Читать книгу Butler Parker 129 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3
ОглавлениеSie freuten sich auf das kleine Intermezzo.
Die fünf jungen Männer, im Schnitt vielleicht knapp zwanzig Jahre alt, beobachteten ihr Opfer durch die Scheibe des Spielclubs. Dann nickten sie sich grinsend zu und verließen die Spielhalle, die vollgestopft war mit Musik- und Spielautomaten und sonstigem elektronischem Zeitvertreib. Die fünf schlenderten um ihr Opfer herum und warteten den günstigsten Moment ab.
Es handelte sich um einen seltsam gekleideten Mann undefinierbaren Alters. Er trug einen schwarzen, korrekt sitzenden Zweireiher, einen weißen Eckkragen und einen schwarzen Binder. Über seinem angewinkelten linken Unterarm hing ein altväterlich gebundener Regenschirm. Auf seinem Kopf saß eine schwarze Melone. Dieses Opfer war ganz offensichtlich ein hochherrschaftlicher Butler, der da gemessen seines Weges schritt und keine Ahnung hatte, was sich hinter seinem Rücken zusammenbraute.
Die fünf Männer waren fast wie in Uniform gekleidet. Sie trugen schmale, röhrenartige Lederhosen, Tennisschuhe und Lederwesten. Schwarz war die Grundfarbe ihrer Kleidung. Und schwarz mußten wohl auch ihre Seelen sein, denn die fünf jungen Männer hatten die Absicht, den Butler in den Staub zu treten.
Sie holten ihn an einer breiten Treppe ein, die hinunter zum Strand führte, bildeten einen Halbkreis und riefen ihr Opfer fast höflich an.
»Meine Herren?« Der Butler blieb stehen und wandte sich um. »Was kann und darf ich für Sie tun?«
»Bist schon einmal geflogen« erkundigte sich der Anführer der Gruppe fast freundlich. Seine Augen waren aber kalt.
»In der Tat, meine Herren«, erwiderte das Opfer würdevoll. »Es handelt sich dabei um einen Vorgang, den ich sehr zu schätzen weiß.«
»Biste auch schon mal ’ne Treppe runtergeflogen?« fragte der Anführer.
»Auch das«, lautete die Antwort.
»Solch einen Vorgang schätze ich allerdings kaum, wie Sie verstehen werden.«
Das Opfer der fünf jungen Männer machte einen völlig beherrschten Eindruck. Von Angst oder Nervosität war nichts festzustellen. Der Butler schien darüber hinaus keine Ahnung zu haben, in welcher Gefahr er sich befand. Die fünf jungen Männer, die irgendwie an heimtückische Ratten erinnerten, beschäftigten sich nicht mit dem Butler, um Konversation zu treiben.
»Willst mal erleben, wie schnell man ’ne Treppe nach unten schaffen kann?« erkundigte der Anführer sich inzwischen.
»Sie dürfen versichert sein, meine Herren, daß ich andere Interessen habe«, erwiderte das Opfer gemessen. »Aber möglicherweise sind Sie so gütig, mir dies zu demonstrieren.«
»Der wird frech«, sagte der nächste junge Mann empört.
»Lassen wir den Alten doch mal segeln«, meinte der übernächste.
»Sollte ich mir aus irgendeinem mir unbekannten Grund Ihren Unwillen zugezogen haben?« fragte das Opfer würdevoll. »Mir scheint, Sie haben etwas gegen einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann.«
»Los, Opa, spring!« Der Anführer hatte die Geduld verloren und wollte endlich aktiv werden. Er hatte natürlich bemerkt, daß die Touristen und Feriengäste auf der Promenade sich bereits auf breiter Front abgesetzt hatten. Männer und Frauen jeden Alters standen längst im Schutz der Strandhotels oder hatten sich sogar ins Innere dieser Häuser zurückgezogen.
Man kannte Banden dieser Art.
Sie terrorisierten seit Wochen die Badeorte an der Südküste Englands und wurden von Tag zu Tag immer aufdringlicher und brutaler. Sie schienen die gesamte Küste bereits in ihren Besitz gebracht zu haben, und die Polizei war kaum in der Lage, etwas gegen sie zu unternehmen. Die Opfer hüteten sich, Anzeigen zu erstatten oder gar Personenbeschreibungen zu liefern.
»Wie darf und sollte ich Ihre Aufforderung interpretieren?« erkundigte sich der Mann, der wie ein hochherrschaftlicher Butler aussah. »Sie meinen, ich sollte über die Treppe nach unten springen?«
»Schlaues Kerlchen«, freute sich der Anführer mürrisch. »Los jetzt, Alter, sonst bring ich dir Schwung bei!«
»Sie werden hoffentlich verstehen, daß ich Ihrer Aufforderung nicht nachkommen möchte«, antwortete das Opfer höflich. »Wie leicht könnte man dabei einen gewissen gesundheitlichen Schaden nehmen.«
»Los, Jungens«, sagte der Anführer aufbrausend. »Gebt ihm Starthilfe!«
Auf dieses Signal hatten sie nur gewartet.
Während der Anführer gelangweilt zurücktrat, rückten die vier anderen jungen Männer dem müden, alten und relativ verbrauchten Mann auf den Pelz und langten brutal zu ...
*
»Wir stehen dicht vor einer Katastrophe«, sagte Sir Edward Lance mit bebender Stimme. »Wenn sich nur noch einige Vorfälle dieser Art wiederholen, werden die Feriengäste die Küste fluchtartig verlassen.«
»Zur Sache, mein Bester.« Agatha Simpsons Stimme klang ungeduldig. »Bisher haben Sie immer nur von Katastrophen gesprochen, ohne mir Details zu liefern. Zur Sache also, wenn ich bitten darf!«
Lady Agatha war das, was man eine stattliche Erscheinung nannte. Sie war groß, von junonischer Figur und hatte vor einigen Jahren beschlossen, ihr Alter, wenn überhaupt, mit »etwas über sechzig« anzugeben. Sie trug ein derbes Tweedkostüm, das wie ein Sack an ihr herunterhing. Ihre großen Füße befanden sich in derben Schuhen, die nicht gerade elegant aussahen. Unter ihrem Hut, der an den Südwester eines Seemanns erinnerte, schauten kleine, weiße Löckchen hervor.
Lady Agatha war eine reiche Dame, die mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert war. Sie pflegte diese Verwandtschaft jedoch nur oberflächlich, denn sie war eine abenteuerliche Natur, die Aktionen liebte und brauchte. Sie betätigte sich schon seit geraumer Zeit als Amateur-Detektivin und suchte darüber hinaus nach einem passenden Stoff, um endlich ihren Krimi-Bestseller zu schreiben.
Lady Agatha war eine liebenswertskurrile Persönlichkeit, die die Dynamik eines schweren Panzers besaß. Einmal in Fahrt geraten, war sie kaum zu stoppen. Sie konnte ungemein liebenswürdig sein, aber sie konnte auch fluchen wie ein Fuhrknecht. Begriffe wie Angst oder Vorsicht waren ihr fremd. Sie stolperte von einem verrückten Abenteuer ins andere und bekam eigentlich nie mit, wie gefährlich sie im Grund lebte. Darin erinnerte sie lebhaft an den legendären Reiter über den Bodensee.
Ihre Fahrt nach Bournemouth war nicht zufällig erfolgt. Sir Edward Lance hatte dringend um einen Besuch gebeten und ihr natürlich geneigtes Ohr gefunden. Listigerweise hatte er von einem sehr rätselhaften und unheimlichen »Fall« gesprochen.
»Worauf warten Sie eigentlich noch, Edward?« erkundigte sie sich grollend wie immer, was ihre dunkel gefärbte Stimme nur noch zusätzlich unterstrich. »Glauben Sie, ich hätte meine Zeit gestohlen?«
»Ich... Ich geniere mich fast, darüber zu sprechen«, schickte der Adlige voraus. Er war ein schlanker, großer, distinguiert aussehender Mann von etwa fünfunddreißig Jahren.
»Nun haben Sie sich nicht so! Was bedrückt Sie?« Lady Agatha versuchte sich in Mütterlichkeit, was ihr jedoch nur schlecht gelang.
»Hier an unserer Südküste treibt sich ein weißer Hai herum«, flüsterte Sir Edward und schaute unwillkürlich zur Tür.
»Ein weißer Hai?«
»Nur nicht so laut, Mylady«, bat Sir Edward händeringend.
»Den weißen Hai gibt es nur im Kino«, stellte Agatha Simpson energisch fest. »Und er bestand nur aus Plastik und viel Technik. Was soll also dieser Unsinn?«
»Der weiße Hai ist verschiedentlich gesehen worden, Mylady«, flüsterte Sir Edward weiter. »Es gibt da eine große Zahl von Augenzeugen. Erfreulicherweise hat die lokale Presse noch keine Notiz davon genommen.«
»Erzählen Sie der Reihe nach.« Agatha Simpson richtete sich auf. Ihre Augen glitzerten und zeigten großes Interesse.
»Dieser weiße Hai ist bisher hier in Bournemouth, Portland, Exmouth, Torquay und Paignton beobachtet worden. Also genau am schönsten Teil unserer Ferienküste. Dies muß man sich mal vorstellen! Ein Hai! Er soll so groß sein wie der aus dem Film, Mylady.«
»Existieren Fotos von ihm?«
»Bisher nicht. Er wurde relativ weit draußen gesehen. Die Beobachtungen stammen von Seglern. Aber es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis dieses Monster sich an die Strände heranwagt. Ich darf gar nicht daran denken, was passieren wird, wenn mal ein Wassersportler angegriffen wird.«
»Wen haben Sie bisher informiert, Edward?« Agatha Simpsons Hände spielten mit dem großen Pompadour, der auf ihrem Schoß lag. Dieser perlenbestickte Handbeutel, wie ihn um die Jahrhundertwende die Damen trugen, glich schon fast einem kleinen Seesack, so üppig waren seine Formen.
»Wen ich informiert habe? Nun, die Küstenwache und die Polizei. Alles unter dem absoluten Siegel der Verschwiegenheit, wie Sie sich vorstellen können. Falls die Öffentlichkeit davon erfährt, können wir hier an der Küste einpacken. Ich weiß, wovon ich spreche, Mylady. Als Vorsitzender der Seebädergemeinschaft habe ich so etwas schon mal vor Jahren erlebt. Damals trieben sich ein paar vorwitzige Heringshaie nahe der Küste herum. Die Feriengäste reisten in Massen ab und brachten unsere Hotels an den Rand des Ruins.«
»Warum haben Sie ausgerechnet mich alarmiert?« wollte die ältere Dame wissen. »Soll ich den weißen Hai etwa harpunieren?«
»Das auch, Mylady«, antwortete Sir Edward. Er griff nach einem geöffneten Briefumschlag, der auf seinem Schreibtisch lag, und zerrte mit nervösen Bewegungen einen Brief hervor, den er der Lady reichte. »Lesen Sie, Mylady! Der Text wird alles erklären.«
Agatha Simpson überflog die wenigen Zeilen.
Der Verfasser, der seinen Namen unterschlagen hatte, teilte kurz und knapp mit, sein weißer Hai würde in den kommenden Tagen zuschnappen. Er empfahl, die Polizei aus dem Spiel zu lassen, um den erwähnten Hai nicht blutrünstig zu machen.
»Wann ist der Brief gekommen?« fragte die Detektivin.
»Gestern abend«, erwiderte Sir Edward. »Ich rief Sie daraufhin sofort an.«
»Eine hübsche Botschaft«, urteilte die Sechzigjährige wohlwollend.
»Sie werden den weißen Hai jagen, Mylady?« erkundigte Sir Edward sich hoffnungsfroh.
»Dumme Frage«, grollte sie. »Natürlich! Ein weißer Hai fehlte noch auf meiner Liste. Ich werde sofort mit meinem Butler reden. Er wird mitmachen müssen, ob er will oder nicht!«
*
Die vier jungen Männer langten herzhaft zu und sahen darin kein Problem, ihr Opfer über die Treppe nach unten zu befördern. Sie nahmen die Sache derart auf die leichte Schulter, daß sie ganz bewußt auf ihre gewohnten Schlaginstrumente verzichteten.
Bruchteile von Sekunden später – ihre Fäuste befanden sich in Bewegung – erlebten die vier jungen Männer eine peinliche Überraschung. Ihr Opfer, das sich als alt, müde und relativ verbraucht bezeichnet hatte, wußte mit dem altväterlich gebundenen Regenschirm schnell und geschickt umzugehen.
Dieser Regenschirm blockte zwei Schläge ab und ließ die Handgelenke der jeweiligen Besitzer knacken. Dann schwang der Bambusgriff herum und umschmeichelte die Kinnlade des dritten Schlägers. Die Kinnlade krachte diskret, knirschte ein wenig und veranlaßte den Inhaber des Unterkiefers, erst mal zu Boden zu gehen. Der vierte Mann bekam gar nicht erst mit, wie abenteuerlich seine Nase sich verformte, als der Bambusgriff sich auf das Nasenbein senkte. Deshalb verdrehte er nur die Augen, schnaufte beeindruckt und rollte über die Stufen nach unten.
Der Anführer der Schläger hatte sich beim Angriff seiner Freunde fast gelangweilt umgedreht und starrte herausfordernd auf die Feriengäste vor einem der Strandhotels. Er grinste ausgesprochen höhnisch und wartete wohl nur darauf, daß dort eine falsche, ihm nicht passende Bewegung gemacht wurde. Dieser Anführer hatte die Abwehrschläge, das Stöhnen und Schnaufen seiner Partner zwar mitbekommen, doch er deutete die Geräusche völlig falsch. Er war der festen Ansicht, sie müßten vom malträtierten Opfer stammen.
»Kann ich möglicherweise auch etwas für Sie tun?« hörte er plötzlich eine höfliche Stimme hinter sich. Der Anführer stutzte, glaubte nicht recht zu hören und drehte sich um.
Das vermeintliche Opfer sah nach wie vor korrekt und tadellos aus. Es lüftete die schwarze Melone und blickte den jungen Mann abwartend an.
Der Anführer sah am vermeintlichen Opfer vorbei und traute seinen Augen nicht.
Zwei seiner Leute kollerten gerade recht schwungvoll über die Stufen nach unten in Richtung Strand. Der dritte junge Mann hielt sich stöhnend das rechte Handgelenk, der vierte schluchzte ein wenig und tastete seinen Unterarm vorsichtig ab.
»Verzeihen Sie meine gewiß zu heftige Reaktion«, entschuldigte das Opfer sich gemessen. »Möglicherweise habe ich einen harmlos gedachten Scherz völlig mißverstanden. Ich würde das ungemein bedauern.«
Der Anführer schluckte, trat unwillkürlich einen Schritt zurück und verstand die Welt nicht mehr. Seine Spezialisten hatten eine kollektive Niederlage erlitten! So etwas war noch nie passiert. Die Welt dieses jungen Mannes stand quasi auf dem Kopf.
»Du Miststück!« Endlich hatte der Anführer zu seiner Sprache zurückgefunden und explodierte förmlich vor Wut und Zorn. »Dafür tätowier’ ich dich!«
»Was sollte man sich darunter vorstellen?« fragte das Opfer höflich.
»Das hier!« Der Anführer der Schläger langte blitzschnell in die Innentasche seiner schwarzen Lederjacke und riß eine Fahrradkette hervor, die er wie eine Peitsche schwang. Er fintierte, wollte sein Opfer zu einer Abwehrreaktion bringen und schlug dann heimtückisch zu.
Das Opfer hatte bisher nicht reagiert, doch nun, als die Kette sein Gesicht treffen sollte, fuhr der altväterlich gebundene Regenschirm hoch und wurde dabei von zwei Händen gehalten, die von schwarzen Zwirnshandschuhen bedeckt waren.
Die Fahrradkette wickelte sich prompt um den waagerecht gehaltenen Schirm und verlor ihre Wirkung. Das Opfer ließ den Regenschirm los und grüßte erneut mit der schwarzen Melone. Die sanfte Rundung kam dabei in innigen Kontakt zur Nasenspitze des Rowdys.
Diesem Kontakt war sie nicht gewachsen.
Die Nasenspitze klappte zur Seite und ließ das Wasser in die Augen des Mannes schießen.
»Ich fürchte, ich werde mich gehenlassen müssen«, sagte das Opfer sich und verabreichte dem Anführer zwei Ohrfeigen, die den Kopf des Rowdys hin- und herpendeln ließen. Der Mann fuhr zurück, stolperte über ein Bein des Opfers, verlor sein Gleichgewicht und setzte zu einen Tiefflug an, der nicht gerade als gekonnt zu bezeichnen war.
Der Anführer tat genau das, was er seinem Opfer zugedacht hatte: Er versuchte sich im Segelflug, hob ab und legte etwa dreieinhalb Meter in freiem Flug zurück. Dann kam es zu einer Art Bruchlandung auf einer der Stufen. Der Rowdy überschlug sich, absolvierte eine Reihe von Salti und blieb dann leicht erschöpft unten im Sand liegen.
Diskreter Beifall war zu hören.
Die eben noch verstörten und verängstigten Feriengäste in der Nähe der Hotels spendeten dem müden, alten und relativ verbrauchten Mann Beifall. Sie freuten sich über die Abfuhr, die den Schlägern erteilt worden war.
Das Opfer bedankte sich artig durch eine knappe Verbeugung, die wirklich frei war von Arroganz, hob den altväterlich gebundenen Regenschirm auf und schritt gemessen von dannen. Es kümmerte sich nicht weiter um einen heranpreschenden Streifenwagen der Polizei, der von einer besorgten Hoteldirektion alarmiert worden war.
»Sir, einen Moment, bitte«, war dann zu vernehmen. Ein stämmiger, untersetzter Sergeant folgte dem Opfer, das sich nun umwandte und grüßend die schwarze Melone hob.
»Mein Kompliment«, sagte der Sergeant. »Wie ich höre, haben Sie diese Schläger völlig allein ausgeschaltet.«
»Ich habe mich hinreißen lassen, wie ich bekennen muß«, gestand das Opfer.
»Sie haben sich da mit den weißen Haien eingelassen«, redete der Sergeant weiter. »Eine ganz berüchtigte Gruppe.«
»Hoffentlich wird man mir verzeihen.«
»Bestimmt nicht. Darf ich erfahren, Sir, wer Sie sind?«
»Mein Name ist Parker«, sagte das Opfer gemessen. »Josuah Parker. Ich habe die Ehre und auch das Vergnügen, der Butler Lady Simpsons sein zu dürfen. Sie finden meine bescheidene Person im ›Norman House‹, wo Mylady eine Suite bezogen hat.«
*
Sie stand auf dem Pier und schaute auf die See hinaus.
Sie war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, groß und schlank. Daß die Männer sich liebend gern nach ihr umdrehten, wußte sie längst. Ihr langes, rehbraunes Haar unterstrich das Oval ihres Gesichts, das ein wenig exotisch wirkte. Sie hatte ausdrucksvolle, dunkle Augen, die auf den ersten Blick an die eines etwas scheuen Rehs erinnerten. Sie hieß Kathy Porter und war die Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Agatha Simpson.
Gleich nach ihrer gemeinsamen Ankunft in Bournemouth hatte Kathy Porter die ältere Dame zu Sir Edward begleitet, sich dann aber von ihr verabschiedet, da Sir Edward um eine sehr vertrauliche Unterredung gebeten hatte. Kathy war hinunter zum Strand gegangen und vertrieb sich auf dem Pier ein wenig die Zeit. Bis zur Rückkehr verblieben ihr noch gut dreißig Minuten.
Das Wetter war ausgezeichnet. Die Sonne verschwendete sich förmlich. Im vom Golfstrom aufgeheizten Seewasser tummelten sich die Badefreudigen. Weiter draußen waren Segel- und Motorboote zu sehen. Friedlicher und urlaubsgestimmter konnte das allgemeine Bild gar nicht sein.
Kathy wollte gerade zurück zum Strand gehen, als sie einen spitzen Schrei hörte.
Sie fuhr herum, sah, wie sich an der äußersten Spitze des Piers eine Menschentraube bildete und lief automatisch auf diese Gruppe zu. Dabei zeigte sich die pantherhafte Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen. Sie verriet, wie durchtrainiert dieser schlanke Körper war und welche Kraft in ihm war. Als sie die Menschen erreicht hatte, hörte sie aufgeregtes Stimmengewirr. Draußen auf See schien sich ein Unglück ereignet zu haben.
»Ist was passiert?« fragte sie einen kleinen dicklichen Mann.
»Ein Hai«, lautete die überraschende Antwort. »Sehen Sie doch! Dort, rechts vom Schwimmfloß, streicht ein Riesenhai herum.«
Kathy Porter wußte nun, worauf sie ihre Aufmerksamkeit zu richten hatte. An einen Riesenhai glaubte sie natürlich nicht. In diesen Breiten kamen diese Meeresräuber nicht vor.
Doch dann traute sie ihren Augen nicht mehr.
Sie sah eine weißlich glänzende, riesige Dreiecksflosse, die nur von einem Hai stammen konnte. Dieses Monster umkreiste das Schwimmfloß und beobachtete die ängstlichen Menschen, die sich auf die schwimmende kleine Insel gerettet hatten. Das viereckige Floß war überlastet und drohte seitlich wegzukippen. Das Geschrei der Menschen war deutlich zu vernehmen.
Einige Motorboote steuerten das Schwimmfloß an, doch sie waren leider noch zu weit entfernt, um das Unglück verhüten zu können, das sich von Sekunde zu Sekunde immer deutlicher anbahnte. Das überlastete Badefloß kippte immer mehr ab. Die Menschen darauf waren längst in Panik geraten und kämpften um einen halbwegs sicheren Platz.
Die Dreiecksflosse war für einen Augenblick verschwunden gewesen, tauchte dann aber wieder auf und zog immer engere Kreise um das Badefloß. Dieser Rückenflosse nach zu urteilen, mußte es sich um ein Ungeheuer handeln.
Dann geschah das schreckliche Unglück.
Das Floß, einseitig belastet, schlug um. Es bäumte sich noch mal auf, sprang förmlich einen halben Meter aus dem Wasser und klatschte auf die im Wasser treibenden Menschen.
Die Zuschauer auf dem Pier waren ruhig geworden. Wie gebannt starrten sie auf die weißliche Dreiecksflosse, die sich in rasender Geschwindigkeit den im Wasser treibenden Opfern näherte. Der Riesenhai ging zum Angriff über und wollte sich eine leichte Beute holen.
Kathy Porter merkte, wie ihre Hände sich verkrampften. Sie hörte Schreie, sah, wie die Schwimmer in wilder Hast nach allen Seiten auseinanderstrebten, und bemerkte leider auch, wie einer dieser Menschen plötzlich seine Arme in die Luft streckte.
Der Riesenhai hatte sein Opfer gefunden.
Der Schwimmer wurde unter Wasser gezogen, die Dreiecksflosse glänzte noch mal auf, um dann zu verschwinden.
Inzwischen waren die ersten Motorboote heran. In fliegender Hast bargen sie die verzweifelten Badegäste, auf dem Pier wurden einige Beobachter ohnmächtig, die kleine Dickliche neben Kathy Porter erlitt einen Herzanfall, keuchte, lehnte sich gegen die Brüstung und sackte dann auf die Knie.
Kathy konzentrierte sich auf die See.
Würde das Riesenmonster noch mal auftauchen? Nein, es blieb verschwunden. Kathy glaubte nur noch eine Art Wasserwirbel zu sehen, der wie eine Heckwelle in Richtung offene See verlief.
*
»Die briefliche Drohung, Mylady, dürfte damit bereits eingetreten sein«, stellte Butler Parker eine halbe Stunde später fest.
Lady Agatha, Kathy Porter und er befanden sich in der geräumigen Hotelsuite des »Norman House« und hatten ihre Beobachtungen ausgetauscht.
»Der Schwimmer wurde nach Augenzeugen tatsächlich von einem riesigen Hai angegriffen, zerfetzt und in die Tiefe gezogen«, wiederholte Kathy Porter noch mal. »Ich selbst habe es ja ebenfalls gesehen.«
»Papperlapapp«, ärgerte Mylady sich deutlich. »Einen Hai kann man nicht brieflich ankündigen. So etwas gibt es einfach nicht.«
»Dennoch scheinen zwischen erwähntem Brief und dem Hai enge Beziehungen zu bestehen, Mylady.« Parkers Stimme klang gemessen wie üblich. »Darüber hinaus möchte ich mir erlauben, auf jene weißen Haie hinzuweisen, die meinen Weg kreuzten.«
»Einen Hai kann man nicht dressieren«, stellte die ältere Dame klar. »Was haben Sie zu diesem Thema zu sagen, Mister Parker?«
»Ich möchte mir erlauben, mich Myladys Ansicht anzuschließen«, antwortete Parker. »Auf der anderen Seite sollte man natürlich unterstellen, daß es doch gewisse Methoden gibt, solch einen Hai zu kontrollieren.«
»Und welche, Mister Parker?« fragte die resolute Sechzigerin grimmig.
»Dies, Mylady, entzieht sich leider meiner Kenntnis«, schickte der Butler voraus. »In diesem Zusammenhang aber darf ich darauf verweisen, daß man Versuchstieren Elektroden ins Hirn pflanzt und durch Stromstöße gewisse Reaktionen wie Angst oder Aggression auslöst.«
»Scheußlich«, entrüstete Agatha Simpson sich. »Warum experimentieren diese Wissenschaftler nicht mit ihrem eigenen Gehirn?«
»Ob man auch einem Hai solche Elektroden einpflanzen kann?« fragte Kathy Porter.
»Dies, Miß Porter, sollte man sich von kompetenten Personen erklären lassen«, gab der Butler zurück. »Bedenklich ist allerdings die Tatsache, daß der im Brief angekündigte Hai auch prompt erschien. Ich darf meiner tiefen Sorge Ausdruck verleihen, daß mit weiteren Briefen und Haiattacken zu rechnen ist.«
»Und wo ist das Motiv?« wollte Lady Agatha wissen.
»Man sollte mit einer massiven Erpressung rechnen«, erwiderte Josuah Parker würdevoll. »Dabei dürfte es um horrende Summen gehen, wenn ich mich nicht sehr täusche.«
»Nannten sich diese Lümmel, mit denen Sie zu tun hatten, nicht auch weiße Haie?« Lady Agatha sah ihren Butler erwartungsvoll an.
»Ein Sergeant der Polizei erwähnte diesen Namen, Mylady.«
»Sehr schön.« Agatha Simpson freute sich. »Diese Subjekte scheinen mit dem echten Hai in Verbindung zu stehen.«
»Dies, Mylady, sollte man in der Tat nicht ausschließen.«
»Dann werden wir uns mit diesen Flegeln mal gründlich befassen«, sagte die Detektivin unternehmungslustig. »Wissen Sie, Mister Parker, wo wir sie finden können?«
»Sie werden sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit freiwillig präsentieren und einfinden, Mylady. Ihre Rachesucht dürfte inzwischen echt ausgeprägt sein.«
»Und ich werde mir von Sir Edward die Adresse eines Wissenschaftlers geben lassen, der sich mit Tieren und Elektroden auskennt«, verkündete die Sechzigerin. »Aber es will mir einfach nicht in den Kopf: Ein Hai, der von Menschen dressiert worden ist und auf Befehl angreift! Wissen Sie, Mister Parker, wie klein das Hirn eines Hais ist?«
»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit nicht informiert.«
»Das ist aber sehr bedauerlich«, stellte Parkers Herrin verärgert fest. »So etwas muß man wissen.«
»Mylady‘ sehen einen aufmerksamen Zuhörer vor sich.« Parker verzog keine Miene.
»Wieso aufmerksamer Zuhörer?« Lady Agatha hatte noch nicht ganz mitbekommen, worauf Parker hinaus wollte. Als sie Kathys Lächeln bemerkte, ging ihr mit einiger Spätzündung ein Licht auf.
»Ich... Ich belehre Sie nicht gern«, meinte sie dann geistesgegenwärtig. »Ich will Sie nicht beschämen.«
»Wie Mylady meinen.«
»Besorgen Sie sich Ihre Informationen an anderer Stelle«, schloß Lady Agatha dieses Thema hastig ab. »Jetzt möchte ich nur wissen, ob Sir Edward ...«
Das Telefon läutete diskret, als sei das Stichwort gefallen. Kathy Porter hob ab, meldete sich und nickte Agatha Simpson dann zu. Sie reichte den Hörer an die ältere Dame weiter.
»Sie lassen sich sehr viel Zeit, mein Bester«, grollte sie. »Haben Sie wenigstens von der Sache mit dem weißen Hai gehört? Wie war das? Das ist ja sehr interessant, Edward, sehr aufschlußreich. Man verlangt hunderttausend Pfund von der Kurverwaltung? Wie war das? Sonst würde der weiße Hai wieder erscheinen? Dachte ich mir doch gleich, daß es sich um ein groß angelegtes Erpressungsmanöver handelt. Was Sie tun sollen? Zahlen Sie! Dieser weiße Hai ist eine Realität. Wahrscheinlich wird er noch hungriger werden. Ja, auch auf Menschen, aber in erster Linie auf Pfundnoten!«
*
Parker bot sich freundlicherweise als Köder an.
Um die Dinge in Bewegung zu bringen, suchte er Kontakt zu den zweibeinigen weißen Haien. Dazu lustwandelte er am späten Nachmittag oberhalb der steil abfallenden Kreideküste durch eine idyllische Heidelandschaft und wußte seit zehn Minuten, daß er diskret beschattet wurde.
Seine Verfolger waren ein junger Mann und ein junges Mädchen, die offensichtlich ebenfalls die Stille suchten. Sie hielten sich eng umschlungen und blieben im Abstand. Wahrscheinlich aber gaben sie über ein Funksprechgerät den jeweiligen Standort durch und informierten ihre Freunde, die irgendwo im Hinterhalt lauerten.
Butler Parker war durchaus klar, daß er sich auf ein Risiko einließ. Die jungen Haie, die er über die Treppe hinunter zum Strand befördert hatte, brannten mit Sicherheit darauf, sich für die Niederlage zu rächen. Mit Glacéhandschuhen würden sie ihn gewiß nicht anfassen.
Dennoch fühlte der Butler sich recht sicher. Selbstverständlich hatte er sich vor diesem abendlichen Spaziergang entsprechend präpariert. Es war sein Vorteil, daß er die üblichen Methoden solcher Schläger recht gut kannte. Sie hingegen kannten Parker nicht und hatten keine Ahnung, über welche an sich harmlosen Tricks er verfügte.
Parker hatte inzwischen eine Art Parklandschaft erreicht. Es gab hier weite Wiesen, kleine Baumgruppen und Wäldchen, dann wieder Sandgruben und Heide. Die allgemeine Sicht war unübersichtlich geworden. Idealer konnte man sich den Ort für eine bösartige Abrechnung nicht vorstellen.
Das junge Liebespaar war plötzlich nicht mehr zu sehen. Es schien seine letzte Durchsage gemacht zu haben. Wahrscheinlich wartete es jetzt darauf, daß die alarmierten Partner erschienen.
Parker zögerte nicht, seinerseits eine Standortdurchsage vorzunehmen. Darauf hatte Agatha Simpson bestanden. Über sein kleines Funksprechgerät setzte Josuah Parker also seine Meldung ab und erhielt die Bestätigung von Kathy Porter.
Parker steckte das kleine Gerät weg und vergewisserte sich, daß seine Spezialzigarre griffbereit in einer der oberen Westentaschen war. Dann prüfte er noch mal, ob seine diversen Patentkugelschreiber leicht zu erreichen waren, und nahm für einen Moment die schwarze Melone vom Kopf.
In der Wölbung befand sich die Glasampulle, die einen Inhalt von zwanzig Millilitern aufnahm. Diese Ampulle, mit Klebestreifen befestigt, bestand aus einem dünnen Glas, das bei hartem Aufschlag leicht zerbrach.
Parker setzte die Melone gerade wieder auf, als er auch prompt schon das Geräusch hochtouriger Motorräder hörte. Es hörte sich an wie das Summen gefährlicher Insekten.
Die Haie preschten heran!
Butler Parker wechselte hinüber an den Rand einer Sandgrube, der mit Ginsterbüschen und sonstigem Strauchwerk dicht besetzt war. Hier suchte er sich zwei eng zusammenstehende, leicht verkrüppelte Fichten aus und harrte der Dinge, die da kommen mußten.
Schon nach wenigen Minuten sah er die Gruppe der Motorradfahrer, die ihn nicht aus den Augen ließ. Es handelte sich um vier Zweiräder, die je zwei Personen trugen. Er hatte es also erst mal mit acht Gegnern zu tun, wenn er von dem Liebespaar absah.
Sie hatten sich nicht durch Jethelme getarnt, trugen die üblen Jeans, schwarze Lederwesten und Tennisschuhe. Sie hatten offensichtlich keine Sorge, später wiedererkannt zu werden, und gingen davon aus, daß ihr Opfer nach diesem Zusammentreffen sich an nichts mehr erinnerte.
Sie veranstalteten ein eindrucksvolles Ritual.
Als sie Parker entdeckten, bildeten sie mit ihren Motorrädern einen Halbkreis und fuhren langsam auf ihn zu. Das Tempo gab der Schläger an, der an der Treppe den Anführer gespielt hatte. Dann stoppten sie, stiegen von ihren Maschinen und kamen langsam auf Parker zu. Jeder von ihnen hatte plötzlich eine Stahlrute in der Hand, die sie pfeifend durch die Luft schlugen.
Parker war ein höflicher Mensch. Er lüftete seine Melone und deutete eine Verbeugung an.
»Sollten Sie vom rechten Weg abgekommen sein?« erkundigte er sich gemessen. »Darf und kann ich Ihnen erneut behilflich sein?«
*
»Sehr hübsch«, freute sich Lady Simpson, als die Gruppe der Motorradfahrer ihr Versteck passiert hatte. Sie nickte ihrer Gesellschafterin animiert zu. »Kommen Sie, Kindchen, wir wollen uns nicht abhängen lassen.«
Ohne Kathy Porters Antwort abzuwarten, schritt sie zu dem Jeep, der hinter einem breiten Gebüsch stand. Agatha Simpson liebte die Technik über alles. Sie nutzte jede Gelegenheit, um sich an ihr zu versuchen. Und es machte ihr eigentlich kaum etwas aus, daß sie gerade mit der Technik auf schlechtem Fuß stand.
»Vielleicht sollten wir noch einen Moment warten, Mylady«, schlug Kathy Porter vor. »Mister Parker möchte sich mit den jungen Männern erst mal unterhalten.«
»Papperlapapp, Kindchen! Und ich bin dann die Dumme ... Ich kenne doch Mister Parker. Ist Ihnen eigentlich schon aufgefallen, daß er immer gern alles allein macht?«
»Aus Rücksicht Mylady gegenüber«, erwiderte Kathy Porter sofort diplomatisch.
»Ich weiß, er hält mich für eine alte Frau«, ärgerte Agatha Simpson sich. »Er will einfach nicht einsehen, wie wichtig ich für ihn bin.«
»Das weiß Mister Parker nur zu gut, Mylady.«
»Halten Sie mich nicht unnötig auf, Kindchen! Steigen Sie endlich ein!«
Agatha Simpson schwang sich an das Steuer und betätigte den Anlasser, der den Motor sofort in Schwung brachte. Mylady kuppelte und gab Vollgas. Der Jeep rauschte mit wildem Schnellstart los und näherte sich einer Bodenwelle, die wie eine Art Sprunghügel aussah.
Agatha Simpson hielt viel von der Technik. Sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, daß Achsen, Stoßdämpfer oder Motoraufhängungen durchaus zu demolieren waren.
Kathy Porter seufzte, klammerte sich fest, so gut es ging, und schloß dann die Augen, als der Jeep zu einem wilden Sprung ansetzte. Das Gefährt segelte durch die Luft und landete ungemein hart hinter der Bodenwelle auf dem hier felsigen Untergrund.
Das nahmen die Stoßdämpfer übel, um von der Vorderachse erst gar nicht zu reden. Der Jeep krachte auf einen kleinen Felsbuckel und gab umgehend seinen an sich starken Geist auf. Zwei Stoßdämpfer spielten nicht mehr mit, die rechte Vorderachse verbog sich, die Ölwanne riß und die linke Motoraufhängung war im Eimer.
»Hoppla«, sagte die ältere Dame. »Was war denn das, Kindchen?«
»Das war ein Jeep, Mylady«, erwiderte Kathy trocken und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, denn sie lebte und war unversehrt geblieben. »Sind Mylady in Ordnung?«
»War ein Jeep? Soll das etwa heißen, daß der Wagen nicht mehr in Ordnung ist?« Groll lag in Lady Agathas Stimme.
»Erstaunlich, wie gut er sich trotzdem gehalten hat!« Kathy stieg aus und wunderte sich ehrlich.
»Und das nennt sich nun gute englische Qualität«, ärgerte Agatha Simpson sich. Sie stieg ein wenig ramponiert aus dem Wagen. »Dieser neumodische Kram hält ja noch nicht mal den kleinsten Stoß aus.«
»Ein anderer Wagen hätte sich wahrscheinlich in seine Einzelbestandteile zerlegt, Mylady.« Kathy mußte wider Willen lachen.
»Seien Sie nicht albern, Kindchen!« Agatha Simpson sah ihre Sekretärin streng an. »Und was jetzt? Mister Parker wird mich inzwischen längst vermissen.«
»Und wird sich gedulden müssen, Mylady. Dieser Jeep taugt nur noch für den Schrott.«
»Ich werde mich bei dem Hersteller beschweren«, drohte die ältere Dame aufgebracht. Sie versetzte dem schuldlosen Fahrzeug einen derben Fußtritt, um dann allerdings geistesgegenwärtig und blitzschnell zurückzuspringen. Nach diesem Fußtritt nämlich brachen beide Vorderräder nach außen weg, worauf der Jeep sich auf seinen durchfallenden Motor legte.
»Soll ich vorauslaufen, Mylady?« fragte Kathy Porter. »Bis zur Sandgrube ist es noch weit.«
»Schnickschnack, Kindchen! Ich komme mit.« Ihre Stimme ließ keinen Zweifel aufkommen. »Ich kann Sie doch nicht schutzlos diesen Haien ausliefern. Nein, nein, diese paar Meter werde ich leicht schaffen. Sie wissen noch gar nicht, wie gut ich zu Fuß bin!«
Agatha Simpson langte nach hinten in den Jeep und holte einen wirksam und modern aussehenden Sportbogen hervor. Sie griff nach dem Köcher, der mit Aluminiumpfeilen gefüllt war. Dann setzte sich die Dame energisch in Bewegung, doch wegen ihrer nicht zu übersehenden Fülle glich sie gerade nicht einer gewissen Diana, der Göttin der Jagd.
*
Natürlich pfiffen sie auf seine Hilfe. Sie hatten nur den einen Wunsch, diesen Butler nach allen Regeln der Kunst zu bearbeiten. Sie brauchten endlich wieder ein intaktes Selbstgefühl und waren auch bereit, dafür einen Mord zu begehen. Parker sah es den zweibeinigen Haien deutlich an.
»Mir scheint, daß ich mir Ihren Unwillen zugezogen habe«, stellte Josuah Parker fest. »Gelten diese Stahlruten etwa meiner bescheidenen Person?«
»Dir wird die Quasselei gleich vergehen«, prophezeite der Anführer gereizt. »Hier kannste uns mit Tricks nicht mehr kommen, ist das klar?«
»Ist es mir vergönnt, einige Fragen zu stellen?«
»Für die nächsten Tage is’ das deine letzte Möglichkeit.« Der Anführer war einverstanden und stoppte seine Begleiter mit einer jähen Handbewegung.
»Haben die Herren möglicherweise etwas mit einem wirklich existierenden Hai zu tun?« fragte Parker sofort und ließ den Anführer nicht aus den Augen. An seiner Reaktion hoffte er zu erkennen, ob der junge Schläger Bescheid wußte.
»Mit welchem Hai?«
»Mit jenem weißen Hai, der heute an der Küste ein Opfer geschlagen hat«, fragte Parker weiter.
»Was soll der Stuß?« Nein, der Anführer wußte offensichtlich nicht Bescheid, oder aber er war ein beneidenswert guter Schauspieler. »War das alles?«
»In der Tat, meine Herren.« Parker deutete wieder eine knappe Verbeugung an. »Nun möchte ich mich den Herren zur Verfügung stellen. Ich darf und kann nur hoffen, daß Sie einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann nicht zu gram sein werden.«
Der Anführer fühlte sich natürlich auf den Arm genommen. Die barocke Ausdrucksweise des Butlers reizte ihn zusätzlich. Parker redete eine Sprache, die der Mann kaum verstand. Er stieß die geballte Faust in die Luft und löste damit ein weiteres Anrücken aus. Die insgesamt acht jungen Männer setzten sich wieder in Bewegung und ließen die gefährlichen Stahlruten pfeifen. Der Abstand zwischen ihnen und dem Butler betrug nur noch drei bis vier Meter.
Parker unterschätzte seine Gegner niemals. Er hielt es für an der Zeit, die Glasampulle aus der Wölbung seiner Melone zu nehmen, die er noch immer höflich in der Hand hielt. Er löste sie aus ihrer Halterung und schleuderte sie aus dem Handgelenk heraus zu Boden.
Da geschah etwas, was Parker ehrlich verblüffte: Die Glasampulle blieb trotz ihrer an sich dünnen Wandung heil und intakt. Sie dachte nicht daran, auf dem Boden zu zerschellen und ihren Inhalt freizugeben.
Das war mehr als peinlich, denn darauf hatte Parker gesetzt. Er runzelte die Stirn, wenn auch nur andeutungsweise. Die Dinge nahmen eine Entwicklung, die ihm Sorge bereitete. Leider fehlte jetzt die Nebelbank mit ihren Reizstoffen, auf die er fest gesetzt hatte. Die Schläger rückten weiter vor, der Sicherheitsabstand bestand kaum noch.
Parker sah sich zu seinem Leidwesen gezwungen, eine härtere Gangart anzuschlagen, doch er hatte wirklich keine Lust, sich aus Menschenfreundlichkeit von den Stahlruten zusammenschlagen zu lassen. Genau das hatten die jungen Männer nach wie vor auf ihrem Programm stehen.
Parker griff nach einem seiner Patentkugelschreiber und feuerte ihn auf die Schläger ab, im wahrsten Sinn des Wortes, denn dieser Kugelschreiber enthielt eine ansehnliche Ladung Feinstschrot.
Parker zielte nicht auf die Gesichter der jungen Männer. Er begnügte sich damit, die Beinpartien zu bestreuen. Erfahrungsgemäß reichte das in solchen Fällen.
Der Erfolg war frappierend.
Drei der acht jungen Männer brüllten, als habe man sie frisch aufgespießt. Sie vergaßen ihre Stahlruten und interessierten sich ab sofort nur noch für ihre Beine. Sie setzten sich auf den weichen Boden und nahmen übel.
Die fünf Schläger stutzten zwar, aber sie gaben natürlich nicht auf. Sie waren aus hartem Holz geschnitzt und wollten es jetzt sogar ganz genau wissen.
Parker feuerte einen zweiten Kugelschreiber ab.
Diese Miniaturfeuerwaffe enthielt keinen Feinstschrot, sondern versprühte eine Art Tränengas, allerdings in einer hohen Konzentration.
Daraufhin traten zwei der fünf noch aktiven Rowdies ab. Sie weinten wie Schloßhunde, rangen nach Luft und gingen ebenfalls zu Boden. Sie fühlten sich blind und hilflos, rieben sich die Augen und verschlimmerten dadurch ungewollt ihre momentane Lage.
Zurück blieben drei zu allem entschlossene Schläger.
Der Anführer holte mit seiner Stahlrute aus und hätte den Butler um ein Haar getroffen, wenn Parker nicht im letzten Moment zur Seite gewichen wäre. Einer der drei jungen Bösewichte trat ungewollt auf die Glasampulle und sorgte dann von sich aus für das Ende dieser Vorstellung.
Das dünnwandige Glas brach auseinander und ließ eine dichte Nebelwand hochsteigen, die es in sich hatte. Dieser Nebel enthielt Bestandteile, die die diversen Schleimhäute stark reizte. Der Anführer und seine beiden Getreuen hatten das Gefühl, von schweren Vorschlaghämmern getroffen zu werden. Sie gingen innerhalb einer Sekunde zu Boden und wurden ohnmächtig.
Obwohl Parker natürlich auch von diesem Reiznebel belästigt wurde, passierte ihm dennoch nichts. Er hatte die Zigarre in den Mund geschoben und hielt sich die Nase zu. Diese Zigarre war nichts anderes als eine Atempatrone nach Art der früheren Tauchretterausrüstung. Sie absorbierte den Reizstoff und schützte den Butler, der gelassen das Schlachtfeld inspizierte.
Acht Schläger lagen auf dem Boden und waren außer Gefecht. Sie sahen aus wie selig schlafende Säuglinge. Die Reizwolke hatte inzwischen auch die vom Feinstschrot Getroffenen erreicht und in einen kurzen Tiefschlaf geschickt.
Parker war mit seiner Strecke zufrieden.
Reibungsloser hätte dieser Kontakt zu den weißen Haien gar nicht verlaufen können. Er mußte jetzt nur noch dafür sorgen, daß diese Schläger nicht vorzeitig wieder aktiv wurden.
Als der Butler sich dem Anführer der weißen Haie nähern wollte, hörte er hinter der dichten Nebelwand ein Geräusch. Hatte er einen der Schläger übersehen? Richtig, da war ja noch das angebliche Liebespaar, das sich auf seine Fährte gesetzt hatte! Parker nahm seinen Universal-Regenschirm hoch und war bereit, auch diesen Angriff abzuwehren.
»Mylady sehen mich überrascht und besorgt«, sagte Parker wenig später, nachdem er die Nebelwand durchschritten hatte. Er sah seine Herrin, die in ihrem Eifer zu weit gegangen war. Sie hatte sich ohne jeden Atemschutz dieser gefährlichen Wolke genähert und saß auf dem Boden. Sie musterte ihn in einer Mischung aus Anklage und Zorn, dann aber schlossen sich ihre Augen. Sie fiel zurück und machte es sich im Heidekraut unfreiwilligerweise bequem.
Ein paar Schritte hinter ihr stand Kathy Porter, die hilflos die Schultern hob, jedoch ein Lächeln nicht unterdrücken konnte.
»Sie ließ sich einfach nicht warnen«, rief sie Parker zu. »Sie glaubte Sie in Gefahr.«
Dann rannte Kathy los, um von der Reizwolke nicht auch noch erwischt zu werden. Josuah Parker aber bezog neben Mylady Posten und wußte bereits im vorhinein, was da später auf ihn zukam. Lady Agatha konnte sehr deutlich ihre Meinung sagen!
*
»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit schier untröstlich«, behauptete Butler Parker. »Darf ich mir erlauben, Mylady hochzuhelfen?«
Die Betäubte war wieder zu sich gekommen und musterte ihren Butler mit einem geradezu vernichtenden Blick.
»Fassen Sie mich nicht an«, grollte sie und hustete. »Sie haben mich absichtlich nicht gewarnt.«
»Darf ich mich erkühnen, Mylady zu widersprechen? «
»Kein Wort mehr!« Agatha Simpson stemmte sich hoch und duldete es gerade noch, daß Kathy Porter ihr dabei diskrete Hilfe leistete. Sie schaute sich um und übersah ab sofort Parker. Sie hielt sich ausschließlich an ihre Gesellschafterin.
»Mister Parker hat die Schläger bereits weggeräumt«, berichtete Kathy Porter.
»Und wohin, mein Kind?« Sie gab sich Kathy gegenüber betont huldvoll.
»Hinunter in die Sandgrube, Mylady. Sie stecken jetzt in einem kleinen Bunker, in dem früher wahrscheinlich Werkzeug aufbewahrt wurde.«
»Auch nicht gerade besonders originell«, tadelte die Detektivin grimmig.