Читать книгу Butler Parker 104 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3

Оглавление

Günter Dönges

Parker und die Rocker von Blackpool

Sie trug einen Bikini und lag im weißen Sand des langen Küstenstreifens. Die junge Frau war fünfundzwanzig Jahre alt, schlank und langbeinig. Sie hatte kupferrotes Haar und genoß die warme Sonne über der Irischen See. Nicht weit von ihr entfernt spielten einige junge Männer Fußball. Sie trugen Badeshorts oder Jeans und benahmen sich geradezu rüde. Sie kickten hemmungslos und johlten vor Vergnügen, wenn der Ball auf den anderen Badegästen landete. Doch die Leute muckten kaum auf. Es handelte sich um kinderreiche Familien, die im Seebad Lytham St. Annes Erholung suchten. Die Väter spürten wohl instinktiv, daß die jungen Männer nur Streit suchten, ängstliche Mütter drängten bereits zum Aufbruch und sammelten ihre Kinder. Die Sonne über der See und dem Strand wurde von der Angst verdrängt.

Der Fußball landete inzwischen auf dem Bauch eines Mannes mit ausgeprägter Korpulenz.

Er lag auf einem Frotteelaken und trug eine Sonnenbrille.

Der Mann richtete sich auf und war ärgerlich. Er warf den Ball gereizt zum Wasser und legte sich wieder nieder. Dann griff er nach der Zeitung, die an ihrem Platz lag, und merkte einige Sekunden später, daß er wohl als Opfer auserkoren war.

Fünf junge Männer hatten sich um ihn herum aufgebaut und schaufelten mit nackten Füßen kleine Sandladungen auf seinen Bauch. Dabei johlten sie nicht mehr vor Vergnügen, ihre Gesichter waren ernst.

„Was soll denn der Unsinn?“ Der korpulente Mann richtete sich auf und fegte den Sand von seinem Körper.

„Hol den Ball zurück, Dicker“, sagte einer der jungen Männer, die durch die Bank etwa zwanzig Jahre alt sein mochten.

„Das soll doch wohl ’n Witz sein, wie?“ Der Mann, vielleicht fünfzig Jahre alt, sah die Meute verächtlichbelustigt an.

„Hol den Ball, Dicker“, sagte der Wortführer der fünf jungen Männer.

Er trat mit der linken Ferse flach gegen den Sand, der hochspritzte und im Gesicht des Badegastes landete. Der Getroffene wischte sich ohne Hast den Sand aus dem Gesicht.

„Verschwindet, Boys“, sagte er ohne jede Erregung. „Laßt Dampf ab und benehmt euch anständig!“

„Er begreift nicht“, kommentierte der Wortführer, bückte sich, griff mit beiden Händen tief in den Sand und wollte ihn ins Gesicht des massigen Mannes werfen.

Doch er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, wie sich Sekunden später zeigte!

Der Dicke entwickelte plötzlich eine Schnelligkeit, die man ihm niemals zugetraut hätte. Er trat mit dem rechten Fuß zu, traf die Kniescheibe des Rüpels und fällte ihn. Der Getroffene brüllte, landete auf dem Rücken und hielt sich das Knie.

Für die übrigen vier Burschen war damit das Zeichen des Angriffs gegeben.

Sie stürzten sich auf den dicken Mann, doch sie erlebten eine fast schon brutale Abfuhr.

Der Badegast war erstaunlich beweglich, stand bereits auf seinen kurzen Beinen und wehrte sich. Er verteidigte sich mit Schlägen, die die jungen Männer nicht kannten und die sie fast wehrlos einstecken mußten. Die Handkante des Fünfzigjährigen war eine harte Waffe, die Oberarme, Kinnwinkel und Halsadern traf. Innerhalb weniger Sekunden lagen die restlichen vier jungen Männer ebenfalls im Sand und verstanden die Welt nicht mehr.

Familien und Kinder umstanden den Kampfplatz und gönnten den Rüpeln diese eindeutige Niederlage.

Der massige Mann nahm sein Badetuch, wischte sich den Sand aus dem Haargestrüpp seiner Brust und ging, als sei überhaupt nichts passiert. Er kümmerte sich nicht weiter um die fünf jungen Männer, die mit ihrem Schicksal haderten und nicht wußten, was sie tun sollten.

Humpelnd räumten sie das Feld, verfolgt von verständlicherweise schadenfrohen Blicken und Kommentaren. Ihren Wortführer mußten sie dabei fast tragen, denn das Knie des jungen Mannes ließ sich nicht bewegen.

Die junge, rothaarige Frau hatte diese Szene beobachtet, ohne sich dabei aufzurichten.

Der dicke Mann mit den kurzen Beinen kam dicht an ihr vorbei und blieb unwillkürlich einen Moment stehen, als er die weibliche Attraktion im Bikini vor sich sah.

Die junge Frau sah in ein breitflächiges Gesicht mit einer kurzen, plattgedrückten Nase. Die Augen in diesem Gesicht waren kalt und ausdruckslos.

Sie musterten die junge Frau schnell und intensiv und schätzten ihren Körper ab wie eine Ware, ohne dabei aufdringlich oder gar zweideutig zu wirken. Dann wandte der Mann sich ab und ging weiter. Er verließ den Strand und steuerte zu den Umkleidekabinen, wo er von zwei Männern erwartet wurde, die ihn die ganze Zeit über wohl im Auge behielten. Sie traten zur Seite, als der dicke Mann in einer Kabine verschwand, zündeten sich Zigaretten an und langweilten sich in gespannter Lässigkeit.

Die junge Frau im Bikini hatte die beiden jungen Männer sofort richtig eingestuft. Es mußte sich um Profis aus einer Branche handeln, die in der Unterwelt beheimatet war.

*

Josuah Parker verließ den Wohnwagen, rückte die schwarze Melone zurecht und legte den Bambusgriff seines altväterlich gebundenen Regenschirms korrekt über den linken Unterarm.

Er sah sich ein wenig konsterniert um und begriff nicht, wie man sich hier wohl fühlen konnte.

Er war in einer kleinen Stadt, die praktisch nur aus Wohnwagen aller Größen bestand. Sie parkten wohlgeordnet an mit weiß gekalkten Steinen abgegrenzten Straßen und verbreiteten eine Monotonie, die den Butler fast körperlich schmerzte. Die Zwischenräume, die die Wagen voneinander trennten, betrugen stets nur wenige Meter. Hier lebte man hautnah nebeneinander.

Es handelte sich um eine jener typischen Wohnwagenstädte, wie man sie an der Westküste der Insel immer wieder antraf. Diese Wohnwagensiedlung lag am Ribble, der in der Nähe von Blackpool in die Irische See mündet.

Der Butler hatte hier einen Höflichkeitsbesuch absolviert.

Ein ihm bekannter Kollege, der sich aus Gesundheitsgründen für ein Jahr aus dem Beruf zurückgezogen hatte, um sich zu erholen, hatte ihn gebeten, sich für ihn zu verwenden und ihm eine neue Anstellung zu besorgen. Parker war von Liverpool aus angereist und hatte seinem Kollegen tatsächlich helfen können. Sein Bekannter konnte in den nächsten Wochen eine Stelle in Edinburgh antreten. Dank Parkers Verbindungen innerhalb des englischen Hochadels war das für ihn eine Kleinigkeit gewesen.

Der Butler beeilte sich, um zum vereinbarten Treffpunkt zu kommen.

Er wollte diese für seine Begriffe scheußliche Ansammlung von Wohnwagen so schnell wie möglich verlassen. Es galt, Kathy Porter vom Strand abzuholen und dann zurück ins Hotel zu fahren, wo Lady Agatha Simpson Zwischenstation machte. Gegen Abend sollte die Heimfahrt nach London angetreten werden.

Parker hatte an diesem frühen Nachmittag einiges Pech. Und das hing mit fünf jungen Männern zusammen, die verzweifelt nach einem geeigneten Opfer Ausschau hielten. Nach der Blamage am Strand brauchten sie ein Erfolgserlebnis, um ihr angeschlagenes Selbstvertrauen wiederzugewinnen.

Sie kamen aus einer der vielen schmalen Wohnwagenstraßen, entdeckten den Butler und wußten, daß sie sich an diesem Mann abreagieren konnten.

Der Bursche mit der verkorksten Kniescheibe blieb zurück und lehnte sich gegen einen Wohnwagen. Die vier Partner aber marschierten schnurstracks auf den Butler zu, der wirklich nicht ahnte, was da auf ihn zukam.

Die Männer benahmen sich nämlich zuerst völlig normal, um dann allerdings, als sie Parkers Höhe erreicht hatten, über ihn herzufallen.

Der Butler ärgerte sich später ausgiebig darüber, daß sein inneres Alarmsystem sich nicht gemeldet hatte. Er wurde völlig überrascht und mußte Federn lassen, um es vornehm zu umschreiben. Die vier Kerle droschen auf ihn ein und benutzten dazu Kabelenden und Totschläger. Sie konzentrierten ihre ganze Wut auf den unschuldigen Josuah Parker.

Wohnwagentouristen in der Nähe setzten sich schleunigst ab und wollten mit der ganzen Sache nichts zu tun haben. Parker mußte einige bösartige Schläge einstecken, bis er endlich zum Gegenangriff übergehen konnte.

Dabei leistete ihm der altväterlich gebundene Regenschirm wertvolle Dienste.

Der Bambusgriff war mit Blei ausgegossen und wurde dadurch zu einer Keule und zu einem Schlaginstrument wie in der Steinzeit. Parker langte mit dieser Waffe herzhaft zu und wehrte sich seiner Haut. Dabei sorgte er ungewollt dafür, daß mindestens zwei Zahnärzte neue Kunden bekamen.

Nach ihrem ersten Überraschungserfolg merkten die vier jungen Männer schnell, daß für sie kaum etwas zu holen war. Sie hatten im übertragenen Sinn auf Granit gebissen und setzten sich schleunigst ab, wobei sich zeigte, daß sie einige kräftige Blessuren davongetragen hatten. Zwei Burschen hielten sich den Kopf, schwankten leicht und glichen Barbesuchern, die einen über den Durst getrunken hatten. Der dritte junge Mann hinkte und hatte Schwierigkeiten mit seiner Hüfte, der vierte hielt sich den Mund und fingerte nach seinen Schneidezähnen.

Sie schnappten sich den fünften jungen Mann mit der lädierten Kniescheibe, lupften ihn an und verschwanden dann alle zwischen den Wohnwagen.

Josuah Parker fühlte sich nach dieser Diskussion ein wenig derangiert und sah an sich hinunter. Sein linkes Hosenbein war leider leicht eingerissen, zwei Knöpfe seines schwarzen Zweireihers waren nicht mehr vorhanden. Der weiße Eckkragen hatte sich zusätzliche Ecken eingehandelt, und die schwarze Melone wies einige kräftige Dellen auf.

Während dieser Inspektion entdeckte Parker zu seinen Füßen ein Armkettchen, wie es junge Männer hin und wieder zu tragen pflegen. Dieses Amulett bestand aus massivem Silber und war förmlich übersät mit Anhängern und kleinen Glücksbringern.

„Oh, Mister Parker, ich hätte Sie warnen müssen“, hörte er hinter sich die Stimme seines Berufsfreundes.

„Sie kennen diese jungen Männer?“ Parker sah den Kollegen fragend an.

„Nicht direkt“, erwiderte der Mann, der dem Butler entfernt glich, was die Kleidung anbetraf. Parkers Kollege trug einen dunklen Anzug und einen steifen, runden Bowler.

„Muß ich annehmen, daß man mich mit Ihnen verwechselt hat?“ fragte Parker.

„Sieht so aus, Mister Parker. Diese Rüpel sind seit Tagen hinter mir her und hänseln mich, sind aber noch nie tätlich geworden.“

„Wie schön für Sie, Mister Angels“, erwiderte Parker sarkastisch, „und was hat man gegen Sie einzuwenden?“

„Ich weiß es wirklich nicht“, erwiderte Angels. „Es ist vielleicht meine Kleidung, die sie reizt.“

„Wenn ich mir einen Rat erlauben darf, Mister Angels, würde ich meine Zelte an Ihrer Stelle schleunigst abbrechen beziehungsweise den Wohnwagen an die Autodeichsel spannen. Ich fürchte, daß die jungen Männer nachtragend sein werden.“

Parker hatte das Silberkettchen in der Tasche verschwinden lassen.

„In einer Stunde fahre ich los“, sagte Parkers Berufskollege hastig, „und tun Sie’s auch, Mister Parker! Der Badeort ist nicht mehr das, was er mal war. In den letzten vierzehn Tagen gab es, hier zwei Tote. Ich möchte nicht, daß Sie meinetwegen der dritte sind.“

*

Kathy Porter drückte die Tür ihrer Badekabine auf und prallte zurück. Dicht vor ihr stand einer der beiden Männer, die sie vor der Kabine des Mannes mit der flachen Nase beobachtet hatte.

Er bemühte sich um ein Lächeln, was ihm offiziell schwerfiel. Dann kaute er auf einem Zahnstocher herum und maß sie mit einem taxierenden Blick.

Was er sah, konnte sich auch in der Verpackung sehen lassen.

Kathy Porter, die junge Frau mit dem kupferroten Haar und den schlanken Beinen, trug ein einfaches Sommerkleid, das ihre Körperlinien dezent unterstrich.

„Dan Hodner möchte Sie sehen“, sagte er endlich, ohne den Zahnstocher aus dem Mund zu nehmen.

„Und wer ist das?“ Kathy Porter, oft schüchtern und scheu wirkend, ließ sich innerlich nicht aus der Ruhe bringen, wenngleich sie instinktiv etwas ängstlich tat.

„Wird er Ihnen dann schon rechtzeitig sagen, Miß. Kommen Sie, er wartet nicht gern!“

Kathy Porter, Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Agatha Simpson, wußte eigentlich genau, wer dieser Dan Hodner war. Es mußte sich um den dicken Mann handeln, der die fünf Rüpel am Strand zusammengeschlagen hatte.

Normalerweise hätte Kathy Porter sich solch eine Frechheit niemals bieten lassen und ihre scheinbare Scheu abgelegt. Sie sah aber noch sehr deutlich die kalten Augen des Mannes, spürte seinen abschätzenden Blick und war neugierig.

Sie bemerkte, daß der Mann vor ihr einen Schulterhalfter umgeschnallt hatte, der mit einer Waffe gefüllt sein mußte. Er schien eine Art Leibwächter dieses Dan Hodner zu sein.

„Ich glaube nicht, daß ich viel Zeit habe“, sagte Kathy Porter, um nicht zu willig zu erscheinen.

„Nehmen Sie sich, was Sie kriegen können, Miß, kommen Sie mit!“

Er war sich seiner Sache vollkommen sicher und ging einfach voraus. Der Mann, er mochte etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein, hatte keine Ahnung, mit wem er sich da gerade herablassend unterhalten hatte. Er hätte sich sonst wohl sehr gehütet, der jungen Frau den Rücken zuzuwenden. Wenn es sein mußte, verwandelte Kathy Porter sich in eine kalt und präzise reagierende Kampfmaschine, die sich in vielen Arten der Verteidigung auskannte.

Sie folgte ihm also und war auf die Begegnung gespannt.

Dan Hodner erwartete sie oben an der Promenade.

In seinem etwas zu hellen Anzug sah er noch dicker und massiver aus. Er trug ein teures Produkt, das auf keinen Fall von der Stange stammte.

„Nett, daß Sie gekommen sind“, sagte er ohne jeden Gruß. „Nehmen wir doch einen Drink drüben in der Bar, ja?“

„Ich kenne Sie ja gar nicht“, widersprach Kathy Porter.

„Dan Hodner“, sagte er in einem Ton, als würde sein Name jeden Abend im Fernsehen genannt. „Und wer sind Sie, Kleines?“

„Kathy Porter.“

„Und Kathy Porter liegt ganz allein am Strand herum?“ wunderte sich Hodner gespielt und bemühte sich, ein wenig neckisch zu wirken, was ihm aber völlig mißlang.

Sie überschritten die Fahrbahn hinter der Promenade und gingen auf eine Hotelbar zu. Rechts vom Eingang stand der zweite Mann, der Kathy ausdruckslos musterte.

„Waren Sie es nicht, der unten am Strand die fünf Rowdys niedergeschlagen hat?“ fragte Kathy, als sie die Bar betraten. Es handelte sich nicht um ein Allerweltslokal, der Luxus sprang den Eintretenden förmlich in die Augen.

Das geschulte Personal buckelte servil, als Dan Hodner hereinstampfte und auf eine Fensternische zuhielt. Er schien in diesen Räumen bekannt zu sein.

„Ich hab’ Sie die ganze Zeit über beobachtet“, bekannte Hodner, nachdem er sich gesetzt hatte. Seine Bewegungen waren trotz seiner Fülle schnell und geschmeidig.

„Davon habe ich aber überhaupt nichts gemerkt“, erwiderte Kathy Porter und hielt genau das Gleichgewicht zwischen Überraschung, einer gewissen Schüchternheit und engagierter Selbstverständlichkeit. Früher oder später mußte sie ja schließlich sagen, welchen Beruf sie ausübte. Daher durfte sie sich auf keinen Fall zu naiv geben.

„Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen“, begann Hodner, nachdem er die Drinks bestellt hatte. „Und spielen Sie nicht gleich beleidigt, wenn ich offen mit Ihnen rede.“

„Ich muß mir oft eine Menge anhören“, behauptete Kathy Porter.

„Welchen Beruf haben Sie?“

„Ich bin Sekretärin bei Lady Simpson“, bekannte sie freimütig, da dies leicht nachzuprüfen war.

„Sekretärin.“ Seine Stimme klang nicht gerade verächtlich, aber doch etwas abwertend. „Bei mir können Sie sich eine goldene Nase verdienen.“

Sie schaltete auf Abwehr und tat so als habe sie ihn völlig mißverstanden.

„Ich will Sie nicht für mein Bett“, sagte Hodner daraufhin rundheraus und lächelte flüchtig. „Ich engagiere Sie als Tänzerin. Ich besitze eine paar Music Halls und Diskotheken hier an der Küste und drüben auf der Isle of Man.“

„Ich bin Sekretärin und keine Tänzerin.“

„Aber Sie haben das gewisse Etwas, Kleines“, redete Hodner gelassen weiter in einem Ton, der bei aller Höflichkeit keinen Widerspruch duldete. „Ich hab’ gesehen, mit welchem Schwung Sie aus der Hüfte heraus gehen. Was Sie nicht können, werden wir Ihnen schon beibringen. So, hier ist meine Karte. Rufen Sie mich noch heute an! Wir machen dann einen Vertrag.“

Er erhob sich leicht, um anzudeuten, daß das Gespräch beendet sei. Kathy Porter reagierte verwirrt, stand hastig auf und ging. Draußen vor der Bar kam sie an den beiden Männern vorbei.

Genau in diesem Moment fiel in der Bar ein Schuß, der normalerweise gar nicht zu hören war. Er war nämlich schallgedämpft abgefeuert werden, alarmierte aber Kathys Ohren, die sich in solchen Dingen nur zu gut auskannte.

Die beiden jungen Männer waren bereits in der Hotelbar verschwunden.

*

„Herr im Himmel, wie sehen Sie denn aus?“

Agatha Simpson, walkürenhaft gebaut, um die sechzig Jahre alt, vollschlank und auf großem Fuß lebend, sah ihren Butler überrascht an. Ihre Stimme hatte den Unterton eines relativ friedlichen Feldwebels der Armee Ihrer Majestät. Sie war eine äußerst stattliche Dame, die man nicht übersehen konnte. Ihre Manieren hatten eine erstaunliche Bandbreite. Sie konnte sich geben und dabei fluchen wie ein ordinäres Marktweib, sie konnte sich aber auch in eine Herzogin verwandeln, für die kein Parkett zu glatt ist.

Mylady war eine ungewöhnliche Frau, die sich dank ihres Vermögens Extravaganzen leisten konnte. Sie war mit dem Hoch- und Finanzadel der Insel verschwägert.

Lady Agatha lebte ein freies Leben und ritt ein ungewöhnliches Steckenpferd. Sie beschäftigte sich als Amateurdetektivin und hatte in ihrem Butler einen Partner gefunden, wie sie ihn nur in ihren kühnsten Träumen erwarten konnte.

Lady Agatha befand sich in ihrem Hotelzimmer und musterte ihren Butler. Sie hatte auf den ersten Blick bemerkt, daß sich interessante Dinge ereignet haben mußten. Ihre dunklen, schnellen Augen nahmen einen erfreuten Glanz an.

„Mylady mögen das Aussehen meiner Wenigkeit entschuldigen“, ließ Josuah Parker sich vernehmen. „Nach Lage der Dinge scheint man mich mit meinem Kollegen, dem ich einen Besuch abstattete, verwechselt zu haben.“

„Wie schön“, freute sich Lady Agatha ohne jedes Mitgefühl. „Ein neuer Fall für uns?“

„Keineswegs, Mylady, selbst bei weitester Auslegung. Es handelte sich nur um einige Rowdys, die ihr Temperament abreagieren wollten.“

„Weiter, lassen Sie sich nicht jedes Wort aus dem Mund ziehen, Parker!“

„Die jungen Herren ergriffen die Flucht, als ich ein wenig nachdrücklich wurde.“

„Eine Bande, die man auffliegen lassen könnte?“ Lady Agatha gab ihre Hoffnung auf einen neuen Fall nicht so schnell auf.

„Sicher nicht, Mylady.“

„Sehr schade“, grollte Parkers Herrin enttäuscht, „aber vergessen Sie nicht, Parker, daß wir da einen Fall hatten, der ebenfalls mit Rowdys begann und sich dann recht erfreulich entwickelte.“

„Gewiß, Mylady.“

„Man hat Sie verwechselt, Mister Parker. Mit Ihrem Kollegen, wie Sie gerade sagten. Wollen Sie diesen Kollegen schutzlos lassen? Und warum sollte er von diesen Schlägern überfallen werden? Das sind doch Fragen, die geklärt werden müssen.“

„Mein Kollege, Mylady, wird um diese Zeit bereits den Campingplatz verlassen haben.“

„Sie enttäuschen mich sehr, Mister Parker.“ Lady Simpson hatte eingesehen, daß wirklich nichts zu machen war.

„Für die Zukunft, Mylady, werde ich mir erlauben, mich mehr zu bemühen“, versprach Parker, der innerlich erleichtert war, daß Mylady sich zufriedengab. Er kannte ihre Hartnäckigkeit, mußte allerdings auch eingestehen, daß sie sich oft gelohnt hatte. Lady Simpson witterte gerade dort Zusammenhänge, wo Fachleute weit und breit keine sahen. Sie besaß einen siebten Sinn für das Verbrechen.

Als das Telefon läutete, ging Parker an den Apparat und meldete sich als Butler Lady Simpsons. Er antwortete nur mit Ja und Nein und sagte dann abschließend, er würde sich sofort hinausbemühen.

„Was ist denn?“ fragte Agatha Simpson, die das steinerne Gesicht ihres Butlers sah.

„Die Polizei“, antwortete Parker. „Mein Kollege Angels ist erschossen in seinem Wohnwagen aufgefunden worden. In seiner Tasche fand man meine Visitenkarte und möchte mir nun einige Fragen stellen.“

„Ich werde selbstverständlich mitkommen“, entschied Lady Simpson, wobei ihr Gesicht einen grimmigen Ausdruck annahm. „Und ich sage Ihnen schon jetzt, daß wir den oder die Mörder finden werden.“

„Wie Mylady befehlen“, gab Parker zurück und schloß für einen Moment ergeben die Augen. Er ahnte, was ab sofort auf ihn zukam.

*

Inspektor Griffins war ein gemütlich wirkender Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren, mittelgroß und leicht korpulent. Er hatte den erschossenen Angels von Parker identifizieren lassen und erkundigte sich, wie die neu und unversehrt aussehende Visitenkarte im Rock des Toten landete.

Parker konnte das schnell erklären.

„Hat Mister Angels Ihnen gegenüber irgendwelche Andeutungen gemacht?“ erkundigte sich Griffins. „Hatte er Angst?“

„Auf keinen Fall“, erwiderte Parker, der zusammen mit Griffins vor dem Wohnwagen stand. „Mister Angels bat mich, ihm bei der Stellungssuche behilflich zu sein. Das war vor einigen Tagen. Er rief mich in London bei meiner Herrschaft an. Erfreulicherweise konnte ich dem Kollegen Angels helfen und besuchte ihn hier, als Lady Simpson geschäftlich in der Nähe zu tun hatte.“

„Er hat über ein Jahr lang nicht mehr als Butler gearbeitet?“

„Mister Angels wollte hier an der Küste ein Leiden auskurieren. Er sprach von einer Beinthrombose.“

„Damit läßt sich herzlich wenig anfangen“, stellte Griffins mißmutig fest und duckte sich unwillkürlich ein wenig ab, als Agatha Simpson sich in sein Blickfeld schob. Sie hatte sehr genau mitbekommen, daß ihr Butler, ob nun absichtlich oder nicht, eine Kleinigkeit unterschlagen hatte.

„Lady Agatha Simpson“, erläuterte Parker, nachdem Griffins respektvoll seinen Namen genannt hatte.

„Sprach Angels nicht von zwei Toten innerhalb der vergangenen vierzehn Tage?“ erinnerte sie den Butler.

„In der Tat, Mylady“, räumte Parker ein.

„Um welchen Toten handelte es sich?“ Agatha Simpsons Stimme hatte es in sich und duldete kein Ausweichen.

„Zwei Tote schon, aber keine Mordfälle“, stellte Griffins richtig. „In einem Fall wurde ein Camper hier vom Platz überfahren, im zweiten Fall ertrank ein Schwimmer draußen im Meer.“

„Nur so?“ Agatha Simpsons Augen funkelten animiert.

„Er wurde von einem Motorboot überfahren“, präzisierte der Inspektor.

„Und in beiden Fällen wurde doch hoffentlich Fahrerflucht begangen, nicht wahr?“ Lady Agatha fühlte sich in ihrem Element.

„Das stimmt wirklich“, erwiderte Griffins.

„Ich werde Ihnen kaum ins Handwerk pfuschen“, redete die streitbare Dame weiter, „aber ich möchte wetten, daß die beiden Toten mit Mister Angels bekannt waren.“

„Das müßte ich erst nachprüfen lassen“, sagte der Inspektor verblüfft.

„Sie werden sehen, daß das stimmt.“ Lady Agatha nickte nachdrücklich, als unterstreiche sie bereits eine Tatsache.

„Ich muß noch mal auf die Rowdys zurückkommen“, wechselte Griffins hastig das Thema. „Sie würden sie wiedererkennen?“

„Mit letzter Sicherheit“, gab der Butler zurück. „Zudem möchte ich sagen, daß gewisse Spuren darauf verweisen, daß sie sich in jüngster Zeit geprügelt haben.“

„Glauben Sie, damit bereits die Mörder zu haben?“ Agatha Simpson sah den irritierten Beamten kopfschüttelnd und fast ein wenig mitleidig an. „Junger Mann, Sie machen sich die Sache etwas zu einfach, aber bitte, Sie vertreten das Gesetz.“

Parker besann sich plötzlich auf das Silberkettchen in der Tasche seines Zweireihers, doch aus Sorge, Myladys Mißfallen zu erregen, verschwieg er erst mal diesen Fund. Lady Agatha hätte ihn sonst wahrscheinlich später in der Luft zerrissen.

Inspektor Griffins bedankte sich bei Parker für die Aussage und nickte Mylady höflich zu.

„Sobald Sie Ihre Adresse in London hinterlegt haben, können Sie natürlich fahren“, sagte er.

„Wo denken Sie hin, junger Mann?“ Mylady schüttelte energisch den Kopf. „Wir werden bleiben. Sie erreichen uns jederzeit im Majestic. Ich bin sicher, daß Sie unsere Hilfe noch brauchen.“

Inspektor Griffins hütete sich, mokant zu lächeln. Diese Frau beeindruckte ihn, ja machte ihn sogar unsicher.

Die Spurensicherung hatte den Wohnwagen inzwischen freigegeben. Der Butler ging noch mal in den Wagen, in dem er erst vor kurzer Zeit bewirtet worden war, und sah auf Angels hinunter, den man aus nächster Nähe niedergeschossen hatte.

Was, so fragte er sich, mochte Angels ihm verschwiegen haben? Hatte er sich auf ungesetzliche Dinge eingelassen und dafür jetzt die Quittung erhalten?

Parker konnte sich das kaum vorstellen.

Er kannte Angels nicht besonders gut, hatte ihn aber immer als einen hilfsbereiten und ehrlichen Mann geschätzt. Daher hatte er ihm ja auch spontan seine Hilfe zugesagt und Angels eine neue Stelle verschafft.

Handelte es sich hier etwa um den sinnlosen Mord einiger Rowdys, die sich für eine Niederlage rächen wollten? Dann mußte er, Josuah Parker, sich mitschuldig fühlen, denn er war es ja gewesen, der die Rowdys nachdrücklich in die Flucht geschlagen hatte.

Oder steckte mehr hinter diesem Mord?

*

Kathy Porter hatte sich blitzschnell entschieden, nicht zurück in die Hotelbar zu laufen. Das hätte zu ihr als Sekretärin nicht gepaßt. Woher, so hätte man sich später fragen können, wußte sie so genau, wie ein schallgedämpfter Schuß sich anhört?

Sie gingen aber schnell weiter um die Ecke der Bar herum und prallte dort mit einem Mann zusammen, der es eilig hatte.

Er trug den Servierfrack eines Kellners, schob Kathy aus dem Weg und hatte dabei das Pech, über ihr linkes Bein zu stolpern, was seinem Gleichgewicht nicht bekam.

Der Mann ging zu Boden und griff hastig nach einer Waffe, auf deren Mündung ein moderner Schalldämpfer saß.

Kathy tat instinktiv so, als habe sie nichts gesehen.

„Entschuldigung“, sagte sie bestürzt und half ihm hoch. Er hatte sich das rechte Knie verletzt, das Loch in der Hose war nicht zu übersehen.

„Schon gut“, murmelte er und lief weiter, wobei er deutlich hinkte. Sein Ziel war ein kleiner Austin, der an der Straßenecke stand. Der Mann stieg ein, hatte Schwierigkeiten mit dem Anlasser und redete auf den Insassen ein, der links von ihm saß.

Endlich rauschte der Motor auf, der Austin machte einen Blitzstart, als ginge es um einen Rennsieg, und wischte dann mit ausbrechendem Heck endgültig um die Ecke.

Kathy hatte sich das Gesicht des Frackträgers eingeprägt. In solchen Dingen war sie geschult und wurde von einem gewissen Josuah Parker immer wieder trainiert.

Den Beifahrer im Austin hingegen hatte sie nicht so genau beobachten können, dazu war die Zeit zu kurz. Gewisse Merkmale dieses Gesichts hatte sie aber ebenfalls registriert.

Sie hörte hinter sich schnelle Schritte, drehte sich schnell um und behinderte die beiden jungen Männer, die zu Dan Hodner gehörten. Die hatten es ebenfalls eilig und waren offensichtlich hinter dem Frackträger her.

In dem Bestreben, ihnen den Weg frei zu machen, wich Kathy nach links aus und stieß mit dem jüngeren der beiden Männer zusammen. Er wich nach rechts aus, rempelte seinen Begleiter an und warf ihn ungewollt gegen die Hauswand. Es dauerte wertvolle Sekunden, bis sie wieder sicher auf den Beinen waren.

„Was ist denn los?“ fragte Kathy Porter und rieb sich den geprellten Arm.

„Ist hier gerade ein Mann vorbeigekommen?“ fragte der ältere.

„Vorbeigerannt“, korrigierte Kathy empört, „und er hätte mich fast umgestoßen.“

„Einer, der ’nen Frack trug?“ fragte der andere Mann, der normalerweise einen Zahnstocher kaute.

„Ja, natürlich, gerade …“

Sie nickten sich zu, rannten quer über die Straße und erreichten die Ecke. Natürlich konnten sie den Austin nicht mehr sehen. Der kleine Wagen war wohl längst in eine der vielen Querstraßen abgebogen.

Es dauerte knapp eine Viertelstunde, bis die beiden Männer herauskamen und den dicken Mann abschirmten. Dan Hodner, der ihr eine glänzende Karriere versprochen hatte, schien unverletzt zu sein. Die drei Männer stiegen in einen Volvo und fuhren sofort los. Am Steuer des Volvo, der vorgefahren war, saß ein kleiner, schmaler Mann mit hoher Stirnglatze.

Natürlich prägte Kathy Porter sich die Nummer dieses Wagens ein, der laut Kennzeichen in Liverpool registriert war.

Die junge Dame ließ den servierten Tee stehen und beeilte sich, zurück ins Majestic zu kommen. Sie konnte sich vorstellen, daß Mylady bereits ungeduldig geworden war. Die Chefin wollte ja gegen Abend wieder zurück in London sein.

Als sie die Straße hinunterschritt, merkte sie nicht, daß sie von einem gemütlich aussehenden Mann verfolgt wurde. Dieser rundliche Typ sah aus wie ein Rentner und hatte die Augen einer Giftschlange.

*

„Ein wunderschöner Badeort“, schwärmte Agatha Simpson. Sie stand auf dem Balkon ihres Hotelzimmers und ergötzte sich am Anblick der See, doch sowohl Butler Parker als auch Kathy Porter wußten genau, daß die streitbare Dame nicht an die Schönheit der Natur und des Wassers dachte.

Sie war wieder mal sehr angeregt und freute sich auf einen Kriminalfall, der noch einige böse Überraschungen zu bieten schien. Kathy Porter hatte von ihren Erlebnissen mit Dan Hodner berichtet. Weder Parker noch Mylady wußten mit diesem Namen etwas anzufangen, doch der Butler hatte bereits seine Verbindungen zu gewissen hohen Polizeioffizieren spielen lassen. Er hoffte, auf diesen Umwegen etwas über den dicken Mann zu erfahren.

Während Lady Simpson sich ins Hotelzimmer zurückbegab, studierte Parker noch immer das silberne Kettchen.

Die Glücksbringer gaben wenig her, es handelte schlicht gesagt um Kitsch, wie man ihn an allen Andenkenbuden unter anderem erstehen kann. Da waren zwei superkleine Fausthandschuhe aus Plastik, ein Eispickel für Hochgebirgstouren in Kleinstausgabe. Glücksschweinchen und Kleeblätter. Der Träger des Kettchens schien von den Realitäten des Lebens nicht viel zu halten und bemühte sein Glück.

Die eigentlichen Anhänger hingegen gaben mehr her.

Sie waren bunt emailliert und belegten, welche Städte der Besitzer des Kettchens wohl schon mit seinem Besuch beehrt hatte. Blackpool war darin und erstaunlicherweise auch Orte und Städte in Nordirland. Da waren Dublin, Drogheda, Balbriggan und schließlich Bray.

„Sie lassen sich sehr viel Zeit, Mister Parker“, beschwerte sich Agatha Simpson grollend. „Wollen Sie mir nicht endlich sagen, was das Kettchen uns mitzuteilen hat?“

„Der Besitzer besagten Kettchens, Mylady, muß einen regen Fährverkehr mit der Isle of Man und Nordirland unterhalten“, kommentierte Parker seine Entdeckung.

„Ist das alles?“ Agatha Simpson war nicht sehr zufrieden.

„Zudem lautet sein Vorname Ray“, teilte der Butler weiter mit und tippte auf das flache Namensschild. „Er erhielt dieses Kettchen offensichtlich von einer gewissen Helen.“

„Warum unternehmen wir dann nichts?“

„Denken Mylady an bestimmte Unternehmen?“ fragte Parker vorsichtig.

„Spüren Sie diesen Ray und diese Helen auf“, ordnete Agatha Simpson an, „besonders schwer kann das doch wohl nicht sein. Ich möchte wetten, daß die fünf jungen Lümmel auf dem Campingplatz beheimatet sind.“

„Ich werde mich umgehend darum kümmern, Mylady.“

„Wir werden uns darum kümmern“, entschied die Dame mit der detektivischen Ader. „Glauben Sie wirklich, ich bliebe hier im Hotel? Ich würde mich ja zu Tode langweilen.“

Parker hatte keine Gelegenheit mehr, mit Lady Simpson über diesen Punkt zu diskutieren, denn der Empfang des Hotels rief an und meldete die Anwesenheit eines gewissen Inspektor Griffins.

„Was will denn dieser Schafskopf von uns?“ Agatha Simpson konnte sich mitunter sehr deutlich ausdrücken. Es war Parker klar, daß sie den Inspektor nicht mochte. Sie hielt ihn für einen Schematiker, doch Parker sah die Sache erheblich anders. Seiner Ansicht nach war Griffins ein qualifizierter Praktiker.

Die Begrüßung durch Inspektor Griffins fiel erstaunlich respektvoll aus. Warum, sollte sich bald zeigen. Er war von London aus informiert worden, mit welch einem Trio er es zu tun hatte, mit einem Trio, dessen Dienste schon häufig höchste Regierungsstellen gerne in Anspruch nahmen.

„Ich bin vom Yard angerufen worden“, berichtete Griffins. „Ich glaube, Sie brauchen eine Auskunft über einen gewissen Dan Hodner, nicht wahr?“

„Warum fragen Sie, wenn Sie’s bereits wissen?“ knurrte Lady Simpson den Inspektor an.

„Nun, im Yard weiß man so gut wie nichts.“ Inspektor Griffins ließ sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen. „Hodner ist in jungen Jahren in zwei Fällen wegen leichten Diebstahls vorbestraft worden. Jugendsünden, unerhebliche Fälle.“

„Das kann ich einfach nicht glauben. Mehr weiß man im Yard nicht?“ Agatha Simpson ärgerte sich deutlich. Sie hatte mehr erwartet.

„Ich könnte Ihnen mit mehr dienen.“ Griffins schmunzelte und nahm Platz, ohne dazu aufgefordert worden zu sein.

„Muß ich jetzt einen Kniefall vor Ihnen tun?“ fauchte Mylady den amtlichen Besucher an.

„Geschenkt, Mylady!“ Griffins schmunzelte behäbig. „Ich möchte eine ältere Dame nicht unnötig strapazieren.“

Lady Agatha stutzte, musterte den Inspektor mit scharfem Blick und lachte plötzlich schallend.

„Gewonnen“, sagte sie dann. „Sie haben den Biß, den ich schätze.“

„Dagegen weiß ich nicht, wie Sie an Hodner geraten sind.“

„Ist das hier an der Küste ein bekannter oder berüchtigter Name?“ Lady Simpson wollte nicht mit der Sprache heraus.

„Sie haben ihn hier in Lytham St. Annes kennengelernt?“ Griffins ließ sich nicht ablenken.

„Miß Porter, meine Sekretärin, kann sich jederzeit von ihm anstellen lassen. Er bietet ihr einen Vertrag als Tänzerin.“

„Dann können Sie Karriere machen“, antwortete der Inspektor. „Verbindungen und Möglichkeiten dazu besitzt Hodner.“

„Er sprach mich am Strand an“, präzisierte Kathy und nahm den warnenden Blick Parkers wahr. Sie wußte, was sie nicht erzählen sollte. „Ich bin natürlich nicht darauf eingegangen.“

„Aber Sie sind zusammen mit ihm in eine Hotelbar gegangen, nicht wahr?“ Griffins wußte erstaunlich viel.

„Er lud mich ein.“

„Von dem Schuß auf Hodner haben Sie nichts mitbekommen, wie?“

„Schuß?“ Kathy tat ahnungslos.

„Auf Hodner ist geschossen worden?“ Mylady wunderte sich ungemein.

„Ein als Kellner verkleideter Mann stahl sich ins Hotel und schoß auf Hodner“, sagte Griffins. „Er traf nicht und konnte unerkannt entkommen.“

„Darf ich daran erinnern, Sir, daß Sie sich über die Person besagten Mister Hodners auslassen wollten?“ schaltete sich Parker ein. „Wie Sie andeuteten, ist er Ihnen nicht ganz unbekannt.“

„Dan Hodner ist eine undurchsichtige und schillernde Figur“, antwortete der Inspektor. „Er betreibt einige Music Halls und Diskotheken hier an der Küste und drüben auf der Isle of Man. Er verdient damit viel Geld und bezahlt pünktlich seine Steuern. Er ist an einigen Campingplätzen beteiligt, vermietet Wohnwagen und Trailer und betreibt einen gutgehenden Bootsverleih.“

„Sie mögen ihn nicht?“ Mylady hatte natürlich ebenfalls gehört, daß Griffins’ Tonfall nicht gerade begeistert klang.

„Ihn nicht und auch nicht seine beiden Leibwächter“, gab Griffins ehrlich zu.

„Was hat er zu befürchten, daß er sich zwei Leibgardisten hält?“ Lady Simpson war gespannte Erwartung.

„Er gibt an, es nicht zu wissen“, erwiderte Griffins, „aber es steht fest, daß in jüngster Vergangenheit einige Mordanschläge auf ihn verübt worden sind. Das ist aktenkundig und durch unbeteiligte Augenzeugen bewiesen.“

„Wo residiert denn dieser Hodner?“

„In einer großen Strandvilla, in der Nähe seines Bootsverleihs“, gab Griffins zurück. „Ist nicht zu verfehlen, Mylady.“

„Ich werde mich mit diesem Mann unterhalten“, ließ die Detektivin sich energisch vernehmen. „Ich werde ihm meinen Standpunkt klarmachen. Ich lasse mir meine Mitarbeiter nicht abwerben.“

„Viel Glück“, wünschte Griffins, bevor er ging.

*

Die Adresse auf der Visitenkarte, die Dan Hodner Kathy Porter in die Hand gedrückt hatte, stimmte.

Das große, dreistöckige Haus war tatsächlich eine Villa, erbaut wahrscheinlich zur Zeit der Jahrhundertwende. Sie zeichnete sich durch eine große Zahl von Erkern, Türmchen und Glasveranden aus. Das Gebäude lag hart am Ufer des Ribble und war umgeben von einer hohen Steinmauer. Selbst zur Wasserseite hin war es durch einen Maschendraht abgesichert.

Das Haus war schneeweiß und in bestem Zustand. Das Tor zur Auffahrt war selbstverständlich geschlossen und machte einen abweisenden Eindruck.

Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums, eines ehemaligen Londoner Taxis, das nach seinen Plänen und Vorstellungen technisch umgestaltet worden war. Nur der eckige Aufbau war belassen worden und tarnte im Grund die vielen Überraschungen, die dieser Wagen enthielt.

Im Fond saßen Agatha Simpson und Kathy Porter.

Mylady hatte davon Abstand genommen, sich bei Dan Hodner zu beschweren. Kathy Porter wollte zum Schein auf das Angebot dieses Mannes eingehen und so in Erfahrung bringen, was er eigentlich wollte. Wogegen nicht nur Lady Simpson, sondern auch Butler Parker war. Die Sache konnte unter Umständen gefährlich werden. Hodner war sicher kein angenehmer Zeitgenosse.

Nicht weit von der Strandvilla Hodners entfernt befand sich der Bootsverleih, von dem Inspektor Griffins gesprochen hatte. Es zeigte sich, daß er dabei sehr untertrieben hatte.

Dieser Bootsverleih hatte sich auf seetüchtige Motor- und Segeljachten bis zu beachtlicher Größe spezialisiert. Ruder- oder Tretboote waren weit und breit nicht zu sehen. Wer hier mietete, mußte Geld mitbringen.

Daß dieser Verleih sich rentierte, war deutlich an den parkenden Wagen auf dem Vorplatz zu sehen: Luxuswagen aller Marken und Klassen gaben sich hier ein Stelldichein.

„Warten Sie einen Moment, Mister Parker“, bat Kathy, die vorn am Bootssteg einen Volvo entdeckt hatte. Sie beugte sich etwas vor, um das Kennzeichen besser zu erkennen. Die Nummer, die sie sich merkte, stimmte mit der in ihrem Gedächtnis überein. Und dann sah Kathy darüber hinaus auch noch den kleinen Mann mit der hohen Stirnglatze, der den Volvo gefahren hatte. Er trug ölverschmierte Jeans und darüber einen Pullover mit Rollkragen.

Er gehörte eindeutig zum Bootsverleih, denn er hatte einen Handwerkskasten in der Hand, den er in den Kofferraum des Volvo stellte.

„Vielleicht erfährt man mal bei Gelegenheit, was Sie entdeckt haben, Kindchen?“ raunzte Lady Simpson ihre Gesellschafterin an, die sie übrigens wie ihre Tochter hielt.

„Das ist der Fahrer des Volvo, von dem ich erzählt habe“, sagte Kathy Porter.

„Wennschon, das bringt uns nicht weiter. Daß er zu Hodners Leuten gehört, dürfte ja wohl klar sein.“ Agatha Simpson war leicht enttäuscht. „Haben Sie nicht mehr anzubieten?“

Nun, der Detektivin wurde noch ein Angebot gemacht, wenn auch nicht von ihrer Gesellschafterin.

Unten im Jachthafen des Verleihs schoß plötzlich eine schlanke und grellrote Feuersäule senkrecht in die Luft, Bruchteile von Sekunden später war eine mächtige Detonation zu hören. Die Druckwelle ließ selbst Parkers hochbeiniges Monstrum auf der Straße noch sanft in den Federn schaukeln.

Parker sah inzwischen interessiert zu, wie sich eine Motorjacht aus dem Wasser hob, zerlegte, zu Kleinholz wurde und dann als Bruchstücke wieder zurück ins Wasser klatschte. Ein wahrer Regen von vielen kleinen Geschossen, die aus dem Boot stammten, flog über den Parkplatz und lädierte den Lack und die Scheiben einiger Luxusautos.

Dicht vor dem Kühler von Parkers Wagen landete eine total verbogene Positionslampe aus Messing.

„Diesem Hodner scheint man tatsächlich etwas zu wollen“, stellte Agatha Simpson zufrieden fest.

„Ich werde sofort nachsehen, ob Menschenleben in Gefahr sind“, sagte Parker und wartete die Genehmigung seiner Herrin erst gar nicht ab. Er öffnete die Tür und schritt schnell, aber durchaus noch würdevoll zum nahen Parkplatz und Bootsverleih.

„Sie werden im Wagen bleiben, Kindchen“, ordnete die Lady an und folgte ihrem Butler. Weder Parker, Agatha Simpson noch Kathy Porter hatten die ganze Zeit über auf den rundlichen Mann geachtet, der wie ein Pensionär aussah und kalte Schlangenaugen hatte.

Als auch die Detektivin auf dem Parkplatz verschwunden war, pirschte dieser seltsame Rentner sich an Parkers Wagen heran. Die Rauchwolke über dem Gelände hatte sich immer noch nicht verflüchtigt.

*

Es wimmelte von aufgeregten Menschen, aber niemand kümmerte sich um den rundlichen Rentner, der Kathy Porter in die Mündung einer faustgroßen Schußwaffe blicken ließ.

Streifenwagen der Polizei kamen heran, Befehle wurden gebrüllt, uniformierte Beamte schwärmten aus, in der Ferne war das Signal eines Krankenwagens zu hören, doch den Mann störte das überhaupt nicht.

„Steig aus, Mädchen“, sagte er ruhig, „mach keine Zicken und geh da rüber zu dem VW!“

„Sie müssen mich verwechseln.“ Kathy stotterte gekonnt ängstlich.

„Geh schon endlich, Mädchen! Ich schieß’ nicht gern auf Frauen …“

„Was wollen Sie denn von mir?“ Kathy hatte in die Schlangenaugen gesehen und verzichtete auf eine Antwort. Sie stieg gehorsam aus und ging zu dem grauen VW, der drüben auf der anderen Straßenseite stand. Sie hörte hinter sich das Schnaufen des rundlichen Mannes, der dichtauf folgte.

Kathy war mit dieser Einladung überhaupt nicht einverstanden und hätte sich dagegen nur zu gern verwahrt, doch sie riskierte es nicht. Sie hatte die Augen des Mannes gesehen und wußte, daß er nicht spaßte oder bluffte.

„Setz dich ans Steuer und hau einfach ab“, sagte der Rentner. „Warte, bis ich auf der anderen Seite bin.“

Nein, sie hatte keine Chance.

Kathy Porter fühlte instinktiv, daß dieser Mann rücksichtslos schießen würde. Er konnte damit rechnen, daß der Schuß in dem allgemeinen Trubel und Lärm noch nicht mal registriert wurde. Gehorsam wie ein paar Minuten vorher wartete sie, bis ihr Entführer auf der anderen Seite war. Als er ihr zunickte, setzte sie sich ans Steuer, der Mann neben sie.

„Mach schon“, sagte er ohne Ungeduld, „’nem vernünftigen Mädchen passiert selten was. Mußt du dir mal für die Zukunft merken.“

„Gibt’s die für mich?“ fragte Kathy, als sie anfuhr.

„Immer.“ Der Rundliche mit dem Rentnergesicht nickte. „Erzähl mir was von dir, Mädchen! Ich möchte dich kennenlernen.“

„Wer sind Sie? Warum haben Sie mich gekidnappt? Ich bin für Sie doch völlig uninteressant.“

„Denkste!“ Der Rentner lächelte für einen Moment. „Erinnere dich mal an die Geschichte vor der Hotelbar.“

„Lieber nicht“, gab Kathy Porter zurück, „das war eine tolle Rempelei. Haben Sie die mitbekommen?“

„Ich hab’ alles genau gesehen.“

„Was soll ich Ihnen dann noch erzählen?“

Während sie sprachen, steuerte Kathy den VW durch die kleine Seestadt und erhielt von ihrem Entführer den Hinweis, in Richtung Blackpool zu fahren, eine Straße, die sehr belebt war und ihre Aufmerksamkeit beanspruchte.

„Wer waren die beiden Typen, die aus dem Lieferanteneingang kamen?“

Butler Parker 104 – Kriminalroman

Подняться наверх