Читать книгу Butler Parker 183 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3

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»Aufdringlich wie eine Schmeißfliege«, grollte Agatha Simpson und verrenkte sich fast den Hals, als sie dem kleinen Hubschrauber nachblickte, der gerade wieder im Tiefflug über sie hinweg taumelte und dann hinter einer kleinen Anhöhe verschwand.

»Möglicherweise hat der Pilot gewisse Schwierigkeiten mit seiner momentanen Position«, gab Butler Parker zurück, »das Wetter ist nicht gerade als ideal zu bezeichnen.«

Es regnete, und von der nahen Küste trieben zusätzlich noch Nebelschleier über das Land. Mylady hatte sich einen fußlangen Wettermantel übergezogen und wurde außerdem von Parkers aufgespanntem Universal-Regenschirm beschützt. Mylady und der Butler befanden sich auf einem schmalen Feldweg, der von hohen Büschen und Sträuchern gesäumt wurde. Sie waren auf dem Weg zurück zu Parkers hochbeinigem Monstrum, das an der nahen Landstraße abgestellt worden war.

»Da ist diese Schmeißfliege wieder«, räsonierte die ältere Dame und blieb stehen, »so schwer kann es doch gar nicht sein, eine passende Wiese zu finden, Mr. Parker.«

»Möglicherweise sucht der Pilot eine ganz bestimmte Wiese oder ein ländliches Anwesen, Mylady.«

Mylady antwortete, doch ihre Worte gingen im Lärm der Rotoren unter. Der Hubschrauber kurvte ein und ging in einen geradezu halsbrecherischen Tiefflug über. Seine Landekufen streiften fast die Kronen der Büsche, und Lady Agatha zog unwillkürlich den Kopf ein. Wenig später zog der Hubschrauber wieder hoch und verschwand hinter den Schornsteinen des kleinen Gasthofes, dem die passionierte Detektivin und ihr Butler eben erst den Rücken gekehrt hatten, ohne dort eingelassen worden zu sein.

»Falls der Pilot landet, kann er mit einigen Ohrfeigen rechnen«, kündigte die ältere Dame an, die das sechzigste Lebensjahr mit Sicherheit bereits überschritten hatte. Sie war groß, füllig und von majestätischer Erscheinung. Agatha Simpson war eine Dame von hohem Rang, mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert. Immens reich, ging sie ihrem Hobby nach und betätigte sich als Privatdetektivin. Ihre Energie dabei war kaum weniger groß als ihre Unvorsichtigkeit. Sie sprühte stets vor Energie und ließ grundsätzlich keine Gelegenheit aus, in irgendein Fettnäpfchen zu treten.

Erneut geriet sie in Zorn, als der kleine Hubschrauber mit dem Gitterrumpf heranflatterte und nun direkt auf sie zuhielt. Die ältere Dame schob den Regenschirm, den Parker hielt, zur Seite und drohte nach oben. Dabei verrutschte ihr Hut, der eine skurrile Mischung aus einem Südwester und einem Napfkuchen darstellte.

Der Pilot des Hubschraubers schien diese Geste der Drohung mißverstanden zu haben – oder aber er wollte sich revanchieren. Parker sah deutlich, daß der Mann im verglasten Cockpit plötzlich einen dunklen Gegenstand nach unten warf, dann sein Fluggerät wieder hochzog und erneut hinter dem Gasthof verschwand.

Der Gegenstand gehorchte inzwischen den Gesetzen der Schwerkraft und fiel in leichtem Bogen nach unten. Die Luftwirbel der Rotoren mußten den dunklen Gegenstand leicht abgelenkt haben. Hinzu kam wohl auch noch der Wind, der die Nebelschwaden über das Land trieb.

Dicht neben Lady Agatha klatschte ein Päckchen in einen Strauch. Zweige brachen und wurden abgerissen. Dann kollerte das Gastgeschenk aus der Luft vor die nicht gerade kleinen Füße der älteren Dame, die unwillkürlich einen Hüpfer zur Seite tat.

»Haben Sie das gerade gesehen, Mr. Parker?« fragte sie dann und schnaubte vor Empörung, »der Lümmel da oben wollte mich treffen.«

»Ein Eindruck, Mylady, dem meine Wenigkeit nicht unbedingt widersprechen möchte«, gab Josuah Parker zurück und bückte sich nach dem Päckchen, das kaum größer war als eine Packung für Waschmittel. Es war sehr gut verklebt und verschnürt.

»Was sage ich denn dazu?« fragte Lady Agatha neugierig.

»Mylady dürften überrascht sein«, gab Josuah Parker zurück, »das Päckchen macht einen durchaus wasserdichten Eindruck.«

»Vielleicht eine Bombe«, hoffte die Detektivin, die sich auf jedes Abenteuer freute.

»Falls Mylady wünschen, könnte man das Päckchen öffnen.«

»Selbstverständlich will ich sehen, was man mir da auf den Kopf werfen wollte«, entgegnete die ältere Dame, während Parker das Päckchen hochnahm und sein rechtes Ohr daran legte.

»Ein deutliches Ticken, nicht wahr?« Ihre grauen Augen funkelten vor Erwartung.

»Nicht unbedingt, Mylady«, dämpfte Parker die freudige Hoffnung seiner Herrin, »aber vielleicht hat man es mit einem sogenannten Säurezünder zu tun.«

»Hauptsache, Mr. Parker, es ist eine Bombe«, meinte sie, »man stellte mir also wieder mal nach und will mich umbringen.«

»Man könnte das Päckchen vielleicht im Wagen öffnen«, schlug Josuah Parker in seiner höflichen Art vor. Er war längst davon überzeugt, daß man es auf keinen Fall mit einer Bombe zu tun hatte. Und er glaubte bereits zu wissen, daß man Mylady und ihn wohl verwechselt hatte. Der Regen und der immer dichter werdende Nebel mußten dem Piloten des Hubschraubers die genaue Sicht genommen haben.

Parker hielt längst wieder seinen Schirm über das Haupt der Lady und geleitete sie hinüber zur nahen Ladenstraße. Er war ein etwas über mittelgroßer, fast schlanker Mann und schon rein äußerlich das Urbild eines hochherrschaftlichen englischen Butlers. Sein glattes und meist ausdrucksloses Gesicht ließ kaum einen Rückschluß auf sein Alter zu.

Josuah Parker trug zur schwarzen Melone einen ebenfalls schwarzen Covercoat, einen weißen Eckkragen und einen schwarzen Binder. Seine Hände wurden umschlossen von schwarzen Lederhandschuhen.

»Ich bleibe dabei, daß man mich umbringen wollte«, behauptete Lady Agatha und ... runzelte verärgert die Stirn, als plötzlich zwei Schüsse fielen.

*

»Das haben Sie absichtlich getan«, grollte die ältere Dame einige Minuten später und verschmähte Parkers hilfreiche Hand. Der Butler hatte seine Herrin kurzerhand zur Seite gestoßen und in einen der mannshohen Sträucher befördert. Sie wischte einige nasse Blätter aus dem Gesicht und maß Parker mit drohendem Blick.

»Es ging um Myladys Leben«, erwiderte der Butler, »Mylady dürften kaum entgangen sein, daß geschossen wurde.«

»Tatsächlich?« Sie entspannte sich und sah ihren Butler bereits bedeutend freundlicher an.

»Es handelte sich um zwei Schüsse, Mylady«, sagte Josuah Parker, »meiner bescheidenen Ansicht nach kamen sie aus der Richtung jenes Gasthofes, dessen Türen sich als verschlossen erwiesen.«

»Dann hat man also absichtlich nicht geöffnet, nicht wahr?«

»Dieser Schluß, Mylady, drängt sich in der Tat auf.«

»Dann werde ich noch mal zurückgehen«, entschied sie, »Schüsse aus dem Hinterhalt kann ich nicht ausstehen.«

Sie schien das gut verschnürte Päckchen schon wieder vergessen zu haben und setzte ihre majestätische Fülle sofort in Bewegung. Sie verzichtete auf den Schutz von Parkers Regenschirm und stampfte ungeniert durch die Pfützen und Wasserlachen des Feldweges.

Josuah Parker folgte selbstverständlich.

Ihm war längst klar, daß man sich keineswegs allein in dieser engeren Region befand. Der Regen war inzwischen noch stärker geworden, der Nebel noch dichter. Es war inzwischen sehr dunkel geworden, die Sichtverhältnisse mehr als schlecht.

Als ein starker Windstoß einige Nebelvorhänge zur Seite blies, war der Gasthof wieder zu sehen. Die Fensterläden waren nach wie vor geschlossen, das anderthalbstöckige Haus aus Fachwerk und Bruchsteinen machte einen abweisenden, unbewohnten Eindruck. Lady Agatha, die die Tür erreicht hatte, klopfte mit der Faust gegen das Türblatt. Das Dröhnen mußte im Haus gehört werden, falls es Bewohner gab.

»Nichts«, sagte die ältere Dame leicht gereizt, »man will mich natürlich an der Nase herumführen, Mr. Parker.«

»Möglicherweise ist die Tür nur angelehnt«, erwiderte Josuah Parker und holte sein kleines Spezialbesteck aus einer seiner vielen Westentaschen. Er führte eine Art Pfeifenreiniger in das Türschloß und brauchte nur wenige Augenblicke, bis es nachgab. Als er die Tür jedoch aufdrücken wollte, zeigte es sich, daß von innen ein Riegel vorgeschoben worden war.

»Man dürfte den Gasthof auf einem anderen Weg verlassen haben, Mylady«, sagte Parker, »wenn es genehm ist, sollte man nach einer Hintertür suchen.«

»Und ob es genehm ist, Mr. Parker! Ich weiß, daß dieser Mordschütze im Haus sein muß.« Sie stampfte wieder los und schritt um die Hausecke, dicht gefolgt von Josuah Parker, der wieder mal seine schützende Hand über sie hielt. Er kannte ihr ungestümes Temperament nur zu gut.

Es gab eine zweigeteilte Hintertür.

Sie war halb geöffnet und wurde von den Windböen leicht bewegt. Parker überholte seine Herrin und stieß mit der Spitze seines Universal-Regenschirms die Tür vollends auf. Dabei horchte er in sich hinein. Seine innere Alarmanlage aber meldete sich nicht. Im Gasthof schienen demnach keine weiteren Überraschungen auf Mylady und ihn zu warten.

»Es kann sich nur um eine Falle handeln, Mr. Parker«, stellte die ältere Dame freudig fest, »aber dieser Schütze wird sich wundern.«

Nein, Angst war ihr völlig unbekannt.

Sie wollte zum Sturm ansetzen und ohne jede Deckung das Haus betreten. Josuah Parker hingegen rechnete mit mehr als peinlichen Überraschungen. Er drängte die ältere Dame scheinbar ungewollt ab und warf gleichzeitig einen seiner Patent-Kugelschreiber durch die Tür ins Innere des Gasthofes.

Man hörte deutlich, wie das Schreibgerät auf Steinplatten aufschlug. Sekunden danach wallten bereits die ersten dichten Nebelwolken aus dem Haus.

»Falls Mylady geneigt sind, einen Vorschlag meiner Wenigkeit anzunehmen, sollten Mylady vielleicht diesen Schwaden aus dem Weg gehen«, ließ Josuah Parker sich vernehmen, »mit einer gewissen Reizung der Atemwege und Tränendrüsen ist fest zu rechnen.«

Worauf Lady Agatha, die bereits eingeatmet hatte, bellend hustete.

*

Josuah Parker begab sich zurück zur Frontseite des Gasthofes.

Er rechnete damit, daß sich dort etwas tun würde. Falls sich im Gasthof der Schütze befand, würde er sicher versuchen, durch die Haupttür zu fliehen. Als der Butler die Hausecke erreicht hatte, hörte er bereits das Zuschlagen der Eingangstür. Er beschleunigte seine Schritte und nahm nur noch vage wahr, daß eine Gestalt sich durch das dichte Strauchwerk seitlich vom Haus zwängte.

Der Butler wartete noch einen Moment auf eine mögliche zweite Gestalt, doch sie blieb aus. Also betrat er den Gasthof durch den Haupteingang und bewegte sich vorsichtig in die Tiefe des Hauses. Doch schon bald darauf mußte er umkehren. Die starke Luftbewegung zwischen Haupteingang und Hintertür trieb die Nebelschwaden durch das Haus.

Lady Agatha kam ihm hustend an der Hausecke entgegen. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und dann den Regen von den Wangen.

»Sie haben mich schon wieder attackiert«, grollte sie, »Sie haben mich absichtlich nicht gewarnt, Mr. Parker.«

»In verständlicher Sorge um Myladys Wohl«, entschuldigte sich der Butler, »im Haus wartete, wie sich eben herausstellte, bereits der Mörder auf sein Opfer.«

»Sie übertreiben«, meinte sie, »haben Sie diesen Schützen wenigstens gesehen und erkannt?«

»Meine Wenigkeit konnte nur vage Umrisse ausmachen, Mylady.«

»Ich, Mr. Parker, hätte mit Sicherheit mehr gesehen«, mokierte sie sich, »aber gut, ich werde das nicht weiter vertiefen. Ich frage mich nur, seit wann man mich beschattet hat?«

»Mylady spielen auf den Hubschrauber und den Schützen an?«

»Natürlich, Mr. Parker. Dieser doppelte Anschlag galt allein meiner Person, darüber bin ich mir jetzt völlig im klaren.«

»Etwaige Verfolger können Mylady nur per Zufall erkannt haben«, sagte Josuah Parker, »Mylady unternahmen den Abstecher nach Port Talbot rein zufällig, wenn meine Wenigkeit höflich daran erinnern darf.«

»Stimmt das wirklich?« zweifelte Agatha Simpson prompt. »Ich hatte in Cardiff zu tun, das ist richtig. Es war übrigens eine sehr langweilige Aufsichtsratssitzung, Mr. Parker, wie Sie wissen. Ich hätte erst gar nicht kommen sollen.«

»Mylady waren und sind dankenswerterweise an der Erhaltung alter waliser Schlösser und Burgen interessiert«, meinte Parker, »ohne Myladys Großzügigkeit würde manch wertvolles Baudenkmal der Zerstörung anheimfallen.«

»Man wollte nicht mich sehen, sondern mein Geld«, räsonierte sie, »aber wie auch immer, habe ich mit irgendjemand über meinen Ausflug nach Port Talbot geredet?«

»Nicht in meiner bescheidenen Gegenwart, Mylady.«

»Ich werde über diesen Punkt nachdenken«, erklärte sie, »und mich an die Einzelheiten sehr genau erinnern, für mein Gedächtnis bin ich schließlich bekannt, oder?«

»Myladys Erinnerungsvermögen kann man in der Tat nur als ausgesprochen frappant bezeichnen«, entgegnete Parker und verzog keine Miene. Genau das Gegenteil war nämlich der Fall. Sie behielt so gut wie nichts, schon gar keine Namen.

»Hier wird also der Zufall mitgespielt haben«, überlegte sie, »irgendein Gangster hat mich in Cardiff erkannt und Sofort seine Killer auf mich angesetzt. Man kennt das ja.«

»Vielleicht wollen Mylady sich den Inhalt des Päckchens aus der Nähe ansehen«, schlug Parker vor, um das Thema zu wechseln.

»Selbstverständlich«, meinte sie, »genau das wollte ich gerade Vorschlägen.«

»Schräg neben dem Gasthof befindet sich eine Holzlaube, Mylady, die Trockenheit verspricht.« Parker deutete mit der Spitze des Regenschirms in die ziehenden Schwaden, die noch dichter geworden waren. Dafür hörte aber der Regen etwas auf.

Lady Agatha hatte bereits wieder vergessen, daß sich ihrer Ansicht nach eine Bombe im Päckchen befand. Sie blieb neben Parker stehen, als er die Klebestreifen von der wasserdichten Folie abzog und dann den starken Karton hervorschälte.

»Wahrscheinlich Rauschgift«, meinte sie nun, »Sie wissen, Mr. Parker, daß ich mich auf meinen Instinkt verlassen kann.«

»Wie Mylady zu meinen belieben.« Parker mußte weitere Klebestreifen entfernen, bis er den Deckel des Kartons endlich vorsichtig lüften konnte.

»Nun, Mr. Parker?« Sie beugte sich neugierig vor.

»Es dürfte sich um Blech handeln, Mylady«, sagte Parker nach einem kurzen Blick in das Päckchen, »dann um Gürtelschnallen, Brustplatten und Lorbeerblätter.«

»Wollen Sie mich unbedingt reizen, Mr. Parker?« Sie sah ihren Butler scharf an. »Haben Sie gerade von Blech gesprochen?«

»Von Goldblech, Mylady, um genau zu sein«, redete Josuah Parker in seiner höflichen Art weiter, »dem Gewicht nach dürfte der reine Materialwert nicht gerade erheblich zu nennen sein.«

*

Der Butler hob den Deckel vollends an und legte ihn zur Seite. Dann trat er notgedrungen einen halben Schritt zurück, denn Lady Agatha schob ihre Fülle nachdrücklich vor. Sie beugte sich über das Päckchen und zog dann die Luft scharf ein.

»Ich ahnte es«, sagte sie schließlich, »irgendwie habe ich das gespürt, Mr. Parker.«

»Mylady sind beeindruckt?« erkundigte sich Parker.

»Beeindruckt und empört«, erwiderte sie, »das sind doch Kunstschätze, nicht wahr, Mr. Parker?«

»Eindeutig, Mylady«, bestätigte Josuah Parker, »diese Gegenstände aus Goldblech dürften meiner bescheidenen Ansicht nach aus einem Museum stammen.«

»Sehen Sie sich das an, Mr. Parker!« Die ältere Dame nahm einen der Gegenstände aus dem Päckchen und hielt ihn hoch. Es handelte sich um den Teil eines Brustschmuckes, dessen Gold-Granulation beeindruckend war. Winzig kleine Perlen aus Gold waren auf dem Untergrund aus dünnem Goldblech aufgeklebt oder aufgelötet. Über dem durchlaufenden Brandmuster war eine Reihe mythologischer Figuren zu erkennen, die bis in das winzigste Detail durchgearbeitet waren.

»Falls es gestattet ist, Mylady, möchte meine Wenigkeit in Bewunderung verharren«, sagte Josuah Parker.

»Natürlich gestatte ich es«, gab Agatha Simpson zurück, »es handelt sich eindeutig um einen Schmuck aus der Inka-Zeit.«

»Nicht unmittelbar, Mylady«, korrigierte Josuah Parker in seiner höflichen Art, »es dürfte sich um einen etruskischen Brustschmuck handeln.«

»Das sehen Sie völlig falsch, Mr. Parker«, widersprach die Detektivin, »Natürlich handelt es sich um Schmuck aus der Inka-Zeit, aber das können Sie schließlich nicht wissen.«

»Wie Mylady zu meinen belieben.« Parker, der sich seiner Sache völlig sicher war, verlor nichts von seiner Gemessenheit und Höflichkeit. Lady Simpson vermochte einfach nicht, ihn zu erschüttern.

»Ein Lorbeerkranz«, sagte sie inzwischen und zog einen Haar-Reif aus dem Päckchen. Die Blätter waren auch hier bis ins letzte Detail nachgebildet worden.

»Und dazu noch zwei Armreifen mit granulierten Goldperlen«, zählte der Butler weiter auf, »und dies hier dürfte die Nachbildung einer Leber sein, wenn meine Wenigkeit nicht sehr irrt.«

»Machen Sie sich doch nicht lächerlich, Mr. Parker.« Sie nahm den Gegenstand, den Parker hochhielt, in die eigene Hand und wog ihn. »Massives Gold, Mr. Parker. Wie kommen Sie darauf, daß dies eine Leber sein soll?«

»Meine Wenigkeit sah solch ein Modell in Bronze in einer Ausstellung in London«, antwortete der Butler.

»Unsinn, Mr. Parker, das ist ein Wetzstein«, behauptete die ältere Dame unwirsch, »ich kenne mich in solchen Dingen aus. Aber wie auch immer, ich denke, ich habe hier einen recht kostbaren Fund gemacht, wie?«

»Mylady wurden mit diesem Fund förmlich bombardiert«, entgegnete der Butler, »darf man auch noch auf die übrigen Schmuckstücke aus Goldblech verweisen?«

Er hob nacheinander weitere Gegenstände aus dem Päckchen, nämlich eine Kette mit einem kleinen Brustschild, dann weitere Armreifen, Schnallen und Armspangen.

»Wieviel mag das alles wert sein?« wollte Agatha Simpson wissen, als Parker sich daran machte, die Schmuckgegenstände in das Päckchen zurückzulegen.

»Der Wert ist kaum abzuschätzen, Mylady«, beantwortete Parker die Frage, »es dürfte sich um viele Millionen Pfund handeln.«

»Dann wird der Finderlohn entsprechend sein«, freute sich die ältere Dame.

Weil sie mehr als nur vermögend war, besaß sie einen sehr ausgeprägten Sinn für Geld. Sie konnte sparsam sein, bis zum Geiz, sie konnte ihr Geld aber auch mit vollen Händen ausgeben, wenn es ihrer Ansicht nach angebracht war. Für ihr Hobby als Kriminalistin scheute sie keine Ausgabe.

»Ohne mich wäre dieses Goldblech unwiederbringlich verloren«, redete sie weiter, »ich werde meinen Finderlohn entsprechend hoch ansetzen.«

»Dazu werden Mylady sich mit dem Besitzer des Goldschmucks in Verbindung setzen müssen«, antwortete der Butler.

»Das werde ich Ihnen überlassen, Mr. Parker«, gab sie zurück, »diese unwichtigen Details interessieren mich nicht.«

»Wären Mylady damit einverstanden, einen Blick in das Haus zu werfen?«

»Was soll ich denn dort?« fragte sie ungeduldig.

»Möglicherweise ergibt sich eine Begegnung mit den Hausbewohnern, Mylady.«

»Nun gut.« Sie nickte flüchtig. »Ich werde Ihnen diesen Gefallen tun, Mr. Parker, obwohl ich bereits schon jetzt weiß, daß das reine Zeitverschwendung sein wird.«

*

Es war natürlich keine Zeitverschwendung.

Der Durchzug hatte die Nebelschwaden aus dem Patent-Kugelschreiber längst vertrieben, und Josuah Parker nahm eine Besichtigung des Gasthofes vor. In einem der kleinen, niedrigen Kellerräume entdeckte er dann eine Frau und einen Mann, die man gefesselt und geknebelt hatte. Nachdem der Butler die beiden Personen befreit hatte, führte er sie in den Schankraum, wo Lady Agatha ihren Kreislauf mit einem Sherry stärkte, den sie in der Bar gefunden hatte. Sie runzelte die Stirn, als sie die beiden Betreiber der Gastwirtschaft sah. .

»Ich will alles wissen«, schickte sie voraus, »und wagen Sie es nicht, mich belügen zu wollen.«

Der Mann, der etwa fünfzig Jahre zählte, machte einen völlig irritierten Eindruck. Seine Frau, die schätzungsweise fünf Jahre jünger war, erholte sich erstaunlich schnell. Sie war mittelgroß, korpulent und schien wesentlich energischer zu sein als ihr Mann.

»Dieser Kerl zog plötzlich einen Revolver«, sagte sie ohne jede Einleitung, »und dann mußten wir ’runter in den Keller. Und da hat er meinen Mann einfach niedergeschlagen. Danach hat er uns gefesselt und uns die Heftpflaster auf den Mund geklebt.«

»Mylady wünschen zu erfahren, wann dies alles geschah«, ließ Josuah Parker sich vernehmen.

»Vor einer Stunde etwa«, lautete die Antwort des Mannes, der wesentlich kleiner und schmaler war als seine Frau, »und diesen Mann hatten wir vorher noch nie gesehen.«

»Ich schon«, widersprach die mittelgroße, korpulente Frau energisch, »dieser Kerl war schon zweimal hier bei uns im Gasthof.«

»Können Sie sich eventuell an einen genauen Zeitpunkt erinnern?« wollte der Butler wissen. Seine Herrin hielt sich zurück und kostete inzwischen einen Portwein, den sie im Barregal entdeckt hatte. Sie nickte jedoch beifällig, als Parker seine Frage stellte.

»Das war gestern und vorgestern«, beantwortete die Frau die Frage des Butlers, »er war aber immer nur kurz hier. Jetzt weiß ich natürlich, warum er sich hier umgesehen hat.«

»Nämlich?« schaltete Agatha Simpson sich nun ein. Sie sah die korpulente Frau scharf an.

»Er wollte herausfinden, ob wir allein sind oder nicht«, meinte die Frau, »aber an unser Erspartes ist er nicht herangekommen, das hat er bestimmt nicht gefunden.«

»Wieso sind Sie sich dessen so sicher?« fragte Josuah Parker.

»Weil das Geld genau in dem Keller ist, in den er uns eingeschlossen hat«, sagte die Gastwirtin triumphierend, »das Geld hat er übersehen.«

»Sie würden diesen Mann unter Umständen wiedererkennen?« wollte Agatha Simpson wissen.

»Natürlich«, sagte die korpulente Frau und nickte nachdrücklich, »er hat ein richtiges Galgenvogelgesicht.«

»Was kann und darf man sich darunter vorstellen?« erkundigte sich der Butler.

»Ich habe mir den Kerl sehr genau angesehen«, schickte die Gastwirtin voraus, »er hat zusammengewachsene Augenbrauen, eine scharfe Nase und einen schiefen Mund mit schlechten Schneidezähnen.«

»Ihre Beschreibung ist erfreulicherweise sehr präzise«, stellte der Butler fest, »die Polizei wird ungemein zufrieden sein.«

»Und die Versicherung«, fügte die korpulente Gastwirtin hinzu, »mein Mann und ich werden gleich erst mal feststellen, was dieser Strolch alles mitgenommen hat. Ich meine so an Getränken und Vorräten. Ohne Grund hat er uns ja bestimmt nicht überfallen.«

»Mylady sind sicher, daß Sie nicht übertreiben werden«, antwortete Parker höflich. Die Gastwirtin schluckte, verstand dann und errötete leicht.

»Aber untertreiben Sie auch nicht, meine Beste«, warf Lady Agatha sachkundig ein, »ich kenne diese Versicherungen. Man zahlt und zahlt, aber wenn man dann etwas von ihnen haben will, drücken sie sich.«

»Ich werde schon nicht untertreiben«, versprach die Gastwirtin und bedachte die ältere Dame mit einem dankbaren Blick.

»Kann man Sie Ihrem momentanen Schicksal überlassen?« wollte Parker wissen, der Fragen der Versicherungsbranche nicht weiter zu vertiefen gedachte.

»Ob man was kann?« fragte die Gastwirtin irritiert.

»Kann ich gehen, oder brauchen Sie mich noch, meine Liebe?« übersetzte Agatha Simpson.

»Nein, nein, wir kommen schon zurecht«, versprach die Gastwirtin, »und wir werden gleich die Polizei anrufen, aber vorher wollen wir erst noch feststellen, was man uns gestohlen hat.«

»Dann wünscht man noch einen ausgeglichenen Abend«, grüßte der Butler und lüftete die schwarze Melone. Er griff nach dem Päckchen und ging zur Tür.

»Moment noch«, rief der Gastwirt, »wer sind Sie eigentlich? Ich meine, die Polizei wird doch wissen wollen, wer Sie ...«

»Sie erreichen Mylady unter dieser Adresse«, sagte Josuah Parker und reichte dem Gastwirt eine seiner Visitenkarten. »Bis gegen Mittag des morgigen Tages werden Sie ›Mylady im Schwarzen Schwan‹ in Port Talbot erreichen.«

»Tatsächlich?« fragte, die Detektivin, die davon noch gar nichts wußte.

*

Es war inzwischen dunkel.

Der Regen war stärker geworden, der Nebel intensiver. Parker stoppte sein hochbeiniges Monstrum vor einem Supermarkt und lieferte gleich eine Erklärung dazu.

»Mylady hätten sicher noch angeregt, ein zweites Päckchen vorzubereiten«, sagte er in seiner höflichen Art.

»Natürlich«, gab sie zurück, »aber warum, Mr. Parker? Ich verlange eine Erklärung.«

»Man dürfte versuchen, Mylady den Goldschmuck wieder abzujagen«, erwiderte Josuah Parker, »Mylady wissen ja längst, daß man Mylady mit dem tatsächlichen Empfänger verwechselt hat.«

»Und ob ich das weiß, Mr. Parker!« Sie nickte wissend. »Dieses Subjekt, das auf mich geschossen hat, wird mir erfreulicherweise auf den Fersen bleiben. Das möchte ich mir wenigstens ausgebeten haben.«

»Mylady können fest damit rechnen«, versprach Josuah Parker, »möglicherweise wird man bereits intensiv beschattet.«

»Ich werde den Gangstern ein zweites Päckchen anbieten«, meinte sie, »ich erwarte dazu Ihre Vorschläge, Mr. Parker.«

»Wenn Mylady meine Wenigkeit einen Moment entschuldigen wollen«, bat der Butler, lüftete die schwarze Melone und verließ seinen Privatwagen. Es handelte sich dabei um ein ehemaliges Londoner Taxi alter Bauart, das rein äußerlich bereits einen museumsreifen Eindruck machte. Tatsächlich aber war dieser hochbeinige, eckige Wagen eine Trickkiste auf Rädern, wie Eingeweihte wußten. Parker hatte ihn nach seinen Vorstellungen technisch neu konzipieren lassen und verfügte zum Beispiel über einen ungemein leistungsstarken Rennmotor.

»Ich werde mich den Gangstern inzwischen als Lockvogel anbieten«, erklärte Lady Agatha unternehmungslustig, als Parker die Wagentür schloß, »wo haben Sie das Päckchen?«

»Unter meinem Covercoat, Mylady«, erwiderte der Butler und ließ seinen Universal-Regenschirm aufspringen. Er stemmte sich gegen den Regen und tarnte so die Ausbeulung seines schwarzen Mantels. Mit wenigen Schritten erreichte er den Eingang zum Supermarkt und sorgte dann dafür, daß er schnell hinter querstehenden Regalen verschwand.

Er brauchte nicht lange zu suchen, bis er das gefunden hatte, was er brauchte. Aus einem Regal zog er ein Paket mit Waschpulver und legte es in den Einkaufswagen. Dann schob er seinen Einkauf wie selbstverständlich durch eine weit geöffnete Lagertür im Supermarkt und näherte sich gemessen einem jungen Mann, der einen weißen Kittel trug.

»Bestehen rechtliche Bedenken, daß meine Wenigkeit in Ihrer Gegenwart ein Päckchen umpackt?« fragte er höflich.

»Was wünschen Sie, Sir?« fragte der Verkäufer.

»Es geht um das Umhüllen und Verschnüren eines Päckchens«, erläuterte Josuah Parker und deutete mit der Schirmspitze auf das Paket mit Waschpulver.

»Natürlich können Sie das einpacken«, erwiderte der junge Mann, der leicht irritiert war. Einen wirklichen Butler kannte er wahrscheinlich nur von der Filmleinwand oder vom Bildschirm her, »kann ich Ihnen helfen?«

»Sie würden einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann einen großen Dienst erweisen«, meinte Parker, »wenn Sie erlauben, möchte man sich bereits im vorhinein für Ihre Freundlichkeit erkenntlich zeigen.«

Diskret überreichte er dem jungen Mann eine Banknote und bat ihn anschließend, sich um Lady Simpson zu bemühen, die vorn im Supermarkt zu finden wäre.

»Inzwischen wird man die Päckchen neu verpacken«, sagte er dazu. Der junge Mann war zuerst ein wenig unentschlossen, löste sich dann jedoch vom Arbeitstisch und ging nach vorn zur durchsichtigen Luftschleuse aus starkem Kunststoffmaterial.

Parker hatte freie Bahn und machte sich an die Arbeit. Er änderte nichts am Originalpäckchen und befaßte sich ausschließlich mit dem Paket, in dem sich das Waschmittel befand. Er schlug es in Packpapier ein, das von einer großen Rolle stammte, verklebte es und war mit seiner kleinen Manipulation bereits fertig, als der junge Mann an den Tisch zurückkehrte.

»Sie werden mit Sicherheit neugierig sein«, vermutete Josuah Parker.

»Ehrlich gesagt ja«, lautete die Antwort.

»Das kann meine Wenigkeit voll und ganz verstehen«, meinte der Butler, lüftete die schwarze Melone und begab sich gemessen zum hochbeini1 gen Monstrum zurück.

*

»Ich werde bereits beobachtet«, behauptete die ältere Dame, als Parker am Steuer seines Wagens Platz nahm.

»Könnten Mylady meine Wenigkeit ins Bild setzen?« fragte der Butler und blickte einer jungen Frau nach, die einen dunklen Regenmantel trug und gerade den Supermarkt betrat. Sie war ihm bereits beim Verlassen des Geschäftes aufgefallen. Sie hatte vor einem Aushang gestanden und private Verkaufsanzeigen studiert. Dabei schien sie den starken Regen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen zu haben.

»Sehen Sie sich den Morris dort drüben an, Mr. Parker«, redete die ältere Dame inzwischen weiter, »das Subjekt am Steuer fixiert mich ununterbrochen. Ich hätte große Lust, mir diesen Lümmel mal zu kaufen.«

»Er dürfte Mylady mit Sicherheit folgen«, antwortete Parker, »Mylady haben gewiß vor, ihn in eine Falle zu locken.«

»Das ist richtig«, behauptete sie umgehend, »sind Sie zurechtgekommen?«

»Der geplante Austausch konnte durchgeführt werden«, schwindelte Josuah Parker, »Nachfragen etwaiger Verfolger werden das erhärten.«

»Man muß eben Phantasie haben, Mr. Parker«, sagte sie wohlwollend, »aber so etwas kann man natürlich nicht lernen.«

Parker verzichtete auf eine Antwort und ließ sein hochbeiniges Monstrum anrollen. Die junge Frau im dunklen Regenmantel erschien bereits wieder vorn an der Tür des Supermarktes und überquerte die Straße. Im Rückspiegel stellte Parker fest, daß sie sich keineswegs in den Morris setzte, sondern in einen grünen Ford, der im Regen und in den Nebelschleiern kaum zu erkennen war.

»Nun, Mr. Parker?« fragte Agatha Simpson wohlwollend, »der Morris folgt mir natürlich, wie?«

»In etwa, um es mal so auszudrücken, Mylady«, lautete Parkers Antwort, »momentan dürfte es sich um einen dunkelgrünen Ford handeln.«

»Was macht das für einen Unterschied?« fragte sie streng zurück, »kleben Sie nicht an unwichtigen Kleinigkeiten. Hauptsache dürfte doch wohl sein, daß man mich beschattet. Und wie soll es jetzt weitergehen? Ich hoffe doch sehr, daß Sie sich darüber bereits Ihre Gedanken gemacht haben.«

»Mylady haben sicher die feste Absicht, in dieser Region zu bleiben.«

»Selbstverständlich«, erklärte sie, »ich werde diesen Fall an Ort und Stelle lösen.«

»Mylady wären damit einverstanden, im bereits erwähnten ›Schwarzen Schwan‹ abzusteigen?«

»Diese Details interessieren mich nicht, Mr. Parker, ich erwarte allerdings, daß die Hotelküche gut ist.«

»Davon könnte man ausgehen, Mylady. Der ›Schwarze Schwan‹ in Port Talbot ist ein Haus der ersten Kategorie.«

»Und Sie erwarten, daß die Gangster sich dort einfinden werden, Mr. Parker?«

»Man wird alles daransetzen, Mylady den antiken Goldschmuck wieder abzujagen.«

»Das klingt durchaus erfreulich.« Sie nickte wohlwollend und ließ sich in die Wagenpolster zurücksinken. »Ist der Morris noch immer hinter uns?«

»Der grüne Ford folgt in einer Art und Weise, Mylady, die man nur als ausgesprochen hartnäckig bezeichnen kann«, lautete Parkers Antwort, »vielleicht wird es bereits während der Fahrt nach Port Talbot zu einer Begegnung mit den Gangstern kommen.«

Josuah Parker hatte seinen Satz gerade beendet, als der grüne Ford erheblich schneller wurde. Die beiden Wagen befanden sich auf einer langgezogenen Straße, auf der kaum Verkehr herrschte. Die Insassen des grünen Ford witterten wohl hier eine Möglichkeit, Parkers altersschwach aussehenden Wagen zu stellen.

Der Ford überholte. Und bei dieser Gelegenheit fand Josuah Parker heraus, daß zusätzlich zu der jungen Frau im dunklen Regenmantel noch zwei Männer im Wagen saßen, von denen einer steuerte. Blitzschnell jagte der Wagen an Parkers hochbeinigem Monstrum vorüber und wurde kurz danach fast brutal gebremst. Der Ford schlitterte ein Stück über den nassen Asphalt, stellte sich dann durch geschicktes Gegenlenken quer und versperrte Parker den Weg.

Die beiden männlichen Insassen des Ford sprangen aus dem Wagen und zeigten Maschinenpistolen, deren Läufe sie auf Parkers Wagen richteten. Die ältere Dame schnaufte verärgert und übersah wieder mal die drohende Gefahr.

»Eine ausgemachte Unverschämtheit«, grollte sie nach vorn in Richtung Parker, »so etwas läßt eine Lady Simpson sich natürlich nicht bieten.«

»Falls doch, Mylady, dann sicher nur im Zusammenhang mit einer gewissen Taktik.«

»So ist es, Mr. Parker.« Sie ignorierte die beiden Maschinenpistolen und dachte ganz sicher nicht an die schußsichere Karosserie des Wagens. Für Agatha Simpson war es einfach undenkbar, daß man sie je treffen könnte.

»Man sollte den beiden Männern das bewußte Päckchen anbieten, Mylady«, schlug Parker vor, als die beiden Gangster sich näher an das hochbeinige Monstrum heranschoben.

»Ich verstehe.« Sie lächelte boshaft.

Josuah Parker kurbelte ein wenig die Wagenscheibe herunter und erkundigte sich mit wohlgesetzten Worten nach den Wünschen der beiden Männer.

»Nun rück’ schon das Päckchen ’raus«, antwortete einer von ihnen, »und komm’ uns bloß nicht mit Tricks.«

»Keineswegs und mitnichten«, gab Josuah Parker zurück und langte nach dem Originalpäckchen, das neben ihm auf dem Beifahrersitz lag. Als er es hob und an die Wagenscheibe brachte, schaltete der zweite Mann sich ein.

»Das würd’ dir so passen«, meinte er wissend und lachte kurz, »reich mal das zweite Päckchen ’rüber. Und macht schnell, bevor wir sauer werden.«

»Das zweite Päckchen?« fragte Parker.

»Das andere Päckchen, Mann«, folgte die Wiederholung, »und dann vergiß, daß es uns gibt, sonst wirst du Arger bekommen.«

»Wie Sie zu wünschen belieben.« Parker reichte das zweite Päckchen nach draußen. Der erste Gangster griff danach und nickte dann seinem Partner zu. Die beiden Männer wandten sich ab, liefen zurück zum dunkelgrünen Ford, warfen sich förmlich in den Wagen und preschten davon.

»Die junge Dame im Regenmantel dürfte sich im Supermarkt nach den Aktivitäten meiner bescheidenen Wenigkeit erkundigt haben«, sagte Josuah Parker, »daher auch die Fixierung der beiden Männer auf das Waschmittelpaket, in dem man den Goldschmuck vermutet.«

»Und was bringt das, Mr. Parker?« wollte die ältere Dame wissen. »Warum dieses Täuschungsmanöver?«

»Mylady hatten es bisher mit dem sogenannten Fußvolk zu tun, wie zu vermuten ist«, schickte Parker voraus, »nach diesem Täuschungsmanöver wird man kompetentere Personen schicken, die wahrscheinlich mehr wissen dürften als die beiden Wegelagerer.«

»So sehe ich das natürlich ebenfalls«, behauptete Lady Agatha, »wird man Augen machen, wenn das Waschpulver durch den Wagen wirbelt.«

*

Selbstverständlich hatte man im ›Schwarzen Schwan‹ in Port Talbot eine hochherrschaftliche Suite für Agatha Simpson, Nachdem sie die beiden Räume und das Bad begutachtet, hatte, widmete sie sich der Speisekarte und ging die einzelnen Positionen durch.

»Ich denke, daß ich hier bleiben werde«, entschied sie schließlich, »aber ich brauche selbstverständlich noch einige Kleinigkeiten für die Nacht, Mr. Parker.«

Man könnte sofort einen Gang durch die Innenstadt antreten und die einschlägigen Geschäfte besuchen«, schlug Josuah Parker vor.

»Man könnte«, sagte sie, »aber ich glaube, daß mein Kreislauf etwas gelitten hat, Mr. Parker. Erledigen Sie das für mich. Zudem werde ich jetzt erst mal die Küche testen.«

»Mylady sollten und werden davon ausgehen, daß man Mylady einen Besuch abstatten könnte.«

»Machen Sie sich nur keine Gedanken.« Sie winkte ab. »Ich weiß mich schon meiner Haut zu wehren, Mr. Parker.«

Josuah Parker verabschiedete sich, warf einen kurzen Blick in sein Hotelzimmer und machte sich dann auf den Weg, um ein paar Kleinigkeiten für seine Herrin einzukaufen. Er dachte in diesem Zusammenhang an ein Nachthemd, Zahnbürste und andere Artikel der Körperpflege. Das Päckchen mit dem Goldschmuck hatte er unter dem Rücksitz seines hochbeinigen Monstrums versteckt, und zwar nicht ohne Grund. Dieses Sitzpolster bot für den Unkundigen nämlich einige neckische Überraschungen.

Parker war gespannt darauf, ob man Mylady und ihn hier besuchen würde. Diese Adresse kannte nur das Ehepaar draußen an der Küste, dem er auch seine Visitenkarte übergeben hatte. Tauchten hier im Hotel also Gangster auf, dann mußten John und Mary Hellwick ihr Wissen preisgegeben haben, oder man hatte davon auszugehen, daß die Gangster sie nach wie vor überwachten.

Die zentrale Lage des Hotels in der kleinen Industriestadt ermöglichte es Parker, die wenigen Einkäufe innerhalb einer halben Stunde zu tätigen. Während des Einkaufs blieb er auf der Hut und forschte immer wieder nach eventuellen Verfolgern. Mylady und er waren durch Zufall in den Besitz einer millionenschweren Beute gekommen. Natürlich würden die Diebe alles daran setzen, den Goldschmuck wieder in ihre Hand zu bekommen. Und besonders rücksichtsvoll würden sie ganz sicher nicht sein, nachdem sie gerade erst düpiert waren.

Parker passierte auf dem Rückweg eine Kaufpassage und blieb plötzlich stehen. Er sah einen Lorbeerkranz aus ziseliertem Goldblech, dann darunter einen Armreif und eine Brustplatte. Die Gegenstände kamen ihm sehr bekannt vor. Sie befanden sich auf einem Plakat und waren die Prachtstücke einer etruskischen Ausstellung in Bristol. Laut Zeitangabe auf diesem Plakat war die Ausstellung noch sechs Tage geöffnet.

Parkers Interesse war verständlicherweise mehr als nur geweckt. Er erinnerte sich, eben erst die Anzeigen-Annahme einer Zeitung gesehen zu haben, wandte sich um und suchte sie auf.

Und hier wurde Parker sofort fündig.

Er kaufte sich eine Abendausgabe der Zeitung und wurde von der Schlagzeile förmlich angesprungen. In großen Lettern war hier zu lesen, daß unbekannte Täter die wertvollsten Exponate dieser Ausstellung gestohlen hatten. Dieser Diebstahl hatte sich am späten Mittag ereignet. Parkers Schätzung erwies sich übrigens als völlig richtig. Der Wert der Ausstellungsstücke war kaum schätzbar, ging aber in die Millionen, wie zu lesen war.

Josuah Parker wußte damit Bescheid.

Die Täter hatten die wertvollen Ausstellungsstücke von Bristol über den weiten Mündungstrichter des Flusses Severn geschafft und dann in Küstennähe abgeworfen. Hier mußten zwei Personen auf das bewußte Päckchen aus der Luft gewartet haben. Wahrscheinlich hatten sie den Auftrag gehabt, danach dieses Päckchen außer Landes zu schmuggeln. Auf dem Seeweg konnte dies kaum ein Problem sein. Die Küste hier im Südwesten Englands besaß viele kleine Häfen und Urlaubsorte. Ein in See stechendes Boot fiel da kaum auf.

Der bisher betriebene Aufwand zeigte deutlich an, daß man es wohl mit einer Bande zu tun hatte, die professionell geführt wurde. Die Panne mit dem Abwurf des Päckchens war nur dem schlechten Wetter zuzuschreiben. Die Gangster mochten jede Eventualität einkalkuliert haben, doch am Wetter waren sie gescheitert.

Als Parker die Anzeigenannahme verließ, schob sich dicht hinter ihm ein anderer Besucher nach draußen, der plötzlich drückte die Tasche seines Regenmantels gegen Parkers Rücken.

»Machen Sie keinen Blödsinn«, warnte den Butler dann eine kühle Stimme, »meine Kanone hat einen Schalldämpfer.«

»Meine Wenigkeit ist sicher, durchaus verstanden zu haben«, erklärte Josuah Parker höflich und gemessen, »verfügen Sie über meine Person.«

*

Sie blieben vor einem Schaufenster der Passage stehen.

In der Scheibe, die als Spiegel wirkte, konnte Parker seinen Hintermann mustern. Sofort fielen ihm der schiefe Mund, die zusammengewachsenen Augenbrauen und die schmale Nase auf.

Das Ehepaar John und Mary Hellwick vom Gasthof hatten so und nicht anders jenen Mann beschrieben, der sie überfallen und gefesselt hatte. Eine Verwechslung konnte kaum vorliegen.

»Machen wir’s kurz«, sagte der Mann, »ich will das Päckchen haben.«

»Dieses Päckchen scheint sich einiger Beliebtheit zu erfreuen«, gab der Butler höflich zurück, »zu Ihrem Leidwesen muß ich Ihnen erklären, daß es den Besitzer gewechselt hat.«

»Was soll das heißen?«

»Man zwang Lady Simpson und meine Wenigkeit, das bewußte Päckchen aus der Hand zu geben.«

»Wer hat gezwungen?« wollte der Mann wissen. Mit dieser Frage legte er ungewollt klar, daß er mit den Personen aus dem dunkelgrünen Ford wohl kaum etwas zu tun hatte.

»Müßten Sie diese Personen nicht besser kennen als meine Wenigkeit?«

»Machen Sie keine Zicken, Mann«, kam prompt die Antwort, »ich hab’ doch mitbekommen, daß Sie in diesem Supermarkt waren. Und da haben Sie sich’n zweites Päckchen besorgt.«

»Woher, wenn man fragen darf, nehmen Sie diese Sicherheit des Wissens?«

»Weil ich den Burschen im Supermarkt gefragt habe«, entgegnete der Mann und grinste schief. Dabei zeigte er seine in der Tat sehr schlechten Schneidezähne. Auch sie entsprachen der Schilderung des Ehepaares Hellwick.

»Meine Wenigkeit möchte Ihnen noch mal versichern, daß das Päckchen den Besitzer wechselte«, sagte Parker. Er hütete sich, eine falsche Bewegung zu machen und rechnete fest mit einer mit Schalldämpfer versehenen Waffe. Falls der Mann hinter ihm abdrückte, war wohl kaum mehr als ein dumpfes Schnalzen zu vernehmen.

»Sie haben den Idioten natürlich das falsche Päckchen in die Hand gedrückt«, hörte Parker hinter sich, wobei der Druck der Waffe gegen seinen Rücken sich noch verstärkte. »Los, gehen Sie jetzt weiter! Ich weiß genau, in welchem Hotel Sie mit der alten Vogelscheuche abgestiegen sind.«

»Ihrem Wunsch kann man sich kaum entziehen«, sagte Josuah Parker, »darf man übrigens fragen, ob Sie das sind, was man gemeinhin ein Einzelgänger zu nennen pflegt?«

»Mann, Sie können vielleicht quasseln«, stöhnte der Angesprochene hinter ihm, »woher haben Sie das?«

»Es dürfte sich um eine Art Berufssprache handeln«, erwiderte Josuah Parker, »Ihnen wird kaum entgangen sein, daß Sie es mit einem Butler zu tun haben.«

»Der da ’n Geschäft auf eigene Rechnung machen will? Oder ist die alte Vogelscheuche daran etwa beteiligt?«

»Sie haben Gründe für Ihre Annahme?«

»Und ob ich Gründe habe, Mann. Warum hätten Sie sonst’n zweites Päckchen aufs Tapet gebracht? War übrigens ein prima Gag. Sie sind ’ne echte Naturbegabung.«

»Meine Wenigkeit faßt Ihre Worte als eine Art Schmeichelei auf.«

»Aber Profi ist eben Profi«, redete der Mann munter weiter, »daß Sie mit Ihrem Leben spielen, is’ Ihnen wohl kaum aufgegangen, wie?«

»Darf man daraus schlußfolgern, daß Sie am Gasthof geschossen haben?«

»Sie dürfen« bestätigte der Mann und lachte, »und ich wollt’ Sie un’ die Vogelscheuche treffen. Ihr Glück, daß da der verdammte Nebel war.«

»Hegen Sie auch weiterhin ähnliche Pläne?«

»Ich laß’ Sie laufen, Mann, Sie sin’ nicht wichtig genug«, erklärte der Gangster, »aber hängen Sie bloß nichts an die große Glocke, sonst sind Sie doch noch reif. Ich bin verdammt nachtragend.«

»Sie stehen in Konkurrenz zu jenen drei Personen, die sich eines dunkelgrünen Fords bedienen?«

»Hören Sie mal, Mann, wollen Sie mich ausnehmen?« erkundigte sich der Gangster. Seine Stimme klang plötzlich gereizt.

»Sie überschätzen meine bescheidenen Fähigkeiten«, schickte der Butler voraus, »aber die eben gestellte Frage drängt sich logischerweise geradezu auf.«

»Welche Frage?«

»Ob Sie mit den drei Personen Zusammenarbeiten, die nach dem Päckchen verlangten.«

»Das fehlte noch«, lautete die Antwort, die in heiseres Lachen überging, »aber jetzt keine weiteren Fragen, sonst werde ich sauer. Also, wo steckt das verdammte Päckchen? Ist es im Hotel?«

»In meinem Privatwagen, um der Wahrheit die Ehre zu geben.«

»Bestens«, meinte der Gangster, »dann geht das ja glatt über die Bühne. Und wo steckt die Kiste?«

»Auf dem Parkhof des Hotels«, erwiderte der Butler, »ich möchte Ihnen bereits an dieser Stelle versichern, daß meine Wenigkeit sich den Notwendigkeiten beugen wird.«

»Ich versteh’ zwar kein Wort, Mann, aber bestimmt haben Sie recht.« Der Gangster lachte erneut.

*

Später lachte er nicht mehr, doch dazu bedurfte es noch einiger Zeit.

Der Gangster blieb wachsam und räumte Parker nicht die Spur einer Chance ein, den Spieß umzudrehen. Gemeinsam erreichte man das Hotel, ging über die Einfahrt zum Parkplatz und blieb dann vor Parkers Wagen stehen.

»Mann, was für eine Kiste«, mokierte sich der Mann, »warum verschrotten Sie die nicht?«

»Aus einer gewissen Anhänglichkeit heraus«, antwortete der Butler, »vergessen Sie bitte nicht, daß Sie es mit einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann zu tun haben, der nicht mehr umlernen möchte.«

»Ihr Bier, Mann.« Der Gangster baute sich neben Parker auf. »Rücken Sie jetzt das richtige Päckchen ’raus.«

»Es befindet sich unter dem Rücksitz«, schickte Parker voraus, »dazu wird man die Wagentür öffnen müssen.«

»Mann, dann machen Sie’s endlich!« Die Stimme des Gangsters wurde scharf. Er wähnte sich bereits am Ziel. Parker sperrte umständlich die rechte hintere Wagentür auf und deutete auf das Sitzpolster.

»Man müßte jetzt das Polster anheben.«

»Rücken Sie mal durch«, erwiderte der Gangster, der mißtrauisch geworden war, »weiß der Henker, was Sie da unter dem Sitz haben. Ich traue Ihnen nicht über den Weg.«

Parker rückte bis zur gegenüberliegenden Tür durch, bückte sich dann und befaßte sich mit dem Zugverschluß des Sitzpolsters. Er ließ sich Zeit und sorgte dafür, daß die spannungsvolle Neugier des Gangsters wuchs. Der Mann bedrohte den Butler mit der offen gezeigten Waffe, schob sich dann aber nahe an das Polster heran, um ebenfalls einen Blick unter den Sitz werfen zu können.

Als der Gangster schließlich die Position eingenommen hatte, die Parker für richtig hielt, schob der Butler seinen Oberkörper ein wenig zurück und hakte den Zugverschluß aus.

Butler Parker 183 – Kriminalroman

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