Читать книгу Butler Parker 120 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3
ОглавлениеJosuah Parker war der Meinung, daß Lady Simpson sich recht albern benahm. Seine Herrin, die sich schon seit etlichen Jahren unverändert als Sechzigerin bezeichnete, saß in einem Boot und stieß einen teenagerhaften Jauchzer aus, als der Holzkahn sich dem tosenden Wasserfall näherte. Sie hielt ihren Hut fest, der ein wenig an einen Südwester erinnerte, jauchzte erneut auf und verschwand dann in den Wasserschleiern.
Butler Parker fand, daß Agatha Simpson sich ein wenig zu laut und ausgelassen benahm. Er mißbilligte das sehr.
Er saß zu seinem Leidwesen ebenfalls in diesem Einbaum und machte einen äußerst abweisenden Eindruck. Steif, als habe er einen Stock verschluckt, drückte er seine schwarze Melone mit dem Bambusgriff seines Universal Regenschirms auf den Kopf und kniff die Augen zu. Nun war nämlich die Reihe an ihm, in die Wasserschleier einzutauchen.
Es ging alles blitzschnell.
Der hölzerne Kahn neigte sich vor und jagte dann über den Rand des Wasserfalls. Sekunden später war dieser Sturz in die Tiefe bereits überstanden. Die Spitze des Einbaums ließ das Wasser des kleinen Bergsees aufschäumen, glitt weiter und hielt auf den Wildwasserkanal zu, in dem die Wasserfluten zu kochen schienen.
»Ist das nicht wunderbar?« Lady Agatha wandte sich zu ihrem Butler um und sah ihn mit funkelnden Augen begeistert an.
»Wie Mylady meinen«, gab Josuah Parker neutral zurück.
»Gleich wird es noch spannender werden.« Lady Simpson deutete auf den Wildwasserkanal Sie jauchzte noch ein drittes Mal begeistert auf und veranlaßte Parker dadurch nur zu einem gequälten Lächeln. Er war von Anfang an gegen diese Art von Belustigung gewesen.
Der vollbesetzte Kahn geriet leicht ins Schwanken. Die Insassen kreischten vergnügt, schaukelten noch zusätzlich und ließen sich ohne Protest von den überschwappenden Wellen unter Wasser setzen.
Parkers Gesicht hatte einen mißbilligenden Ausdruck angenommen, was bei ihm schon viel bedeutete. Normalerweise zeigte er kaum eine Reaktion. Selbstbeherrschung und Haltung waren Tugenden, die für Josuah Parker eine Selbstverständlichkeit darstellten.
Seine Mißbilligung hing damit zusammen, daß eine über Bord schwappende Welle bereits sein gestärktes Vorhemd erreichte. Das Wasser netzte zu ausgiebig seine Brust.
Eine zweite Welle landete in seinen schwarzen Schuhen und verordnete seinen Füßen ein nicht eingeplantes, gründliches Bad. Parkers Gesichtszüge entgleisten endgültig, als er von einer dritten Welle förmlich geohrfeigt wurde.
»Wunderbar«, rief Lady Agatha Simpson ihrem Butler zu. Wie eine erfahrene Wikingerin saß sie im Holzkahn und trotzte Wind und Wellen. Hinter ihrem breiten Rücken hatte Kathy Porter Schutz gesucht und auch gefunden. Sie bekam von dem unfreiwilligen Bad kaum etwas ab.
Der Wildwasserkanal war inzwischen auch überstanden. Die Fahrt ging weiter und näherte sich einer Stromschnelle, die weitere unangenehme Überraschungen verhieß. Parker wischte sich die Wasserperlen aus dem Gesicht und bereute seinen Entschluß, an dieser Bootsreise teilgenommen zu haben. Er hatte sich diesen Nachmittag anders vorgestellt.
Die Stromschnelle tat ihre Pflicht überaus gründlich.
Sie durchnäßte Parkers Hosenbeine völlig, verabreichte ihm eine zweite Ohrfeige und weichte sein Gesäß nachhaltig ein. Der Kahn erreichte einen kleinen See, beschrieb einen sanften Bogen und hielt dann vor dem langen Bootssteg.
»Ich möchte die Strecke am liebsten noch einmal fahren«, sagte Lady Simpson, als Parker ihr auf den Bootssteg half. »Oh, Mr. Parker, Sie sind naß geworden?«
»Ein wenig, Mylady«, erwiderte Parker gemessen und steif. »Mylady bestehen auf einem zweiten Durchgang?«
»Unbedingt«, entschied Lady Agatha unternehmungslustig. »Aber vorher will ich mir noch die Alligatorenfarm ansehen. Nun kommen Sie schon, Mr. Parker. So etwas wird einem nicht alle Tage geboten.«
»Wenn Mylady meine bescheidene Wenigkeit vielleicht entschuldigen wollen?«
»Papperlapapp, Mr. Parker.« Sie sah ihn streng an. »Ich möchte auf Ihre Begleitung in keinem Fall verzichten.«
»Mylady schmeicheln einem alten, müden und verbrauchten Mann. Ich möchte mir allerdings erlauben darauf hinzuweisen, daß meine Kleidung durchnäßt ist.«
»Das trocknet alles wieder, Mr. Parker. Wir haben doch ein selten schönes Wetter. Nach den Alligatoren werden wir uns die Feen und Zwerge ansehen.«
»Myladys Wünsche sind mir Befehl«, gab Josuah Parker würdevoll zurück. Er hatte sich entschlossen, das hier alles über sich ergehen zu lassen. Schlimmer als die Wildwasserfahrt konnte es ja wohl kaum noch kommen.
Doch darin sollte Butler Parker sich gründlich getäuscht haben!
*
Der Mann war klein und fett.
Er erinnerte ein wenig an einen degenerierten Buddha, wozu seine Glatze noch ein Übriges tat. Der Mann saß in einem Drehsessel und beobachtete die Bilder, die ihm die sechs Monitoren lieferten.
Er beugte sich vor und deutete auf den dritten Kontrollfernseher. Seine Augen verengten sich, und sein Gesicht nahm einen gespannten Ausdruck an.
»Da ist sie wieder«, sagte er und wandte sich an einen jungen, drahtigen Mann, der vor einem Kontrollpult stand. »Gehen Sie näher heran, Steve. Ja, noch näher. Natürlich, das ist sie.«
»Sie war eben auf der Wild wasserbahn«, bestätigte der junge Mann. Er drückte auf verschiedene Knöpfe, worauf das Bild auf dem Monitor noch deutlicher wurde.
Es zeigte eine gewisse Lady Agatha Simpson, die wie ein etwas zu füllig und zu groß geratenes Kind in einem breiten Ruderboot saß und sich die Alligatoren aus nächster Nähe anschaute. Daß sie diese Fahrt genoß, war ihr deutlich anzusehen. Sie wandte sich gerade an ihre Begleiterin und deutete auf einen besonders mächtigen Alligator, der nach dem Boot schnappte, es jedoch knapp verfehlte.
Die junge Begleiterin der Lady schien von dem Alligator nicht viel zu halten. Sie bog sich unwillkürlich zurück und verzog angewidert ihr Gesicht.
»Die sieht verdammt gut aus, Sir«, sagte der junge Mann, dessen Vorname Steve war.
»Also gut, Steve. Merken Sie sich die Kleine ebenfalls vor. Sie sollen nicht leer ausgehen.«
»Vielen Dank, Sir.« Steve griff nach einem Fotoapparat und schoß das Bild, das immer noch auf dem Monitor zu sehen war. Er machte einige Aufnahmen und griff dann nach einem Funksprechgerät, das neben dem Kontrollstand auf einem Tisch lag.
Während er sich mit der »Außenstelle Alligator« in Verbindung setzte, beobachtete der Glatzköpfige weiter die Fernsehbilder. Der fette Mann, der etwa fünfundfünfzig Jahre alt sein mochte, suchte nach weiteren Testpersonen für seinen großangelegten Versuch.
Ihm ging es da um eine Mischung, die gute Resultate versprach. Zum anderen mußte sie einen gewissen Unterhaltungswert darstellen. Über das geplante Experiment hinaus wollte der Fette sich auch amüsieren.
»Was halten Sie von dem Butler der ›Alten‹?« erkundigte sich Steve. Der junge Mann drückte wieder Bedienungsknöpfe und regulierte‘ mit einem Drehknopf das Bild. Steve deutete auf den Monitor, auf dessen Bildscheibe nun der Butler zu sehen war, wie er eigentlich nur noch in nostalgischen Filmen zu genießen war. Dieser Butler trug einen schwarzen Zweireiher, eine schwarze Melone und hielt einen altväterlich gebundenen Regenschirm in der Hand. Er saß hinter der jungen Frau, die bereits notiert worden war.
»Uninteressant«, meinte der Fette und schüttelte den Kopf. »Dieser Mann gibt nichts her, Steve. Er wird schon nach ein paar Stunden aus den Schuhen kippen und die Nerven verlieren.«
»In Ordnung, Sir.« Steve verzichtete auf jedes Gegenargument. Er kannte seinen Chef nur zu gut. Hatte er einmal entschieden, so war die Sache erledigt.
Der glatzköpfige Fette schüttelte unwillig den Kopf, als Steve das Bild umschalten wollte. Er beugte sich wieder vor und sah sich den Butler noch einmal genau an. Irgendwie gefiel ihm dieser so korrekt aussehende Mann nicht. Instinktiv spürte der Fette, daß dieser Butler nicht einzuordnen war. Dieser Mann im schwarzen Zweireiher war für jede Überraschung geeignet. Der Fette spürte förmlich die Herausforderung, die von diesem so gemessen aussehenden Mann ausging. Er war fast versucht, seinen Entschluß rückgängig zu machen, ließ es dann aber. Unnötige Risiken brauchten nicht unbedingt eingegangen zu werden. Was er plante, war ohnehin gefährlich genug.
*
Lady Agatha Simpson ließ sich von einem waschechten Chinesen den Tee servieren.
Sie saß zusammen mit ihrer Gesellschafterin und Sekretärin in einem Pavillon und erholte sich etwas von der massierten Unterhaltung, die man ihr serviert hatte.
Die Dame – immens reich und unabhängig – hatte sich auf den Besuch dieses Ferienparadieses schon seit Wochen gefreut. Sie erfüllte sich damit einen Kindertraum und war tatsächlich noch einmal zu einer Halbwüchsigen geworden.
»Wonderland«, wie das Ferienparadies hieß, war vor knapp einem Jahr etwa anderthalb Autostunden von London entfernt in der Nähe von Oxford errichtet worden. Kenner der Vergnügungsindustrie hatten hier in einem sanften Hügelland, das von einigen Tälern durchschnitten wurde, eine Art Disneyland aus dem Boden gestampft. Es gab im Grunde nichts, was es nicht gab.
Lady Simpson hatte die ersten Attraktionen bereits andeutungsweise genossen.
Sie war auf dem Wildwasserkanal gewesen und hatte sich vom Boot durch die tosenden Fluten tragen lassen. Dieser Kahn war natürlich unterhalb der Wasseroberfläche an einer Führungskette befestigt und nahm seinen vorprogrammierten Kurs. Auch der Wasserfall war nichts als eine geschickte Täuschung, die allerdings den Blutdruck ansteigen ließ.
Die Alligatoren im Dschungelsee bestanden aus Plastik und waren täuschend nachgeahmt worden. Ihr Schnappen nach dem trägen Ruderboot wurde elektronisch gesteuert, was dem Spaß aber keinen Abbruch tat.
Echte Alligatoren hingegen konnte man in einem benachbarten See bewundern. Auf ihm verkehrten natürlich keine Besucherboote. Die Panzerechsen sollten nicht unnötig gefüttert werden. Die Besucher konnten sich diese Ungeheuer aus grauer Vorzeit von einer sicheren Plattform aus ansehen.
Obwohl ein normaler Wochentag, war das Ferienparadies überaus gut besucht. Die Fahrt hinaus nach »Wonderland«, war vor allen Dingen für Familien ein Ereignis. Es gab so viel zu sehen, daß man den ganzen Tag lang bleiben konnte.
»Was haben wir bisher abhaken können, Kindchen?« fragte Lady Simpson, sich an Kathy Porter wendend. Kathy lächelte, nahm den Parkführer hoch und reichte ihn Lady Agatha.
»Den Wildwasserkanal haben wir, dann den Alligatorensee und das Feenschloß«, meinte Lady Simpson. »Richtig, dann die Delphin-Schau, die Western-Eisenbahn und ›Gun Town‹.«
»Die Goldmine, Mylady, die Reptilienfarm und auch das ›Reich der Gnome‹.«
»Eine ganz hübsche Liste, Kindchen.« Lady Agatha lehnte sich zufrieden zurück. »Nach dem Tee werden wir uns die Zauberburg und die Raubtier-Safari vornehmen.«
»Hoffentlich läßt sich das zeitlich schaffen, Mylady.« Kathy Porter wunderte sich wieder einmal über die Energie der älteren Dame. Lady Agatha wollte sich wirklich nichts entgehen lassen.
»Falls nicht, kommen wir morgen noch einmal zurück«, erklärte Lady Simpson. »Haben Sie mitbekommen, daß Mr. Parker sich gar nicht wohl fühlt?«
»Mr. Parker hält, glaube ich, nicht viel von solchen Belustigungen, Mylady.« Kathy lächelte wieder. Sie hatte sogar noch reichlich untertrieben. Sie kannte den Butler nur zu gut, der für solche Ferienparadiese überhaupt nicht geschaffen war.
»Und was sagen Sie dazu, Kindchen? Hand aufs Herz, machen Sie mir nichts vor.«
»Ich amüsiere mich, Mylady.« Kathy meinte es ehrlich. »Man kann sich gruseln und weiß, daß einem nichts passieren kann.«
»Ich werde mit meinem Vermögensverwalter ein offenes Wort reden müssen«, sagte Lady Agatha nachdenklich. »An solch einem Ferienpark sollte man sich beteiligen. Ich hätte eine Menge Ideen für zusätzliche Attraktionen. Sagen Sie, wo bleibt denn Parker? Hat er sich etwa abgesetzt?«
»Er trocknet wahrscheinlich seine Kleidung«, antwortete Kathy. »Der Wildwasserkanal schien es auf ihn abgesehen zu haben.«
Lady Agatha hätte gar zu gern einige spitze Bemerkungen gemacht, doch sie wurde plötzlich abgelenkt. Zwei Herren traten an den Tisch. Sie waren feierlich gekleidet und hielten große Blumensträuße in Händen.
»Dürfen wir vielleicht einen Moment stören?« fragte der jüngere der beiden Männer und verbeugte sich höflich.
»Sie haben gewonnen«, verkündete der zweite Mann, der ein wenig füllig war.
»Und was?« erkundigte sich Lady Simpson sofort. Gegen Gewinn hatte sie grundsätzlich nichts einzuwenden.
»Zuerst einmal die Blumen, Madam«, meinte der junge Mann, der mit dem Steve identisch war, der sich im Kontrollraum des Ferienparks befunden hatte.
»Der eigentliche Preis wartet auf Sie in unseren Geschäftsräumen«, fügte der Füllige freundlich hinzu. »Wenn wir die Damen einladen dürften?«
»Wieso hat Mylady gewonnen?« wollte Kathy wissen. Sie hatte von Parker gelernt, immer mißtrauisch zu sein.
»Sie sind die 500 000. Besucherin in dieser Saison«, sagte der junge Mann.
»Und wieso finden Sie mich erst jetzt?« wollte Lady Simpson genau wissen.
Steve griff in seine Brusttasche, holte zwei Polaroid-Farbfotos hervor und reichte sie Lady Simpson.
»Sie wurden an der Kasse bereits fotografiert, Madam«, meinte er geschmeidig.
»Worauf warten Sie noch, junger Mann?« Lady Simpson ließ ihre tiefe Stimme ertönen. »Sagen Sie mir endlich, was ich gewonnen habe?«
»Wollen Sie sich nicht überraschen lassen, Madam? Der Wagen wertet bereits vor dem Pavillon.«
»Und wie verständigen wir Mr. Parker?« Kathy Porter war mit dieser Einladung nicht sehr einverstanden. Sie wußte aus Erfahrung, daß Lady Simpson gefährlich lebte. Was immer sie auch anpackte, es wurde daraus früher oder später ein Kriminalfall.
»Sie haben noch einen Begleiter bei sich?« fragte der Korpulente.
»Mein Butler.« Lady Simpson war ungeduldig geworden. Sie wollte endlich ihren Preis kassieren.
»Ich werde hier auf ihn warten«, meinte der Füllige, indem er mit seinem Begleiter Steve einen schnellen Blick wechselte.
»Wollen Sie mich um meinen Preis bringen?« Lady Simpson war noch ungeduldiger geworden. Sie setzte sich bereits in Bewegung und war nach Lage der Dinge nicht mehr zu stoppen. Kathy folgte ihr notgedrungen. Sie wollte Lady Simpson auf keinen Fall allein gehen lassen.
Und damit marschierten die beiden Damen unwissend bereits in ihr nächstes Abenteuer hinein.
*
Butler Parker kam sich ein wenig unglücklich vor.
Er wartete nun schon seit einer halben Stunde auf die Rückgabe seines schwarzen Zweireihers, doch bisher hatte sich nichts getan. Er war in die Schnellbügelanstalt in der Nähe des Wildwasserkanals gegangen, um sein Äußeres wieder in die alte Form bringen zu lassen. Vor einer halben Stunde noch hatte er die Einrichtung solch einer Schnellbüglerei äußerst begrüßt, doch nun änderte sich seine Meinung gründlich. Ohne Jackett und Hose kam er sich hilflos und verlassen vor.
Er saß in einer freundlich eingerichteten Kabine und ließ sich von Musik berieseln. Er hatte in den hier ausliegenden Magazinen lustlos herumgeblättert, immer wieder auf seine unförmig aussehende Taschenuhr geblickt und schließlich sehr nachdrücklich auf den Klingelknopf gedrückt, um die Bedienung herbeizurufen.
Nun, entweder war die Klingel nicht in Ordnung, oder man reagierte überhaupt nicht.
Josuah Parker erhob sich aus dem kleinen Sessel und ging zur Tür. Er kam dabei an dem großen Wandspiegel vorüber und warf einen prüfenden Blick auf sich.
Besonders korrekt sah er wirklich nicht aus.
Er trug geblümte Shorts, ein Baumwollunterhemd und sah nicht unbedingt wie ein Leistungssportler aus. Vielleicht störte es den Gesamteindruck, daß er seine schwarze Melone trug. Sie paßte nicht recht zu seiner momentanen Kleidung.
Verblüfft nahm der Butler zur Kenntnis, daß die Tür der Umkleidekabine verschlossen war.
Parker rüttelte an dem Türknauf und war sofort hellwach. Hier stimmte etwas nicht. Das Zuschließen der Tür war völlig irregulär. Er hämmerte mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms gegen die Türfüllung und legte sich dabei keinerlei Hemmung auf. Da der Bambusgriff mit Blei ausgegossen war, fielen diese Schläge sehr laut aus. Sie dröhnten durch die Umkleidekabine und mußten auch drüben im Laden mit Sicherheit wahrgenommen werden.
Es rührte sich jedoch nichts.
Parkers Mißtrauen wuchs zusehends. Er hatte nun das feste Gefühl, daß man ihm aus irgendeinem Grund einen bösen Streich gespielt hatte. Er dachte natürlich sofort an Lady Agatha und an Kathy Porter. Wurde er hier festgehalten, um sich nicht mit den beiden Damen beschäftigen zu können? War der Zufall genutzt worden, daß er hier seine Hosen neu aufbügeln lassen mußte?
Er war nicht der Mann, geduldig und ergeben zu warten.
Josuah Parker bückte sich und untersuchte das einfache Schloß, Dann langte er nach dem langen, an der Wand hängenden Schuhlöffel und benutzte ihn als Brecheisen. Innerhalb weniger Sekunden gab das Schloß seinen Widerstand auf und die Tür ließ sich aufschwingen. Der Butler schien völlig vergessen zu haben, was er anhatte. Es wäre ihm auch jetzt völlig gleichgülig gewesen. Die Sorge um Lady Simpson und Kathy Porter war schließlich größer. Dieses Einsperren konnte kein Zufall sein.
Parker rückte sich seine schwarze Melone zurecht, legte den Regenschirm korrekt über den linken Unterarm und schritt den Korridorgang hinunter, an dem die insgesamt sechs Umkleidekabinen lagen. Er erreichte den Trennvorhang, schob ihn zur Seite und sah sich im gleichen Moment auch schon in seinem Verdacht bestätigt.
Der Laden war leer!
Die Angestellten schienen auf irgendeinen Wink hin den großen Raum verlassen zu haben. Die Jalousetten vor den beiden Schaufenstern waren herabgelassen worden.
Jetzt wurde Parker ärgerlich.
Er schalt sich einen Narren, daß ihm nicht schon früher ein Licht aufgegangen war. Wer mochte ihn hereingelegt haben? Seit wann war man hinter Lady Agatha Simpson her? Daß es einzig und allein um sie ging, war für ihn bereits eine erwiesene Tatsache. Irgendwelche Gangster mußten schon seit Stunden hinter ihnen hergewesen sein.
Irgendwelche Gangster?
Parker fragte sich, wer im Moment ein Interesse daran haben könnte, Lady Simpson zu belästigen. Es gab leider recht viele Unterweltler, die auf die Lady nicht gut zu sprechen waren. Lady Simpson galt in eingeweihten Kreisen als Gangsterschreck Nr. 1. Zusammen mit Kathy Porter und ihrem Butler widmete sie sich in ihrer Freizeit der Aufklärung von Kriminalfällen. Da sie dabei, überaus erfolgreich war, mochte man sie natürlich nicht besonders gut leiden.
Erleichtert nahm Parker zur Kenntnis, daß man seine Kleidung immerhin trockengebügelt und in Ordnung gebracht hatte. Der schwarze Zweireiher hing korrekt über einem Bügel und brauchte nur noch angezogen zu werden.
Nach wenigen Minuten war der Butler wieder einsatzbereit. Er kam aus der Umkleidekabine, wo er den Tascheninhalt zurück in den Anzug befördert hatte. Er schritt auf den Ausgang zu und sperrte die Tür auf.
Draußen schien die Nachmittagssonne.
Alles sah unverdächtig aus. Überall waren freudig gestimmte Menschen, die die Überraschungen des Ferienparks genossen. Parker war allerdings überhaupt nicht mehr an Überraschungen interessiert. Er war in dieser Hinsicht bereits ausgiebig bedient worden.
*
Im Teepavillon konnte man ihm nur sagen, daß die beiden Damen bereits vor einer Viertelstunde gegangen waren. Nein, sie hatten keine Nachricht hinterlassen, man bedauerte ungemein.
Parker verzichtete darauf, weitere Fragen zu stellen. Er beging auch nicht den Fehler, auf dem weiträumigen Gelände nach Lady Simpson und Kathy Porter zu suchen. Der Betrieb im Ferienpark war einfach zu unübersichtlich. Parker schritt ein wenig schneller als sonst aus und erschien dann im Gebäude der Geschäftsleitung. Die Verwaltung des Ferienparks war in einem Haus, das einer spanischen Hazienda glich, untergebracht.
Die Hosteß, die das Telefon bediente und Auskunft gab, war erstklassig geschult und erklärte sich sofort bereit, Lady Simpson über die Lautsprecheranlage ausrufen zu lassen.
»Aber nein, das macht überhaupt keine Mühe«, sagte sie lächelnd und notierte sich den Namen. »Was glauben Sie, wie viele Kinder hier pro Tag ihre Eltern verlieren? Dafür haben wir extra einen Suchdienst eingerichtet.«
Parker erinnerte sich.
Während des Aufenthaltes hier im Ferienpark hatte er tatsächlich drei solcher Durchsagen gehört, aber nicht weiter darauf geachtet.
Die Hosteß stand bereits vor dem Mikrofon und rief Lady Simpsons Namen aus. Sie bat über die vielen, im Ferienpark verstreut aufgestellten Lautsprecher, daß sich Lady Simpson im Informationscenter melden möge.
»Erfahrungsgemäß dauert es eine gute Viertelstunde, bis die gesuchten Personen hier erscheinen«, sagte sie dann zu Parker. »Nehmen Sie doch bitte drüben im Sessel Platz, Sir. Keine Sorge, Sie werden die Dame bald Wiedersehen.«
Parker lüftete höflich seine schwarze Melone und ließ sich im Sessel nieder. Er hatte sich tatsächlich wieder etwas beruhigt. Mylady waren wahrscheinlich, so überlegte er, im Überschwang der Gefühle bereits weitergegangen. Sie schien diesen albernen Ferienpark sehr zu genießen.
Parker faßte sich in Geduld, schielte aber immer wieder zu der Uhr hinüber, die über dem Eingang angebracht war. Für seine Begriffe bewegten sich die Zeiger überaus träge. Nachdem zehn Minuten verstrichen waren, stand er auf und ließ sich wieder bei der Hosteß sehen.
»Die Lady wird bestimmt gleich kommen«, behauptete die Hosteß lächelnd. »Bisher ist hier bei uns noch jeder gefunden worden. Darf ich Sie etwas fragen, Sir?«
»Ich stehe zu Ihrer Verfügung.« Parker deutete eine steife Verbeugung an.
»Lady Simpson könnte nicht weggefahren sein?«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Könnte Lady Simpson nicht den Ferienpark allein verlassen haben?«
»Das ist nach menschlichen Ermessen so gut wie ausgeschlossen«, gab der Butler zurück.
»Das kommt nämlich schon mal vor, Sir«, redete die Hosteß weiter. »Es hat dann meist Streit oder Unstimmigkeiten gegeben. Partner haben sich dann absichtlich getrennt.«
»Diese Möglichkeit ist in diesem Fall auszuschließen«, sagte der Butler steif und ging wieder zurück zu seinem Sessel. Er mußte weiter warten, ob es ihm nun gefiel oder nicht. Er kam sich dabei seltsam hilflos vor. Ja, er machte sich bereits ernsthaft Vorwürfe. Er hätte Lady Agatha Simpson auf keinen Fall allein lassen dürfen. Er wußte doch, wie überschäumend das Temperament der Amateurdetektivin sein konnte, wenn man sie erst einmal in die richtige Stimmung brachte.
*
Lady Agatha Simpsons Temperament schäumte leider nicht sonderlich über.
Sie war gerade aufgewacht und fühlte sich äußerst miserabel. Sie hatte Kopfschmerzen, großen Durst und brauchte einige Sekunden, bis sie sich zurechtgefunden und erinnert hatte.
Sie richtete sich auf und schaute sich in dem engen und feuchten Keller um. Die Luft war stickig und roch nach Moder und Fäulnis. Unter der niedrigen Decke dieses Betonbunkers brannte eine Glühbirne, die nur schwach Licht gab.
Auf einer Pritsche an der gegenüberliegenden Wand lag Kathy Porter. Sie schlief noch tief und fest. Lady Simpson stand auf und ging zu ihrer Gesellschafterin hinüber. Sie überzeugte sich erst einmal davon, daß Kathy unverletzt war. Dann sah sie sich die Tür dieses Gefängnisses etwas genauer an.
Nein, da war nichts zu machen. Vielleicht hätte ein Butler Parker solch ein Hindernis bezwingen können, aber sie war in diesen Dingen doch wenig geschult. Die Tür bestand aus schweren Holzbohlen, von denen das Schwitzwasser in dicken Tropfen herunterrann. Lady Simpson fuhr herum, als sie hinter sich ein leises Seufzen vernahm.
»Sie haben wieder mal einen festen Schlaf, Kindchen«, grollte sie Kathy an, die sich gerade aufrichtete und nach ihren Schläfen griff.
»Mein Kopf«, stöhnte Kathy. Dann durchfuhr es sie. Erst jetzt ging ihr auf, wo sie sich befand. Sie war sofort auf den Beinen, taumelte noch ein wenig und schleppte sich dann zu Lady Simpson hinüber.
»Wagen Sie es nicht, mir irgendwelche Fragen zu stellen, Kindchen!« Lady Simpson sah Kathy gereizt an. »Ich weiß nur, daß man den Sekt präpariert haben muß.«
»Sekt, Mylady?« Kathy hatte ihr Erinnerungsvermögen noch nicht vollständig zurückgewonnen.
»Den Sekt zur Begrüßung. Geht Ihnen jetzt endlich ein Licht auf?«
»Richtig, Mylady.« Kathy wußte wieder Bescheid. Mylady hatte ja diesen Preis gewonnen. Es hatte Blumen im Teepavillon gegeben und anschließend war man zur Geschäftsleitung gebeten worden. Hier hatte es Sekt und freundliche Worte gegeben.
»Ich ... Ich verstehe das alles nicht, Mylady.«
»Aber ich, Kindchen! Man hat uns hereingelegt.«
»Aber wer, Mylady!«
»Weiß der Himmel, wahrscheinlich irgendwelche Subjekte aus der Unterwelt.«
»Sie glauben, daß man uns entführt hat, Mylady?«
»Zu einer Party wird man uns hier nicht eingeladen haben!« Deutlicher Spott klang in Lady Agathas Stimme. »Sehen Sie sich doch gefälligst um, Kindchen. Das hier ist kein Spaß, sondern nackte Wirklichkeit.«
»Es riecht hier so eigenartig, Mylady.« Kathy rümpfte die Nase.
»Wie im Dschungel. Das habe ich bereits auch schon bemerkt.«
»Und wie lange, Mylady, sind wir schon hier?«
»Keine Ahnung. Man hat uns die Uhren weggenommen.« Das hatte Lady Simpson bereits zu ihrem Mißfallen festgestellt.
»Ob man auch Mr. Parker ...?« Kathy verzichtete darauf, den Satz zu beenden.
»Natürlich«, sagte Lady Simpson« »Wahrscheinlich sitzt er in einem anderen Keller.«
»Dann besteht noch ein Hoffnungsschimmer, Mylady.« Kathy hatte sich mit der Situation bereits abgefunden und massierte nur noch ein wenig ihre hämmernden Schläfen.
»Gott erhalte Ihnen Ihren Optimismus, Kindchen!« Lady Simpson ging zu ihrem Feldbett zurück und ließ sich auf der Kante nieder. »Die Geschäftsleitung dieses Ferienparks hat uns hereingelegt. Ahnen Sie, was das bedeutet?«
»Nein, Mylady.«
»Der Ferienpark wird von Gangstern geleitet, Kindchen.«
»Aber sie wußten doch gar nicht, daß Sie hierherkommen würden, Mylady. Sie hatten sich doch erst heute morgen dazu entschlossen.«
»Was hat das damit zu tun?« Lady Simpson sah ihre Gesellschafterin grimmig an. »Schön, wir sind zufällig hierher geraten, aber das ist es ja gerade. Man hat uns erkannt und daraus gefolgert, wir wären einer bestimmten Sache auf der Spur.«
»So könnte es tatsächlich gewesen sein, Mylady.«
»So ist es gewesen, Kindchen!« Mylady duldete keinen Widerspruch. »Ich will Sie ja nicht beunruhigen, aber wir sollten uns auf böse Überraschungen rechtzeitig einstellen.«
»Sie glauben, man will uns umbringen, Mylady?«
»Was denn sonst?« knurrte die Hobbydetektivin ärgerlich zurück. »Man sollte den Tatsachen immer ins Auge sehen!«
*
»Dort sitzt er, Sir«, sagte Steve zu dem Fetten und deutete auf einen Kontrollfernseher. »Der gute Mann scheint nicht zu wissen, was er machen soll.«
»Ein typischer Butler«, sagte der fette Mann und lachte leise auf. »Er ist auf Befehle seiner Herrin angewiesen. Bleiben sie aus, dann ist er hilflos verloren.«
Die versteckte Kamera hatte Josuah Parker erfaßt.
Er befand sich im Pavillon, wo er sich mit Lady Simpson und Kathy Porter hatte treffen wollen. Der Butler hatte sich eine Tasse Tee servieren lassen und machte tatsächlich auf einen Nichteingeweihten einen ratlosen Eindruck.
»Aber die Polizei wird er doch sicher informieren, Sir, oder?« fragte Steve.
»Natürlich, soweit reicht seine Eigeninitiative noch. Aber dann wird er warten und warten.«
»Die Polizei wird hier erscheinen, Sir.«
»Auch das ist richtig, Steve. Doch was wird sie finden? Wir haben heute gut und gern achttausend Besucher. Das läßt sich an Hand der Einlaßkarten belegen. Wie sollen wir wissen, welcher Besucher wann wohin gegangen ist? Das Interesse der Polizei wird sich bald erschöpfen.«
»Zumal die Unterkünfte für unsere Gäste mehr als sicher sind, Sir.« Steve lachte leise auf. Er war an Parker nicht mehr näher interessiert. Dieser Mann gab für das geplante, große Experiment nichts her.
»Schalten Sie ab, Steve«, befahl der Fette und stand auf. »Wir sind ohnehin komplett.«
»Acht Personen«, faßte Steve zusammen, während er die Bilder auf den Monitoren löschte. »Vier Frauen und vier Männer.«
»Eine gute Mischung, denke ich.« Der Fette zündete sich eine Zigarre an und wandte sich leutselig an seinen Assistenten. »Sie werden bald viel zu tun bekommen, Steve.«
»Ich freue mich auf die Testprogramme, Sir.«
»Sie sind sämtliche Sicherungen noch einmal durchgegangen?«
»Richtig, Sir. Wenn der Ferienpark übermorgen schließt, bleibt nur unser Stammpersonal zurück. Und auf diese Leute kann man sich verlassen.«
»Wer aus der Reihe tanzt, wird umgehend aus dem Verkehr gezogen, Steve. Nehmen Sie da keine Rücksicht.«
»Bestimmt nicht, Sir.«
»Falls etwas sein sollte, finden Sie mich in meinem Hauptquartier, Steve.«
»Jawohl, Sir.« Steve grüßte respektvoll, beinahe wie ein Offizier der britischen Armee. Der Fette nickte knapp und verließ seinen Kommandostand.
Er ließ sich von dem Privataufzug hinauf in seinen Wohnturm bringen. Dieses Gebäude befand sich in nächster Nähe der nachgebauten, spanischen Hazienda und glich äußerlich einem mehrstöckigen Indianerpueblo. In den unteren Räumen war eine Art Völkerkundemuseum untergebracht, das den Besuchern des Ferienparks zugänglich war.
Die beiden oberen Etagen des fünfstöckigen Hauses waren das Hauptquartier des fetten Mannes. Die Einrichtung war abenteuerlich und befremdend zugleich. Man schien sich tatsächlich in einem Armeehauptquartier zu befinden.
An den Wänden hingen Generalstabskarten mit deutlichen Markierungen. Daneben hingen ganze Fotoserien von bereits geschlagenen Schlachten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Es gab hier weiter Erinnerungsstücke in Hülle und Fülle. Sie lagerten in Vitrinen oder großen Schränken. Es gab praktisch keinen Ausrüstungsgegenstand, angefangen von Gasmasken über Waffen bis hin zu Uniformen, der nicht vertreten gewesen wäre. Der fette Mann schien in einer sehr eigenen Welt zu denken und zu leben.
Er öffnete jetzt eine Schiebetür und betrat einen niedrigen Raum, der aus Beton gegossen zu sein schien. Unter einer Pendelleuchte stand ein langer Kartentisch.
Der fette Mann öffnete ein Spind gleich rechts neben der Schiebetür und streifte sein Jackett ab. Dann zog er sich eine etwas zu knapp sitzende Offiziersjacke über, setzte sich eine entsprechende Mütze auf und trat dann an den Kartentisch. Er beugte sich über die ausgelegten Karten und befaßte sich mit dem Vorstoß, den er mit seinen imaginären Panzern durchführen wollte. Die bereits legendär gewordene Schlacht von El Alamein in Nordafrika wollte er noch einmal schlagen, diesmal aber schneller und vor allen Dingen genialer.
Nach wenigen Sekunden richtete er sich irritiert auf. Ihm schien noch etwas zu fehlen. Der kleine, fette Mann ging zu einem Wandbord hinüber und schaltete hier ein großes Tonbandgerät ein.
Sekunden später war das rasselnde Mahlen von Panzerketten zu vernehmen, dann Dauerfeuer von Maschinengewehren und das grollende Rollen weit entfernter Artillerie.
Nun stimme alles. Der kleine, fette Mann machte sich daran, seine Schlacht zu schlagen.
*
Josuah Parker befand sich allein auf weiter Flur.
Er saß auf dem Fahrersitz seines hochbeinigen Monstrums und ließ die Leere des riesigen Parkplatzes auf sich einwirken. Der Ferienpark hatte vor etwa einer halben Stunde seine Tore geschlossen, die Besucher waren bereits weggefahren.
Es wurde dunkel.
Die Bogenlampen über den Eingangsschleusen waren bereits eingeschaltet worden. Ihr kaltes Licht verstärkte noch den Eindruck der Leere und Verlassenheit.
»Wollen Sie hier übernachten?« Einer der Parkwächter erschien neben dem Wagen. Er sah den Butler belustigt an.
»Sind Sie sicher, daß sämtliche Gäste den Ferienpark verlassen haben?« fragte der Butler höflich.
»Natürlich«, gab der Parkwächter zurück. »Für heute ist Schluß! Dann noch zwei Tage, und hier wird bis zur nächsten Saison dichtgemacht. Im Herbst wäre hier draußen nicht mehr viel los. Wir brauchen den ganzen Winter, um den Ferienpark wieder auf Vordermann zu bringen.«
»Dies kann ich mir in der Tat vorstellen. Kommt es übrigens vor, daß hin und wieder Besucher im Park Zurückbleiben? Ich meine bewußt und absichtlich. Weiträumig genug dürfte die Anlage ja sein.«
»Wer sich unbedingt verstecken will, kann’s natürlich«, räumte der Parkwächter ein. »Wahrscheinlich tun’s auch Leute, die sich den Eintrittspreis für den nächsten Tag sparen wollen.«
»Wird der Ferienpark über Nacht kontrolliert?«
»Aber klar«, meinte der Parkwächter. »Da gehen Hundestreifen durch das Gelände. Es gibt ja genug, was man sich unter den Nagel reißen könnte.«
Dieses Ferienparadies scheint das zu sein, was man eine Goldgrube zu nennen pflegt.«
»Mir würde schon eine Tageseinnahme reichen.« Der Parkwächter nickte und seufzte auf.
»Und wem gehört diese Goldgrube, wenn die Frage gestattet ist?«
»Melvin Custner. Er hat zwei davon, eine ist oben in Blackpool. Ich glaube, der dritte Park wird im nächsten Jahr eröffnet. Und zwar in Schottland.«
»Ein geschäftstüchtiger Mensch, wenn ich so sagen darf.«
»Bestimmt.« Der Parkwächter nickte zustimmend. »Der hat’s in den Fingerspitzen.«
»Auch ein guter Arbeitgeber?«
»Doch, er zahlt bestens, das kann man nicht anders sagen. Aber jetzt muß ich weiter meinen Rundgang machen. Wollen Sie noch länger bleiben?«
»Es dürfte wohl kaum noch Sinn haben.« Parker lüftete seine Melone und fuhr wenig später mit seinem hochbeinigen Monstrum an. Nach außen hin sah sein Privatwagen wie ein echtes Londoner Taxi aus, aber unter dem Blech war alles ganz anders. Parkers Wagen war eine Trickkiste auf vier Rädern, ausgestattet mit den raffiniertesten Techniken, die man sich nur vorstellen konnte. Parker hätte sich mit seinem Monstrum durchaus an jedem Sportwagenrennen beteiligen können, so stark war zum Beispiel der Motor. Der Wagen war nach seinen Vorstellungen und Plänen umgestaltet worden und hatte sich in der Vergangenheit schon oft bewährt.
Jetzt schien sein Monstrum allerdings unter erheblichen Konditionsschwierigkeiten zu leiden. Aus dem Auspuff quollen blauschwarze Rauchwolken hervor. Fehlzündungen unterstrichen akustisch die scheinbare Klapprigkeit dieses Vehikels.
Der Parkwächter grinste und verzog sein Gesicht. Er rechnete damit, daß dieser ulkige Karren noch vor dem Verlassen des Parkplatzes auseinanderfiel.
Parker rollte mitsamt seinem Monstrum endlich die breite Zufahrtstraße hinunter und verschwand dann in der hereinbrechenden Dunkelheit. Er schien es endgültig aufgegeben zu haben, auf Lady Simpson und Kathy Porter zu warten.
*
»Mylady, sehen Sie doch!«
Kathy, die auf dem Feldbett saß, deutete überrascht zur Tür hinüber. Sie stand auf und wollte ihren Augen nicht trauen. Die schwere Tür aus Holzbohlen hatte sich geöffnet.
»Was ist denn, Kindchen?« Lady Simpson Stimme klang äußerst unwillig. Als sie keine Antwort erhielt, öffnete sie die Augen und stutzte. Ihre Gesellschafterin war verschwunden. Und die Tür des feuchten, stickigen Kellers war halb geöffnet.
Die Lady schwang sich hoch, stand auf und schritt auf ihren stämmigen Beinen zum Ausgang. Sie bereitete sich innerlich auf die nächste Überraschung vor. Sie glaubte übrigens nicht einen Moment lang an ihre Befreiung.
»Hier, Mylady«, hörte sie Kathy Porters Stimme. Lady Simpson betrat den schmalen Gang, dessen Wände aus kaltem Beton bestanden, und sah dann ihre Gesellschafterin. Kathy Porter stand in einer Tür und winkte ihr zu.
»Endlich ein normales Apartment«, stellte Lady Simpson fest, als sie in den Raum hinter der Tür schaute. »Nicht besonders geschmackvoll eingerichtet, aber immerhin.«
»Das sieht aus wie in einem Unterstand oder Bunker«, sagte Kathy überrascht. »Sehen Sie sich nur die Pritsche und die Möbel an.«
»Und die Kochgeschirre«, fügte Lady Agatha hinzu. »Wenn mich nicht alles täuscht, sind sie sogar gefüllt, Kindchen.«
»Gemüseeintopf, Mylady.« Kathy war bereits an einem Tisch, der aus ungehobelten Brettern roh zusammengezimmert war. Sie warf einen Blick in die gut gefüllten Kochgeschirre. »Jetzt merke ich erst, daß ich Hunger habe.«
»Was soll das alles?« Lady Simpson sah sich den Unterstand ein wenig näher an. Die Wände waren mit Brettern verschalt, es gab Stützbalken, die die leicht durchgebogene Decke abstemmten, und sogar in der Ecke neben den beiden primitiven Holzspinden einen Gewehrständer.
»Zwicken Sie mich mal, Kindchen«, verlangte die Lady. »Sind wir in einen der beiden Weltkriege geraten?«
»Der Eintopf ist sehr gut, Mylady«, erinnerte Kathy. Sie saß bereits auf der einfachen Holzbank und löffelte die dicke Gemüsesuppe.
»Hören Sie, Kindchen!« Lady Simpson hob lauschend den Kopf.
»Hört sich nach Kanonen an, Mylady.« Kathy ließ sich kaum beeindrucken.
»Das sind Geschütze«, stellte Lady Agatha fest. »Ich habe so meine traurigen Erfahrungen. Das ist Geschützfeuer, etwa zwei bis drei Kilometer weit entfernt. Du lieber Himmel, wohin hat man uns verschleppt?«
»Mylady, der Eintopf wird kalt«, drängte Kathy die Lady besorgt und löffelte bereits genußvoll den Eintopf.
»Das kann doch nur ein schlechter Scherz sein«, ärgerte sich Lady Simpson. Sie nahm auf der Holzbank Platz und wollte nach dem einfachen Holzlöffel greifen, als ihr Blick auf einen Umschlag fiel, den man unter das zweite Eßgeschirr geklemmt hatte. Sie griff nach ihm, öffnete ihn und zog einen engbeschriebenen Bogen hervor.
Kathy aß weiter, aber sie beobachtete die Lady, deren Gesicht sich langsam rosa einfärbte, ein sicheres Zeichen dafür, daß Lady Simpson langsam, aber sicher in Fahrt geriet.
»Also, das ist doch die Höhe!« Lady Simpson warf das Papier auf den Tisch und griff nach dem Löffel. »Wir haben es mit einem Verrückten zu tun, Kindchen.«
»Was steht denn in dem Schreiben, Mylady?«
»Lesen Sie selbst, denn mir werden Sie nicht glauben.«
»Aber bestimmt, Mylady.« Kathy wollte ihre Mahlzeit nicht unterbrechen.
»Man gratuliert uns«, bemerkte Lady Simpson grimmig. »Wir sind für würdig befunden worden, an einem Planspiel zum Studium des Überlebens teilnehmen zu dürfen. So steht es fast wortwörtlich in diesem arroganten Wisch.«
»Was soll man sich darunter vorstellen, Mylady?« Kathy schien nur halb zugehört zu haben.
»Das werde ich Ihnen gern erklären, Kindchen.« Lady Simpson tauchte ihren Löffel ins Kochgeschirr und kostete. Sie nickte wider Willen anerkennend, widmete sich dann aber wieder ihrer Antwort. »Wir werden um unser Leben kämpfen müssen. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Aha.« Kathy Porter schien den Ernst der Lage noch nicht begriffen zu haben. »Und gegen wen?«
»Diese Frage ist gut, Kindchen. Wir werden gegen eine Gruppe kämpfen müssen, die auch gern überleben möchte.«
»Und wie lange, Mylady?« Nein, Kathy ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Das Planspiel soll sechsunddreißig Stunden dauern.«
»Seltsame Idee, Mylady. Dann braucht man ja nur sechsunddreißig Stunden lang nichts zu tun.«
»Und schon sind Sie auf dem Holzweg, Kindchen.« Lady Simpson nickte grimmig. »Nur der wird überleben und seine Freiheit zurückbekommen, der die meisten Erkennungsmarken vorweisen kann.«
Kathy ließ ihren Löffel sinken, sah Lady Agatha verblüfft an und langte dann in den Ausschnitt ihrer Bluse. Sie fingerte ein wenig am Hals herum und zog dann zu ihrer eigenen Überraschung eine Erkennungsmarke hervor, wie sie beim Militär verwendet wird.
Lady Simpson tat es ihr nach, fand auch ihre Erkennungsmarke und sah ihre Gesellschafterin verblüfft an.
»Die muß man uns während unserer Ohnmacht umgehängt haben«, sagte Kathy.
»Nur der wird Überleben und wieder frei sein, der die meisten Erkennungsmarken vorweisen kann«, wiederholte Lady Simpson. »Wissen Sie, was das bedeutet, Kindchen?«
»Natürlich, Mylady.« Kathy beschäftigte sich schon wieder mit ihrem Eintopf. »Kampf aller gegen alle.«
»Wir sollen uns gegenseitig umbringen«, entrüstete sich Lady Simpson. »Zuerst gruppenweise, dann einzeln innerhalb der jeweiligen Gruppe.«
»So etwas kann sich nur ein Verrückter ausgedacht haben«, sagte Kathy. »Wenn Sie wollen, können Sie übrigens meine Erkennungsmarke sofort haben.«