Читать книгу Butler Parker 150 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3
Оглавление»Darf ich mir erlauben, meine Herren, meiner zart aufkeimenden Irritation andeutungsweise Ausdruck zu verleihen?« erkundigte sich Josuah Parker in seiner überaus höflichen Art und lüftete die schwarze Melone. Er stand einer Gruppe von Soldaten gegenüber, die Gewehre und diverse Maschinenpistolen trugen. Einige dieser Männer schienen darüber hinaus bereit zu sein, Eierhandgranaten zu werfen.
Diese Soldaten mußten bereits einiges hinter sich haben. Ihre Uniformen waren lehmverschmiert und eingerissen. Parker entdeckte einige frische Verbände, die offenkundig durchblutet waren. Die Gesichter der Soldaten waren rußgeschwärzt und wirkten ausgezehrt.
»Was machen Sie denn hier?« fragte ein Sergeant und runzelte die Stirn, »haben Sie überhaupt ’ne Ahnung, was hier gleich los sein wird?«
»Ich darf davon ausgehen, daß Sie meine Wenigkeit umgehend informieren werden«, gab Josuah Parker zurück.
»Hier bricht gleich die Hölle los«, meinte der Sergeant, »verschwinden Sie möglichst schnell, bevor es sie erwischt.«
»Läge es im Bereich Ihrer Möglichkeiten, meiner Wenigkeit den richtigen Weg zu zeigen?« fragte Parker, »ich dürfte wohl durch eine Verkettung unglücklicher Umstände in die letzte Woche des zweiten Weltkrieges geraten sein.«
»Und wie!« Schräg hinter dem Butler erschien ein Offizier der deutschen Wehrmacht, der dem englischen Sergeant grüßend zunickte. »Beeilen Sie sich, Mann!«
Der deutsche Offizier hielt eine Panzerfaust in der linken Hand. Seine Brust war mit Orden geschmückt. Er wandte sich um und winkte einigen Soldaten zu, die ebenfalls deutsche Uniformen trugen. Sie mühten sich mit einem Granatwerfer ab, den sie ein wenig umständlich in Stellung zu bringen versuchten.
»Kommen Sie, ich bringe sie in Sicherheit«, schlug der englische Sergeant vor und deutete mit dem Lauf seiner Maschinenpistole auf eine schmale Gasse, die von zwei fast zerstörten Häusern gebildet wurden. Durch die leeren Fensterhöhlen quoll schwarzer Rauch.
»Achtung, Schienen«, meinte der Sergeant und wies auf den Boden. Zwischen Schutt und Ziegelsteintrümmern entdeckte der Butler ein schmales Gleispaar, das keineswegs verrostet war. Parker lüftete erneut seine schwarze Melone und machte sich auf den Weg, das Trümmer- und Kampfgelände zu verlassen. Als er die Schienen überquerte, erklang hinter ihm ein ohrenbetäubendes Krachen.
»Deckung«, rief der deutsche Offizier und warf sich zusammen mit dem Sergeant der englischen Armee in den Schutt. Josuah Parker wandte sich um und musterte den Einschlag, der offensichtlich das erste Stockwerk des Hauses hinter ihm getroffen hatte. Kleinere Steintrümmer sirrten durch die Gegend, dichter Rauch quoll aus der Wand.
»Hauen Sie doch endlich ab«, schrie der Sergeant ihm zu, »Mann, Sie vermiesen die ganze Aufnahme.«
»Wie Sie wünschen.« Parker schritt gemessen weiter und brachte sich im Flur eines gegenüberliegenden Hauses erst mal in Sicherheit. Er beobachtete die gegnerischen Gruppen, die sich voneinander trennten und Position bezogen. Sie verschwanden in den Trümmern der Häuserzeile.
Parker wurde abgelenkt.
Links von ihm an der Straßenecke erschien ein Patton-Panzer, dessen Ketten bedrohlich quietschten. Die Kuppel schwenkte herum, das Geschützrohr zeigte auf eine kleine Barrikade, hinter der einige Soldaten zu erkennen waren.
Parallel zu diesem Panzer fuhr eine Art Draisine auf den Schienen. Auf der Plattform stand eine mächtige Kamera und bewegten sich Männer, die Jeans und Parkas trugen. Zwei gleißende Scheinwerfer, die auf der Draisine montiert waren, strahlten den Panzer an, dessen Luke sich öffnete. Kopf und Oberkörper des Kommandanten wurden sichtbar. Dieser Mann, dessen Gesicht von kleinen Blutfäden gezeichnet war, hielt eine Maschinenpistole in Händen und richtete sie auf die Barrikade. Im gleichen Moment stieg vor dem Bug des Panzers eine Erdfontäne zum Himmel, die giftig gelb eingefärbt war. Der Panzer hielt ruckartig. Der Kommandant des stählernen Ungetüms ließ sich aus der Luke rollen, fiel auf die Wanne des Panzers und landete schließlich auf dem schuttbedeckten Boden.
»Sehr schön«, dröhnte eine leicht verzerrte, überlaute Stimme, »das war’s. Gestorben. Wir drehen noch mal zur Sicherheit.«
Der Kommandant des Panzers stand auf und ging zu den deutschen Soldaten hinüber. Der Leutnant reichte seinem Gegner eine Zigarette. Der englische Sergeant erschien vor der Barrikade und trank aus einer Cola-Flasche. Man schien sich ausgezeichnet zu verstehen.
Josuah Parker wollte sich diskret vom Schauplatz der Ereignisse entfernen, als er plötzlich hinter sich ein scharrendes Geräusch vernahm. Er drehte sich um und sah sich einem englischen Soldaten gegenüber, der eine Maschinenpistole in Händen hielt.
»Keine Mätzchen«, sagte dieser Soldat, dessen Gesicht rußgeschwärzt war, »das Ding hier ist scharf geladen, wetten?«
»Meine Wenigkeit wettet recht selten«, erwiderte Josuah Parker in seiner höflichen Art, »darf man fragen, was Sie unter dem Vulgärbegriff Mätzchen verstehen?«
»Na, eben so, Tricks und Maschen«, antwortete der Soldat, »bei mir aber nicht, ist das klar?«
»Sie drückten sich zwar immer noch vage aus«, gab Josuah Parker zurück, »doch ich kann mir in etwa vorstellen, was Sie meinen.«
»Okay, dann kommen Sie mit«, forderte der Soldat auf, »und wie gesagt, ich habe scharf geladen. Los, gehen Sie vor, gehen Sie da ’rüber zu dem Bunker! Klar?«
»Ihr dringender Wunsch wird mir Befehl sein«, erwiderte der Butler, »darf man damit rechnen, daß Sie mir zu einem späteren Zeitpunkt erklären werden, was dieser Überfall zu bedeuten hat?«
»Lassen Sie sich überraschen«, sagte der Soldat und grinste in einer Art, die Parker insgeheim als tückisch bezeichnete. Parker setzte sich in Marsch und schritt in die Tiefe des Hauses, die allerdings keine war.
*
Schon nach wenigen Schritten stand Parker wieder im Freien. Es zeigte sich, daß dieses angebrannte und zerstörte Haus nichts anderes war als eine Fassade. Mächtige, schräg stehende Stützbalken hielten die überaus echt und kompakt aussehende Vorderfront. Hier hinter dieser Fassade gab es Bretterstapel, Balken und eine Unmenge von Dekorationsteilen, die man im Augenblick nicht brauchte. Dazwischen standen Kriegsfahrzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg, Lastwagen, Jeeps, VW-Kübelwagen und Kettenfahrzeuge. Es gab sogar zwei Panzer, deren Ketten allerdings abmontiert waren.
»Gestatten Sie, daß ich meiner Überraschung nachgebe?« fragte der Butler und blieb kurz stehen.
»Schönes Durcheinander, wie?« Der Mann in englischer Uniform gab dem Wunsch des Butlers nach, drückte aber den Lauf seiner Maschinenpistole gegen Parkers Rückgrat.
»Ein Chaos, das man nur als perfekt bezeichnen kann«, stellte der Butler fest. »Das Drehen einer Serie über den Zweiten Weltkrieg scheint recht kompliziert zu sein, wenn ich so sagen darf.«
»Die Wirklichkeit ist unkomplizierter«, erwiderte der englische Soldat, »weiter, Parker. Ich will Ihnen noch ’ne Menge mehr zeigen.«
»Könnten Sie meiner Wenigkeit wenigstens in groben Zügen verraten, worum es geht?« fragte Josuah Parker. Er schien die Maschinenpistole vergessen zu haben. Parker, etwas über mittelgroß, vollschlank und alterslos erscheinend, trug über seinem schwarzen Zweireiher einen schwarzen Covercoat. Über dem angewinkelten linken Unterarm hing der Bambusgriff seines Universal-Regenschirms.
»Noch ein paar Minuten, Parker, dann wissen Sie genau Bescheid«, lautete die Antwort des Soldaten. »Gehen Sie endlich weiter!«
»Sie würden schießen, wie ich vermute, falls ich mich Ihrem Wunsch widersetze?«
»Darauf können Sie felsenfest bauen, Parker.«
»Was könnte Ihren Willen erregt haben?« fragte der Butler weiter und setzte sich gemessen in Bewegung. Er stieg über einige Panzerfäuste und Maschinengewehre und ließ sich zu einem Bunker dirigieren, der rauchgeschwärzt war und einige schwere Granattreffer aufwies.
»Wir wollen uns mal in aller Ruhe mit Ihnen unterhalten«, gab der englische Soldat zurück, »wir lassen uns nicht gern in die Suppe spucken.«
»Sie vermuten, daß meine Wenigkeit sich eingeschaltet haben könnte, was gewisse Erpressungsversuche betrifft?«
»Sie kommen der Geschichte schon verdammt nahe.«
»Mit dem Ausschalten meiner Wenigkeit wäre Ihr Problem wohl kaum gelöst«, stellte Parker klar und umging einen deutschen Schützenpanzer, der vor einem mächtigen Granattrichter halb umgekippt war.
»Und womit hätten wir nach Ihnen noch zu rechnen?« Der Soldat lachte nach seiner Frage leise und ironisch. Er konzentrierte sich auf seine Waffe und drückte den Lauf nach wie vor gegen Parkers Rücken.
»Sie müßten sich mit Lady Simpson auseinandersetzen«, meinte Parker und blieb vor einem schmalen Schützengraben stehen, »von Mr. Rander und Miß Porter ganz zu schweigen.«
»Machen Sie sich keine Sorgen, Parker, das alles wird bereits abgehakt. Worauf warten Sie noch?«
»Sie überschätzen einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann«, erklärte der Butler und deutete mit der rechten, schwarz behandschuhten Hand auf den Schützengraben, »meine körperliche Kondition entspricht nicht der von Ihnen unterstellten Topform.«
»Nun machen Sie schon, Parker«, drängte der Soldat ungeduldig, »in zehn Minuten geht’s da drüben wieder los.«
»Die nächsten Aufnahmen, wie ich vermuten darf?«
»Mit Tieffliegerangriffen«, erläuterte der Soldat, »das wird einen Höllenkrach geben, warten Sie’s ab.«
»Könnten Sie meiner Wenigkeit möglicherweise eine Hilfestellung geben?« bat Parker und deutete noch mal auf den Schützengraben.
»Kommen Sie mir bloß nicht mit Tricks, Parker«, warnte der Soldat, »wir wissen genau, was Sie davon auf Lager haben.«
»Darf man wenigstens einen kleinen Anlauf nehmen?«
»Also schön, machen Sie endlich!« Der Soldat trat einen Schritt zurück und grinste, als Parker zum Sprung ansetzte. Der Soldat hielt seine Maschinenpistole im Hüftanschlag und ließ den Butler nicht aus den Augen. Man schien ihn eingehend instruiert zu haben.
Josuah Parker setzte sich in Bewegung und ... rutschte auf der anderen Seite der Erdaufschüttung ab. Er strauchelte, ruderte mit den Armen und dem Universal-Regenschirm in der Luft herum und hielt wie durch Zauberei plötzlich einen seiner zahlreichen Patent-Kugelschreiber in der rechten Hand, was der Soldat allerdings nicht sehen konnte.
Dafür spürte der Mann es mehr als deutlich!
*
»Sie konnten sich einen ersten Überblick verschaffen, Mylady?« fragte Fletcher Stalton und sah die ältere Dame erwartungsvoll an. Lady Agatha Simpson hatte das sechzigste Lebensjahr hinter sich und war eine ungemein stattliche Erscheinung mit der Fülle einer gereiften Juno. Sie trug eines ihrer obligaten Tweed-Kostüme, derbe Schuhe und einen Hut, der eine leicht mißglückte Mischung aus einem Napfkuchen und einem Südwester darstellte. Man sah dieser ungewöhnlichen Frau schon auf den ersten Blick an, wie energisch sie war.
»Eine sehr aufwendige Produktion, wie?« gab Lady Agatha zurück, »es kann ja alles nicht teuer genug sein.«
»Wir bemühen uns um Authentizität und Realismus«, versicherte Fletcher Stalton, der Direktor der Produktion. Stalton mochte etwa fünfzig sein, war untersetzt und ein wenig korpulent. Er hatte schnelle, wachsame Augen.
»Ihre Fernsehserie behandelt die letzten Kriegstage?« schaltete Mike Rander sich ein. Der etwa vierzigjährige, große und schlanke Anwalt erinnerte an einen bekannten James-Bond-Darsteller, trug einen lässig geschnittenen Sportanzug und wirkte stets ein wenig phlegmatisch.
»Arnheim und die Folgen«, antwortete Fletcher Stalton, »wir wollen die Sinnlosigkeit dieser Aktion rekonstruieren.«
»Hoffentlich wird man diese Sinnlosigkeit auch später deutlich erkennen, junger Mann«, bemerkte Agatha Simpson bissig, »ich fürchte, man wird wieder den Heldentod verherrlichen. Man kennt das ja.«
»In diesem Fall wird es keine Glorifizierungen geben«, versicherte der Direktor der Produktion, »und wir werden auch unsere damaligen Feinde nicht als Bestien zeigen. Dafür garantiere ich.«
»Womit wir bereits beim Thema sind, junger Mann«, schickte Lady Agatha voraus, »Sie werden also erpreßt?«
»Massiv sogar, Mylady«, erwiderte Stalton, »aber wollen wir nicht hinüber ins Casino gehen? Ich habe einen kleinen Imbiß vorbereiten lassen.«
»Was verstehen Sie unter einem kleinen Imbiß?« Agatha Simpson zeigte sofort Interesse. »Ich lebe zwar streng nach Diät, doch ich höre immer wieder gern, was Köche sich so alles einfallen lassen.«
»Roastbeef, Remouladensauce, schottischer Schinken, Lachs und sicher auch Lamm-Medaillons«, lieferte Stalton gleich eine exquisite Speisekarte.
»Sehr hübsch,«, sagte die ältere Dame und nickte zustimmend, »ich werde ein paar Häppchen versuchen, Stalton. Aber kommen wir zum Erpressungsversuch zurück. Was verlangt man von Ihnen?«
»Fünfhunderttausend Pfund, Mylady, eine Wahnsinnssumme!«
»Und was droht man Ihnen, falls Sie nicht zahlen?« wollte Mike Rander fast desinteressiert wissen. Er sah einigen recht attraktiven Statistinnen nach.
»Man wird scharf schießen«, erklärte Stalton inzwischen und geleitete Lady Agatha in die Kantine, »schlicht und einfach mit scharfer Munition, Mylady. Eine schreckliche Vorstellung! Ich darf gar nicht daran denken!«
»Mr. Rander will Sie etwas fragen«, sagte die passionierte Detektivin und räusperte sich. Der Anwalt wandte sich lächelnd um und nickte.
»Wann wurden Sie informiert, Stalton?«
»Gestern«, lautete die Antwort des Direktors, »es handelte sich zuerst um einen Anruf, eine halbe Stunde später kam dann der Brief, den Sie ja bereits kennen.«
»Das übliche Geschreibsel mit ausgeschnittenen Buchstaben aus einer Zeitung, nicht wahr?« Agatha Simpson machte klar, daß sie sich auskannte.
»Ja, das stimmt«, sagte Fletcher Stalton, »danach kam ein weiterer Anruf. Man teilte mir eindringlich mit, daß es sich auf keinen Fall um einen Scherz handelt.«
»Haben Sie bereits die Polizei verständigt?« schaltete Mike Rander sich ein. Man hatte die Kantine erreicht, betrat sie aber nicht, sondern ging vom Vorraum aus ins Casino, in dem die leitenden Angestellten der Produktion aßen.
»Die Polizei? Um keinen Preis, Mr. Rander«, reagierte Stalton entsetzt, »da würde es doch nur Stunden dauern, bis die Öffentlichkeit Bescheid weiß. Auf Reklame dieser Art können wir gern verzichten. Nein, nein, keine Polizei!«
»Werden Sie zahlen, junger Mann?« fragte die ältere Dame. Sie blieb vor der Glastür stehen und warf einen interessierten Blick in die Kantine. An den Tischen saßen Komparsen der Produktion, ausgemergelt und mitgenommen, Soldaten, hohe Offiziere, Bauern und Stadtvolk. Freund und Gegner waren friedlich vereint am Tisch und unterhielten sich angeregt.
»Ein Blick in eine Zukunft, die es wohl nie geben wird«, orakelte Agatha Simpson.
»Wie meinen Sie, Mylady?« fragte Stalton.
»Soldaten verschiedener Armeen an einem Tisch«, erklärte Lady Agatha, »aber warum beantworten Sie meine Frage nicht?«
»Ob wir zahlen werden, nicht wahr?«
»Sie werden müssen, wenn Ihre Produktion nicht platzen soll«, warf Anwalt Mike Rander ein.
»Falls wir zahlen, platzt sie ebenfalls«, gestand Fletcher Stalton.
»Haben Sie derart knapp kalkuliert?« schien Mike Rander verblüfft.
»Und wie, Mr. Rander! Diese Fernsehserie kostet ein Vermögen. Unsere ganze Hoffnung besteht darin, daß Mylady den Fall rechtzeitig klären wird.«
»Bis wann sollen Sie denn zahlen?« wollte die Detektivin wissen.
»Heute ist Mittwoch«, schickte der Direktor der Produktion voraus, »bis Samstag will der Erpresser das Geld haben, in kleinen Scheinen, versteht sich.«
»Bis Samstag werde ich auch diesen Bagatellfall geklärt haben«, meinte Agatha Simpson, »schließlich besitze ich da einige Erfahrungen, nicht wahr, mein Junge?« Sie sah Mike Rander prüfend an.
»Mylady hat bereits im Umfeld von Film und Bühne gearbeitet«, erklärte der Anwalt, »die jeweiligen Täter hatten nie eine Chance.«
»Ich stelle mein Licht grundsätzlich unter den Scheffel«, behauptete die ältere Dame in einem Anfall von Bescheidenheit, »aber ich war und bin eben sehr erfolgreich. Man muß ein Gespür für den Täter haben, mein lieber Stalton, und solch ein Gespür habe ich nun mal.«
»Hoffentlich schaffen Sie es rechtzeitig«, wiederholte Stalton, »falls nicht, kann die Produktion einpacken. Ich glaube kaum, daß eine Bank einspringen wird, um diesen Verlust abzudecken.«
»Verlassen Sie sich auf mich«, beruhigte die ältere Dame den Direktor, »und sagen Sie diesem Mann, daß er seine Maschinenpistole gefälligst nicht auf mich richten soll.«
Sie deutete mit der linken Hand auf einen deutschen Offizier, hinter dem je ein englischer und amerikanischer Sergeant standen, die ebenfalls mit Maschinenwaffen ausgerüstet waren. Der perlenbestickte Handbeutel am Handgelenk der Lady geriet prompt in leichte Schwingungen.
Fletcher Stalton wandte sich halb zur Seite und schaute verständnislos auf die drei Männer. Mike Rander lächelte abwartend.
»Mitkommen«, sagte der deutsche Offizier in bestem Englisch, »und keine Dummheiten, wenn ich bitten darf, sonst wird scharf geschossen!«
*
Kathy Porter, die Sekretärin und Gesellschafterin Agatha Simpsons, verließ das Büro der Produktion und wollte zur Kantine. Die junge Dame war um die achtundzwanzig, mittelgroß, schlank und hatte die geschmeidigen Bewegungen einer Katze. Die mandelförmig geschnittenen Augen und betonten Wangenknochen verliehen ihr ein etwas exotisches Aussehen. Sie schien sich ihrer Attraktivität überhaupt nicht bewußt zu sein, wirkte zurückhaltend und fast scheu. Doch sie konnte sich, wenn es sein mußte, innerhalb einer Sekunde in eine Pantherkatze verwandeln.
Kathy hatte sich im Produktionsbüro mit einigen Sekretärinnen unterhalten, mit Produktionsassistenten und dem Aufnahmeleiter. Sie hatte keineswegs verschwiegen, wer sie war und nur brennendes Interesse an dieser Fernsehserie gezeigt. Als sie die Steinbaracke verließ, verfügte sie über insgesamt vier Einladungen zum Abendessen.
»Miß Porter?« fragte ein junger Mann, der Jeans, ein kariertes Hemd und eine Lederjacke trug. Er klemmte sich ein Clip-Board unter den Arm und rückte sich seine Eulenbrille zurecht.
»Das bin ich«, bestätigte Kathy Porter.
»Lady Simpson hat mich geschickt«, redete der junge Mann weiter, »Sie möchten zur Bunkerlinie hinüberkommen.«
»Wohin, bitte?« Kathy Porter lächelte neutral.
»Zur Bunkerlinie«, wiederholte der junge Mann, »Lady Simpson will Sie unbedingt sprechen.«
»Und wo finde ich diese Bunkerlinie?«
»Ich werde Sie ’rüberbringen«, schlug der junge Mann vor, »da drüben, hinter den Häuserfassaden liegen die Bunker. Es sind nur ein paar Minuten.«
»Bemühen Sie sich nicht, ich werde schon allein hinfinden«, antwortete Kathy Porter.
»Mir macht das überhaupt nichts, ich muß ja wieder zurück zu diesen Bunkern.«
Er ging einen halben Schritt voraus und wartete, bis Kathy Porter sich in Bewegung gesetzt hatte. Dann blieb er auf ihrer Höhe und erklärte ihr die Kulissen.
»Wir drehen heute noch das Knacken eines Bunkers«, sagte er, »ich denke, die Geschichte wird sehr realistisch aussehen, so mit Flammenwerfern und Nahkampf.«
»Scheußlich«, gab Kathy Porter zurück.
»Was soll man machen, so war’s damals wirklich«, redete der junge Mann weiter, »passen Sie auf den Stacheldraht auf. . . Achtung, da liegen ein paar Tote!«
Kathy entdeckte die »Toten«. Es handelte sich um überzeugend nachgebildete Soldaten in seltsamen Verrenkungen am Rand eines riesigen Bombentrichters. Selbst das Blut wirkte echt.
»Morgen drehen wir den Nahkampf in der Straße dort drüben«, erklärte der junge Mann, »dabei lassen wir einen Panzer in die Luft fliegen. Ich bin mal gespannt, ob die Fassaden das aushalten. Wir haben einen sagenhaft guten Sprengmeister.«
»Ihnen scheinen diese Dinge Spaß zu machen«, sagte Kathy Porter.
»Solange es Spiel ist, habe ich nichts dagegen«, lautete die Antwort.
»Aus Spiel kann leider sehr schnell Ernst werden ...«
»Wir sind gleich da«, lenkte der junge Mann ab, »nur noch um den Bunker herum, Miß Porter. Sieht sehr echt aus, wie? Ist aber alles aus Holz, Styropor und Putz. Davon geht morgen auch einer hoch.«
Kathy Porter verzichtete auf die angebotene Hilfestellung und rutschte über einen Hang nach unten. Der junge Mann, der vorausgegangen war, ließ sie plötzlich ohne jede Vorwarnung in die Mündung einer Automatik blicken. Er hatte die Schußwaffe mit dem Clip-Board abgedeckt.
»Halten Sie mich fest«, rief sie und übersah die Waffe, »ich rutsche ab, passen Sie auf!«
Kathy Porter verlor das Gleichgewicht, fiel seitlich weg, überschlug sich und benutzte dabei ihre Beine als eine Art überdimensional große Schere. Damit erfaßte sie das Beinpaar des jungen Mannes, brachte nun ihn aus dem Gleichgewicht und anschließend zu Fall. Der junge Mann war schnell wieder auf, doch nicht schnell genug. Kathy Porter benutzte ihre rechte Handkante, um den jungen Mann endgültig zu Boden zu bringen. Dabei verlor er die Waffe, die von Kathy Porter aufgehoben wurde.
Nach schneller Untersuchung stellte sie fest, daß die Schußwaffe geladen und funktionsfähig war. Kathy Porter lief zur Ecke des Bunkers und wartete dort, bis der junge Mann wieder zu sich kam. Sie ging hinter einigen Sträuchern in Deckung und dachte selbstverständlich an Lady Simpson und Mike Rander, vor allen Dingen aber an einen gewissen Butler Parker.
*
Der normal aussehende Kugelschreiber in Parkers Hand entpuppte sich als gefährliche Waffe. Nachdem der Butler auf den Halteclip gedrückt hatte, schoß ein heller Lichtblitz aus der Schreiböffnung, der den englischen Soldaten blendete. Der Mann wurde derart überrascht, daß er nicht mehr in der Lage war, seine Maschinenpistole abzufeuern. Von Schmerz gepeinigt, riß der Mann die Hände hoch, knallte sich dabei ohne seinen Willen den Lauf der Waffe gegen die Stirn und sorgte zusätzlich für allgemeine Verwirrung.
Parker, der inzwischen auf dem Boden des Grabens stand, benutzte den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms, um nach dem linken Fußgelenk des Mannes zu angeln. Er hakte den Griff hinter die Ferse und zog ruckartig an. Daraufhin setzte der immer noch geblendete und verwirrte Soldat sich in Bewegung und rutschte zu Parker herunter. Der Butler beendete diesen kleinen Zweikampf, indem er den Bambusgriff auf die Stirn des Mannes legte. Mit gequältem Ächzen brach der Soldat in sich zusammen.
Parker untersuchte die Maschinenpistole, die zu seinen Füßen lag. Sie war echt und geladen, eine Tatsache, die der Butler gelassen zur Kenntnis nahm. Er entlud die Waffe und hakte das Magazin aus. Dann wartete er, bis der Mann sich endlich wieder rührte und stöhnte.
»Meine Augen. Ich bin blind!« Der Mann hielt sich die Hände vor, da er nicht sehen konnte. Der Lichtblitz war schließlich ungemein grell gewesen.
»Einer ärztlichen Behandlung steht nichts im Wege«, schickte Josuah Parker voraus, »und falls Sie es hilfreich finden, werde ich mich entschließen, Sie zu führen.«
»Schnell, ich brauch’ einen Arzt.«
»Meine Wenigkeit hingegen braucht einige Anmerkungen zu der gegenwärtigen Situation«, erwiderte Parker, »hätten Sie möglicherweise die Güte, mit einigen Erklärungen zu dienen?«
»Ich bin blind«, stöhnte der englische Soldat.
»Dies erwähnten Sie bereits. Zu wem sollten Sie meine Wenigkeit bringen? Für wen arbeiten Sie, von wem werden Sie bezahlt?«
»Burnham«, lautete prompt die Antwort.
»Sprechen Sie vielleicht von einem gewissen Willy Burnham?« Parker wußte mit diesem Namen etwas anzufangen.
»Willy Burnham«, bestätigte der junge Mann und nickte vorsichtig, »bringen Sie mich jetzt bitte weg.«
»Umgehend und sofort«, versprach der Butler, »und wo, wenn ich weiter fragen darf, hält Mr. Burnham sich zur Zeit auf?«
»Da drüben im Bunker«, stöhnte der englische Soldat weiter, »machen Sie doch endlich, bevor meine Augen restlos kaputt sind ...«
»Was wissen Sie von Lady Simpson?« wollte der Butler noch wissen.
»Die... Die wird auch geholt«, jammerte der Mann, »mehr weiß ich wirklich nicht.«
»Nun denn, ich biete Ihnen meine hilfreiche Hand«, erklärte Josuah Parker, führte den Mann durch den Graben, nahe an den Bunker heran, und schob ihn dann vor sich her. Der englische Soldat machte kleine, vorsichtige Schritte und schien nicht zu merken, wohin er geführt wurde. Parker erreichte den Bunker und dirigierte den Mann um die Ecke. Vor dem Eingang zu dieser Bunker-Attrappe stand ein Mann, der zum Aufnahmestab zu gehören schien. Er trug eine Golfkappe mit überlangem Schirm, einen salopp geschnittenen Sportanzug und blätterte in Papieren, Er machte einen überaus beschäftigten Eindruck.
Parker hob seinen Universal-Regenschirm in die Waagrechte und machte sich bereit, auch diesen Mann außer Gefecht zu setzen. Gleichzeitig aber ließ er den Geblendeten los und versetzte ihm einen leichten Stoß gegen den Rücken. Der englische Soldat stolperte und fiel gegen die Wand des Bunkers, die leicht knirschte.
»Was is’ denn mit dir los?« fragte der Beschäftigte erstaunt und ging sofort auf den Soldaten zu.
»Meine Augen, meine Augen«, stöhnte der Gefragte und streckte suchend seine Hände vor.
»Wo ist der Butler geblieben?« erkundigte sich der Saloppe.
»Zu dienen, Parker, Josuah Parker«, meldete sich der Butler zu Wort und setzte noch mal den bleigefütterten Schirmgriff ein. Der Mann hatte keine Möglichkeit mehr, diesem Schlag auszuweichen. Er mußte ihn voll hinnehmen, verdrehte kunstvoll die Augen und faßte dann nach seiner Stirn. Anschließend legte er sich über den Mann, der sich gerade aufrichten wollte. Beide Männer rutschten zurück zu Boden und behinderten sich gegenseitig. Josuah Parker aber schritt an ihnen vorüber und warf einen Blick in den Bunker.
Er war leer.
Der Butler schloß daraus, daß gewisse Pläne dieser Leute noch keineswegs in Erfüllung gegangen waren.
*
»Sind Sie verrückt?« brauste Fletcher Stalton auf. »Für solche Scherze habe ich keinen Sinn, merken Sie sich das!«
»Halten Sie’s Maul«, herrschte der amerikanische Sergeant ihn an, »los, marschieren Sie ’rüber in die Teeküche!«
»Das ist ein Überfall, wie?« fragte Mike Rander gelassen.
»Sie sind vielleicht ein Blitzdenker«, lobte ihn der englische Sergeant, »gehen Sie davon aus, daß unsere Waffen scharf geladen sind.«
»Sie wollen mich entführen, ja?« freute sich Lady Agatha bereits im vorhinein.
»So ungefähr«, gab der deutsche Offizier zurück, »gehen Sie schon endlich ’rein in die Teeküche, sonst werden wir stinksauer.«
»Sie wollen verhindern, daß ich diesen Erpressungsfall verhindere?« fragte die Detektivin weiter.
»Wir wollen verhindern, daß Sie gleich niedergeschossen werden«, meinte der amerikanische Sergeant, der eine gewisse Nervosität zeigte. Noch war man schließlich im Vorraum, hinter dem das Casino lag, allein, doch jeden Moment konnten weitere Besucher aufkreuzen.
»Ich weiche, aber nur der Gewalt«, bekundete Agatha Simpson, deren Pompadour bereits in beachtliche Schwingung geraten war, was die drei Soldaten aber kaum zur Kenntnis nahmen, »Sie nutzen die Hilflosigkeit einer angejahrten Frau geradezu schamlos aus.«
»Nun mach’ schon, Mädchen«, sagte der deutsche Offizier. Er hatte die Tür zur kleinen Teeküche geöffnet und ... handelte sich eine Sekunde später – fast im wahrsten Sinn des Wortes – einen Pferdetritt ein. Im Pompadour nämlich befand sich ein echtes Pferdehufeisen, das wirklich nur oberflächlich in Schaumstoff gewickelt war. Der Getroffene hätte später schwören können, von einem auskeilenden Pferd getroffen worden zu sein. Der sogenannte ›Glücksbringer‹, wie Eingeweihte dieses Hufeisen nannten, landete genau im Gesicht des Mannes, dessen Nase sich nachdrücklich verformte. Der Mann fiel gegen einen der beiden Sergeanten, der gegen die Wand des Vorraumes gedrückt wurde. Den zweiten Sergeant erwischte Mike Rander mit einem hart aus der Schulter geschlagenen Haken. Seine Faust vergrub sich in der Magenpartie des Mannes, der sich tief verbeugte und dabei jämmerlich ächzte.
Der Mann, der an die Wand gedrückt wurde, wollte sich von der Last seines Begleiters befreien, doch dazu kam es nicht mehr. Agatha Simpson war in der Wahl ihrer Kampfmittel mehr als unkonventionell. Sie trat diesem Gegner mit ihrem großen Schuh heftig gegen das Schienbein, worauf der Mann wie ein getretener Hund heulte. Ihm schoß das Wasser gleichsam in die Augen. Er bückte sich, um nach seinem mißhandelten Bein zu greifen und gab damit seinen Nacken preis. Mylady konnte nicht widerstehen und landete ihren Glücksbringer auf dem Hinterkopf des Mannes, der zusammenbrach.
»Haben Sie so etwas wie einen Werkschutz?« erkundigte sich Mike Rander bei Fletcher Stalton, der völlig fassungslos war.
»Wen, bitte? Wen sollen wir haben?« fragte er dann zurück und starrte auf die drei ausgeschalteten Soldaten.
»Rufen Sie ein paar Burschen, auf die man sich verlassen kann«, schlug Mike Rander vor.
»Wie? Ach so, ja natürlich, einen Moment.« Stalton hüstelte und entfernte sich. Agatha Simpson bückte sich bereits und durchsuchte ungeniert die Taschen der drei Männer.
»Nichts«, meinte sie dann enttäuscht, »nun ja, macht nichts, Mike, ich werde die Subjekte gleich verhören.«
»Miß Porter und Butler Parker sind noch unterwegs«, erwiderte der Anwalt, »vielleicht sollen auch sie überfallen werden.«
»Okay, mein Junge, sehen Sie sich um, ich komme hier allein zurecht.« Sie nickte gewährend.
»Ich könnte warten, bis Hilfe hier ist, Mylady.«
»Wenn hier einer Hilfe braucht, dann sind es diese drei Lümmel«, meinte die ältere Dame grimmig, »gehen Sie nur, Mike, ich hoffe, daß die Flegel ruppig werden.«
»Hat sich bereits erledigt«, entgegnete der Anwalt und deutete auf Kathy Porter und Josuah Parker, die gerade den Vorraum betraten. Parker lüftete höflich grüßend die schwarze Melone.
»Mylady wurden belästigt?« erkundigte er sich dann und deutete mit der Schirmspitze auf die drei Soldaten.
»Aber nein«, gab sie zurück, »mit solchen Laiendarstellern kann man doch nur Mitleid haben.«
»Das war ein echter Überfall«, erklärte Mike Rander.
»Den Miß Porter und meine Wenigkeit ebenfalls erlebten«, sagte Josuah Parker, »Myladys Erscheinen dürfte bei gewissen Leuten, wenn ich so sagen darf, eine Überreaktion ausgelöst haben, die auf einen gewissen Mr. Willy Burnham zurückzugehen scheint.«
»Wer ist denn das?« fragte Lady Agatha erfreut.
»Ein Gangster, Mylady, der sich auf Nötigung, Erpressung und Körperverletzung spezialisiert hat«, gab Parker Auskunft, »es besteht natürlich auch die Möglichkeit, daß man diesen Namen nur vorgeschoben hat.«
»Wo finde ich dieses Subjekt?« fragte die Detektivin und ließ ihren Pompadour unternehmungslustig schwingen, »bringen Sie mich sofort zu ihm!«
*
»Darf man sich erkühnen, Mylady einen Vorschlag zu unterbreiten?« informierte sich Parker.
»Wahrscheinlich wollen Sie genau das sagen, was mir vorschwebt«, behauptete die Gefragte vorsichtig.
»Man sollte vielleicht erst mal die Herren Gangster separieren«, redete Parker weiter und deutete auf die drei Soldaten, die inzwischen in der Teeküche lagen, »darüber hinaus könnte man die Gangster einsammeln, die sich noch in der Bunkerlinie befinden.«
»Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen, Mr. Parker«, lobte Lady Agatha prompt und nickte wohlwollend, »das war es, was ich gerade sagen wollte. Schließlich will ich diese Subjekte noch eingehend vernehmen.«
»Ich werde mitkommen«, bot Mike Rander seine Hilfe an und nickte dem Butler zu, »treiben wir irgendwo einen passenden, fahrbaren Untersatz auf.«
»Vor der Kantine steht ein Thermoswagen«, deutete der Butler an.
»Prächtig, Parker, packen wir’s an.« Rander deutete auf die Soldaten, die sich noch immer im Tiefschlaf befanden. Josuah Parker verließ gemessen den Vorraum und traf die Vorbereitungen, die er für richtig hielt. Fletcher Stalton, der bisher geschwiegen hatte, wischte sich dicke Schweißperlen von der Stirn. Der Direktor der Produktion machte einen irritierten und ratlosen Eindruck.
»Ich kann mir das alles nicht erklären«, sagte er ängstlich zu Lady Simpson, »hier auf dem Gelände scheint sich eine Gangsterbande herumzutreiben, Mylady ... Schrecklich!«
»Für diese Subjekte ist das hier doch das geeignete Gelände«, antwortete die ältere Dame, »wer achtet hier schon auf wen, junger Mann? Jedermann kann sich eine Uniform anziehen und als Statist herumlaufen.«
»Wollte man uns umbringen?« erkundigte sich Stalton. Er zuckte zusammen, als Butler Parker die Tür öffnete, schob einen Geschirrwagen vor sich her und machte sich zusammen mit Mike Rander daran, die Soldaten zu verladen.
»Man wollte natürlich nur mich umbringen«, erwiderte Lady Agatha und sah Fletcher Stalton streng an, »die gesamte Unterwelt fürchtet mich wie die Pest, mein lieber Stalton. Ich sage das in aller Bescheidenheit.«
»Aber ich soll doch erst bis kommenden Samstag zahlen«, erinnerte Stalton, »und heute ist erst Mittwoch.«
»Mein Erscheinen hat die Gegenseite natürlich in Alarm versetzt«, versicherte Agatha Simpson, »die Gangster wissen selbstverständlich, was mein Auftauchen bedeutet.«
Mike Rander und Josuah Parker hatten die Soldaten inzwischen aufgeladen und schoben den Geschirrwagen zur Hintertür der kleinen Teeküche. Kathy Porter öffnete die Tür und wunderte sich überhaupt nicht, wie gut geparkt der angesprochene Thermoswagen vor dieser Tür stand. Die hintere Ladetür war bereits geöffnet, die Gangster brauchten nur noch verstaut zu werden. Dies geschah mit der Routine erfahrener Ladearbeiter. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis der deutsche Offizier und die beiden Sergeanten im Wageninnern verschwunden waren. Parker schloß die dicke Tür.
»Die Burschen werden sich einen Schnupfen holen«, sagte Rander lächelnd, »wie kalt ist es in dem Wagen?«
»Achtzehn Grad minus, Sir«, lautete Parkers Antwort, »aus rein menschlichen Gründen war ich so frei, das Kälteaggregat abzuschalten.«
»Sie sind ein Menschenfreund«, meinte der Anwalt, »sammeln wir also die anderen drei Kerle ein. Sie wissen, wo sie liegen?«
»In einem Bunker«, erklärte der Butler, »ich war so frei, auch jenen Mann dort einzulagern, der von Miß Porter außer Gefecht gesetzt wurde.«
»Okay, Parker.« Rander zündete sich eine Zigarette an und wandte sich an Agatha Simpson, »Sie bleiben hier im Casino, Mylady?«
»Selbstverständlich«, gab sie zurück, »haben Sie den kleinen Imbiß vergessen, der auf mich wartet? Nach dieser körperlichen Anstrengung brauche ich unbedingt eine Erfrischung. Ich fürchte, auch mein Kreislauf ist in sich zusammengebrochen.«
»Sie fühlen sich nicht wohl, Mylady?« fragte Stalton bestürzt.
»Fragen Sie mich das noch mal, sobald ich einen Kognak getrunken habe, junger Mann«, antwortete die ältere Dame, »worauf warten Sie noch?«
Ausgesprochen animiert und selbstzufrieden schritt die Detektivin ins Casino, um sich mit ihrem Kreislauf zu befassen. Mike Rander und Butler Parker aber machten sich daran, drei weitere Gangster aus dem allgemeinen Verkehr zu ziehen.
*
Das Gelände mit den verwüsteten Straßen lag in einer heideähnlichen Landschaft im Süden von London. Die Produktionsgesellschaft hatte es gemietet, um hier in aller Ruhe die Außenaufnahmen für die Fernsehserie zu drehen. Die Bühnenarchitekten hatten erstklassige Arbeit geleistet und für eine realistische Atmosphäre gesorgt.
Lady Agatha, Kathy Porter und Fletcher Stalton standen auf dem Dach der Kantine und hatten einen weiten Blick auf die Szenerie. Die Illusion war perfekt, zumal man von diesem Punkt aus in eine Straße schauen konnte, deren Häuser fast nur noch aus rauchgeschwärzten Ruinen bestanden.
»Darf ich Ihnen unseren Mann für Spezial-Effekte vorstellen, Mylady?« Fletcher Stalton wies auf einen kleinen Mann, der die Figur eines Jockeys hatte. Sein Gesicht war tiefbraun und schien aus gegerbtem Leder zu bestehen.
»Hank Hurst«, sagte der schmale Mann, »bitte, Mylady, gehen Sie nur ja nicht ans Schaltpult.«
»Schaltpult, junger Mann?« Lady Agatha musterte neugierig zuerst mal den fast sechzigjährigen Mann, dann eine Art Klaviatur, die aus einem langen, rechteckigen Kasten ragte.
»Damit zünde ich die Einschläge, Bomben und Treffer«, erklärte Hank Hurst, »die Sprengsätze sind natürlich vorher angebracht worden und mit dem Pult hier verdrahtet.«
»Natürlich«, antwortete Agatha Simpson, »ich kenne mich in solchen Techniken bestens aus, junger Mann.«
»Wir haben fast zwei Tage gebraucht, um alles für den Tieffliegerangriff vorzubereiten«, redete Hank Hurst weiter. Er war sichtlich stolz auf seine Arbeit, »Sie werden gleich einen wahnsinnigen Feuerzauber erleben.«
»Mr. Hurst ist ein international bekannter Feuerwerker«, schaltete sich Fletcher Stalton ein.
»Wie lange werde ich auf diesen Feuerzauber noch warten müssen?« fragte Agatha Simpson.
»In einer halben Stunde dürften wir soweit sein, Mylady«, erwiderte Hurst und überprüfte die Drahtanschlüsse auf der Rückseite des Schaltpults, »gleich werden wir das Licht einrichten, tja, und dann könnten die Tiefflieger von mir aus kommen.«
»Wissen Ihre Statisten eigentlich, wo diese Sprengsätze hochgehen?« wollte Lady Agatha wissen.
»Die sind genau markiert, Mylady.« Hank Hurst nickte. »Die Leute wissen, wo welche Ladungen hochgehen werden. Das alles ist bereits ein paarmal probiert worden. Passieren kann eigentlich nichts.«
»Malen Sie nur ja nicht den Teufel an die Wand«, meinte Stalton hastig und klopfte dreimal auf Holz, »in den vergangenen Wochen hatten wir schon Ärger genug.«
»Was ist denn passiert, mein Lieber?« erkundigte sich Lady Agatha.
»Da brannten ein paar Kulissen ab«, entgegnete der Direktor der Produktion, »was das alles gekostet hat! Wir haben in Tag- und Nachtschichten eine neue Straßenfront bauen müssen.«
»Falls ich auf diese Taste drücke, was würde dann passieren?« Agatha Simpson stand vor dem Schaltpult und betrachtete fasziniert die Klaviatur.
»Mit dieser Taste kann ich eine schwere Fliegerbombe hochgehen lassen«, erläuterte Hank Hurst, der verständlicherweise ahnungslos war. Er wußte ja nicht, wer diese stattliche, imponierend aussehende Dame war. Er wies auf andere Tasten. »Hiermit löse ich ’ne Mine unter einem Panzer aus, und damit kann ich ’ne Hausfront hochfliegen lassen.«
»Sehr hübsch«, konstatierte Agatha Simpson, »werde ich auch einen Flugzeugabschuß sehen?«
»Dafür haben wir Archivaufnahmen, Mylady«, schaltete Fletcher Salton sich ein, »und die Kanalbrücke dort lassen wir übermorgen hochgehen.«
»Sieht doch irrsinnig echt aus, wie?« Hank Hurst freute sich, »das Ding scheint aus Eisen zu sein, oder? Tatsächlich aber ist das ’ne reine Holzkonstruktion.«
»Kann es dabei nicht zu echten Verletzungen kommen?« erkundigte sich Kathy Porter.
»Das passiert immer wieder mal«, räumte der Mann für die Spezial-Effekte ein, »man muß eben höllisch aufpassen.«
»Ich glaube, die ersten Flugzeuge kommen«, schaltete sich Fletcher Stalton ein und hob den Kopf, um den Himmel abzusuchen, »wir haben echte Spitfire aufgetrieben, Mylady.«
»Wie viele Folgen werde ich später auf dem Bildschirm sehen?« fragte Lady Agatha. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen ein solide aussehendes Stativ, das einen übergroßen, rechteckigen Sonnenschirm hielt. Unter diesem Schirm befand sich das Schaltpult.
»Dreizehn Folgen, Mylady«, beantwortete Stalton die Frage, »jede wird etwa fünfzig Minuten lang sein. Ich sagte ja schon, es handelt sich um eine sehr aufwendige Produktion.«
»Die Sie im Auftrag einer Sendeanstalt produzieren?« fragte Kathy Porter. Sie schaute ein wenig unruhig auf Lady Agatha hinüber, die recht nahe am Schaltpult stand.
»Wir haben’s hier mit einer freien Auftragsproduktion zu tun«, sagte Fletcher Stalton, »sehen Sie doch, die ersten beiden Spitfire. Gleich ist dort drüben die Hölle los, glauben Sie mir.«
Lady Agatha wollte die beiden Flugzeuge ebenfalls in Augenschein nehmen und drückte den Rand des Sonnenschirmes ein wenig zur Seite. Damit veränderte sie durchaus ungewollt den Schwerpunkt des Stativs, das sich langsam zur Seite neigte. Lady Agatha wollte korrigierend eingreifen und schaffte es mit spielerischer Leichtigkeit, wieder mal wie so oft ein kleines Chaos auszulösen.
Sie begann mit der Schlacht!
*
»Ich muß alles genau wissen«, sagte Chief-Superintendent McWarden und wischte sich Lachtränen aus den Augenwinkeln, »Einzelheiten, Mr. Parker, Einzelheiten!«
»Mylady nahm zur Wiederherstellung des Gleichgewichts auf der Klaviatur Platz«, berichtete Josuah Parker gemessen, »dadurch kam es zu einer Synchronzündung, wie ich es ausdrücken möchte.«
»Sagenhaft«, freute sich McWarden, ein bulliger und untersetzter Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren, »und alles ging gleichzeitig hoch?«
»Mit einiger Vehemenz, wenn ich das so ausdrücken darf«, berichtete der Butler weiter, »ehemalige Kriegsteilnehmer waren anschließend der Meinung, echter habe die Wirklichkeit seinerzeit nicht ausgesehen. Die nachgemachte Straße verwandelte sich in Schutt und Asche.«
»Allmächtiger, das hätte ich mir gern angesehen«, sagte McWarden, »gab es etwa Verletzte?«
»Erstaunlicherweise, nein, Sir. Die Statisten brachten sich in Sicherheit und zwar derart wirklichkeitsgetreu, was nahezu bestürzend war. Die beiden Regisseure, die von verschiedenen Standorten aus aufnahmen, waren später des Lobes voll.«
»Wieso, Mr. Parker? Die beiden haben das ganze Theater mitgedreht?«
»Geistesgegenwärtig, Sir. Beide Regisseure räumten ein, so echt sei vorher noch nie agiert worden.«
»Alles in Schutt und Asche?« wiederholte der Chief-Superintendent sicherheitshalber noch mal.
»Die Dekorationen, wenn ich es so sagen darf, sind nicht mehr zu verwenden«, gestand der Butler höflich, »sie müssen nachgebaut werden.«
»Und Lady Simpson, Mr. Parker? Wie reagierte sie?«
»Ladylike, Sir«, antwortete Parker, »Mylady versicherte glaubhaft, daß eine Art höhere Gewalt im Spiel gewesen sei. Mr. Hank Hurst, der Mann für die Spezial-Effekte, mußte nach diesem Zwischenfall mit einem Nervenkollaps ins Hospital gebracht werden.«
»Und der Direktor der Produktion, dieser Stalton?«
»Befindet sich in einem Zustand nervlicher Auflösung, Sir«, erzählte Parker weiter, »aber wie gesagt, die beiden Regisseure sind des Lobes voll. Sie warten voller Ungeduld auf die ersten Muster. Sie sind von der Einmaligkeit ihrer Aufnahmen fest überzeugt.«
»Und Sie und Mr. Rander waren mitten drin in diesem Chaos?« McWarden befand sich in der großen Halle des Stadthauses der Lady. Er war vor etwa fünf Minuten gekommen und wollte der älteren Dame seine Aufwartung machen.
»Neben Mr. Rander und meiner Wenigkeit erhob sich ein echter Panzer in die Lüfte«, berichtete der Butler höflich wie stets, »es gelang meiner Wenigkeit, Mr. Rander vor der Landung des Panzers in Sicherheit zu bringen, doch dadurch kam man in die Zone einer Hauswand, die sich in ihre Bestandteile aufzulösen begann. Mr. Rander und meine Wenigkeit fanden schließlich Schutz in einem Schützenpanzer, der, aus welchen Gründen auch immer, am Boden blieb. Nach etwa zweiundzwanzig Minuten konnten Mr. Rander und meine Person geborgen werden.«
»Wie kann man so etwas nur versäumen«, ärgerte sich McWarden, »und das alles schaffte Lady Simpson mit der linken Hand?«
»Keineswegs und mitnichten, Sir«, widersprach der Butler.
»Wieso denn nicht, Mr. Parker?« Der Chief-Superintendent war irritiert.
»Mylady schaffte das mit jenem anatomischen Teil ihres Körpers, den man im Volksmund die Kehrseite zu nennen pflegt«, umschrieb der Butler die Situation.
»Damit deckte sie also die gesamte Tastatur ab, wie?«
»Aus verständlichen Gründen, Sir, möchte ich mich keineswegs zu den Ausmaßen dieses Körperteils äußern«, antwortete der Butler, »Mylady vermochte es allerdings, die bereits erwähnte Synchronzündung auszulösen.«
»Und wie geht’s da draußen jetzt weiter, Parker? Müssen die Aufnahmen abgebrochen werden?«
»Der künstlerische Leiter des Unternehmens läßt gewisse Szenen umschreiben, Sir, er möchte die Gunst der Stunde nutzen, wie zu hören war.«
»Welche Gunst der Stunde, Mr. Parker?«
»Eine echtere Trümmerlandschaft wie nach einem Erdbeben oder nach einer totalen Kriegseinwirkung hätten selbst einschlägig erfahrene Architekten nicht zu bauen vermocht. In diesen Trümmern soll nun intensiv weitergedreht werden.«
»Wahrscheinlich wird man sich noch bei der Lady bedanken, daß sie sich auf die Tastatur gesetzt hat«, meinte McWarden und lachte nicht mehr.
»Mit solch einer Reaktion ist durchaus zu rechnen, Sir.«
»Ich schätze, sie rechnet sogar fest damit, wie?«
»Dies sollte man ebenfalls nicht ausschließen, Sir. Mylady ist eine Dame, die vom Glück umhegt ist.«
»Sie waren rein zufällig draußen bei den Aufnahmen, Mr. Parker?«
»Mylady wollte sich die Entstehung einer Fernsehserie mal aus nächster Nähe ansehen.«
»Nun gut, ich habe einen anonymen Anruf erhalten, Mr. Parker.« McWarden räusperte sich und wurde dienstlich. »Sie sollen rund sechs Personen entführt haben. Was ist daran wahr?«
»Überhaupt nichts, mein lieber McWarden«, war genau in diesem Augenblick Myladys Stimme zu vernehmen. Sie schritt majestätisch die Treppe hinunter und winkte dem Chief-Superintendent freundlich zu. »Man scheint mich wieder mal verleumdet zu haben, aber ich muß und werde damit leben.«
Tragik lag in ihrer sonoren, dunklen Stimme. Sie sah McWarden an wie ein verwundetes Tier. Der Mann vom Yard ließ sich um ein Haar täuschen, räusperte sich dann und schüttelte die Befangenheit ab.