Читать книгу Butler Parker 109 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3

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Josuah Parker war konsterniert, als er Augenzeuge eines schamlosen Diebstahls wurde.

Die junge Dame griff unverfroren nach dem kleinen, nicht billigen Transistorradio und ließ das Gerät oh-ne jede Hast in ihrer Manteltasche verschwinden. Wie selbstverständlich ging sie weiter, als sei überhaupt nichts passiert.

Josuah Parker beschloß, die Diebin unter Kontrolle zu halten. Er war gespannt, ob sie noch mehr Beute machen wollte. Vielleicht war das kleine Radio erst der Anfang.

Die junge Frau, etwa fünfundzwanzig Jahre alt und dezent gekleidet, verließ die Radioabteilung und sah sich gespielt gleichgültig eine Verkaufsecke an, in der Uhren feilgeboten wurden.

Es kam, wie es kommen mußte. Sie konnte einfach nicht widerstehen. Parker sah es genau. Sie langte fast apathisch nach einer Armbanduhr und verstaute sie in ihrer Manteltasche. Anschließend ließ die junge Dame noch einen kleinen Reisewecker mitgehen.

Als sie sich umdrehte, sah sie Parker ins Gesicht.

Sie war nicht eine Sekunde lang unsicher, obwohl sie doch das Gefühl haben mußte, beobachtet worden zu sein. Sie schaute aus dunklen Augen durch den Butler hindurch und begab sich hinüber zur Schreibwa-renabteilung.

Hier langte sie nach einem Füllhalter, nach einem Taschenbuch und schließlich nach bunten Filzstiften. Das alles wanderte in die Taschen ihres Mantels, als sei es die selbstverständlichste Sache von der Welt. Ja, sie ließ abschließend noch ein Päckchen billigster Briefmarken verschwinden, Besonders wählerisch war sie sicher nicht.

Josuah Parker brauchte nicht einzuschreiten. Die Angelegenheit erledigte sich durch einen unauffällig ge-kleideten Mann, der sich als Warenhausdetektiv entpuppte. Er tauchte neben der jungen Frau auf, redete ein paar Worte mit ihr und führte sie dann mit sich zu einer Tür.

Parker sah in das Gesicht der Warenhausdiebin. Ihm fiel auf, daß die Augen einen völlig abwesenden und zugleich auch gelassenen Eindruck machten. Der Butler hatte das deutliche Gefühl, daß die junge Frau überhaupt nicht bemerkte, was mit ihr geschah.

*

»Du lieber Himmel, wo haben Sie denn gesteckt?« knurrte Lady Agatha ihren zurückkehrenden Butler ungnädig an. »Hier stürzt die Welt ein, aber Sie müssen völlig unwichtige Dinge einkaufen.«

Agatha Simpson, an eine stämmige Walküre erinnernd, um die sechzig Jahre alt, aber noch ungemein rüs-tig und aktiv, funkelte Josuah Parker an. Sie machte, was Parker bemerkte, einen äußerst animierten Ein-druck. Demnach schienen sich während seiner Abwesenheit interessante Dinge getan zu haben.

Parker ließ sich durch den baritonalen Tonfall ihrer Stimme nicht beeindrucken. In jeder Lebenslage blieb er der stets korrekte und beherrschte Butler. Zudem kannte er Lady Agatha. Sie war eine impulsive Frau, die keinem Abenteuer freiwillig aus dem Weg ging.

»Darf ich mir die Kühnheit herausnehmen, Mylady darauf aufmerksam zu machen, daß Mylady mich zu Wetneys schickten, um dort einige Einkaufe zu tätigen?« gab er gemessen und würdevoll zurück.

»Papperlapapp«, raunzte sie. »Nehmen Sie doch nicht immer alles so wörtlich.«

»Mylady brauchten meine bescheidene Wenigkeit?« erkundigte sich der Butler und legte die kleinen Schachteln ab, die er mitgebracht hatte.

»Unsinn«, fuhr sie ihn prompt an. »Bilden Sie sich nur nichts ein, Mister Parker!«

»Gewiß, Mylady.« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos.

»Nun fragen Sie mich schon endlich«, sagte sie gereizt, als Parker stumm blieb.

»Wünschen Mylady ein bestimmtes Thema abzuhandeln?«

»Man braucht meine Hilfe«, sagte die resolute Detektivin. »Lord Castner hat Probleme.«

»Privater oder geschäftlicher Art, Mylady, wenn mir diese Frage gestattet ist.«

Parker war sofort hellhörig und dachte automatisch an den Vorfall im Warenhaus. Lord Castner war näm-lich der Aufsichtsratsvorsitzende einer großen Warenhauskette in England. Zu dieser Kette gehörte auch das Warenhaus Wetneys, dem er eben erst einen Besuch abgestattet hatte.

»Lord Castner wird bestohlen, daß es nur so eine Art ist«, redete Agatha Simpson weiter. »Die. Diebstähle in den Warenhäusern nehmen überhand.«

»Ein weitbekanntes Phänomen, Mylady«, antwortete der Butler. »Die frei zugänglichen Waren dürften la-bile Naturen förmlich herausfordern, einfach zuzugreifen.«

»Wir werden diesen Fall übernehmen«, entschied Parkers Herrin, »vielleicht läßt sich daraus ein guter Kriminalroman machen.«

»Mylady denken an einen bestimmten Fall?« Parker gestattete sich ein leichtes Erstaunen.

»So etwas spürt man. Entweder man hat’s, oder man hat’s nicht in den Fingerspitzen.«

»Ist Lord Castner ebenfalls der Ansicht, daß es sich um einen ganz bestimmten Kriminalfall handelt?«

»Habe ich Ihnen das noch nicht gesagt, Mister Parker?« Sie sah ihren Butler irritiert an.

»Nicht direkt, Mylady.«

»Weil Sie nicht zugehört haben«, raunzte die resolute Dame ihren Butler an. »Ich habe mich doch unmiß-verständlich ausgedrückt.«

»Wie Mylady meinen.« Parker ließ sich nach wie vor nicht aus seiner Ruhe bringen.

»Es handelt sich also um eine Bande«, sagte die Detektivin begeistert, »wenigstens ist Lord Castner dieser Ansicht. Die Bandenmitglieder sind durchweg junge Frauen aus sogenanntem gutem Haus.«

»Das, Mylady, klingt in der Tat einladend.«

»Sage ich doch die ganze Zeit, Mister Parker. Lord Castner hat eine Aufstellung der Warenhausdiebe ve-ranlaßt. Und die werden wir uns jetzt mal genau ansehen.«

»Darf ich mir erlauben, Mylady auf einen wahrscheinlich außerordentlichen glücklichen Zufall hinweisen zu dürfen?«

»Spannen Sie mich doch nicht immer so auf die Folter«, räsonierte die ältere Dame.

»Möglicherweise gibt es bereits so etwas, was man eine heiße Spur nennt.«

»Nun reden Sie doch schon endlich!« Agatha Simpson flammte ihren Butler an.

Josuah Parker faßte sich erstaunlich kürz. Trotz seiner barocken Ausdrucksweise brauchte er nur knapp drei Minuten, bis Lady Simpson wußte, was er im Warenhaus beobachtet hatte.

»Diese junge Frau machte einen geistesabwesenden Eindruck?« vergewisserte sich die Detektivin sicher-heitshalber noch mal.

»Dieses Eindrucks konnte ich mich in der Tat nicht erwehren, Mylady.«

»Dann ist der Fall für mich bereits gelöst«, behauptete Parkers Gesprächspartnerin enttäuscht.

»Mylady sind vollkommen sicher?« Der Butler war ein wenig anderer Meinung.

»Natürlich, Mister Parker. Die Warenhausdiebinnen sind hypnotisiert worden. Das ist doch vollkommen klar.«

»Eine interessante Hypothese«, sagte Parker vorsichtig.

»Eine Tatsache«, erklärte die streitbare Dame. »Lord Castner sagte, daß die ertappten Frauen ohne Aus-nahme nichts von ihren Diebstählen gewußt haben wollten.«

»Das, Mylady, scheinen Diebe gern als Ausrede zu benutzen.«

»Nicht in diesem Fall, Mister Parker. Nein, nein, der Fall ist bereits gelöst!«

»Mylady wissen also, wer die Diebinnen hypnotisiert hat?« erkundigte sich der Butler höflich.

»Treiben Sie gefälligst keine Kümmelspalterei«, raunzte sie daraufhin mit ihrer Adele-Sandrock-Stimme. »Diese Kleinigkeit läßt sich doch im Handumdrehen klären. Ich erwarte dazu Ihre Vorschläge.«

»Sehr wohl, Mylady«, erwiderte Parker und verbiß sich gekonnt ein Lächeln. Er wußte, daß der Fall jetzt eigentlich erst begann. Er war nicht so optimistisch wie Lady Agatha.

*

Der Mann war kaum mittelgroß, rundlich und hatte ein fleischiges Gesicht. Er sah durchschnittlich aus, trug einen wenig eleganten Stadtmantel aus dunklem Stoff und eine helle Hornbrille, die seinem Gesicht ein eulenhaftes Aussehen verlieh. Sein braunes Haar war voll und leicht gewellt. Ein Kenner hätte sofort be-merkt, daß dieser Mann eine Perücke oder ein Toupet trug. Er schlenderte gelassen durch das große Waren-haus und hatte bereits einige Dinge eingekauft, die er in einer Plastiktasche mit sich führte.

Dieser Typ fiel nicht auf. Er wurde glatt übersehen und ging in der Menge völlig unter. Gefährlich oder hintergründig wirkte er auf keinen Fall, er machte eher einen schüchternen und etwas gehemmten Eindruck.

Das genaue Gegenteil war jedoch der Fall.

Der Rundliche war ein raffinierter Jäger, der nach Beute Ausschau hielt. Das Jagdwild, das ihn interessier-te, war von ganz besonderer Art. Unauffällig musterte er die Frauen, die im Warenhaus seinen Weg kreuz-ten. Seine Augen, hinter den getönten Gläsern der Brille verborgen, schätzten die Frauen kühl ab. Dieser Jäger war wählerisch und anspruchsvoll.

Er hatte sich für ein Opfer entschieden.

Der Rundliche verfolgte unauffällig eine schlanke, etwa fünfundzwanzig Jahre junge Dame. Sie trug ein modisches Jackenkleid und eine kleine Perlenkette, die der Jäger sofort als echt klassifiziert hatte.

Die Frau war natürlich völlig ahnungslos. Sie stieg in den Lift und fuhr hinauf zum Dachgartencafé des Warenhauses. Selbstsicher schritt sie durch den großen, dennoch intim eingerichteten Raum und setzte sich an einen Tisch. Sie sah nicht auf, als der Rundliche an einem Nebentisch Platz nahm.

Sie bestellte Tee und einige Kekse.

Der Mann ließ sich ebenfalls Tee kommen. Er saß der jungen Frau genau gegenüber und konnte ihr Ge-sicht studieren. Als sie den Zucker in den inzwischen servierten Tee gab und dann trank, trafen sich ihre Blicke.

Die junge Frau sah in die Augen des Rundlichen, der inzwischen seine Brille abgenommen hatte. Sie hatte das Teeglas zwar an die Lippen gesetzt, doch sie war plötzlich nicht mehr in der Lage, auch nur einen einzi-gen Schluck zu nehmen.

Der Rundliche hielt ein silbernes Feuerzeug zwischen Daumen und Zeigefinger und ließ es leicht hin und her pendeln. Er sah in die Augen der jungen Frau, die abwesend und irgendwie nachdenklich wirkten. Dann ließ er das Feuerzeug wie unabsichtlich fallen. Es landete mit hörbarem Geräusch auf der Tischplatte.

Die junge Frau erwachte aus ihrer Nachdenklichkeit.

Sie trank ein paar Schlucke Tee, setzte das Glas ab und griff nach ihrer Handtasche aus teurem Krokodil-leder. Sie holte eine Packung Zigaretten hervor und zündete sich eine an. Sie wirkte wieder völlig unbefan-gen und schien den Rundlichen nicht zu sehen.

Doch dann reagierte sie plötzlich seltsam.

Sie nahm die kaum angerauchte Zigarette und … tunkte sie in ihrem Teeglas aus.

Dieser erstaunliche Vorfall wurde von den Gästen kaum beobachtet. Doch da war eine attraktiv aussehen-de, junge Frau, die in einer der vielen Nischen saß. Sie wirkte wie ein scheues Reh, hatte rotbraunes Haar und große, ausdrucksvolle Augen, deren Grundfarbe kaum bestimmbar war.

Diese aufmerksam gewordene Frau hieß Kathy Porter und war die Gesellschafterin und Sekretärin der Lady Agatha Simpson. Darüber hinaus war sie eine mehr als gelehrige Schülerin eines gewissen Butler Par-ker.

Kathy Porter sah leicht irritiert zu der Frau hinüber, die ihre Zigarette in den Aschenbecher warf, aufstand und ging. Kathy Porter beobachtete aber auch den rundlichen, harmlos aussehenden Mann, der ohne zu zö-gern, folgte.

*

Der rundliche Mann bog in eine schmale Seitenstraße ein und ging mit kurzen, schnellen Schritten auf ei-nen nahen Parkplatz. Vor einem alten Morris blieb er stehen und schloß die Tür auf. Er setzte sich ans Steu-er und wartete, bis die junge Dame im Jackenkleid neben dem Wagen erschien. Erst dann beugte er sich über den Beifahrersitz, entriegelte die Tür und ließ die Frau einsteigen.

Kathy Porter, die dem Rundlichen und der jungen Dame gefolgt war, wußte nicht, was sie von dieser Entwicklung halten sollte. Sie spürte aber sehr deutlich, daß hier Dinge passierten, die das Tageslicht scheu-en mußten.

Kathy Porter, von Parker auf Neugierde getrimmt, blieb neben einem der geparkten Fahrzeuge stehen und merkte sich die Nummer. Vielleicht war es wichtig, den Besitzer des Morris ausfindig zu machen.

Sie hatte ihren kleinen Mini auf einem anderen Parkplatz abgestellt. An eine Verfolgung des Morris war leider nicht zu denken, da auch weit und breit kein Taxi wartete. Sie blieb also in Deckung und sah tatenlos zu, wie der Morris sich in Bewegung setzte und langsam den Parkplatz verließ.

Eine halbe Stunde später befand sie sich im Haus der Lady Simpson, das sich im Stadtteil Shepherd’s Market befand. Dieses altehrwürdige Fachwerkhaus, das noch aus dem Mittelalter zu stammen schien, ge-hörte zu einem Komplex ähnlicher Häuser, die einen kleinen Platz säumten. Vom Lärm der Millionenstadt London war hier nichts zu verspüren. Es handelte sich um eine Oase der Ruhe und des Friedens, sofern Lady Agatha nicht gerade wieder einen Fall bearbeitete und für Trubel sorgte.

»Gratulation, Kindchen«, sagte die Detektivin wohlwollend, nachdem Kathy Porter ihre Beobachtungen geschildert hatte. »Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen.«

»Sie wirken gar nicht überrascht, Mylady«, wunderte sich Kathy

»Aber nein, Kindchen«, meinte die streitbare Dame. »Was Sie beobachtet haben, paßt genau in meine Theorie.«

»Theorie, Mylady?« Kathy Porter wußte nichts von Lord Castner und dessen Sorgen.

»Klären Sie Miß Porter auf, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson, sich an den bisher schweigend zuhö-renden Butler wendend, »aber reichen Sie mir vorher noch einen kleinen Kreislaufbeschleuniger.«

Parker servierte einen sehr alten und guten französischen Cognac. Dann informierte er die aufmerksam zuhörende Sekretärin seiner Herrin und faßte sich erstaunlich kurz.

»Sie haben Miß Porter eine wichtige Tatsache verschwiegen«, grollte Lady Simpson. »Nach meiner Theo-rie, Kindchen, sind die Warenhausdiebinnen hypnotisiert worden.«

»Daß ich daran nicht gedacht habe!« Kathy Porter starrte die Lady überrascht an.

»Ich lasse mich nicht gern auf die Folter spannen«, sagte Agatha Simpson gereizt.

»Die junge Frau, die in den Morris stieg, Mylady, wirkte auf mich wie hypnotisiert. Ja, sie muß unter ei-nem fremden Zwang oder Willen gestanden haben.«

»Na, bitte, Mister Parker!« Agatha Simpson sah den Butler triumphierend an. »Finden Sie sich endlich damit ab, daß ich als Kriminalist eben doch besser bin als Sie! Ich vertrete die moderne Schule!«

»Wie Mylady wünschen«, gab Parker gemessen zurück. »Ich darf aber darauf verweisen, daß Mylady be-reits in jüngster Vergangenheit einen Fall lösten, der ebenfalls mit Suggestion und Hypnose zu tun hatte.«

»Was ändert das an den Tatsachen?« wollte Agatha Simpson wissen. »Stellen Sie doch endlich fest, wer der Besitzer des Morris ist! Wir wollen dieses Subjekt so schnell wie möglich aus dem Verkehr ziehen. Worauf warten Sie eigentlich noch?«

Parker war durchaus nicht der Meinung, daß damit der Fall bereits gelöst war, doch er verzichtete auf jede Antwort, um sich nicht den Unwillen seiner Herrin zuzuziehen. Er verließ gemessen den großen Wohnraum und begab sich hinüber in die Diele.

»Der kleine, rundliche Mann macht aber keinen sonderlich unheimlichen Eindruck«, stellte Kathy Porter in Richtung Lady Simpson fest.

»Die wahren Verbrecher sehen immer durchschnittlich aus, Kindchen«, antwortete Lady Agatha grimmig. »Verlassen Sie sich da auf mein Urteil!«

»Sie glauben, er hypnotisiert die Frauen, damit sie für ihn stehlen, Mylady?«

»Natürlich«, erwiderte Agatha Simpson geduldig, »er macht so Beute ohne jedes Risiko.«

»Er fuhr aber mit der jungen Dame im Morris weg, obwohl sie für ihn doch im Warenhaus hätte stehlen können, Mylady.«

»Seien Sie doch nicht immer so rechthaberisch, Kindchen«, antwortete Agatha Simpson unwirsch, da sie im Moment keine passende Antwort fand. Dann kam ihr allerdings schon die rettende Idee. »Er wird sie in ein anderes Warenhaus kutschiert haben, um jedem Verdacht aus dem Weg zu gehen. So einfach ist das al-les.«

Kathy Porter hätte noch einige Einwände und Fragen Vorbringen können, doch auch sie kannte schließ-lich die skurrilen Wesenszüge der älteren Dame. Zudem machte Agatha Simpson einen äußerst aufgekratz-ten Eindruck, ein sicheres Zeichen dafür, daß sie sich in Hochstimmung befand. In solch einer Situation durfte man sie nicht zurück auf die Erde holen.

»Der Besitzer des besagten Morris ist ein gewisser Clay Herberts«, meldete Parker in diesem Augenblick von der Tür her. »Er wohnt in der Nähe des Finsbury Park und betreibt dort eine Blumenhandlung.«

»Alles Tarnung«, stellte die Detektivin fest, stand auf und reckte sich kriegerisch. »Fahren Sie den Wagen vor, Mister Parker. Diesem Mister Clay Herberts werde ich jetzt mal auf die Finger klopfen. Lord Castner wird staunen, wie schnell sein Fall gelöst sein wird.«

»Mister Herberts ist Königlicher Hoflieferant, Mylady.«

»Ich wundere mich immer wieder, womit meine Verwandten sich abgeben«, stellte Agatha Simpson fest, die mit dem gesamten Blut- und Geldadel der Insel verschwägert war. »Ich werde an maßgebender Stelle mal ein ernstes Wort reden müssen.«

Agatha Simpson genehmigte sich noch einen zweiten Kreislaufbeschleuniger und blitzte ihren Butler un-ternehmungslustig an.

»Ich denke, daß ich selbst fahren werde«, sagte sie, »in diesem gräßlichen Nachmittags verkehr braucht man Geschicklichkeit und Entschlußkraft.«

»Ich könnte vielleicht die U-Bahn benutzen, Mylady«, erklärte Kathy Porter daraufhin hastig. Sie kannte die einmalige Geschicklichkeit der Lady Simpson, wenn sie erst mal am Steuer eines Wagens saß. Den Mut der älteren Dame bezweifelte sie ebenfalls nicht. Ein Kamikaze-Flieger wäre in solch einer Situation noch sehr vorsichtig gewesen.

»Papperlapapp«, entschied Lady Agatha wegwerfend, »dieses Fahrgeld werden wir einsparen, Kindchen.«

»Ich werde den Wagen Vorfahren.« Josuah Parker überlegte verzweifelt, wie er den Tatendrang seiner Herrin ein wenig steuern konnte.

*

»Was ist denn mit diesem Wägen los?« wunderte sich Lady Simpson eine Viertelstunde später, als sie Parkers hochbeiniges Monstrum rasant bewegen wollte. Obwohl sie Vollgas gab, kam Parkers Wagen nicht in Schwung, was seine Gründe hatte.

Josuah Parker, an Selbstmord nicht interessiert, hatte das ehemalige Taxi leicht frisiert und am Vergaser einige schnelle Manipulationen vorgenommen. Da die Zylinder des Motors nicht die gewohnte Menge Ben-zin erhielten, leisteten sie verständlicherweise weniger Arbeit. Parker war mit dieser Lösung vollauf zufrie-den. Kathy Porter hatte dem Butler bereits intensivdankbare Blicke zugeworfen.

»Das ist ja scheußlich«, ärgerte sich Agatha Simpson von Meter zu Meter, »eine Schnecke ist dagegen ein Formel-Rennwagen.«

»Nach der Rückkehr werde ich mich sofort mit dem Motor auseinandersetzen«, versprach Parker gemes-sen.

»Wenn das so weitergeht, werden wir am Picadilly Circus übernachten müssen«, raunte die ältere Dame, »dabei hatte ich mich schon so auf die Ausfahrt gefreut.«

Nun, sie brauchten am Picadilly Circus nicht zu übernachten. Sie überquerten ihn und nahmen dann die nordöstliche Richtung. Es dauerte etwa eine Stunde, bis das Ziel erreicht war. Lady Simpson stieg übelge-launt aus dem Wagen. Sie wußte, daß die Fahrt sie um einen Genuß betrogen hatte. Sie schwor sich insge-heim, sobald wie möglich eine neue zu unternehmen. Sie fuhr leidenschaftlich gern Auto und hielt sich für eine brillante Fahrerin. Anderer Ansicht waren Parker und Kathy Porter, doch sie redeten nicht darüber.

»Ein neutral aussehendes Blumengeschäft«, stellte Parker fest und deutete mit der Spitze seines altväter-lich gebundenen Universal-Regenschirms auf die beiden Schaufenster, die ein Blumenangebot präsentierten.

»Was normal ist, kommt mir stets verdächtig vor«, urteilte Lady Agatha. »Lenken Sie mich nicht unnötig ab, Mister Parker! Wir werden diesen sauberen Herrn Herberts gleich zur Rede stellen. Ich kann mir schon denken, wie das Subjekt aussieht. Kathy hat es uns sehr genau beschrieben.«

Sie kümmerte sich nicht weiter um ihre beiden Begleiter.

Grimmig und entschlossen überquerte sie die Fahrbahn und zuckte mit keiner Wimper, als der hier stark fließende Verkehr prompt in sich zusammenfiel. Die Detektivin schaute weder rechts noch links, überhörte das kreischende Bremsen von Wagen, die zu Notmaßnahmen gezwungen wurden, und übersah souverän einen leichteren Auffahrunfall. Sie hätte ein festes Ziel vor Augen und steuerte es hartnäckig an.

Ein Lastwagenfahrer beging den gravierenden Fehler, Lady Simpson mit dem Ausdruck »Spinatwachtel« zu titulieren. Er hätte es besser nicht getan. Obwohl die streitlustige Dame die Fahrbahn fast halb überquert hatte, wandte sie sich um, maß den Fahrer mit eisigem Blick und … marschierte zu Parkers Bestürzung zu-rück. Sie hielt auf den Fahrer zu, der wohl ahnte, was ihm blühte. Er gab Gas, wollte Lady Agatha bluffen und sie zwingen, den Weg freizugeben.

»Mylady«, stöhnte Parker verhalten, als sie keinen Zoll wich. Sie ging schnurstracks auf den flachen Küh-ler des Lasters zu und zwang den Fahrer, eine Vollbremsung zu vollziehen. Dann winkte sie den jungen, derben Mann aus dem Fahrerhaus zu sich herunter auf die Straße.

Er gehorchte und wirkte ein wenig irritiert.

»Sie sind ein Lümmel«, herrschte Lady Simpson ihn an. »Wie können Sie sich unterstehen, eine etwas angejahrte Dame eine alte Spinatwachtel zu nennen?«

»Sind Sie auch, altes Mädchen«, erwiderte der Fahrer ruppig. »Haben Sie denn keine Augen im Kopf?«

»Augen im Kopf und Hände an den Armen«, antwortete Lady Agatha und … verabreichte dem verdutzten Mann eine schallende Ohrfeige. Der Fahrer war sicher kein Weichling, doch ging er leicht in die Knie und schnappte nach Luft.

»Haben Sie sonst noch Wünsche?« erkundigte sich Agatha Simpson grimmig. »Ich bin gern bereit, noch mehr für Ihre Erziehung zu tun.«

»Schon gut, Madam«, entschuldigte sich der Mann verlegen und zog sich sicherheitshalber zurück zu sei-nem Wagen. Die letzten Meter absolvierte er im Laufschritt, stieg blitzartig ins Fahrerhaus und verriegelte beide Türen. Er nutzte seine Chance, da Lady Simpson zur Seite getreten war. Er gab Vollgas und preschte los, was das Zeug hielt.

Die Fahrer einiger Personenwagen, die vielleicht mit dem Gedanken gespielt hatten, Lady Simpson eben-falls mit Schmähungen zu belegen, verschluckten schleunigst ihre Bemerkungen und schauten ostentativ zur Seite. Mit dieser kriegerischen Amazone wollten sie nichts zu tun haben.

Lady Agatha sah dem davonjagenden Lastwagen nach und nahm ihre Wanderung quer durch den ruhen-den Verkehr wieder auf. Als sie die andere Straßenseite erreichte, nickte sie ihrem Butler nachdrücklich zu.

»Es geht eben nichts über Rücksichtnahme«, erklärte sie dann, »nur sie allein ermöglicht ein frohes Zu-sammenleben.«

»Wie Mylady meinen«, antwortete Parker neutral, »wenn es genehm ist, melde ich Mylady jetzt bei Mis-ter Herberts an.«

»Dieser Flegel kann sich auf einiges gefaßt machen«, schwor Lady Agatha. »Ich glaube, daß ich in ausge-zeichneter Stimmung bin, diesem Subjekt Manieren beizubringen.«

*

Clay Herberts entpuppte sich als schlanker, großer Mann von vielleicht fünfzig Jahren. Er besaß flachs-blondes Haar, trug eine grüne Gärtnerschürze und war gerade damit beschäftigt, ein Blumengesteck zu ar-rangieren. Mit sicherem Blick erkannte Herberts, daß die eintretende Dame über Geld verfügte. Er trocknete sich die Hände an seiner Schürze ab und fragte Lady Simpson nach ihren Wünschen.

»Sie sind Mister Herberts?« wunderte sich Lady Simpson nun doch etwas, da Kathy Porter ihr eine andere Schilderung des Mannes gab, den sie im Warenhaus beobachtet hatte.

»Clay Herberts, Madam«, antwortete der Blumenhändler.

»Sind Sie sicher?« herrschte sie ihn sofort an, »mit faulen Tricks dürfen Sie mir nicht kommen.«

»Ich bin Clay Herberts, Madam«, versicherte der Blumenfreund.

»Und wem haben Sie Ihren Morris geliehen?« lautete die nächste Frage der älteren Dame.

»Mein Morris, Madam? Er ist gestohlen worden. Aber das habe ich bereits der Polizei gemeldet.«

»Lügen kann ich nicht ausstehen«, verkündete Lady Simpson gereizt.

»Ich weiß nicht, was das alles soll«, meinte der Blumenarrangeur. »Wer, bitte, sind Sie, Madam?«

»Mister Parker, sorgen Sie für die notwendigen Erklärungen«, antwortete Lady Simpson und sah ihren Butler streng an, »aber fassen Sie sich kurz!«

Parker reagierte nach Wunsch, schwindelte ein wenig und sprach vage von einem leichten Unfall mit Blechschaden, den der Morris des Mister Herberts angeblich verursacht haben sollte.

»Dann sind Sie an den Dieb meines Wagens geraten«, sagte der Blumenhändler aufgeregt, »wann und wo ist das passiert?«

»Wann und wo wurde Ihr Morris gestohlen?« verlangte Agatha Simpson zu wissen! Durch das Schaufens-ter links vom Eingang hatte sie bereits das verneinende Kopfschütteln von Kathy Porter beobachtet. Daraus ging leider hervor, daß sie es nicht mit jenem Mann zu tun hatten, den Lady Simpson zu sehen gewünscht hatte. Kathy war absichtlich draußen vor dem Geschäft geblieben. Sie sollte vorerst nicht in Erscheinung treten.

»Das muß gegen Mittag gewesen sein«, beantwortete der bereits eingeschüchterte Mann die Frage von Lady Simpson. »Die genaue Uhrzeit weiß ich natürlich nicht. Ich habe den Diebstahl aber sofort der Polizei gemeldet.«

»Dann sind Sie noch mal davongekommen«, stellte Lady Agatha fest. »Ihr Glück, Mister Herberts!«

Sie nickte ihm desinteressiert zu und stampfte auf ihren stämmigen Beinen aus dem Ladenlokal, während Parker noch blieb.

»Die Frau ist ja direkt zum Fürchten«, sagte der Blumenfreund aufatmend.

»Mylady sind ein wenig exaltiert«, erklärte nun Parker. »Ich hätte abschließend gern noch eine Auskunft, Mister Herberts. Kennen Sie in Ihrer Nachbarschaft einen mittelgroßen, rundlichen Herrn, der etwa vierzig Jahre alt ist und eine große Brille trägt?«

»Bert Dolgan«, war die spontane Antwort.

»Richtig, so lautete der Name«, bluffte Parker, »er wohnt drüben in der nächsten Straße, nicht wahr?«

»In der Stow Street«, widersprach der Blumenhändler. »Bert hat dort ’nen Zooladen. Er kann Ihnen erst-klassige Zuchthunde und Katzen besorgen.«

»Ein Freund von Ihnen, wie ich unterstellen darf?«

»Wir kennen uns sehr gut«, antwortete Clay Herberts, »und nehmen oft einen drüben bei Filmore an der Ecke.«

»Lassen Sie mir die Überraschung«, bat Parker höflich. »Rufen Sie ihn nicht an! Wir haben uns seit vie-len! Jahren nicht mehr gesehen.«

*

Gleich neben dem Eingang zu der kleinen Zoohandlung hockte ein grasgrüner Papagei auf der Stange.

Er kreischte, als Lady Agatha eintrat, plusterte sich auf und maß die vermeintliche Kundin mit mißtraui-schen Blicken. Der Papagei, ansonsten auf ausgesuchte Schimpfwörter spezialisiert, legte erst mal eine Sen-depause ein. Er wollte die Frau genau studieren, bevor er sie schockierte.

»Das könnte er sein«, raunte Kathy Porter Lady Simpson zu und deutete unauffällig auf den Mann hinter der Verkaufstheke. Es handelte sich um einen untersetzten, rundlichen Mann von etwa vierzig Jahren. Er trug eine Hornbrille, die ihm ein eulenhaftes Aussehen verlieh. Dieser Mann verhandelte gerade mit einem Kunden und zählte ihm die Vorzüge der Konservennahrung für Hunde auf. Er verstieg sich dabei zu der Behauptung, es sei dem Gulasch ebenbürtig, das in Supermärkten für den menschlichen Verzehr angeboten würde.

Der Kunde war ehrlich begeistert und nahm gleich fünf Hundefutterkonserven mit. Agatha Simpson sah diesem Mann aus mißtrauisch zusammengekniffenen Augen nach, als er mit seinen Konserven einen kleinen Lieferwagen bestieg, auf dem die Reklameschrift einer Schnellgaststätte zu lesen war.

»Was kann ich für Sie tun, meine Damen?« fragte der Zoohändler und widmete sich höflich Lady Simp-son und Kathy Porter.

»Sie sind Mister Bert Dolgan?« schnarrte die Detektivin den Rundlichen an.

»Zu dienen, Madam«, erwiderte der Zoohändler respektvoll und beeindruckt.

»Geben Sie Ihr Spiel auf, Mister Dolgan«, fuhr Lady Simpson fort, »Sie sind durchschaut, Mister Dol-gan!«

Agatha Simpson liebte es, ihr Ziel stets direkt anzusteuern. Sie hielt nicht sonderlich viel von Parkers Me-thoden, der wesentlich zurückhaltender war.

»Nicht so laut«, flüsterte Bert Dolgan prompt und schaute sich ängstlich nach einer halb geöffneten Tür im Hintergrund um. »Meine Frau, Madam. Sie verstehen!«

»Ich erwarte ein volles Geständnis von Ihnen«, herrschte Lady Simpson den Verwirrten an. »Ich hoffe, das alles wird sich außergerichtlich regeln lassen.«

»Nicht so laut«, beschwor der Rundliche die Lady. Er drehte sich um und lief zur Tür. Agatha Simpson mißverstand das gründlich und glaubte an einen Fluchtversuch. Bevor Kathy Porter sie daran hindern konn-te, schickte die Detektivin bereits ihren Pompadour auf die Luftreise. Es handelte sich um einen kleinen, perlenbestickten Handbeutel, in dem ältere Damen noch heute einige Gegenstände ihres persönlichen Be-darfs verwahren, wie zum Beispiel Taschentuch, Puderdose, ein wenig Kleingeld und vielleicht auch Pillen-dosen.

Im Falle der Lady Agatha war das jedoch erheblich anders. Ihr Pompadour enthielt den berüchtigten Glücksbringer, der aus einem normalen Hufeisen bestand. Aus Gründen der Humanität hatte Lady Simpson dieses Hufeisen allerdings mit Schaumstoff umwickelt. Dennoch war der Pompadour mitsamt seinem Glücksbringer eine geradezu vernichtende Waffe.

Der Pompadour sauste also durch die Luft und landete auf dem Hinterkopf des Mannes.

Der Erfolg war niederschmetternd, was den Zoohändler anbetraf. Es war, als hätte man ihm die Beine un-ter dem Leib weggezogen. Er blieb für Sekunden wie angewurzelt stehen, schnappte nach Luft und breitete sich anschließend auf dem Fußboden aus. Hier blieb er völlig entspannt und benommen liegen.

»Schwächling«, stellte Agatha Simpson kopfschüttelnd fest, »die Jugend von heute hat kein Stehvermö-gen mehr.«

»Verständlich, Mylady«, gab Kathy Porter besorgt zurück. Sie war zu dem rundlichen Zoohändler geeilt und hatte den Pompadour aufgehoben. Sie wog ihn respektvoll in der Hand.

»Dieser Lümmel wollte sich einer Vernehmung durch Flucht entziehen«, behauptete die Detektivin grimmig.

»Vielleicht wollte er wirklich nur die Tür schließen, Mylady«, sagte Kathy Porter.

»Schnickschnack, Kindchen«, widersprach ihre Chefin. »Ist das nun dieser Lümmel aus dem Waren-haus?«

»Die Ähnlichkeit ist zumindest verblüffend, Mylady.«

»Dann ist er es! So etwas spüre ich. Sehen Sie sich nur das Gaunergesicht dieses Individuums an. Durch-suchen wir seine Räuberhöhle!«

Der grasgrüne Papagei hatte sich inzwischen entschieden, etwas für Bert Dolgan zu tun. Er plusterte sich auf, krächzte versuchsweise, schrie dann gellend nach der Polizei und sprach deutlich von einem Überfall. Wer ihm diese Worte beigebracht hatte, war im Moment nicht zu klären, doch seine Stimme war laut und gut zu verstehen.

Lady Simpson sah den Papagei streng an, marschierte auf ihren stämmigen Beinen auf ihn zu und baute sich vor ihm auf. Der Papagei war ein kluger Vogel mit ausgebildeten Instinkten. Seine Stimme wurde so-fort erheblich leiser, weil er um seinen Hals fürchtete. Er flüsterte noch ein unfeines Wort, zog den Kopf ein und sah zur Seite. Dann vergrub er seinen Kopf in den Federn und schwieg.

»Dein Glück«, sagte Lady Agatha, »ich will kein Wort mehr hören!«

»Mister Dolgan kommt zu sich«, rief Kathy, die bei dem Zoohändler zurückgeblieben war.

»Dann kann er sich jetzt auf etwas gefaßt machen!« Die Detektivin fixierte den Rundlichen, der sich ge-rade aufsetzte und vorsichtig nach seinem Hinterkopf fingerte.

»Was … Was war denn?« erkundigte sich Dolgan unsicher.

»Sie haben sich den Kopf am Regal gestoßen«, erklärte Lady Agatha wegwerfend, »aber lassen wir das. Zurück zur Sache! Ich erwarte endlich Ihr Geständnis!«

»Meine Frau«, stöhnte Bert Dolgan.

»Soll meine Sekretärin sie holen?«

»Nein, nur das nicht! Ich sage ja alles!«

»Keine leeren Versprechungen! Ich warte und höre!«

»Ja, Madam, ich bin’s gewesen«, gab Bert Dolgan zu.

»Und was haben Sie sich dabei gedacht, Sie Lümmel?«

»Eigentlich nichts, Madam.«

»Seit wann tun Sie das?« Lady Agatha ließ sich nicht mehr vom Thema abbringen. Sie triumphierte inner-lich. Hiermit konnte sie ihrem stets skeptischen Butler wieder mal beweisen, wie gut sie als Kriminalistin war.

»Wann ich damit angefangen habe, weiß ich nicht mehr genau, Madam«, stöhnte Bert Dolgan und erhob sich vorsichtig. »Es kam eines Tages einfach über mich.«

»Sie Lümmel!«

»Ich weiß, daß ich es nicht hätte tun dürfen, Madam.« Er sah beschämt zu Boden.

»Also, die Einzelheiten«, verlangte Lady Agatha streng.

»Wie sind Sie denn dahinter gekommen, Madam?«

»Sie wurden beobachtet.«

»Daher …« Bert Dolgan ließ den Kopf hängen und schnaufte. »Ich werde es aber nie wieder tun. Ehr-lich!«

»Was werden Sie nie wieder tun?« Lady Agatha wurde unsicher.

»Ich werde alles noch heute verbrennen.«

»Wie war das?« Die Detektivin glaubte eine Ungeheuerlichkeit gehört zu haben.

»Ich werfe heute noch alles ins Feuer«, wiederholte Bert Dolgan hastig. »Heft für Heft.«

»Wovon reden Sie eigentlich?« Die resolute Sechzigerin wurde ärgerlich.

»Die Pornohefte«, antwortete Bert Dolgan. »Das Risiko ist einfach zu groß. Wenn meine Frau das erfährt, bekomme ich einen Riesenkrach.«

»Ich möchte sie sehen.«

»Meine Frau?« Er starrte sie entsetzt an.

»Die Hefte«, schaltete Kathy sich ein, die sich nur mit letzter Mühe vor einem Lachkrampf bewahren konnte.

»Ich weiß nicht, ob ich die den Damen zeigen darf.«

»Her damit, Sie Flegel!«

Bert Dolgan seufzte, bekam einen roten Kopf und bückte sich nach einem überdachten Hundekorb aus Weidengeflecht. Dann holte er eine Sammlung von billigen, ausgiebig bebilderten Pornoheften hervor und zeigte sie.

»Sie werden mich nicht anzeigen, Madam?« fragte er nervös.

»Und seit wann hypnotisieren Sie junge Frauen?«

»Ich … Ich verstehe kein Wort, Madam.«

»Verstellen Sie sich nicht, Sie Individuum!«

»Man sollte vielleicht gehen, Mylady«, flüsterte Kathy Porter, um deren Augen sich Lachfalten bildeten. »Das scheint nicht der Mann zu sein, den Sie suchen.«

»Ich werf’ sie sofort ins Feuer«, sagte Bert Dolgan noch mal, »ich werd’ mich nie wieder damit abgeben.«

»Sie sind noch mal davongekommen«, raunzte Lady Simpson grimmig. »Daß mir keine Klagen mehr kommen, haben Sie mich verstanden?«

Während sie ihre Warnung noch ausstieß, marschierte sie bereits zur Tür und maß den grasgrünen Papagei mit einem vernichtenden Blick. Der Vogel zwinkerte nervös mit den Augen und verneigte sich dann am laufenden Band. Auch er schien zu wissen, daß er einem Naturereignis begegnet war.

»Sehr ärgerlich, das alles«, meinte Lady Simpson, als sie mit Kathy Porter zu Parkers Wagen marschierte. »Ich kann mir schon jetzt vorstellen, wer sich wieder mal überlegen fühlt.«

»Mister Parker ist ja gar nicht im Wagen«, wunderte sich Kathy. »Ob er vielleicht eine heiße Spur ent-deckt hat, Mylady?«

»Das will ich nicht hoffen«, antwortete die ältere Dame grimmig. »Das wäre ungerecht, Kindchen!«

*

Die Kneipe war gerade geöffnet worden.

Josuah Parker wunderte sich nicht, daß der hufeisenförmige Tresen des Pub dicht belagert war. Die beiden Barkeeper hatten alle Hände voll zu tun, die alkoholischen Wünsche der Gäste zu befriedigen, die in der Mehrzahl bereits seit gut einer halben Stunde auf die Öffnung gewartet hatten. Nach geheiligter englischer Tradition wurde in diesen Pubs erst am späten Nachmittag ausgeschenkt, zu spät für viele durstige Kehlen.

Filmores Pub stammte noch aus der guten alten Zeit. Die Wandvertäfelung aus Holz war im Lauf der Jahrzehnte nachgedunkelt und sah fast schwarz aus. Die Sandsteinplatten auf dem Boden wiesen tiefe Tritt-flächen auf, die Decke war niedrig und mit Balkenwerk durchzogen.

Josuah Parker wußte um seine Wirkung.

Als er eintrat, wurde es für einen Augenblick ruhig im Pub. Die meisten Gäste drehten sich zu ihm um und musterten ihn neugierig. Er war hier offensichtlich ein Fremdkörper, mit dem man nichts anzufangen wußte.

Josuah Parker ließ sich an einem Wandtisch nieder und wartete darauf, daß man sich um ihn kümmerte. Er sah durch die neugierigen Gäste hindurch und ignorierte gekonnt deren Interesse.

Seine Rechnung ging natürlich auf.

Um einen Fremden, der so gekleidet war wie er, mußte man sich einfach kümmern. Aus dem Hintergrund des Pub kam ein schnauzbärtiger Mann von etwa fünfunddreißig Jahren. Er trug einen dunkelbraunen Sport-anzug.

»Joe Filmore«, stellte er sich vor. »Kann ich was für Sie tun?«

»Sie sind der Besitzer dieses bemerkenswerten Etablissements«? fragte der Butler.

»Mein Vater, ich helfe hier nur aus.« Während Joe Filmore antwortete, maß er den Butler mit aufmerksa-men Augen. Er wußte offensichtlich nicht, was er von diesem Gast halten sollte.

»Sehr schön.« Parker nickte. »Ich verspüre Appetit auf ein Glas Lagerbier.«

»Ist das alles?« Joe Filmore schien von der Antwort enttäuscht zu sein.

»Über andere Dinge können wir vielleicht später reden«, schlug der Butler vor. Parker spürte deutlich, daß er nicht konkreter werden durfte.

»Warum kommen Sie nicht ’rüber ins Hinterzimmer?« fragte Joe Filmore und deutete mit einer Kopfbe-wegung auf eine Tür, die weit hinten im Raum zu sehen war.

»Ihrer wirklich freundlichen Einladung möchte ich auf keinen Fall widersprechen.« Parker erhob sich und schritt gemessen auf die Tür zu. Joe Filmore folgte dichtauf und öffnete die Tür, nachdem Parker abwartend zur Seite getreten war.

Der Raum war klein und niedrig. Gute, alte Möbel standen an den Wänden und schufen eine harmonische Atmosphäre. Nach Unterwelt sah dieser Raum gewiß nicht aus, dennoch spürte Parker immer deutlicher, daß es um zwielichtige Dinge gehen mußte. Joe Filmore schien ihn für eine Art Nachrichtenüberbringer zu halten, den er nur unter vier Augen sprechen wollte.

»Also, zur Sache«, sagte er prompt, nachdem er die Tür geschlossen hatte.

»Lassen Sie es mich so ausdrücken«, schickte Parker gemessen voraus und sah sein Gegenüber kühl und distanziert an. »Gewisse Dinge werden zu offensichtlich getrieben.«

»Wie … Wie soll ich das verstehen?«

»Man ist aufmerksam geworden«, tastete Parker sich weiter vor.

»Ausgeschlossen«, entgegnete Joe Filmore, »vorsichtiger als ich kann niemand sein.«

»Dann muß geplaudert worden sein«, stellte Parker fest, ohne den Irrtum klarzustellen. Er wußte inzwi-schen, daß er fündig geworden war. Hier in dem Pub spielten sich mit Sicherheit Dinge ab, die das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen hatten.

»Kann ich mir überhaupt nicht vorstellen«, wunderte sich Joe Filmore, »unsere Gäste sind vollkommen in Ordnung. Wer hier mitmacht, ist wenigstens dreimal durchleuchtet worden. Dafür leg’ ich meine Hand ins Feuer.«

Es handelte sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen verbotenen Spielclub, soviel hatte der Butler be-reits herausgehört. Er wunderte sich nur, daß Joe Filmore so ohne weiteres die Katze aus dem Sack ließ. Besonders mißtrauisch schien der junge Schnauzbart nicht zu sein.

Bevor Parker seinen kleinen Bluff weiter ausdehnen konnte, wurde die Tür aufgestoßen.

Zwei Männer traten ein, die recht unterschiedlich aussahen. Einer von ihnen war mittelgroß, schlank und sah aus wie ein überkorrekter Buchhalter. Er trug, und das war recht pikant, einen schwarzen Bowler wie Parker. Und er war auch mit einem Regenschirm ausgestattet, der an seinem linken Unterarm hing.

Sein Begleiter war ein Schrank von einem Mann, etwa dreißig Jahre alt, dessen Nase die typischen Merkmale eines Boxers aufwies. Das Nasenbein war eingedrückt und hing schief im Gesicht. Die kleinen Augen verrieten Härte und Tücke.

»Ich bin Harold Steeple«, stellte der Buchhalter sich vor.

»Hallo, Max«, redete Joe Filmore den Boxer an, um sich dann verblüfft dem Butler zuzuwenden. »Und wer, zum Teufel, sind Sie?«

»Parker mein Name.« Der Butler lüftete höflich seine schwarze Melone. »Josuah Parker, um genau zu sein.«

»Verdammt«, stieß Joe Filmore hervor, um dann blitzschnell zu schalten. »Max, schnapp’ ihn dir! Der Vogel hat sich unter ’nem falschen Vorwand eingeschlichen!«

Max machte sich daran, den fremden Vogel einzufangen …

*

Josuah Parker ließ sich nicht einen Moment lang aus der Ruhe bringen.

Natürlich war Max ihm bei weitem körperlich überlegen, doch das focht einen Josuah Parker nicht an. Von rohen Kräften hielt er nichts. Seiner stets bescheidenen Ansicht nach kam es auf den Geist an, der Ber-ge versetzen konnte. Und in diesem Fall auch einen gewissen Max …

»Sie haben etwas übersehen«, sagte er zu dem Kleiderschrank und zeigte mit dem Zeigefinger seiner rech-ten Hand, die übrigens in schwarzen Handschuhen steckten, steil hinauf zur Zimmerdecke. Max fiel auf die-sen Trick herein. Er blieb stehen und sah nach oben.

So entging ihm leider die blitzschnelle Bewegung, die der Butler ausführte. Mit dem Unterarm warf er seinen Universal-Regenschirm nach oben, um ihn dann mit beiden Händen unten an der Stahlzwinge zu er-fassen. Dann holte er äußerst elegant aus und betätigte sich als perfekter Golfspieler. Da ihm der Ball fehlte, begnügte er sich mit der breiten und eckigen Kinnspitze des Kleiderschranks.

An dieser Stelle muß wohl gesagt werden, daß Parkers Schirm einige Überraschungen barg. So war zum Beispiel der Bambusgriff mit Blei ausgegossen. Und genau diesen Griff benutzte Parker jetzt als Waffe. Er ließ sie durch die Luft zischen und setzte sie auf der Kinnspitze des Mannes ab.

Die Wirkung war geradezu verheerend, denn Max wurde kalt erwischt, um bei der Fachsprache der Boxer zu bleiben. Es knackte diskret in der Kinnlade. Max schielte zu Parker herüber, rollte die Augen, schielte intensiv und gab dann einen Laut von sich, den Parker nicht zu identifizieren vermochte.

Dann riß es ihm die Beine unter dem Leib weg.

Max warf sie hoch und landete krachend auf dem Boden. Er benutzte dabei seinen Rücken als Auflage und rollte sich schnaufend auf die Seite. Er scharrte noch ein wenig mit den Beinen, blieb dann aber ruhig und entspannt liegen.

Joe Filmore war zu keiner Reaktion fähig.

Er starrte auf Parker und öffnete vor Staunen weit den Mund. Anders Harold Steeple, der mehr war als nur ein gewöhnlicher Buchhalter, wie es den Anschein hatte. Steeple griff in seine Manteltasche und zerrte schnell einen Browning hervor, auf dem ein kurzer Schalldämpfer saß.

Parkers improvisierter Poloschläger fand augenblicklich ein neues Ziel.

Butler Parker 109 – Kriminalroman

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