Читать книгу Butler Parker 140 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3

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»Ein bemerkenswertes Exemplar«, stellte Josuah Parker fest und musterte die Königskobra, die schätzungsweise dreieinhalb Meter lang und fast armdick war. Das Reptil glitt aus einer Art Schutzhütte, die sich in der Mitte der großen Betonschüssel befand. Die Kobra züngelte und zeigte eindeutig eine gewisse Unruhe.

»Sie scheint irritiert zu sein«, meinte Desmond Ball erstaunt und beugte sich über die Brüstung der Betonschüssel, »normalerweise ist Hetty schon fast zutraulich.«

»Sie scheinen intensive Beziehungen zu Ihren Gästen zu pflegen, Mr. Ball«, sagte Butler Parker und deutete auf eine zweite Kobra, die aus der Schutzhütte glitt und nicht weniger züngelte.

»Wir haben uns im Lauf der Zeit natürlich kennengelernt«, gab Desmond Ball zurück. Er war etwa fünfzig, rundlich und ein freundlicher Mensch. Er war der Besitzer der Schlangenfarm, die sich in der Nähe der kleinen Stadt Marlow in den Chiltern Hills befand. Von London aus war es im Grunde nur ein Katzensprung bis hierher, doch hatte man erst mal dieses Gelände betreten, dann fühlte man sich in die Tropen versetzt. Es gab hier exotische Pflanzen und Bäume, Gewächshäuser und Pavillons, die aus Bambus errichtet worden waren. Desmond Ball war mit Sicherheit ein geschickter Geschäftsmann, der seinen Besuchern einiges zu bieten hatte.

Seine Schlangenfarm war weithin bekannt. Besucher vor allen Dingen aus London fanden sich hier gern ein, beobachteten die Reptilien in den großen Betonschüsseln und gruselten sich. Die Auswahl an Giftschlangen, die Desmond Ball zu bieten hatte, war in der Tat beachtenswert.

»Wovon lebt dieses hübsche Ungeheuer?« erkundigte sich Lady Simpson. Sie stand neben Parker und beobachtete durch ihre Lorgnette die Kobra, die sich aufrichtete und ihren gespreizten Nackenschild zeigte. Die riesige Königskobra schien nur den Butler zu sehen.

»Hetty frißt andere Schlangen, Ratten und Kaninchen«, gab der Besitzer der Farm zurück, »und eigentlich müßte sie jetzt friedlich sein. Sie ist nämlich satt.«

»Sie gehen einem erstaunlichen Hobby nach, Mr. Ball«, sagte Josuah Parker in seiner unnachahmlich höflichen Art. »Sie beschränken sich, wie man meine bescheidene Wenigkeit informierte, keineswegs auf das Zurschaustellen dieser Reptilien?«

»Das ist nur ein Nebeneffekt«, antwortete Ball, »in erster Linie beliefere ich die pharmazeutische Industrie mit Schlangengiften. Die stellt daraus dann Schlangenseren her.«

»Und wie haben die Reptilien sich mit dem Klima abgefunden, wenn man höflichst fragen darf?«

»Wenn’s zu kalt wird, decke ich die Betonschüsseln mit Planen ab. Ich kann sogar den Boden aufheizen. Ich habe eine Art Fußbodenheizung einbauen lassen.«

»Sie hat was gegen Sie, Mr. Parker.« Lady Agatha deutete mit dem Griff ihrer Stielbrille auf die Königskobra, die sich an den Rand der Schlangengrube geschoben hatte, um sich hier erneut aufzurichten. Sie hatte selbstverständlich keine Chance, den Butler zu erreichen. Die Betongrube, in der sie zusammen mit anderen Kobras lebte, war schätzungsweise zweieinhalb Meter tief.

»Der Biß dieses Reptils wäre tödlich, Mr. Ball?« fragte Parker.

»Unbedingt«, antwortete Desmond Ball, »natürlich habe ich drüben in meinem Büro die entsprechenden Gegengifte, aber ein Biß wäre immer lebensgefährlich, auch wenn man sofort das Serum spritzen würde.«

»Es gab hier bisher keine Unfälle, junger Mann?« erkundigte sich Lady Simpson. Sie war eine stattliche Dame, die die sechzig mit Sicherheit überschritten hatte, sah jedoch keineswegs betagt aus, sondern das Gegenteil war der Fall. Sie spielte mit Begeisterung Golf und frönte dem Sport des Bogenschießens. Sie war überhaupt eine ungemein aktive, dynamische Frau, die nicht untätig sein konnte.

»Unfälle hatten wir bisher nicht, und das wird auch so bleiben«, beantwortete Ball die Frage Agatha Simpsons, »bei den Führungen durch die Schlangenfarm bin ich stets dabei.«

»Und dennoch fand sich hier bedauernswerterweise ein Opfer«, erinnerte Josuah Parker.

»Das passierte drüben bei den Grubenottern«, sagte Desmond Ball und nickte, »und ich betone noch mal das, was ich bereits der Polizei gesagt habe: Der junge Mann ist außerhalb der Öffnungszeiten hier eingestiegen.«

»Sie fanden ihn gestern, nicht wahr, Mr. Ball?«

»Als ich die Morgenfütterung beginnen wollte«, bestätigte Ball, »er war natürlich schon längst tot. Er wurde wenigstens sechs- bis achtmal gebissen. Er hatte keine Chance.«

»Sie hörten keine Schreie?« erkundigte sich die ältere Dame erstaunt.

»Nichts«, bedauerte Desmond Ball, »aber ich wohne ja auch nach vom hinaus. Ich muß noch mal wiederholen, daß der junge Mann widerrechtlich eingedrungen ist. Darf ich jetzt mal wissen, wieso Sie mich das alles fragen? Von der Polizei sind Sie doch bestimmt nicht, könnte ich mir nicht vorstellen.«

»Sie haben den Verblichenen vorher noch nie gesehen, Mr. Ball?« fragte der Butler, als habe er nichts gehört.

»Noch nie vorher.« Desmond Ball schüttelte den Kopf.

»Sonst würden Sie vielleicht nicht mehr leben, junger Mann«, erwiderte die passionierte Detektivin, »der Tote war ein bekannter Gangster. Aber mit solchem Gelichter haben Sie ja sicher nichts zu tun, oder?«

»Natürlich nicht, Mylady«, erwiderte Desmond Ball, »war es ein gefährlicher Gangster?«

»Ein sogenannter Killer, wie es im Jargon der Unterwelt zu heißen pflegt«, schloß Josuah Parker die Unterhaltung und deutete mit der Spitze seines altväterlich gebundenen Regenschirms auf die Kobra, »der Verblichene dürfte wenigstens so gefährlich gewesen sein wie diese Königskobra!«

*

Chief-Superintendent McWarden erhob sich respektvoll, als Lady Agatha zusammen mit dem Butler den kleinen Gasthof betrat. McWarden, stets an einen leicht gereizten Bullterrier erinnernd, war mittelgroß und neigte zur Korpulenz. Der etwa Fünfzigjährige war Chef eines Sonderdezernats im Yard und arbeitete nur zu gern mit Butler Parker zusammen.

»Nun, was halten Sie von diesem Desmond Ball?« fragte er, nachdem man in einer holzvertäfelten Nische des Gasthofes Platz genommen hatte.

»Diesem Schlangenbändiger traue ich nicht über den Weg«, antwortete die ältere Dame, »Sie sollten ihn festnehmen, McWarden.«

»Was hätte ich schon gegen ihn in der Hand, Mylady?« fragte der Chief-Superintendent, der die vorschnellen Urteile der Lady nur zu gut kannte.

»Sie sind wieder mal zu vorsichtig, McWarden«, grollte sie, »was sucht ein Gangster in einer Schlangengrube? Er kann doch nur hinuntergestoßen worden sein. Und zwar von diesem Desmond Ball. Was meinen Sie, Mr. Parker?«

»Eine Deutung, Mylady, die man nur als einleuchtend bezeichnen kann«, antwortete Josuah Parker, ohne eine Miene zu verziehen. Sein glattes Gesicht blieb ausdruckslos.

»Haben Sie diesen Gangster eigentlich gekannt, McWarden?« erkundigte sich Agatha Simpson.

»Jerry Puckley, Mylady? Nein, beruflich ist es nie dazu gekommen. Puckley verschwand eines Tages aus London und tauchte jahrelang unter. Daher ja auch meine Überraschung, als man ihn auf der Schlangenfarm fand.«

»Dieser Unfall, Sir, wurde von Mr. Desmond Ball gemeldet?« fragte der Butler.

»Ball hat sich völlig korrekt verhalten. Welchen Eindruck hat er denn auf Sie gemacht, Mr. Parker?«

»Mr. Ball gab sich ausgesprochen selbstsicher, Sir«, entgegnete der Butler.

»Er ist nicht weniger giftig als seine Schlangen«, wußte die ältere Dame mit Nachdruck zu sagen, »ich habe mir den Zaun angesehen, der die Schlangenfarm umgibt. Übermannshoch und sehr solide. McWarden ... Warum sollte ein Killer sich die Mühe machen, solch ein Hindernis zu übersteigen? Was hätte er auf der Schlangenfarm suchen sollen als Schlangen? Nein, nein, er ist auf das Gelände gelockt worden.«

»Ähnlich denke ich auch, Mylady«, äußerte McWarden, »meine Leute sind dabei, sich mit Desmond Balls Vorleben zu beschäftigen. Möglich, daß wir da überraschende Funde machen werden.«

»Nehmen Sie ihn fest, bevor weitere Leute in einer Schlangengrube landen«, drängte die Detektivin, »ja, wer weiß eigentlich, wie viele Leute Ball bereits umgebracht hat! Ich werde Ihnen mal etwas sagen, mein lieber McWarden: Lassen Sie das Grundstück umgraben ... Sie werden auf eine ganze Reihe von Leichen stoßen ...«

»Eine unheimliche Vorstellung, Mylady, wenn man so sagen darf«, ließ Josuah Parker sich höflich vernehmen.

»Dann wäre Ball ja eine Art Superkiller«, meinte McWarden nachdenklich.

»Das sieht man doch auf den ersten Blick, McWarden«, konterte Agatha Simpson prompt, »schade, daß ich ihn nicht verhören kann.«

»Besser nicht, Mylady«, antwortete McWarden hastig, »es gäbe dann wieder eine Anzeige wegen mittelschwerer Körperverletzung.«

»Ich werde diesen Fall selbstverständlich übernehmen und ihn für Sie lösen, McWarden«, sagte die Lady, »ich merke schon, daß Sie allein wieder mal nicht zurechtkommen.«

»Ich stehe tatsächlich vor einem Rätsel«, räumte der Chief-Superintendent ein, »ein Gangster wie Puckley ist nicht so ohne weiteres zu überlisten. Zufällig ist er auf keinen Fall in dieser scheußlichen Schlangengrube gelandet.«

»Vielleicht wurde er gezwungen, Sir, in solch eine Betonschüssel hinabzusteigen«, gab Josuah Parker zu bedenken, »er könnte von Mitgliedern der Unterwelt in die Schlangengrube transportiert worden sein.«

»Oder so«, meinte die ältere Dame grimmig, »was spielt das für eine Holle? Spalten wir doch keine Haare, Mr. Parker. Ob gezwungen oder gelockt, freiwillig hat dieser Mann sich nicht von den Klapperschlangen beißen lassen.«

»Davon sollte man in der Tat ausgehen, Mylady«, antwortete der Butler gemessen und sah zur Tür des Gasthofes hinüber. Sie war geöffnet worden, und ein Mann, der die drei Gäste in der versteckt gelegenen Nische nicht entdeckte, betrat den vorderen Schankraum.

Josuah Parker erhob sich und ging nach vorn. Seine Absicht war eindeutig. Er wollte den Gast zumindest begrüßen.

*

Dieser große, schlanke, etwa fünfunddreißig Jahre alte Mann starrte den Butler an, der plötzlich neben ihm auftauchte und höflich seine schwarze Melone lüftete.

»Habe ich möglicherweise die Ehre, Mr. John Midhurst begrüßen zu können?« erkundigte sich Parker.

»Zum Teufel mit Ihnen«, reagierte der Angesprochene. Er schien einen Moment mit dem Gedanken zu spielen, dem Butler einen Fausthieb zu versetzen, kam aber dann wohl zu dem Schluß, in diesem Fall den kürzeren zu ziehen.

»Ihre Manieren sind noch immer das, was ich als äußerst beklagenswert bezeichnen möchte«, erwiderte Josuah Parker, »sollte es nur ein Zufall sein, daß man sich hier draußen auf dem Land trifft? Oder interessieren auch Sie sich möglicherweise für die Schlangenfarm des Mr. Desmond Ball?«

»Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe, Parker«, gab John Midhurst wütend zurück, »ich will hier in aller Ruhe mein Bier trinken und mich nicht von ’nem Amateurdetektiv belästigen lassen.«

»Ich könnte Sie selbstverständlich auch zu McWarden an den Tisch bitten«, meinte der Butler höflich.

»McWarden ist hier?« John Midhurst bog sich ein wenig nach hinten, schob seinen Kopf um einen Mauervorsprung und biß sich dann auf die Unterlippe.

»Der Chief-Superintendent ist dienstlich hier in Marlow«, redete Josuah Parker weiter, »er geht einem ungemein bedauerlichen Unglücksfall nach, den ein gewisser Jerry Puckley erlitten hat.«

»Unglücksfall? Jerry Puckley?«

»Er dürfte nach Lage der Dinge und Wunden von einigen Klapperschlangen gebissen worden sein?«

»Ist er ... tot?«

»Mit letzter Sicherheit, wenn ich so sagen darf, Mr. Midhurst. Sie wollten sich mit Mr. Puckley hier treffen? Sie vermißten vielleicht seinen Anruf?«

»Wann ... Wann ist das passiert?«

»Mr. Jerry Puckley wurde gestern morgen in einer der Schlangenunterkünfte gefunden. Er hatte das sogenannte Zeitliche bereits gesegnet.«

»Scheußlich.« John Midhurst schüttelte sich und bestellte sich beim Besitzer des Gasthofes einen doppelten Brandy, den er ruckartig kippte.

»Sie scheinen ahnungslos gewesen zu sein«, stellte der Butler fest. »Ihre Betroffenheit dürfte kaum gespielt sein.«

»Ich ... Ich kenne keinen Puckley«, behauptete John Midhurst prompt und rang sich ein Lächeln ab, das allerdings verkrampft wirkte. »Ich bin zufällig hier draußen auf dem Land. Sonst noch Fragen?«

»Keine Fragen, Mr. Midhurst, aber ich möchte nicht versäumen, eine dringende Warnung auszusprechen. Ein Besuch der Schlangenfarm außerhalb der regulären Öffnungszeiten könnte tödlich verlaufen.«

»Ich kenn’ diese Schlangenfarm überhaupt nicht, Mr. Parker.« Midhurst, der bereits gezahlt hatte, drehte sich auf dem Absatz um und verließ eilig die Gaststätte. Josuah Parker folgte ihm nach draußen und nahm zur Kenntnis, daß John Midhurst in einen grünen Ford stieg, an dessen Steuer ein Mann saß.

Parker prägte sich das Londoner Kennzeichen des Wagens ein, der mit durchtourenden Reifen anfuhr und schnell in einer schmalen Seitenstraße verschwand.

»War das nicht Midhurst?« fragte McWarden, als Parker zur Nische zurückkehrte.

»Und wer, bitte, ist dieser Midhurst?« wollte die Lady wissen.

»Ein kleiner Gangsterboß«, antwortete Chief-Superintendent McWarden, »er beliefert Hehler mit dem, was er und seine Leute zusammenstehlen ...«

»Was sucht solch ein Subjekt in der Nähe der Schlangenfarm?« fragte die Detektivin weiter, »Mr. Parker, warum haben Sie die Flucht dieses Lümmels nicht verhindert?«

»Weil Mylady es lieben und schätzen, solche Vertreter der Unterwelt an der sogenannten langen Leine zu halten.«

»Natürlich«, gab sie sofort zurück und nickte wohlwollend, »Sie haben es endlich begriffen, Mr. Parker.«

»Diesen Midhurst kann ich jederzeit erreichen, Mylady«, warf der Chief-Superintendent ein, »was sagte er zum Tod von Jerry Puckley, Mr. Parker?«

»Eine gewisse Betroffenheit, Sir, war keineswegs zu übersehen.«

»Sie glauben, er wußte noch nichts davon?«

»Dies, Sir, sollte man annehmen. Mr. Midhurst bestritt nachfolgend selbstverständlich, den Verblichenen je gekannt oder gesehen zu haben.«

»Ein seltsames Gespann«, sinnierte McWarden halblaut, »ein eiskalter Killer und ein Dieb, denn mehr ist Midhurst nicht, auch wenn er sich ’ne kleine Gang aufgebaut hat.«

»Dieses Subjekt ist bestimmt auf dem Weg zur Schlangenfarm«, sagte Agatha Simpson erfreut, »warum sitze ich noch hier herum?«

»Mylady beabsichtigen, Mr. Ball einen weiteren Besuch abzustatten?« erkundigte sich der Butler.

»Natürlich«, sagte sie energisch und erhob sich, »und ich werde einen zweiten Giftschlangenmord verhindern.«

Sie war nicht mehr aufzuhalten und stürmte aus dem Gasthof, während Parker die Zeche zahlte. Sie saß bereits im Fond des hochbeinigen Privatwagens ihres Butlers und wartete ungeduldig darauf, daß die Fahrt stattfand. Chief-Superintendent McWarden war noch auf dem Weg zu seinem schwarzen Dienstwagen, der von einem seiner Mitarbeiter gefahren wurde.

Butler Parkers Wagen, von Freund und Feind gern und respektvoll ›Monstrum‹ genannt, war ein ehemaliges, sehr altes Londoner Taxi, das nach seinen eigenwilligen Vorstellungen erheblich umgebaut worden war, was die Technik betraf. Dank dieser Änderungen war das Fahrzeug zu einer Trickkiste auf Rädern geworden und wurde immer wieder auf dem neuesten Stand der technischen Weiterentwicklung gehalten.

Josuah Parker nahm am Steuer Platz und lenkte seinen hochbeinigen, ungemein eckigen Wagen zurück zur Schlangenfarm. Lady Agatha kontrollierte während dieser kurzen Fahrt ihren perlenbestickten Pompadour und den darin befindlichen ›Glücksbringer‹, der nichts anderes war als ein echtes Pferdehufeisen. In ihren Händen konnte aus diesem Handbeutel eine Art mittelalterlicher Morgenstern werden, mit dem sie treffsicher zuzulangen verstand.

»Was ist, Mr. Parker, wenn das Tor verschlossen sein sollte?« sorgte sich die ältere Dame.

»Es wird sich Myladys Wünschen beugen«, antwortete der Butler gemessen, denn unter seinen schwarz behandschuhten Fingern hatte es bisher noch kein Schloß gegeben, das seinen Widerstand nicht nach wenigen Augenblicken aufgegeben hätte ...

*

Desmond Ball hielt eine Schlange in den nackten Händen.

Es handelte sich um eine veritable Grubenotter, wie Parker sah. Das Reptil war äußerst gereizt und klapperte mit seiner stark ausgebildeten Schwanzrassel. Der Rachen der Schlange war weit geöffnet, und die Giftzähne standen deutlich hervor.

Desmond Ball lehnte sich an einen weißen Labortisch, auf dem Meßbecher und Glaskolben zu sehen waren. Es machte ihm nichts aus, daß der starke Leib des Reptils sich um seinen linken Unterarm wand, denn die Giftzähne des Reptils bedrohten nicht ihn, sondern einen Besucher, den der Butler erst vor einer halben Stunde im Gasthof angesprochen hatte. Es war der kreidebleiche John Midhurst. Er stierte förmlich auf den Rachen der Schlange, wich zurück und bewegte sich dabei mit einer Vorsicht, als stünde er auf Glatteis.

»Sie ... Sie sind verrückt, Ball«, sagte Midhurst mit belegter Stimme, »lassen Sie den Unsinn... Machen Sie sich nicht unglücklich!«

»Das Tier ist völlig harmlos«, behauptete der Besitzer der Schlangenfarm, »wollen Sie es nicht mal anfassen? Sie werden überrascht sein, wie kühl und glatt so ein Schlangenleib ist...«

»Bleiben Sie stehen«, erwiderte John Midhurst, der nicht weiter zurückweichen konnte. Sein Rücken berührte bereits die gekachelte Wand des kleinen Labors. »Bleiben Sie stehen, oder ...«

»Oder was, Midhurst«, sagte Desmond Ball freundlich, »falls Sie schießen wollen, dann kann ich Ihnen nur gratulieren. Die Schlange wird schneller sein als Sie ...«

»Wenn Sie gestatten, möchte ich mich dieser Lagebeurteilung vollinhaltlich anschließen«, schaltete sich Josuah Parker in diesem Augenblick in das Gespräch ein. Er lüftete höflich die schwarze Melone, als Ball und Midhurst sich zu ihm umwandten. Josuah Parker stand in der Seitentür und schien das Reptil in Balls Händen nicht zu sehen.

Desmond Ball hatte plötzlich Schwierigkeiten mit der Schlange. Das starke, ausgewachsene Tier bäumte sich auf, wand sich verzweifelt und ... glitt dann aus Balls Händen. Der Besitzer der Schlangenfarm reagierte augenscheinlich automatisch. In dem Bestreben, einem Giftbiß zu entgehen, warf er die Grubenotter weit von sich – unglücklicherweise in Parkers Richtung.

Josuah Parker ließ sich keinen Moment aus der Fassung bringen. Sein altväterlich gebundener Universal-Regenschirm zuckte wie ein ausfallender Degen und stoppte den Flug des Reptils. Die Grubenotter schnappte prompt zu und – verbiß sich in den Falten des Schirms. Sie ahnte nicht, daß dieser Schirm keineswegs mit schwarzer Seide allein bestückt war. Unter der Seide befand sich feines, aber zähes Gewebe aus Glasfiberfäden. Die Giftzähne trafen also auf Widerstand und verfingen sich.

Mit der linken Hand faßte der Butler blitzschnell zu und erwischte die Grubenotter hinter dem Hals. Er löste vorsichtig die Zähne aus dem Gewebe und hielt die Otter hoch.

»Ein sehr hübsches Exemplar«, stellte Parker fest, »gehe ich recht in der Annahme, Mr. Ball, daß es sich um eine Diamantklapperschlange handelt?«

»Wie ... ? Ja, eine Diamantklapperschlange«, bestätigte Ball mechanisch und starrte auf sein Reptil, das einen recht hilflosen Eindruck machte.

»Wollten Sie das Reptil melken, wie wohl der Fachausdruck lautet?«

»Was wollte ich? Ja, melken... Natürlich, was dachten Sie denn?« Desmond Ball konnte sich von dem Anblick nicht losreißen. Da stand dieser Butler in der Tür und hielt eine tödlich giftige Klapperschlange in seiner linken, schwarz behandschuhten Hand, als handle es sich um einen harmlosen Wasserschlauch! Das Reptil – gut und gern zwei Meter lang – hatte inzwischen jeden Widerstand aufgegeben und zeigte sich von seiner relativ friedlichen Seite.

»Die Herren kennen sich?« fragte Josuah Parker.

»Uber... Überhaupt nicht«, erwiderte John Midhurst umgehend.

»Wir haben uns eben erst gesehen«, fügte Desmond Ball hinzu.

»Sie unterhielten sich zweifelsfrei über den verblichenen Mr. Jerry Puckley, wie ich hörte?« bluffte der Butler.

»Da müssen Sie sich verhört haben«, behauptete John Midhurst.

»Er wollte sich nur mal die Schlangenfarm ansehen«, log Desmond Ball.

»Vielleicht darf ich die Führung übernehmen?« Parker gab die Tür frei und deutete mit der Hand nach draußen. »Inzwischen kennt meine bescheidene Wenigkeit sich hier ein wenig aus, wie ich behaupten möchte.«

»Mein... Mein Bedarf ist gedeckt«, sagte John Midhurst hastig.

»Natürlich werden Sie mitkommen, junger Mann«, schaltete sich Lady Agatha in diesem Augenblick ein. Sie erschien hinter ihrem Butler und ließ den Pompadour am rechten Handgelenk pendeln. John Midhurst, der sich in die Enge getrieben fühlte, beging den Kardinalfehler, nach seiner Schußwaffe zu greifen, die sich eindeutig in einer Schulterhalfter befand.

Er sollte dies wenig später bereuen ...

*

Der Pompadour hatte sich vom Handgelenk der älteren Dame gelöst und zischte mit viel Fahrt durch die Luft. Der perlenbestickte Handbeutel landete ungemein zielsicher auf der Stirn des Gangsterbosses. Der ›Glücksbringer‹ im Pompadour tat augenblicklich seine tiefgreifende Wirkung und fällte den Mann, der es noch nicht mal geschafft hatte, die Waffe aus der Schulterhalfter zu ziehen. John Midhurst schielte, um dann anschließend völlig groggy zu Boden zu gehen.

»Das fehlte noch, eine wehrlose Frau anzugreifen«, entrüstete sich Lady Simpson.

»Eine unverzeihliche Frechheit, Mylady«, urteilte Josuah Parker, »darf ich mir übrigens erlauben, eine Empfehlung auszusprechen?«

»Ich sollte dieses Subjekt ohrfeigen, nicht wahr?« Agatha Simpson drängte es, dieser Empfehlung nachzukommen.

»Vielleicht könnten Mylady mit Mr. Ball die Räume des Instituts besichtigen«, redete Parker höflich weiter.

»Sehr schön.« Die resolute Sechzigerin war sofort einverstanden. »Bringen Sie gleich meinen Pompadour mit, Mr. Ball... und beeilen Sie sich gefälligst!«

Desmond Ball dachte nicht im Traum daran, Protest gegen diese Behandlung einzulegen. Die grimmige Autorität der Lady Agatha war einfach zu beeindruckend. Ball langte nach dem Pompadour und überbrachte ihn der selbstbewußten Dame. Anschließend beeilte er sich, Lady Simpson zu folgen.

Parker, der die Diamantklapperschlange noch immer fest im Griff hatte, trat an den Labortisch und angelte ein Glasgefäß, dessen Öffnung mit einer zähen Kunststoffhaut überspannt war. Er drückte die Giftzähne der Klapperschlange gegen diese zähe Haut, und das Reptil schnappte wütend zu. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis das Gift tropfenweise ins Glas rann. Parker ›molk‹ die Giftschlange – fachgerechter hätte es kein Experte tun können.

Nachdem die Schlange ihre Giftdrüsen entleert hatte, zeigte sie sich ein wenig ruhiger. Ihre Gereiztheit legte sich merkbar. Wahrscheinlich spürte sie instinktiv, daß sie im Moment wehr- und waffenlos war.

Josuah Parker hatte keine Bedenken mehr, das Reptil auf dem Boden des Labors abzusetzen. Die Diamantklapperschlange zischte, rollte sich zusammen, züngelte und wollte dann langsam und fast träge in eine Ecke kriechen. Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms dirigierte Josuah Parker jedoch das Reptil in die Nähe des Gangsterbosses, der zu sich kam und bereits nach Stirn und Nasenwurzel fingerte. Dann öffnete John Midhurst die Augen und entdeckte das nicht gerade zierliche Reptil in seiner Nähe.

Midhurst kreischte, zog schleunigst die Beine an seinen Körper und stierte auf den Kopf des Reptils. Die Diamantklapperschlange züngelte erneut, spürte wohl die Wärmeausstrahlung des Zweibeiners und fühlte sich bedroht.

»Sehen Sie denn nicht... Bitte! Schaffen Sie das verdammte Biest weg... Tun Sie doch was!« John Midhurst sprach leise, aber auch eindringlich. Er hatte sich in eine Ecke zurückgeschoben und verfolgte die Bewegungen der Klapperschlange.

»Sie brauchen sich keine Sorgen mehr machen, Mr. Midhurst«, antwortete Josuah Parker, »eine gewisse Kontaktaufnahme erfolgte bereits, wie ich Ihnen mitteilen sollte.«

»Kon ... Kontaktaufnahme?« stotterte der Gangsterboß.

»Sie ließ sich leider nicht verhindern, Mr. Midhurst.«

»Was wollen Sie damit sagen?« Midhurst atmete erleichtert auf, als Parkers Schirmspitze das Reptil in die Mitte des Labors zurückschob. Anschließend benutzte der Butler seinen Schirm, um die Klapperschlange geschickt und schnell zurück in ihr Behältnis zu bringen.

»Was wollten Sie eben sagen, Mr. Parker?« wiederholte der Gangsterboß und wischte sich den Angstschweiß von der Stirn.

»Ich möchte Sie keineswegs schockieren, Mr. Midhurst«, erwiderte Josuah Parker in seiner höflichen Art, »wenn ich raten darf, so sollte man sich nach einem geeigneten Serum Umsehen.«

»Serum? Wieso? Was ist passiert? Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß die Schlange mich gebis ...«

»Vielleicht nur oberflächlich, Mr. Midhurst«, hoffte Josuah Parker.

»Sie hat mich gebissen!?«

»Mehr beiläufig, wenn ich so sagen darf.«

»Und ... Und das sagen Sie mir erst jetzt?« Midhurst wollte auf springen, doch die Angst lähmte seine Glieder.

»Unnötige Bewegungen sollten Sie allerdings tunlichst vermeiden«, riet der Butler dem Gangsterboß, »Sie müssen ja nicht unbedingt so enden wie ihr Freund Puckley.«

»Puckley ist umgebracht worden.« John Midhurst flüsterte nur noch. »Ich weiß es ganz genau ... Man hat ihn umgebracht!«

»Wer könnte für diesen Mord verantwortlich gemacht werden, wenn man höflichst fragen darf?«

»Besorgen Sie mir das Serum, Mr. Parker ... Ich spüre bereits das Gift ... Das Serum!«

»Umgehend und augenblicklich, Mr. Midhurst, aber wer könnte den Mord an Mr. Jerry Puckley veranlaßt haben?«

»Lionel Dunston«, keuchte der Gangsterboß, »Lionel Dunston. Und jetzt das Serum ... Beeilen Sie sich, machen Sie doch endlich!«

*

»Wer ist Lionel Dunston?« fragte Mike Rander. Der etwa vierzigjährige Anwalt, an einen Filmstar erinnernd, sah den Butler erwartungsvoll an. Die beiden Männer kannten sich seit Jahren. Josuah Parker hatte seinerseits Mike Rander betreut, bevor der Anwalt in die Staaten fuhr, um dort als Vertreter britischer Finnen zu arbeiten. Nach seiner Rückkehr nach London verwaltete Mike Rander das immense Vermögen der Lady Simpson und war von Butler Parker ›übernommen‹ worden.

»Mr. Lionel Dunston, Sir, ist ein Gangster, der sich der Erpressung verschrieben hat«, wußte Josuah Parker zu sagen, »er arbeitet unter dem Deckmantel einer sogenannten kleinen Presseagentur.«

»Weiß der Chief-Superintendent, was Midhurst gesagt hat?« wollte der Anwalt wissen. Er befand sich zusammen mit Parker in der Bibliothek des altehrwürdigen Hauses der Agatha Simpson, das in Shepherd’s Market stand.

»Dazu wäre zu vermelden, Sir, daß Mr. John Midhurst mit einem ausgeprägten Nervenschock in eine Klinik geschafft werden mußte«, antwortete der Butler, »die Konfrontation mit der Diamantklapperschlange dürfte sein seelisches Fassungsvermögen überfordert haben.«

»Kann ich mir sogar vorstellen, Parker.« Mike Rander schüttelte sich.

»Ich möchte noch mal betonen, Sir, daß das erwähnte Reptil gemolken worden war, Gefahr für Leib und Leben bestand demnach nicht.«

»Immerhin haben wir einen Namen, an den wir uns halten können«, sagte Mike Rander, »hatten Sie schon mal Kontakt mit Lionel Dunston, Parker?«

»Die ergab sich bisher nicht, Sir. Die Einnahmen des besagten Herrn dürften aber beträchtlich sein, wenn man so sagen will. Mr. Dunston bewohnt ein elegantes Haus in einer teuren Umgebung.«

»Ein Erpresser, der einen Killer dazu bringt, in eine Schlangengrube zu steigen ...« Rander sah den Butler skeptisch an. »Nehmen Sie Midhurst diesen Hinweis eigentlich ab?«

»Er dürfte kaum in der Lage gewesen sein, Sir, ad hoc diesen Namen zu erfinden, beziehungsweise als Ausrede zu gebrauchen. Meine bescheidene Wenigkeit gewann durchaus den Eindruck, daß Mr. Midhurst das sagte, was er glaubt.«

»Sehen wir uns diesen Lionel Dunston also an«, schlug der Anwalt vor.

»Ich stehe zu Ihren Diensten, Sir. Darüber hinaus sollte man sich aber auch um den verstorbenen Mr. Puckley kümmern, wenn ich dies anregen darf.«

»Haben Sie Ihre Fühler bereits ausgestreckt?« Mike Rander lächelte wissend. Für ihn stand es fest, daß der Butler seine Beziehungen zur Unterwelt aktiviert hatte.

»Man ermittelt bereits diskret, wo Mr. Puckley sich aufgehalten und mit wem er Freundschaft gepflegt hat, Sir.«

»Wo steckt Lady Simpson, Parker?«

»Mylady arbeitet zur Zeit an einem Exposé zu einem Bestseller, Sir. Mylady beabsichtigt, eine Schlangenfarm in den Mittelpunkt der Handlung eines Krimis zu stellen.«

»Dann sollten wir möglichst schnell verschwinden«, meinte der Anwalt. »Ich werde Miß Porter informieren, sie kann uns dann bei Mylady entschuldigen.«

Wie auf ein Stichwort erschien die Gesellschafterin und Sekretärin der älteren Dame. Kathy Porter, fünfundzwanzig, schlank und kaum weniger groß als Mike Rander, war eine bemerkenswerte Frau. Ihr Gesicht zeigte einen pikant-erotischen Ausdruck, was mit den betonten Wangenknochen und den ein wenig schräg geschnittenen Augen zusammenhing. Sie schien sich ihrer Attraktivität nicht bewußt zu sein und erinnerte auf den ersten Blick an ein scheues Reh. Tatsächlich aber konnte dieses scheue Reh sich in Sekundenschnelle in eine Pantherkatze verwandeln. Kathy Porter war versiert in fast allen Künsten fernöstlicher Selbstverteidigung und darüber hinaus eine Meisterin in blitzschneller Verwandlungskunst.

Während Mike Rander Kathy Porter informierte, bereitete der Butler alles für die geplante Ausfahrt vor. Dazu begab er sich ins Souterrain des Fachwerkhauses, wo sich seine privaten Räume und auch seine Bastelstube befanden. In diesem ›Labor‹ entwickelte der Butler immer wieder neue Überraschungen für seine Gegner. Er war auch jetzt wieder der Ansicht, daß ein Besuch bei Lionel Dunston unter Umständen zu Komplikationen führte. Dementsprechend traf er seine Auswahl an hübschen Gastgeschenken für mögliche Kontrahenten...

*

»Sie wissen hoffentlich, Parker, daß wir verfolgt werden«, meinte Anwalt Rander, nachdem sie etwa zehn Minuten unterwegs waren. Die beiden Männer hatten Shepherd’s Market verlassen und waren auf dem Weg nach Westend, wo sich die Presseagentur und die Wohnung Lionel Dunstons befanden.

»In der Tat, Sir«, antwortete der Butler gemessen, »es handelt sich um einen betagten Morris.«

»Genau den meine ich, Parker. Wer könnte sich denn da für uns interessieren?«

»Mr. Horace Pickett, Sir«, erwiderte der Butler mit der größten Selbstverständlichkeit.

»Ist das Ihr Taschendieb?« Mike Rander lächelte. Er wußte genau, wer dieser Horace Pickett war.

»Der Ausdruck Taschendieb, Sir, würde Mr. Pickett tief verletzen«, antwortete Josuah Parker, »Mr. Pickett betrachtet sich als eine Art moderner Robin Hood, wenn ich so sagen darf. Er nimmt, um ihn wortwörtlich zu zitieren, gewisse Vermögensumschichtungen vor.«

»Eine tolle Umschreibung.« Mike Rander schmunzelte.

»Ich möchte darauf verweisen, Sir, daß Mr. Pickett es ablehnt, sozial schwach gestellte Personen mit seinen Künsten zu beehren. Er beschäftigt sich ausschließlich mit Klienten, die über höhere Einkünfte verfügen.«

»Das hört sich ja direkt wie ausgleichende Gerechtigkeit an, Parker.« Mike Rander lächelte.

»Mr. Pickett ist sich durchaus des ungesetzlichen Tuns bewußt, Sir. Meiner bescheidenen Ansicht nach scheint er sogar darunter zu leiden.«

»Sagen Sie mir, wann mir die Tränen kommen sollen«, bat der Anwalt, »falls er mal geschnappt werden sollte, werde ich ihn verteidigen.«

»Dies wird Mr. Picketts Moral ungemein stärken, Sir.« Parker bog in eine stille Seitenstraße und hielt. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis der betagte Morris hinter dem hochbeinigen Monstrum des Butlers erschien und ebenfalls hielt.

Horace Pickett war ein etwa sechzigjähriger, sehr seriös aussehender Herr, den, man ohne weiteres in die Kategorie ›pensionierter Oberst‹ eingereiht hätte. Er war sorgfältig gekleidet und präsentierte einen gepflegten Schnurrbart.

»Ich habe mich wunschgemäß nach John Midhurst erkundigt«, schickte Horace Pickett voraus, »eines steht fest, Mr. Parker, er ist seit einigen Wochen sehr tätig.«

»Könnten Sie dies möglicherweise ein wenig präzisieren, Mr. Pickett?« bat Josuah Parker.

»Midhurst und seine Leute schaffen wagenweise hochwertige Ware zu einigen Hehlern, die auch nicht gerade alles aufkaufen.«

»Darf man davon ausgehen, Mr. Pickett, daß Sie meiner Wenigkeit eine Liste dieser erwähnten Hehler angefertigt haben?«

»Selbstverständlich, Mr. Parker.« Horace Pickett überreichte dem Butler einen Zettel, auf dem drei Namen mit den dazugehörigen Adressen standen. »Ich möchte Sie aber warnen, Mr. Parker, die Hehler sind nicht ohne weiteres zu sprechen. Sie verstehen, nicht wahr?«

»Sie lassen sich von Leibwächtern abschirmen?«

»Von erstklassigen Leuten sogar. Über diesen Killer habe ich bisher noch nichts herausfinden können... Ich meine Jerry Puckley.«

»Weiß man mit seinem Namen etwas anzufangen, Mr. Pickett?«

»Nur vage, Mr. Parker, man erinnert sich, aber man scheint ihn in jüngster Zeit nicht hier in London gesehen zu haben.«

»Ich möchte mich für Ihre Bereitschaft, meiner Wenigkeit behilflich zu sein, außerordentlich bedanken, Mr. Pickett.«

»Ich stehe in Ihrer Schuld, Mr. Parker. Was kann ich sonst noch für Sie tun?«

»Mr. Rander und ich befinden sich auf dem Weg zu einem gewissen Lionel Dunston, falls dieser Name Ihnen etwas sagt.«

»Dieser Spezialist in Erpressung, Mr. Parker?«

»Eben der, Mr. Pickett. Sie können meinem Wagen folgen.«

»Nichts lieber als das.« Horace Pickett strahlte. »Wollen Sie diesem unangenehmen Kerl endlich das Handwerk legen? Erpressung ist für mich so ziemlich das Letzte, was es gibt...«

»Wenn Sie erlauben, Mr. Pickett, möchte ich Ihnen voll und ganz beipflichten«, erwiderte Josuah Parker höflich, lüftete die schwarze Melone und begab sich zurück zu seinem Wagen. Er dachte über die Tatsache nach, daß der Gangster John Midhurst, dessen Nervenkostüm wegen einer Diamantklapperschlange behandelt wurde, seit einigen Wochen Überstunden machte. Die Frage erhob sich, woher die Ware stammte, die er an jene drei Hehler verkaufte, die Horace Pickett erwähnte ...

*

Lionel Dunston war ein Mann mittleren Alters, der elegant wirken wollte, es jedoch nicht schaffte. Er trug einen Smoking, der mit Zigarrenasche bestäubt war. Die Schleife am Hals war gelöst. Dunston saß vor seinem Arbeitstisch und tippte langsam und sehr konzentriert auf einer elektrischen Schreibmaschine. Er kaute einen Zigarrenstummel und wischte sich hin und wieder Schweißperlen von der Stirn.

Das Arbeitszimmer, in dem er saß, war modern eingerichtet, wies aber keine Besonderheiten auf. Es gab einige Rollschränke, Aktenablagen und eine Unmenge von Zeitungen, die den Teppichboden bedeckten. Durch eine weit geöffnete Falttür konnte man in die eigentliche Wohnung des Mannes sehen, der einen eigenen Pressedienst herausgab. Seine Einnahmen mußten beträchtlich sein, denn solch eine teure Etage in diesem exquisiten Haus setzte ein gepolstertes Bankkonto voraus.

Dunston merkte nicht, daß die Wohnungstür vorsichtig geöffnet wurde. Die Tür zum Korridor und der kleinen Wohnhalle war weit geöffnet, und Lionel Dunston hätte nur für einen Augenblick schauen müssen, um gewarnt zu werden. Doch er hämmerte verbissen auf der Tastatur herum, wischte sich wieder den Schweiß von der Stirn und kaute weiter auf dem Zigarrenstummel.

»Hoffentlich stört man nicht«, sagte Josuah Parker, der die Wohnung des Erpressers betrat. Er stand in der Tür zum Arbeitsraum und lüftete höflich die schwarze Melone.

Lionel Dunston sprang förmlich aus dem Sessel und starrte den Butler total entgeistert an.

»Die Tür war nur angelehnt, falls meine Augen mich nicht getrogen haben«, redete der Butler weiter, »darf ich übrigens bei dieser Gelegenheit darauf verweisen, daß Sie eindeutig leichtsinnig handeln? In diesen unsicheren Zeiten sollte man zusätzlich mit einer Sperrkette die Wohnungstür sichern.«

»Wer... Wer sind Sie?« stotterte Lionel Dunston. Er hatte sich wieder gesetzt. Seine linke Hand schob sich vorsichtig an einen Stapel Zeitschriften heran. Genauer gesagt, seine Finger bewegten sich auf einen Revolver zu, der griffbereit vor diesen Magazinen lag.

»Mein Name ist Parker... Josuah Parker«, stellte sich der Butler vor, »ich hatte bisher noch nicht das zweifelhafte Vergnügen, von Ihrem Pressedienst beliefert zu werden.«

»Und was wollen Sie?« fragte Lionel Dunston schon wesentlich ruppiger, da seine Fingerspitzen die Waffe erreicht hatten.

»Es handelt sich um Grüße, Mr. Dunston, die ich Ihnen ausrichten soll«, erwiderte Josuah Parker, der ahnungslos zu sein schien, was die Waffe betraf, »die Grüße läßt Mr. John Midhurst ausrichten, falls dieser Name Ihnen bekannt ist...«

»Ich ... Ich kenne keinen John Midhurst«, antwortete der Erpresser und umschloß mit seinen Fingern die Schußwaffe. »Und jetzt sollten Sie verschwinden und die Tür von draußen schließen!«

»Und Sie sollten den Revolver besser nicht heben«, war in diesem Moment Randers Stimme zu hören. Von der Wohnhalle aus war er hinüber in die eigentliche Wohnung gegangen und hatte von der Verbindungstür aus den Erpresser genau beobachtet.

Lionel Dunston fuhr herum und starrte den Anwalt an. Obwohl er in Mike Randers Händen keine Waffe entdeckte, hielt er es für richtiger, dem Rat zu folgen. Er zog hastig seine linke Hand zurück und beschränkte sich darauf, noch intensiver zu schwitzen.

»Sie arbeiten gerade an Ihrem Pressedienst?« erkundigte sich der Anwalt. Er kam schnell, aber irgendwie lässig zum Arbeitstisch herüber und lächelte Dunston an.

»Ich werde Sie anzeigen und verklagen«, drohte der Mann, »ich weiß genau, daß ich die Sperrkette vorgelegt hatte ... Ich weiß es ganz genau!«

»Sie werden möglicherweise einer Halluzination erlegen sein, Mr. Dunston«, erklärte Josuah Parker, »möchten Sie nicht erfahren, was der erwähnte Mr. Midhurst sonst noch gesagt hat?«

»Es interessiert mich nicht!« Lionel Dunston hatte Angst, das war ihm deutlich anzusehen.

»Er bezichtigt sie, einen gewissen Jerry Puckley umgebracht zu haben«, redete Josuah Parker weiter.

»Mittels einiger ausgewachsener Klapperschlangen«, schaltete sich Mike Rander ein, »dieses Treffen zwischen Puckley und den Klapperschlangen fand auf der Farm Mr. Desmond Balls statt. Sagt Ihnen natürlich auch nichts, wie?«

»Kla ... Klapperschlangen!?« Lionel Dunston schluckte.

»Beachtenswerte Exemplare«, ergänzte der Butler, »befürchten Sie nicht, daß solche Reptilien eines Tages hier in Ihrer Wohnung erscheinen? Ich darf daran erinnern, daß Sie die Haustür recht leichtsinnig behandeln.«

»Reptilien? Hier in meiner Wohnung?« Lionel Dunston zog unwillkürlich die Beine an.

»Das Leben ist voller Überraschungen«, meinte der Anwalt ironisch, »Freunde von Jerry Puckley könnten vielleicht sauer auf Sie sein, Dunston. Was ist, wenn die sich auch eine Klapperschlange besorgen?«

»Hören Sie auf!« Lionel Dunston entschloß sich, die Beine sicherheitshalber hochzunehmen. Dann beugte er sich vor und starrte auf Josuah Parker, der mit der Spitze seines Universal-Regenschirms in eine Ecke des Arbeitszimmers deutete.

Lionel Dunston vergaß für einen Moment, auf Mike Rander zu achten. Der Anwalt war noch näher getreten und warf einen schnellen Blick auf das bereits Geschriebene in der Maschine. Parkers Schirmspitze beschrieb einen leichten Bogen, und Lionel Dunstons Blick folgte dieser fast schon magisch wirkenden Bewegung. Der Anwalt hatte Zeit, sich den Text genauer anzusehen. Doch dann begriff der Erpresser. Er warf sich förmlich über die Schreibmaschine, um das eingespannte Blatt mit seinem Körper zuzudecken.

»Danke, ich bin bereits informiert«, reagierte Mike Rander lächelnd, »Sie brauchen sich nicht weiter zu verrenken, Dunston.«

Der Erpresser verlor die Nerven und wollte endlich nach der Schußwaffe greifen, doch sie war nicht mehr vorhanden. Josuah Parker stand nämlich inzwischen vor dem Arbeitstisch und schob die Stahlspitze seines Regenschirms in den Bügel, der den Abzugshahn sicherte. Dunston war deshalb nicht mehr in der Lage, die Waffe zu heben.

»Nehmen Sie die Warnung ernst, Dunston«, riet Mike Rander dem Erpresser, »Jerry Puckleys Freunde werden bestimmt auf der Bildfläche erscheinen und Ihnen ein paar unangenehme Fragen stellen.«

»Möglicherweise hat man sich aber auch bereits entschieden, Sie hinaus zu einer gewissen Schlangenfarm zu bringen, Mr. Dunston«, schloß Josuah Parker, »es müssen ja nicht gerade Grubenottern sein, die auf Sie warten. Die Auswahl an Giftschlangen ist geradezu bestechend.«

Lionel Dunston fiel in seinen Sessel zurück, als Mike Rander und Josuah Parker gingen. Er starrte auf die Tastatur der Schreibmaschine und schwitzte...

*

»Ihr Mitarbeiter ist ja direkt anhänglich, Parker«, sagte Mike Rander, als sie wieder unterwegs waren. Der Anwalt meinte den Fahrer des betagten Morris, der wieder in einigem Abstand hinter dem hochbeinigen Monstrum des Butlers zu sehen war.

»Mr. Pickett fühlt sich meiner Wenigkeit nach wie vor verpflichtet«, erklärte Josuah Parker, »dies dürfte mit der Tatsache zusammenhängen, daß es mir vergönnt war, Mr. Pickett vor geraumer Zeit aus einer recht prekären Situation herauszuhelfen. Dabei ging es um sein Leben.«

»Damit wir uns nicht falsch verstehen, Parker, ich habe nichts gegen Ihren Horace Pickett«, sagte Rander lächelnd, »aber ich bin auf der Hut, wenn er in meiner Nähe ist. Ich fürchte dann jedesmal um meine Brieftasche.«

»Eine Sorge, die als völlig unbegründet zu bezeichnen ist, Sir.«

»Woher bezieht er seine Informationen, Parker? Ich denke da an die drei Namen und Adressen, die er uns gegeben hat.«

»Mr. Pickett, Sir, genießt in seinen Kreisen hohes Ansehen. Sein umfangreicher Freundes- und Bekanntenkreis ist nur zu gern bereit, Mr. Pickett einen Gefallen zu erweisen.«

»Weiß Chief-Superintendent McWarden eigentlich von Picketts Wirken?«

»Der Chief-Superintendent, Sir, spart dieses Thema beharrlich aus, woraus sich schließen läßt, daß er informiert sein dürfte.«

»Okay, kommen wir mal zurück auf diesen Erpresser. Dunston tippte an einem Brief, den ein gewisser Clide Amersham bekommen soll. Sagt Ihnen dieser Name etwas?«

»Ich muß unendlich bedauern, Sir.«

»Dem Sinne nach teilte Dunston diesem Amersham mit, er könne mit einigen wertvollen Hinweisen dienen, was gewisse Verluste betrifft. Mehr hatte Dunston leider noch nicht zu Papier gebracht.«

»Man wird sich um den erwähnten Mr. Clide Amersham kümmern, Sir«, versprach Josuah Parker. »Da Mr. Dunston sich die Mühe machte, solch einen Brief zu schreiben, müßte es um ein interessantes Geschäft gehen, wenn ich es so salopp umschreiben darf.«

»Sie dürfen, Parker.« Rander lachte leise. »Hoffentlich hat Dunston diesen Amersham nicht schon telefonisch gewarnt.«

»Man könnte davon ausgehen, Sir, daß Mr. Lionel Dunston bereits unterwegs ist, London den Rücken zu kehren.«

»Sie rechnen damit, daß er sich absetzt?«

»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir. Mit dem Oberbegriff Reptilien schien Mr. Dunston einiges anfangen zu können. Ich möchte daraus schließen, daß er von der Existenz der Schlangenfarm weiß. Darüber hinaus aber hat ihm auch der Name Jerry Puckley einiges gesagt.«

»Diesen Eindruck hatte ich allerdings auch, Parker. Wird Ihr Pickett diesen Dunston übernehmen?«

»So ist es, Sir. Und er wird sich kaum abschütteln lassen, wie ich versichern darf.«

Die beiden Männer waren unterwegs, um dem ersten Hehler einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Parker hatte Horace Picketts Warnung keineswegs auf die leichte Schulter genommen. Ihm war klar, daß die drei Hehler, die der Taschendieb ermittelt hatte, von erstklassigen Leibwächtern beschützt wurden. Es handelte sich bei diesen Hehlern keineswegs um mehr oder weniger kleine Ganoven, die Diebesgut aufkauften. Nein, diese drei Männer handelten mit großen Objekten und wurden dementsprechend auch abgeschirmt.

Artie Henley besaß am westlichen Rand von Soho ein Antiquitätengeschäft, das man nur als seriös bezeichnen konnte. In den beiden Schaufenstern standen ausgesuchte Möbelstücke, wurden kostbare Uhren und Porzellane präsentiert. Auf samtüberzogenen Postamenten wurden Silberwaren aller Art ausgestellt. Das Angebot des Händlers war beachtlich und paßte im Grund nicht in dieses grelle, laute Vergnügungsviertel.

Butler Parker 140 – Kriminalroman

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