Читать книгу Der exzellente Butler Parker 10 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3

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Die Ampel sprang auf Grün, und Josuah Parker setzte seinen Privatwagen in Bewegung. Genau in diesem Moment passierte es.

Ein junger Farbiger warf sich direkt vor Parkers Wagen. Der Butler reagierte blitzschnell und bremste scharf. Eine Handbreit vor dem vermeintlichen Selbstmörder kam das hochbeinige Monstrum, wie Parkers Wagen von Freund und Feind genannt wurde, zum Stehen.

»Ich muß doch sehr bitten, Mister Parker! Was soll das?« grollte Lady Agatha aus dem Fond, als sie unsanft aus ihrem Nickerchen gerissen wurde. Die ältere Dame befand sich auf dem Rückweg nach Shepherd’s Market. Parkers Bremsmanöver hatte sie abrupt aus einem angenehmen Traum geholt, in dem ihr der schwedische König gerade den Nobelpreis für Literatur für ihre Verdienste um den englischen Kriminalroman verliehen hatte. Bevor Parker sich entschuldigen konnte, eskalierten die Dinge. Der Farbige glaubte ein Taxi vor sich zu haben, kam um den Wagen herum, öffnete die Beifahrertür und warf sich auf den Sitz.

»Schnell«, keuchte er mit fliegendem Atem. »Fahren Sie irgendwohin – nur weg von hier!«

»Eine mehr als vage Zielangabe«, bemerkte Parker höflich, ohne seinen Gast darauf hinzuweisen, daß er sich keinesfalls in einem Taxi, sondern in einem Privatwagen befand. Er fuhr gerade langsam an, als die hintere Tür aufgerissen wurde und zwei weitere Fahrgäste hereindrängten. Sie schoben Lady Agatha im Fond unsanft zur Seite und richteten schwere Pistolen auf Parker.

»Einfach weiterfahren, Mann, wir sagen Ihnen dann schon, wie die Route ist.«

Der Farbige neben dem Butler stöhnte und starrte aus angsterfüllten Augen in den Rückspiegel.

»Du hast wohl schon gedacht, du hättest es geschafft, was, Gary?« erkundigte sich einer der beiden im Fond Sitzenden und lachte hämisch. »Aber du hast die Rechnung ohne uns gemacht, mein Junge, uns hängt man so leicht nicht ab.«

Lady Agatha räusperte sich und hob ihre Lorgnette, die an einer Kette vor ihrem Busen hing, an die Augen. Ungeniert musterte sie die Männer neben sich.

Angst war etwas, was die Lady grundsätzlich nicht kannte.

»Was soll das, Sie Lümmel?« grollte sie. »Wie kommen Sie dazu, sich so einfach in meinen Wagen zu drängeln und mich zu belästigen? Ich hoffe, Sie haben eine Erklärung abzugeben.«

Einer der beiden brutal aussehenden Männer drehte sich grinsend um und sah sie verächtlich an. »Reg dich nicht auf, altes Mädchen, du bist uns bald wieder los. Wir wollen nur unseren Schützling da vorn zurückholen, der Junge hat sich ohne unsere Erlaubnis aus dem Staub gemacht und wollte verschwinden. Am besten, du vergißt uns gleich wieder, dann gibt es auch keinen Ärger.«

»Die Herren sind so etwas wie die Aufpasser des jungen Mannes hier?« erkundigte sich Parker gemessen, während seine Hände rasch und routiniert über das reichhaltig ausgestattete, an das Cockpit eines modernen Jets erinnernde Armaturenbrett fuhren und unauffällig diverse Hebel umlegten.

»So in etwa.« Der zweite Mann im Fond beugte sich vor und hielt dem farbigen Beifahrer eine Pistole an den Hinterkopf.

»Dieser Hitzkopf ist aus unserer... äh... Obhut abgehauen und dachte, er könnte auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Ehrlich gesagt, haben wir das gar nicht gern.«

»Warum steht der junge Mann unter Ihrer Obhut, wenn man fragen darf?« wollte Josuah Parker wissen.

»Das geht dich nichts an, Alterchen. Was du nicht weißt, kann dir nicht gefährlich werden.«

»Die wollen mich umbringen«, meldete sich der Farbige mit zitternder Stimme zu Wort. »Das sind Killer, Sir, Sie müssen mir helfen.«

»Der Opa da?« Einer der Pistolenträger aus dem Fond lachte spöttisch. »Der ist doch froh, wenn ihm keiner was tut, was, Alter?«

»In etwa, Sir.« Parker blieb gelassen, es schien, als wäre ihm die Brisanz der Situation nicht bewußt. In Wirklichkeit hatte er die Lage im Griff, was allerdings weder der eingeschüchterte Farbige auf dem Beifahrersitz noch die Männer im Fond ahnten.

»Da sehen Sie mal wieder, wie Sie von anderen eingeschätzt werden, Mister Parker«, meldete sich Lady Agatha fast schadenfroh zu Wort.

»Du bist doch wohl noch älter«, bemerkte einer der Pistolenmänner gehässig, »und hast dir bestimmt schon den Sarg ausgesucht, oder?«

»Das war doch wohl eine ausgemachte Beleidigung, Mister Parker?« Aus Myladys Stimme klangen eine gewisse Vorfreude und Erwartungshaltung.

»Ein Eindruck, Mylady, dem meine bescheidene Wenigkeit leider vollinhaltlich zustimmen muß«, bemerkte Parker mit einem gewissen Bedauern über das rüde Benehmen der ungebetenen Fahrgäste.

»Ihr beide seid wohl nicht ganz bei Trost, wie?« stieß einer ungläubig hervor, »oder habt ihr immer noch nicht gecheckt, was hier abläuft? Das ist ’ne geladene Pistole, altes Haus, und wenn ich abdrücke, biste mausetot, klar?« Der Mann neben Lady Agatha fuchtelte ihr mit seiner Waffe vor der Nase herum und sah sie wütend an.

»Ach wirklich? Wie interessant!« Lady Agathas Hand schoß blitzschnell vor und umklammerte die Waffe. Der Gangster war einen Augenblick zu überrascht, um sich zu wehren. Dann versuchte er hastig, die Pistole zurückzuziehen. Aber er hatte nicht mit Agatha Simpsons Kraft gerechnet.

Da die ältere Dame ausgiebig dem Golf- und Bogensport huldigte, verfügte sie für eine Frau ihres Alters über erstaunliche Körperkräfte. Mühelos entwand sie dem verdatterten Mann die Waffe und untersuchte sie scheinbar ungeschickt.

Die passionierte Detektivin drehte sie in ihren Fingern, fummelte an Sicherung und Abzug herum und richtete die Mündung wie zufällig auf den Mann neben ihr, der entsetzt zur Seite drängte und sich seinem Partner fast auf den Schoß setzte.

»Ich wollte so was schon immer mal ausprobieren«, teilte die Lady erfreut mit.

»Vorsicht! Das Ding ist durchgeladen, und Sie haben eben entsichert«, stöhnte der entwaffnete Mann neben ihr und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn, auf der sich dicke Schweißtropfen gebildet hatten.

*

Der zweite Mann im Fond wollte seinem entwaffnetem Kollegen zu Hilfe eilen und griff in die Innentasche seines Sakkos, um einen Schalldämpfer hervorzuholen. Schnell und routiniert schraubte er ihn auf den Lauf seiner Pistole und richtete diese dann auf Lady Agatha, die noch nichts von der drohenden Gefahr mitbekommen hatte.

Parker, der das Geschehen auf dem Rücksitz aufmerksam im Spiegel beobachtete, hielt die Zeit zum Eingreifen für gekommen und preßte seinen Fuß auf einen Gummiball neben den Pedalen. Daraufhin sprang der Pistolenmann urplötzlich hoch und quiekte. Er ließ vor Schreck die Pistole fallen und griff nach seinem Hinterteil, das die Bekanntschaft mit einem spitzen Gegenstand gemacht hatte.

»Mann, Ihre Klapperkiste gehört wirklich auf den Schrottplatz«, beschwerte er sich, nachdem er auf den Sitz zurückgeplumpst war und seine Waffe wieder aufgehoben hatte. »Da kommen ja bereits die Federn durch die Polsterung.«

»Mein bescheidener Privatwagen ist tatsächlich nicht mehr der jüngste«, bemerkte Parker gemessen, »aber er hat mich viele Jahre meines Lebens begleitet, so daß ich ihn nicht so einfach der Schrottpresse überantworten möchte.«

Der Pistolenmann lehnte sich in die Polster zurück und schloß die Augen. »Irgendwie fühle ich mich auf einmal müde«, gähnte er. »Ich denke, ich werde ein Nickerchen machen.«

»Ein ausgezeichneter Einfall, Sir«, gab ihm Parker umgehend recht. »Man wird Sie zu gegebener Zeit rechtzeitig wecken.«

Sein entwaffneter Komplice starrte ihn ungläubig an. »He, was soll das, Jack, du kannst doch jetzt nicht pennen, Mensch?!«

»Warum nicht, wenn er müde ist?« reagierte Agatha Simpson freundlich, während sie nach ihrer seltsamen Hutschöpfung tastete. »Auch Sie werden gleich sehr müde werden.«

»Wie... wie meinen Sie das?« Der Mann wandte sich von seinem inzwischen im Tiefschlaf liegenden Partner ab und blickte die Lady mißtrauisch an.

Die Detektivin hatte die Pistole des Gangsters beiseite gelegt und hielt jetzt ihre Haarnadel in der Hand, die an einen Bratspieß erinnerte und nicht ungefährlich aussah.

Der Gangster bemerkte die neben der Lady auf dem Sitz liegende Pistole und hielt seine Chance für gekommen. Er warf sich über die ältere Dame und wollte nach seiner Waffe angeln. Doch er hatte die Rechnung ohne Mylady gemacht. Sie schob ihren Oberkörper etwas vor und verengte so den Innenraum im Fond des ehemaligen Taxis beträchtlich. Der eben noch muntere Ganove litt plötzlich unter einem Anfall akuter Atemnot, als er von Lady Agatha förmlich gegen die Vordersitze genagelt wurde.

»Na, lieber Freund, wer wird denn so stürmisch sein?« erkundigte sich die Detektivin freundlich und... rammte ihm die Haarnadel genüßlich in den Oberschenkel.

Trotz der Atemnot reichte es dem eingeklemmten Gangster noch zu einem Aufschrei, als sich die Nadel in sein Fleisch bohrte. Lady Agatha gab ihn frei und schob ihn mit fast mütterlicher Fürsorge in seinen Sitz.

»Haben Sie sich etwa weh getan?« fragte sie freundlich, während sie ihn musterte. »Keine Angst, das wird gleich vorbei sein. Das Gift beginnt jeden Augenblick zu wirken.«

»Gift? Aber... wieso denn? Was soll das heißen?« keuchte der Gangster und starrte sie anklagend an.

»Nun, die Nadel, die Sie eben gespürt haben, war natürlich vergiftet, mein Bester«, gab Lady Agatha bereitwillig Auskunft. »Wie heißt doch noch die Substanz, die Sie dafür besorgten, Mister Parker?« wandte sie sich an ihren Butler.

»Es handelt sich hierbei um ein besonders in Südamerika weitverbreitetes und sehr beliebtes Gift, Mylady«, gab Parker höflich zurück. »Man kennt es dort unter der Bezeichnung Curare.«

»Aber ... aber ... das ist doch tödlich ...«

Der von Myladys Haarnadel Behandelte konnte es nicht fassen und stierte entsetzt um sich. Er griff sich mit den Händen an die Kehle und schien unter Luftknappheit zu leiden, obwohl dies mit Sicherheit nur Einbildung war. Die Substanz, mit der Myladys Haarnadel präpariert war, stammte aus Parkers Privatlabor und war selbstverständlich absolut unschädlich, worauf der Butler bei der Wahl seiner Mittel grundsätzlich zu achten pflegte.

Das Präparat sorgte lediglich für einen traumlosen Schlaf, aus dem der Behandelte erfrischt und schmerzfrei erwachen würde. Mit dem gleichen Mittel waren natürlich auch die Nadeln behandelt, die Parker durch Niedertreten des Gummiballes neben den Pedalen aktivieren konnte und von denen der zweite Mann im Fond außer Gefecht gesetzt worden war.

Der Farbige auf dem Beifahrersitz wollte die Gelegenheit nutzen und sich absetzen. Er rüttelte heftig am Türgriff und verstand nicht, warum sich die Tür nicht öffnen ließ. Er ahnte nicht, daß Parker seinen Wagen vom Armaturenbrett aus zentral verriegelt hatte und die Sperre nur durch ihn gelöst werden konnte.

»Sie wollen uns bereits verlassen, Sir?« erkundigte sich Parker höflich, nachdem der junge Mann neben ihm seine Bemühungen entnervt eingestellt hatte.

»Bitte, Sir, lassen Sie mich gehen, damit ich untertauchen kann. Wenn die beiden da wieder aufwachen und mich erwischen, machen sie mich fertig, dann ist mein Leben keinen Pfifferling mehr wert... Es war sehr nett von Ihnen, mich mitgenommen zu haben, aber jetzt ist es wirklich besser, wenn ich verschwinde, glauben Sie mir. Außerdem würden auch Sie nur Ärger bekommen, wenn ich noch länger bei Ihnen bleibe.«

»Haben Sie den Eindruck, daß die beiden Herren noch sehr gefährlich sind?« fragte Parker freundlich, während er seinen Privatwagen bereits in die Zufahrt Shepherd’s Market lenkte.

»Ich weiß nicht, wie Sie die beiden zum Schlafen veranlaßt haben, aber eines ist sicher: Sobald die Kerle aufwachen, werden Sie mächtigen Ärger bekommen, und mich werden sie umlegen, wenn ich dann noch da bin. Also lassen Sie mich bitte gehen.«

Er sah Parker und Lady Agatha flehend an und blickte dann scheu auf die leise schnarchenden Gangster.

»Unsinn, junger Mann, von den beiden haben Sie nichts mehr zu befürchten«, dröhnte Lady Agatha aus dem Fond. »Sie haben Glück, daß Sie mir begegnet sind, ab sofort stehen Sie unter meinem ganz persönlichen Schutz. Ihre Sorgen können Sie getrost vergessen, die existieren bereits nicht mehr. Ist es nicht so, Mister Parker?«

»In der Tat, Mylady!« bestätigte Parker würdevoll. »Mylady werden sich umgehend des neuen Falles annehmen und in der Mylady eigenen, souveränen Manier in kürzester Zeit lösen.«

»Da hören Sie es!« Agatha Simpson nickte triumphierend und sah die schlafenden Gangster an. »Ich werde die Lümmel einem strengen Verhör unterziehen, Mister Parker, aber erst nach einem kleinen Imbiß. Sie dürfen dem jungen Mann hier auch eine Tasse Tee anbieten, sozusagen als Willkommenstrunk. Ich hoffe, daß man mir einen interessanten Fall zu bieten hat, ich begann bereits, mich etwas zu langweilen.«

»Sie wissen ja nicht, worauf Sie sich da einlassen. Lassen Sie die Finger davon!« flehte der junge Farbige auf dem Beifahrersitz. »Sie haben es mit hartgesottenen Gangstern zu tun, denen es auf einen Mord mehr oder weniger nicht ankommt. Lassen Sie mich gehen und beten Sie, daß die beiden Totschläger hier vergessen, daß Sie mir geholfen haben, sonst müssen Sie sich auf Schlimmes gefaßt machen.«

»Ich liebe die Abwechslung, junger Mann, und hoffe, daß Sie mir nicht zuviel versprochen haben.« Lady Agatha fühlte sich animiert und sah sich bereits wieder im Mittelpunkt eines spannenden Kriminalfalles. Sie gedachte, ihn voll und ganz zu genießen.

*

»Fassen wir noch einmal zusammen«, bat Mike Rander, der Anwalt und Vermögens Verwalter der Lady, der mit Kathy Porter, Lady Agathas Sekretärin und Gesellschafterin, an dem Gespräch in der großen Halle des alten Fachwerkhauses in Shepherd’s Market teilnahm. »Sie sind von einer Menschenschmuggelorganisation nach England gebracht worden und arbeiteten seitdem nahezu ohne Lohn in einem Konfektionsbetrieb, zusammen mit rund fünfzig anderen Farbigen aus Commonwealth- oder ehemaligen Commonwealth-Ländern. Ist das richtig?«

»Stimmt, Sir.« Der junge Farbige, der zwei Stunden zuvor Parkers Privatwagen mit einem Taxi verwechselt hatte, saß in einem großen Ledersessel in der Halle und hielt ein Glas in der Hand, das ihm Parker serviert hatte. Gary Malenka hatte sich ein wenig beruhigt und in knappen Sätzen seine Geschichte erzählt.

»Und heute sind Sie dann trotz strenger Bewachung geflohen und wollten sich bei der Polizei melden?« erkundigte sich Kathy Porter.

»Ja, das stimmt. Ich dachte, von der Polizei eingesperrt zu werden wäre immer noch besser, als von diesen Blutsaugern ausgebeutet zu werden. Aber leider haben die gemerkt, daß ich verschwunden war. Sie haben sofort ihre Wächter hinter mir hergeschickt, um mich zurückzuholen und zu töten.«

»Sind Sie sicher, daß man die Absicht hatte, Sie zu töten, Sir?« wollte Parker wissen, obwohl er keinen Augenblick an der Darstellung des jungen Mannes aus Gambia zweifelte. »Schließlich hätte man sich damit um eine junge und billige Arbeitskraft gebracht, wenn Sie mir diesen etwas respektlosen Hinweis Ihnen gegenüber gestatten.«

»Absolut, Sir.« Der Gambier Gary Malenka sah Parker ernst an. »Vor mir hat es bereits ein junger Inder versucht. Sie haben ihn nach zwei Stunden wiedergehabt und zur Abschreckung vor allen anderen erschossen. Diese Leute gehen über Leichen, die sind absolut skrupellos. Meine Schwester haben sie auch, die werden sich mit Sicherheit an ihr rächen.« Er barg sein Gesicht in den Händen und begann leise zu schluchzen. »Dabei wollten wir nur nach England, um hier ein besseres Leben anzufangen.«

Lady Agatha räusperte sich und blickte verlegen auf den jungen Mann. »Ist ja schon gut, jetzt sind Sie bei mir, junger Mann, und ich werde Ihnen und den anderen helfen.«

Sie sah Parker an. »Ich erwarte von Ihnen, Mister Parker, daß Sie umgehend die Details ausarbeiten, um die Bande unschädlich zu machen.«

»Wie Mylady wünschen.« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos. Er verbeugte sich höflich. »Mylady denken sicher daran, Mister Malenka für unbestimmte Zeit aufzunehmen und die Verfolger einem strengen Verhör zu unterziehen.«

»Worauf Sie sich verlassen können, Mister Parker. Die beiden Lümmel werden nichts zu lachen haben, dafür garantiere ich! Nach dem Verhör werden Sie sie natürlich aus dem Haus entfernen, ich habe nicht die Absicht, kriminelle Elemente durchzufüttern. Meine Mittel sind beschränkt, ich muß mit jedem Penny rechnen.«

Bevor Parker eine Antwort geben konnte, meldete sich die Türglocke. Parker begab sich gemessen zu einem kleinen Wandschrank neben dem verglasten Vorflur und öffnete die Klappe. Dahinter kamen ein Fernsehmonitor sowie eine Schalttafel mit diversen Knöpfen zum Vorschein. Der Butler betätigte eine Taste, und der Monitor begann aufzuleuchten. Gestochen scharf lieferte er das Bild zweier seriös wirkender, etwas verkniffen blickender Anzugträger, die von den Überwachungskameras des alten Fachwerkhauses übertragen wurden.

»Sie wünschen bitte?« erkundigte sich Parker über die Gegensprechanlage.

Die Besucher griffen fast synchron in ihre Taschen und brachten kleine Plastikhüllen zum Vorschein, die sie wohl nach dem Öffnen der Tür vorweisen wollten. »Wir sind von der Einwanderungsbehörde, Inspektor Collins und Sergeant Warner. Wir würden gern mit der Hausbesitzerin sprechen«, erklärte der Ältere der beiden, während er ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat.

»Wer stört?« fragte Agatha Simpson ihren Butler, der die beiden Besucher bereits eingelassen hatte und in die Halle führte.

»Inspektor Collins und Sergeant Warner von der Einwanderungsbehörde«, stellte Parker vor und registrierte zufrieden, daß der junge Gambier sich nicht mehr in der Halle aufhielt. Mike Rander hatte ihn vorsichtshalber in einen Nebenraum geführt und kehrte gerade wieder zurück.

»Servieren Sie den beiden Herren einen Tee und fragen Sie sie, was sie dazu bringt, mich ohne Voranmeldung zu stören«, sagte die Lady und wandte sich ostentativ an Kathy Porter, um mit ihr ein Gespräch über eine Gesellschaft zu beginnen, zu der man sie eingeladen hatte.

Inspektor Collins musterte die Hausherrin verärgert und wandte sich in barschem Ton an Parker. »Wir hatten keine Zeit, uns anzumelden, außerdem liegt uns eine Anzeige vor, die uns zu sofortigem und unangemeldetem Eingreifen berechtigt«, erklärte er aufgebracht. »Sie sollen in diesem Haus einen illegal eingereisten Farbigen versteckt halten.«

»Von wem stammt die Anzeige, wenn man fragen darf, Sir?« erkundigte sich Parker höflich, während er den beiden Besuchern den Tee servierte.

»Das geht Sie nichts an, mein Lieber, wichtig ist nur, daß eine solche Anzeige vorliegt«, knurrte Sergeant Warner und baute sich vor Parker auf.

»Man kann also davon ausgehen, daß besagte Anzeige anonym erfolgte?« Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und sah den Sergeant gelassen an.

»Ich habe große Lust, Sie ein bißchen auf Vordermann zu bringen«, fauchte der Sergeant gereizt. »Antworten Sie gefälligst, wenn Sie gefragt werden!«

»Ihr Ton gefällt mir ganz und gar nicht, junger Mann. Darf ich vielleicht mal Ihren Ausweis sehen?« mischte sich Mike Rander ein, der lässig gegen den Kamin lehnte und ein wenig an einen bekannten James-Bond-Darsteller erinnerte.

»Wer sind Sie denn, zum Teufel?« begehrte der Inspektor zu wissen. »Mit Ihnen reden wir doch gar nicht, also halten Sie sich heraus, klar?!«

»Ihr Ton gefällt mir immer weniger, und jetzt bestehe ich sogar darauf, Ihre Ausweise zu sehen.« Mike Rander stieß sich vom Kamin ab und nahm neben Josuah Parker Aufstellung. »Ich bin zufällig der Anwalt des Hauses und brauche Ihnen sicher nicht erst zu sagen, daß Ihr Auftreten mehr als seltsam ist und keinesfalls den Dienstvorschriften entspricht, meine Herren! Also, Ihre Ausweise, bitte!«

Der Inspektor starrte Mike Rander wütend an, holte dann aber seinen Ausweis hervor und reichte ihn dem Anwalt.

»Ist in diesem Haus immer gleich der Verteidiger anwesend, wenn zufällig jemand von der Polizei auftaucht?« fragte er anzüglich. »Man scheint hier ja kein allzu reines Gewissen zu haben, wenn Sie mir diesen Rückschluß gestatten.«

»Warum ich gerade jetzt hier bin, geht Sie absolut nichts an, mein lieber Inspektor, aber es scheint ein glücklicher Zufall zu sein, daß ich darauf achten kann, daß Sie sich an Recht und Gesetz halten. Was also führt Sie hierher, um von vorn zu beginnen?«

»Das haben Sie doch gehört. Das haben wir schon diesem komischen Butler gesagt«, ließ sich der Sergeant wütend vernehmen und starrte den Anwalt an.

»Mir scheint tatsächlich, daß Sie auf massiven Ärger aus sind, junger Mann«, erklärte Mike Rander ruhig, bevor er sich an den Inspektor wandte. »Sie sollten Ihren hitzigen Mitarbeiter besser unter Kontrolle halten, Inspektor, er könnte sonst große Probleme bekommen«, fuhr er leise fort.

»Reißen Sie sich gefälligst zusammen, Sergeant, dies hier ist ein feines Haus, hier sind Manieren gefragt!« erklärte der Inspektor seinem Sergeant, wobei allerdings Ton und Gesichtsausdruck deutlich machten, daß er es in Wirklichkeit ganz anders meinte.

»Nur aufgrund eines anonymen Hinweises belästigt man im allgemeinen eine derart angesehene Bürgerin wie Lady Agatha Simpson nicht, Inspektor. Ich hoffe, Sie haben noch etwas Besseres zu bieten.«

»Man hat deutlich gesehen, wie der illegale Einwanderer dieses Haus betreten hat«, beharrte Collins, »und das gibt mir das Recht, Sie dazu zu befragen.«

»Woher wissen Sie, daß es ein illegaler Einwanderer war, der außer uns das Haus betreten hat, wenn man mal die Unterstellung, daß sich ein Fremder hier aufhält, als gegeben akzeptiert.«

»Dazu brauche ich nichts zu sagen, ich gehe lediglich der Anzeige nach, und die war von der Aussage her eindeutig.«

»Na schön. Dann nehmen Sie zur Kenntnis, daß sich niemand illegal in meinem Haus aufhält, junger Mann«, erklärte Lady Agatha etwas zweideutig. Sie hatte ihr Gespräch mit Kathy Porter beendet und wandte sich ihren Besuchern zu.

»Trotzdem würde ich gern einen Blick in die Räume werfen, Mylady«, beharrte der Inspektor.

»Was sage ich dazu, mein lieber Junge?« sprach Lady Agatha Mike Rander an. »Machen Sie diesem Lümmel klar, daß er seine Kompetenzen überschreitet.«

Collins lief rot an vor Ärger und wollte aufbrausen, aber Mike Rander stoppte ihn. »Das genügt jetzt, Inspektor. Sie haben pflichtschuldigst Ihre Fragen gestellt, und die sind Ihnen ordnungsgemäß beantwortet worden. Mehr ist nicht drin, Sie sollten jetzt wirklich gehen.«

»Sie hören wohl schlecht? Der Chef sagte, er wolle die Räume sehen«, fauchte der Sergeant.

»Wozu er einen Haussuchungsbefehl braucht. – Das, was er da vorgetragen hat, reicht zu einer Durchsuchung ohne richterliche Anordnung nicht aus«, gab Mike Rander gelassen zurück. »Wenn Sie nicht freiwillig gehen, werden wir tatsächlich einen Streifenwagen holen müssen, um Sie abtransportieren zu lassen.«

»Welchem Ministerium unterstehen Sie eigentlich?« erkundigte sich Lady Agatha freundlich. »Ich habe große Lust, mich über Sie zu beschweren.«

»Die Herren sind dem Innenministerium zugeordnet, Mylady«, antwortete Parker anstelle der beiden Besucher, »Mylady ist übrigens nächste Woche mit dem Herrn Staatssekretär zum Lunch verabredet.«

»Bei dieser Gelegenheit werde ich auch den Übereifer und das seltsame Benehmen dieser Einwanderungskontrolleure zur Sprache bringen, Mister Parker«, beschloß sie. »Notieren Sie die Namen der beiden. Sie wissen, der Minister hat ein schlechtes Gedächtnis.«

»Na, hören Sie mal, was soll das?« wunderte sich der Inspektor mit unsicherer Stimme. »Wir tun schließlich nur unsere Pflicht, Mylady, weiter nichts. Und Sie sind doch sicher eine Bürgerin, die nichts zu verbergen hat.«

»Ich will mich ja auch nur über Ihren Eifer äußern, meine Herren. Weiter nichts.«

*

Die Gästezimmer lagen im Souterrain von Myladys altehrwürdigem Fachwerkhaus in Shepherd’s Market, das auf den Gewölben einer ehemaligen Abtei errichtet worden war. Parker hatte seinerzeit das Haus nach seinen sehr eigenwilligen Plänen umbauen lassen, wozu auch die fraglichen Räume gehörten. Die Handwerker, die die Arbeiten ausgeführt hatten, waren eigens zu diesem Zweck nach London eingeflogen worden und dann wieder in ihre Dörfer auf Sizilien zurückgekehrt.

»Sie waren bislang nicht in der Lage, den Eindruck echter Vollprofis zu vermitteln«, bemerkte Parker gemessen. »Wie wäre es sonst zu erklären, daß Sie sich jetzt hier befinden, meine Herren?«

»Nun ja, ihr habt uns überrumpeln können, weil wir mit solchen Tricks nicht gerechnet haben«, wandte der eine Mann ein. »War ja auch verdammt unfair, was ihr da abgezogen habt. Aber nochmal passiert uns so was nicht, wir lassen uns kein zweites Mal reinlegen.«

»Der junge Mann, der sich in den Wagen meiner bescheidenen Wenigkeit flüchtete, sprach von gewissen Mordabsichten, die Sie ihm gegenüber hegen sollen«, fuhr Parker höflich fort. »Zu diesem Punkt sollten Sie sich vielleicht etwas auslassen.«

»Der spinnt doch, der Knabe, der hat zuviel Krimis gelesen«, winkte der links auf dem breiten Gästebett sitzende Mann ab. »Ist doch alles Blödsinn, ein Mißverständnis, weiter nichts. Übrigens sollten Sie uns schleunigst hier rauslassen, dann betrachten wir auch unseren Aufenthalt hier als Mißverständnis, andernfalls kriegen Sie jede Menge Ärger. Mein Wort drauf!«

»Der wie aussehen würde?« erkundigte sich Parker gelassen.

»Ist Ihnen eigentlich nicht klar, was Sie sich da geleistet haben?« meldete sich der zweite Mann, ein stiernackiger Bursche mit der typischen Physiognomie des ehemaligen Boxers, zu Wort und schaute Parker kopfschüttelnd an.

»Sie werden es mir sicher gleich mitteilen, Sir«, vermutete Parker und deutete eine Verbeugung an.

»Mann, das ist ’ne ausgewachsene Entführung, was Sie sich da aufgehalst haben. Da steht jede Menge Knast drauf, kann ich Ihnen sagen. Aber wir sind nicht nachtragend, lassen Sie uns hier raus, dann vergessen wir die Sache, Schwamm drüber, wir sind nicht nachtragend.«

»Ihrem Wunsch wird man sicher bald entsprechen können, meine Herren, zuvor jedoch möchte Ihnen Mylady einige Fragen stellen.«

»Zum Teufel mit Ihrer Lady!« knurrte der Stiernacken und stieß sich vom Bett ab, um sich auf den Butler zu stürzen. Josuah Parker, der die Gangster genau beobachtet hatte, trat ein wenig zur Seite und ließ den stürmischen Angreifer an sich vorbeisegeln.

Es dröhnte, als der Schädel des Mannes gegen die Tür stieß, und ein zweites Mal, als Parkers stahlblechgefütterte Melone auf die Glatze des Ex-Boxers fiel. Er rutschte langsam an der Tür herunter, stöhnte noch mal verhalten auf und gab sich dann der Ruhe hin.

Sein Partner wollte die Gunst der Stunde nutzen, ergriff die große Saftkaraffe und beabsichtigte, sie Parker über den Schädel zu ziehen. Der Butler wich dem Wurfgeschoß aus und setzte das große Tablett, das er für das Frühstück benutzt hatte, als Abwehrwaffe ein.

Er schwenkte es in elegantem Bogen durch die Luft und ließ es gegen die linke Gesichtshälfte seines Angreifers klatschen. Daraufhin vergaß der Mann seine Aggressionen und suchte sich den Vorleger vor dem Bett als Ruhestatt aus. Er zuckte noch mal mit den Beinen, dann lag auch er still und begann leise zu schnarchen.

»Das ist wirklich unerhört, Mister Parker«, beschwerte sich Lady Agatha, nachdem sie es endlich geschafft hatte, den hinter der Tür liegenden Körper des Ex-Boxers zurückzuschieben und die Tür aufzustemmen.

»Pardon, Mylady, meine bescheidene Wenigkeit hatte noch keine Gelegenheit, die Tür freizumachen«, entschuldigte sich der Butler. »Man mußte sich eines Überraschungsangriffs erwehren und den Freiheitsdrang der beiden Herren ein wenig dämpfen. Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit untröstlich. Die beiden Herren werden Mylady in wenigen Minuten zur Verfügung stehen.«

*

Die beiden unfreiwilligen Gäste des Hauses wähnten sich in eine andere Zeit versetzt, als sie wieder zu sich kamen. Sie beeilten sich, auf die Füße zu kommen, und blickten sich ebenso ungläubig wie ehrlich beeindruckt um.

Ihr neuer Aufenthaltsort schien aus dem frühen Mittelalter zu stammen. Der Fußboden bestand aus großen, kühl wirkenden Steinquadern, die hie und da rostrote Flecken aufwiesen, über die sie sich im ersten Augenblick noch keine Gedanken machten.

Wände und Decke wurden durch grob aneinandergefügte Basaltsteinbrocken gebildet, die einen mehr als soliden Eindruck machten. Ein Kamin, in dem ein Feuer flackerte, bemühte sich, dem seltsamen Raum etwas Wärme zu spenden. Hoch an den Wänden angebrachte Kandelaber flackerten unruhig vor sich hin und verbreiteten ein diffuses, unheimlich wirkendes Zwielicht.

Überall an den Wänden waren Hieb-, Stich- und Schlagwaffen verteilt. Man konnte diverse Schwerter, Dolche, Lanzen und Morgensterne erkennen, die nur auf ihre Benutzung zu warten schienen. In einer Ecke des Raumes stand eine leicht angerostete Ritterrüstung, die einen Arm grüßend hochgereckt hatte und direkt in Richtung der beiden Besucher zu blicken schien. Die Kulisse für einen mittelalterlichen Ritterfilm hätte nicht wirkungsvoller hergerichtet sein können.

Irgendwo außerhalb ihres seltsamen Aufenthaltsortes gellte plötzlich ein Schrei, der die Männer zusammenfahren ließ. Dieser Schrei wurde immer schriller und kletterte in ungeahnte Höhen, bis er ebenso plötzlich, wie er begonnen hatte, abrupt abbrach und in ein furchtbares Röcheln überging. Die Zeugen des Geschehens sahen sich betreten an und fühlten sich sichtlich unwohl.

»Mein Gott, was war das?« flüsterte der Ex-Boxer und schlug schützend die Arme um seinen muskulösen Oberkörper.

»Keine Ahnung, aber hier geht’s nicht mit rechten Dingen zu, sag’ ich dir.« Der hochgewachsene, etwas hagere Mann um die dreißig mit asketisch wirkenden Gesichtszügen fuhr unwillkürlich zusammen und huschte zu der schweren Bohlentür, um heftig daran zu rütteln.

»Abgeschlossen, aber das war ja auch klar«, murmelte er und sah seinen Komlicen aus flackernden Augen an. »Das eine sag’ ich dir, Frank, wenn wir hier wieder raus sind, werd’ ich dem Chef was erzählen. Das kostet ihn einiges extra, das kannste mir glauben. Wir sind schließlich ehrliche Profis und keine Gruselkabinett-Darsteller!«

»Da haste – verdammt nochmal – recht.« Der Stiernacken sah sich unbehaglich nach allen Seiten um und schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich komme mir vor wie im finstersten Mittelalter, fehlt nur noch ’n Schloßgespenst, ’n Folterknecht oder so’n komischer Henker mit Kapuze und Fleischeraxt ...«

Wie auf ein Stichwort flog die schwere Tür auf, und Lady Agatha trat ein. Sie hatte ein wenig Maske gemacht und sich verändert. Sie trug ein langwallendes Gewand, wie es die Damen im Mittelalter bevorzugten, und auf dem Kopf eine schwarze Kapuze, in die Löcher für Augen, Nase und Mund geschnitten waren. In der locker herabhängenden rechten Hand ruhte ein Beil, von dessen Schneide eine rote Flüssigkeit auf den Boden tropfte.

Als sie stehenblieb, um ihre zurückweichenden Gäste zu mustern, bildete sich um ihre Füße schnell eine Lache. Die beiden Männer wußten auf einmal, woher die rostroten Flecken auf dem Steinboden stammten.

Hinter der Lady trat der Butler ein und schloß die schwere Tür. Er wandte sich an seine Herrin und räusperte sich ausgiebig, bevor er sprechen konnte. Danach klang seine Stimme seltsam heiser und schwach, als hätte er ein schlimmes Erlebnis hinter sich. Er spielte seine Rolle aber gut.

»Man bittet Mylady«, sprach er mit zitternder Stimme. »Das war wirklich nicht nötig, so ein junges Ding, noch nicht mal achtzehn.«

»Was soll das, Mister Parker«, grollte die Lady. »Das dumme Ding hätte gestehen können, aber nein, es blieb verstockt und ungezogen. So etwas dulde ich nicht, das wissen Sie doch.«

»Trotzdem, Mylady, wirklich ...« Er sah anklagend drein und verstummte hilflos.

»Zur Sache, Mister Parker! Ich möchte jetzt die beiden Lümmel verhören. Haben Sie alles dabei?« Agatha Simpson schritt majestätisch auf das Kaminfeuer zu, um einen Feuerhaken aufzunehmen und damit in der Glut zu stochern. »Nun ja, das dürfte reichen«, murmelte sie. »Reichen Sie mir die Fesseln, Mister Parker.«

Josuah Parker trat neben die ältere Dame und reichte ihr eine Zange, zwischen deren Schneiden eiserne Fesseln herabhingen. Sie hielt die Eisenringe ins Feuer und sah zu, wie sie langsam Farbe bekamen, rot wurden und dann in ein glühendes Weiß wechselten.

»Entkleiden Sie schon mal die Gefangenen, die Fesseln können jeden Moment angelegt werden.«

»Was ... was soll das?« stammelte der Ex-Boxer und lehnte sich an die Wand hinter seinem Rücken. »Seid ihr denn übergeschnappt? Laßt uns hier raus, und wir vergessen das Ganze. Unser Ehrenwort!«

»Bestimmt, wir sagen kein Wort«, bestätigte sein hagerer Partner.

»Mylady möchte Ihnen nur einige Fragen stellen«, teilte Parker höflich mit. »Um Ihre Aussagebereitschaft und die Wahrheitsliebe zu fördern, wird Mylady Sie mit einigen Gerätschaften bekannt machen, wie sie vor langer Zeit bei Gesprächen dieser Art verwendet wurden. Sie brauchen keine Angst zu haben, Mylady ist in der Handhabung der Instrumente geübt.«

»Sie will uns foltern«, kreischte der Ex-Boxer. »Die ist verrückt, die alte Tante!«

»In der Tat legt Mylady auf einen gewissen Sinnesreiz bei ihren Verhören Wert«, räumte Parker gemessen ein. »Man darf allerdings versichern, daß man Ihnen nach der Unterhaltung angemessene ärztliche Versorgung zuteil werden läßt.«

»So wie der Kleinen, die sie vorhin gefoltert hat, wie?!« keuchte der Hagere und starrte Parker an.

»Ein Unfall, meine Herren, den Mylady außerordentlich bedauert.« Parker schüttelte den Kopf. »Glauben Sie einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann, daß das Ende der jungen Dame keinesfalls geplant war, meine Herren. Aber die junge Dame befindet sich jetzt sicher in einer besseren Welt.«

»Mann, Sie ticken wohl auch nicht ganz richtig, wie?« brüllte der Stiernacken wütend. »Was heißt hier, sie ist in einer besseren Welt?«

»Wie gesagt, ein bedauerlicher Unfall, wie er schon mal vorkommen kann. Messen Sie dem keine zu große Bedeutung bei.«

»Wo bleiben Sie denn, Mister Parker?« meldete sich Lady Agatha zu Wort.

»Die Herren zieren sich noch ein wenig, Mylady, aber sie werden Mylady sofort zur Verfügung stehen«, gab Parker gemessen zurück.

»Das bitte ich mir auch aus, Mister Parker.«

Lady Agatha konnte ihre Ungeduld kaum noch zügeln und ließ die Zange mit den darin befindlichen Fesseln fallen. Sie schritt drohend auf die beiden vor Angst und Schrecken wie gelähmt an der Wand stehenden Männer zu ...

*

»Und Sie sind sicher, Mister Parker, daß mich die beiden Subjekte nicht belogen haben?« erkundigte sich Lady Agatha aus dem Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum. Mylady und Parker befanden sich auf dem Weg zu einer Adresse im Stadtteil Holborn, in dem der Auftraggeber der beiden Gangster im Keller des altehrwürdigen Fachwerkhauses in Shepherd’s Market residieren sollte.

»Davon sollten Mylady in der Tat ausgehen können«, bestätigte Parker höflich. »Myladys Vorstellung als blutrünstige mittelalterliche Burgdame war einfach zu überzeugend. Die Herren dürften es kaum gewagt haben, Mylady anzulügen. Sie standen sichtlich unter dem Schock von Myladys dramatischem Auftritt.«

»Nun, ja, Mister Parker, ich war recht zufrieden mit mir. Ich habe selbst gespürt, daß ich meine Rolle meisterlich im Griff hatte und zu überzeugen vermochte. Ich überlege ernsthaft, ob ich mich nicht der Schauspielerei verschreiben sollte«, überlegte Lady Agatha und lächelte versonnen vor sich hin.

»Mylady wären eine unschätzbare Bereicherung der Kunstszene«, wußte Parker im voraus. »Das Theater würde eine neue Blüte erleben, wenn die kühne Prognose erlaubt ist.«

»Durchaus, Mister Parker, das sehen Sie sehr richtig.«

Agatha Simpson nickte gewichtig und sah sich im Geist bereits auf der Bühne stehen. »Ich würde mich auf die großen Dramen spezialisieren, ich glaube, daß ich dafür eine natürliche Begabung besitze.«

»Mylady würden als Entdeckung des Jahrhunderts gefeiert werden«, sah Parker voraus. »Karten für Myladys Auftritte dürften zumeist vergriffen sein.«

»Sie würden natürlich Freikarten bekommen, Mister Parker, auch wenn Sie von Kunst nicht allzuviel verstehen«, erklärte Mylady gönnerhaft.

»Meine bescheidene Wenigkeit weiß Myladys Großzügigkeit durchaus zu schätzen«, versicherte Parker. »Bei Gelegenheit wird man sich erlauben, Mylady vorsorglich um ihr Autogramm zu bitten.«

»Sobald wir wieder zu Hause sind, werde ich Ihnen diesen Wunsch erfüllen«, versprach die ältere Dame freundlich. »Überlegen Sie sich inzwischen, welche Widmung Sie haben möchten.« Sie schwieg einen Augenblick, dann richtete sie sich auf und hob mahnend den Zeigefinger. »Dieses Autogramm ist jedoch nur für Sie persönlich bestimmt, Mister Parker, ich will nicht hoffen, daß sie es später zu Geld machen werden«, erklärte sie.

»Keinesfalls und mitnichten, Mylady, zumal ein solches Autogramm auch unbezahlbar wäre.« Parker lüftete andeutungsweise die Melone und brachte seinen Privatwagen auf einem kleinen Parkplatz zum Stehen.

»Man ist am Ziel, Mylady, am Ende dieser Straße dürfte das Etablissement des Mister Chilton liegen.«

»Hilton? Wer soll das denn sein?« Lady Agatha runzelte die Stirn und sah ihren Butler unwillig an.

»Mister Chilton«, korrigierte Parker geduldig, »ist der Inhaber jenes Bestattungsinstitutes, das Myladys Gäste nannten, als Mylady auf ihre unnachahmliche Art ihr Verhör führte.«

»Das weiß ich natürlich, Mister Parker, man bescheinigt mir nicht umsonst ein nahezu fotografisches Gedächtnis.« Die Detektivin warf sich in die Brust und sah Parker an. »Ich wollte lediglich hören, Mister Parker, ob Sie auf dem laufenden sind und sich erinnern.«

Parker verzog keine Miene und bot seiner Herrin den Arm, um sie zum Institut des Mister Chilton zu führen, das den verheißungsvollen Namen »Zum ewigen Frieden« trug.

»Ich hoffe, das Subjekt, dem dieser Laden gehört, sagt nicht gleich die Wahrheit, Mister Parker«, bemerkte Lady Agatha, während der Butler die Glastür der Bestattungsfirma öffnete. »In diesem Fall nämlich wird der Frieden doch nicht so ewig sein, weil ich für etwas Abwechslung sorge.«

*

»Willkommen im ewigen Frieden!« begrüßte sie ein etwa sechzigjähriger, ausgemergelter Mann mit nur noch spärlich vorhandenem weißen Haar, dem der schwarze Anzug um den dürren Körper schlotterte. Er eilte dem skurrilen Paar mit ausgestreckten Händen entgegen und legte tiefe Trauer in seine knarrende Altmännerstimme.

»Seien Sie meines tiefen Mitgefühls für den schweren Verlust, der Sie ereilt hat, versichert, meine Liebe.« Er schüttelte heftig Myladys Hände und sah sie ergriffen an.

»Ich habe keinen Verlust erlitten, aber das könnte Ihnen passieren, wenn Sie mich nicht sofort loslassen«, versicherte Lady Agatha ihm und musterte ihn kühl.

Der Ausgemergelte, dem eine gewisse Ähnlichkeit mit »Gevatter Tod« nicht abzusprechen war, ließ verwirrt von Mylady ab und blinzelte ratlos.

»Ich verstehe nicht...« begann er und brach hilflos ab.

»Ich möchte diesen Mister... – den Inhaber sprechen, und zwar etwas plötzlich, mein Lieber«, erklärte Agatha Simpson ungeduldig. »Beeilen Sie sich, meine Zeit ist kostbar.«

»Sofort!« Der dürre Mann verbeugte sich devot und wieselte davon. An einer Tür im Hintergrund des Raumes blieb er noch mal stehen und drehte sich nach den Besuchern um. »Wen darf ich Mister Chilton melden, bitte?«

»Lady Agatha Simpson gibt Ihrem Haus die Ehre ihres Besuches«, erklärte Parker würdevoll. »Sagen Sie Mister Chilton, daß es um eine Angelegenheit von größter Wichtigkeit geht.«

*

»Lady Simpson, welch eine Ehre für mein bescheidenes Haus«, säuselte der großgewachsene, hagere Mann mit dem Spitzbart, der kurz darauf im Laden erschien. Wie sein Angestellter segelte er mit weitausgebreiteten Armen auf Mylady zu und schien die feste Absicht zu haben, sie darin einzuschließen.

»Sie kennen Mylady?« erkundigte sich Parker und trat dem Firmeninhaber diskret in den Weg. Der stoppte seinen »Anflug« auf Lady Agatha und sah Parker fast vorwurfsvoll an. »Aber ich bitte Sie, guter Mann, wer kennt Lady Simpson nicht? Ein prominentes Mitglied der Londoner Gesellschaft, was sage ich, eine Stütze der Londoner Society ... Sie nicht zu kennen, hieße, ein ausgemachter Ignorant zu sein«, rief er pathetisch und verdrehte die Augen.

Parker hüstelte dezent hinter vorgehaltener Hand. »Eine interessante Betrachtungsweise, durchaus, Sir«, murmelte er, während er Ray Chilton knapp zunickte.

Agatha Simpson lächelte den Bestattungsunternehmer grimmig an, was der Mann fälschlicherweise als Zustimmung zu seinem bühnenreifen Auftritt auffaßte.

»Sparen Sie sich Ihren Schmus, für so was bin ich nicht empfänglich«, fuhr sie den verdatterten Mann an. »Kommen wir zur Sache, ich habe ein Hühnchen mit Ihnen zu rupfen.«

»Wie das, ich kenne Sie doch gar nicht«, stotterte Chilton und wich unwillkürlich einige Schritte zurück, als Lady Agatha ihre imposante Figur auf ihn zuschob.

»Das wird sich gleich ändern, Sie Subjekt, warum wollten Sie mich umbringen lassen?« herrschte sie ihn an und drängte ihn gegen einen Sarg, der mit abgenommenem Deckel hinter ihm stand.

»Was wollte ich?« rief Ray Chilton ungläubig und rang förmlich die Hände, um seine Unschuld zu beteuern. »Ich bitte Sie, Mylady, das kann doch nicht Ihr Ernst sein, daß muß ein Irrtum sein, ein Komplott gegen mich.«

Agatha Simpson sah ihn einen Augenblick verunsichert an und wandte sich dann an Parker. »Handelt es sich um einen Irrtum, Mister Parker?« fragte sie, während sie den Bestattungsunternehmer nicht aus den Augen ließ.

»Keinesfalls und mitnichten, Mylady. Mister Chiltons Name wurde bei Myladys Einvernahme der beiden Gangster, die den jungen Farbigen verfolgten, unmißverständlich und durchaus glaubwürdig genannt.«

»Aha, wußte ich’s doch.« Die ältere Dame sah Chilton durchdringend an. »Sie haben gehört, was Mister Parker gesagt hat, es besteht kein Zweifel, daß Sie der Chef dieser Mörder sind.«

»Aber Mylady, ich verstehe kein Wort... Was für Mörder meinen Sie denn?« flehte Chilton und schob die Hand langsam in seine Innentasche. Er starrte Lady Agatha an und versuchte sie abzulenken. Aber er hatte nicht mit der Wachsamkeit der passionierten Detektivin gerechnet. Lady Agatha hatte sehr wohl bemerkt, daß Chiltons rechte Hand jetzt fast vollständig im Innern seiner schwarzen Anzugjacke verschwunden war.

Sie schüttelte ihren Pompadour, in dem sich das Hufeisen eines ehemals stabilen Brauereigauls befand, und setzte ihn auf das Handgelenk des Bestattungsunternehmers. Der Mann heulte auf und beeilte sich, die Hand aus dem Jackett zurückzuziehen. Dabei kam eine kleine Pistole zum Vorschein, die auf den dicken Teppichboden plumpste und von Mylady gekonnt zur Seite gekickt wurde.

Der exzellente Butler Parker 10 – Kriminalroman

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