Читать книгу Butler Parker 184 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3
ОглавлениеChief-Superintendent McWarden, erfahrener Kriminalist mit guten Nerven, fuhr wie unter einem elektrischen Schlag zusammen, als er den spitzen Schrei hörte. Der Sherry in seinem Glas schwappte über und ergoß sich über seine Hose. Mit Amtsmiene musterte der Yard-Beamte den Butler, doch Josuah Parker schien nichts gehört zu haben. Er ordnete gemessen und würdevoll das Gedeck auf dem Tisch und merkte, daß der Besucher des Hauses offensichtlich irritiert war.
»Was war denn das?« fragte McWarden, der sich inzwischen wieder unter Kontrolle hatte. Doch bevor Parker antworten konnte, ertönte bereits der nächste, ungemein schrille Aufschrei. Prompt versorgte der Chief-Superintendent erneut seine Hose mit Sherry. Myladys Gast stellte deshalb vorsichtig sein Glas ab und deutete nach oben.
»Wird da jemand umgebracht?« fragte er dann in Richtung Parker.
»Der Mord dürfte bereits geschehen sein, Sir«, lautete Parkers Antwort.
»Der Mord dürfte bereits geschehen sein?« Der etwa fünfundfünfzigjährige, untersetzte und mit einem Bauchansatz ausgestattete McWarden erinnerte wegen der Basedowaugen an eine stets gereizte Bulldogge.
»Mylady beklagt bereits einen teuren Toten, Sir«, berichtete Parker, ohne sich aus seiner würdevollen Ruhe bringen zu lassen. »Darf man Ihnen noch einen Sherry anbieten, Sir?«
»Sie beklagt einen teuren Toten?« Der Chief-Superintendent war aufgesprungen.
»Sie haben zur Zeit die Ehre, Sir, Mylady als dramatische Sopranistin bewundern zu dürfen«, lautete Parkers Erklärung. »Mylady hat sich entschlossen, Sängerin zu werden.«
»Sängerin, Mister Parker?« McWarden holte tief Luft. »Das sind doch ... Urschreie.«
»Die an Wirksamkeit kaum zu überbieten sein dürften«, meinte der Butler. »In Myladys Studio mußten in jüngster Vergangenheit bereits sechsmal die Glühbirnen ausgetauscht werden.«
»Wieso denn das?« wunderte sich der Chief-Superintendent umgehend.
»Myladys Koloraturen ließen die Beleuchtungskörper zerspringen, Sir.« In Parkers Gesicht rührte sich kein Muskel.
»Koloratur?« staunte McWarden und schüttelte den Kopf. »Mylady hat doch, sagen wir mal, eine dunkle Altstimme, oder? Schafft sie tatsächlich Koloraturen?«
»Mylady ist fest davon überzeugt, Sir.« Parker hatte seinen Satz gerade beendet, als ein dritter Schrei zu hören war. McWardens Sherryglas auf dem Couchtisch wurde von den Schallwellen getroffen und klirrte leicht. Der Chief-Superintendent verzog schmerzhaft das Gesicht. Seine Trommelfelle vibrierten.
»Wie halten Sie das nur aus, Mister Parker?« fragte McWarden nach einer kleinen Pause.
»Gleichmut gehört zu den Tugenden eines Butlers, Sir«, entgegnete Josuah Parker. McWarden wollte noch etwas sagen, doch in diesem Augenblick erschien Agatha Simpson oben auf der Galerie und blickte in die große Wohnhalle hinunter.
Sie war eine majestätische Erscheinung, groß, füllig und beherrschte die tragischen Gesten einer Heroine. Sie hatte bereits das sechzigste Lebensjahr überschritten, wirkte aber noch ungemein dynamisch.
»Sie, mein lieber McWarden?« Ihre Stimme dröhnte nach unten und füllte die große Wohnhalle des Hauses. Sie lächelte gewinnend und schritt wie eine regierende Monarchin über die Treppe. »Sie haben mich vielleicht zufällig gehört?«
»Es war ... beeindruckend, Mylady«, schwindelte McWarden.
»Nicht wahr?« Sie nickte wohlwollend. »Ich habe mich ein wenig eingesungen. Übrigens, Mister Parker, Sie müssen zwei Glühbirnen auswechseln. Unerklärlicherweise sind sie schon wieder zersprungen.«
»Es dürfte sich um Materialfehler handeln, Mylady.« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos wie das eines cleveren Pokerspielers.
»Sie singen neuerdings?« fragte der Chief-Superintendent höflich, als Mylady ihm huldvoll die Hand reichte.
»Ich bin für die Kunst geboren«, gab sie zurück. »Vor einiger Zeit hatte ich zwar vor, Schauspielerin zu werden, mein lieber McWarden, doch nun weiß ich um meine wirkliche Berufung.«
»Sie werden eine Sensation sein, Mylady«, prophezeite der Yard-Beamte.
»Natürlich, natürlich«, pflichtete sie ihm bei. »Ich denke, ich werde neue Maßstäbe setzen.«
»Sie wollen sich nicht mehr mit dem Verbrechen befassen, Mylady?« fragte der Chief-Superintendent. Er war mehr als nur überrascht.
»Nur noch zwischen meinen Verpflichtungen an den Opernhäusern dieser Welt«, gab sie zurück. »Man muß Opfer bringen können.«
»Schade«, bedauerte McWarden. »Ich war eigentlich gekommen, um Sie zu einer interessanten Mitarbeit einzuladen.«
»Mit anderen Worten, mein lieber McWarden, Sie brauchen wieder mal meine, Hilfe?«
»Durchaus«, räumte McWarden ein, doch er blickte jetzt den Butler an, dessen detektivische Fähigkeiten er nicht nur schätzte, sondern sogar bewunderte.
»Und um welche Bagatelle geht es diesmal?« fragte die ältere Dame, die deutliches Interesse zeigte.
»Es geht um Erpressung, Schutzgelder und Drogen«, erwiderte der Chief-Superintendent. »Es machen sich da in der Künstler-Szene Gangster breit, die sich Golden-Boys nennen.«
*
Sie war eingenickt.
Agatha Simpson saß in der ersten Stuhlreihe des kleinen Konzertsaals und träumte wahrscheinlich von ihrer internationalen Anerkennung. Parker, der neben ihr Platz genommen hatte, wahrte die Würde. Er lauschte dem fingerfertigen Klavierspiel des Pianisten, der sich mit einem gewissen Chopin auseinandersetzte.
Dieser Klavierabend war gut besucht.
Der Pianist, ein weltweit bekannter Künstler, ließ die Läufe perlen und zeichnete sich durch große Musikalität aus. Das Publikum war hingerissen, denn es gab so gut wie keinen der üblichen Hustenanfälle. Auch wurde nicht mit Papier geraschelt. Der Abend konnte nur zu einem großen Triumph für den Künstler werden.
Mylady und Parker waren nicht absichtslos gekommen.
Chief-Superintendent McWarden hatte durch einen V-Mann erfahren, daß dieser Solisten-Abend empfindlich gestört werden sollte. Genaue Einzelheiten kannte er allerdings nicht. Der Solist war ahnungslos und wurde von einigen Leuten McWardens überwacht und abgeschirmt. Diese Beamten saßen verteilt im Saal und warteten auf die angekündigte Störung.
Als Mylady allerdings einen ersten, wenn auch noch diskreten Schnarchlaut produzierte, fühlte Parker sich gefordert, einzugreifen. Er stieß seine Herrin mit größter Vorsicht an. Sie fuhr mit einem zweiten Schnarchlaut hoch und reagierte auf ihre spezielle Weise. Sie blickte ihren linken Nebenmann empört an.
»Wie können Sie es wagen, zu dieser göttlichen Musik zu schnarchen«, herrschte sie den entgeisterten Musikliebhaber an. »Schämen Sie sich!«
Bevor der Mann reagieren konnte, kam es zu der eigentlichen Störung, die man McWarden zugetragen hatte.
Zwei noch recht junge Zuhörer männlichen Geschlechts, die dunkle, korrekte Anzüge trugen, gingen einfach auf das Podest, wo der Flügel stand. Der Virtuose blickte irritiert auf, spielte aber weiter.
Die jungen Männer erreichten den Flügel und blieben vorn rechts stehen. Dann klappte einer von ihnen hart und nachdrücklich den Deckel über die Klaviatur. Der Solist konnte im letzten Moment gerade noch die Hände zurückziehen, bevor sie empfindlich gestaucht oder gar lädiert wurden.
Unruhe kam im Saal auf.
Josuah Parker blieb sitzen, während einige Zuschauer bereits aufsprangen und sich beschwerten. Die jungen Männer beugten sich zu dem Solisten hinunter und flüsterten ihm etwas zu.
»Der Pianist war aufgesprungen und wich ängstlich zurück. Die beiden Männer folgten.
McWardens Mitarbeiter liefen bereits zur Bühne. Es kam zu einem allgemeinen Durcheinander.
Butler Parker entschuldigte sich kurz bei Lady Agatha und verschwand in der Menge, bevor die ältere Dame antworten oder gar protestieren konnte. Parker kannte genau seinen Weg. Sein Ziel war die Tür zum Künstlerzimmer seitlich der Bühne, von wo der Solist beim Auftritt gekommen war.
Es dauerte nicht lange, bis die beiden Männer hier erschienen. Sie gaben sich gelassen und schienen keine Eile zu haben. Sie setzten auf das allgemeine Durcheinander im Saal und auf der kleinen Bühne, blickten nur kurz auf den Butler, übersahen ihn dann und passierten ihn. Dabei grinsten sie wie zwei Verschwörer, denen ein besonders guter Coup gelungen war.
Danach aber grinste einer von ihnen nicht mehr ...
Josuah Parker hatte den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes gezielt eingesetzt und veranlaßte den Mann, sich über die Lehne eines Sessels zu hängen. Der andere Konzertbesucher bekam diesen Vorgang mit einiger Verspätung mit und wollte reagieren, überlegte es sich dann aber anders und wischte durch die nächste Tür aus dem Künstlerzimmer.
Noch war Josuah Parker mit dem jungen Mann allein, doch dies mußte sich bald ändern. Der Butler liftete den jungen Mann an und schleifte ihn über den Teppichboden zu einem Wandschrank, in dem Teppiche und Läuferrollen untergebracht waren.
Innerhalb weniger Augenblicke hatte Parker den Mann verstaut, die Tür wieder geschlossen und den Schlüssel abgezogen. Schon erschienen die ersten McWarden-Mitarbeiter und machten Jagd auf die beiden Störenfriede.
»Haben Sie zwei junge Leute gesehen, die hier durchgekommen sein müssen?« fragte einer der Yard-Beamten.
»In der Tat«, erwiderte Josuah Parker, der sich möglichst immer an die Wahrheit hielt. Er deutete zur nächsten Tür und enthielt sich jeden Kommentars. Er wollte seine Auskunftspflicht nicht unnötig übertreiben.
*
»Sie wechseln das Fach, Mylady?« fragte Mike Rander überrascht und musterte das riesige, schwarze Futteral, das die Form eines Kontrabasses hatte. Rander – vom Äußeren her gesehen – war fast so etwas wie die Kopie eines bekannten James-Bond-Darstellers. Er war rund vierzig, hatte früher mal jahrelang mit Parker zusammengearbeitet und verwaltete jetzt das immense Vermögen der Lady Agatha Simpson.
Mike Rander dachte voller Schrecken an die nahe Zukunft. Er hörte bereits die mit Sicherheit kratzenden Töne des Kontrabasses. Er fürchtete um Trommelfell und Nerven.
»Welches Fach soll ich gewechselt haben, mein Junge?« Agatha Simpson sah ihn erstaunt an.
»Sie wollen den Bogen streichen und nicht mehr singen, Mylady?«
»Ach, Unsinn.« Sie lächelte überlegen. »Ich kann mir natürlich gut vorstellen, daß ich auf diesem Instrument nicht ohne Erfolg bleiben würde.«
»Man benutzte das Futteral als eine Art Transportbehälter, Sir«, schaltete der Butler sich ein. »Der Kontrabaß wurde im Konzertsaal zurückgelassen.«
Parker setzte sich in Bewegung und rollte das riesige Futteral in den großen Wohnraum des altehrwürdigen Hauses Simpson. An der Unterseite des Musikbehälters waren kleine Transportrollen angebracht, die die Handhabung erleichterten.
Kathy Porter, die aus der Bibliothek kam, blieb wie versteinert stehen, als sie die Szene beobachtete. Dann schluckte sie und ging zu Mike Rander hinüber, den sie fragend musterte.
»Nur keine Panik«, sagte er leise und amüsiert. »Es bleibt beim Gesang.«
»Mir fallen einige Steine vom Herzen«, entgegnete sie erleichtert. Kathy Porter mochte achtundzwanzig bis dreißig sein, war groß, schlank und eine durchaus attraktive Erscheinung. Die ein wenig mandelförmig geschnittenen Augen und die betonten Wangenknochen verliehen ihr einen exotischen Anstrich.
Sie hatte dunkelbraunes Haar, leicht rotgetönt, wirkte sehr zurückhaltend und konnte doch innerhalb weniger Sekunden zur wilden Pantherkatze werden, wenn man sie angriff.
Die junge Dame war die Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Simpson und wurde von ihr wie eine Tochter behandelt. Die ältere Dame tat alles, um die beiden Kinder, wie sie Rander und Kathy nannte, möglichst bald unter die Haube zu bringen.
»Mylady bekamen einen ersten Kontakt zu den bereits erwähnten Golden-Boys«, erklärte der Butler, der das Futteral am mächtigen Kamin in der Wohnhalle abstellte.
»Man wollte dem Pianisten die Finger zertrümmern«, sagte Lady Agatha. »Ich habe das natürlich verhindert, nicht wahr, Mister Parker?«
»So könnte man in der Tat sagen, Mylady«, gab Parker zurück. Sein Gesicht blieb glatt und ausdruckslos. Er kannte die Phantasie der Hausherrin.
»Und was ist nun mit dem Kontrabaß?« lautete Kathy Porters Frage.
»Mister Parker erriet meine Gedanken und schaffte einen der beiden Gangster hierher«, schwindelte Agatha Simpson wie selbstverständlich.
»Eine prächtige Idee«, lobte Mike Rander und zwinkerte dem Butler zu.
»Ich weiß, mein Junge.« Sie nahm das Lob für sich in Anspruch. »Man muß eben Einfälle haben.«
Josuah Parker löste die Verschlüsse und klappte den Deckel des Futterals auf. In dem Behälter stand der junge Mann, der den Pianisten empfindlich gestört hatte. Er schien bedrückt und blickte scheu auf die ältere Dame, die sich vor ihm aufgebaut hatte.
»Sie haben was gegen Pianisten?« fragte Rander.
»Aus mir holen Sie nichts raus«, erklärte der junge Mann und trat vorsichtig aus dem Futteral. Er litt noch deutlich unter Gleichgewichtsstörungen, die mit dem Transport in Parkers Wagen zusammenhängen mußten.
»Sie sollten tunlichst antworten«, schaltete Josuah Parker sich ein. »Mylady ist selbstverständlich bereits bekannt, daß Sie für die sogenannten Golden-Boys tätig geworden sind.«
»Ich sage kein Wort«, wiederholte der junge Mann und hielt sich an der Lehne eines Sessels fest, »und wenn Sie mich durch den Wolf drehen.«
»Eine Lady Agatha hat feinere Methoden«, gab die passionierte Detektivin grimmig zurück. »Ich setze auf die Überzeugungskraft, junger Mann.«
Danach verabreichte sie ihm eine Ohrfeige, die ihn in das Futteral zurückwarf. Durch die Wucht fiel der Transportbehälter zu, und der Deckel schloß sich über dem kreischenden Gangster, der wohl annahm, er würde bei lebendigem Leib eingesargt.
*
Norman Wilcox war etwa fünfundvierzig und beherrschte seine weiblichen Mitarbeiter hinter dem Tresen. Er betrieb einen Nachtclub in Soho, in dem sich Angehörige der kriminellen Szene mit Vorliebe ein Stelldichein gaben. Wilcox war mittelgroß, muskulös und sich seines Wertes wohl bewußt.
Als er Butler Parker sah, der den Club gerade betreten hatte, schaltete er sofort, kam um den Tresen herum und bemühte sich um ein mehr oder weniger freundliches Lächeln.
»Man hat sich lange nicht gesehen, Mister Parker«, grüßte er den Butler, »aber man hört ’ne Menge über Sie und die Lady.«
Er kannte das Duo aus Shepherd’s Market recht gut und hatte in der Vergangenheit schon einige Male mit dem Butler zu tun gehabt. Sein Respekt vor Josuah Parker war groß. Bisher hatte Wilcox stets Niederlagen eingesteckt.
»Meine Wenigkeit erlaubt sich, Grüße zu überbringen, Mister Wilcox«, sagte Parker gemessen und überaus höflich. »Ein gewisser Cliff Mallers bat um diesen Gefallen.«
»Cliff Mallers?« Der Betreiber des Clubs schien den Namen noch nie in seinem Leben gehört zu haben.
»Ein junger Mann, der Pianisten zu hassen scheint«, erläuterte Josuah Parker. »Zusammen mit einem Begleiter versuchte er, die kostbaren Finger eines Flügel-Solisten zu zertrümmern.«
»Ich will keinen Stunk mit Ihnen haben, Parker«, sage Norman Wilcox und deutete auf eine Nische am rechten Längsende des Tresens. »Ich kenne keinen Malfers.«
»Mallers, Cliff Mallers«, korrigierte Josuah Parker höflich. »Er behauptete, von Ihnen in das Konzert geschickt worden zu sein.«
»Der Mann lügt nach Strich und Faden«, meinte der Bar-Betreiber. »Hier will man mir doch was am Zeug flicken, Parker. Merken Sie das nicht? Ich soll mal wieder den Sündenbock spielen.«
»Eine Rolle, der Sie mit Sicherheit gerecht werden, Mister Wilcox«, urteilte der Butler.
»Okay, ich bin kein Heiliger«, räumte der Mann ein und lächelte breit. »Aber mit Pianisten habe ich nichts am Hut. Warum sollte ich auch?«
»Vielleicht ist der Kontakt zu den Golden-Boys dafür um so enger«, tippte Parker an. Willcox blickte den Butler starr an und bemühte sich verzweifelt, ahnungslos zu erscheinen.
»Diese erwähnten Golden-Boys, Mister Willcox, interessieren sich für die Londoner-Kunstszene«, erklärte Parker geduldig. »In übertragenem Sinn haben sie die Absicht, Schutz- und Betreuungsgelder abzuschöpfen.«
»Ich verstehe wirklich kein Wort.« Norman Wilcox zuckte die Achseln.
»Im Grund handelt es sich um eine altbekannte und leider auch bewährte Methode«, erklärte der Butler. »Mylady und meine Wenigkeit hatten in der Vergangenheit schon mehrfach mit diesem Phänomen zu tun, wie man Ihnen versichern darf. Man verlangt Zahlungen in gewisser Höhe, aber man stört Veranstaltungen aller Art, falls diesen Zahlungen nicht nachgekommen wird.«
»Und ich soll damit zu tun haben?« Wilcox staunte.
»Sie waren mal einschlägig tätig«, erinnerte der Butler. »Seinerzeit mußten Mylady und meine Wenigkeit Sie nachdrücklich zur Ordnung rufen.«
»Das ist längst vorbei«, meinte der Bar-Unternehmer. »Rühren Sie nicht in alten Geschichten herum!«
»Sie könnten eine Art Filial-Unternehmen etabliert haben, Mister Wilcox.«
»Wie heißen die Typen, die da kassieren wollen?«
»Sie nennen sich die Golden-Boys, Mister Wilcox. Sollten sie rein zufällig Ihren Weg kreuzen, so teilen Sie diesen Spezialisten freundlicherweise mit, daß Mylady und meine Wenigkeit sich ihrer annehmen werden.«
»Die kreuzen ganz sicher nicht meinen Weg, Parker«, wollte Wilcox bereits im vorhinein wissen.« Ich habe mit der Szene nichts mehr am Hut, glauben Sie mir. Mein Bedarf ist gedeckt. Mir reicht mein Club hier voll und ganz.«
»Man erlaubt sich, noch eine angenehme und friedvolle Nacht zu wünschen, Mister Wilcox. Sie sollten meine Wenigkeit übrigens zu einem Ihrer Notausgänge begleiten. Meiner bescheidenen Ansicht nach wird man bereits verfolgt.«
»Das ist doch prächtig« freute sich der Bar-Betreiber. »Wir fangen die Verfolger ab und wissen dann, wohin der Hase läuft. Wie sehen die Typen aus?«
»Es handelt sich um zwei Motorradfahrer in dunkler Lederkleidung, die meinem Privatwagen folgten und jetzt auf Ihrem Parkplatz in Stellung gegangen sein dürften,«
»Kein Problem«, sagte Wilcox und winkte zu einem der gut besetzten Tische hinüber. »Dafür hab’ ich ein paar erstklassige Leute. Die erledigen das mit der linken Hand.«
»Und möglichst ohne jede Anwendung von Gewalt«, bat Josuah Parker. »Meine Wenigkeit wird hier warten, bis Ihre freundliche Aktion beendet ist.«
Norman Wilcox unterhielt sich knapp und eindringlich mit den beiden Gästen, die seinem Wink gefolgt waren und deutete auf einen Vorhang aus Perlschnüren, hinter dem sich, wie Parker bekannt war, ein langer Korridor befand.
Josuah Parker hatte überhaupt nichts dagegen, daß ein Angehöriger der kriminellen Szene für ihn tätig wurde. Er erweckte zumindest diesen Eindruck.
*
»Man sollte den Verfolgern sicherheitshalber den Weg abschneiden«, schlug Parker vor, als die beiden Gäste im Korridor verschwunden waren. Er deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes auf den Eingang des Clubs.
»Die erwischen die beiden Typen ganz sicher«, meinte Wilcox, der eindeutig noch gar nicht begriffen hatte.
»Es wäre ungemein freundlich, wenn Sie meiner Wenigkeit folgen würden«, erklärte der Butler und ging nach vorn zum Haupteingang, ohne sich weiter um den Bar-Betreiber zu kümmern. Wilcox folgte notgedrungen, holte den Butler ein und baute sich vor ihm auf.
»Warten wir doch«, sagte er.
»An der frischen Luft«, schlug der Butler unbeirrt vor.
»Hören Sie, Parker, Sie werden bleiben!«
Wilcox zeigte Entschlossenheit.
»Meiner Wenigkeit fiel gerade ein, daß man sich auch geirrt haben könnte, was die beiden Verfolger betrifft.« Während Parker noch sprach, ließ er die Spitze seines Schirmes auf das Oberleder des linken Schuhs von Wilcox fallen. Sie war scharf, bohrte sich durch die Rindshaut und verursachte eine kleine Sensation auf dem Fußrücken.
Wilcox schnappte verzweifelt nach Luft, zog den schmerzenden Fuß an und stützte sich dabei auf die Kante eines schmalen Tischchens, das aus dem Gleichgewicht geriet und umkippte. Dadurch verlor der Nachtclub-Unternehmer seinerseits den Halt und rutschte seitlich weg zu Boden.
Der Butler lüftete höflich die schwarze Melone und ging nach draußen. Es waren nur wenige Schritte bis zu seinem hochbeinigen Monstrum. Parker hatte den Wagen noch nicht ganz erreicht, als die beiden Gäste durch eine schmale Gasse kamen und auf ihn zuhielten.
»Sie werden dringend erwartet, meine Herren«, sagte Parker und deutete mit der Schirmspitze zum Eingang. »Mister Wilcox befaßt sich bereits intensiv mit seinen Freunden.«
Sie nahmen das für bare Münze und trabten sofort weiter, um dann im Club zu verschwinden. Der Butler setzte sich ans Steuer seines Wagens und nickte Mike Rander zu, der im hochbeinigen Monstrum gewartet hatte. Als Parker anfuhr, erschien Wilcox und die beiden Gäste auf der Straße. Wilcox humpelte.
»Was war denn los, Parker?« erkundigte sich der Anwalt amüsiert. »Sie dürften für einige Aufregung gesorgt haben, wie?«
»Mister Wilcox wird meiner Wenigkeit gram sein«, entgegnete der Butler. »Man inszenierte ein kleines Verwirrspiel, um ohne Aufsehen den Club verlassen zu können. Er dürfte jetzt wissen, daß seine Kontakte zu den Golden-Boys gefährlich werden können.«
Um den Anwalt ins Bild zu setzen, berichtete Parker kurz von seiner Unterhaltung mit Wilcox.
»Sind Sie sicher, daß es da einen Zusammenhang gibt?« fragte Rander, als er Bescheid wußte.
»Er dürfte zumindest von der Existenz dieser Gangster wissen, Sir. Als die Golden-Boys erwähnt wurden, bemühte Mister Wilcox sich mehr als nur krampfhaft um Ahnungslosigkeit.«
»Könnte er diese Boys aufgezogen haben, Parker?«
»Solch eine Möglichkeit sollte man keineswegs ausschließen, Sir«, lautete die Antwort des Butlers. »Mister Wilcox dürfte seine verbrecherische Energie sicher kaum desaktiviert haben, um es mal so auszudrücken.«
»Was zu beweisen ist, Parker. Wir werden bereits verfolgt.« Mike Rander hatte sich im Beifahrersitz umgedreht und blickte durch das Rückfenster auf die Straße.
»Es handelt sich um einen flaschengrünen Ford, Sir«, gab der Butler wie selbstverständlich zurück. »Er folgt aber bereits seit Shepherd’s Market, Sir.«
»Tatsächlich? Ist mir gar nicht aufgefallen.« Rander lächelte. »Der Wagen hat also bereits vor Myladys Haus gewartet?«
»In der Tat, Sir«, bestätigte der Butler. »Möglicherweise sitzt im erwähnten Ford der Partner jenes Mannes, den man im Futteral des Kontrabasses in Myladys Haus transportierte.«
*
Josuah Parker beendete die Verfolgung auf bewährte Art.
Nicht umsonst nannte man seinen Privatwagen eine Trickkiste auf Rädern. Er hatte das wirklich betagte Modell eines Londoner Taxis nach seinen sehr speziellen Wünschen und Vorstellungen technisch völlig umgestalten lassen. Es bot jetzt Überraschungen am laufenden Band. Der leistungsstarke Rennmotor unter der eckigen Haube war nur ein kleiner Teil davon.
Der Butler lotste den hartnäckigen Verfolger zielbewußt in den Ostteil der Stadt. Im Wapping, wo umfangreiche Bauarbeiten stattfanden, um die sogenannten Dock-Lands wieder attraktiv zu machen, gab es gute Möglichkeiten, den Verfolger im flaschengrünen Ford außer Gefecht zu setzen.
Parker, der sich hier auskannte, tat so, als hätte er erst jetzt seinen Verfolger wahrgenommen. Er gab Gas und ließ seinen Wagen nach vorn schießen. Sein kurzer Blick in den Rückspiegel informierte ihn, daß der Verfolger augenblicklich reagierte. Der Fahrer sorgte sich, den Anschluß zu verpassen.
Parker bog plötzlich nach links ab und befand sich in einer Straße, die kaum breiter war als ein normaler Wagen. Auf der linken Seite gab es einen hohen Bauzaun aus Brettern und Bohlen, auf der rechten befand sich die Ziegelrückwand eines ehemaligen Lagerschuppens.
Der Ford folgte.
Der Fahrer witterte wohl seinerseits eine Möglichkeit, sich endlich mit Parker anlegen zu können. Er wurde schneller und näherte sich dem Heck des hochbeinigen Monstrums.
Als der Wagen sich auf bedrohlichen Abstand herangeschoben hatte, legte Parker einen der unscheinbar aussehenden Kipphebel auf dem Armaturenbrett nach unten und blickte dann in den Rückspiegel.
Es war schon recht beachtlich, was da passierte ...
Aus unter dem Wagenboden versteckt angebrachten Düsen schoß eine rabenschwarze Wolke auf die Fahrbahn und hüllte den flaschengrünen Ford augenblicklich ein. Parker, der die Zusammensetzung der Wolke kannte, wußte, wie es weiterging.
Ruß und Fettpartikel legten sich auf die Windschutzscheibe des folgenden Wagens und bildete eine klebrige Schicht, die auch mit den Scheibenwischern nicht zu entfernen war. Der Fahrer sah plötzlich nichts mehr und mußte eine Vollbremsung riskieren.
Der Butler hörte das Kreischen von Blech und Splittern von Glas. Die Scheinwerfer des Ford, die nur als schwache Lichtpunkte durch die Rußwolke zu sehen waren, existierten plötzlich nicht mehr.
»Treffer«, sagte Mike Rander lakonisch. »Manche Fahrer passen aber auch wirklich nicht auf, Parker.«
»Man kann nur hoffen, Sir, daß der Fahrer sich angeschnallt hatte«, antwortete der Butler. Er stieg aus und blieb am fast scharf abgezirkelten Rand der schwarzen, fettigen Rußwolke stehen, die sich bereits langsam senkte.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis man deutlich ein aufdringliches Husten hörte. Dann erschien der Fahrer des Ford, rieb sich die Augen und tastete an der Bretterwand entlang. Sein Gesicht war schwarz.
»Kann man davon ausgehen, daß Sie sich nicht verletzt haben?« erkundigte sich der Butler, um dann sofort den Standort zu wechseln. Der Angesprochene reagierte wenig freundlich. Er langte unter sein Jackett, doch die Bewegung fiel im Zeitlupentempo aus.
Mühsam förderte der Ford-Fahrer eine Automatic hervor, die er allerdings nicht sonderlich lange in der Hand hielt. Parker schlug sie nämlich mit dem Bambusgriff seines Schirmes zu Boden.
»Zu wem und wohin sollte man Sie bringen?« fragte Josuah Parker dann gemessen. »Sie benötigen mit Sicherheit Betreuung.«
»Sie ... Sie haben mich reingelegt«, beschwerte sich der Mann ohne großen Nachdruck.
»Unterhalten Sie sich über dieses Thema tunlichst mit Ihrem Auftraggeber«, schlug der Butler weiter vor. »Wohin soll man Sie also bringen?«
»Zu Butch Hazelman«, lautete die Antwort, bevor der Ford-Fahrer in sich zusammenrutschte.
»Kennen Sie einen Butch Hazelman, Parker?« wollte Mike Rander wissen.
»Flüchtig, Sir«, erwiderte Parker. »Mister Hazelman vertreibt Werbeartikel aller Art. Seine Verkaufsmethoden sind bemerkenswert.«
»Wie wäre es denn mit einer kleinen Andeutung, Parker?« Rander lächelte. Parkers Hinweis versprach einiges.
»Wer nicht kauft, setzt bald kaum noch etwas um, Sir«, erläuterte Josuah Parker. »Mister Hazelman verkauft seine Artikel, ob man sie nun braucht oder nicht.«
»Dann paßt dieser Knabe doch ins allgemeine Bild, wie?«
»Durchaus, Sir, er ist für jede Nötigung und Erpressung gut, wenn man so sagen darf.«
*
Nach einer halben Stunde erreichten sie das Haus, in dem Hazelmans Firma untergebracht war. Es handelte sich um einen Backsteinbau, der verfallen aussah. Im Erdgeschoß befanden sich die Firmenräume, deren Fenster mit Blenden versehen waren. Auf einem kleinen Parkplatz davor standen einige Wagen. Ins Auge fiel ein Bentley.
»Man scheint noch zu arbeiten, oder was immer man sich darunter vorstellt«, meinte der Anwalt. Durch die Innenblenden schimmerte Licht. »Hazelman wartet sicher auf seinen Mitarbeiter.«
»Man wird ihm Grüße von ihm übermitteln, Sir«, erwiderte der Butler, der ausstieg und dann mit Mike Rander zum Eingang schritt.
Parker benutzte sein kleines Spezialbesteck, um das Türschloß zu öffnen. Ihm kam es darauf an, unangemeldet zu erscheinen. Der Moment der Überraschung sollte auf seiner Seite sein.
Mike Rander schaute interessiert-fasziniert zu, wie schnell und geschickt der Butler hantierte. Die kleinen Haken und schmalen Metallzungen schienen unter seinen schwarz behandschuhten Fingern ihr Eigenleben zu führen. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Josuah Parker die Tür spaltbreit aufdrücken konnte.
»Kompliment, Parker«, lobte der Anwalt. »Von Ihnen kann selbst noch ein Schlosser lernen.«
»Die Basis-Konstruktion dieser Türschlösser ist gefährlich simpel, Sir«, sagte Parker. »Man geniert sich fast, solche Zylinderschlösser zu öffnen.«
»Ich brauchte dazu eine Stange Dynamit«, erwiderte Rander ironisch und drückte die Tür vollends auf. Er blickte in einen Vorraum, an den sich eine Art Lichthof anschloß.
In diesem Lichthof standen zwei Schreibtische und waren Wandregale befestigt. Es gab zwei Glasvitrinen, in denen die Werbeartikel der Firma ausgestellt waren. Personal war weit und breit nicht zu sehen.
Die beiden Männer erreichten den Lichthof und bogen danach in einen zweiten Korridor ein, an dessen Ende eine Tür weit geöffnet war. Man hörte Stimmen, Lachen und leise Musik.
Zwei junge Männer hatten sich in einer Ecke breitgemacht und tranken Bier aus Dosen. Als sie Rander und Parker erblickten, erstarrten sie erst mal. Als sie dann aufsprangen, zeigte der Anwalt ihnen die Automatic des Ford-Fahrers.
Daraufhin nahmen die beiden jungen Männer sofort wieder Platz und hoben blitzschnell die Arme.
»Wo steckt denn der gute Hazelman?« wollte Mike Rander wissen.
»Wer ... Wer sind Sie?« fragte einer der beiden Männer mit leicht belegter Stimme.
»Geschäftsfreunde«, gab Rander zurück. »Also, wo steckt Hazelman?«
»Der is’ oben in seiner Wohnung«, lautete die Antwort. »Soll ich mal kurz anrufen und ihm Bescheid sagen?«
»Tun Sie’s, falls Sie einen Notarzt beschäftigen wollen«, schlug der Anwalt vor. Er bediente sich des Slangs, wie er in der Unterwelt-Szene gesprochen wurde.
»Auf welche Art und Weise ist die erwähnte Privatwohnung zu erreichen?« schaltete Josuah Parker sich ein.
»Treppenhaus«, lautete die Antwort. »Da drüben vom Korridor aus.«
»Der Chef wird sauer sein, wenn Sie da so einfach reinplatzen«, warnte der Gangster nervös und wartete auf seine Chance, die beiden Besucher attackieren zu können. Allein sein Blick verriet ihn. Der junge Mann schielte immer wieder hinunter zum Seitenteil seines Schreibtisches. In einem der Fächer lag mit Sicherheit eine Schußwaffe, die er liebend gern an sich genommen hätte.
Parker gab ihm eine Chance und sah zur Seite. In diesem Augenblick warf der Mann sich vor und langte gleichzeitig in das Seitenfach. Dann jaulte er allerdings getroffen auf, als der bleigefüllte Bambusgriff Parkers seinen Unterarm traf. Der Gangster bekam steife Muskeln und Finger und war nicht mehr in der Lage, nach der Schußwaffe zu greifen.
»Sie dürfen versichert sein, daß meiner Wenigkeit dies außerordentlich peinlich ist«, entschuldigte sich der Butler. »Im Grund sollte man auf Gewaltakte jeder Art voll und ganz verzichten.«
Der Gangster hörte nicht recht zu, blickte auf seinen geprellten Arm und stöhnte. Er bekam deshalb nicht mit, daß Parker einen kleinen Sprayzylinder in der Hand hielt und sprühte.
»Die sicher vorhandenen Schmerzen werden bald einem Gefühl der Entspanntheit weichen«, prophezeite der Butler und spritzte dann auch noch wie beiläufig den zweiten Gangster an. »Auch Sie sollen selbstverständlich nicht zu kurz kommen.«
*
Das Spezialbesteck des Butlers trat noch mal in Aktion.
Rander und Parker hatten die Treppe hinter sich gelassen und standen vor einer Wohnungstür. Nach wenigen Sekunden leistete das Türschloß keinen Widerstand mehr.
Parker drückte die Tür auf, übernahm die Führung und folgte einer Stimme, die laut und deutlich zu vernehmen war. In einem großen Wohnraum stand ein schlanker, sportlich aussehender Mann, der etwa vierzig Jahre alt war. Er telefonierte gerade, erblickte den Butler und staunte nur noch.
»Man wünscht einen ausgesprochen geruhsamen Abend, Mister Hazelman«, grüßte Josuah Parker und hob seine Melone kurz an. »man schickte Mister Rander und meine Wenigkeit nach oben.«
Butch Hazelman ließ den Hörer in die Gabel fallen und kam mit schnellen Schritten auf die beiden Besucher zu.
»Wie sind Sie hereingekommen?« fragte er barsch und funkelte Rander und Parker an.
»Logischerweise durch die Wohnungstür«, erklärte der Butler gemessen. »Sind Sie wirklich daran interessiert, dies unwesentliche Thema zu vertiefen?«
»Aber ich darf doch wohl erfahren, wer Sie sind, oder?« Butch Hazelman schaltete auf leise Ironie um. Er trug einen Bademantel und hatte mit Sicherheit keine Waffe versteckt. Er war also erst mal vorsichtig.
»Mister Rander«, stellte der Butler vor. »Mein Name ist Parker, Josuah Parker. Aus Gründen, die noch unerfindlich sind, schickten Sie einen Mann hinter Mister Rander und meiner Wenigkeit her, der einen dunkelgrünen Ford dazu benutzte.«
»Wer behauptet denn das?« Hazelman schien verblüfft zu sein.
»Haben die Golden-Boys sich bei Ihnen eingeklinkt?« fragte Mike Rander lässig.
»Wer... Wer soll denn das sein? Und wieso Ford-Fahrer? Ich habe keinen blassen Schimmer, wovon Sie eigentlich reden.«
»Wie Norman Wilcox«, stellte der Anwalt sarkastisch fest. »Auch der ist ahnungslos.«
»Hören Sie, wollen Sie mir was anhängen? Wer sind Sie eigentlich?«
»Man stellte sich bereits vor«, erinnerte der Butler. »Wie Mister Rander bereits auszuführen beliebte, geht es um die sogenannten Golden-Boys, die in der Kunst-Szene außerordentlich bequeme und schnelle Gewinne zu machen gedenken.«
»Jetzt kapiere ich überhaupt nichts mehr.« Hazelman schüttelte verständnislos den Kopf. »Was habe ich mit der Kunst-Szene zu tun? Sie sind bei mir auf dem falschen Dampfer.«
»Ihre Verkaufsmethoden sollen sich ebenfalls durch eindeutige Härte auszeichnen.«
»Moment mal, was wollen Sie damit sagen?« Hazelman wandte sich ab und ging zu einer kleinen Hausbar, die in der rechten Zimmerecke eingerichtet war. Er schien plötzlich Durst bekommen zu haben.
»Wer von Ihnen nicht kauft, soll wenig später viel Ärger haben«, faßte Mike Rander zusammen. Er folgte Hazelman, der die Hausbar inzwischen erreicht hatte. Der Wohnungsinhaber ging um den kleinen Tresen herum und langte nach einem Glas. Er tat sehr harmlos.
»Wollen Sie mir etwa Erpressungen unterstellen?« fragte Hazelman aufgeregt.
»Richtig«, bestätigte der junge Anwalt. »Und da liegt es doch verdammt nahe, daß Sie Ihre Masche auch innerhalb der Kunst-Szene abziehen wollen, Hazelman.«
»Jetzt langt’s mir aber«, brüllte der Werbeartikel-Verkäufer und griff blitzschnell unter den Tresen. Er zerrte einen Revolver hervor, doch er kam nicht mehr dazu, ihn auf Rander oder Parker zu richten.
Der Anwalt, der mit dieser Reaktion gerechnet hatte, stellte einen schweren Aschenbecher aus Glas auf den Handrücken des Mannes.
Die Hand sackte nach unten durch, öffnete sich und gab die Schußwaffe frei, die polternd auf dem Boden landete. Hazelman verfärbte sich in Richtung Kalkfarbe und stöhnte gequält.
»Entschuldigung«, meinte Rander, »manchmal ist man richtiggehend ungeschickt.«
»Dafür werden Sie noch büßen«, quetschte der Werbeartikel-Verkäufer hervor. »Ich schwör’s Ihnen, dafür nehm’ ich Sie hoch!«
»War da noch etwas, Parker?« erkundigte sich Mike Rander bei dem Butler. Er tat so, als hätte er nichts gehört.
»Keineswegs und mitnichten, Sir«, gab Parker zurück. »Um einen wahren Hinweis auf die erwähnten Golden-Boys zu erhalten, müßte man Gewalt anwenden, die jedoch abzulehnen ist. Mister Hazelman steht es jetzt frei, sich an den erwähnten Mitgangstern schadlos zu halten, falls er die Golden-Boys nicht selbst initiiert haben sollte.«
Der Butler lüftete die schwarze Melone und verließ den Wohnraum. Mike Rander folgte, blieb jedoch an der Tür zum Korridor stehen und deutete auf den Boden.
»Ihre Kanone, Hazelman, liegt da unter dem Sideboard«, erklärte er dem Mann. »Ich muß sie gerade weggekickt haben. Aber wer suchet, der findet bestimmt auch. Sie brauchen sich nur etwas Mühe zu geben.«
*
»Warum fahren wir nicht weiter?« fragte der Anwalt fünf Minuten später. Parker war in eine nahe Seitenstraße eingebogen und hatte gehalten.
»Die Reichweite des Miniatur-Senders ist beschränkt, Sir«, lautete die Antwort des Butlers, der das Bord-Radio einschaltete und den Knopf zum Einstellen des Senders ganz nach links drehte. Er überwand dann die Anschlagsperre und ging auf volle Lautstärke.
»Sie haben eine Wanze zurückgelassen?« fragte Rander.
»Gegen einen gewissen inneren Widerstand, Sir«, meinte der Butler. »Normalerweise pflegt meine Wenigkeit die Intimsphäre seiner Mitbürger zu respektieren.«
»Sie müssen diesen Widerstand ja geradezu brutal niedergekämpft haben«, spöttelte der Anwalt.
»Der Zweck heiligt in der Tat keineswegs die Mittel, Sir«, bekannte Josuah Parker. »Bei passender Gelegenheit wird man sich bei Mister Hazelman in aller Form entschuldigen.«
Rander wollte etwas sagen, doch in diesem Moment hörte man das Zuschlagen einer Tür, danach Schritte. Wenig später war das Drehen einer Telefon-Wählscheibe zu vernehmen. Kurz danach meldete sich Hazelman mit seinem Namen.
»Hier Butch«, sagte er. »Ich hatte gerade Besuch, Greg. Parker und dieser Anwalt Rander waren hier... Ja, sie haben einen Mann von mir reingelegt und ihn ausgequetscht... Wie war das? Natürlich hab’ ich kein Wort gesagt, lieber hätt’ ich mir die Zunge abgebissen ... Hör’ mal, Parker oder Rander, wer’s genau war, weiß ich nicht mehr, haben auch Wilcox erwähnt. Ja, Norman Wilcox ... den scheint man auch eingeschaltet zu haben ... Warum hast du mir davon nichts gesagt? Bin ich nicht mehr gut genug, um allein ’ne Sache durchzuschaukeln ...? Wenn du das glaubst, Greg, dann ruf mich in Zukunft nicht mehr an, klar? ... Wanze? Wieso Wanze? Wer sollte denn die ...? Parker?!«
Damit endete das Gespräch.
Man hörte nur noch hastige Schritte, das Rücken von Sesseln, Scharren und Kratzen. Hazelman schien sich auf der Suche nach der Wanze zu befinden. Sein Gesprächspartner Greg hatte die private Fahndung ausgelöst, die durchaus berechtigt war.
»Wo haben Sie das Ding denn versteckt?« fragte Rander den Butler.
»Im Papierkorb neben der Hausbar, Sir.«
»Schon gefunden«, konstatierte der Anwalt, als plötzlich ein scharfes Knacken im Wagenradio zu vernehmen war.
»Ein Verlust, den man leicht verschmerzen kann, Sir«, meinte Josuah Parker. »Man wird also nach einer Person suchen müssen mit dem Vornamen Greg.«
»Und die wohl eine Etage höher angesiedelt ist als Hazelman«, vermutete der Anwalt. »Hazelman wird bestimmt nicht für ein paar unbekannte Gauner arbeiten.«
»Eine Auffassung, Sir, der man nur vollinhaltlich zustimmen kann.«
»Der Fall ist also bereits gelöst, wie Mylady in solchen Fällen sagen würde.« Mike Rander lächelte.
»Man wird eruieren müssen, Sir, welche Top-Gangster, um sie mal so zu nennen, den Vornamen Greg aufzuweisen haben.«
»Kann ja wohl nicht besonders schwer sein, Parker. Fällt Ihnen auf Anhieb nichts Passendes ein?«
»Es gibt einen Greg Palcord, Sir, vor dem man nur warnen kann. Mister Palcord betätigt sich auf dem Gebiet des Autodiebstahls und ist spezialisiert auf teure Luxuswagen.«
»Und wo finden wir diesen Palcord, Parker? Wir sind gerade so schön im Schwung, denke ich.«
»Man findet ihn in Stepney, Sir, wie meiner Wenigkeit erinnerlich ist. Er frönt dort in einem Club seiner Leidenschaft als Billardspieler.«
»Ich habe lange nicht mehr Billard gespielt, Parker.«
»Sollte man vorher nicht Mylady informieren, Sir? Sie dürfte ungehalten sein, falls man einen solchen Besuch allein ausführt.«
»Auf ein Donnergrollen mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an, Parker. Aber okay, rufen wir sie doch an. Sie könnte mit Miß Porter nachkommen.«
»Eine Lösung, Sir, die man nur als elegant bezeichnen kann und muß«, urteilte der Butler in seiner höflichen Art.
*
Der Billardsaal befand sich im Hochparterre eines grauen Backsteingebäudes. Man erreichte ihn über eine geschwungene Treppe, auf deren Stufen einige junge Männer saßen und Bier aus Dosen tranken. Links und rechts vom Eingang standen Motorräder aller Hubraumklassen. Weiter rechts parkten einige Wagen.
»Sieht nach einem Hauptquartier aus, Parker«, meinte der Anwalt, als der Butler den Eingang passierte. Sein Wagen fiel so gut wie gar nicht auf. Man verwechselte ihn mit einem betagten Taxi.
»Ein Mann wie Mister Greg Palcord pflegt nicht kleinlich zu sein, was Freibier angeht, Sir«, erwiderte Josuah Parker und bog in eine Seitenstraße. »Einige der jungen Alkoholfreunde dürften zu den Zulieferern gehören.«
»Und wo wohnt dieser Palcord?«
»Meines Wissens hier in dieser Parallelstraße, Sir. Die genaue Adresse ist meiner Wenigkeit allerdings nicht bekannt.«
»Okay, sehen wir uns in dem Billardladen mal näher um«, gab der Anwalt zurück. »Es könnte natürlich einige Schwierigkeiten geben.«
»Man wird erst mal die Treppe hinter sich bringen müssen, Sir.«
»Die ganz gut besetzt ist.«
»Es dürfte mit Sicherheit zumindest einen Hinterausgang geben, Sir.« Parker stieg aus und wartete, bis auch der Anwalt das hochbeinige Monstrum verlassen hatte. Dann schloß er die Zentralverriegelung und schaltete damit gleichzeitig die Sicherung ein. Er legte sich den Bambusgriff seines altväterlich gebundenen Regenschirmes über den angewinkelten linken Unterarm und setzte sich würdig und gemessen in Bewegung. Mike Rander schloß zu ihm auf und war gespannt, ob und wann der Butler diesen Hinterausgang finden würde.
Es dauerte auch nicht lange ...
Der Orientierungssinn des Butlers war erstaunlich. Zudem schien er so etwas wie Röntgenaugen zu besitzen. Er passierte ohne weiteres einige Häuserfronten und Torwege, bis er plötzlich stehenblieb. Er deutete mit der Spitze seines Schirmes auf ein kleines Ladenlokal, dessen Schaufenster von innen zugekalkt war. Hinter der undurchsichtigen Scheibe war schwacher Lichtschein auszumachen.
»Was ist denn?« fragte Rander.
»Ein aufgegebenes Ladenlokal, in dem Licht brennt«, meinte Parker. »Wer könnte sich solch eine Geldausgabe schon leisten? Zudem wird im Geschäft eindeutig geraucht.«
»Ich rieche nichts«, gab Rander achselzuckend zurück.
»Durch das geöffnete Oberlicht der Eingangstür zieht ein entsprechender Schwaden ab, wie im Widerschein des Lichtes zu sehen ist.«
»Richtig«, bestätigte der Anwalt amüsiert. »Mister Holmes, Sie sind mal wieder in Höchstform. Und was fällt Ihnen sonst noch auf?«