerade die Absicht, ein Messer zu werfen«, antwortete der Butler.

»Ein Messer?« Agatha Simpson stutzte und lächelte dann erfreut. »Man wollte selbstverständlich mich treffen, nicht wahr?«

»Oder vielleicht Madame Batour?« fragte Parker und blickte zur Wahrsagerin hinüber, die aufgesprungen war und ängstlich-abwehrend die Arme hob.

»Unsinn, Mr. Parker! Warum sollte man Madame Batour ermorden wollen?« Lady Agatha war mit diesem Deutungsvorschlag überhaupt nicht einverstanden.

»Man könnte und sollte möglicherweise Madame Batour danach fragen«, gab der Butler zurück und verbeugte sich andeutungsweise in Richtung der Wahrsagerin, die sich inzwischen schon wieder unter Kontrolle hatte und um Haltung bemühte.

»Ich ... Ich habe hier keine Feinde«, bekannte Madame Batour nachdrücklich.

»Eben«, redete die ältere Dame weiter, »dieser Anschlag galt selbstverständlich mir, Mr. Parker. Ich hoffe, Sie haben das Subjekt erkannt!«

»Diese Frage muß meine Wenigkeit leider verneinen.«

»Dachte ich mir.« Agatha Simpson schnaufte verächtlich. »Wo hatten Sie nur Ihre Augen, Mr. Parker? Sie müssen doch wissen, wie beliebt ich bei gewissen Leuten bin! Man ist immer hinter mir her.«

»Es handelte sich um einen athletisch gebauten Mann, Mylady, mehr läßt sich dazu leider nicht sagen.«

»Ein Kerl mit nacktem Oberkörper?«

»Der potentielle Messerwerfer trug ein kariertes Hemd, Mylady.«

»Er wird es sich übergestreift haben«, vermutete die ältere Dame, »ich werde sofort nach diesem Subjekt fahnden, Mr. Parker. Kommen Sie!«

»Sehr wohl.« Parker trat zur Seite, schlug den leichten Vorhang zur Seite und warf einen prüfenden Blick nach draußen.

»Es gibt einen Seitenausgang«, rief in diesem Augenblick die Wahrsagerin leise und deutete neben sich.

»Ein erfreulicher Hinweis, Mylady«, sagte Parker.

»Eine Lady Simpson benutzt niemals eine Hintertreppe«, gab die ältere Dame zurück, »Sie verstehen, was ich meine, Mr. Parker?«

»Der Mordversuch könnte wiederholt werden, Mylady«, warnte Parker.

»Dann tun Sie gefälligst etwas dagegen«, verlangte Agatha Simpson, »man wird mir nie nachsagen können, daß ich Angst habe.«

Sie war nicht aufzuhalten und marschierte energisch zum Haupteingang. Parker hatte längst eingesehen, daß Mylady wieder mal mehr als vorsichtig war. Er schob sich vor sie und trat nach draußen. Dabei warf er einen schnellen, prüfenden Blick auf die Besucher, konnte aber nichts Ungewöhnliches feststellen.

»Nun, wo ist mein Mörder?« fragte die Detektivin inzwischen fast enttäuscht, »dieser Lümmel hat natürlich längst die Flucht ergriffen.«

»Mylady wollen weiter an der allgemeinen Belustigung teilnehmen?« erkundigte sich Parker.

»Es fängt ja gerade erst an«, entgegnete sie, »ich denke, ich werde jetzt einige Papierblumen schießen.«

»Der potentielle Messerwerfer könnte jederzeit wieder in Erscheinung treten, Mylady.«

»Das sehen Sie zu eng, Mr. Parker«, gab sie munter zurück, »nur keine Panik, ich bin ja bei Ihnen.«

Sie schob sich in gewohnt energischer Art durch die dichte Menschenmenge und wurde erneut abgelenkt, da ein aufgeregt-schrilles Glockenleuten zu hören war, das von einer Art Donnerschlag abgelöst wurde. Sie orientierte sich und entdeckte ein Gerät, das zur Messung der persönlichen Körperkraft diente.

Mit einem schweren, langstieligen Holzhammer mußte man dazu auf einen kräftigen Eisenbolzen schlagen, der die so übertragene Kraft über ein Hebelsystem auf einen kleinen Schlitten übertrug, der senkrecht nach oben geschickt wurde. Reichte die Kraft, dann löste der Schlitten am Ende des galgenähnlichen Gerüstes das Glockengeläut und zusätzlich einen Donnerschlag aus.

»Sehr interessant«, fand die ältere Dame und lachte nicht gerade leise, als ein stark aussehender Mann es mit Mühe und Not schaffte, den bunten Schlitten bis zur Hälfte des Gerüstes hochzutreiben.

»Ein Gerät, das der sogenannte Volksmund ›Haut-den-Lukas‹ zu nennen pflegt«, erläuterte Parker, während der von Mylady Belachte sich drohend zu der älteren Dame umwandte.

»Ich weiß, ich weiß«, gab Lady Agatha zurück, »trauen Sie sich zu, den Schlitten völlig hochzujagen, Mr. Parker?«

»Mylady sehen in meiner bescheidenen Wenigkeit einen relativ müden und verbrauchten Mann«, erwiderte Josuah Parker.

»Nun, dann werde ich Ihnen mal zeigen, wie man so etwas macht«, äußerte Agatha Simpson und schien animiert. Da sie auch jetzt nicht gerade leise gesprochen hatte, war man auf sie und Parker natürlich aufmerksam geworden.

Die große Gruppe der Zuschauer witterte einen Spaß und sparte nicht mit Kommentaren. Man feuerte die Lady an, oder aber man hegte laut und deutlich Skepsis. Butler Parker schätzte es gar nicht, daß die Zahl der Zuschauer sich von Sekunde zu Sekunde vergrößerte. Er dachte an den Mann, der immerhin versucht hatte, ein Messer zu werfen. Wie leicht konnte der Täter sich unter die Zuschauer mischen und seinen Mordversuch wiederholen.

»Sie wollen wirklich den Hammer, Mylady?« fragte inzwischen der Betreiber des Kraftmesserunternehmens, ein vierschrötiger Mann mit gerötetem Gesicht und listigen Augen.

»Hoffentlich sind Sie gut versichert, junger Mann«, antwortete Agatha Simpson.

»Wieso, wollen Sie etwa mich treffen?« gab der Mann ironisch zurück.

»Ihr Kraftmesser wird gleich auseinanderfliegen«, prophezeite die ältere Dame laut und deutlich. Ihre Ankündigung löste weitere Kommentare und ungeniertes Lachen aus.

»Dann beeilen Sie sich aber«, meinte der Mann gutmütig-spottend, »Ihr Altersheim wird bald geschlossen.«

»War das gerade eine Beleidigung, Mr. Parker?« fragte Agatha Simpson sofort. Gleichzeitig riß sie dem verdutzen Mann den schweren, langstieligen Holzhammer aus der Hand.

»Es handelte sich nur um eine volkstümlich lustige Bemerkung ohne tieferen Sinn«, wiegelte Parker ab. Er sah den Holzhammer in Myladys Händen und wußte, wie gefährlich die resolute Dame jetzt war.

»Nun gut, ich habe heute meinen friedlichen Tag«, sagte Agatha Simpson und reichte Parker ihren Pompadour. Dann öffnete sie die Jacke ihres viel zu weiten Kostüms und trat einen halben Schritt zurück.

Die Menge wich achtungsvoll zur Seite und sorgte dafür, daß die Lady ungeniert ausholen konnte. Der Besitzer des Kraftmessers grinste spöttisch und beging den Kardinalfehler, gewisse Dinge nicht in Sicherheit zu bringen. Dabei handelte es sich um den Klappstuhl, auf dem er normalerweise saß und auf Kunden wartete, dann um den kleinen Holztisch, auf dem die Geldkassette stand und schließlich um einen geöffneten Holzkoffer unter dem Tisch. In ihm befanden sich weitere Hab Seligkeiten des Mannes, die man allerdings nicht genau ausmachen konnte.

Lady Agatha hob prüfend den wirklich nicht leichten Holzhammer und lächelte, als die Menge im Chor skandierte und die ältere Dame mit Worten in den richtigen Schwung zu bringen versuchte.

Butler Parker, der die ungebändigte Energie seiner Herrin nur zu gut kannte, brachte sich in Sicherheit, wandte sich halb ab und musterte die freudig gestimmte Menge, die sich eine kleine Sensation versprach. Parker war nach wie vor mißtrauisch und rechnete mit dem Auftauchen des Messerwerfers.

Lady Agatha hatte inzwischen weit ausgeholt und setzte zum Schlag an. Aus der Menge waren Anfeuerungsrufe zu vernehmen, die Mylady mehr oder weniger drastisch aufforderten, das Gerät ungespitzt in den Boden zu schlagen.

Ja, und dann schlug Mylady zu ...

*

Ihre Treffsicherheit war bemerkenswert, wenn auch im negativen Sinn. Ein dumpfes Ächzen der Bewunderung ging durch die Menge. Der schwere Hammerkopf aus Holz senkte sich fast zielsicher auf den kleinen Holztisch und verwandelte ihn in Trümmer. Die Geldkassette sprang zur Seite, wirbelte etwa anderthalb Meter hoch durch die Luft und verstreute dabei ihren Inhalt unter das staunende Volk, das sich plötzlich reich beschenkt fühlte und Kleingeld für Vergnügungen witterte. Die Zuschauer des Kraftaktes wirbelten bunt durcheinander und grapschten nach den Münzen.

Inzwischen heulte der Betreiber des Kraftmessers auf und wollte Lady Agatha an einem weiteren Schlag hindern, doch dann wich er entsetzt zurück und brachte sich in Sicherheit. Die ältere Dame hatte gerade zu einem zweiten Rundschlag angesetzt und ... zertrümmerte den Holzstuhl.

Applaus jener Leute brandete auf, die sich am Einsammeln der Münzen nicht beteiligten.

»Nun, was sagen Sie?« Lady Agatha schaute zufrieden auf die Trümmer und sah Parker an.

»Bemerkenswert, Mylady, wenn man so sagen darf«, kommentierte der Butler die beiden Rundschläge.

»Das Gerät stand leider nicht an der richtigen Stelle«, redete die ältere Dame freundlich weiter und widmete sich dem Besitzer des Gerätes.

»Mein Geld, mein Geld«, jammerte der Mann. Er hatte längst eingesehen, daß da für ihn nichts mehr zu retten war.

»Haben Sie sich nicht so!« meinte Agatha Simpson fast verächtlich, »viel war ohnehin nicht in der Kassette. Mr. Parker, regeln Sie diese unwichtige Kleinigkeit, aber lassen Sie sich nicht übers Ohr hauen.«

»Sie werden in jedem Fall zurechtkommen«, tröstete Josuah Parker den Vierschrötigen.

»Ob ich nicht doch noch einen dritten Schlag anbringen sollte?« fragte Agatha Simpson nachdenklich und dennoch laut. Sie langte wieder nach dem schweren Holzhammer.

»Warum ruinieren Sie zur Abwechslung nicht mal den Schießbudenbesitzer?« wollte der Vierschrötige hastig wissen.

»Werden Sie nicht anzüglich, junger Mann«, warnte Lady Agatha ihn umgehend und maß ihn mit scharfem Blick.

»Es war ja nicht so gemeint«, entschuldigte sich hastig der Kraftmesserbesitzer, »vielleicht stand das Gerät wirklich nicht an der richtigen Stelle.«

»Was ich ja gerade gesagt habe. Eigentlich müßten Sie für den kleinen Schaden aufkommen. Ist es nicht so, Mr. Parker?«

»Eine Frage der Rechtsauffassung, Mylady«, gab Parker höflich zurück, »Mylady dachten, wenn man höflichst daran erinnern darf, auch noch an die Tombola.«

»Ein guter Hinweis, Mr. Parker.« Sie ließ sich prompt ablenken und nickte versöhnlich. Josuah Parker reichte dem Vierschrötigen einige Banknoten, worauf der Mann wieder strahlte. Er war mehr als großzügig abgefunden worden.

»Wenn Sie vielleicht doch noch mal so richtig zulangen wollen, Lady?« Er sah die ältere Dame abwartend an und freute sich auf weitere Trümmer und Abfindungen.

»Die Sache hat sich erledigt«, meinte Agatha Simpson, »spannend ist dieses Spiel ja ohnehin nicht.«

Als sie und Parker den Kraftmesser verließen, folgte ihnen die Menge erwartungsvoll. Parker war mit der Entwicklung keineswegs einverstanden. Er horchte in sich hinein und erhielt Antwort. Seine Alarmanlage, ein fein ausgebildeter Instinkt, meldete Gefahr. Aber noch schien sie nicht akut zu sein.

»Wer will noch mal, wer hat noch nicht?« rief ein Losverkäufer mehr als leichtsinnig, als er Lady Simpson und Butler Parker sah. Er griff mit der linken Hand in einen mittelgroßen Plastikeimer, der mit Losen gefüllt war, wirbelte sie durcheinander und schnitt der älteren Dame den Weg ab.

»Was ist der Hauptpreis?« erkundigte sich Agatha Simpson, als er ihr den Eimer hinhielt.

»Ein Riesen-Teddybär«, antwortete der Mann, »aber wir haben auch sagenhafte Trostpreise.«

»Ich möchte diesen Hauptpreis sehen.«

Der Losverkäufer deutete weit hinauf in die bunte Auslage und zeigte dann gezielt auf einen Teddybär, der tatsächlich riesig war.

»Ihn werde ich selbstverständlich gewinnen«, verkündete die ältere Dame, »und wagen Sie es nicht, mich übers Ohr zu hauen.«

»Hier geht alles reell zu, die Dame«, trompetete der Verkäufer und deutete auf die Lose in seinem Plastikeimer, »je mehr Sie kaufen, die Dame, desto größer die Chancen.«

»Nun gut«, meinte Agatha Simpson, »ich habe heute meinen großzügigen Tag. Ich werde drei Lose kaufen. Ein Vermögen, wenn man es recht betrachtet, nicht wahr, Mr. Parker?«

»Mylady legen, wenn meine Wenigkeit dies sagen darf, geradezu eine Verschwendung an den Nachmittag.« Parkers Gesicht blieb bei dieser Feststellung glatt und unbewegt.

»Ich weiß, ich weiß«, sagte sie, »nun, Mr. Parker, Sie dürfen für mich die Lose ziehen.«

»Mylady laden damit meiner Wenigkeit die Last der Verantwortung auf.«

»Schnickschnack, Mr. Parker«, erwiderte sie, »zieren Sie sich nicht! Ich verlange allerdings, daß Sie die richtigen Lose kaufen!«

»Man wird sich bemühen, Mylady.«

Parker griff mit seiner schwarz behandschuhten Hand in den Plastikeimer, suchte sorgfältig und zog dann nacheinander drei Lose. Er deutete eine knappe Verbeugung an, als er Lady Agatha die drei Papierröllchen überreichte.

»Nun lasse ich mich überraschen«, sagte sie und blickte hinauf zum Hauptpreis. Dann maß sie den Losverkäufer mit eisigem Blick, »ich hoffe für Sie, junger Mann, daß Sie nicht nur Nieten angepriesen haben, sonst können Sie was erleben!«

Sie nahm sich Zeit, die drei Lose aufzurollen. Ihr erwartungsfrohes Gesicht wurde von Mal zu Mal ernster. Parker wußte bereits im vorhinein, daß seine Herrin nichts als Nieten in Händen hielt. Und deshalb rechnete er mit einem Tornado, der über die Losbude hereinbrechen würde ...

*

»Abgesehen mal von Ihrer Ungeschicklichkeit, Mr. Parker: hier lag einwandfrei Betrug vor«, entrüstete sich Agatha Simpson eine Viertelstunde später und blickte verächtlich auf eine große Fliegenklatsche aus Plastik, »und mit solch einer Alberei lasse ich mich dann auch noch abspeisen.«

Die Lady verharrte vor dem Imbißstand und wartete darauf, daß man ihr ein heißes Rostwürstchen servierte.

»Mylady ließen Ihren Unmut erkennen«, sagte Parker und blickte hinüber zur Losbude, die nicht mehr so aufgeräumt aussah wie vor dem Besuch durch Lady Agatha. Einige Regale mit Preisen waren zusammengestürzt und hatten sich in heilloses Durcheinander verwandelt. Drei Mitarbeiter des Tombola-Unternehmens hatten alle Hände voll zu tun, um Ordnung zu schaffen. Dabei blickten die Männer scheu zu Agatha Simpson hinüber, die für ihren Geschmack noch zu sehr in der Nähe stand. Wahrscheinlich fürchtete man eine Rückkehr des Tornados, den die ältere Dame verursacht hatte.

Man hatte ihr inzwischen das Rostbratwürstchen gereicht, und Agatha Simpson schnupperte wohlig an der Köstlichkeit. Sie biß herzhaft zu und schaffte es mühelos, einen neben ihr aufgetauchten Besucher des Rummelplatzes mit heißem Fett zu bespritzen.

Der Mann zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen und blickte Agatha Simpson grimmig an.

»Wollen Sie was von mir, junger Mann?« fragte die ältere Dame.

»Sie können sich wenigstens entschuldigen«, fauchte der Dreißigjährige, der den Schaden hatte.

»Ich soll mich für Ihre Aufdringlichkeit entschuldigen?« Agatha Simpson kniff die Augen zusammen. »Wie kommen Sie überhaupt dazu, mir so dicht auf den Leib zu rücken?«

Parker musterte den Mann und hatte den Eindruck, ihn schon mal gesehen zu haben. Von der Statur her glich er dem Mann, der das Messer hatte schleudern wollen. Parker schaltete auf höchste Wachsamkeit und beobachtete den Mann, der immer noch fassungslos war. Er hatte wohl tatsächlich eine Entschuldigung erwartet, wurde aber von Lady Simpson herb angegriffen.

Die ältere Dame biß zum zweiten Mal in das heiße Würstchen und hatte erneut keine Schwierigkeit, einen feinen Fettstrahl auf das Hemd des Mannes zu lenken. Der Getroffene sprang zurück und funkelte die Lady jetzt gereizt an.

»Sie werden lästig«, stellte Agatha Simpson fest.

»Das ist die Höhe«, giftete der Mann, »wenn Sie keine Frau wären, verdammt, ich würd’ Ihnen eine scheuern.«

»Würden Sie mir dies bitte übersetzen?« Agatha Simpson wandte sich an ihren Butler.

»Der Herr deutete gerade diskret an, Sie möglicherweise ohrfeigen zu wollen, falls Sie ein Mann wären«, antwortete Parker.

»Das ist eine handfeste Beleidigung«, übersetzte Agatha Simpson ihrerseits und benutzte die Fliegenklatsche als Waffe. Sie holte blitschnell aus und versetzte dem völlig überraschten Mann eine Art Doppelohrfeige. Da Lady Agatha Golf und Bogenschießen huldigte, fielen die beiden Schläge recht wirkungsvoll aus. Der Mann wurde nachdrücklich durchgeschüttelt und rutschte förmlich in sich zusammen. Dann fiel er gegen die Kante des behelfsmäßigen Tresens und stützte sich mit dem rechten Ellbogen auf. Dabei kippte ein großes Servierbrett aus Blech hoch und katapultierte vorbereitete, aber noch nicht gebratene Würste in die Luft.

Der Betreiber des Imbißstandes war damit überhaupt nicht einverstanden und hielt sich direkt an den unmittelbaren Verursacher des Schadens. Er goß dem Mann eine Schüssel Spülwasser ins Gesicht und schlug mit einem langen Holzlöffel nach ihm. Der Gemaßregelte fuchtelte mit den Armen in der Luft herum, wobei sich sein Jackett öffnete und hochschob.

Parker nahm zur Kenntnis, daß dieser Mann eine Schulterhalfter trug, in dem er eine Schußwaffe untergebracht hatte!

*

»Erlauben Sie, daß ich Ihnen meine bescheidene Hilfe anbiete?« fragte Josuah Parker. Ohne diese Erlaubnis abzuwarten, bemühte er sich ein wenig oberflächlich um den Mann, der gerade damit beschäftigt war, sich das Spülwasser aus dem Gesicht zu wischen. Dabei verirrte sich Parkers linke, schwarz behandschuhte Hand. Mit unglaublicher Geschicklichkeit verschwand sie unter dem Jackett des Mannes und ließ die Schußwaffe verschwinden. Kein Umstehender bekam dies mit, so geschmeidig und gekonnt agierte der Butler, der mit dieser kleinen Einlage einen professionellen Taschendieb tief beschämt hätte.

Der Entwaffnete, der jedoch nichts gemerkt hatte, sah inzwischen wieder klarer, was das Spülwasser betraf. Er starrte zuerst den Betreiber des Imißstandes an, dann Lady Simpson. Er kam zu dem an sich richtigen Schluß, daß die ältere Dame ihm dies alles eingebrockt hatte, und beging den Riesenfehler, sich weiter mit ihr zu befassen. Ja, er holte sogar aus seinem Jähzorn heraus zu einem Schlag aus...

Lady Agatha schien darauf nur gewartet zu haben.

Sie hatte ihre rechte Hand bereits in richtige Position gebracht und brauchte nur noch die Finger zu schließen, um die Grillzange heben zu können. Es handelte sich dabei um ein recht solide aussehendes Gebilde aus nichtrostendem Stahl, mit dem man die heißen Würste auf dem Rost wenden konnte. Diese Grillzange hatte sich am Rand des Holzkohlenbehälters mit Hitze aufgeladen und gab sie an das Handgelenk des Mannes weiter, der mit solch einer an sich einfachen Reaktion überhaupt nicht gerechnet hatte. Das Resultat war frappierend.

Der Mann jaulte entsetzt auf und starrte auf sein Handgelenk, das verständlicherweise schmerzte. Dann schüttelte er die flachen Enden der Zange ab, die sich um das Gelenk schlossen und konnte für einige Sekunden nichts mehr sehen, weil dicke Tränen ihm die Sicht versperrten.

»Lassen Sie sich das eine Warnung sein«, sagte Agatha Simpson streng, »es gehört sich einfach nicht, eine hilflose Frau schlagen zu wollen ...«

Der Mann wich einen Schritt zurück und wischte sich mit der vorerst noch gesunden Hand die Tränen aus den Augen. Dann besann er sich wohl auf die Waffe in seiner Schulterhalfter und wollte entsprechend reagieren. Bevor er jedoch ein wenig umständlich nach dem nicht mehr vorhandenen Revolver langen konnte, hörte Parker einen schrillen, warnenden Pfiff. Der Mann zuckte förmlich zusammen, wandte sich halb um und ... boxte sich durch die Umstehenden. Er kümmerte sich überhaupt nicht um den Protest der Jahrmarktsbesucher und war innerhalb weniger Sekunden verschwunden.

»Das war sein Glück«, kommentierte die ältere Dame diese Flucht, »ich wollte gerade ärgerlich werden, Mr. Parker.«

»Was mit letzter Sicherheit furchtbar für den Waffenträger geworden wäre, Mylady.«

»Waffenträger, Mr. Parker?«

»Meine Wenigkeit war so frei, dem Störenfried eine Schußwaffe abzunehmen, Mylady.«

»Das ist ja interessant«, gab die ältere Dame zurück, »man versucht also mit allen Mitteln, Mr. Parker, mich umzubringen. Zuerst dieser Lümmel von einem Messerwerfer, dann dieser Scharfschütze!«

»Es ist in der Tat mehr als nur erstaunlich, daß man Mylady hier auf dem Jahrmarkt erwartet«, entgegnete Butler Parker, während er Lady Simpson unmerklich vom Imbißstand wegdirigierte, »Myladys Entschluß, das Land einer glücklichen Kindheit aufzusuchen, kam schließlich spontan und wurde keineswegs vorangekündigt.«

»Das sage ich doch die ganze Zeit«, meinte sie nachdenklich, »aber Sie wollten mir natürlich wieder mal nicht glauben. Warum haben Sie dieses Subjekt nicht gestellt?«

»Die Dinge entwickelten sich mit einer unvorhergesehenen Schnelligkeit«, erwiderte Parker und war froh, daß er Lady Agatha aus dem Bereich der amüsierten und neugierigen Zuschauer herausgebracht hatte.

»Man muß eben allzeit bereit sein«, sagte sie streng, »ich habe das seinerzeit bei den Pfadfindern gelernt.«

»Eine Maxime, Mylady, die stets ihre Gültigkeit behalten wird«, meinte Josuah Parker, »sollte man daher nicht vielleicht den sogenannten Rummelplatz verlassen und die Gegner dazu bringen, Mylady zu folgen?«

»Das wollte ich gerade vorschlagen«, sagte sie wohlwollend, »ich werde die Lümmel in eine Falle locken. Lassen Sie sich etwas einfallen, Mr. Parker! Ich erwarte allerdings von Ihnen, daß diese Falle dann auch zuschnappt!«

Josuah Parker wollte gerade antworten, als plötzlich ein ausgesprochen schriller und entsetzter Schrei zu vernehmen war, der den allgemeinen Lärm mühelos übertönte.

»Was war das?« fragte Agatha Simpson unwirsch.

»Man dürfte eine Entdeckung gemacht haben, Mylady, die das normale Fassungsvermögen übersteigt«, lautete Parkers Antwort, »möglicherweise ist man auf etwas gestoßen, das einem Mord nahekommt.«

*

»Auch ein blindes Huhn findet manchmal ein Korn«, sagte die ältere Dame wenige Minuten später und blickte fast gelassen auf den am Boden liegenden Mann, der einen durchaus leblosen Eindruck machte. Er lag auf dem Bauch und rührte sich auch dann nicht, als Parker ihn vorsichtig mit der Spitze seines Universal-Regenschirms berührte. Danach beugte der Butler sich zu dem Mann hinab und drehte ihn vorsichtig auf die Seite. Das bunt karierte Hemd war rot gefärbt. Ein Schuß in die rechte Brustseite hatte diesen muskulösen Mann niedergestreckt.

»Nun?« fragte die ältere Dame ungeduldig, als Parker seine Untersuchung fortsetzte.

»Er scheint noch nicht das gesegnet zu haben, was man das Zeitliche zu nennen pflegt«, gab Parker zurück und richtete sich wieder auf, »er sollte allerdings so schnell wie möglich in die Hände eines erstklassigen Unfallarztes kommen, Mylady.«

»Habe ich diesen Mann schon mal gesehen?« erkundigte sich die ältere Dame. Sie ignorierte souverän die Menschen, die sich halbkreisförmig aufgebaut hatten.

»Meiner bescheidenen Schätzung nach könnte es sich um jenen Mann handeln, der eine Schneidware auf Mylady schleudern wollte. Eine letzte Sicherheit besteht allerdings nicht.«

»Natürlich ist es dieses Subjekt«, entschied die Detektivin grimmig. »Was ist mit der rechten Hand dieses Gangsters?«

»Eine berechtigte Frage, Mylady.« Parker war bereits dabei, diese Hand zu untersuchen. Sie war notdürftig verbunden und mußte verletzt sein. Parker schob den nachlässig geschlungenen Verband ein wenig hoch, nickte dann andeutungsweise und richtete sich auf.

»Nun, Mr. Parker?« Agatha Simpson fühlte sich durch ein ihrer Meinung nach zu lautes Schluchzen gestört, wandte sich um und musterte die Frau, die auf einem Taschentuch kaute und verweinte Augen hatte, Unter Myladys Blick wurde die Frau augenblicklich ruhig und faßte sich.

»Es handelt sich um eine starke Prellung mit einer erheblichen Schwellung«, meldete der Butler, »man könnte durchaus unterstellen, daß sie von meiner bescheidenen Kopfbedeckung herrührt.«

»Ich wußte es sofort«, behauptete Agatha Simpson, »ich habe es also mit dem Mann zu tun, der mich umbringen wollte.«

»Einiges spricht durchaus dafür, Mylady.«

»Wird er durchkommen?«

»Vielleicht sollten Mylady das Urteil des Arztes abwarten«, schlug der Butler vor und deutete auf einen jungen Mann, der einen dunklen Notarztkoffer in der linken Hand trug, auf dem ein großes rotes Kreuz angebracht war. Dieser junge Mann arbeitete sich durch die Menge und kümmerte sich dann umgehend um den angeschossenen Mann. Nach wenigen Augenblicken richtete er sich wieder auf.

»Wie beurteilen Sie die Verletzung, Sir?« fragte Parker.

»Es sieht ernst aus«, lautete die Antwort, »er muß sofort operiert werden. Hoffentlich ist der Rettungswagen schnell genug hier.«

»Ist er bereits angefordert worden, Doktor?« wollte die ältere Dame wissen.

»Ich hab’s sofort veranlaßt, nachdem man mich alarmiert hatte«, erwiderte der Arzt, »Sie kennen den Verletzten?«

»Nicht nur flüchtig«, gab die Detektivin vage zurück, »ich werde ihn ins Hospital begleiten.«

Der Arzt nickte, öffnete seinen Koffer und leistete erste Hilfe. Josuah Parker blieb knapp neben dem Mann stehen und verfolgte die schnellen und geschickten Handgriffe. Agatha Simpson musterte derweil die schweigende Menge und bannte sie mit eisigen Blicken. Nach wenigen Minuten erschienen zwei uniformierte Polizeibeamte, die den Tatort sofort abriegelten und dafür sorgten, daß für den Rettungswagen eine Gasse gebildet wurde. Und dieser Wagen näherte sich bereits, wie zu hören war.

Lady Agatha, die sich bisher ungemein zurückhaltend gezeigt hatte, wurde plötzlich aktiv. Sie stieß ein Grollen aus, setzte sich stürmisch in Bewegung und steuerte auf einen Mann in der Menge zu, der sich hastig zurückziehen wollte. Er hatte jedoch nicht mit der Energie der älteren Dame gerechnet, die sich auf keinen Fall abschütteln lassen wollte.

Agatha Simpson hatte den jungen Mann ausgemacht, den sie im wahrsten Sinn des Wortes am Imbißstand eingefettet hatte. Sie witterte eine Möglichkeit, ihn jetzt und hier zu stellen. Sie hatte den perlenbestickten Pompadour an ihrem linken Handgelenk in Schwingung versetzt und wartete nur auf die Gelegenheit, den darin befindlichen »Glücksbringer« einsetzen zu können. Dabei handelte es sich um ein echtes Pferdehufeisen von beachtlicher Größe.

Butler Parker 139 – Kriminalroman

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