Читать книгу Butler Parker 138 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3

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»Ich versichere Sie selbstverständlich meiner vollsten Diskretion, Mister Preston«, sagte Butler Parker und deutete eine knappe Verbeugung an. »Sie können frei und offen reden.«

»Ich möchte nämlich keinen Ärger bekommen«, begann William Preston, der einen nervösen Eindruck machte. »Die Drohungen am Telefon waren eindeutig genug.«

»Womit wir bereits beim Thema wären, Mister Preston.«

Josuah Parker sah seinen Kollegen erwartungsvoll an. William Preston war etwa fünfundfünfzig und trug zur gestreiften Hose eine weiß-gelb gestreifte Weste. Er war Butler des Lord of Lanters und hatte sich hilfesuchend an Parker gewandt.

»Man will mich umbringen«, sagte Preston und holte tief Luft.

»Ein verabscheuungswürdiges Unterfangen«, räumte Josuah Parker ein. »Es gibt bestimmte Gründe für diese erklärte Absicht, Mister Preston?« »Das kann man wohl sagen, Mister Parker.« William Preston bemühte sich um Haltung. »Die Krone gab mir die Ehre, mich als Geschworenen in einem Strafprozeß zu berufen.«

»Um welchen Prozeß handelt es sich?« Parker war ein Mann undefinierbaren Alters, etwas über mittelgroß und fast schlank. Er hatte das glatte und undurchdringliche Gesicht eines Pokerspielers und verfügte über eine Ausdrucksweise, die man nur als barock bezeichnen konnte. Er war der Butler einer gewissen Lady Agatha Simpson und betätigte sich schon fast hauptberuflich als Amateurkriminalist.

»Es handelt sich um die Strafsache George Hunt«, beantwortete Preston Parkers Frage. »Sie wissen vielleicht, er steht unter der Anklage, einen Garagenbesitzer erschossen zu haben.«

»Dieser Strafprozeß ist mir bekannt.« Parker nickte knapp. »Nach Lage der Dinge möchte ich unterstellen, daß man Sie für den Fall bedroht hat, daß Sie den Angeklagten für schuldig erklären, nicht wahr?«

»Das genau ist es, Mister Parker«, antwortete William Preston. »Und nun weiß ich nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich bin kein Held, verstehen Sie? Und ich spüre, daß diese Drohung ernst gemeint war, sehr ernst sogar.«

»Dem möchte ich durchaus beipflichten, Mister Preston«, sagte Parker. »Mister George Hunt ist ein in Unterweltkreisen recht bekannter Mann, der über großen Einfluß verfügt.«

»Was soll ich also tun, Mister Parker? An die Polizei kann ich mich unmöglich wenden. Man hat mir gedroht, mich dann einfach niederzuschießen wie einen tollen Hund.«

»Dies wäre ein Umstand, den man als sehr peinlich bezeichnen müßte«, antwortete der Butler gemessen. »Wann werden die Geschworenen über den Schuldspruch entscheiden?«

»Schon morgen, Mister Parker, das ist es ja gerade. Ich habe überhaupt keine Zeit irgend etwas zu unternehmen. Ach richtig, da wäre noch etwas.«

»Ich erlaube es mir bereits zu ahnen.«

»Man hat mich auch davor gewarnt, etwa krank zu werden oder eine Reise anzutreten. Man besteht darauf, daß ich morgen im Gerichtsgebäude bin, und hat mir gesagt, daß man mich nicht aus den Augen ließe.«

»Eine Situation, die ich als äußerst heikel bezeichnen möchte.«

»Sie sind meine einzige Hoffnung, Mister Parker. Ich weiß doch, daß Sie sich manchmal mit Kriminalfällen befassen.«

»Ich habe die Ehre, Lady Simpson in solchen Fällen ein wenig assistieren zu dürfen.«

»Was soll ich tun, Mister Parker?«

»Sie werden umgehend so etwas wie eine überstürzte Flucht antreten«, erwiderte Butler Parker.

»Dann wird man mich umbringen. Ich weiß das genau!«

»Wenn Sie gestatten, Mister Preston, werde ich Ihre Flucht arrangieren.«

»Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.«

»Ich werde mir die Freiheit nehmen, mein Äußeres ein wenig zu verändern«, antwortete Josuah Parker. »Dies dürfte nicht besonders schwer sein, wie ich Ihnen versichern kann, zumal Sie und meine bescheidene Wenigkeit den Beruf eines Butlers ausüben.«

»Und wozu soll das gut sein? Morgen muß ich auf der Geschworenenbank sitzen, Mister Parker. Flucht hat überhaupt keinen Sinn, begreifen Sie doch endlich! Man überwacht mich. Vielleicht lauern vor dem Haus bereits einige Mörder.«

»Das wäre ausgezeichnet, Mister Preston. Wenn ich vorschlagen darf, sollte jetzt eine Art Personentausch stattfinden. Ich werde mir gestatten, diese Beobachter ein wenig in die Irre zu führen.«

»Aha, so meinen Sie das!« William Preston hatte endlich verstanden. »Sie wollen diese Gangster vom Haus weglocken, damit ich mich in Sicherheit bringen kann, nicht wahr?«

»Sie befinden sich auf einer Fährte, die ich als fast richtig bezeichnen möchte«, lautete Parkers Antwort. »Über die weitere Entwicklung der Dinge sollten Sie sich vorerst keine Sorgen machen. Ich muß allerdings darauf bestehen, daß Sie während der nächsten beiden Stunden das Haus auf keinen Fall verlassen.«

»Das schwöre ich Ihnen, Mister Parker.«

»Sehr aufmerksam.« Josuah Parker nickte zufrieden. »So, und nun möchte ich das machen, was man in Theaterkreisen gemeinhin Maske nennt. Die Täuschung der Bewacher sollte möglichst umfassend sein.«

*

Josuah Parker hatte in weiser Voraussicht das Haus durch einen Hintereingang betreten. Nun verließ er es durch den Haupteingang und war selbst für einen aufmerksamen Beobachter nicht mehr wiederzuerkennen. Er hatte die leicht gebeugte Haltung seines Berufskollegen Preston angenommen und zog das linke Bein kaum merkbar nach. Er trug einen dunklen Paletot und selbstverständlich auch eine Melone.

Dieser angebliche Mister William Preston sah sich scheu nach allen Seiten um, zog förmlich den Kopf ein und ging dann zur nächsten Straßenecke. Zwischendurch schaute er sich immer wieder um. Es war ganz offensichtlich, daß dieser Mann Angst hatte, verfolgt zu werden.

Daß dies aber bereits der Fall war, hatte Josuah Parker schon längst herausgefunden.

Ein kleiner grauer Morris folgte ihm im Abstand von etwa dreißig Metern. Vorn im Wagen saßen zwei stämmig aussehende Männer, die sich ganz eindeutig für ihn interessierten. Wahrscheinlich warteten sie nur auf eine passende Gelegenheit, um sich mit ihm zu befassen. Und Butler Parker sorgte dafür, daß sie diese Gelegenheit auch möglichst schnell erhielten. Er hatte die Seitenstraße hinter sich gelassen und hielt auf einen kleinen Park zu, dessen Ränder zur Straße hin mit dicken und dichten Sträuchern bewachsen waren.

Sie ließen nicht lange auf sich warten.

Parker hörte schnelle Schritte hinter sich und wurde dann von den beiden Männern überholt, die sich zuerst mal überhaupt nicht um ihm kümmerten. Dann aber machten sie plötzlich kehrt und bauten sich vor ihm auf. Sie hielten sehr häßlich aussehende Schlaginstrumente in den Händen: Kabelenden, die mit Isolierband oberflächlich umwickelt waren. Die beiden Männer drängten den scheinbar verwirrten Butler in dichtes Buschwerk und kamen schnell zur Sache.

»Wer will denn hier abhauen?« fragte der erste Schläger und lächelte tückisch.

»Wer will denn hier die Kurve kratzen?« erkundigte sich der zweite und schüttelte fast vorwurfsvoll den Kopf.

»Ich ... Ich habe nicht die Absicht, meine Herren«, schickte Parker voraus, doch die energische Handbewegung des ersten Schlägers ließ ihn schweigen.

»’ne kleine Abreibung kann niemals schaden«, sagte der Mann dann und holte mit dem Kabelende aus.

»So was prägt sich nämlich ein«, behauptete der zweite Schläger. »Wir wollen ja morgen nicht vergessen, daß Mister Hunt völlig unschuldig ist, nicht wahr?«

»Keine Angst, Mann, dein Gesicht bleibt heil«, tröstete der erste Rowdy freundlich.

»Nur die Rippen werden leicht stechen«, sagte der zweite und wollte seinen ersten Schlag anbringen. Er holte blitzartig aus und... erlebte eine mehr als peinliche Überraschung.

Butler Parker in der Maske seines Berufskollegen Preston hatte keine Lust, sich von diesen beiden Schlägern mißhandeln zu lassen. Er hielt plötzlich seine schwarze Melone in der rechten Hand und setzte die Wölbung auf die Nase des Sadisten.

Der Mann heulte auf wie ein getretener Hund.

Seine Nase legte sich quer, und auch das Nasenbein wurde deutlich in Mitleidenschaft gezogen. Der Mann vergaß den geplanten Schlag, hatte Tränen in den Augen und war in den nächsten Sekunden nicht mehr in der inneren Verfassung, sich weiter um den Butler zu kümmern.

Der erste Schläger war perplex.

Mit solcher Reaktion und Gegenwehr hatte er nicht gerechnet. Er war einen Moment ratlos. Als er dann einen Entschluß faßte, war es dazu bereits zu spät. Butler Parker hatte seine schwarze Melone wieder hochgerissen und traf mit der Wölbung das Kinn des Mannes. Da dieser Teil der Melone mit solidem Stahlblech ausgefüttert war, entsprach der Zusammenprall einem Niederschlag. Der Schläger verdrehte die Augen, stieß einen tiefen Seufzer aus, wurde weich in den Knien und nahm Platz.

»Ich bedaure diesen Zwischenfall außerordentlich«, sagte Parker und setze die Melone wieder korrekt auf. »Sie werden aber zugeben müssen, daß Sie mich zu dieser unzivilisierten Handlung geradezu gezwungen haben.«

Die beiden Schläger nahmen dazu keine Stellung und gaben sich ihrem Schmerz hin.

*

Lady Agatha Simpson, mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert, war eine mehr als stattliche Dame, die an die Walküre aus einer Wagneroper erinnerte. Sie war immens reich und konnte sich im Grund jeden Luxus leisten. Darauf aber legte sie überhaupt keinen Wert. Ihr Steckenpferd war das Kriminalfach. Sie fühlte sich als Amateurkriminalistin wohl und hatte das Glück, Gangster und Kriminalfälle anzuziehen wie das Licht die Motten. Darüber hinaus begann sie seit vielen Monaten mit der Niederschrift eines Kriminalbestsellers. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, eine gewisse Agatha Christie weit in den Schatten zu stellen. Es störte die Lady sehr wenig, daß sie bisher noch nicht eine einzige Zeile zu Papier gebracht hatte.

Ihr Alter gab Agatha Simpson ebenfalls seit Jahren mit »etwa sechzig« an, was man ihr durchaus abnahm. Sie hatte in ihrer Jugend ausgiebig Sport getrieben, spielte jetzt noch Golf und schwang den Sportbogen mit größter Treffsicherheit. Lady Simpson besaß ein weiches Herz, doch das tarnte sie recht geschickt. Nach außen hin gab sie sich immer leicht gereizt und barsch.

Die Detektivin hielt sich an diesem Mittag in ihrem Stadthaus in London auf, genauer gesagt im Stadtteil Shepherd’s Market. Sie musterte sehr interessiert und fast wohlwollend einen kleinen, untersetzten Mann, der an einen gereizten Bullterrier erinnerte. Es handelte sich um den Chief-Superintendent McWarden, der in Scotland Yard eine Sonderabteilung leitete.

»Streichen Sie nicht wie eine Katze um den heißen Brei herum, McWarden«, meinte sie. »Rücken Sie schon endlich mit der Sprache heraus! Sie sind doch niemals zufällig vorbeigekommen, oder?«

»Allerdings nicht, Mylady«, gestand McWarden widerwillig.

»Sie melden also wieder mal Konkurs an, wie?« Agatha Simpsons Lächeln wurde jetzt katzenfreundlich. Sie genoß die Qualen ihres Gegenübers.

»So hart würde ich es nicht ausdrücken«, verteidigte McWarden sich. Er war ein Mann von gut und gern fünfzig Jahren, der sich in Myladys Gegenwart automatisch wie ein junger, hilfloser Mann vorkam.

»Also, wo drückt der Schuh?« Die Hausherrin rückte sich zufrieden in ihrem Ledersessel zurecht. »Sie brauchen meine Hilfe! Warum geben Sie das eigentlich nicht zu?«

»Mr. Parker befindet sich nicht zufällig im Haus, Mylady?«

»Mr. Parker besucht einen Bekannten«, antwortete die ältere Dame und wurde sofort ungnädig. »Ich bin Ihnen wohl nicht gut genug, wie, junger Mann! Sie müssen das ehrlich und offen sagen, ich werde daraus dann meine Konsequenzen ziehen, verlassen Sie sich darauf!«

»Aber nein, Mylady, wirklich nicht.« McWarden hob abwehrend die Arme. »Ich weiß doch nur zu gut, über welche Erfahrungen Sie verfügen.«

Dies war eine glatte Lüge, und auch Agatha Simpson wußte es.

Ohne Butler Parker war sie selbstverständlich hilflos und nicht in der Lage, einen Kriminalfall zu lösen. Doch das hörte sie natürlich nicht gern.

»Es handelt sich um seltsame Vorfälle«, begann McWarden. »Seit einiger Zeit platzen Strafprozesse. Das heißt, selbst in eindeutigen Fällen lehnen die Geschworenen die eigentlich fälligen Schuldsprüche ab. Darüber hinaus ändern Zeugen plötzlich ihre Aussagen zugunsten der Angeklagten. Wir wissen natürlich, daß hier Erpressung und Angst im Spiel sind, Mylady, doch wir können nichts beweisen.«

»Natürlich nicht.« Agatha Simpson nickte überzeugt. »Und jetzt soll ich Ihnen wieder mal die Kastanien aus dem Feuer holen, nicht wahr?«

»Eine gewisse Hilfestellung, Mylady, wäre schon sehr wünschenswert, das gebe ich ohne weiteres zu.«

»Na also, warum nicht gleich so, junger Mann. Ihnen kann geholfen werden.«

»Stellen Sie sich das nicht so leicht vor, Mylady«, warnte Chief-Superintendent McWarden. »Natürlich haben wir die betreffenden Leute verhört, aber sie rücken einfach nicht mit der Sprache heraus. Sie streiten rundweg ab, je erpreßt worden zu sein.«

»Das wird sich bald ändern, McWarden.« Agatha Simpsons Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. »Sie haben ein paar Unterlagen mitgebracht, hoffe ich?«

»Selbstverständlich, Mylady.« McWarden langte in die Innentasche seines Sakkos und legte eine Liste vor. »Hier finden Sie alle Prozesse, die in letzter Zeit geplatzt sind. Hier finden Sie auch Namen und Adressen der Geschworenen, Es handelt sich selbstverständlich um vertrauliche Angaben.«

»Gibt es im Augenblick einen Fall, der besonders akut ist?«

»Der Fall George Hunt, Mylady«, erläuterte McWarden. »Dieser Hunt ist ein an sich kleiner Gangsterboß, der einen Garagenbesitzer niedergeschossen hat. Die Tatsachen und Beweise reichen vollkommen für den Schuldspruch aus, doch ich vermute, daß die Geschworenen zu keiner Einigung kommen werden.«

»Wann wird das Urteil verkündet, junger Mann?«

»Nennen Sie mich nicht immer junger Mann, Mylady«, reagierte McWarden verärgert. »Morgen ist es soweit.«

»Ich könnte Ihre Mutter sein.«

»Du lieber Himmel, Mylady«, seufzte der Chief-Superintendent. »Das hätte mir gerade noch gefehlt, ich meine, äh, also ...«

»Schon gut, junger Mann, ich weiß, daß Sie mich nicht ausstehen können«, antwortete Agatha Simpson genußvoll. »Aber damit werden Sie leben müssen, McWarden! Gut, ich werde morgen im Strafgericht sein und mir die Dinge aus nächster Nähe ansehen. Wenn mich nicht alles täuscht, scheine ich hier genau das Thema zu finden, das ich für meinen Bestseller schon lange suche.«

*

Leicht angeschlagen humpelten die beiden Schläger zurück zu ihrem kleinen Morris.

Als sie im Wagen saßen, zündeten sie sich erst mal Zigaretten an und versuchten, ihr Nervenkostüm wieder in Ordnung zu bringen. Ihr Selbstbewußtsein war erheblich strapaziert worden. Das, was man mit ihnen im kleinen Park angestellt hatte, war neu für sie. Bisher waren sie es immer gewesen, die Schläge austeilten.

»Ich versteh’ das nicht«, sagte Joe Humbel und fingerte vorsichtig an seiner schmerzenden Nase herum. »Ich glaub’, ich hab mir das Nasenbein gebrochen.«

»Und mein Unterkiefer hat ’nen Knacks abbekommen«, vermutete Bill Slide wehleidig. Er redete nur mühsam. »Wie könnt’ das passieren?«

»Weil das ’n feiger und hinterlistiger Überfall gewesen ist.« Joe Humbel war ehrlich entrüstet. »So was tut man nicht.«

»Man kann sich auf nix mehr verlassen«, bestätigte Bill Slide. »Der Typ hat doch eigentlich harmlos ausgesehen.«

»Coltex werd’ ich was erzählen«, meinte Joe Humbel wütend. »Der hätt’ uns ja wenigstens warnen können.«

»Fahren wir zu ihm?«

»Klar doch.« Humbel nickte. »Wir kassieren und steigen aus. In Zukunft halt’ ich mich an solide Sachen.«

Er saß am Steuer und ließ den kleinen Morris anrollen. Die beiden Schläger zeigten keine Lust, sich noch mal mit dem Butler des Lords zu befassen, dem sie in den kleinen Park gefolgt waren. Natürlich hatten sie keine Ahnung, daß man sie nachhaltig getäuscht hatte.

Während der Fahrt durch London kamen sie überhaupt nicht auf die Idee, daß man sie eventuell verfolgte. So etwas konnten die beiden recht simplen Ganoven sich nicht vorstellen.

Sie hatten die City bereits hinter sich gelassen und fuhren in Richtung Soho. Hier ließen sie ihren Morris irgendwo auf einem Parkplatz stehen und gingen zu Fuß weiter. Auch jetzt schauten sie sich nicht ein einziges Mal um. Sie waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Sie betraten ein kleines Uhrwarengeschäft, dessen Auslage einen mehr als nur leicht verstaubten Eindruck machte. Sie warteten erst gar nicht ab, bis der Uhrmacher vorn im Ladenlokal erschien. Sie marschierten zielsicher auf einen Vorhang zu und schlugen ihn zur Seite.

Vor einem Arbeitstisch saß ein kleiner, magerer Mann von vielleicht fünfundfünfzig Jahren. Er trug einen grauen Kittel und hatte eine Uhrmacherlupe ins linke Auge geklemmt. Dieser Mann wandte sich um und sah seine beiden Besucher abwartend an.

»Was ist passiert?« fragte er dann mit sanfter Stimme.

»Das siehst du doch, Lem«, erwiderte Joe Humbel gereizt.

»Reingelegt worden sind wir«, fügte Bill Slide hinzu. »Der Butler war ’ne ganz schöne Bombe!«

»Was ist passiert?« fragte Lem Coltex nochmal und nahm die Lupe aus dem Auge. Er gab sich ruhig und gelassen.

»Der Kerl hat uns fast zusammengeschlagen«, beschwerte sich Joe Humbel. »Als wir’s ihm dann geben wollten, kamen leider Leute. Wir mußten abhauen.«

»Ich möchte Einzelheiten erfahren.« Lem Coltex war aufgestanden und sah im Gegensatz zu den beiden Schlägern schmächtig und geradezu erbarmungswürdig aus. Erstaunlicherweise aber ging von ihm eine deutlich spürbare Autorität aus.

Bill Slide, der zweite Schläger, lieferte die gewünschten Einzelheiten, milderte sie allerdings ein wenig ab. Und das angebliche Auftauchen von Passanten übertrieb er ungemein.

»Seid ihr verfolgt worden?« erkundigte sich Coltex.

»Nee, wer sollte das denn getan haben?« erwiderte Joe Humbel.

»Schon gut. Ihr werdet euch in den nächsten Zug setzen und London verlassen«, sagte Lem Coltex. »Macht irgendwo an der Südküste Urlaub. Meldet euch, ich werde euch dann schon wieder zurückrufen.«

»Und wie ist es mit unserem Geld?« fragte Slide.

»Werdet ihr bekommen.« Lem Coltex schob Humbel zur Seite und ging auf einen altersschwach aussehenden Tresor zu. Er wandte den beiden Schlägern ungeniert den Rücken zu und schien keine Sorge zu haben, von ihnen überfallen zu werden.

Joe Humbel und Bill Slide juckte es in allen Fingern, sich selbst zu bedienen. Sie tauschten entsprechende Blicke, doch sie trauten sich nicht. Über Coltex’ Schulter hinweg konnten sie in eines der Tresorfächer sehen. Und sie sahen recht hübsche Banknotenbündel, die ein kleines Vermögen darstellten, aber wie gesagt, sie rührten sich nicht von der Stelle. Sie schienen vor diesem kleinen Uhrmacher einen Riesenrespekt zu haben.

Lem Coltex drehte sich um und reichte den beiden tumben Schlägern ihr Geld.

»Wie wär’s denn mit ’nem zusätzlichen Schein?« fragte Humbel.

»Als ’ne Art Gefahrenzulage«, meinte Slide. »Sie hatten uns diesen Butler ganz anders beschrieben, Coltex.«

»Einverstanden.« Coltex lächelte. »Wenn ihr nachzählt, werdet ihr herausfinden, daß ich an die Gefahrenzulage bereits gedacht habe. So, und jetzt verschwindet, Jungens! Meldet euch, sobald ihr eine passende Bleibe gefunden habt!«

Humbel und Slide. blätterten ihr Handgeld durch und nickten dann zufrieden. Sie verließen den kleinen Uhrmacherladen und ließen einen nachdenklichen Lem Coltex zurück, der nach einigen Minuten zum Telefon griff, eine Nummer wählte und dann einen gewissen Steve Widcorne anrief.

»Gib’s weiter an den ›Maulwurf‹«, sagte der kleine Uhrmacher, »Butler Parker ist uns in die Quere gekommen. Wie? Natürlich wird es Ärger geben! Für Parker? Widcorne, so sicher ist das nicht, machen Sie sich da nur ja keine Illusionen. Sie scheinen nicht zu wissen, wer dieser Butler Parker ist!«

*

»Wenn man Sie mal wirklich braucht, sind Sie natürlich nicht da«, grollte Agatha Simpson, als Josuah Parker im großen Wohnsalon des Stadthauses erschien.

»Mylady benötigten meine bescheidene Wenigkeit?« erkundigte sich der Butler höflich und deutete eine knappe Verbeugung an.

»McWarden war hier, Mister Parker. Er hat wieder mal Sorgen.«

»Ein neuer Fall, Mylady?«

»Die Sensation, auf die ich schon seit vielen Monaten warte«, übertrieb die Detektivin wie üblich. »Diesmal werde ich meinen Bestseller schreiben können.«

»Darf ich mich erkühnen, Mylady schon jetzt und hier Erfolg zu wünschen?«

»Papperlapapp, zuerst muß dieser Fall mal geklärt werden, Mister Parker. Und das wird nicht einfach sein. Ich werde mich sehr anstrengen müssen.«

»Myladys Bemühungen führten bisher stets zum Erfolg.«

»Hören Sie sich das Tonband an, das ich mitgeschnitten habe, Mister Parker! Ich brauche den ganzen Unsinn dann nicht noch mal zu wiederholen.«

Während sie noch redete, deutete sie auf ein modernes, kleines Tonbandgerät. Parker schaltete es ein und hörte sich die Unterhaltung zwischen seiner Herrin und Chief-Superintendent McWarden aufmerksam an.

»Nun, was sagen Sie dazu?« Sie sah ihn triumphierend an. »Ist das ein Fall oder nicht?«

»Der Eklat, Mylady, von dem Chief-Superintendent McWarden spricht, wird morgen in der Tat eintreten«, gab der Butler zurück.

»Sie meinen den Fall George Hunt?«

»Gewiß, Mylady. Während meiner Abwesenheit hatte ich den Vorzug, einen der Erpreßten anhören zu können.«

»Das kann doch nicht wahr sein!«

»Wie Mylady wünschen und befehlen.«

»Sie haben einen der Geschworenen gesprochen?«

»Einen gewissen Mr. William Preston, Mylady, der der Butler des Lord of Lanters ist. Besagter Berufskollege wandte sich hilfesuchend an meine bescheidene Person.«

»Und das erfahre ich erst jetzt?«

»Der Grund für dieses Zusammentreffen wurde mir erst vor knapp einer Stunde offenbart, Mylady.«

»Was sind das für Ganoven, die diesen armen Burschen unter Druck setzen?«

»Zwei an sich bedeutungslose Schläger, Mylady. Die Namen lauten Joe Humbel und Bill Slide. Man kann diese beiden Männer quasi mieten.«

»Und wo stecken sie jetzt?«

»Sie begaben sich in das Ladenlokal eines gewissen Lem Coltex, Mylady, der einen kleinen Uhrmacherladen in Soho betreibt.«

»Und Sie haben die beiden Schläger laufen lassen? Habe ich das richtig verstanden?« Myladys Busen wogte vor Empörung.

»Sie sind bedeutungslos, Mylady und dürften keine Ahnung haben, von wem sie engagiert wurden.«

»Von diesem Uhrmacher, von wem denn sonst? So etwas habe ich im Gefühl, Mister Parker. Ihnen fehlt natürlich das kriminalistische Gespür, doch das ist nicht neu für mich.«

»Wie Mylady zu meinen geruhen.« Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Kennen Sie diesen Uhrmacher?« Agatha Simpson war längst aufgestanden und wanderte nervös wie ein etwas füllig geratenes Rennpferd über den kostbaren Teppich.

»Mr. Lem Coltex, Mylady, ist über seinen ursprünglichen Beruf hinaus Hehler und eine Art Agent der Unterwelt. Er schnürt, wenn ich es so ausdrücken darf, kriminelle Pakete.«

»Was soll denn das schon wieder bedeuten?« Agatha Simpson blieb stehen und sah Josuah Parker gereizt an. Sie schätzte es gar nicht, wenn Butler Parker wieder mal beiläufig und wie selbstverständlich einen Wissensvorsprung zeigte.

»Mr. Lem Coltex, Mylady, soll, wie es heißt, geldträchtige Gelegenheiten zusammen mit jenen Spezialisten anbieten, die diese Arbeiten auch durchführen können.«

»Guter Gott, können Sie sich nicht verständlicher ausdrücken? Nennen Sie mir ein Beispiel!«

»Wie Mylady wünschen.« Parker deutete wieder eine knappe Verbeugung an. »Mr. Lem Coltex bietet beispielsweise einen Wandsafe in irgendeinem Haus an und garantiert, daß dieser Safe wohlgefüllt ist. Gleichzeitig aber benennt er Spezialisten, die in der Lage sind, solch einen Wandsafe zu öffnen. Für solche kriminellen Pakete, Mylady, um bei diesem Ausdruck zu bleiben, nimmt er Prozente, die nicht unbeträchtlich sein sollen, was die Höhe anbetrifft. Er garantiert aber, wie man sagt, vollen Erfolg.«

»Und diesem Subjekt haben wir bisher nicht das Handwerk gelegt?« Mylady sah ihren Butler strafend an. »Warum erfahre ich erst jetzt von diesem Gangster?«

»Die sogenannte Gunst der Stunde, Mylady, hatte bisher noch nicht geschlagen.«

»Dafür aber jetzt. Und zwar laut und deutlich!« Lady Agatha Simpsons Augen funkelten unternehmungslustig. »Es ist natürlich klar, daß dieser Coltex genau der Mann ist, der Zeugen und Geschworene einschüchtern läßt. Wir werden uns da sofort einschalten.«

»Myladys Wünsche decken sich durchaus mit meinen bescheidenen Vorstellungen.«

»Was ich mir auch ausgebeten haben möchte, Mister Parker! Wo kommt unsere Rechtsprechung denn hin, wenn solche Subjekte tätig sind? Aber es ist doch wieder mal recht typisch für McWarden, daß er nicht Bescheid weiß.«

»Davon sollte man tunlichst nicht ausgehen, Mylady, Mr. McWarden dürfte über Mr. Coltex durchaus Bescheid wissen. Mr. Coltex hat es bisher nur geschickt verstanden, alle Spuren zu verwischen.«

»Das ändert sich ab heute, Mister Parker. Lassen Sie sich etwas Nettes einfallen! Sie wissen, mit Einzelheiten gebe ich mich nicht ab, die gehören zu Ihrem Ressort.«

»Mr. Lem Coltex dürfte inzwischen wissen, Mylady, daß man sich für ihn interessiert.«

»Woher sollte er das wissen?«

»Er dürfte sich inzwischen ausgerechnet haben, Mylady, daß nicht Butler William Preston die beiden Schläger ein wenig zur Ordnung rief.«

»Sie glauben, er weiß jetzt, daß Sie es gewesen sind?«

»Davon sollte man ausgehen, Mylady.«

»Sehr schön, damit sind die Fronten geklärt. Coltex wird sich an Ihnen rächen wollen. Und genau dann schlage ich zu, Mister Parker. Wir werden diesem Paketschnürer gründlich das Handwerk legen, verlassen Sie sich darauf!«

Butler Parker sah die Dinge wesentlich komplizierter, doch er hütete sich, darüber etwas zu verlautbaren. Er wollte die optimistische Grundstimmung der älteren Dame im Moment nicht erschüttern, wußte aber bereits jetzt, daß man sich mit äußerst brutalen und mörderischen Gegnern anlegen würde.

*

Mylady befand sich im Schwurgericht.

Neben ihr hatte Josuah Parker Platz genommen, der ebenfalls auf den Spruch der Geschworenen wartete. Die zwölf Damen und Herren der Jury hatten gerade wieder auf ihren Bänken Platz genommen und machten alle einen durchaus gesammelten und konzentrierten Eindruck.

Die Spannung im Gerichtssaal war fast körperlich zu spüren.

Der ehrwürdige Richter wartete, bis die Unruhe sich gelegt hatte. Dann nickte er dem Sprecher zu, der sich an die Geschworenen wandte. Deren gewählter Vertreter stand auf und teilte dem Gericht mit, der angeklagte George Hunt sei nicht schuldig zu sprechen.

Der Richter schnappte ein wenig nach Luft und schüttelte dann deutlich sichtbar den Kopf. Natürlich war er mit dieser Entscheidung nicht einverstanden, doch nach dem geltenden Recht blieb ihm anschließend nichts anderes übrig, als den Gangster George Hunt in die Freiheit zu entlassen. Er verkniff sich jeden Kommentar zum Entscheid der Jury, während im Zuschauerraum erneut Unruhe entstand.

Pressefotografen stürzten sich auf George Hunt und schossen serienweise Aufnahmen. Der durchschnittlich aussehende Mann von knapp vierzig Jahren grinste triumphierend in die Optik und genoß seinen Freispruch. Er schien gar nicht überrascht zu sein, was wohl auch kein Wunder war. Schließlich waren für ihn ja gewisse Weichen nachdrücklich gestellt worden.

McWarden erschien vor Lady Simpson und Butler Parker.

»Ein Skandal«, sagte er empört. »Aber so was hatte ich auch in diesem Fall erwartet.«

»Zumal die Hauptbelastungszeugen Erinnerungslücken zu verzeichnen hatten«, warf Parker gemessen ein.

»Da muß man nun einen Gangster laufen lassen, der eindeutig einen Mord begangen hat.« Der Chief-Superintendent ballte die Fäuste. »Aber noch ist nicht aller Tage Abend!«

»Verlassen Sie sich darauf, junger Mann!« Agatha Simpson nickte grimmig. »Dieser Hunt wird seines Lebens nicht froh werden, das verspreche ich Ihnen.«

»Der taucht jetzt erst mal unter«, vermutete McWarden. »Sehen Sie doch, wie er mich angrinst! Ich könnte ihm ... Nein, ich sage besser nicht, was ich am liebsten möchte.«

»Tun Sie sich nur keinen Zwang an, McWarden«, meinte die ältere Dame. »Haben Sie sich die Leute auf den Zuschauerbänken näher angesehen?«

»Da hat es vor Gaunern und Ganoven nur so gewimmelt«, meinte der Chief-Superintendent gereizt. »Die wollten doch miterleben, wie das neue System klappt. Und wie es geklappt hat!«

»Das Blatt wird sich bald wenden, junger Mann.«

»Sie haben schon erste Erkenntnisse gewonnen?« McWarden wurde sofort hellhörig.

»Lassen Sie sich überraschen, McWarden!« Lady Agatha tat sehr geheimnisvoll. »Ich bin bereits auf einer sehr heißen Spur.«

»Mylady, was immer Sie auch wissen, Sie sollten mich informieren«, riet McWarden eindringlich.

»Soweit bin ich noch nicht, McWarden. Du lieber Himmel, Sie waren ja erst gestern bei mir und flehten um Hilfe.«

»Nun, gefleht habe ich gerade nicht, Mylady«, korrigierte der Chief-Superintendent ein wenig ärgerlich.

»Sie lagen vor mir fast auf den Knien, junger Mann«, stellte die ältere Dame genußvoll fest. »Sehen Sie doch, wie dieser Lümmel sich feiern läßt!«

»Ich könnte ihn ...« McWarden beließ es erneut bei dieser Andeutung. Agatha Simpson hingegen boxte sich ziemlich ungeniert einen Weg durch die Menge der Fotografen und Freunde Hunts. Parker folgte ihr dichtauf, denn er rechnete selbstverständlich mit Komplikationen. Ihm war die Spontaneität seiner Herrin nur zu bekannt.

Lady Agatha benahm sich Sekunden später sehr undamenhaft.

Geschützt von der Menge, die Hunt umlagerte, trat sie dem freigesprochenen Gangster genußvoll gegen das linke Schienbein.

George Hunt ächzte, verfärbte sich und knickte ein. Schmerzenstränen schossen ihm ins Auge.

»Fühlen Sie sich nicht wohl?« erkundigte sich Agatha Simpson mit ihrer dunklen Stimme, um dann erneut zuzutreten. Diesmal traf sie das rechte Schienbein des Gangsters, der aufheulte wie ein getretener Hund.

»Es müssen seine Nerven sein«, teilte die resolute Sechzigerin den Umstehenden mit und sagte damit noch nicht mal die Unwahrheit. »Es war wohl alles zuviel für ihn.«

Während sie dies feststellte, rammte sie ihm den Stiel ihrer Lorgnette in die rechte Rippenpartie. Hunt brüllte auf und wollte sich hinter seinen Freunden in Sicherheit bringen, doch das erwies sich als schwierig. Er war fest eingekeilt und konnte eine schnelle Flucht nicht antreten.

»Diesem Mann ist nicht wohl«, verkündete Lady Simpson und ... jagte ihm eine ihrer Hutnadeln ins Gesäß.

George Hunt produzierte einen schrillen Schrei und brüllte um Hilfe.

»Das Glück der Verwirrung«, kommentierte Lady Simpson und knallte ihm ihren rechten Ellbogen in die Magenpartie. Daraufhin ging Hunt endgültig zu Boden.

Die Fotografen arbeiteten auf Hochtouren. Die Freunde des Gangsters schlossen einen engen Ring um ihn und suchten verzweifelt nach der Ursache, die das Unwohlsein ihres Bosses hervorgerufen hatte, doch auf die ältere Dame kamen sie nicht.

Agatha Simpson hatte sich zurück zu Parker durchgearbeitet und nickte zufrieden. Parkers Gesicht zeigte den leisen Anflug eines amüsierten Lächelns, was normalerweise undenkbar war. Lady Simpson hatte genau das getan, wozu McWarden Lust verspürte.

George Hunt wurde im Geleitzug aus dem Gerichtssaal geschleppt. Er war inzwischen schon nicht mehr fähig, sich auf den Beinen zu halten. Die Hutnadel der Agatha Simpson hatte es nämlich in sich gehabt. Sie war chemisch präpariert und verursachte neben einem brennenden Schmerz auch eine Art Lähmung des Nervensystems.

Butler Parker hatte diese recht bösartige Mischung hergestellt und sie zur Präparation der Hutnadel verwendet. In der Hand der Lady wurde diese Ziernadel zu einer beachtlichen Waffe.

»Was ist denn mit Hunt los?« wunderte sich Chief-Superintendent McWarden, der wieder vor Agatha Simpson und Butler Parker erschien. Er sah die ältere Dame mißtrauisch an.

»Eine momentane Indisposition, Sir«, sagte Josuah Parker. »Das Glück dürfte, wie Mylady es bereits ausdrückte, Mr. Hunt übermannt haben.«

»Nur das Glück?« McWarden grinste ein wenig unverschämt.

»Was sonst, junger Mann?« fuhr sie ihn sofort bissig an. »Sie glauben doch hoffentlich nicht, daß eine Lady Simpson sich an solch einem Subjekt vergreifen könnte, oder?«

McWarden zog es vor, diese Frage nicht zu beantworten.

*

»Das Weib bring’ ich um«, schrie George Hunt, der freigesprochene Gangster. Er saß auf dem Rücksitz eines teuren amerikanischen Wagens und konnte sich endlich wieder einigermaßen bewegen. Die Schmerzen waren jedoch noch vorhanden. Sein Gesäß brannte, als habe er es ohne jede schützende Bekleidung mit Brennnesseln behandelt.

»Was ist denn überhaupt passiert?« fragte Paul, einer der beiden Leibwächter des Gangsters. Er war, wie sein Begleiter, zirka dreißig Jahre alt. Beide Leibwächter sahen übrigens nicht wie Gangster aus, sondern eher wie gut erzogene Bankangestellte. Sie trugen modische Brillen, die mit Fensterglas versehen waren.

»Dieses alte Miststück hat mich getreten und gestochen«, beschwerte sich George Hunt.

»Wann denn?« wollte Artie, der zweite Leibwächter wissen. Er hatte überhaupt nichts mitbekommen.

»Verdammt, wo habt ihr denn eure Augen gehabt?« schimpfte George Hunt aufgebracht. »Die hätte mich glatt umbringen können.«

»Von wem reden Sie eigentlich, Chef?« Paul blieb gelassen.

»Von dieser Lady Simpson«, antwortete Hunt, der sich endlich etwas beruhigte. »Das war die Alte mit dem scheußlichen Hut.«

»Der wie ein Südwester aussah?« fragte Artie. Er saß am Steuer des Wagens und erinnerte sich jetzt vage.

»Dieser Lady werde ich es zeigen.« Hunt rieb sich die beiden schmerzenden Schienbeine. »Die wird noch vor mir auf den Knien liegen und um Gnade winseln....«

»Sollen wir sie fertigmachen, Chef?« erkundigte sich Paul.

»Natürlich.« Hunt schwelgte in wüsten Rachegedanken. »Ich hatte ja vor, London zu verlassen, aber das ist bereits vergessen. Ich werde mir erst mal diese Simpson vorknöpfen. Du lieber Himmel, sie hat zugetreten wie ’n Pferd.«

»Aber Sie sind frei, Chef«, sagte Paul.

»Und können wegen dieser Geschichte nicht noch mal unter Anklage gestellt werden.« Artie lächelte. »Die Sache mit dem Maulwurf hat sich also gelohnt.«

»Und ein kleines Vermögen gekostet.« Georg Hunt dachte an die horrende Summe, die er für seinen »Freispruch« hatte aus werfen müssen. Jetzt, nachdem er frei war, reute ihn das Geld bereits.

»Wer ist der Maulwurf eigentlich?« fragte Paul. »Haben Sie ’ne Vorstellung, Chef?«

»Keine Ahnung.« Hunt zuckte die Achseln. »Da scheint sich irgendein raffiniertes Schlitzohr spezialisiert zu haben.«

»Könnte es Widcorne sein?« tippte Artie an. »Über den ist die Sache schließlich in Gang gesetzt worden.«

»Ach was, Widcorne ist nur ’ne Art Briefkasten, der so was weiterreicht.« Hunt schüttelte den Kopf. »Ich wüßte ja auch gern, wer der Maulwurf ist. Der Mann macht ein Vermögen, wenn er so weiterarbeitet.«

»Wäre das nicht ’ne Sache für uns?« Paul lächelte versonnen.

»Daran habe ich auch schon gedacht.« Artie lächelte ebenfalls. Es war ein wölfisches Blecken seiner Zähne. Und er sah für Sekunden nicht aus wie ein junger, ehrgeiziger und korrekter Bankbeamter.

»Könnte nicht schaden, wenn wir uns um den Maulwurf kümmern«, antwortete George Hunt. »Aber erst ist diese Alte an der Reihe. Ich könnte sie erwürgen!«

»Was für ’ne Lady ist sie denn?« wollte Paul wissen.

»Stinkreich. Sie hält sich für ’ne Kriminalistin und macht auf Amateurdetektiv«, lautete Hunts Antwort. Schon mal den Namen Parker gehört?«

»Nee«, erwiderte Artie und schüttelte den Kopf. »Sie vergessen Chef, daß wir aus Liverpool kommen.«

»Ein Butler und gefährlich?« Pauls Frage klang ungläubig.

»Wie eine Ladung Nitroglyzerin«, sagte George Hunt. »Und daß er im Gerichtssaal gewesen ist, paßt mir überhaupt nicht. Mich würd’s nicht wundern, wenn er mir bereits auf den Fersen säße.«

Er wollte sich umwenden und sich vergewissern, doch das schaffte er noch nicht. Paul besorgte das für ihn und schüttelte den Kopf.

»Dieser Butler fährt ein ehemaliges Taxi. Sieht ganz unauffällig aus«, schärfte Hunt seinem Leibwächter ein.

»Hinter uns sind jede Menge Taxis, Chef«, erwiderte Paul. »Aber müssen wir denn überhaupt in Ihr Apartment, wenn Sie sich von diesem Butler bedroht fühlen?«

»Bedroht von einem Butler?« Artie lächelte abfällig.

»Wir steigen sicherheitshalber erst in ’nem Hotel ab«, sagte Hunt aus einer plötzlichen Eingebung heraus. »Sucht euch was Passendes aus, nicht zu groß, aber auch nicht zu schäbig. Ich werde erst mal für ein paar Tage untertauchen. Ich habe eine Menge zu überlegen.«

Leibwächter Paul hatte sich längst wieder umgewandt und den kleinen, verbeulten Mini-Cooper übersehen, an dessen Steuer eine Art graue Maus saß. Es handelte sich dabei um eine junge Frau, die eine antiquierte Frisur und eine nicht gerade modische Brille trug.

*

Die graue Maus hieß Kathy Porter und war die Gesellschafterin der Lady Agatha Simpson.

Kathy Porter, eine mehr als gelehrige Schülerin des Butlers, hatte wieder mal geschickt Maske gemacht und führte einen Auftrag aus, um den Parker sie gebeten hatte. Sie sollte herausfinden, wo George Hunt Quartier bezog.

Sie wußte es inzwischen.

Ihr kleiner Mini-Cooper stand in einer schmalen Seitenstraße in der Nähe jenes Hotels, das George Hunt betreten hatte. Dieses Hotel befand sich hinter der Waterloo-Station und hatte den Standard der Mittelklasse.

Kathy Porter hatte gerade ihren Telefonanruf getätigt und Butler Parker informiert. Er kam mit Lady Simpson gerade nach Hause und nahm diese Information entgegen.

Kathy Porter sah übrigens schon nicht mehr wie eine graue Maus aus.

Sie trug einen flotten Trenchcoat, der ihre schlanke, geschmeidige Figur zur Geltung brachte, hatte das Haar gelöst und Make-up aufgelegt. Sie wirkte ein wenig keß und sexy, aber alles hielt sich noch durchaus in Grenzen.

Myladys junge Gesellschafterin ging um den Häuserblock herum und betrat die Empfangshalle des »Center-Hotel«. Sie kreuzte vor dem Empfangschef auf und stellte sich als Maud Croydon vor.

»Ist Professor Pounders schon eingetroffen?« fragte sie selbstsicher.

»Professor Pounders? Nicht seit einer halben Stunde, Miß Croydon. Und da habe ich meinen Dienst erst angetreten.«

»Wir sind hier verabredet«, erklärte die angebliche Miß Croydon. »Verständigen Sie mich, sobald er gekommen ist! Ich werde in der Lounge auf ihn warten.«

Sie wartete die Antwort gar nicht erst ab, wandte sich um und ging hinüber in die kleine Lounge. Sie nahm in einem der Sessel Platz, griff nach einer Zeitschrift und blätterte gelangweilt darin. Sie wußte, daß sie beobachtet wurde und sah kurz hoch, als ein Kellner erschien und sich nach ihren Wünschen erkundigte.

»Einen Fruchtsaft mit Wodka«, sagte sie und blätterte weiter. Sie zündete sich eine Zigarette an und wartete auf den Professor, mit dem sie verabredet war. Nachdem der Drink serviert worden war, verließ sie die Lounge und suchte den Waschraum auf. Der Empfangschef, der inzwischen von ihrer Seriosität überzeugt war, dienerte höflich.

Natürlich suchte sie keineswegs den Waschraum auf.

Kathy Porter fand zielsicher die Tür zu einem Korridor, der zu den Wirtschaftsräumen führte, ebenfalls auf Anhieb die Treppe für die Angestellten, die sie sehr leichtfüßig nach oben stieg. Sie wollte herausfinden, wo Hunt und seine beiden Leibwächter sich eingemietet hatten.

In der dritten Etage wurde sie fündig.

Als sie die Tür zum Hotelkorridor für die Gäste vorsichtig aufdrückte, verließ gerade ein Etagenkellner ein Doppelzimmer. Er schob einen Servierwagen vor sich her und kurvte in eine Teeküche, aus der er wenig später wieder hervorkam. Auf einem Tablett trug er jetzt Flaschen und Gläser, mit denen er in dem Zimmer verschwand, das er eben erst verlassen hatte.

Für Kathy Porter war es klar, daß ein gewisser George Hunt seine Freisprechung feiern wollte.

Kathy Porter verließ das Treppenhaus und ging nicht zu schnell in Richtung Teeküche. Sie hatte noch einiges mit George Hunt vor. Butler Parker hatte ihr genaue Anweisungen gegeben, an die sie sich halten wollte.

*

Die junge Dame klopfte an und mußte warten, bis das Doppelzimmer von innen geöffnet wurde.

Kathy Porter hatte sich erneut verwandelt und war jetzt ein adrettes Stubenmädchen. Sie trug einen hoteleigenen Kittel und ein schmales Stirnhäubchen. Diese Dinge stammten aus der Teeküche. Kathy hatte sie in einem schmalen Wandschrank gefunden.

Paul spähte durch den Türspalt nach draußen und verlor sofort jedes Mißtrauen, als er das vermeintliche Stubenmädchen sah.

»Die Betten, Sir«, sagte Kathy und benutzte einen deutlich hörbaren Londoner Akzent.

Butler Parker 138 – Kriminalroman

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