Читать книгу Butler Parker 113 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3

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Agatha. Simpson hockte ein wenig verkrampft auf einem Sitzpolster und hatte die stämmigen Beine gekreuzt. In ihrer majestätischen Fülle erinnerte sie an einen weiblichen Buddha. Freundliche Milde lag auf ihrem sonst etwas grimmigen Gesicht. In den Händen hielt sie eine Räucherkerze, die einen penetrant süßlichen Geruch verströmte.

Lady Agatha trug einen weiten, wallenden Umhang, der in dekorativen Falten ihren Körper umschmeichelte. Kurz, Lady Agatha Simpson schien eine andere Frau geworden zu sein.

Die Detektivin war nicht allein. Sie befand sich in einem Kreis Gleichgesinnter, die gekleidet waren wie sie. Und diese Gleichgesinnten saßen mit gekreuzten oder untergeschlagenen Beinen in einem großen, aber niedrigen Raum, der als eine Art orientalische Kultstätte hergerichtet war. Die Wände verschwanden hinter schweren Seidenstoffen, die selbst die Decke säumten. Der Boden war ausgelegt mit teilweise echten Teppichen, wie Lady Agatha trotz ihrer weihevollen Stimmung beiläufig bemerkte. Auf einem Podest war ein Altar aufgebaut worden, auf dem ein Schrein stand, dessen Klapptüren noch verschlossen waren. Das alles war in mildes Licht getaucht, was die feierliche Stimmung zusätzlich erhöhte.

Dennoch benahm die alte, sonst so kriegerische Dame sich ein wenig vorbei. Sie tat es sicher nicht absichtlich, doch sie wurde von dem süßlichen Geruch der Räucherstäbchen herausgefordert. Zuerst zuckte Ladys Agathas Nase ein wenig, dann kräuselte sie sich bedenklich, und Sekunden später nieste die Sechzigjährige explosionsartig.

Das Geräusch konnte sich hören lassen. Eine Granate mittleren Kalibers schien in der Kultstätte detoniert zu sein. Die Gleichgesinnten wurden von der Druckwelle des Niesers erfaßt und fuhren zusammen. Einige ältere Herren gingen automatisch in Deckung und warfen sich zu Boden. Es mußte sich um ehemalige Kriegsteilnehmer handeln, deren Erinnerungsvermögen noch intakt war.

Einige weibliche Teilnehmer der Runde reagierten weniger heftig. Aber sie maßen Lady Agatha mit vorwurfsvollen Blicken, da sie sich in ihrer Meditation empfindlich gestört fühlten. Lady Simpson sorgte also für einige Aufregung, was sie aber nicht sonderlich scherte. Selbst in diesem erlauchten Kreis ließ sie erkennen, wie ungeniert sie sich normalerweise benahm.

Es war ein dunkler, dröhnender Gong, der Sekunden später für Ruhe und erneute Weihe sorgte. Die Damen und Herren der Runde murmelten beschwörende Worte aus dem Tibetanischen, mit denen Lady Agatha allerdings nichts anzufangen wußte. Sie war schließlich neu in diesem Kreis und mußte noch lernen. Sie bemühte sich allerdings ehrlich, diese ihr fremden Worte nicht albern zu finden, denn sie war gekommen, um zusammen mit den anderen die reine Erleuchtung zu suchen.

Der Gong dröhnte und hallte noch nach, als aus dem Boden des Podestes weißer Rauch aufwallte, der den Schrein verdeckte. Nachdem der Rauch sich verzogen hatte, war der Guru zu sehen.

Der ehrwürdige Lehrer und Führer konnte sich durchaus zeigen. Er war sogar sehenswert. Es handelte sich um einen Inder, dessen Alter zeitlos war. Jung in diesem braunen Gesicht, das von einem weißen Bart fast zugedeckt wurde, waren eigentlich nur die Augen, die in der Tat eine seltsame Kraft besaßen.

Der Guru saß mit gekreuzten Beinen auf einem dicken Seidenkissen, das reichlich mit Perlen bestickt war. Seine Hände waren vor der Brust gekreuzt. Aufmerksam sah er sich seine Jüngerinnen und Jünger an und verbeugte sich dann, indem er den Oberkörper mit akrobatischer Geschicklichkeit nach vorn bewegte. Es handelte sich um eine wirkungsvolle Geste.

Sein Englisch war ein wenig hart und guttural, doch das machte überhaupt nichts. Das Gegenteil schien eher noch der Fall zu sein. Der fremde Akzent unterstrich die Exotik dieses weisen Mannes.

»Suchende der letzten Wahrheit«, sagte der Guru leise, aber durchaus eindringlich, »Pilger zum Gipfel der Erkenntnis und Weisheit, der Hunger nach „Licht und Erleuchtung hat uns wieder zusammengeführt. Beschreiten wir gemeinsam den einzigen Weg, den der Erleuchtete uns in seiner Güte anbietet. Streifen wir ab die Mühen des Alltags und die Bürde dieser Welt. Versenken wir uns in das Reich der Stille und...«

Auf das Stichwort ›Stille‹ mußte Lady Agatha erneut niesen. Dieses Urgeräusch fiel noch lauter aus als das erste. Der weise Führer auf dem bestickten Seidenkissen zuckte wie unter einem elektrischen Schlag zusammen und duckte sich unwillkürlich. Sein Blick wurde scharf wie ein spitzer Dolch, den er auf Lady Simpson schleuderte. Bevor er jedoch sein Ziel erreichen konnte, holte er ihn im übertragenen Sinn des Wortes schleunigst wieder zurück und ließ ihn verschwinden. Dem weisen Führer schien sehr daran gelegen zu sein, die ältere Dame nicht zu verletzen.

»Entschuldigung, weiser Guru«, trompetete Lady Simpson mit ihrer nie sonderlich leisen Stimme. Sie besaß das Sonore eines männlichen Baritons und vermochte gefüllte, unruhige Säle zu übertönen.

Der Guru zuckte noch mal zusammen und senkte seinen Blick. Er wollte sicher verhindern, daß weitere Dolche auf Lady Agatha flogen. Nachdem er sich gefaßt hatte, begann er erneut mit seiner Einstimmung und fand Worte, die die kritische Teilnehmerin in Entzücken versetzten.

*

Josuah Parker war in großer Sorge.

Er wartete zusammen mit Kathy Porter auf die Rückkehr seiner Herrin. Es paßte ihm überhaupt nicht, daß Mylady sich für diesen Guru interessierte. Sie war nicht mehr jene Lady Agatha, die er kannte, sondern hatte sich völlig verwandelt und schien ihren Sinn auf das Jenseitige gerichtet zu haben, von dem der Guru behauptete, daß man nur dort die innere Befreiung fand.

»Die Sitzung scheint sich heute ziemlich auszudehnen«, stellte Kathy Porter fest. Sie war die Sekretärin der älteren Dame, zugleich ihre Gesellschafterin und schließlich sogar noch so etwas wie ihr Patenkind. Kathy Porter – fünfundzwanzig Jahre alt, mittelgroß und schlank – sah blendend aus. Ihre Figur hätte sich auf den Titelseiten internationaler Modezeitschriften bestens bewährt. Ihr kupferrotes, langes Haar paßte wunderbar zu den Augen, deren Farbe kaum zu bestimmen war. Es handelte sich um ein dunkles Grün, das durchaus wie glühende Kohlen schimmern konnte. Kathy Porter besaß normalerweise die Sanftheit eines Rehs, doch davon durfte man sich nicht täuschen lassen. Sie konnte zu einer wilden Pantherkatze werden, wenn es darauf ankam. Die junge Dame war erfahren in Judo und Karate, wußte mit Schußwaffen umzugehen und kannte darüber hinaus eine Menge Tricks, die ihr ein gewisser Josuah Parker im Lauf der Zeit beigebracht hatte.

Dieser Josuah Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Wagens, das einst ein Londoner Taxi gewesen war. Es war nach Parkers eigenwilligen Vorstellungen umgebaut worden. Im Grund war dieser vorsintflutlich aussehende Wagen nichts anderes als ein gut getarnter Hochleistungstourenwagen, der neben seinem Motor auch sonst noch für einige Überraschungen gut war. Eingeweihte waren der Ansicht, daß es sich dabei um eine raffiniert ausgestattete Trickkiste auf Rädern handelte.

Parker sorgte sich also. Er war der Butler der Lady Agatha Simpson und stets auf die Wahrung der Formen bedacht. Er bewahrte seine Herrin vor Unüberlegtheiten, denn Mylady neigte dazu, sich in jedes passende und unpassende Abenteuer zu stürzen. Sie liebte die Abwechslung und war leicht in Rage zu bringen. In solchen Fällen war sie dann eigentlich nur noch von ihrem Butler zu bremsen.

Josuah Parker war ein Mann unbestimmbaren Alters, mittelgroß und nicht schlank, allerdings auch nicht dick. Er verfügte über ein glattes, oft ausdrucksloses Pokergesicht und bewegte sich mit der Gemessenheit eines Haushofmeisters alter Schule. Er bevorzugte eine etwas barock zu nennende Ausdrucksweise und ließ sich eigentlich nie aus seiner steifen Gemessenheit bringen. Selbstbeherrschung war eine Tugend, die er stets und überall trainierte.

Hinter dieser Fassade war der Butler ein gerissener Einzelkämpfer, der so ziemlich alle Tricks dieser Welt beherrschte. Natürlich war er kein Übermensch, auch ein Josuah Parker erlitt Niederlagen. Und diese Sitzung, an der Lady Simpson jetzt teilnahm, war solch eine peinliche Niederlage. Es war ihm nämlich nicht gelungen, Mylady diesen Guru auszureden. Parker hielt den Weisen aus dem Osten für einen raffinierten Gauner, der darauf aus war, die Bargeldreserven seiner Anhänger an sich zu bringen.

Der Butler hatte dem großen Weisen bisher nichts nachweisen können. Er hatte eingesehen, daß er es mit einem ausgesuchten Schlitzohr zu tun hatte. Der Guru, der sich schlicht »Der Erleuchtete« nannte, schien ein ungemein vorsichtiger Mensch zu sein.

»Sollte man nicht etwas unternehmen, Mr. Parker?« erkundigte sich Kathy Porter, nachdem Parker auf ihre Feststellung nicht reagiert hatte.

»Mylady sind, wenn ich es so ausdrücken darf, ein wenig schwierig«, sagte der Butler in seiner gewohnt knappen Art. »Mylady bemerken leider sofort, wenn man ihr etwas ausreden möchte.«

»Könnte man es nicht anders versuchen, Mr. Parker?« schlug Kathy Porter vor. »Sollte man ihr vielleicht Zureden? Vielleicht verliert sie dann ihr Interesse am Guru?«

»Ein durchaus bemerkenswerter Vorschlag«, räumte der Butler steif und gemessen ein. »So könnte man Mylady möglicherweise beikommen, Miß Porter.«

»Es gibt noch eine andere Möglichkeit«, erklärte Kathy und lächelte.

»Daran habe auch ich bereits gedacht, Miß Porter.«

»Sie wissen, was ich vorschlagen will?«

»Man müßte diesem ›Erleuchteten‹ nachweisen, daß er das ist, was die Behörden einen Schwindler nennen.«

»Richtig«, gab Kathy zurück, »ich würde mich zu gern mal in seinem Haus umsehen.«

»Sie denken hoffentlich an einen ungesetzlichen Besuch, Miß Porter?«

»Natürlich«, erwiderte sie lächelnd. »Könnten Sie mir dabei etwas Rückendeckung geben, Mr. Parker?«

»Ich fürchte, Miß Porter«, sagte Parker, »daß es mir sogar ein Vergnügen sein wird.«

*

»Hatten Mylady einen vergnüglichen und erholsamen Abend?« erkundigte sich Butler Parker. Er war der älteren Dame entgegengegangen. Sie kam gerade aus dem großen, villenartigen Backsteinbau, der inmitten eines gepflegten Gartens stand. Das Haus befand sich im Westen von London, genauer gesagt in Wimbledon. Parker sah Lady Agatha prüfend an und registrierte in ihren Augen einen äußerst milden Schein. Und genau das verwirrte den Butler noch mehr. Eine kriegerische Lady war ihm bedeutend lieber.

»Habe ich bisher eigentlich gelebt?« fragte Lady Simpson und schaute ihren Butler verklärt an.

»Diese Frage möchte ich entschieden bejahen«, antwortete der Butler. »Mylady haben Zweifel?«

»Ich meine doch nicht dieses banale, biologische Leben«, schwärmte die Detektivin weiter und sah ihren Butler für den Bruchteil einer Sekunde strafend an, um dann allerdings sofort wieder auf Milde umzuschalten. »Ich denke an das Leben an sich.«

»Aha«, erwiderte der Butler verblüfft.

»Ich meine ein Leben in seiner geistigen Dimension«, verkündete Lady Agatha nachdrücklich. »Ich denke an ein Leben auf überhöhter Ebene.«

»Ganz meiner Meinung«, sagte der Butler in seiner höflichen Art und öffnete den hinteren Wagenschlag. »Mylady haben diese höhere Ebene verheißen bekommen?«

»Der Erleuchtete weiß um die Geheimnisse des Überich«, erwiderte die ältere Dame. »Wir alle sind mehr als wir scheinen und sind.«

»Sehr wohl, Mylady.«

»Sie verstehen mal wieder kein Wort, nicht wahr?« Ein wenig Grimmigkeit lag in der Stimme der Sechzigjährigen. Dieser vertraute Ton ließ den Butler freudig aufhorchen.

»Mylady dürfen davon überzeugt sein, daß auch meine bescheidene Wenigkeit sich nach Erleuchtung sehnte«, gab der Butler zurück und setzte sich ans Steuer. »Hätten Mylady vielleicht die Güte, sich ausführlicher über den Guru zu äußern?«

»Dieser Mann ist die Erlösung aus den Niederungen des Alltags«, stellte Lady Simpson nachdenklich fest. »Er zeigt den Weg zur Läuterung und Erkenntnis.«

»Ein bemerkenswerter Mann, wenn ich es so ausdrücken darf.«

»Ich werde mein Leben radikal umstellen«, verkündete die ältere Dame. Sie sah zu Kathy Porter hinüber, die in der anderen Ecke des Fonds saß.

»Wie soll dieses Leben aussehen, Mylady?« erkundigte Kathy sich sachlich.

»Askese und Versenkung, Kindchen.«

»Askese, Mylady?« Kathy wußte nicht, worauf Lady Simpson anspielte.

»Ein Leben in Bescheidenheit und Bedürftigkeit.«

»Wird das nicht ein wenig kompliziert werden, Mylady?« tippte Kathy vorsichtig an. Sie wußte wie Parker, daß Lady Simpson eine mehr als vermögende Frau war. Agatha Simpson gehörte, wie es in den Gesellschaftsblättern nur zu gern hieß, zum Blut- und Geldadel der Insel. Sie konnte sich jeden erdenklichen Luxus leisten, was sie normalerweise allerdings kaum tat. Ihr einziger Luxus war im Grund ihre Tätigkeit als Amateurdetektivin, wozu auch ausgedehnte Reisen gehörten. Darüber hinaus finanzierte sie über eine anonyme Stiftung die Ausbildung und das Studium begabter junger Menschen. Wenn man sie darauf ansprach, reagierte sie unwirsch. Sie wollte nichts davon wissen und bildete sich schon gar nicht darauf etwas ein. Mylady, seit vielen Jahren schon Witwe, war ein skurriler Mensch, zu dem ein Leben in Askese eigentlich überhaupt nicht paßte.

»Ich werde mein Leben ändern«, versprach die ältere Dame nachdrücklich. »Hinweg mit allem Tand! Nur Besitzlosigkeit macht wirklich reich. Kind, wenn Sie wüßten, wie glücklich ich bin. Wahrscheinlich werde ich alles aufgeben und nach Indien ziehen. Im ›Zentrum der Versenkung‹ wartet auf mich eine bescheidene Klosterzelle.«

Parker, der aufmerksam zugehört hatte, bekam nun doch einen mittelschweren Schock. Nur durch äußerste Konzentration konnte er gerade noch verhindern, einige am Straßenrand parkende Wagen zu rammen.

*

Josuah Parker war fassungslos.

Er blieb an der Tür zu Lady Simpsons Räumen stehen, die sich im oberen Stockwerk des altehrwürdigen Hauses befanden. Dieses Haus stand im Stadtteil Shepherd’s Market und zeigte noch altes englisches Fachwerk. Es gehörte zu einer Reihe ähnlicher Häuser, die einen kleinen, fast verträumt zu nennenden Platz umstanden. Diese Häuser waren ebenfalls Eigentum von Lady Simpson, die sie an gute Freunde vermietet hatte. Die beiden Fachwerkbauten links und rechts von dem großen Haus, in dem Parkers Herrin residierte, waren nur scheinbar vermietet. In Wirklichkeit gehörten sie zum Wohnkomplex der Lady und standen mit dem Haupthaus auf raffinierte Art und Weise in Verbindung.

Die Fassungslosigkeit des Butlers hatte damit aber nichts zu tun. Sie hatte einen völlig anderen Grund. Agatha Simpson hatte ihre Räume radikal leeren lassen. Bis auf ein schmales Bett, das ein wenig verloren in ihrem ehemaligen Schlafzimmer stand, gab es kein Stück Möbel mehr.

Während Parker fassungslos war, machte Lady Simpson einen sehr zufriedenen Eindruck. Sie schritt auf ihren stämmigen Beinen durch die drei leeren Räume und nickte immer wieder nachdrücklich. Dann trat sie ans Fenster und sah hinunter auf den kleinen Platz. Die drei Möbelpacker, die die Zimmer geräumt hatten, fuhren gerade mit dem Mobiliar ab.

»Mylady sind sicher, daß diese Schlafstätte den Anforderungen genügen wird?« erkundigte sich der Butler und deutete auf das spartanisch einfache Bett.

»Askese, Mr. Parker«, gab Lady Simpson zurück, »der Körper ist eine leere, unbedeutende Hülle. Was zählt, ist der Geist!«

»Wie Mylady meinen. Wenn es gestattet ist, möchte ich mich zurückziehen. Haben Mylady noch besondere Wünsche?«

»Nein, natürlich nicht, Mr. Parker.« Agatha Simpson schüttelte abwesend den Kopf.

»Wann darf ich das Abendessen servieren, Mylady?«

»Überhaupt nicht«, entschied die Detektivin. »Bringen Sie mir einen Krug Wasser und ein paar Datteln!«

»Mylady?« Parker glaubte an eine Sinnestäuschung.

»Wasser und Datteln«, wiederholte Lady Agatha, »Sie haben schon richtig gehört. Ab sofort werde ich auf die Gifte dieser Zivilisation verzichten, und Sie sollten es ebenfalls tun.«

»Vielleicht später, Mylady.«

»Ich werde nur noch vegetarisch leben«, versprach die ältere Dame. »Ich werde mich schon hier dem neuen und besseren Leben, verschreiben.«

»Wann, wenn man fragen darf, werden Mylady die Fahrt nach Indien antreten?«

»Das entscheidet allein der Erleuchtete«, lautete die Antwort der Agatha Simpson. »Bevor ich meine Reise in das Zentrum der Versenkung antreten werde, muß ich meinen irdischen Besitz noch auflösen.«

»Mylady gedenken zu verkaufen?«

»Um neuen Mammon zu erlangen? Nein, Mr. Parker, das würde der Erleuchtete niemals gestatten. Ich werde alles verschenken.«

»Mylady haben sicher bereits bestimmte Vorstellungen, wer beschenkt werden soll?«

»Aber natürlich«, antwortete die Sechzigjährige. »Ich werde meinen irdischen Besitz dem Erleuchteten ausliefern. Er allein weiß, was damit geschehen soll.«

»So etwas hatte ich mir fast schon gedacht«, murmelte der Butler.

»Sagten Sie was, Mr. Parker?«

»Keineswegs, Mylady«, schwindelte Parker. »Mylady wollen für die Zukunft auch das Schreiben aufgeben?«

Der Butler spielte seiner Ansicht nach geschickt auf die Marotte der älteren Dame an, einen Bestseller zu verfassen. Bisher war sie stets der Ansicht gewesen, eine gewisse Agatha Christie in den Schatten stellen zu können. Doch über die erste Seite dieses geplanten Bestsellers war Lady Simpson nie hinausgekommen, aber sie liebte diesen frommen Selbstbetrug.

»Ich werde schreiben«, gab sie zurück und schloß versonnen die Augen, als horche sie in sich hinein, »aber ich werde nur noch die Botschaft des Guru verkünden. Falls er es überhaupt erlaubt. Gehen Sie jetzt, mein Freund, ich möchte allein sein und meditieren!«

Parker wankte durch die Tür, schloß sie leise hinter sich und lehnte sich dann erschöpft gegen die Wand. Er war inzwischen nicht mehr fassungslos, er war erschüttert. Diesen grundlegenden Wandel hatte er nicht erwartet. Sie hatte ihn sogar ›Freund‹ genannt. Das hier war keine neue Marotte seiner Herrin mehr, das schien echt gemeint zu Sein.

Seiner bescheidenen Ansicht nach befand Mylady sich in höchster Gefahr. Er beschloß, dagegen etwas zu unternehmen. Sie mußte vor diesem Guru bewahrt werden.

*

»Mylady meditieren«, vermutete der Butler.

Er befand sich zusammen mit Kathy Porter im Erdgeschoß des Hauses. Sie hielten sich in dem großen Wohnsalon auf und horchten auf das nachdrückliche Umherwandern in den oberen Räumen. Mylady marschierte seit geraumer Zeit durch ihre leeren Räume.

»Sollte man nicht vielleicht den Hausarzt informieren?« fragte Kathy bedrückt.

»Mylady könnte darauf möglicherweise unwillig reagieren«, sagte Parker. »Es ist nicht zu verkennen, daß Mylady genau weiß, was sie tut.«

»Aber so gründlich und schnell kann sich doch kein Mensch ändern«, wunderte sich Kathy und sah den Butler verzweifelt an. »Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu, finden Sie nicht auch, Mr. Parker?«

»Mylady sucht die Erkenntnis seit einigen Wochen«, erwiderte Parker, »in dieser knappen Zeitspanne kann leider viel geschehen.«

»Glauben Sie, daß man sie unter Drogen gesetzt hat, Mr. Parker?«

»Man sollte diese Möglichkeit keinesfalls ausschließen, Miß Porter.«

»Wir müssen ihr Blut untersuchen lassen, Mr. Parker. Wir müssen endlich etwas tun.«

»Da möchte ich Ihnen voll und ganz beipflichten«, stimmte der Butler Myladys Sekretärin zu.

»Wie ist sie eigentlich an diesen Guru geraten?« wollte Kathy Porter wissen. »Ich hatte ja ein paar Tage Urlaub und weiß nicht, was wirklich vorgefallen ist.«

»Leider vermag ich diese Frage nicht zu beantworten«, sagte der Butler bedauernd. »Mylady läßt sich nicht in die Karten sehen, um bei diesem vielleicht etwas vulgären Bild zu bleiben. Mylady gab sich äußerst zurückhaltend, was diesen Punkt betrifft.«

»Glauben Sie wirklich, daß sie nach Indien zieht?«

»Myladys Entschlüsse sind leider, wie die Erfahrung gelehrt hat, recht fest.«

»Das Leben in einer Klosterzelle eines Gurus wird sie doch umbringen.«

»Vielleicht muß auch der Guru dran glauben«, hoffte der Butler freudig. »Mylady kann sehr irritierend wirken.«

»Wir werden sie natürlich nach Indien begleiten, nicht wahr?«

» Selbstverständlich «, beruhigte Parker die Gesellschafterin. »Man wird Lady Simpson, wenn auch aus gehöriger Entfernung, unter Sichtkontrolle halten.«

»Wissen Sie, was ich glaube, Mr. Parker?«

»Ich glaube es erraten zu können.«

»Dieser Guru will sie nur nach allen Regeln der Kunst ausnehmen, Mr. Parker. Er will ihr Vermögen an sich bringen.«

»Dieser Vermutung neige auch ich zu, Miß Porter.«

»Sollte man nicht herauszubekommen versuchen, wer dieser Guru ist?«

»Das ist bereits geschehen, Miß Porter. Die Ergebnisse hören sich leider wenig erfreulich an.«

»Er ist also ein Schwindler, den die Polizei kennt?«

»Das Gegenteil ist leider der Fall«, korrigierte Parker. »Der Guru stammt aus Lahore und hat dort als eine Art regionaler Heiliger gewirkt. Er kam vor einem halben Jahr nach London, um seine Botschaft an die Welt zu verkünden. Die Polizei hat keine Handhabe gegen ihn.«

»Sie wandert nicht mehr herum«, stellte Kathy plötzlich fest und hob lauschend den Kopf. Die junge Dame hatte sich nicht verhört. Lady Simpson hatte ihren Dauermarsch durch die leeren Räume beendet.

«Dann wird es gleich passieren«, murmelte der Butler.

»Was wird passieren?« wollte Kathy neugierig wissen.

»Es wird sich erweisen, daß Mylady mit dem schmalen Bett nicht zurechtkommt«, prophezeite der Butler. Womit er nicht unrecht hatte, wie sich hören ließ. Sein Satz war noch nicht ganz beendet, als man aus dem oberen Schlafraum ein Krachen und Bersten hörte.

»Du lieber Himmel«, stieß Kathy überrascht hervor.

»Ich habe mir erlaubt, das Bett ein wenig zu präparieren«, gestand der Butler verschämt. »Ich wollte Mylady demonstrieren, wie anstrengend Askese sein kann.«

»Sie... Sie reagiert nicht«, sagte Kathy ungläubig, »normalerweise müßte man jetzt doch ihre Stimme hören. Ob ihr etwas passiert ist?«

»Sie erschrecken mich, Miß Porter. Man sollte tatsächlich nachsehen.«

Sie gingen ziemlich eilig über die Treppe nach oben und öffneten vorsichtig die Tür. Durch den schmalen Spalt konnten sie in das ausgeräumte Schlafzimmer sehen.

Parker war ehrlich erschüttert.

Agatha Simpson lag neben den Trümmern ihres schmalen Behelfsbettes auf dem nur kaum gefüllten Strohsack, hatte die Augen geschlossen und machte einen geistesabwesenden, wenn auch offensichtlich glücklichen Eindruck.

*

Das »Kloster der inneren Sammlung« war das Ziel von Kathy Porter, die gerade den Wagen des Butlers verlassen hatte. Sie waren zusammen nach Wimbledon gefahren, um dem Guru einen nächtlichen Besuch abzustatten.

Die große Backsteinvilla in dem parkähnlichen Garten zeigte kein Licht. Die Bewohner des ›Klosters‹ schienen fest zu schlafen. Dennoch kamen dem Butler Bedenken, als er das Haus beobachtete. Sein stets wacher Instinkt meldete Bedenken an. Er hatte den Eindruck, daß drüben hinter den Mauern einiges nicht stimmte. Das große Gebäude war zwar dunkel, doch es machte auf ihn einen gespannten und lauernden Eindruck. Dieses Haus schien ein Organismus zu sein, der lebte...

Es war weit nach Mitternacht. In den angrenzenden Straßen herrschte kaum Verkehr. Parker schüttelte andeutungsweise den Kopf, als Kathy Porter sich in Bewegung setzen wollte. Ihm gefiel dieses Unternehmen immer weniger. Er hatte große Bedenken, seine attraktive Schülerin in dieses Abenteuer zu schicken. Das ›Kloster der inneren Sammlung‹ strömte eine Feindseligkeit aus, die Parker zu spüren glaubte.

»Vielleicht sollten wir noch einen Moment warten«, sagte er und griff nach seinem kleinen Nachtsichtgerät, das entfernt an eine kurzläufige Schrotflinte erinnerte. Restlichtmengen der Nacht wurden in diesem Gerät elektronisch verstärkt und schufen ein erstaunlich gutes und klares Bild, obwohl die Augen allein kaum etwas am Haus entdecken konnten.

»Der äußere Eindruck müßte meine Zweifel eigentlich zunichte machen«, sagte Parker, der die Fenster der Villa absuchte und sich dann auf den großen Park konzentrierte.

»Befürchten Sie einen Zwischenfall?« erkundigte sich Kathy, die einen erstaunlich gelassenen Eindruck machte. »Leider vermag ich meine Befürchtungen nicht zu konkretisieren«, erwiderte Parker in seiner gewohnt einfachen Weise. »Mein Gefühl sagt mir, daß wir dieses Unternehmen aufgeben sollten, mein Verstand hingegen, daß es gilt, Informationen zu sammeln.«

»Ich werde es versuchen«, entschied Kathy, als der Butler sein Nachtsichtgerät weglegte. »Ich nehme ja schließlich den kleinen Sender mit, Mr. Parker.«

»Ein zweifelhafter Rettungsanker«, unkte der Butler.

»Besser als nichts.« Kathy wollte nicht länger warten. Sie schaltete den winzig kleinen Sender ein, mit dem Parker sie ausgerüstet hatte. Dann nickte sie ihm noch mal zu und überquerte die Straße. Innerhalb weniger Sekunden war sie bereits in der Dunkelheit verschwunden.

Kathy Porter trug eng anliegende Jeanshosen und einen schwarzen Pulli. In ihrem BH befand sich der Minisender, ein äußerst leistungsfähiges Gerät, das aus der Bastelstube des Butlers stammte. Es sollte alles übertragen, was Kathy zu melden hatte. Im Moment aber waren nur ihre Herztöne zu hören. Sie kamen aus dem Autoradio, das Parker eingeschaltet hatte. Dieses Radio diente ihm als Empfänger und sorgte für einen ausgezeichneten Ton. Kathys Herztöne kamen sauber und rein. An ihnen war abzulesen, daß sie nicht die Spur erregt oder ängstlich war.

Zwischendurch war immer wieder ihre leise Stimme zu vernehmen. Sie gab ihre jeweiligen Positionen durch und informierte den Butler darüber, wo sie sich gerade aufhielt. Parker hatte das Nachtsichtgerät wieder eingeschaltet und beobachtete seine begabte Schülerin.

Kathy Porter befand sich bereits auf dem Gelände seitlich neben der großen Backsteinvilla und gab jetzt durch, daß sie zur Rückseite überwechseln würde. Die junge Dame sagte gerade noch, daß alles in bester Ordnung sei, als plötzlich ein hastiges Atmen zu hören war, als habe sie eine überraschende Entdeckung gemacht. Bruchteile von Sekunden später war das schnelle Pochen ihres Herzens besser zu hören als ihr Atem. Dann knackte es im Empfänger, es folgte ein erstickter Aufschrei und dann nichts mehr.

Kathy Porter schien eine unfreiwillige Sendepause eingelegt zu haben, was dem Butler aber gar nicht paßte. Sein Schützling mußte von einer Entdeckung jäh überrascht worden sein.

*

Als sie wieder zu sich kam, schmerzte ihr Genick.

Kathy Porter wußte nicht, was passiert war. Sie rieb sich unwillkürlich die schmerzende Stelle im Nacken und brauchte einige Zeit, bis sie wieder klar denken konnte. Sie erinnerte sich jetzt dunkel. Irgendein jäher Schlag hatte sie getroffen, ein Schlag, mit dem sie wirklich nicht rechnen konnte.

Sie richtete sich auf und versuchte sich zu orientieren, doch um sie herum war nichts als Dunkelheit. Erst mit einiger Verspätung wurde ihr klar, daß es ungewöhnlich warm und heiß war. Die feucht-heiße Luft erinnerte sie an die Atmosphäre in einem Zoo-Exotarium. Ja, das war es! Diese feucht-schwüle Luft hatte in dem großen Kuppelbau geherrscht, in dem Krokodile hausten.

Unwillkürlich hielt Kathy Porter den Atem an, lauschte in die schreckliche Dunkelheit und sehnte sich förmlich nach einem Geräusch.

Doch da war nichts. Oder doch? Plötzlich glaubte sie ein scharrendes Schleifen zu hören. Rasch zog sie die Beine an und merkte erst jetzt, daß sie auf nacktem, feuchtem Zement saß. Dann hörte sie von irgendwoher ein stetiges Wasser tropfen. Es kam wahrscheinlich aus großer Höhe und explodierte förmlich, wenn es den Boden erreichte.

Kathy zog die Beine noch enger an den Körper und merkte auch, daß man ihr die Jeans und den Pulli ausgezogen hatte. Sie trug nur noch ihren knappen Slip und den BH. Ihr Rücken lehnte gegen eine rauhe Zementwand, die mit einem feuchten, schleimigen Film überzogen war.

Panik erfaßte sie plötzlich.

Es war ihr vollkommen gleichgültig, wer sie niedergeschlagen und ausgezogen hatte. Sie wollte nur wissen, wo sie sich befand. Das scharrende Schleifen war nämlich inzwischen lauter geworden. Kathy konnte nicht feststellen, woher es kam und was es verursachte. Doch dieses Geräusch erinnerte sie unwillkürlich an ein Exotarium und gleichzeitig an Krokodile. Sie redete sich plötzlich ein, man könnte sie in solch ein Exotarium geworfen haben. Pirschten sich da nicht einige dieser Panzerechsen an sie heran?

Nur mit äußerster Mühe unterdrückte sie einen Schrei. Sie biß sich auf die Lippen und zwang sich zur Ruhe. Sie durfte jetzt nicht durchdrehen und verrückt spielen, sonst war es um sie geschehen. Vielleicht hatten es diejenigen, die sie überrascht hatten, nur darauf abgesehen, sie in eine Panik zu lotsen? Vielleicht war das hier nur geschickt inszeniertes Theater? Vielleicht wollte man sie nur psychisch terrorisieren?

Natürlich dachte Kathy Porter gerade in diesen Augenblicken der Angst an einen gewissen Butler Parker. War er bereits unterwegs, um sie aus dieser schrecklichen Lage der Ungewißheit zu befreien? Er mußte inzwischen doch wissen, was mit ihr passiert war? Einem Josuah Parker konnten solche Dinge unmöglich entgangen sein. Bisher hatte sie sich immer noch auf ihn verlassen können.

Die Dunkelheit war schrecklich. Wenn es doch nur ein Fünkchen Licht gegeben hätte! Das schleifende Scharren war schwächer geworden. Oder hatte sie sich nur geirrt? Nein, es wurde sogar lauter und noch peinigender. Irgendwo in der Dunkelheit war das Plantschen von Wasser zu hören. Fauliger Geruch von Wasser wehte heran und nahm ihr fast den Atem. Ein Zweifel war ausgeschlossen. Man hatte sie während ihrer Ohnmacht in ein Exotarium geschafft und wollte sie den Krokodilen zum Fraß vorwerfen.

Kathy kniete hoch, richtete sich auf und preßte ihren nackten Rücken fest gegen die rauhe, feuchte und glitschige Betonwand. Mit beiden ausgebreiteten Armen und Händen tastete sie die Mauer ab und riskierte einen ersten Schritt nach links zur Seite, dann einen zweiten und schließlich einen dritten.

Doch das war bereits zuviel.

Sie rutschte mit dem nackten Fuß ab, konnte sich nicht mehr halten, suchend warf sie die Arme nach vorn und schrie entsetzt auf und... stürzte. Haltsuchend warf sie die Arme nach vorn und landete eine Sekunde später im aufspritzenden Wasser, das über ihrem Kopf zusammenschlug.

Prustend und nach Luft schnappend kam sie wieder an die Oberfläche, suchte mit den Füßen Grund, mußte schwimmen, wenn sie nicht erneut untergehen wollte und wagte es nicht, einen energischen Schwimmstoß zu unternehmen.

Absolute Dunkelheit zerrte an ihren Nerven, als ein fremdartiges Plantschen ganz in ihrer Nähe erfolgte. Bruchteile von Sekunden später spürte sie etwas Scharfkantiges an ihrem rechten Fuß.

Kathy Porter schrie wie besessen...

*

Butler Parker hütete sich, im Galopp hinüber in den großen Garten zu rennen, nachdem er über den Sender den erstickten Aufschrei gehört hatte. Spontane Handlungen waren noch nie sein Fall gewesen. Bevor er etwas tat, pflegte er gründlich zu überlegen.

Er .kam deshalb zu dem Schluß, daß man ihn mit größter Wahrscheinlichkeit bereits sehnsüchtig drüben erwartete. Ihm war klar, daß man ihn genau wie Kathy beobachtet hatte. Die Falle war gestellt, er brauchte nur noch in sie hineinzutappen.

Nun, er fand eine andere und wohl auch bessere Lösung.

Parker hatte bereits seine Gabelschleuder in der Hand, ein ungemein leistungsstarkes Gerät, mit dem sich große Entfernungen geräuschlos überbrücken ließen. Aus dem Handschuhfach seines Wagens hatte er eine flache Blechschachtel geholt und geöffnet. Sie enthielt eine Spezialmunition, die natürlich auch aus seiner privaten Bastelstube stammte. Parker entschied sich für ein Geschoß, das etwa taubeneigroß war. Er legte es in die breite Lederschlaufe, strammte die beiden Gummistränge und katapultierte dieses seltsame Geschoß dann hinüber zum ›Kloster der inneren Sammlung‹.

Das Ergebnis war erstaunlich und konnte sich im wahrsten Sinn des Wortes hören lassen.

Nach dem Aufprall löste sich eine Sperre in dem Ei und produzierte ein geradezu ohrenbetäubendes Sirenengeheul, das man unmöglich überhören konnte. Parker nickte äußerst zufrieden. Genau diesen Effekt hatte er beabsichtigt.

Er begnügte sich keineswegs mit diesem einzigen Geräusch-Ei. Da er noch über zwei weitere Sirenen verfügte, platzierte er auch sie noch am Haus. Innerhalb weniger Sekunden herrschte ein derartiger Lärm, daß selbst Parker sich ein wenig gepeinigt die Ohren zuhielt.

Die Stille der Nacht war empfindlich gestört. In der engeren und weiteren Nachbarschaft wurden Fenster aufgerissen und Licht eingeschaltet. Parker durfte davon ausgehen, daß man inzwischen bereits die Polizei informiert hatte. Bis zu ihrem Eintreffen konnte es nicht mehr lange dauern.

Um den nächtlichen Ärger noch ein wenig anzuheizen, verschoß der Butler mit besagter Zwille zwei weitere Toneier. Diesmal beförderte er die Geschosse durch ein Fenster ins Innere der Villa. Sekunden später quollen aus dem zerbrochenen Glas pechschwarze Rauchwolken, die einen mittelschweren Zimmerbrand vortäuschten. Um das alles ein wenig aufzuhellen und auch optisch sichtbar werden zu lassen, vergeudete der Butler abschließend eine Lichtbombe.

Sie war nicht größer als ein Gänseei.

Als diese Lichtbombe im Garten zerplatzte, schien die Sonne aufzugehen. Greller Lichtschein breitete sich aus und ließ die pechschwarzen Rauchwolken besonders gut erkennen. In der Villa war inzwischen das Licht eingeschaltet worden. Der ›Erleuchtete‹ im ›Kloster der inneren Sammlung‹ schien seine nächtlichen Meditationen abrupt beendet zu haben. Dieser lautstarke Wirbel paßte dem Guru unmöglich in den Kram. Die Bewohner der Villa konnten sich leicht ausrechnen, daß die Polizei gleich erschien.

Nun, sie brauchten tatsächlich nicht lange zu warten.

Es fuhren gleich drei Streifenwagen vor, deren Insassen einen unbritischen, aufgeregten Eindruck machten, was aber wohl mit dem schrillen Sirenengeheul zusammenhing. Die Polizisten rannten auf die Villa zu, registrierten die aus dem Fenster quellenden, schwarzen Rauchwolken und alarmierten vorsichtshalber die Feuerwehr. Parker war rundherum zufrieden und schien sicher, daß Kathy Porter im Moment nichts passierte.

Die Polizisten verschwanden im Haus und suchten nach der Quelle des vermeintlichen Brandes.

Josuah Parker suchte natürlich mit.

Er fiel überhaupt nicht auf, denn er trug die Kleidung eines Butlers. Die Polizisten kamen überhaupt nicht auf den Gedanken, ihn für einen Fremden zu halten, so gemessen und selbstsicher bewegte sich Josuah Parker.

Sein Trick hatte sich ausgezahlt.

Ihm war es gelungen, ganz offiziell in den ›Tempel der inneren Erleuchtung‹ zu kommen und stand dabei sogar noch unter Polizeischutz, wovon die Vertreter der Behörde allerdings nichts ahnten. Parker konnte sich im Haus umsehen, was er von vornherein beabsichtigte.

Eine Minute später stand der Butler dem ›Erleuchteten‹ gegenüber. Er hatte den Guru bisher zwar noch nicht gesehen, doch er wußte sofort, daß es sich nur um ihn handeln konnte. Der Weise aus dem Osten hatte etwa Parkers Größe und trug ein mit Drachen besticktes Gewand, das die Körperlinien verhüllte. Und der Weise sah gar nicht friedlich oder milde aus. Seine Augen sprühten vor Zorn. Er wußte wahrscheinlich sehr genau, wem er diesen nächtlichen Trubel zu verdanken hatte.

»Die Weisheit der Einsicht möge über Sie kommen, Erleuchteter«, begrüßte Parker den Guru. »Sie ahnen wahrscheinlich, daß ich Miß Porter abholen möchte. Sie muß sich in Ihrem Tempel, nun, sagen wir, ein wenig verirrt haben. Helfen wir gemeinsam dem armen Kind zurück auf den Pfad der Erkenntnis«

Die Blicke des Guru waren wie scharf geschliffene Dolche, die er auf den Butler schleuderte. Diesmal aber holte der Guru sie nicht zurück. In seinen Augen stand nackter Mord, doch er konnte im Moment nichts machen. Parker hatte den ›Erleuchteten‹ überlistet.

*

Der Guru gab sich nicht geschlagen.

»Man wird sie nicht finden«, sagte er, wobei sein hartes Englisch noch härter klang als sonst.

»Es widerstrebt mir ungemein, Ihnen widersprechen zu müssen«, antwortete der Butler gemessen, »aber ich bin sicher, daß Sie sich irren, Mr. Ghandari.«

»Sie kennen bereits meinen bürgerlichen Namen?« Der Guru lächelte spöttisch.

»Nur Informationen aus zweiter Hand«, sagte der Butler, »aber schweifen wir nicht unnötig vom Thema ab, wenn Sie erlauben. Sie erinnern sich hoffentlich. Ich möchte Miß Porter abholen!«

»Man wird sie nicht finden. Aber sie schwebt in Lebensgefahr, wenn Sie nicht bald gehen.«

»In Lebensgefahr?«

»Jede Minute ist kostbar.«

»Und was haben Sie mit Miß Porter vor, Mr. Ghandari?«

»Wissen wir, was die Zukunft bringen wird?« fragte der ›Erleuchtete‹ und sah den Butler spöttisch an. Es war eine groteske Situation. Im Haus, in dem eine wahre Invasion von Polizisten und Feuerwehrleuten stattfand, unterhielten sich diese beiden Männer, als seien sie allein auf weiter Flur.

»Ihre Zukunft, Mr. Ghandari, glaube ich einschätzen zu können«, meinte Josuah Parker höflich, wie es seiner Art entsprach. »Ich muß sie, um offen zu sein, als düster bezeichnen.«

»Täuschen Sie sich da nicht ein wenig?«

»Falls Miß Porter etwas zustoßen sollte, werden Sie ihr wahrscheinlich ins Nirwana folgen, um bei Ihrer Ausdrucksweise zu bleiben.«

»Übernehmen Sie sich da nicht ein wenig?« Der Guru schnalzte mit der Zunge, und schon erschienen zwei seiner Vertrauten auf der Bildfläche. Es handelte sich um stämmige, junge Männer, die in weiße Umhänge gehüllt waren. Sie machten einen sehr handfesten Eindruck, zeigten aber keine Waffen.

»Suchen wir also Miß Porter auf«, schlug der Butler vor und hob die Spitze eines Kugelschreibers, mit dem er bisher absichtslos gespielt hatte.

»Sie langweilen mich«, gestand der Guru.

»Sie erlauben, daß ich dagegen etwas unternehme«, erwiderte Josuah Parker höflich und... drückte auf den Halteclip des Kugelschreibers. Das Resultat dieser Bewegung war erstaunlich. Nur ein feines Zischen war zu hören, als sei irgendwo in der Nähe Preßluft entwichen. Was übrigens vollkommen stimmte, wie sich entsprechend zeigte. Die entweichende Preßluft drückte durch die Spitze des von Parker konstruierten Kugelschreibers eine wasserklare Flüssigkeit auf das Gesicht des zu Recht erstaunten Guru.

Der ›Erleuchtete‹ fühlte sich Bruchteile von Sekunden danach nicht mehr wohl. Er riß beide Hände vor die Augen und rieb sie. Dazu stieß er keuchende Töne aus, die auf einen leichten Schmerz hindeuteten.

Die beiden Halberleuchteten neben dem Guru wollten sich auf Parker werfen, doch er stoppte sie mit einer energischen Handbewegung.

»Lassen Sie gefälligst diesen Unsinn«, hauchte der Butler sie energisch an. »Wollen Sie unbedingt, daß Ihr Herr und Meister erblindet? Wenn er nicht schleunigst das Gegenmittel erhält, fürchte ich um seine Sehstärke.«

Der Butler präsentierte ihnen das Gegenmittel.

Es handelte sich um eine offensichtlich dünnwandige Glasampulle, die eine rosa Flüssigkeit enthielt.

»Ich werde das Gegenmittel vernichten, falls Miß Porter nicht innerhalb von fünf Minuten hier erscheint«, setzte der Butler seinen Gesprächspartnern kühl auseinander. »Ich hoffe, mich deutlich genug ausgedrückt zu haben.«

Und ob sie ihn verstanden hatten!

»Holt sie«, stöhnte der Guru, »schnell, beeilt euch! Holt die Frau! Worauf wartet ihr noch?«

»Ich wußte gleich, daß Sie ein einsichtsvoller Mensch sind«, lobte der Butler den Guru. »Nicht umsonst sind Sie ja erleuchtet!«

*

Als das Licht aufflammte, schloß Kathy Porter geblendet die Augen. Sie hörte Schritte und leise Stimmen und fühlte, daß harte Hände nach ihren Armen griffen. Sekunden später zogen diese Hände sie aus dem warmen Wasser und hoben sie auf. Kathy riskierte einen ersten Blick, erkannte aber nicht viel, denn sie wurde bereits aus dem niedrigen Keller hinausgetragen.

Die junge Dame bekam gerade noch mit, daß dieser Raum wahrscheinlich ein eingebautes Schwimmbecken besaß. Sie stellte darüber hinaus fest, daß aus diesem Wasser langrankige, fleischige Pflanzen wucherten, die an den nackten Betonwänden emporwuchsen. Dann schloß sich leider eine schwere Tür, die fast fugenlos in die Wand zurückglitt.

Eine stark parfümierte Hand legte sich über ihre Augen und nahm ihr jede Sicht. Kathy wehrte sich nicht dagegen. Sie war froh und dankbar, daß man sie aus diesem schrecklichen Keller herausgeholt hatte. Schlimmer konnte es nicht mehr werden.

Nach wenigen Augenblicken wurde sie auf einen Stuhl gedrückt. Die Hand gab ihre Augen wieder frei, Kathy schaute sich neugierig um. Sie befand sich in einem Kellerraum, der wie ein kleines Sport- und Fitneßzentrum eingerichtet war. Es gab da eine Sprossenwand, ein Trockenrudergerät, dicke Ledermatten auf dem Boden und zwei Standfahrräder. Im Hintergrund entdeckte sie eine geöffnete Tür, die in eine größere Gemeinschaftssauna führte.

Kathy musterte die beiden Männer, die vor ihr standen. Sie waren jung, stämmig und hatten erstaunlich sanftmütige Gesichter. Die Augen in diesen Gesichtern waren jedoch hart und verrieten Rücksichtslosigkeit.

»Los, ziehen Sie sich an«, sagt einer der beiden Männer und drückte ihr die Jeanshose und den Pulli in die Hand.

»Wenn Sie oben Krach schlagen, wird Ihr Butler das gar nicht gern haben«, meinte der zweite Mann. Kathy nickte, stand auf und streifte sich die Jeans und den Pulli über. Dabei sah sie sich verstohlen in dem Trainingsraum um und versuchte herauszubekommen, wo der Zugang zu dem stickig-heißen Schwimmbecken war. Sie entdeckte nichts, bis sie endlich eine dünne Wasserspur auf den dicken Ledermatten ausmachte. Diese führte direkt in die Sauna hinein.

Natürlich ließ sich Kathy Porter nichts anmerken.

Nachdem die junge Dame sich angekleidet hatte, ließ sie sich von den beiden Jüngern des Guru hinauf ins Erdgeschoß bringen. Sie war fest entschlossen, diesen Keller irgendwann noch mal aufzusuchen. Und sie spekulierte darauf, sich für die erlittene Angst zu revanchieren. Kathy war, wenn es sich ergab, recht nachtragend.

*

»Ich werde mich von Ihnen trennen«, sagte Lady Simpson sanft und mild. »Armut und Bedürfnislosigkeit vertragen sich nicht weiter mit meiner bisherigen Lebensauffassung.«

Die ältere, sonst so streitbare Dame trug eine Art Büßerhemd aus grauem Nesselstoff. Sie befand sich im großen, salonartigen Wohnraum ihres Hauses, sah Parker und Kathy Porter heiter an und schüttelte den Kopf, als der Butler ihr das hereingebrachte Frühstück servieren wollte.

»Keine Schlemmereien mehr«, sagte sie dann und lächelte verzeihend.

»Gewiß nicht, Mylady«, gab der Butler zurück. »Ich habe mir nur erlaubt, einige Dattelsorten zu besorgen. Das Wasser habe ich sicherheitshalber entchlort, wie ich zusätzlich bemerken möchte.«

Während der Butler noch redete, hob er die silberne Wärmehaube der Platte ab und präsentierte seiner Herrin einige ausgesuchte Datteln. Um die Eintönigkeit dieser Morgenspeise ein wenig zu durchbrechen, hatte er um die Früchte herum noch einige rohe Möhren und etwas Frischobst dekoriert.

»Sehr nett, Mr. Parker«, kommentierte Agatha Simpson diesen festlichen Schmaus, wobei sich wider Willen ihre kräftige Nase krauste.

»Das Wasser ist selbstverständlich nicht geeist«, verkündete der Butler weiter.

»Schon gut, schon gut.« Lady Simpson nickte ein wenig unwillig, stand auf und ignorierte das von ihr gewünschte Frühstück. »Bleiben wir bei meinem Entschluß! Wir werden uns trennen müssen...«

»Mylady wollen umgehend Indien aufsuchen?« erkundigte sich Parker, ohne sich aus seiner sprichwörtlichen Ruhe bringen zu lassen.

»Möglichst schnell«, sagte sie, »natürlich habe ich hier noch einige geschäftliche Dinge abzuwickeln, aber das wird sich in einigen Wochen regeln lassen.«

»Eine Trennung würde ich ungemein bedauern«, meinte Parker und deutete eine Verbeugung an.

Butler Parker 113 – Kriminalroman

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