Читать книгу Der exzellente Butler Parker 8 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3

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»Was soll denn das, Mister Parker?« fragte Lady Agatha Simpson grollend, als der Butler jäh bremste. Der Rest ihrer Frage ging in einem empörten Aufschrei unter, als Josuah Parker sein hochbeiniges Monstrum auf den Gehweg bugsierte, ohne dies anzukündigen.

»Ein offensichtlich angetrunkener Passant zeigte Neigung, gegen den Kühler des Wagens zu laufen«, antwortete der Butler. »Mylady werden sicher Verständnis dafür aufbringen, daß meine bescheidene Wenigkeit entsprechend reagierte.«

»Und wo steckt dieses Subjekt jetzt?« wollte sie wissen und rückte ihre verrutschte Hutschöpfung zurecht. »Ich denke, ich werde mit diesem Lümmel ein ernstes Wort reden.«

»Der Passant, Mylady, hat sich inzwischen auf dem Asphalt gelagert«, erklärte Josuah Parker, öffnete die Fahrertür und stieg aus. Gemessen schritt er zu dem Mann, der mit angezogenen Beinen auf der Straße lag und laut und deutlich schnarchte.

Parker stieß den Schnarchenden mit der Spitze seines altväterlich gebundenen Regenschirmes an, doch von einer Reaktion war nichts zu bemerken. Der Mann schnaufte nach einigen Sekunden geradezu wohlig und legte sich auf die andere Seite.

Er mochte etwa vierzig sein, trug einen abgetragenen Anzug und war sehr unrasiert. Ihn umgab ein Dunst von schalem Bier und Tabakrauch.

Butler Parker leistete sofort erste Hilfe.

Mit der rechten Hand, die von einem schwarzen Lederhandschuh umschlossen wurde, griff er in den Rockkragen des Mannes und schleifte ihn erst mal von der Straße. Dann legte er den Mann, der unablässig brabbelte, vor dem Ziergitter eines kleinen Vorgartens ab.

»Hallo, Sportsfreund«, sagte der Mann, der augenscheinlich sinnlos betrunken war. Er blinzelte den Butler an und war kaum zu verstehen.

»Sie scheinen dem Alkohol extensiv zugesprochen zu haben«, stellte der Butler fest. »Haben Sie es noch weit bis zu Ihrer Wohnung?«

»Scheißwohnung, ich mach’ durch«, brabbelte der Mann, »ich... ich schmeiß die nächste Runde.«

»Was ist denn nun, Mister Parker?« ließ Lady Agatha sich ungeduldig vernehmen. Ihre tiefe und sonore Stimme trug weit durch die Dunkelheit. Sie war auf dem Weg zu einem Empfang und wußte, daß dort ein reichhaltiges kaltes Büffet auf sie wartete. Lady Agatha fürchtete, zu spät zu kommen.

Parker war einen halben Schritt zurückgetreten und beobachtete die linke Hand des Mannes, die in die Außentasche des Jacketts gegriffen hatte. Sie kam wieder mühsam hervor und präsentierte zu seiner Überraschung ein Knäuel zerknüllter Banknoten. Der Betrunkene nahm langsam die Hand hoch und ließ die Scheine durch die Luft flattern.

»Ihr Verhältnis zum Geld scheint recht oberflächlich zu sein«, sagte Parker beherrscht. »Sollten Sie sich nicht ein Taxi mieten?« Der Butler wunderte sich ein wenig.

Der Mann, sehr ärmlich, fast angerissen gekleidet, warf mit dem Geld im wahrsten Sinn des Wortes nur so um sich. Er schien überhaupt nicht zu wissen, was er tat.

Bevor Parker dem Betrunkenen eine weitere Frage stellen konnte, hörte er schnelle Schritte aus einer nahen Seitengasse. Wenig später erschienen im Licht einer Straßenlaterne zwei Männer, die noch schneller wurden, als sie den betrunkenen Mann am Ziergitter ausgemacht hatten.

»Total ausgeflippt«, sagte einer von ihnen, als sie den Betrunkenen erreicht hatten.

»Fein, daß Sie sich um ihn gekümmert haben«, bedankte sich der zweite Mann und beugte sich dann über den Betrunkenen. »Komm schon, Ron, wir bringen dich nach Hause.«

»Prima, daß Sie sich um ihn gekümmert haben«, sagte der erste Mann zu Parker und nickte ihm zu. »Wir hatten ihn glatt aus den Augen verloren.«

»Den Rest erledigen wir«, meinte der andere Mann, zog den Betrunkenen hoch und stützte ihn ab.

»Sie können weiterfahren, den Rest erledigen wir«, wiederholte sein Begleiter, der ein wenig ungeduldig wurde. Er befaßte sich ebenfalls mit dem Betrunkenen und stützte ihn zusätzlich.

»Darf man Sie höflichst auf die Banknoten verweisen, die in großzügiger Form als eine Art Konfetti verstreut wurden?« Parker blieb gemessen und würdevoll. Er spürte aber sehr wohl die Ungeduld der beiden Männer, die endlich allein sein wollten.

»Okay, Mann, sammeln Sie die Scheine und machen Sie sich ’ne tolle Nacht«, empfahl ihm er erste Mann. Er nickte seinem Begleiter zu und setzte sich in Bewegung.

»Sind Sie völlig sicher, mein Herr, daß Sie in dieser Form über das Geld Ihres Freundes verfügen dürfen?« erkundigte sich der Butler mit höflicher Hartnäckigkeit.

»Nun schwirr schon endlich ab, Mensch«, brüllte der zweite Mann wütend. »Verschwinde, oder ich mach’ dir Beine!«

»Ihre Manieren lassen erheblich zu wünschen übrig«, stellte Josuah Parker fest und rechnete mit einer umgehenden Attacke.

Er sollte sich nicht verrechnet haben!

*

Der Mann griff an, doch er war recht langsam und setzte auf seine Rechte, die er förmlich vorankündigte. Er holte weit aus und wollte mit einem einzigen Schlag die Debatte beenden. Dabei verschätzte er sich auch noch, was Parker betraf.

Der Butler wirkte alterslos, war etwas über mittelgroß und zeigte einen leichten Bauchansatz. Er trug einen schwarzen Covercoat und eine schwarze Melone. Seine Erscheinung, die aus einem Kostümfilm zu stammen schien, strahlte auf keinen Fall Gefährlichkeit aus.

Der Mann holte also mit seiner Rechten aus und wollte sie auf Parkers Nase ablegen, doch der Butler war mit dieser Prozedur keineswegs einverstanden. Er hob fast beiläufig die Spitze seines Universal-Regenschirmes und setzte sie auf die Schulter des zuschlagenden Mannes. Dabei verlieh er der Spitze einen gewissen Druck, der ausreichte, den Mann jaulen zu lassen.

»Man bittet um Entschuldigung, falls man Ihre Geste mißverstanden haben sollte«, sagte Parker und lüftete seine Melone. Es handelte sich dabei allerdings keineswegs um reine Höflichkeit, sondern er bereitete sich vor, den anderen Mann kampfunfähig zu machen. Der hatte den sinnlos Betrunkenen einfach zu Boden fällen lassen und lief auf Parker zu. Dabei aktivierte er leichtsinnigerweise ein Messer, dessen Schneide im Licht der Straßenbeleuchtung blitzte.

Der Mann kam nicht weit.

Er passierte das Heck des hochbeinigen Wagens, in dem Lady Agatha zurückgeblieben war. Nun aber stellte sich heraus, daß sie ihn inzwischen verlassen hatte. Sie hatte ihren perlenbestickten Pompadour geschwungen und setzte ihn auf den Hinterkopf des vorbeilaufenden Mannes.

Er schien vom Huftritt eines unsichtbaren Pferdes getroffen worden zu sein. Der Mann warf beide Arme nach vorn, drückte sich unfreiwillig vom Gehweg ab und segelte ein Stück durch die Luft. Dabei passierte er den Butler, der höflich zur Seite getreten war, um den Flug des Mannes nicht zu behindern.

Der sogenannte Glücksbringer der Lady Agatha hatte wieder mal volle Wirkung erzielt. Er befand sich im Handbeutel der älteren Dame und war nichts anderes als das große und schwere Hufeisen eines stämmigen Brauereipferdes.

Der Getroffene hatte inzwischen bereits zur Landung angesetzt und schrammte über die Gehwegplatten. Er blieb dicht vor dem Vorderrad des hochbeinigen Wagens liegen.

»Was wären Sie ohne mich, Mister Parker?« stellte die passionierte Detektivin zufrieden fest. »Dieses Subjekt hätte Sie natürlich völlig überrascht.«

»Myladys Geistesgegenwart ist einfach nicht zu übertreffen«, erwiderte Josuah Parker höflich. »Die beiden hilfsbereiten Herren zeigten übrigens eine Ungeduld, die Mißtrauen aufkommen läßt.«

»Zwei Fledderer, Mister Parker«, meinte Lady Agatha verächtlich. »Sie wollten den Betrunkenen ausnehmen.«

»Und verzichteten, falls dem so ist, Mylady, auf die verstreuten Banknoten.« Parker wies mit der Schirmspitze auf einige Geldscheine.

»Das fiel mir sofort auf«, erklärte sie umgehend. »Darüber habe ich mir bereits meine Gedanken gemacht, Mister Parker.«

»Mylady kamen zu einem Resultat?« fragte Josuah Parker.

»Natürlich«, lautete ihre Antwort. »Das hat etwas zu bedeuten, Mister Parker. Dessen bin ich mir völlig sicher.«

»Mylady gehen davon aus, daß es den beiden Herren in erster Linie keineswegs um das Geld ging?«

»Richtig, Mister Parker.« Sie nickte nachdrücklich. »Soviel Geld läßt man nicht grundlos herumliegen.«

»Falls Mylady einverstanden sind, könnte man den Tascheninhalt der drei Herren kontrollieren.«

»Ich bestehe sogar darauf«, meinte sie. »Ich weiß bereits jetzt, daß Sie Schußwaffen finden werden, Mister Parker. Ich habe es hier mit drei gefährlichen Gangstern zu tun.«

Butler Parker machte sich daran, die Männer zu durchsuchen.

*

»Und Sie fanden Waffen?« fragte Mike Rander etwa eine Stunde später. Der Anwalt, der das immense Vermögen der Lady Simpson verwaltete, war zusammen mit Kathy Porter im Haus der älteren Dame erschienen. Man saß in der großen Wohnhalle vor dem mächtigen Kamin, und Lady Agatha hatte gerade eine dramatische Schilderung des Zwischenfalls gegeben.

»Mister Parker behauptet, nichts entdeckt zu haben, mein lieber Junge«, antwortete Agatha Simpson.

»Keine Schußwaffen, Sir«, schaltete der Butler sich ein, »erstaunlicherweise aber recht viel Geld.«

»Das natürlich gestohlen ist«, wußte Lady Agatha bereits im vorhinein. Sie legte sich gern und vorschnell fest, um sich dann jedoch immer wieder geschickt zu korrigieren.

»Die Taschen des betrunkenen Subjekts waren mit Papiergeld vollgestopft, Kindchen«, fügte Lady Simpson ihrem Bericht noch hinzu. »Ich hätte es liebend gern sichergestellt.«

»Wozu es aber nicht kam, Mylady?« wollte Kathy Porter wissen. Sie war die Sekretärin und Gesellschafterin der Dame, die alles tat, um sie mit Mike Rander endlich verheiraten zu können.

Kathy Porter, etwa dreißig Jahre alt, war eine große, schlanke Frau von bemerkenswert gutem Aussehen. Man sah ihr nicht an, daß sie in den gängigen Verteidigungskünsten Asiens beschlagen war, zumal sie sehr zurückhaltend wirkte.

»Passanten, die den Zwischenfall beobachteten, müssen die zuständige Polizei alarmiert haben, Miß Porter«, übernahm Butler Parker die Antwort. »Meine bescheidene Wenigkeit hielt es für angebracht, das sprichwörtliche Feld zu räumen.«

»Was natürlich ein Fehler war, Mister Parker«, schnappte Lady Agatha zu.

»Vielleicht nur auf den ersten Blick, Mylady«, redete Parker in seiner höflichen Art weiter. »Chief-Superintendent McWarden hätte mit Sicherheit erfahren, daß Mylady sich anzuschicken geruhen, einen neuen Kriminalfall zu übernehmen.«

»Aber dafür weiß ich nicht, wer die drei Lümmel sind«, gab sie erbost zurück.

»Dazu müßte man jenem Privatclub einen Besuch abstatten, Mylady, den man mit dem Wagen passierte.«

»Die drei Burschen kamen aus diesem Privatclub?« wollte der Anwalt wissen. Er glich, was sein Äußeres anging, einem bekannten James-Bond-Darsteller.

»Einer der drei Männer schaffte es gerade noch, vor dem Eintreffen der Polizei diesen Privatclub aufzusuchen, wie Mylady und meine Wenigkeit feststellen konnten, Sir.«

»Dann wird es keine Schwierigkeiten geben«, vermutete der Anwalt. »Kündigt sich hier tatsächlich ein neuer Fall an? Es ist ja schließlich nichts passiert.«

»Warum wollte man mich angreifen? Warum bedrohte man mich mit einem Messer?« fragte Agatha Simpson zurück. »Man hat etwas zu verbergen. Und dann noch dieses seltsame Benehmen der beiden Lümmel, die den Betrunkenen wegschaffen wollten. Warum verzichteten sie so ohne weiteres auf die Banknoten, die auf dem Gehweg lagen? Das gerade fiel mir besonders auf, wie ich Mister Parker bereits sagte. Ihm scheint das völlig entgangen zu sein.«

»Mylady können einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann hoffentlich noch mal verzeihen«, bat Josuah Parker. Sein Gesicht blieb glatt und ausdruckslos.

»Wie auch immer, Mister Parker, ich habe große Lust, den Dingen noch in dieser Nacht auf den Grund zu gehen«, redete die ältere Dame munter weiter. »Es ist ja noch nicht mal Mitternacht. Und das Fernsehprogramm ist ohnehin miserabel heute.«

»Sie haben sich nur kurz auf dem Empfang aufgehalten, Mylady?« erfragte Kathy Porter.

»Das kalte Büffet war schlichtweg miserabel«, beschwerte sich Mylady nachträglich. »Es war eine einzige Zumutung. Darüber werde ich mit dem Gastgeber noch ein ernstes Wort reden müssen.«

»Mylady hatten den Eindruck, daß die einzelnen Speisen aus einem billigen Schnellimbiß stammten«, fügte Parker gemessen hinzu.

»Und so etwas wagte man mir anzubieten«, entrüstete sich Lady Agatha und rümpfte die Nase. »Ich werde diesen seltsamen Gastgeber natürlich überall unmöglich machen. In höflicher Form, natürlich.«

»Können wir unsere Hilfe anbieten, was den Betrunkenen und die beiden anderen Burschen betrifft?« erkundigte sich Mike Rander.

»Aber nein, mein Junge«, wehrte Agatha Simpson großzügig ab. »In spätestens einer Stunde weiß ich selbstverständlich, was da draußen wirklich vorgefallen ist und woher das viele Geld stammt. Übrigens, Mister Parker, ich wenigstens habe daran gedacht, ein paar Beweisstücke mitzunehmen.«

»Einige Banknoten, Mylady«, antwortete der Butler. »Meine Wenigkeit war so frei, dies zufällig zu beobachten.«

»Vielleicht sind die Banknoten registriert und stammen aus einem Einbruch«, redete Lady Agatha weiter. »Normalerweise würde ich mich noch nicht mal nach einem Penny bücken.«

Nach dieser kühnen Behauptung wechselten Kathy Porter und Mike Rander einen schnellen Blick und hatten Mühe, ein aufsteigendes Schmunzeln zu unterdrücken.

*

Der Club in Chelsea, in den einer der drei Männer sich geflüchtet hatte, zeigte halbseidene Eleganz. Die anwesenden Damen waren durchweg zu auffällig geschminkt. Und ihr Schmuck zeichnete sich durch aufdringliche Größe und Massigkeit aus.

Die männlichen Gäste waren durchaus modisch gekleidet, aber eben zu modisch. Man bemühte sich um Seriosität, gab sich aber doch zu grell. Allein das spitze oder donnernde Gelächter hätte besser in einen Pub gepaßt.

Mylady rümpfte die Nase, als sie eintrat.

»Hier dürften einige Parfüm-Fläschchen ausgelaufen sein«, tadelte sie abfällig. »Guter Gott, Mister Parker, wohin haben Sie mich gebracht?«

»Mylady wünschen hier einen der drei Männer zu finden«, erinnerte Josuah Parker würdevoll. Er hatte einen freien Tisch erspäht und steuerte ihn an. Dabei übersah er souverän die mehr oder weniger erstaunten Blicke der Anwesenden und überhörte einige anzügliche Kommentare, die sein Aussehen betrafen.

Agatha Simpson hingegen bekam durchaus mit, was ihr an Kommentaren zugedacht wurde. Sie galten ihrem sehr bequemen, zu weiten Tweed-Kostüm, den derben, nicht gerade neuen Schuhen und vor allen Dingen ihrem Hut, der in der Tat eine eigenwillige Kreuzung aus einem Napfkuchen und einem Südwester zu sein schien.

Einer der männlichen Gäste tat sich bei diesen Kommentaren besonders hervor. Es handelte sich um einen breitschultrigen Mann von etwa vierzig Jahren, der mit Kollegen in einer Nische saß und besonders witzig sein wollte.

Er verglich Mylady leichtsinnigerweise und wesentlich zu laut mit einer abgetakelten Vogelscheuche. Diese Äußerung bereicherte er noch zusätzlich mit einem Hinweis auf Myladys Körperfülle.

Er fiel fast vom Sitz, nachdem Agatha Simpson ihn mit einer ihrer gefürchteten Ohrfeigen bedacht hatte. Der Mann rutschte haltlos gegen seinen Nebenmann, der zur Seite kippte und mit dem Kopf eine Zierpflanze in Bewegung setzte. Sie fiel über die hüfthohe Trennwand der Nische und landete auf dem Schoß einer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit leichten Dame.

Es handelte sich um eine Pflanze, die von einer Hydro-Kultur genährt wurde. Die entsprechende Flüssigkeit ergoß sich über das teure Kleid der Betroffenen, die einen grellen Schrei ausstieß.

»Wagen Sie es nicht noch mal, eine hilflose Frau zu beleidigen«, meinte Lady Agatha grollend. »Ich könnte sonst sehr ärgerlich werden.«

Nach dieser Feststellung schritt Mylady weiter und erinnerte dabei an eine Bühnen-Heroine, die ihren großen Auftritt hatte. Angst war ihr völlig fremd. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, daß irgendein Mensch es wagte, sich mit ihr anzulegen.

Parker war wachsam.

Er wartete, bis Mylady ihn erreicht hatte und sicherte dabei in Richtung Nische. Im halbdunklen Clubraum war verständlicherweise Unruhe aufgekommen.

Der Geohrfeigte hatte seine Benommenheit abgeschüttelt und stemmte sich hoch. Er hatte ganz klar die Absicht, sich mit Lady Agatha auseinanderzusetzen. Bevor er allerdings aktiv werden konnte, erschien der Manager des Clubs, ein Mann von ebenfalls etwa vierzig Jahren.

Er schob sich zwischen Mylady und dem Geohrfeigten, der sich aus der Nische schieben wollte. Er zischte ihm etwas zu, was Josuah Parker allerdings nicht verstehen konnte. Daraufhin nahm der Mann zögernd Platz, rieb sich die geohrfeigte Seite seines Gesichts und ließ sich von den übrigen Männern in der Nische beruhigen.

»Falls man Sie beleidigt haben sollte, Mylady, bitte ich um Entschuldigung«, sagte der Manager dann zu der älteren Dame.

»Sie kennen Mylady, wenn man höflich fragen darf?« erkundigte sich Josuah Parker.

»Nicht persönlich, nur vom Hörensagen«, erwiderte der Manager. »Wie gesagt, ich bitte um Entschuldigung, Mylady.«

»Ich fühle mich noch immer zutiefst beleidigt«, erklärte Agatha Simpson grollend. »Ich glaube kaum, daß ich zu versöhnen bin.«

»Darf ich Ihnen auf Kosten des Hauses einen Versöhnungsschluck anbieten?« fragte der Manager.

»Nun gut, gegen eine Flasche Champagner habe ich nichts einzuwenden«, willigte Mylady wohlwollend ein. »Anschließend werden Sie mir dann einige Fragen beantworten, junger Mann, die Mister Parker an Sie richten wird.«

*

Der Manager bemühte sich höchstpersönlich, Mylady Champagner zu kredenzen. Parker war nicht entgangen, daß er mit einigen Gästen schnelle Blicke tauschte. Dem Manager schien viel daran gelegen zu sein, daß die Situation sich entschärfte.

Dieser Mann schien auch über einen recht massiven Einfluß zu verfügen. Die Gäste in der Nische waren bereits aufgestanden und entfernten sich.

»Und nun zu meinen Fragen, junger Mann«, schickte die ältere Dame voraus, wobei sie auf Butler Parker deutete. »Ich erwarte, daß Sie mir nicht mit billigen Ausflüchten kommen.«

»Vor einigen Stunden hielten sich in diesem Club drei Personen männlichen Geschlechts auf, die über erstaunlich viel Geld verfügten«, schickte Parker gemessen voraus. »Einer der Männer war das, was man im Volksmund drastisch als sturzbetrunken zu bezeichnen pflegt. Er verließ seinen Club und wurde wenig später von den beiden anderen Männern quasi verfolgt.«

»Wollen Sie das etwa abstreiten, junger Mann?« herrschte Mylady den Manager umgehend an.

»Natürlich nicht, Mylady«, räumte der Manager ohne weiteres ein und nickte. »Ich war sogar froh, als die drei Männer endlich gegangen waren. Sie paßten einfach nicht in unseren Club.«

»Der mit Sicherheit betrunkene Mann hat den Vornamen Ron«, redete der Butler weiter. »Sie werden Mylady sicher mit dem Nachnamen dienen können.«

»Da muß ich bedauern, Mylady«, erklärte der Club-Manager. »Diese Männer waren vorher noch nie hier im Club. Da können Sie alle Angestellten fragen. Die werden Ihnen das bestätigen. Die drei Männer sind hier nicht bekannt.«

»Falls sich herausstellen wird, daß Sie mich belogen haben, junger Mann, werden Sie was erleben«, kündigte die ältere Dame resolut an. »Eine Lady Simpson belügt man nicht.«

»Ich habe ein gutes Gewissen, Mylady«, versicherte der Manager hastig.

»Sie sahen einen der drei Männer später noch mal?« wollte der Butler wissen.

»Wie meinen Sie das?« fragte der Club-Manager vorsichtig.

»Könnte es möglich sein, daß er später in diesen Club zurückkehrte?«

»Da bin ich ehrlich überfragt, ich bin ja nicht ununterbrochen hier vorn in den Räumen, ich habe auch in der Küche und im Büro zu tun.«

»Nun, Mister Parker, was halte ich von dieser Aussage?« wollte Lady Agatha von ihrem Butler wissen.

»Einer der beiden Männer, die dem Betrunkenen folgten, lief vor dem Eintreffen der Polizei zurück in den Club«, erinnerte der Butler. »Ein Irrtum ist ausgeschlossen.«

»Dann habe ich das bestimmt nicht mitbekommen«, verteidigte der Club-Manager sich. »Aber ich könnte ja mal die Angestellten fragen. Hat dieser Mann etwas angestellt? Darf man darüber mehr wissen, Mylady?«

»Er hat mich mit einem Messer bedroht und wollte mich umbringen«, erwiderte Agatha Simpson pauschal. »Dafür werde ich ihn zur Rechenschaft ziehen.«

»Ich werde sofort meine Angestellten befragen, Mylady«, bot der Club-Manager an. »Wenn Sie sich vielleicht ein wenig gedulden wollen?«

Die Detektivin nickte hoheitsvoll. Der Manager dienerte und verschwand hastig in Richtung Tresen. Als er hinter einer Tür verschwunden war, räusperte Mylady sich explosionsartig und blickte Parker leicht gereizt an.

»Ich wette, Mister Parker«, sagte sie, »daß man mich nach Strich und Faden belogen hat.«

»Falls Mylady erlauben, möchte meine Wenigkeit sich Myladys Betrachtungsweise anschließen«, erwiderte Josuah Parker. »Aus diesem Grund sollte man vielleicht dem Club-Manager folgen.«

»Genau das hatte ich vor«, wurde sie sofort wieder unternehmungslustig. »Wahrscheinlich ist er gerade dabei, seine Angestellten zu vergattern, Mister Parker. Kommen Sie, ich fühle mich ausgezeichnet, und zwar im Gegensatz zu diesem angeblichen Champagner, der ausgesprochen scheußlich ist.«

Sie stand auf und setzte ihre majestätische Fülle in Bewegung. Erfahrungsgemäß war sie jetzt nicht mehr zu stoppen.

*

»Das hier is’ privat«, sagte ein stämmiger Angestellter des Clubs, als Parker die bewußte Tür aufgedrückt hatte. Der Mann baute sich vor dem Butler auf und fühlte sich unüberwindbar.

»Mylady und meine Wenigkeit sind in der Tat völlig privat hier«, antwortete der Butler gemessen und ... setzte ihm den bleigefüllten Griff seines Universal-Regenschirmes ohne jede Vorankündigung auf die Stirn.

Dieser Begegnung war der Mann nicht gewachsen.

Er verdrehte die Augen nach oben, senkte sie dann wieder und schielte Parker an. Anschließend wurden seine Knie weich.

Der Stämmige rutschte haltlos in sich zusammen und scheuerte mit dem Rücken an der Wand des Korridors nach unten in Richtung Boden. Parker beobachtete interessiert diesen Weg in die totale Ruhelage.

»Nicht unbegabt, Mister Parker«, konstatierte die ältere Dame und nickte wohlgefällig, »aber vielleicht hätten Sie doch ein wenig kräftiger zuschlagen sollen.«

»Ein Rat, Mylady, den meine Wenigkeit sich zu Herzen nehmen wird«, gab der Butler zurück und stieg über den am Boden liegenden Stämmigen.

Agatha Simpson folgte und marschierte energisch zu einer Tür, die am Ende des Korridors zu sehen war. Man hörte eine Stimme, die nachdrücklich und nervös zugleich klang. Sie gehörte eindeutig dem Club-Manager, wie Parker heraushörte.

»... jetzt endlich begriffen?« fragte der Manager. »Ich werd’ deine Adresse nennen, Junge. Und wenn die beiden Typen dann aufkreuzen, laß die Falle zuschnappen und sorg dafür, daß sie für die nächsten Wochen in Gips liegen.«

Parker und Mylady verharrten vor der angelehnten Tür und hörten weiter zu. Der Club-Manager schärfte seinem Gesprächspartner größte Vorsicht ein und nannte in diesem Zusammenhang die Namen der beiden Besucher, die er vorbeischicken wollte.

»Schnapp dir ein paar erstklassige Leute«, schloß der Club-Manager das Gespräch. »Laßt euch bloß nicht täuschen. Die Alte und ihr Butler sehen leicht bescheuert aus, aber sie haben’s faustdick hinter den Ohren.«

Man hörte ein feines Klicken, als der Manager auflegte. Ein Stuhl wurde gerückt, ein Feuerzeug in Tätigkeit gesetzt. Der Manager entspannte sich und kam dann auf die Tür zu.

»Mylady und meine Wenigkeit müssen die Orientierung ein wenig verloren haben«, meinte Parker und lüftete die schwarze Melone. »Wo, bitte, geht es zu den Waschräumen?«

»Seit... seit wann sind Sie hier?« wollte der Manager wissen. Er blinzelte den Butler ausgesprochen nervös an, entdeckte dann den Stämmigen auf dem Boden des Korridors und wollte sich umgehend in sein Büro zurückziehen.

Natürlich war er nicht schnell genug.

Butler Parker benützte seine konventionelle Kopfbedeckung als eine Art Nahkampfwaffe und setzte die Wölbung auf die Nase des Managers. Da die Innenseite der Melone mit Stahlblech gefüttert war, verformte sich nur die Nase des Mannes, dem die Tränen in die Augen schossen.

Er wich zurück, stöhnte ein wenig und tastete sich zu seinem Schreibtisch. Hier ließ er sich in seinen Sessel fallen und gab sich wehleidig. Er fingerte vorsichtig an seiner Nase herum und schniefte dazu ausgiebig.

»Nun haben Sie sich gefälligst nicht so«, herrschte Lady Agatha ihn an. »Sie wollten mir schließlich die Tür vor der Nase zuschlagen, junger Mann. Und das sicher nicht ohne Grund.«

»Sie wollten Mylady und meiner Wenigkeit eine bestimmte Adresse nennen«, erinnerte Josuah Parker höflich. »Sie sollten sich nicht genieren, so zu verfahren.«

»Sie haben das alles völlig falsch verstanden«, log der Club-Manager und bog äußerst vorsichtig seine Nase zurecht, »Die Adresse, wenn man bitten darf«, wiederholte der Butler. »Sie möchten doch sicher nicht Gefahr laufen, daß Ihre Nase erneut in Schwierigkeiten gerät, nicht wahr?«

Der Club-Manager nannte die Adresse und in diesem Zusammenhang den Namen eines gewissen Andy Stilking.

»Sie erweisen sich als eine Person, die zur Kooperation durchaus fähig ist«, meinte der Butler. »Nun bitte noch den Nachnamen des Mannes, den man mit Ron anredete.«

»Ron Parham«, kam prompt die Antwort. Zusätzlich lieferte der Club-Manager dann auch noch fast freiwillig die Adresse des betreffenden Mannes.

»Da sich der Eindruck aufdrängt, daß Sie sich ein wenig unwohl fühlen, wird man Sie umgehend nach Hause bringen«, erklärte der Butler anschließend. »Sie sollten sich der Fürsorge Myladys und meiner Wenigkeit voll und ganz anvertrauen.«

»Oder auch nicht, junger Mann, falls Sie Schwierigkeiten machen«, fügte Lady Agatha hinzu. Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, ließ sie ihren perlenbestickten Pompadour pendeln.

*

Der Club-Manager wollte bereits an der nächsten Ampel ohne jede Vorankündigung aussteigen. Er sah schließlich deutlich, daß die Verriegelung der beiden hinteren Wagentüren nicht geschlossen war.

Als Parker sein hochbeiniges Monstrum stoppte, warf der Club-Manager sich förmlich auf die linke Wagentür, drückte den Griff hinunter und... mußte erkennen, daß die Tür sich nicht rührte.

Der Mann verdoppelte seine Anstrengungen und mühte sich redlich ab. Dabei warf er immer wieder Blicke auf Mylady und Parker, die jenseits der geschlossenen Trennscheibe vorn auf den Sitzen saßen.

»Ihre Anstrengungen sind durchaus lobenswert«, ließ der Butler sich schließlich beim Anfahren vernehmen, nachdem die Ampel die Farbe gewechselt hatte. »Sie sollten allerdings davon ausgehen, daß es eine zentrale Verriegelung gibt.«

»Ich will raus«, erklärte der Club-Manager wütend und hämmerte zur Abwechslung mit den Fäusten gegen die schwere, schußsichere Trennscheibe. »Das hier ist eine Entführung ... Dafür werde ich Sie anzeigen.«

»Mylady sieht dies völlig anders«, gab Parker über die Bordsprechanlage zurück. »Mylady ist nach wie vor der Ansicht, daß Sie um diese Aus- und Mitfahrt geradezu inständig baten.«

»Das ist doch völliger Blödsinn«, beschwerte sich der Club-Manager weiter. »Sie haben mich mit Gewalt hier in den Schlitten geschafft. Das kann ich beeiden.«

»Würden Sie auch die Tatsache beeiden, daß sie Mister Andy Stilking beauftragten, Mylady und meine Wenigkeit für einige Wochen in Gips zu legen?«

»Das hatte doch überhaupt nichts mit Ihnen zu tun«, behauptete der Club-Manager verbissen. »Das haben Sie falsch verstanden. Und überhaupt: Ich werde alles abstreiten.«

»Falls Sie später dazu überhaupt noch in der Lage sein werden, junger Mann«, deutete die ältere Dame diskret an.

»Was ... was wollen Sie damit sagen?« fragte der Manager und hüstelte nervös.

»Mylady will damit zum Ausdruck bringen, daß die Nacht noch lang und mit Sicherheit voller Gefahren ist«, schaltete Josuah Parker sich ein.

»Sie bluffen doch nur«, lautete die Antwort. »Sie würden niemals einen Menschen umbringen. Nee, das nehme ich Ihnen nicht ab.«

»Mylady denkt in diesem speziellen Fall an Ihre Freunde, die wohl davon ausgehen, daß Sie Mylady einige wertvolle Hinweise geben werden. Wenn Sie also in einigen Tagen wieder auftauchen, wie es in Ihren Kreisen wohl heißt, wird man Ihnen mit massivem Mißtrauen begegnen.«

»Wieso Mißtrauen?« fragte der Club-Manager, obwohl er mit Sicherheit die Anspielung verstanden hatte. »Ich werde kein Wort sagen, weil ich nichts zu sagen habe, verstehen Sie? Was sollte ich denn ausplaudern?«

»Den Grund, um nur ein Beispiel zu nennen, warum Sie Mylady und meiner Wenigkeit eine Falle zu stellen beabsichtigten. Sie wollten dies mit Sicherheit nicht aus reiner Bosheit tun.«

»Und wenn Sie sich auf den Kopf stellen, Mister Parker, ich habe überhaupt nichts einfädeln wollen. Das haben Sie mißverstanden. Wie lange wollen Sie mich denn überhaupt festhalten? Das ist Kidnapping!«

»Vorwürfe dieser Art sind Mylady wohlbekannt«, lautete die Antwort des Butlers. »Mylady zieht es vor, sie zu ignorieren.«

Parker schaltete die Sprechanlage ab, damit der Club-Manager in aller Ruhe über seine Lage nachdenken konnte. Zudem näherte man sich der Straße, in der ein gewisser Andy Stilking inzwischen wohl seine Falle gestellt hatte. Parker war neugierig darauf, was der Mann sich wohl hatte einfallen lassen.

*

Das bewußte Haus stand in der Nähe der Paddington Station und zeichnete sich durch Unauffälligkeit aus. Es handelte sich um ein ehemaliges kleines Hotel, das man in Apartment-Wohnungen umgebaut hatte. Laut Aussage des Club-Managers erwartete man Mylady und den Butler in einem Hinterhaus-Erdgeschoß.

»Man wird Sie jetzt leider allein zurücklassen müssen«, entschuldigte sich der Butler. »Hoffentlich langweilen Sie sich nicht zu sehr.«

»Haben Sie mir noch etwas zu sagen, junger Mann, was zu Ihren Gunsten sprechen könnte?« wollte Agatha Simpson wissen.

»Nein, nein, nichts«, beteuerte der Manager über die wieder eingeschaltete Sprechanlage. »Sie werden nur sehen, daß Sie sich getäuscht haben.«

Parker betätigte vor dem Öffnen der Fahrertür einen der vielen Kipphebel, die sich auf dem Armaturenbrett seines Wagens befanden. Unmittelbar darauf wurde dem Fahrgast im Fond eine Dosis Lachgas verabreicht, um ihn an unnötigen Aktivitäten zu hindern.

Als Lady Agatha ausstieg, saß der Manager bereits entspannt in der rechten Wagenecke und hatte die Augen geschlossen. Um seine leicht geöffneten Lippen spielte ein kindliches Lächeln. Er bekam nicht mit, daß das Duo aus Shepherd’s Market den Wagen verlassen hatte.

»Und wie werde ich nun vorgehen, Mister Parker?« erkundigte sich die ältere Dame, als sie einen Torweg ansteuerte. »Sie wissen, ich bin stets für den direkten Weg.«

»Mylady schätzen allerdings auch die schnelle Überraschung«, wandte Parker höflich ein.

»Richtig, Mister Parker, alles zu seiner Zeit«, pflichtete sie ihm sicherheitshalber bei. »Und was schwebt mir in dieser Hinsicht vor?«

»Mylady gedenken sicher, die Wartenden außer Gefecht zu setzen, bevor sie aktiv werden können.« Während Parker noch redete, hatte er die Führung übernommen und dirigierte die ältere Dame durch den Torweg.

Er führte in einen kleinen Hinterhof. Im Erdgeschoß des Hinterhauses brannte hinter einigen Fenstern Licht. Jalousien hinderten leider daran, einen Blick ins Innere der Räume zu werfen. Doch Parker hatte bereits entdeckt, daß es in den Oberlichtern Ventilatoröffnungen gab.

Er griff in die Innentasche seines schwarzen Covercoats und holte die Gabelschleuder hervor. Er legte eine perforierte Plastik-Kapsel in die Lederschlaufe der Zwille, visierte kurz eine der Ventilatoröffnungen an und brachte das seltsame Geschoß auf die richtige Flugbahn. Es jagte durch die Luft, landete zielsicher in der Öffnung und verschwand dann im Raum.

Parker hatte sich bereits von Lady Agatha getrennt und verschwand hinter einigen Müllkästen, die rechts vom Torweg standen. Die Detektivin, die einen Moment nicht aufgepaßt hatte, kam sich plötzlich ein wenig verloren vor und wurde dann erfreulicherweise abgelenkt.

Die Tür zu den Räumen im Erdgeschoß des Anbaus öffnete sich fast explosionsartig. Zwei Männer stürzten hustend ins Freie und wurden von dichten Nebelschwaden verfolgt.

Diese Männer schlugen um sich, als müßten sie einen Wespenschwarm bekämpfen, niesten ausgiebig und fischten sich Tränen aus den Augen. Mit erheblicher Verspätung erschien ein dritter Mann, der wie ein Betrunkener torkelte.

Die Glasampulle in der perforierten Plastik-Kapsel war bei der Landung .m Zimmer zerbrochen und hatte die wasserklare Flüssigkeit freigegeben, die nun intensiv mit dem Sauerstoff der Luft reagierte. Das Resultat war frappierend. Die drei Männer waren völlig außer Gefecht gesetzt worden.

Verfolgt von den Nebelschwaden suchten sie die nahe Straße, näherten sich dem Torweg und passierten dabei Josuah Parker, der hinter den Müllkästen bereits auf sie wartete.

»Mit Ihrer Erlaubnis«, sagte Parker gemessen, bevor er mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines Schirmes kurz zulangte. Er wahrte die Form auch in solchen Situationen. Höflichkeit war für ihn stets das höchste Gebot.

*

»Und was geschah dann?« erkundigte sich Mike Rander amüsiert. Er und Kathy Porter saßen im kleinen Salon von Myladys Haus am Frühstückstisch. Die ältere Dame, die noch ihren weiten, wallenden Morgenmantel trug, redete sich wieder mal ein, strenge Diät zu halten. Tatsächlich aber sprach sie den Köstlichkeiten, die Parker servierte, mehr als massiv zu.

Sie delektierte sich am Rührei, genoß kroß gebratenen Speck, kostete ausgiebig von einer Wild-Pastete, verschmähte keineswegs einige Scheiben Lachs und setzte sich mit zwei kleinen Rostbratwürsten auseinander. Danach hatte sie Appetit auf diverse Käsesorten und verschiedene Marmeladen mit Brot, um dazu kontinental zubereiteten Kaffee zu trinken.

»Mylady lud die drei Männer aus dem Hinterhaus zu einigen Stunden der Erholung ein«, beantwortete der Butler die Frage des Anwalts. »Sie befinden sich zur Zeit zusammen mit dem Manager des Clubs bei einem gewissen Mister Hall, der ein Hundehotel betreibt.«

»Ein Hundehotel?« fragte Kathy Porter und lächelte.

»In der Tat, Miß Porter«, sagte Parker. »Die vier Männer sind dort bestens aufgehoben und stehen jederzeit zur Verfügung.«

»Was sind das für Knaben, diese Burschen aus dem Hinterhaus?« erkundigte sich Rander.

»Drei Schläger, Sir, die man mieten kann und deren Muskeln mit Sicherheit ausgeprägter sind als ihr Denkvermögen. Meine Wenigkeit würde sie als unwichtige Statisten bezeichnen.«

»Und was ist mit diesem Club-Manager?« warf Kathy Porter ein.

»Er dürfte Mylady aus guten Gründen fürchten, Miß Porter. Er heißt übrigens Owen Hornsey und kennt mit Sicherheit die drei Männer, mit denen der Fall seinen Anfang nahm.«

»Für mich stehen die Dinge bereits fest, meine Lieben«, erklärte Lady Agatha und wandte sich an Kathy Porter und Mike Rander. »Mein erster Verdacht hat sich bereits bestätigt. Es geht hier um die Beute eines Überfalls oder eines Raubes.«

»Die Zeitungen haben darüber aber noch nichts berichtet«, meinte der Anwalt.

»Was überhaupt nichts besagt, mein Junge«, redete die ältere Dame munter weiter. »Er hat ja erst vor wenigen Stunden stattgefunden. Die drei Kriminellen sind bei der Verteilung der Beute in Streit geraten und wurden dabei von mir überrascht.«

»Klingt verblüffend einfach, Mylady«, stellte Mike Rander fest.

»Und ist logisch in sich«, lobte sich die ältere Dame. »Bevor die Polizei überhaupt weiß, was eigentlich passiert ist, habe ich den Fall bereits gelöst. Ist es nicht so, Mister Parker?«

»Mylady dürften der Polizei in der Tat ein gutes Stück voraus sein«, erwiderte der Butler höflich.

»Dieser Club-Manager ist der Dreh- und Angelpunkt«, weitete die passionierte Detektivin ihre Theorie weiter aus. »Vielleicht ist er sogar der Auftraggeber gewesen, aber das alles werde ich schon sehr bald wissen.«

»Es muß sich um sehr viel Geld gehandelt haben«, warf Kathy Porter ein, »ich denke an die Banknoten, die Mister Parker auf der Straße einsammelte. Wie viele waren es eigentlich?«

»Einige hundert Pfund, Kindchen«, sagte die ältere Dame schnell. »Genau habe ich bisher noch nicht nachzählen können, aber darauf kommt es ja auch nicht an. Wir wollen uns doch nicht in Einzelheiten verlieren, nicht wahr?«

»Wann werden Sie diesen Club-Manager verhören, Parker?« fragte der Anwalt.

»Mister Owen Hornsey dürfte nach durchwachten Stunden nun bereit sein, erste Angaben zu machen«, vermutete Josuah Parker. »Darf man übrigens darauf verweisen, daß die Polizei in der vergangenen Nacht zwei der drei bewußten Männer gebeten haben dürfte, mit zum Revier zu kommen?«

»Sie werden längst wieder auf freiem Fuß sein«, meinte Rander. »Was hätte man ihnen schon vorwerfen können? Trunkenheit, was diesen Ron Parham betrifft?«

»Wer, bitte, ist Ron Parham?« grollte Lady Agatha dazwischen.

»Der Betrunkene, Mylady, der mit den Banknoten um sich warf«, erläuterte Parker in seiner höflichen Art.

»Ich weiß, ich weiß«, kam prompt ihre ein wenig ungeduldige Antwort. »Ich habe schließlich alle Einzelheiten sehr genau im Kopf. Wie sonst sollte ich einen Kriminalfall lösen? Wird der gute McWarden hier erscheinen? Eigentlich ist er bereits überfällig, das Frühstück ist doch beendet.«

»Chief-Superintendent McWarden, Mylady, dürfte nicht alarmiert werden, wenn er die Polizeiberichte der vergangenen Nacht zur Kenntnis nimmt«, lautete Parkers Antwort. »Es sei denn, daß tatsächlich irgendwo in der Stadt ein Raub oder ein Überfall stattgefunden hat.«

»Natürlich hat so etwas stattgefunden, Mister Parker«, sagte Lady Agatha. »Wie sonst sollte dieses kriminelle Subjekt an soviel Geld gekommen sein? Nein, nein, McWarden glaubt wieder mal, ohne mich auszukommen, aber da soll er sich wundern! Ich werde ihm zeigen, wie schnell ich bin. Mister Parker, treffen Sie alle Vorbereitungen für das Verhör. Lassen Sie sich auch ein paar hübsche Fragen einfallen, die ich später stellen werde.«

»Stets zu Myladys Diensten«, gab Josuah Parker in unerschütterlicher Ruhe und Gemessenheit zurück.

*

»Darf man höflichst darauf verweisen, daß Mylady verfolgt werden?« sagte Butler Parker eine halbe Stunde später. Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums, das mal ein Londoner Taxi gewesen war.

»Jetzt schon?« freute sie sich. »Wir haben das Haus ja gerade erst verlassen.«

»Man scheint möglichst schnell herausfinden zu wollen, wohin Mylady den Club-Manager gebracht haben«, antwortete Parker. »Die beiden männlichen Verfolger benutzen einen kleinen Austin.«

»Auch diese Leute muß ich unbedingt verhören, Mister Parker«, erklärte sie mit Nachdruck. »Lassen Sie sie nicht aus den Augen, setzen Sie sie irgendwo außer Gefecht.«

»Mylady denken sicher an das bewußte Hundehotel.«

»Sehr richtig«, behauptete sie umgehend. »Es bietet sich ja direkt an, Mister Parker. Genau das wollte ich gerade vorschlagen.«

Parker ignorierte in der nächsten halben Stunde die beiden Verfolger und bewegte sein Gefährt, das optisch einen müden und altersschwachen Eindruck machte, in Richtung Heathrow. Er benutzte die Schnellstraße zum Flugplatz und bog in Höhe von Cranford Park nach links ab. Nach weiteren zehn Minuten hatte er das Hundehotel erreicht, das auf dem Gelände einer alten, längst ausgedienten Fabrik untergebracht war.

Der Austin folgte hartnäckig, ja, er schloß auf. Die beiden Insassen witterten wohl eine Möglichkeit, hier endlich zur Sache kommen zu können.

Die kleine Fabrik, deren Schornstein bis auf einen Stumpf gekappt worden war, lag inmitten von Bauland und Wiesen. Die nächsten Siedlungshäuser waren weit entfernt.

Der exzellente Butler Parker 8 – Kriminalroman

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