Читать книгу Der exzellente Butler Parker 7 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3
ОглавлениеJosuah Parker sah die Katastrophe kommen, doch er hatte keine Möglichkeit, dem Schicksal in die Arme zu greifen. Tatenlos mußte er zusehen, wie seine Herrin sich in akute Gefahr begab. Sie näherte sich energisch einem der vielen Messestände der Kunstausstellung und steuerte zielsicher einen zierlichen und eleganten Queen-Anne-Sessel an, dessen Sitzfläche mit Brokat bezogen war.
Das nicht gerade billige Original war von Mylady dazu ausersehen worden, ihre Fülle aufzunehmen. Agatha Simpson nickte den beiden Repräsentanten der Antiquitätenfirma wohlwollend zu und ließ sich dann auf dem Sessel nieder.
Sie hätte es besser nicht getan.
Lady Simpson war eine majestätische Erscheinung, die das 60. Lebensjahr mit Sicherheit überschritten hatte. Sie war groß, bewegte sich mit dem Gehabe einer Regentin und wies beeindruckende Proportionen auf.
Durch Myladys Schwung fühlte sich der Sessel veranlaßt, einen tiefen Seufzer auszustoßen. Zwei Verkäufer, die das teure Möbel bedauerten, gaben noch einige höfliche Warnrufe von sich – doch es war schon zu spät.
Die vorderen Beine des Sessels, reich verziert mit Muschel-Ornamenten, waren der jähen Belastung nicht gewachsen und knickten ein. Dann löste sich die linke Armstütze und brach seitlich weg. Mylady geriet in eine Schieflage, die man nur als gefährlich bezeichnen konnte.
Agatha Simpson stieß einen spitzen Schrei aus, der die Ausstellungshalle erfüllte und erste Anzeichen einer allgemeinen Panik auslöste. Myladys Fülle senkte sich, doch geistesgegenwärtig stützte die ältere Dame sich auf der geöffneten Schreibfläche eines sogenannten Bureau-Kabinetts auf.
Dieser nicht weniger elegante und zierliche Sekretär mit Spiegelaufsatz war der jähen Belastung ebenfalls nicht gewachsen. Er brach stillos in sich zusammen und ließ bei dieser Gelegenheit deutlich erkennen, aus welchen Einzelteilen er mal zusammengesetzt worden war.
Damit war die Demontage dieses kleinen Messe-Standes allerdings noch keineswegs beendet.
Mylady rollte über einen teuren Seidenteppich auf ein dreibeiniges Tee-Tischchen zu und knickte dessen Beine ohne jede Schwierigkeit ein. Die Platte kippte hoch, überschlug sich in der Luft und landete krachend und splitternd in einem Standspiegel.
Butler Parker war tief beeindruckt.
Es zeigte sich wieder mal, daß Mylady keine Halbheiten kannte. Wenn sie etwas tat, kannte sie keine Kompromisse. Der Butler beeilte sich, zum Messe-Stand zu kommen. Die beiden Verkäufer waren bereits damit beschäftigt, Mylady hochzuziehen, was ihnen sichtlich einige Schwierigkeiten bereitete. Mylady war schließlich kein Leichtgewicht. Zudem war sie eindeutig verärgert. Sie belegte die beiden Aussteller mit Ausdrücken, die man nicht gerade als ladylike bezeichnen konnte.
»Wie können Sie es wagen, dieses wurmstichige Mobiliar aufzustellen?« meinte sie dann, als sie endlich wieder auf ihren stämmigen Beinen stand. »Warum haben Sie mich nicht gewarnt? Wollten Sie mich umbringen? Ich hätte mir zumindest ein Hüftgelenk anbrechen können ...«
Die beiden konventionell gekleideten Männer nahmen die Anwürfe der Lady Agatha so gut wie nicht zur Kenntnis. Sie blickten auf die diversen Trümmer und schnappten nach Luft, Parker sah deutlich, daß ihre Augen feucht geworden waren« Einer der beiden Aussteller und Verkäufer bückte sich und hob ein geschwungenes Stuhlbein hoch. Dann entrang sich seiner Kehle ein trockenes Schluchzen.
»Guter Gott«, murmelte er, nachdem er sich ein wenig gefaßt hatte, »das ist eine Katastrophe..«
»Richtig«, fauchte Lady Simpson den Mann an, »und zwar für Sie, damit wir uns gleich recht verstehen! Ich hätte umkommen können.«
»Darf man sich höflich nach Myladys Befinden erkundigen?« fragte der Butler die ältere Dame. Er war ein alterslos wirkender. Mann und das Urbild des hochherrschaftlichen englischen Butlers.
Parker trug über seinem schwarzen Zweireiher einen korrekt sitzenden Covercoat, eine Melone und einen altväterlich gebundenen Regenschirm.
»Hoffentlich haben Sie mitbekommen, daß man mich fast umbringen wollte, Mister Parker«, erwiderte Agatha Simpson und griff nach ihrem perlenbestickten Pompadour, der ihr aus der Hand geglitten war. Sie blickte die beiden Aussteller kampflustig an.
»Sie haben sich auf das Hinweisschild gesetzt, Madam«, verteidigte sich einer der beiden Männer. »Darauf stand, daß man den Sessel nicht berühren soll.«
»Sie werden für den Schaden aufkommen«, fügte der zweite Aussteller leichtsinnigerweise hinzu. »Und er ist nicht unerheblich. Diese beiden Stücke sind ... waren sehr teuer.«
»Drei Stücke, wenn dieser Hinweis erlaubt ist«, warf Josuah Parker in seiner höflichen Art ein. »Es handelte sich um Originale, wenn diese Frage erlaubt ist?«
»Selbstverständlich«, lautete die Antwort des ersten Ausstellers. »Einzelstücke, die nie wieder zu bekommen sind.«
»Plumpe Fälschungen«, grollte die passionierte Detektivin. »Ich sah das auf den ersten Blick.«
Bevor die beiden Aussteller sich näher dazu äußern konnten, erschien ein geschmeidig wirkender Mann, der etwa vierzig Jahre alt sein mochte. Er war etwas über mittelgroß, trug einen dunkelgrauen Maßanzug und hob beschwichtigend die Hände. Die goldschwere Rolex an seinem linken Handgelenk war nicht zu übersehen.
Und auch nicht die feinen Umrisse einer Schulterhalfter, die eindeutig gefüllt war.
*
»Es gab also Ärger?« fragte Mike Rander. Er und Kathy Porter hatten sich zum Lunch in Myladys Haus in Shepherd’s Market eingefunden. Mike Rander glich, was Aussehen, Alter und Statur betraf, einem bekannten James-Bond-Darsteller und verwaltete als Anwalt das immense Vermögen der älteren Dame.
Dabei half ihm Kathy Porter, die als Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Agatha fungierte. Sie war langbeinig, schlank und hatte kastanienbraunes Haar mit einem leichten Rotstich. Ihre ein wenig schräg geschnittenen Augen und die betonten Wangenknochen verliehen ihr ein etwas exotisches Aussehen.
»Es gab leider keinen Ärger, mein Junge«, beantwortete Agatha Simpson die Frage des Anwalts. »Mister Parker betätigte sich wieder mal als schlechter Verhandlungsführer.«
»Sie sorgten für eine gütliche Einigung, Parker?« fragte Mike Rander salopp. Er hatte in früheren Jahren sehr eng mit Parker zusammengearbeitet. In den USA hatte man gemeinsam eine Reihe von Abenteuern erlebt.
»Mister Richard Dexter verzichtete in der Tat auf Ansprüche jeder Art, Sir«, ließ Parker sich vernehmen. »Mylady hingegen kam zu dem Schluß, daß man keineswegs die Absicht hatte, Mylady nach dem Leben zu trachten.«
»Es lebe der Vergleich«, meinte Rander. »Aber das sage ich als Anwalt nur hier im privaten Kreis.«
»Die drei Möbelstücke waren wirklich Fälschungen, Mylady?« erkundigte sich Kathy Porter interessiert.
»Ich habe keine Ahnung, Kindchen«, erwiderte Lady Agatha wegwerfend.« Mir ging es nur darum, diese Lümmel zu bluffen.«
»Der geschlossene Vergleich, Miß Porter, läßt allerdings die Vermutung zu, daß es sich um Fälschungen handelte«, warf Josuah Parker ein. »Meine Wenigkeit war so frei, sich die Preise der drei Stücke anzusehen. Sie stellten einen Gesamtwert von neunzehntausend Pfund dar.«
»Wie war das? Neunzehntausend Pfund?« Mike Rander lächelte ungläubig.
»In der Tat, Sir«, bestätigte der Butler, »allein das Bureau-Kabinett war mit sechzehntausend Pfund ausgezeichnet.«
»Ein verdammt großzügiger Aussteller«, sagte der Anwalt.
»Der dazu erstaunlicherweise noch der Besitzer einer Schußwaffe war.«
»Schußwaffe, Mister Parker? Und das erfahre ich erst jetzt?« Agatha Simpsons Stimme war wie ein Gewittergrollen, das sich aus der Ferne deutlich ankündigte.
»Mylady waren und sind sicher daran interessiert, aus taktischen Gründen Ahnungslosigkeit vorzutäuschen.«
»Das ist richtig, Mister Parker, aber ich werde dieser Sache natürlich umgehend nachgehen.« Sie lächelte versonnen. »Ich spüre, daß da wieder ein neuer Kriminalfall auf mich zukommen wird.«
»Auf diesen Kunstmessen werden doch immer wieder Fälschungen angeboten«, wiegelte Mike Rander vorsichtig ab.
»In diesem Fall könnte man noch nicht mal beweisen, daß es sich um Fälschungen handelte«, machte Kathy Porter deutlich. »Falls es überhaupt welche waren, oder?«
»Nun, Mister Parker, was habe ich dazu zu sagen?« wollte Lady Agatha umgehend von ihrem Butler wissen.
»Mylady werden noch im Lauf des restlichen Tages erfahren, wohin man die diversen Bruchstücke der erwähnten drei Möbel verbringen wird«, lautete Parkers Antwort. »Mister Pickett wurde von meiner Wenigkeit gebeten, sich um die Firma des Mister Richard Dexter zu kümmern.«
»Sehr hübsch«, meinte die ältere Dame, »zwar etwas umständlich, aber immerhin, Mister Parker. Ich bin zwar mehr für den direkten Weg, aber ich will nicht kritisieren. So etwas liegt mir nicht, wie Sie ja wissen.«
»In der Tat, Mylady.« Parkers glattes Gesicht zeigte keine Regung.
»Sobald ich weiß, wohin man dieses Gerümpel gebracht hat, Mister Parker, werde ich den Fälschungen auf den Grund gehen«, kündigte sie anschließend an. »Wer es wagt, eine Lady Simpson täuschen zu wollen, muß mit Unannehmlichkeiten rechnen.«
*
Butler Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums, wie sein Privatwagen von Eingeweihten genannt würde. Dabei handelte es sich um ein ehemaliges Taxi schon sehr alter Bauart, das sowohl Spott als auch Mitleid auslöste. Tatsächlich aber war dieser Wagen nichts anderes als eine Trickkiste auf Rädern.
Parker hatte bei der technischen Umrüstung des Wagens sehr viel Phantasie eingesetzt. Wahrscheinlich hätte James Bond ihn um dieses Gefährt beneidet.
Es war inzwischen später Nachmittag geworden. Horace Pickett hatte sich vor einer halben Stunde gemeldet und Parker eine Adresse mitgeteilt. Die Möbeltrümmer, die Mylady in der Kunstmesse zurückgelassen hatte, waren von Angestellten der Firma des Richard Dexter nach Bayswater geschafft worden.
»Dort habe ich es also mit dem Antiquitätengeschäft dieses Mannes zu tun, wie?« fragte Agatha Simpson, die im Fond des Wagens saß und ihre Fülle auf dem Rücksitz ausbreitete.
»Nicht direkt, Mylady«, korrigierte Parker in seiner höflichen Art, »das eigentliche Antiquitätengeschäft befindet sich in Mayfair. Miß Porter und Mister Rander dürften inzwischen dort sein und als Kunden auftreten.«
»Das meinte ich ja gerade«, gab die ältere Dame leicht gereizt zurück. »Sie sollten besser hinhören, Mister Parker.«
»In Bayswater befindet sich offenbar das Möbelgeschäft der Firma Dexter«, redete Parker ungerührt weiter. »Mister Pickett ist bereits damit beschäftigt, erste Erkundigungen über den Besitzer der Firma einzuholen.«
»Der gute Pickett.« Sie lehnte sich zurück und lächelte versonnen, »Ich sollte ihn irgendwann wieder mal zum Tee einladen, Mister Parker. Erinnern Sie mich daran.«
»Mister Pickett ist eine ungemein wertvolle Hilfe«, entgegnete der Butler. Er kannte den ehemaligen Eigentumsverteiler schon seit vielen Jahren. Horace Pickett war seinerzeit ein Taschendieb gewesen, hatte sich aber grundsätzlich nur mit Brieftaschen solcher Personen beschäftigt, die einen finanziellen Verlust verschmerzen konnten.
In arge Schwierigkeiten geraten, hatte Parker ihm das Leben gerettet und ihn so auf den Pfad der Tugend zurückgeführt. Horace Pickett stand nun längst auf der richtigen Seite des Gesetzes und nutzte seine vielschichtigen Verbindungen, um für Lady Simpson und den Butler zu arbeiten.
Dieser bemerkenswerte Mann war eine auch äußerlich gute Erscheinung. Groß, sich straff haltend, erinnerte er an einen pensionierten Offizier. Pickett, der einen Trenchcoat und einen Traveller-Hut trug, erwartete das Duo aus Shepherd’s Market vor einem Pub.
Parker hielt kurz, und Pickett stieg nach vorn auf den Beifahrersitz. Er begrüßte Lady Agatha, die überraschend freundlich lächelte und ihm zunickte.
»Ich hoffe, Sie waren einigermaßen erfolgreich, mein lieber Pickett«, sagte sie. »Ich denke, ich bin da einem neuen Kriminalfall auf der Spur, auch wenn Mister Parker dies einfach nicht glauben will.«
»Richard Dexter hat vor etwa zwei Jahren das Geschäft seines Vaters übernommen«, berichtete Pickett, ohne auf die Bemerkung Agatha Simpsons einzugehen. »Richard Dexter hat im Holzhandel gearbeitet und war bis vor zwei Jahren Manager in einer Firma für Fertigbau.«
»Er hat doch hoffentlich diverse Vorstrafen«, warf Lady Agatha ein. Die Trennscheibe zwischen den Vordersitzen und dem Fond des Wagens war versenkt. Die Detektivin war überdeutlich gut zu verstehen.
»Soweit bin ich noch nicht, Mylady«, gab Horace Pickett zurück. »Meine Freunde und Bekannten sind noch dabei, weitere Hinweise auf ihn zu sammeln.«
»Die Möbelteile befinden sich zur Zeit in einem Store?« fragte der Butler.
»In einer alten Tischlerei, gar nicht weit von hier«, sagte Pickett.« Ein Bekannter von mir konnte von einem benachbarten Haus aus sehen, daß da Möbelteile ausgeladen wurden. Der Wagen fuhr dann wieder weg. Meiner Ansicht nach dürften wenigstens zwei Personen in der Tischlerei sein.«
»Die ich überrumpeln werde«, kündigte die ältere Dame kampflustig an.
»Mister Parker, lassen Sie sich dazu etwas einfallen.«
»Um was geht es eigentlich?« fragte Pickett. »Die Tischlerei macht einen völlig sauberen Eindruck.«
»Nichts als Tarnung, mein lieber Pickett«, wußte die Detektivin bereits im vorhinein. »Hier geht es um einen Kriminalfall, der noch Schlagzeilen machen wird. Ist es nicht so, Mister Parker?«
»Man sollte auch solch eine Möglichkeit nicht ausschließen, Mylady«, entgegnete der Butler in gewohnter Höflichkeit. »Das Leben ist voller Überraschungen, wie man zu sagen pflegt.«
*
Lady Agatha stand vor einer dicken Bohlentür und machte sich bemerkbar. Mit ihrer wirklich nicht kleinen Faust pochte sie sehr nachdrücklich gegen das Holz und nickte zufrieden, als ein Dröhnen zu vernehmen war. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die Tür spaltbreit geöffnet wurde.
Das Gesicht eines etwa dreißigjährigen Mannes war zu sehen.
»Verdammt, was ist denn?« fragte er barsch.
»Ich will sofort Mister Miller sprechen«, gab Lady Agatha zurück. »Und kommen Sie mir jetzt nur nicht mit der Ausrede, er sei wieder nicht da.«
»Hier gibt es keinen Mister Miller«, erklärte der Mann erstaunt.
»Natürlich gibt es ihn hier«, widersprach die ältere Dame und legte ihre majestätische Fülle vehement gegen das Türblatt. Sie schaffte es mit Leichtigkeit, den Mann katapultartig in die Schreinerei zurückzudrücken. Sie schmetterte die Tür auf und blickte sich zu Parker um, der höflich abwartend seitlich neben der Tür stand.
»Sehen Sie, Mister Parker, so macht man das«, meinte sie und lächelte triumphierend. »Mit Höflichkeit allein kommt man im Leben nicht weiter und macht sich...«
Sie hatte den jungen Mann an der Tür unterschätzt.
Er hatte sich wieder versammelt und hielt eine Art Dachlatte in der rechten Hand. Damit drang er auf Lady Agatha ein und hatte eindeutig die feste Absicht, sie damit zu attackieren.
Womit Josuah Parker selbstverständlich nicht einverstanden war.
Er benutzte seinen altväterlich gebundenen Regenschirm als Degen und stach blitzschnell zu. Er traf mit der Spitze die Armbeuge des Angreifers, der einen spitzen Schrei ausstieß und dann die Dachlatte zu Boden gehen ließ.
»Ihre Manieren lassen Wünsche offen«, tadelte Parker gemessen. »Sie sehen sich schließlich einer Dame gegenüber, der man Respekt zu zollen hat«
Der Mann wich zurück, rieb sich die schmerzende Stelle und blickte ein wenig hilflos zur Seite. Dort erschien ein zweiter junger Mann, der eindeutig nicht über die geistige Beweglichkeit verfügte, die Lage zu überblicken. Er hörte das Stöhnen seines Partners, sah vor sich zwei nicht gerade taufrischjunge Besucher und verschätzte sich ebenfalls.
»Was läuft denn hier?« brüllte er gereizt.
»Könnten Sie möglicherweise bestätigen, daß es sich um den Lagerraum der Firma Richard Dexter handelt?« erkundigte sich der Butler und lüftete die schwarze Melone.
»Wer... Wer, zum Teufel, sind Sie?« wollte der Mann wissen. Er mochte einige Jahre älter sein als der Stöhnende, »Sie haben die Ehre und den Vorzug, Lady Simpson einige Fragen beantworten zu dürfen«, gab der Butler zurück.
»Schmeiß sie ’raus«, verlangte der Getroffene mit gepreßter Stimme und versuchte, seinen Arm anzuheben, was allerdings mißlang.
»Sie lagern hier Antiquitäten?« fragte Parker. Er schien nichts gehört zu haben.
»Da liegt ja dieser billige Plunder«, dröhnte plötzlich Myladys sonore Stimme. Sie setzte ihre Fülle in Bewegung und marschierte auf eine Segeltuchplane zu, die man auf dem Zementboden ausgebreitet hatte. Auf dieser Plane lagen tatsächlich die Bruchstücke jener Möbel, die sie aus dem Lot gebracht hatten.
»Stop, keinen Schritt weiter«, drohte der zweite Mann wütend und verstellte leichtsinnigerweise Mylady den Weg. Sie hatte ihren perlenbestickten Pompadour bereits in Schwingungen versetzt und legte den kleinen Handbeutel auf die Brust des Mannes.
Das Resultat war frappierend.
Der sogenannte Glücksbringer darin, nämlich das schwere Hufeisen eines Brauereipferdes, brachte das Brustbein und die Rippen des Mannes in eine gewisse Vibration. Der Mann schnappte verzweifelt nach Luft, sackte in sich zusammen und lagerte sich anschließend auf der Plane neben den Möbeltrümmern.
»Wagen Sie es nicht noch mal, eine wehrlose Frau anzugreifen«, warnte die ältere Dame ihn nun eindringlich. »Ich könnte sonst sehr ärgerlich werden.«
»Nun, Mister Parker, gibt es etwas, was mir auffallen sollte?« erkundigte sich Lady Simpson ausgesprochen leutselig. Sie saß auf einem sogenannten ›Love-Seat‹, einem Sitzmöbel, das im Grund aus anderthalb Sesseln bestand.
Die ältere Dame hatte sich sicherheitshalber für diese Konstruktion entschieden, um sich ausbreiten und bequem sitzen zu können. Vor ihr auf dem Betonboden der Schreinerei lagen die beiden jungen Männer, die von Parker gefesselt worden waren. Er hatte dazu zähes Klebeband benutzt, wie es zum Sichern von Paketen dient.
»Der Bestand an alten Stilmöbeln ist nur beachtlich zu nennen, Mylady«, antwortete Josuah Parker, der aus der halbdunklen Tiefe des Raums kam. »Mister Richard Dexter dürfte über einen beachtlichen Kundenkreis verfügen.«
»Sagt mir das etwas?« wollte sie wissen. Sie spielte mit den Schußwaffen, die Parker aus den Taschen der beiden Möbeltischler gezogen hatte.
»Diese alten Stilmöbel, Mylady, dürften aus einer Serienproduktion stammen«, redete der Butler weiter. »Von einem bestimmten Modell gibt es jeweils drei bis sechs Kopien.«
»So etwas ahnte ich bereits, Mister Parker.« Sie nickte wissend. »Es handelt sich also um Fälschungen, wie?«
»Treffender hätten Mylady es gar nicht feststellen können.«
»Die Tatsachen reden eine Sprache, die man nur als deutlich bezeichnen kann.«
»Und diese Subjekte hier stellen die Fälschungen her!« Sie wußte es wieder mal im vorhinein und beugte sich über die beiden Männer, die sie verschreckt anschauten.
»Die beiden Personen, Mylady, dürften nichts anderes als Lagerarbeiter sein«, ließ der Butler sich vernehmen. »Hier in der Schreinerei gibt es keinerlei Anzeichen dafür, daß hier gearbeitet wird.«
»Aber sie werden wissen, woher diese billigen Kopien kommen«, vermutete Lady Agatha munter. »Und ich sage Ihnen bereits jetzt, Mister Parker, daß sie reden werden.«
»Wir haben keinen blassen Schimmer«, sagte der erste Lagerarbeiter.
»Wir passen nur auf«, erklärte der zweite Mann hastig.
»Das wird sich zeigen.« Agatha Simpsons Stimme bekam einen grollenden Unterton. »Ich hasse es, wenn man mich belügen will.«
»Wenn Mylady gestatten, wird meine Wenigkeit sich mit dem Versandbüro befassen«, meinte Parker. »Möglicherweise finden sich dort Unterlagen, die weiterhelfen können.«
»Tun Sie sich keinen Zwang an, Mister Parker.« Die ältere Dame stand auf, worauf der ›Love-Seat‹ sich deutlich hörbar entspannte. Die leicht geknickten Beine des Sitzmöbels richteten sich wieder auf.
Lady Agatha schritt zu den Stilmöbeln hinüber, die an der langen Wand der ehemaligen Schreinerei zu sehen und partieweise übereinandergestapelt waren.
Sie stellten auf den ersten Blick ein Vermögen dar. Jedes dieser Stücke machte einen ungemein alten Eindruck, und die Lady benutzte ihre zusammenklappbare Stielbrille, um sich mit Details der Einlegearbeiten vertraut zu machen.
Butler Parker befand sich bereits in einem kleinen Verschlag, der als Versandbüro diente. Er war sofort fündig geworden und sortierte diverse Rechnungen und Versandpapiere.
Die Geschäfte des Mister Dexter waren beachtlich. Er bediente künden in England, Schottland und Wales, in Holland, Frankreich und vor allen Dingen in der Bundesrepublik Deutschland. Die Rechnungen zeigten bemerkenswert hohe Summen. Dexter verkaufte die Massen-Kopien tatsächlich als echte Antiquitäten.
Parker hatte ein modernes Kopiergerät in einer Nische entdeckt und machte sich daran, die Unterlagen der Reihe nach zu kopieren. Diese Kopien ließ er in der linken Brusttasche seines schwarzen Covercoats verschwinden und nahm dann ein Telefon-Register in die von schwarzen Lederhandschuhen umspannten Hände. Nach kurzem Nachdenken brachte er dieses Register in der rechten Innentasche unter, um dann zu Mylady zurückzugehen, die höchst interessiert eine schmale Standuhr betrachtete.
»Man sollte dieses Stück vielleicht mitnehmen, Mister Parker«, sagte sie versonnen. »Ich möchte sie auf ihre Echtheit untersuchen.«
»Dazu müßte man Mister Pickett bemühen, Mylady.«
»Ich würde mithelfen, die Uhr zu tragen. Sehen Sie sich doch nur diese hübschen Blumenmuster an, Mister Parker. Es kann natürlich auch dieser nette Tischaufsatz sein.«
»Man könnte Mylady später des Diebstahls bezichtigen«, warnte der Butler höflich.
»Lächerlich, Mister Parker.« Sie sah ihn streng an. »Es geht mir natürlich nur um die Sache, nicht aber um diesen lächerlichen Aufsatz, der wirklich sehr hübsch ist und ...«
Sie kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden. Von der Bohlentür her war ein mehrfaches, rhythmisches Pochen zu vernehmen. Horace Pickett gab damit ein Warnzeichen.
Mit baldigem Besuch war zu rechnen.
*
Josuah Parker und Lady Agatha brauchten nicht lange zu warten, bis der Besuch eintrat.
Drei handfest aussehende Männer hatten die Tür eindeutig mit der Brechstange geöffnet und blieben mehr als erstaunt stehen, als sie die gefesselten Männer auf dem Betonboden entdeckten.
Zwei der drei Männer zogen daraufhin blitzschnell Schußwaffen und sicherten professionell nach allen Seiten. Der dritte Mann ließ die schwere Brechstange durch die Luft zischen und widmete sich dann den beiden am Boden liegenden Amateur-Tischlern.
»Was läuft hier?« fragte er und ließ die Brechstange zur Ermunterung dicht neben dem Kopf des Angesprochenen auf den Beton fallen.
»Überfall«, lautete die Antwort. »Zwei komische Typen... Die haben uns glatt auflaufen lassen.«
»Was für zwei komische Typen?« wollte der Träger der Brechstange wissen.
»So ’ne Alte und ein Butler«, erklärte der Mann am Boden. »Die haben uns ’reingelegt.«
Erstaunlicherweise dachte der Mann, der mit der Brechstange spielte, überhaupt nicht daran, die beiden am Boden liegenden Schreiner zu entfesseln. Er wandte sich um und blickte seine Partner fragend an. Sie hatten die ehemalige Schreinerei gesichert und kamen langsam zurück.
»Alles soweit in Ordnung«, sagte einer von ihnen.
»Okay, machen wir Kleinholz«, ordnete der Träger der Brechstange an und deutete auf die Serienprodukte in Holz, die an der Längswand standen. Haut ’rein, Jungs, laßt die Fetzen fliegen!«
Sie ließen sich nicht lange bitten.
Sie hatten aus einer Ecke der Schreinerei bereits einige Zerkleinerungsgeräte mitgebracht und machten sich ausgesprochen lustlos daran, die Serien-Antiquitäten zu zertrümmern. Ein mächtiger Vorschlaghammer und eine Axt ließen das Holz splittern.
Die beiden Abwracker leisteten vorbildliche Arbeit und stellten ihre Kondition unter Beweis. Ihr Vormann hatte sich in einen zierlichen Sessel gesetzt und beobachtete interessiert den Fortschritt der Arbeit.
Die beiden gefesselten Männer auf dem Betonboden zuckten immer wieder zusammen, wenn ein besonders harter Schlag eines der Möbelstücke auseinanderplatzen ließ.
Der Butler und Mylady beobachteten ihrerseits die Szene.
Sie standen unter einer Eisentreppe, die auf den Zwischenboden des Lagers führte. Hier war es völlig dunkel. Sie wurden zusätzlich geschützt von Verpackungsmaterial, das man zwischengelagert hatte. Lady Agathas Augen funkelten vergnügt. Sie genoß das Schauspiel, das ihrem Temperament sehr entgegenkam.
Parker war längst klar, daß man zufällig Augen- und Ohrenzeuge einer Aktion war, die eindeutig auf einen Konkurrenzkampf hindeutete. Richard Dexters Lager wurde sehr gezielt und nachdrücklich in einen Zustand versetzt, dessen Resultat nur so etwas wie Kleinholz bedeuten konnte. Die beiden Männer hatten sich nämlich inzwischen warm gearbeitet und machten sich daran, Einzelteile noch zusätzlich in Splitter umzuwandeln.
Wer mochte hinter diesem Besuch stehen, fragte sich der Butler. Wie hieß die Person, die diesen Vandalismus befohlen hatte? Sollte er, Josuah Parker, jetzt eingreifen? Oder sollte man vielleicht auf Horace Pickett setzen, der draußen war und sicherlich von sich aus eine Beschattung durchführen würde?
Parker dachte an seinen Universal-Regenschirm, durch dessen hohlen Schirmstock er bunt gefiederte Blasrohrpfeile verschießen konnte, die von komprimierter Kohlensäure angetrieben wurden. Es war im Grunde eine Kleinigkeit, die drei Besucher außer Gefecht zu setzen. Das Überraschungsmoment lag schließlich auf seiner Seite.
Lady Agatha enthob ihn der Qual einer Entscheidung.
Die ältere Dame stieß mit ihrem linken Ellbogen konsequent gegen einige Blechkanister, die prompt schepperten und in sich zusammenstürzten. Der Butler machte sich daraufhin bereit, die Initiative zu übernehmen.
*
Der Vormann fuhr herum, als hätte man ihm einen elektrischen Schlag versetzt. Er fuhr aus dem zierlichen Sessel hoch und hielt bereits die Schußwaffe in der rechten Hand. Er blickte in die Richtung, aus der das Scheppern gekommen war, und winkte seine beiden Begleiter nach rechts zur Längswand.
Einen Augenblick später zuckte er erneut zusammen und blickte in einer Mischung aus Staunen und Ekel auf einen stricknadellangen Blasrohrpfeil, der sich in seinen Unterarm gebohrt hatte. Er ließ unwillkürlich die Schußwaffe fallen und stöhnte. Dann rutschte er in den zierlichen Sessel zurück und schnaufte.
Die beiden anderen Besucher wußten sich keinen Reim darauf zu machen. Sie hatten den Blasrohrpfeil noch nicht entdeckt. Sie winkten ihrem Vormann zu, hatten ihr Handwerkszeug weggestellt und ebenfalls ihre Schußwaffen gezogen.
»Komm ’raus, Mann, oder wir zersieben dich«, rief einer in Richtung Treppe und kam sich dabei offensichtlich sehr professionell vor. Seine Stimme allerdings klang nicht sehr entschlossen.
»Hände hoch und ’raus«, fügte der zweite Möbelzerkleinerer hinzu und seufzte anschließend. Er blickte entgeistert auf einen Pfeil in der Armbeuge, riß ihn wild entschlossen heraus und warf ihn zu Boden.
Sein Partner hatte mitbekommen, von welchem Geschoß sein Begleiter getroffen worden war. Er machte auf dem Absatz kehrt und rannte in Richtung Bohlentür.
Der Vormann war in sich zusammengerutscht und stierte auf den bunt gefiederten Blasrohrpfeil. Er konnte sich nicht entschließen, ihn aus dem Muskelfleisch zu ziehen. Der zweite Mann ging mit schweren, langsamen Schritten auf ihn zu.
»Hauen wir ab«, sagte er eindringlich. »Das is’ ’ne Falle.«
Der Vormann wollte antworten und öffnete sogar seinen Mund, doch er war schon nicht mehr in der Lage, Worte zu artikulieren. Das chemische Präparat vorn an der Pfeilspitze tat bereits seine Wirkung und löste im Körper des Getroffenen eine allgemeine Muskelentspannung aus. Kurz danach fiel der Mann, der seinen Blasrohrpfeil geistesgegenwärtig entfernt hatte, auf die Knie und legte den Kopf auf den Schoß seines Vormannes.
Beide bekamen nicht mehr mit, daß der Flüchtende inzwischen die Bohlentür aufgerissen hatte und sich schleunigst entfernte. Parker kümmerte sich nicht weiter um ihn. Mister Pickett konnte sich dieses Mannes annehmen und ihn beschatten.
»Beinahe hätten Sie alles verdorben, Mister Parker«, mäkelte Lady Agatha inzwischen und trat aus dem Versteck hervor.
»Mylady haben Grund zum Tadel?« erkundigte sich Parker. Er ahnte bereits, was kommen würde.
»Wie konnten Sie auch nur diese Blechkanister umstoßen«, redete sie weiter. »Ich konnte das Schlimmste gerade noch verhindern.«
»Myladys Geistesgegenwart ist kaum zu überbieten«, behauptete der Butler. Sein glattes Gesicht blieb ausdruckslos wie stets. »Hoffentlich vermögen Mylady meiner Wenigkeit noch mal zu verzeihen.«
»Sie wissen, ich bin nicht nachtragend.« Sie marschierte energisch zu den beiden Getroffenen hinüber, die längst schon keine Gefahr mehr darstellten. Sie hatten ihre Augen geschlossen und lächelten wie satte, zufriedene Säuglinge.
Parker barg die beiden Schußwaffen und ließ sie in den Taschen seines schwarzen Covercoats verschwinden. Agatha Simpson stand vor den Besuchern und wandte sich dann an ihren Butler.
»Ich werde sie gleich verhören, Mister Parker«, kündigte sie an. »Lassen Sie sich dazu einige hübsche Fragen einfallen. Und falls diese Subjekte mich hinhalten wollen, setzt es Ohrfeigen, Mister Parker. Ich habe schließlich keine Zeit zu verlieren.«
Parker nickte andeutungsweise und kümmerte sich um die Taschen der beiden Männer. Er war nicht sonderlich überrascht, als sie sich als leer erwiesen.
*
»Zuerst einmal zu Ihnen, meine Herren«, sagte Parker und widmete sich den beiden Gefesselten, die ihn scheu anblickten. Sie hatten natürlich mitbekommen, durch was für seltsame Geschosse die Besucher außer Gefecht gesetzt worden waren. »Mylady geht davon aus, daß Sie durchaus wissen, wer Sie vor zehn Minuten besucht hat.«
»Keine Ahnung«, antwortete einer der beiden Männer. »Die haben wir noch nie gesehen.«
»Aber Ihnen ist klar, wer sie geschickt haben könnte, nicht wahr?«
»Woher sollen wir das wissen?« fragte der zweite Gefesselte zurück. »Fragen Sie doch den Chef.«
»Sie sprechen jetzt von Mister Richard Dexter?« Parkers Höflichkeit blieb konstant, während Mylady bereits aufgebracht schnaufte. Ihr perlenbestickter Pompadour rührte sich verdächtig.
»Richard Dexter«, lautete die schnelle Antwort. »Wir sind nur Lagerarbeiter.«
»Die zur eigenen Sicherheit Schußwaffen tragen, die wohl kaum angemeldet sein dürften.«
»Die... Die haben wir in ’nem alten Möbel gefunden«, erklärte der erste Lagerarbeiter schnell und lächelte flüchtig. »Wir wollten die dem Chef geben.«
»Sie fanden in dem erwähnten alten Möbelstück auch die beiden Schulterhalfter?« Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, während Mylady bereits sehr interessiert ihre Handfläche betrachtete, die nicht gerade klein zu nennen war.
»Alles gefunden«, lautete die Antwort. »In diesen alten Möbeln liegt immer wieder ’ne Menge Kram.«
»Es wird höchste Zeit, Mister Parker, daß ich diesen Lümmeln ein paar Ohrfeigen verabreiche«, schaltete Lady Agatha sich grollend ein. »Es ist eine Unverschämtheit, daß man mir mit solch billigen Lügen zu kommen wagt.«
»Mylady sollten allerdings davon Abstand nehmen, Schraubzwingen zu verwenden«, bat Parker, der seiner Herrin damit einen Hinweis lieferte, den sie dankbar aufgriff. Sie blickte in die Richtung, in die Parker mit seiner Schirmspitze gedeutet hatte. Sie lächelte boshaft und begab sich zu einer Werkbank, auf der die erwähnten Geräte lagen. Sie suchte sich ein passendes Muster aus und kam damit zu den beiden Lagerarbeitern zurück.
Sie hatten sehr wohl verstanden und ausreichend Phantasie, um sich einiges vorstellen zu können.
»Das ... Das können Sie doch nicht machen«, protestierte der Mann, der die Lügen aufgetischt hatte.
»Das is’ Folter«, erklärte der zweite Mann mit leicht schriller Stimme.
»Sie wissen doch gar nicht, was ich vorhabe, junger Mann«, antwortete die ältere Dame. Sie drehte am Schraubstock und ließ die beiden Spann-Arme der Zwinge enger werden.
»Moment mal, man kann doch über alles reden«, schlug der erste Lagerarbeiter vor.
»Das is’ Körperverletzung«, sorgte der andere Mann sich mit heiserer Stimme.
»Sie deuteten soeben freundlicherweise an, daß man über alle Themen reden könne«, schaltete der Butler sich ein. »Sie sollten mit einem ersten Beispiel dienen. Mylady wünscht zu erfahren, wer die drei Möbelzerkleinerer geschickt hat.«
»Der Holzwurm«, lautete die verblüffende Antwort. Agatha Simpson fühlte sich veralbert und drehte weiter am Griff der Schraubzwinge.
»Wirklich, der Holzwurm«, wiederholte der Mann und starrte auf das Werkzeug in Myladys Hand. »Den gibt’s tatsächlich. Der will sich das ganze Geschäft unter den Nagel reißen.«
»Sie reden von Antiquitäten?« vergewisserte sich Parker. Er schränkte die Frage bewußt auf dieses Thema ein.
»Klar«, kam die Antwort. »Aber wer das is’, weiß kein Mensch.«
»Mister Richard Dexter hat es demnach mit einem noch anonymen Konkurrenten zu tun?«
»Dexter schwimmt und hat keinen blassen Dunst«, erklärte der Mann und schluckte betreten, als Mylady die Schraubzwinge in die Nähe seiner Nase brachte.
»Mylady wünschen fernerhin zu erfahren, woher die hier zertrümmerten Möbel kommen«, fragte der Butler weiter.
»Die kommen aus Bedford«, hörten Mylady und Parker. »Woher da genau, weiß ich nicht.«
»Überlegen Sie genau, junger Mann«, forderte Agatha Simpson ihn grollend auf. »Meine Geduld ist so gut wie erschöpft.«
Die Schraubzwinge in Nasennähe ermunterte die Funktion seines Gedächtnisses.
»Shelvon heißt der Mann«, plauderte der Mann weiter aus. »Der hat ’nen kleinen Betrieb. Mein Partner und ich sind da manchmal hingefahren und haben Möbel geholt.«
»Mylady geht davon aus, daß Sie dabei jeweils einen Lastwagen bemühten.«
»Klar«, antwortete der Mann und beobachtete auch weiterhin die Schraubzwinge in der Hand der älteren Dame. »Da haben wir immer ’reingepackt, was ’reinging.«
»Selbstverständlich verfügt Mister Dexter noch über weitere Lager«, schickte der Butler voraus. »Je schneller Sie sie nennen, desto komplikationsloser werden Sie die nächsten Stunden überstehen.«
Der Mann nannte zwei weitere Adressen, während Lady Agatha die Schraubzwinge aus der Hand legte und sich plötzlich für einige kleine Blecheimer interessierte, die mit verschiedenen Leimsorten und Schnellklebern gefüllt waren.
»Mir ist da gerade ein hübscher Gedanke gekommen«, sagte sie und blickte ihren Butler an. »Ich werde die Lümmel daran hindern, sich vorzeitig zu befreien.«
»Darf man Mylady dabei behilflich sein?«
»Ich werde beide Subjekte festleimen«, entschied sie und deutete auf den Betonboden. »Dadurch gewinne ich Zeit.«
»Eine Anregung, Mylady, die man nur als bestechend bezeichnen kann«, erwiderte Parker.
»Man muß eben Ideen haben, Mister Parker«, gab sie zurück und nickte ihm wohlwollend zu. Dann machte sie sich daran, weißen Tischlerleim auf den Betonboden zu gießen. Mit einem großen Flachpinsel verstrich sie die leicht zähe Masse und forderte dann den ersten Lagerarbeiter auf, sich auf die behandelte Fläche zu rollen.
Er kam diesem Wunsch verständlicherweise nur zögernd nach, doch als er den schwingenden Pompadour in Myladys Hand erblickte, wurde er recht schnell und legte sich mit dem Rücken und dem Gesäß in den großzügig ausgestrichenen Leim.
Der zweite Lagerarbeiter des Mister Richard Dexter zierte sich hingegen überhaupt nicht. Er beeilte sich, Myladys Wunsch zu entsprechen, und rollte sich auf den Rest der bestrichenen Fläche. Es hatte nur wenige Minuten gedauert, bis sie einträchtig nebeneinander auf dem Leim lagen und darauf warteten, bis er zäh und fest wurde.
»Und nun zu diesen beiden anderen Individuen«, meinte die ältere Dame unternehmungslustig und deutete auf die Möbelzerkleinerer, die angeblich von einem gewissen Holzwurm in Marsch gesetzt worden waren. »Werde ich sie hier vernehmen, Mister Parker? Wie denke ich darüber?«
»Mylady haben gewiß die Absicht, die Männer mitzunehmen«, gab der Butler zurück. »An anderer Stelle ist mit einem völlig ungestörten Verhör zu rechnen.«
»Richtig«, bestätigte sie. »Langsam stellen Sie sich auf mich ein, Mister Parker. Sie machen Fortschritte.«
*
Die beiden Männer, die Parker mit seinen bunt gefiederten Pfeilen außer Gefecht gesetzt hatte, waren wieder zu sich gekommen. Der Vormann blickte erst mal auf seinen Unterarm und suchte nach dem seltsamen Geschoß. Dann schüttelte er ratlos den Kopf und blickte Parker an, der höflich die schwarze Melone lüftete.
»Sie haben keineswegs geträumt«, schickte Parker voraus. »Sie wurden tatsächlich von einem Blasrohrpfeil getroffen.«
»Ich auch«, fügte der andere Mann hinzu und suchte in seiner Armbeuge nach der Einschußstelle des Pfeils.
»Sie zwangen meine bescheidene Wenigkeit, auf diese so ungewöhnliche Art und Weise zu reagieren«, redete Parker weiter. »Gesundheitliche Schäden haben Sie nicht zu erwarten.«
»Mann, Sie wissen hoffentlich, auf was Sie sich da eingelassen haben?« fuhr der Vormann ihn gereizt an. Er hatte sich inzwischen mit schnellen Blicken orientiert und sah sich und seinen Begleiter in einem containerähnlichen Bauwagen, in dem es einen Klapptisch und eine an der Längswand festgeschraubte Bank gab. Auf dieser Bank saßen die beiden Männer und hatten keine Möglichkeit, Parker zu attackieren. Das zähe Packband aus Parkers Privatbeständen hielt ihre Hand- und Fußgelenke zusammen.
»Wie zu erfahren war, arbeiten Sie für eine Person, die sich Holzwurm nennt«, erläuterte der Butler in gewohnt höflicher Form. »Dazu würde meine Wenigkeit gern mehr hören.«
»Du kannst uns mal«, brauste der Vormann auf.
»Sie werden verstehen, daß ich Ihrer Einladung, die sicher freundlich gemeint sein dürfte, kaum entsprechen werde«, erwiderte Parker. »Sie verweigern, wenn man dies richtig interpretiert, jede Angabe zu dem erwähnten Holzwurm?«
»Mann, Sie sind ein irrer Schnelldenker«, mokierte sich der Vormann und grinste überlegen. Er hatte Parker eingeschätzt und sah sich somit einem Mann gegenüber, von dem eine physische Gefahr nicht ausging.
»Dann erlaubt man sich, Ihnen eine mehr oder weniger angenehme Reise zu wünschen.«
»Reise? Wieso? Was wollen Sie damit sagen?«
»Dieser Bauwagen wird innerhalb der nächsten halben Stunde im Laderaum eines Übersee-Frachters verschwinden«, meinte der Butler. »Das Ziel des Frachters sind die Bermudas. Sie haben mit einem sonnigen Aufenthalt zu rechnen, falls Sie das Ziel erreichen sollten, wogegen allerdings die Logik spricht.«
»Frachter? Bermudas? Mann, sind Sie wahnsinnig?« Er wollte aufspringen, doch das Packband hinderte ihn nachhaltig daran.
»Meine Wenigkeit könnte diese geplante Ferienreise allerdings auch stornieren, fall Sie sich entschließen, Hinweise auf den erwähnten Holzwurm zu geben.«
»Ich kenn’ keinen Holzwurm!«
»Natürlich kennen wir einen Holzwurm«, schaltete sein Begleiter sich überraschend ein. »Kevin hat doch davon gesprochen.«
»Halt die Klappe«, fauchte der Vormann wütend.
»Während der Seereise zu den Bermudas werden Sie möglicherweise mit einigen Hitzegraden zu kämpfen haben, ließ Parker sich vernehmen. »Hoffentlich werden Sie sich während dieser Zeit mit Ihrem Durst abfinden können.«
»Wollen Sie uns weichkochen?« blaffte der Vormann.
»Meine Wenigkeit möchte Sie nur auf die Konsequenzen Ihres Schweigens hinweisen«, antwortete der Butler gemessen und würdevoll. »Selbstverständlich steht es Ihnen frei, sich zu entscheiden.«
»Kevin Burlings«, zitierte der Begleiter des Vormanns hastig. »Der hat von ’nem Holzwurm gesprochen.«
»Dafür wird der dich umbringen« prophezeite der Vormann. »Und ich werd’ dabei mitmachen.«
»Sie sind herzlichst eingeladen, meine Wenigkeit zu begleiten«, meinte Parker zu dem Mann, der ihm diesen Hinweis gegeben hatte. »Allerdings werden Sie sich damit um eine interessante Seereise bringen.«