Читать книгу Butler Parker 100 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3
ОглавлениеGünter Dönges
Parker stoppt den Amokläufer
Agatha Simpson sah auf den ersten Blick, daß der Fahrer offensichtlich volltrunken war.
Der kleine Sportwagen raste in wilden Schlangenlinien über die schmale Straße und rasierte mehrfach die hohen Hecken, die die Fahrbahn in Richtung Torquay säumten. Das alles schien dem Mann am Steuer überhaupt nichts auszumachen. Er jagte mit seinem Sportwagen von einer Seite auf die andere und ignorierte den Gegenverkehr in beinahe selbstmörderischer Weise.
Neben dem Fahrer saß ein zweiter Mann, der sich ängstlich zusammenduckte und verzweifelt festhielt. Er brüllte dem Fahrer gerade etwas zu, als es passierte.
Lady Agatha sträubten sich die Nackenhaare, als die beiden Tramper aus dem kleinen Seitenweg kamen.
Sie ahnte, was passieren mußte.
Agatha Simpson winkte den beiden Trampern verzweifelt zu und wollte sie warnen.
Sie merkten nichts, reagierten zu spät und dazu noch falsch, ließen sich von Lady Simpson ablenken und winkten lachend zurück.
Bruchteile von Sekunden später war alles vorbei.
Die beiden Tramper in Jeans und Pullovern sahen den Wagen, wollten noch zurückspringen, schafften es aber nicht mehr …
Die Lady schloß die Augen und hörte ein häßliches Geräusch: das Kreischen der Bremsen, das Radieren der blockierenden Pneus und dann einen verzweifelten, erstickten Aufschrei.
Als Agatha Simpson wieder die Augen öffnete, raste der Sportwagen gerade an ihr vorüber.
Sie konnte das Gesicht des Fahrers deutlich erkennen. So deutlich wie bei einer Großaufnahme. Es war ein weiches, schlaffes Gesicht mit halb geschlossenen Augen und einem schmalen, arrogant wirkenden Oberlippenbärtchen.
Der Fahrer kurvte auf die Lady zu, die sich mit einem wilden Satz in Sicherheit brachte.
Sie landete tief in einer weichen, nachgiebigen’ Hecke und brauchte einige Zeit, bis sie sich wieder zur Straße zurückgearbeitet hatte.
Ihr erster Blick galt den beiden Trampern.
Sie lagen in seltsam verkrümmter Haltung auf dem Asphalt und rührten sich nicht mehr.
Agatha Simpson wußte sofort, was das zu bedeuten hatte. Dennoch lief sie quer über die Fahrbahn auf die beiden Menschen zu. Es zeigte sich bei dieser Gelegenheit, daß die alte Dame ungewöhnlich gut zu Fuß war.
Bevor sie die beiden Tramper erreicht hatte, erschienen zwei Passanten an der Unglücksstelle. Sie kamen aus dem schmalen Seitenweg, den die beiden Tramper verlassen hatten. Es handelte sich vermutlich um ein Ehepaar, das etwa 60 Jahre alt war.
Die Frau wurde ohnmächtig, als sie die Verunglückten sah. Der Mann konnte sie gerade noch auffangen und legte sie behutsam nieder. Inzwischen hatte Agatha Simpson die Stelle erreicht.
Auch ihr wurde flau im Magen.
Die beiden Tramper waren gnadenlos zusammengefahren worden und mußten gleich tot gewesen sein. Es waren noch junge Menschen, vielleicht knapp 20 Jahre alt.
Agatha Simpson brauchte all ihre Kraft, um nicht ihre Selbstbeherrschung zu verlieren.
*
»Konnte man inzwischen den Fahrer des Wagens ermitteln, Mylady?« erkundigte sich Butler Parker, nachdem die Detektivin ihre Geschichte beendet hatte.
Parker servierte den nachmittäglichen Tee auf der Terrasse von Lady Simpsons Haus, das oberhalb von Torquay an den Hängen eines sanften Hügels lag. Man mußte schon genau hinsehen, um nicht der Illusion zu erliegen, an der französischen Mittelmeerküste zu sein. Palmen und subtropische Pflanzen aller Art deuteten nämlich unverwechselbar darauf hin. Dennoch war die Gegend die Südküste Englands, in der Nähe von Plymouth. Und nicht umsonst erfreute sich diese Stadt der Bezeichnung »Perle der englischen Riviera«. Die ständig arbeitende Zentralheizung des Golfstroms schuf alle Voraussetzungen für persönliches Wohlbefinden.
Agatha Simpson besaß dieses Haus an der Küste seit vielen Jahren und war zusammen mit ihrem Butler und ihrer Gesellschafterin hierher gekommen, um sich von einigen aufregenden Abenteuern in Frankreich zu erholen. Mylady betätigte sich nämlich gewollt-ungewollt als sehr begabte Amateurdetektivin und wich grundsätzlich keinem Ärger aus. Dabei zeigte die Engländerin einen Mut, der in Parkers Augen schon an bodenlosen Leichtsinn grenzte.
»Dieses Subjekt entzog sich seiner Verantwortung durch Fahrerflucht«, beantwortete Mylady die Frage ihres Butlers, »und wagen Sie es nicht, Mister Parker, mich jetzt nach dem Kennzeichen des Wagens zu fragen.«
»Wie Mylady befehlen«, gab Parker gemessen zurück.
»In der ganzen Aufregung habe ich auf das Kennzeichen überhaupt nicht geachtet.«
»Zumal Sie sich ja in der Hecke befanden, Mylady«, erinnerte ihre Gesellschafterin.
Kathy Porter, Myladys Gesprächspartnerin, war etwa 25 Jahre alt und sah mit ihren kupferroten Haaren sehr attraktiv aus. Dennoch wirkte sie stets wie ein scheues, verwundbares Reh. Sie lebte schließlich in ständiger Sorge um ihre Chefin, deren spontane Entschlüsse sie viel Nerven kosteten.
»Dafür weiß ich aber sehr genau, wie dieses Subjekt am Steuer aussieht«, redete Agatha Simpson grimmig weiter. »Dieses Gesicht werde ich wohl nie vergessen.«
»Gibt es weitere Augenzeugen, Mylady?« Parker stand höflich und würdevoll neben dem Tisch.
»Ein älteres Ehepaar«, erwiderte die Besitzerin des Hauses. »Als die Polizei am Tatort erschien, war es noch immer nicht vernehmungsfähig.«
Lady Simpson schob die Teetasse zurück und stand auf. Sie marschierte auf ihren stämmigen Beinen hinüber zur Brüstung der Terrasse und sah auf die See hinaus.
Parker ahnte, was kommen mußte.
Kathy Porter sah den Butler an und hob hilflos-ergeben die Schultern.
»Mister Parker!« Agatha Simpson hatte ihren Entschluß also gefaßt. »Mister Parker! Ich bestehe darauf, daß dieser Mörder zur Rechenschaft gezogen wird.«
»Auf die vorzügliche Arbeit der englischen Polizei können Mylady sich voll und ganz verlassen«, warf Parker ein.
»Papperlapapp«, Agatha Simpson war empört. »Diese Mühlen der Gerechtigkeit mahlen mir etwas zu langsam. Wir werden uns um den Fall kümmern.«
»Wie Mylady meinen.«
»Sie sind mit meinem Vorschlag nicht einverstanden?«
»Nicht unbedingt, Mylady, wenn ich es so freimütig ausdrücken darf. Mylady sollten sich vielleicht etwas schonen.«
»Halten Sie mich etwa für eine alte Frau?« Die Detektivin drehte sich entrüstet zu Parker um und maß ihn mit flammenden Blicken. »Mit Ihnen, Mister Parker, nehme ich es noch jederzeit auf.«
»In der Tat, Mylady!«
»Also, dann an die Arbeit«, entschied Agatha Simpson kriegerisch. »Dieses Subjekt muß doch zu finden sein.«
*
Die Sechzigjährige war schon eine sehr bemerkenswerte Dame.
Rein figürlich erinnerte sie an eine Heroine längst vergangener Theaterzeiten. Sie stand auf kräftigen Beinen voll im Leben. Und ihre großen Füße steckten in handgemachten Schuhen, deren derbe Qualität an die von einfachen Schnürschuhen erinnerte. Agatha trug mit Leidenschaft Kostüme der Haute Couture, die an ihrer majestätischen Figur allerdings immer etwas zu faltenreich herunterhingen.
Lady Simpson konnte sich diese Extravaganzen durchaus leisten.
Seit dem Tode ihres Mannes vor vielen Jahren war sie eine vermögende Frau, die mit dem Geldadel Englands verschwistert und verschwägert war. Als Schwester des inzwischen ebenfalls verblichenen Earl of Budness verfügte sie über umfangreiche Beteiligungen an Brauereiunternehmen, Reedereien und Fabriken. Die Erlöse daraus speisten einen von ihr gegründeten Fonds, aus dem begabte, junge Menschen für die Zeit ihrer Ausbildung finanziert wurden. Finanziell völlig unabhängig, war die Lady eine Globetrotterin, die von ihren Verwandten und Bekannten gefürchtet wurde. Sie galt als das »Schwarze Schaf« in der Familie und freute sich über diese Auszeichnung.
Es gab kein Fettnäpfchen, das sie übersehen hätte und in das sie mit Wonne nicht hineingetreten wäre. Sie konnte ganz Dame sein, aber sie vermochte sich auch in Sekundenschnelle in eine derbe Marktfrau zu verwandeln. Ihr Wortschatz war dann dementsprechend. Sie pfiff auf alle Konventionen und genoß ihr Alter von rund 60 Jahren. Genaues darüber war von ihr nicht zu erfahren.
Was diesen von Mylady beobachteten Fall von Fahrerflucht nun anbetraf, so hielt Josuah Parker seinen Einsatz für sinnlos. Der Polizei standen wesentlich bessere Mittel zur Verfügung, den offensichtlich angetrunkenen Mann ausfindig zu machen. Er konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, wie gründlich er sich täuschte.
»Sind Mylady schon von der Polizei verhört worden?« erkundigte sich Parker, nachdem Agatha Simpson sich für diesen neuen Fall starkgemacht hatte.
»Nur vage«, gab sie zurück, »man traute mir nach diesem Doppelmord wohl nicht soviel Nervenkraft zu. Der zuständige Inspektor will noch im Lauf des Nachmittags hier vorbeikommen.«
»Falls der Fahrer sich inzwischen nicht schon gemeldet hat«, warf Kathy Porter ein.
»Ausgeschlossen, Kindchen«, sagte die Lady. »Dieses Subjekt wird sich nie melden. Ich sehe das Gesicht noch genau vor mir. Ich besitze einige Menschenkenntnis. Dieser junge Laffe …«
»Sie bezeichnen den Fahrer als einen jungen Laffen, Mylady?« Parker war hellhörig geworden.
»Und damit untertreibe ich nur noch«, redete Agatha weiter. »Ich kenne diese Art von Gesichtern. Arrogant, aufgeblasen. Normalerweise würde ich den Besitzer eines solchen Gesichtes einen dummen Flegel nennen.«
Parker hatte nur noch halb hingehört, denn auf dem kiesbestreuten Weg quer durch den Park kam ein junger, elastisch aussehender Mann, etwa 30 Jahre alt. Er trug eine dunkelgraue Kombination, die von der Stange stammte.
»Die Polizei scheint Mylady einen Besuch machen zu wollen«, stellte Parker fest.
»Was auch Zeit wird«, gab Agatha Simpson gereizt zurück. »Die Herren von der Polizei scheinen es nicht gerade eilig zu haben. Führen Sie den Mann hierher auf die Terrasse, Mister Parker!«
Parker ging dem Besucher entgegen und meldete Mylady kurz darauf einen gewissen Detektiv-Sergeant Fielding.
»Setzen Sie sich, junger Mann«, herrschte die Dame des Hauses den Sergeant an, der einen etwas unsicheren Eindruck machte. »Haben Sie diesen Mörder inzwischen festgenommen?«
»Mörder, Mylady?« Der Sergeant war irritiert.
»Wer zwei Menschen niederfährt, sich im Vollrausch befindet und dann auch noch Fahrerflucht begeht, der ist in meinen Augen ein Mörder«, stellte Agatha Simpson grimmig fest. »Sie wollen mir doch hoffentlich nicht widersprechen, oder?«
»Natürlich nicht, Mylady. Ah, Sie haben den Fahrer erkannt? Sie würden ihn wiedererkennen?«
»Dieses Gesicht vergißt man nicht! Ich würde ihn unter Tausenden erkennen.«
»Auch den Beifahrer, Mylady?« Er sah Agatha Simpson in gespannter Erwartung an.
»Diesen Mann nicht. Ich sah nur das Gesicht des Fahrers. Sie haben ihn bereits festnehmen können?«
»Der Wagen ist wie vom Erdboden verschwunden«, erklärte der Detektiv-Sergeant achselzuckend. »Es handelte sich um einen …«
»… Triumph«, fiel Kathy Porter Mylady in die Rede. »Neuestes Modell.«
Lady Simpsons Gesellschafterin wußte aus Erfahrung, daß ihre Herrin sich in Wagentypen nicht auskannte.
»Sagte ich doch«, behauptete die Lady und sah Kathy Porter strafend an. »Unterbrechen Sie mich nicht immer, Kindchen, das macht mich ganz nervös!«
»Und wer waren die Opfer?« schaltete Josuah Parker sich in das Gespräch ein.
»Zwei junge Londoner. Ein Mann und eine Frau. Beide knapp 20 Jahre alt«, antwortete Fielding hastig. »Sie kamen von einem Campingplatz hier in der Nähe der Küste.«
»Schrecklich!« Agatha Simpson stand auf und marschierte wieder zur Brüstung der Terrasse. »Ich begreife einfach nicht, wieso der Wagen so plötzlich verschwinden konnte. Hat man denn nicht alle Straßen abgesperrt?«
»Natürlich, Mylady«, verteidigte sich der Sergeant. »Straßensperren überall. Vielleicht steht der Triumph inzwischen in einer Garage.«
»Hat das Ehepaar weitere Anhaltspunkte liefern können?« wollte die Detektivin dann wissen.
»Die beiden alten Herrschaften sind noch nicht vernehmungsfähig«, erwiderte der Sergeant, der sich während der Unterhaltung ein paar Notizen gemacht hatte. »Vielen Dank für die Auskünfte, Mylady! Sie werden noch von uns hören.«
»War das alles?« entrüstete sich die Gastgeberin.
»Haben Sie sonst noch etwas Konkretes zu berichten?« wollte der Sergeant wissen. »Das Kennzeichen haben Sie doch nicht registriert, oder?«
»Natürlich nicht. Und darüber ärgere ich mich am meisten. So etwas hätte mir nicht passieren dürfen. Nun gut, junger Mann, tun Sie Ihre Pflicht!«
Sie entließ Fielding mit einem gnädigen Kopfnicken. Der Sergeant verbeugte sich und ließ sich von Parker zurück in den Garten bringen.
»Lassen Sie nur, den Rest schaffe ich schon allein«, sagte er, als am Eingang zum Park ein zweiter Mann erschien. »Jetzt kommt wahrscheinlich die Presse.«
»Mylady gibt keine Interviews«, stellte Parker fest und deutete eine knappe Verbeugung an, als der Mann ihm zuwinkte und dann ging. Parker blieb höflich abwartend stehen, bis der zweite Mann ihn erreicht hatte. Er sah ihn kühl und distanziert an.
»Detektiv-Inspektor Mervins«, stellte der Neuankömmling sich knapp vor. »Ich möchte Lady Simpson sprechen.«
»Sind Sie sicher, Detektiv-Inspektor zu sein?« erkundigte sich Parker höflich.
»Vollkommen«, gab der Mann zurück, der etwa 40 Jahre alt war und einen sehr zivilen Eindruck machte, »aber ich weise mich auch gern aus.«
Parker schluckte und wußte im gleichen Moment, daß man Mylady und ihn genasführt hatte. Er beeilte sich, den bereits verschwundenen Detektiv-Sergeant Fielding noch einzuholen, blieb aber schon nach wenigen Schritten stehen. Das Aufheulen eines Motors sagte ihm, daß er es niemals schaffen würde.
*
»Das hätte Ihnen einfach nicht passieren dürfen, Mister Parker.«
Agatha Simpson sah den Butler mit einem strafenden Blick an.
»Sehr wohl, Mylady«, gab Parker zurück, während sein Gesicht unbewegt blieb.
»Aber vielleicht werden Sie auch nur alt«, stichelte die Lady und gab sich milde.
»Wie Mylady meinen«, lautete Parkers Antwort.
»Nun, reden wir nicht mehr davon«, fuhr Agatha Simpson fort. »Vergessen wir, daß Sie sich von einem Journalisten haben hereinlegen lassen.«
Inspektor Mervins war nach seiner kurzen Unterhaltung mit der Hausherrin und Kathy Porter wieder gegangen. Er hatte sich ordnungsgemäß ausgewiesen und war ebenfalls der Ansicht, ein Reporter habe sich mit diesem Sergeant-Trick Zugang zu Informationen verschafft.
»Hat es Ihnen die Sprache verschlagen, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha, als Parker auf jeden Kommentar verzichtete.
»Ich fürchte, daß wir es nicht mit einem Reporter zu tun gehabt haben«, erwiderte der Butler würdevoll.
»Würden Sie das noch mal wiederholen, Mister Parker?« Agatha Simpson sah ihren Butler freudig, gespannt und erwartungsvoll an.
»Ein Reporter hätte sich mit größter Wahrscheinlichkeit eine sehr genaue Personenbeschreibung geben lassen«, schlußfolgerte Josuah Parker. »Dies aber war, wie Mylady sich erinnern werden, keineswegs der Fall.«
»Richtig«, bestätigte die Detektivin. »Warum ist Ihnen das nicht früher eingefallen, Mister Parker?«
»Meine innere Alarmanlage muß zeitweilig ausgefallen sein«, gab der Butler zurück.
»Also, fassen wir doch noch mal zusammen, dieser Fielding ist weder Detektiv-Sergeant noch Reporter«, sagte Lady Agatha. »Was ist er dann?«
»Dies, Mylady, wird und muß die nahe Zukunft erweisen. Wenn Sie gestatten, möchte ich gern das ältere Ehepaar aufsuchen.«
»Sie glauben, dieses Subjekt Fielding sei auch dort aufgetaucht?«
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady.«
»Angenommen, es ist so: Was steckt dahinter? Ich weiß, daß Sie sich bereits eine Theorie gebildet haben, Mister Parker.«
»Zur Zeit horche ich noch in mein Inneres«, redete der Butler sich heraus. »Ich möchte Mylady aber warnen und bitten, das Haus vorerst nicht zu verlassen.«
*
Josuah Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und befand sich auf dem Weg, dem älteren Ehepaar einen Besuch abzustatten. Bei diesem hochbeinigen Monstrum handelte es sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das nach seinen speziellen Wünschen und Vorstellungen umgebaut worden war.
Parkers Privatwagen war im Grund eine reichhaltig ausgestattete Trickkiste auf vier Rädern. Schon mancher Gangster hatte in der Vergangenheit diesen Wagen verflucht.
Parker machte sich Sorgen.
Natürlich hatte er sich bereits eine Theorie gebildet.
Der Fahrer des Triumph, der die beiden Tramper getötet hatte, mußte über gewisse Verbindungen und über großen Einfluß verfügen. Nur solch einem Menschen war es möglich, einen Spitzel vorzuschicken, der die Lage sondierte.
Wie richtig der Butler mit seiner Vermutung lag, sollte sich schon sehr bald zeigen.
Hinter ihm auf der Straße rollte ein Hillman, dessen Fahrer eine große Sonnenbrille trug. Das Nummernschild war derart verdreckt und unkenntlich, daß man nur noch von Absicht sprechen konnte.
Parker ließ sich selbstverständlich nichts anmerken, aber er dachte nicht daran, diesen Verfolger auf die richtige Spur zu lenken. Der Butler wußte schließlich, was er seinem Wagen abverlangen konnte. Und er kannte zu dem eine Reihe von Tricks, um Schatten dieser Art loszuwerden.
Er minderte also überraschend das Tempo seines hochbeinigen Monstrums, als ein Lastwagen vor ihm erschien. Der kleine Hillman mußte notgedrungen aufschließen und befand sich dann plötzlich in einer schwarzen Wolke.
Diese Wolke bestand aus an sich harmlosem Ruß, der aus einer Düse unterhalb von Parkers Wagen ausgestoßen worden war. Der Fahrer des Hillman hatte schlagartig eine völlig geschwärzte Windschutzscheibe vor sich und mußte seinen Wagen gegen seinen Willen bis zum Stillstand abbremsen.
Im Rückspiegel sah Parker, daß der Fahrer nach einer Schrecksekunde ausstieg und sich verzweifelt daran machte, die Windschutzscheibe wieder zu säubern. Parker überließ den Mann dieser unfreiwilligen Freizeitbeschäftigung und fuhr sofort wieder an. Er überholte den Laster und schuf sich einen Vorsprung, der nicht mehr einzuholen war.
Zehn Minuten später stand Josuah Parker vor einem hübschen kleinen Haus, das an einer schmalen Hangstraße stand.
Er verließ sein hochbeiniges Monstrum und ging durch den Vorgarten zur Haustür. Er hatte sie noch nicht ganz erreicht, als er völlig überraschend mit einem Mann konfrontiert wurde, der ihm nicht ganz unbekannt war.
Es handelte sich um den angeblichen Mister Fielding, der sich als Detektiv-Sergeant ausgegeben hatte. Dieser Mann stutzte leicht, fing sich aber und produzierte ein neutrales, vorsichtiges Lächeln.
»Wie erstaunlich klein ist doch diese Welt«, sagte Josuah Parker und lüftete höflich und gemessen seine schwarze Melone.
»Den Herrschaften geht’s schon bedeutend besser«, sagte Fielding, um bei diesem Namen zu bleiben.
»Sind Sie sicher?«
»Natürlich … Sie wollen einen Besuch machen?«
»Mylady bestand darauf«, erwiderte Parker. »Sie sind mit Ihren Ermittlungen inzwischen weitergekommen?«
»Erfreulicherweise.« Fielding sah betont auf seine Armbanduhr. »Tja, ich muß weiter. Bis dahin …«
Er nickte dem Butler zu und wollte gehen.
Doch Josuah Parker war dagegen.
»Welche Chancen rechnet Ihr Auftraggeber sich eigentlich aus?« erkundigte er sich höflich.
Fielding hielt seine Rolle nicht durch.
Er fühlte sich durchschaut und wollte sich so schnell wie möglich absetzen.
Wogegen Josuah Parker etwas hatte. Er sah den Schlag der rechten Hand rechtzeitig kommen und blockte ihn mit der Rundung seiner schwarzen Melone geschickt ab.
Der Zuschlagende stöhnte auf und verdrehte die Augen. Dann ging er vor Schmerzen in die Knie. Er schnappte keuchend nach Luft und hatte echt Tränen in den Augen.
Er hatte ja nicht wissen können, daß Parkers Melone mit solidem Stahlblech gefüttert war. Und das war seinen Fingerknöcheln nicht gut bekommen.
*
»Ich darf Ihnen versichern, daß ich ausgesprochen bestürzt bin«, sagte Parker und sah auf den jungen Mann hinunter, der sich langsam aufrichtete. »Sollten Sie sich möglicherweise verletzt haben?«
Fielding, um immer noch bei diesem Namen zu bleiben, hielt sich seine rechte Hand und sah den Butler aus leicht verschleierten Augen an.
»Man könnte ins Haus gehen und kühlende Umschläge erbitten«, schlug Josuah Parker vor. »Wenn Sie vielleicht vorausgehen würden?«
Parker ließ Fielding nicht aus den Augen.
Er hatte längst gesehen, daß der Mann eine Schulterhalfter trug, in der ja wohl eine Schußwaffe steckte. Mit der angeprellten Hand war Fielding zur Zeit allerdings nicht in der Lage, diese Waffe zu ziehen.
Fielding schien sich in sein Schicksal ergeben zu haben. Er ging auf die Haustür zu wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Doch Parker ließ sich nicht bluffen. Er wußte bereits jetzt, daß Fielding es mit einem erneuten Angriff versuchen würde.
Der Mann hätte sich die Sache bestimmt überlegt, wenn er gewußt hätte, daß Parker seinen Universal-Regenschirm abwehrbereit in der linken Hand hielt. Die schwarz behandschuhte Hand des Butlers umspannte den unteren Schirmstock, der Bambusgriff schwebte leicht erhoben in der Luft.
Sie hatten die Haustür noch nicht ganz erreicht, als der Angriff erfolgte.
Diesmal benutzte Fielding die noch intakte linke Hand. Er schwang sie zu einem gewaltigen Heumacher herum und hatte die feste Absicht, seine Faust in das Gesicht des Butlers zu setzen.
Doch der Mann entwickelte wiederum Pech.
Seine linke Hand wurde vom Bambusgriff des Regenschirms jäh abgebremst.
Und da dieser Bambusgriff eine Bleifüllung besaß, stöhnte Fielding erneut auf, schnappte keuchend nach Luft und starrte dann entgeistert auch auf seine zweite, im Moment nicht mehr brauchbare Hand.
»Vorschnell ist die Jugend manchmal mit der Tat«, zitierte Parker in leichter Abwandlung eines bekannten Sprichworts. »Nun werden zwei kühle Umschläge vonnöten sein.«
»Dafür … dafür sprechen wir uns noch«, sagte Fielding, nuschelnd und ein wenig stotternd vor Schmerzen. »Was wollen Sie eigentlich von mir?«
»Diese Frage werde ich Ihnen selbstverständlich noch beantworten«, versicherte Parker dem Mann. »Vorher sollten wir uns aber noch mit den alten Herrschaften unterhalten.«
Die Tür zu dem hübschen kleinen Haus öffnete sich wie auf ein Stichwort hin.
Ein Herr, runde 60, Typ pensionierter Indien-Offizier, starrte ängstlich und nicht verstehend auf die beiden Besucher. Der Mann trug eine Hausjacke und graue Flanellhosen.
»Ich erlaube mir, einen guten Nachmittag zu wünschen«, sagte Parker gemessen. »Mein Name ist Parker. Josuah Parker. Ich habe die Ehre der Butler Lady Simpsons zu sein.«
»Lady Simpson?«
»Jene Dame, die zusammen mit Ihnen und Ihrer Frau den Verkehrsunfall beobachtete.«
»Wir … wir haben nichts gesehen«, sagte der alte Herr etwas zu schnell und sah Fielding scheu an. »Das habe ich schon diesem Herrn gesagt. Wir wissen absolut von nichts. Wir waren viel zu überrascht. Das haben wir auch schon an der Unglücksstelle gegenüber der Polizei geäußert.«
»Sie können sich demnach an nichts erinnern?« vergewisserte sich Parker freundlich. Er wußte bereits genug und konnte sich vorstellen, daß Fielding für diese Aussage gesorgt hatte.
»Genau! An nichts! Das ging ja alles so schnell, verstehen Sie? Wir wissen noch nicht mal, was für ein Wagen das war.« Während der alte Herr redete, sah er wie gebannt auf Fielding. Er hatte eindeutig Angst vor seinem Besucher.
»Dann wünsche ich noch einen angstfreien Nachmittag«, sagte der Butler freundlich. »Der Dame des Hauses geht es gut?«
»Alles in bester Ordnung«, gab der Hausherr hastig zurück. »Meine Empfehlung an Ihre Lady. Wie war doch der Name?«
»Lady Agatha Simpson«, wiederholte der Butler. »Mister Fielding und meine bescheidene Wenigkeit dürfen uns empfehlen, nicht wahr?«
Als der alte Herr im Haus verschwunden war, deutete Parker mit der Spitze seines Regenschirms hinüber zur Straße und nickte seinem leicht stöhnenden Begleiter aufmunternd zu.
»Was wollen Sie denn noch?« fragte Fielding mit vor Schmerz gepreßter Stimme, als er zur Straße marschierte.
»Nur eine bescheidene Auskunft«, gab der Butler gemessen zurück, »für wen ermitteln Sie in Sachen Fahrerflucht?«
»Das geht Sie doch einen Dreck an«, brauste Fielding überraschend auf. Was den Butler verständlicherweise stutzig werden ließ. Wieso bekam Fielding plötzlich Oberwasser? Hatte er drüben auf der Straße etwas entdeckt, das ihm, Josuah Parker entgangen war?
Parker dachte sofort an den Fahrer mit der Sonnenbrille, der ihm in einem Hillman gefolgt war.
Im gleichen Augenblick meldete sich bereits seine innere Alarmanlage.
Nachhaltig und warnend.
*
Parker überlegte nicht lange.
Eben noch schräg hinter Fielding gehend, wechselte er sofort seinen Standort und verschwand hinter dem Rücken seines Begleiters.
Was sich auszahlte.
Von irgendwoher war plötzlich ein »Plopp« zu hören, das an das Öffnen einer Champagnerflasche erinnerte. Doch Parker hatte längst den scharfen Luftzug einer vorbeizischenden Kugel gehört, die Bruchteile von Sekunden später in der Hauswand hinter ihm landete.
Fielding nutzte seine Chance und rannte los.
Doch er kam nicht sehr weit.
Mitten im Start legte sich Parkers Regenschirmgriff sehr nachdrücklich um seinen Hals und stoppte ihn.
Fielding gurgelte überrascht auf und zappelte wütend herum. Er wollte den Bambusgriff des Regenschirms schnappen, doch seine leicht lädierten Hände richteten nicht viel aus. Sie waren noch nicht gebrauchsfähig.
»Galt der Schuß nun Ihnen oder meiner Wenigkeit?« fragte Parker, der sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen ließ. Fielding am Hals haltend, näherte er sich einem nahen Strauch.
»Lassen Sie mich los!« keuchte Fielding verzweifelt und wütend, »loslassen, sage ich!«
»Gewiß, Mister Fielding«, erwiderte Parker höflich, »aber wir wollen doch nicht vorschnell handeln.«
Sich dicht hinter Fielding haltend, erreichte er den Strauch und sah von hier aus hinüber zur Straße. Für einen Moment tauchte dort ein Mann auf, der eine Sonnenbrille trug.
Es mußte sich um den Fahrer des Hillman handeln. Gewiß, er hatte den Fahrer abgeschüttelt, aber der Sonnenbrillenträger mußte die Adresse des älteren Ehepaares wohl gekannt haben.
»Ihr Partner scheint ungeduldig zu werden«, sagte Parker zu Fielding, »ich habe keine Einwände dagegen, wenn Sie sich jetzt entfernen wollen.«
Fielding spürte, daß der Bambusgriff sich von seinem Adamsapfel löste und sah sich unschlüssig nach Parker um. Doch der Butler war bereits geschickt hinter der nahen Hausecke verschwunden und damit für einen zweiten Schuß unerreichbar.
Fielding lief los, überquerte den Rasen und rannte zur Straße zu. Zwischendurch sah er sich verschiedentlich um. Fürchtete er, von Parker in eine Falle bugsiert worden zu sein! Rechnete er vielleicht mit einem Schuß des Butlers?
Er erreichte die Straße.
Parker hinter der schützenden Hausecke hörte das Aufheulen eines Motors, dann das Quietschen anfahrender Reifen. Fielding und sein Partner setzten sich ab.
Der Butler ging ums Haus herum und sah sich einer kleinen Terrasse gegenüber.
An der geöffneten Tür stand der alte Herr, vorsichtig, abwartend, nervös. Als er Parker sah, wollte er schleunigst die halb geöffnete Tür schließen.
Parker schob die Spitze seines Regenschirms in den Türspalt und lüftete erneut seine schwarze Melone.
»Ich darf Ihnen versichern, daß ich Ihre Situation sehr gut verstehe«, sagte er dann gemessen. »Wenn ich mir einen Rat erlauben darf, Sir, so sollten Sie diesen Zwischenfall keineswegs der Polizei melden.«
»Welchen Zwischenfall?« Der ältere Herr tat ahnungslos.
»Den Besuch dieses unangenehmen Mister Fielding«, redete Parker weiter. »Seine Drohungen sollten Sie nicht auf die leichte Schulter nehmen.«
Der ältere Herr sah den Butler starr an, um dann überraschend die Tür weit zu öffnen.
»Kommen Sie herein«, meinte er. »Ich weiß nicht, was ich machen soll. Meine Frau stirbt fast vor Angst«
*
»Psychischer Terror also«, stellte Lady Simpson fest nachdem Parker seinen Bericht abgeliefert hatte. »Ich hoffe, Mister Parker, Sie wissen, was wir zu tun haben.«
»Sehr wohl, Mylady.«
»Das Ehepaar Clinton muß umgehend in Sicherheit gebracht werden«, entschied Agatha Simpson und sah ihren Butler und Kathy Porter unternehmungslustig an.
»In der Tat Mylady.«
»Ob man auch noch bei mir erscheinen wird, um mich unter Druck zu setzen?« Agatha Simpson wanderte in dem großen Wohnraum ihres Hauses energisch auf und ab. »Ich würde mich freuen.«
»Auf einen Besuch bei Mylady wird man wohl mit Sicherheit verzichten«, mutmaßte der Butler würdevoll. »Es dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben, wer Mylady sind.«
»Hoffentlich«, stellte die ältere kriegerische Dame fest »Ich würde solch einem Subjekt nämlich die Hölle heiß machen, verstehen Sie?«
»Gewiß, Mylady«, pflichtete der Butler ihr bei, »man wird sich anderer Mittel bedienen, wenn ich darauf aufmerksam machen darf.«
»Nämlich?«
»Mit Schüssen aus dem Hinterhalt ist mit Sicherheit zu rechnen.«
»Sie glauben, man will mich ermorden?« Lady Agatha blieb stehen und sah den Butler forschend an.
»Ich fürchte, Mylady, daß dem so sein wird.«
»Dann muß der Amokfahrer im weitesten Sinn ein hier an der Küste bekannter Mann sein.«
»Von dieser Voraussetzung sollte man ausgehen. Ein Mann, der über sehr viel Geld und Einfluß verfügt Ein Mann, der es sich ohne Schwierigkeiten leisten kann, Gangster für sich arbeiten zu lassen.«
»Dazu sah dieses Subjekt zu jung aus«, stellte Agatha Simpson fest.
»Vielleicht ist es der Sohn eines solchen Mannes«, warf Kathy Porter ein.
»Sehr gut, Kindchen«, lobte die Detektivin und nickte beifällig, »das schmeckt mir. Dieser Mörder am Steuer ist höchstens 25 bis 28 Jahre alt.«
Lady Agatha konnte sich über dieses Thema leider nicht weiter verbreiten.
Die große Panoramascheibe des Wohnraums barst plötzlich auseinander. Ein Regen von kleinen und großen Scherben regnete auf die Teppiche herab. Der Einschlag eines Geschosses fetzte ein Bild von der Wand.
Während Kathy Porter sofort in Deckung ging, versetzte Butler Parker Mylady einen nicht gerade sanften Stoß gegen die rechte Schulter und beförderte sie damit tief in einen an sich bequemen Sessel.
»Das ist aber doch die Höhe!« Agatha Simpson sah den Butler entrüstet an. Sie meinte allerdings die Panoramascheibe und das zerfetzte Bild.
»Ich bitte, mir meine Kühnheit zu verzeihen«, entschuldigte sich Parker gemessen.
»Papperlapapp«, fuhr sie ihn an. »Hier geht es nicht um mich, sondern um das Bild. Dennoch fühle ich mich sehr angeregt, Mister Parker. Die Dinge scheinen in Fluß zu kommen. Lassen Sie sich etwas einfallen! Man wird mich noch kennenlernen«
*
Josuah Parker war keineswegs überrascht, als das Telefon anschlug. Eigentlich wußte er bereits im voraus, um was es sich handelte. Er hob ab und meldete sich.
Eine undeutliche, gequetschte Stimme verlangte Agatha Simpson zu sprechen.
»Mylady ist dazu im Moment außerstande«, schwindelte der Butler, »Mylady ist von einem kleinen Unwohlsein befallen worden.«
»Ach nee.« Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang äußerst zufrieden. »Klappt ja besser als erwartet.«
»Darf ich erfahren, um was es sich handelt und mit wem ich spreche?« erkundigte sich Parker.
»Mein Name tut nichts zur Sache«, lautete die Antwort, »aber um was es sich handelt, das können Sie erfahren, Parker. Sagen Sie Ihrem alten Mädchen, daß sie schleunigst auf Gedächtnisschwäche umschalten muß, wenn sie noch was vom Leben haben will!«
»Ich muß freimütig gestehen, daß ich kein Wort verstehe.«
»Stellen Sie sich bloß nicht so blöd an, Parker.« Sie wissen verdammt genau Bescheid! Ich sage nur Verkehrsunfall und Triumph …«
»Ich spreche demnach mit Mister Fielding?«
»Der wird sich später noch bei Ihnen melden, Parker. Also, sagen Sie Lady Simpson, daß sie klug sein soll. Sie vergißt besser auch, wie der Fahrer des Triumph aussieht, klar?«
»Der Schuß durch die Scheibe hat Ihren Worten bereits Nachdruck verliehen«, stellte der Butler fest.
»Genau, Parker.« Es klickte in der Leitung, womit das Gespräch seinen Abschluß fand. Parker informierte Agatha Simpson, die ihn allerdings empört ansah.
»Wieso bin ich von einem leichten Unwohlsein befallen?« fragte sie gereizt. »Ich fühle mich äußerst angeregt.«
»Was die Gegenseite nicht unbedingt zu wissen braucht, Mylady.«
»Ausnahmsweise haben Sie mal recht«, gab Agatha Simpson zurück. »Spielen wir also die Angsthasen. Das schwebt Ihnen doch wohl vor, oder?«
»Gewiß, Mylady. So etwas sehen Gangster immer mit einigem Wohlgefallen.«
»Und was werden wir tatsächlich tun?« wollte die resolute Detektivin wissen.
»Ich möchte mir die Freiheit nehmen, Mylady einen Plan vorzuschlagen«, erwiderte Parker. »Man muß wohl von der Tatsache ausgehen, daß Myladys Haus gewissenhaft überwacht wird. Daraus ließe sich unter Umständen Kapital schlagen, wenn ich es so ausdrücken darf.«
*
Fielding war nicht ganz bei der Sache.
Er saß neben dem Fahrer des Wagens und schaute immer wieder auf seine beiden Hände, die in weiten Fäustlingen steckten. Seine Hände schmerzten immer noch gewaltig. Sie waren zwar behandelt und verpflastert worden, doch er hatte das Gefühl, daß er sich wenigstens drei Fingerknöchel angebrochen hatte.
Der Fahrer des VW, in dem sie saßen, trug eine Sonnenbrille und gab sich heiter. Er redete ununterbrochen.
»Wetten, daß die Lady samt ihrem Personal abhauen wird?« sagte er gerade zu Fielding und hob das schwere Fernglas, um die Rückseite des Hauses zu beobachten. »Der Schuß durch die Scheibe war genau die richtige Masche.«
Der Fahrer hieß Joe Lanters und machte einen gepflegten Eindruck. Er trug einen gutsitzenden Anzug, ein teures Hemd und erinnerte irgendwie an einen aufmerksamen Sekretär.
»In ein paar Stunden ist das ganze Theater vorüber«, redete er weiter und zündete sich lässig eine Zigarette an. »Der Chef braucht sich überhaupt keine Sorgen zu machen.«
»Du kennst diesen Butler nicht«, warf Charles Fielding ein. »Ich weiß, daß der Bursche einen doppelten Boden hat.«
»Wegen deiner Flossen? Hast eben nicht aufgepaßt, Charles. Mir wäre so was nicht passiert. Aber ist ja jetzt gleichgültig, Hauptsache, die Sache verläuft im Sand.«
»Hoffentlich.« Charles Fielding blieb skeptisch.
»Die Lady fühlt sich unwohl«, stellte Joe Lanters lächelnd fest, »habe ich eben selbst von ihrem Butler gehört. Die muß ganz schön am Boden gewesen sein, als die Scheibe zu Bruch ging.«
Joe Lanters hatte den Schuß abgefeuert und anschließend mit dem Butler des Hauses gesprochen. Er war sich seiner Sache wirklich sicher. Joe Lanters war Profi, der sich auf Psychoterror verstand. In der Vergangenheit hatte er bereits in zwei Fällen Erfolg mit dieser Taktik gehabt.
»Na, bitte.« Lanters richtete sich hoch und sah wieder durch das Fernglas. »Was ich gesagt habe, Charles. Sie hauen bereits ab.«
Durch das Glas war deutlich zu erkennen, wie der Butler einige Reisetaschen in seinem hochbeinigen Wagen verstaute. Dieses Gefährt, das so nachhaltig an ein Londoner Taxi erinnerte, stand seitlich neben dem Haus und war von ihrem Standort aus genau zu sehen.
Wenig später folgten Agatha Simpson und ihre Gesellschafterin.
Joe Lanters lächelte triumphierend.
»Sie hüpft wie eine Heuschrecke«, stellte er fest, als die Lady tatsächlich mit etwas grotesk wirkenden Sprüngen zum Wagen eilte und in ihm verschwand.
»Sehen wir uns mal an, wohin die fahren«, sagte Joe Lanters und startete mit dem VW. »Ich lasse mich nicht gern aufs Kreuz legen.«
Lanters kannte sich gut aus.
Er steuerte den VW in schneller Fahrt hindurch zur Verbindungsstraße und entdeckte etwa zweihundert Meter vor sich den hochbeinigen Wagen, der bereits in Richtung Exeter fuhr.
»Die rauschen nach London«, behauptete Lanters. »Hals über Kopf, Charles. Die Lady hat jetzt schon vergessen, was sie gesehen hat, wetten?«
»Du hast diesen verdammten Butler nicht erlebt«, erwiderte Fielding verbissen. »Ich spüre es noch jetzt.« Erneut hob er anklagend die beiden Hände, die in den weiten Fäustlingen untergebracht waren.
Joe Lanters zuckte die Schultern und enthielt sich eines Kommentars. Charles Fielding hatte sich in seinen Augen wie ein Vollidiot benommen. Aber darüber zu reden, lohnte sich nicht mehr. Dieser Zwischenfall war bereits Vergangenheit.
Lanters steigerte die Geschwindigkeit des VW und schloß zu dem hochbeinigen, schwarzen Wagen auf.
Die hinteren und seitlichen Fenster waren durch grau-grüne, kleine Vorhänge zusätzlich verschlossen, Agatha Simpson wollte offensichtlich keine Zielscheibe abgeben. Ihre Angst vor einem Schuß aus dem Hinterhalt mußte sehr groß sein.
»Tauch mal für einen Moment weg«, sagte Lanters zu seinem Begleiter, »ich werd den Schlitten jetzt überholen.«
Charles Fielding rutschte vom Sitz nach unten und ging in volle Deckung. Lanters nahm sicherheitshalber seine Sonnenbrille ab und setzte sich seine karierte Mütze auf, die sein Aussehen völlig veränderte. Dann überholte er den langsam dahinrollenden schwarzen Wagen und warf einen kurzen Blick in das Innere.
Am Steuer des hochbeinigen Monstrums saß Butler Parker.
Im Fond waren die beiden Frauen deutlich zu erkennen. Ängstlich zusammengerückt befanden sie sich in dem Zustand, den Lanters durch den Schuß und den Anruf hatte erreichen wollen: Sie zitterten wahrscheinlich vor Angst.
*
Im Exeter angekommen, drehten Joe Lanters und Charles Fielding bei. Es war klar zu erkennen, daß Mylady samt ihrer Begleitung weiter in Richtung London fuhr.
Lanters und Fielding warteten, bis der hochbeinige Wagen auf dem Motorway verschwunden war, dann suchten sie einen Schnellimbiß an der Autostraße auf und stärkten sich. Da Fielding wegen seiner verpflasterten Hände ein wenig gehandicapt war, rief Lanters in Torquay an. Er wählte die Nummer eines Nachtclubs und ließ sich einen gewissen McAllister geben.
»Alles in bester Ordnung«, meldete er militärisch knapp. »Die Simpson rauscht bereits in Richtung London.«
»Von wo rufst du an?«
»Exeter.«
»Sieht so aus, als würde sie tatsächlich abhauen«, antwortete McAllister mit einer Stimme, die erstaunlicherweise fast etwas erleichtert klang.
»Hast du daran gezweifelt?«
»Fast«, gab McAllister zurück. »Ich habe inzwischen gehört, daß diese Lady eine tolle Nummer sein soll. Ganz zu schweigen von ihrem Butler.«
»Ich verstehe kein Wort.«
»Die alte Dame macht Arger am laufenden Band. Spielt sich als eine Art Privatdetektiv auf. Und was diesen Butler betrifft, so ist er schon geradezu berüchtigt.«
»Hört sich maßlos übertrieben an«, sagte Lanters, »die sind wir auf jeden Fall los.«
»Okay, dann kommt zurück und seht euch die Hütte der Lady mal ganz aus der Nähe an. Anschließend dann zu mir in den Club, alles klar?«
Lanters hatte keine weiteren Fragen mehr und legte auf. Als er zurück zu seinem Partner Fielding an den Tisch ging, dachte er über dessen Warnung hinsichtlich des Butlers nach. Charles Fielding behauptete schließlich, Parker verfüge über einen doppelten Boden und habe es faustdick hinter den Ohren.
Um Fielding aber nicht noch nervöser zu machen, stellte er ihm zu Parker keine weiteren Fragen. Sie tranken ihren Kaffee und gingen dann zu ihrem Wagen, der auf dem Parkplatz seitlich neben dem Schnellimbiß stand.
Es war Fielding, der es zuerst entdeckte.
»Sieh dir das an!« Er blieb jäh stehen und deutete auf die beiden Hinterreifen, die einen ausgesprochen luftleeren Eindruck machten.
»Plattfuß«, kommentierte Lanters verdutzt, »und zwar beide Reifen.«
»Alle vier«, korrigierte ihn Fielding, der vorausgegangen war und auf die beiden Vorderräder wies, »alle vier … Wenn das ein Zufall sein soll, fresse ich einen Besen quer.«
»Das verstehe ich nicht.« Lanters brauchte einige Zeit, um die unangenehme Überraschung zu verdauen.
»Die Lady und ihr Butler«, gab Fielding lakonisch zurück.
»Ausgeschlossen!«
»Sieh mal da hinüber, Joe! Da steht sie ja in voller Größe!«
Die beiden Gangster beobachteten Agatha Simpson, oder besser gesagt das, was von ihr zu erkennen war. Sie stand neben Parkers hochbeinigem Wagen und traf gerade Anstalten, nach hinten in den Fond zu steigen.
»Der werde ich was erzählen!« Lanters setzte sich sofort in Bewegung, gefolgt von Fielding, der etwas vorsichtiger war und sich unentwegt nach Josuah Parker umsah.
Nach etwa 20 Metern hatte Lanters den Wagen erreicht und riß die hintere rechte Tür wütend auf. Er hielt selbstverständlich schon einen bullig aussehenden, kurzläufigen Revolver in der Hand.
»Aber nicht mit mir«, sagte er dazu und stierte irritiert auf den leeren Hintersitz. Von einer Lady Agatha war weit und breit nichts zu sehen!
Sie Stand nämlich hinter ihm.
Mylady war zwar wirklich in den Wagen gestiegen, hatte ihn aber sofort wieder durch die gegenüberliegende Tür verlassen.
Agatha Simpson spielte nicht unnötig mit der Gefahr.
Sie schwenkte ihren Pompadour bereits energisch mit der rechten Hand. Dieses mit Strass und Perlen bestickte Handbeutelchen, wie es von älteren Damen noch verwendet wird, hatte es in sich. Es enthielt Lady Simpsons Glücksbringer, ein Hufeisen, das mal zu einem Traberpferd gehört hatte.
Lanters hörte hinter sich ein Geräusch, spürte noch den Luftzug des herunterfallenden Pompadours und hatte fast synchron dazu das Gefühl, von einem auskeilenden Pferd getroffen zu sein.
Joe Lanters stöhnte fast wohlig auf, als er sich seiner plötzlichen Müdigkeit voll hingab und zu Boden rutschte. Er war bereits im oft zitierten Land der Träume, als er den Asphalt des Parkplatzes erreichte.