Читать книгу Butler Parker 117 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3

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Butler Parker saß am Steuer seines parkenden Wagens und wartete auf die Rückkehr Lady Agathas, die unterwegs war, um sich einen neuen Hut zu kaufen. Er wußte, daß es unter Umständen noch lange dauern konnte. Langeweile war ihm allerdings nicht anzusehen. Stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, hielt er sich auf dem Sitz seines hochbeinigen Monstrums.

Um sich die Zeit zu vertreiben, hatte er das Wagenradio eingeschaltet.

Ein Vortrag über Futterpflanzen in Schottland war nicht geeignet, sein Interesse zu wecken. Auf einer anderen Welle verbreitete sich eine professorale Stimme über Metaphysik in der neuen Musik. Auf einer dritten Frequenz erzählte eine sympathische Frauenstimme ein Märchen, in dem ein Frosch die Hauptrolle spielte.

Josuah Parker fühlte sich nicht angesprochen, suchte weiter und hörte dann eine leise, tränenerstickte Stimme, die von Selbstmord sprach ...

Der Butler reagierte kaum, so echt und eindringlich diese Frauenstimme auch klang. Auch ein spannendes Hörspiel konnte ihn jetzt nicht in die richtige Wartestimmung versetzen. Ihm schwebte Musik vor, sanfte Weisen, die seine Nerven beruhigten. Inzwischen war der Butler nämlich leicht ungeduldig geworden. Der Hutkauf schien diesmal den Nachmittag zu füllen.

Als Parker nach dieser Musik weitersuchen wollte, merkte er, daß er bereits das Ende der Skala erreicht hatte. Plötzlich wurde er hellhörig, drehte automatisch zurück und schaltete sich noch mal in die Frauenstimme ein, die in hemmungsloses Schluchzen übergegangen war.

Parker kam der Verdacht, daß er hier auf eine private Sendung gestoßen war. Das Schluchzen klang zu echt, war einfach zu verzweifelt. Hinzu kam die Tatsache, daß so weit rechts auf der Skala kaum ein Sender zu empfangen war. Er regulierte noch mal fein nach und drückte dann einen Umschaltknopf, der unter dem Radio angebracht war. Er schnitt dieses Schluchzen mit und überspielte es auf eine Kassette. Sein Wagen war mit allen technischen Raffinessen ausgerüstet.

Eine beruhigend klingende Männerstimme überlagerte nun das Schluchzen und redete eindringlich auf die Frau ein. Sie gab sich alle Mühe, der Frau den geplanten Selbstmord auszureden. Das Schluchzen wurde leiser und hörte endlich auf. Die Frau redete den Mann mit »Doktor« an und versprach schließlich, keine Dummheiten zu machen. Ihre Stimme klang endlich gefaßt und auch ein wenig zuversichtlich.

Für Parker stand es inzwischen fest, daß er auf die Sendefrequenz einer sogenannten »Wanze« gestoßen war. Irgendwo im näheren Umkreis dieses Parkplatzes war solch ein Gerät installiert worden und übertrug Intimes aus der Praxis eines Arztes.

Für den Butler war das ungeheuerlich. Wer konnte ein Interesse daran haben, solche Gespräche anzuzapfen? Diskret, wie Parker nun mal war, hätte er das Radiogerät am liebsten ausgeschaltet, doch nun ging es nicht mehr um sein Taktgefühl. Er hoffte herauszuhören, um welche Praxis es sich handelte, welcher Arzt da abgehört wurde. Die Arbeit der »Wanze« mußte so schnell wie möglich abgestellt werden. Dieser Arzt mußte umgehend erfahren, welche Zeitbombe in seiner Praxis tickte.

Was die Frau bedrückte, erfuhr Parker wenig später. Mit einer schon fast monoton zu nennenden Stimme erzählte sie von einem Seitensprung ihres Mannes und von dessen Freundin. Sie befürchtete, daß ihr Mann sie früher oder später verlassen würde, steigerte sich wieder in ihre Erregung hinein und weinte.

Butler Parker verließ den Wagen, ohne das Gerät jedoch auszuschalten. Er drückte die Tür zu und schritt gemessen zwischen den abgestellten Wagen umher. Unauffällig spähte er nach dem Empfänger dieser Spezialübertragung aus. Seiner Schätzung nach befand er sich in einem der parkenden Wagen. Eine bessere Position dafür ließ sich kaum vorstellen. Hier vom Parkplatz aus konnte man die vielen Büro- und Geschäftshäuser an diesem Platz gut beobachten. Ein Risiko war so gut wie ausgeschlossen. Hinzu, kam der ungestörte Empfang. Es gab keine störenden Hochhäuser oder Brandmauern.

Parker hoffte, diesen heimlichen Empfänger bald zu finden. Er nahm sich vor, die Übertragung nachhaltig zu stoppen. Für ihn stand es bereits fest, daß er ausnahmsweise mal auf seine gute Erziehung verzichten würde.

Nun, Josuah Parker entdeckte in wenigstens einem Dutzend Wagen männliche und weibliche Fahrer, die mehr oder weniger ungeduldig darauf warteten, endlich wieder starten zu können. Einige lasen Zeitung, einige rauchten und trommelten mit ihren Fingerspitzen ungeduldig auf den Lenkrädern herum, andere wieder hatten sich weit zurückgelehnt und genossen die wärmende Sonne dieses Nachmittags. Solch ein herrliches Wetter bot London schließlich nicht alle Tage.

Butler Parker wechselte zur zweiten Parkgasse hinüber und wurde auf einen Morris aufmerksam, dessen Vordersitze besetzt waren. Es handelte sich um zwei Männer, die etwa fünfundzwanzig bis dreißig Jahre alt waren. Sie trugen Sonnenbrillen und reagierten auf den Butler recht merkwürdig.

Der Mann vor dem Lenkrad wurde plötzlich von einer unerklärlichen Nervosität erfaßt, beugte sich vor und ließ den Motor anspringen. Sekunden später preschte er in verbotenem Tempo aus seiner Parklücke, bog mit kreischenden Reifen in die Gasse ein und jagte davon.

Josuah Parker blieb stehen und zog einen seiner vielen Kugelschreiber aus der Westentasche. Er opferte das strahlende Weiß seiner linken Hemdmanschette und notierte sich sicherheitshalber das Wagenkennzeichen. Es konnte wirklich nicht schaden, sich nach dem Besitzer des Morris zu erkundigen.

Parker behielt den Kugelschreiber in der Hand und ruinierte seine Manschette. Er notierte sich jetzt auch noch die Wagennummern, deren Fahrer oder Fahrerinnen ihm verdächtig vorgekommen waren. Das war eine reine Routinemaßnahme. Josuah Parker war schon immer ein eifriger Sammler von Informationen gewesen.

Er näherte sich wieder seinem Wagen und stutzte. Er wußte genau, daß er die Tür geschlossen hatte, doch jetzt stand sie weit auf. Parker beschleunigte seine Schritte, ohne dabei auch nur eine Spur seiner Würde zu verlieren, erreichte den Wagen und wußte Sekunden später, daß er bestohlen worden war.

Die schmale Kassette im eingebauten Recorder war verschwunden. Während seiner Abwesenheit hatte ein Liebhaber sich für sie interessiert.

Josuah Parker war drauf und dran, ein wenig aus der sprichwörtlichen Rolle zu fallen. Er ärgerte sich ungemein über seinen Leichtsinn, schalt sich einen Narren und verlor dann noch die Selbstkontrolle über sich, was in seinem Leben bisher kaum passiert war. Deutlicher Ausdruck dieses Sichgehenlassens war das Aufstoßen seines Universal-Regenschirms auf den Asphalt des Parkplatzes. Bruchteile von Sekunden später aber hatte Josuah Parker sich bereits wieder in der Gewalt, wie es seiner Art entsprach.

*

»Nein, ich weigere mich, das zu glauben«, sagte Agatha Simpson und schüttelte hartnäckig den Kopf. »So etwas kann doch nur einem grünen Anfänger passieren, Mister Parker.«

»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit völlig zerknirscht«, entschuldigte Josuah Parker sich noch mal. Er hatte seiner Herrin gerade von dem Diebstahl berichtet, was ihm schwer genug gefallen war.

Lady Agatha, eine große, stattliche Dame von etwa sechzig Jahren, schien das Mißgeschick ihres Butlers zu genießen. Spöttisch blitzten ihre wachsamen, dunklen Augen, ihre faltigen Wangen hatten sich rosa eingefärbt.

Lady Agatha Simpson, passionierte Detektivin, trug ihr übliches Tweedkostüm, dessen Rock weit über die stämmigen Waden reichte. Ihre Füße befanden sich in bequemen, aber ausgetreten aussehenden Schuhen. An ihrem linken Handgelenk baumelte ein altertümlicher Pompadour, der mit Perlen bestickt war.

Die Dame war eine majestätische Erscheinung, die man nicht übersehen konnte. Sie war immens reich und leistete sich Extravaganzen. Mit dem Blut- und Geldadel verschwistert, war sie in Gesellschaftskreisen gefürchtet. Sie nahm fast nie ein Blatt vor den Mund, war boshaft und ironisch. Ihre Spezialität war die ungeschminkte Wahrheit, die sie stets lautstark äußerte.

»Ich kann es einfach nicht fassen«, redete Agatha Simpson grimmig weiter. »Da bietet sich nun ein wahrscheinlich sehr interessanter Kriminalfall an, aber Sie, Mister Parker, verspielen ihn leichtfertig.«

»Mylady dürfen versichert sein, daß ich mich schäme«, gestand Josuah Parker.

»Bestimmt wäre das auch ein Thema für meinen Bestseller gewesen«, erwiderte die ältere Dame aufgebracht. Sie suchte seit Jahr und Tag nach solch einem einmaligen Thema. Sie hatte sich nämlich vorgenommen, eine gewisse Agatha Christie in den Schatten zu stellen. Agatha Simpson war davon überzeugt, eines Tages die literarische Welt überraschen zu können. Sie brauchte diesen Bestseller nur noch zu Papier zu bringen, fand aber immer neue Ausflüchte, um sich an der Niederschrift vorbeizudrücken.

»Hoffentlich können Mylady mir noch mal verzeihen.« Josuah Parker deutete eine leichte Verbeugung an. »Zudem möchte ich andeuten, daß die Spuren erfreulicherweise nicht völlig verwischt wurden.«

»Das möchte ich mir auch ausgebeten haben, Mister Parker.« Lady Simpson sah ihren Butler streng an.

»Ich war so frei, mir die Kennzeichen einiger verdächtiger Wagen aufzuschreiben, Mylady.«

»Das läßt hoffen, Mister Parker.« Agatha Simpson war versöhnungsbereit.

»Meiner bescheidenen Ansicht nach müßte sich die Praxis des erwähnten Arztes in einem der diesen Parkplatz säumenden Häuser befinden.«

»Das ist doch schon etwas«, stellte die ältere Dame erleichtert fest. »Handelt es sich Ihrer Ansicht nach um einen praktischen Arzt?«

»Diese Frage, Mylady, wage ich nicht zu beantworten.«

»Papperlapapp, Mister Parker. Das lasse ich nicht gelten. Da ist eine völlig verzweifelte Frau, die Ehekummer hat, weil ihr Mann eine Liaison hat. Diese Frau sprach von Selbstmord. Wird sie also zu einem praktischen Arzt gegangen sein?«

»Diese Wahrscheinlichkeit, Mylady, dürfte recht gering sein.«

»Eben, Mister Parker. Sie wird ihren Psychiater aufgesucht haben. Sie sollten sich angewöhnen, logisch zu denken.«

»Sehr wohl, Mylady.« Parker hatte selbstverständlich an diese Möglichkeit gedacht, es aber Lady Simpson überlassen, zu diesem Schluß zu kommen. Die ältere Dame brauchte schließlich ihre Erfolgserlebnisse.

»Der Fall wird immer einfacher«, freute sich Agatha Simpson. »Ja, er ist eigentlich schon fast gelöst.«

»Wie Mylady meinen.« Parker war erheblich anderer Meinung, hütete sich jedoch, sie zu äußern.

»Finden Sie diesen Psychiater«, verlangte die resolute Detektivin. »Das kann ja wohl nicht schwer sein, oder?«

»Falls Mylady erlauben, werde ich mich sofort an die Ermittlungen machen«, antwortete Josuah Parker gemessen. »Sie werden aber möglicherweise etwas Zeit kosten.«

»Nur, wenn Sie noch länger herumreden«, fand Parkers Herrin grimmig. »Fangen Sie dort drüben im Hampton House an! Da wimmelt es ja nur so von Ärzten.«

»Mylady wollen hier im Wagen warten?«

»Sie finden mich drüben in der Boutique«, schloß Lady Agatha Simpson und marschierte bereits los. »Vielleicht finde ich endlich den Hut, den ich mir vorstelle.«

*

Josuah Parker hatte unwahrscheinliches Glück.

Er stand in der Halle des Hampton House und orientierte sich an den vielen Hinweistafeln neben den beiden Fahrstuhltüren, als sich eine dieser Türen öffnete und eine schlanke, etwa fünfundvierzigjährige Dame heraustrat.

Sie hielt ein Taschentuch in der Hand und tupfte sich gerade Tränen aus den geröteten Augenwinkeln.

Der Butler war alarmiert.

Die Frau, die er suchte, stand vor ihm. Für ihn gab es überhaupt keinen Zweifel. Sie hatte geweint, schien sich inzwischen beruhigt zu haben und kam sicher von ihrem Psychiater. Sie setzte sich jetzt eine Sonnenbrille auf und ging dicht an dem Butler vorbei. Parker hatte einen prüfenden Blick auf die Qualität ihres Jackenkleides geworfen. Es war sehr gut geschnitten und mußte teuer gewesen sein. Diese Dame stammte mit Sicherheit nicht’ aus ärmlichen Verhältnissen.

Parker wechselte sofort seine Taktik.

Der Psychiater, nach dem er suchte, hatte noch Zeit. Er mußte herausfinden, wer diese Frau war. Wahrscheinlich stand ihr Wagen drüben auf dem Parkplatz. Josuah Parker folgte ihr also gemessen und hatte erneut Glück. Sie ging tatsächlich zum Parkplatz hinüber und setzte sich an das Steuer eines kleinen italienischen Sportwagens. Parker bemühte noch mal seinen Kugelschreiber und die Manschette. Er notierte auch das Kennzeichen dieses Wagens.

Der Dame mißfiel das offensichtlich.

Temperamentvoll kletterte sie aus dem Wagen und kam mit schnellen, energischen Schritten auf ihn zu. Parker lüftete höflich seine schwarze Melone.

»Was soll das?« fragte sie mit scharfer, unangenehm schriller Stimme.

»Madam?« Parker tat ahnungslos.

»Warum verfolgen Sie mich? Warum schreiben Sie sich meine Wagennummer auf?« Erfreulich klang ihre Stimme überhaupt nicht. Sie paßte so gar nicht zu dem sanften, leidenden Aussehen dieser Dame, auch nicht zu der Stimme, die Parker über die »Wanze« gehört hatte. Ihm kam ein schrecklicher Verdacht. Sollte sein Glück gar nicht so groß gewesen sein?

»Ein Mißverständnis, Madam«, behauptete Parker, innerlich zum schnellen Rückzug entschlossen.

»Dann scheren Sie sich zum Teufel! Oder soll ich die Polizei rufen?«

»Auf keinen Fall, Madam«, bat Parker und lüftete erneut seine Melone. Er wußte inzwischen, daß er auf die falsche Spur gesetzt hatte. Er schien keinen sonderlich erfolgreichen Nachmittag zu haben.

Die Dame, die in Parkers Augen keine war, musterte ihn noch mal empört durch ihre Sonnenbrille und wollte sich wieder in den Wagen setzen, wandte sich dann aber noch mal zu dem Butler um. Sie lächelte plötzlich, wodurch ihr Gesicht schief wirkte.

»Was brauchen Sie, um mich zu vergessen?« fragte sie und bemühte sich um Sanftheit in ihrer Tonlage.

»Ich fürchte, Madam nicht zu verstehen«, gab der Butler zurück.

»Nun sagen Sie schon, was Sie verlangen!« Die Stimme wurde wieder unangenehm.

»Madam sehen einen ratlosen Menschen vor sich.« Im Gegensatz zu seiner Behauptung kam Parker ein Verdacht. Wahrscheinlich hielt sie ihn für einen Privatdetektiv, der sich auf ihre Spur gesetzt hatte. Diese Dame hatte etwas zu verbergen...

»Na, gut, rufen Sie mich an«, sagte sie scharf. »Es ist besser für Sie, wenn wir uns einigen. Denken Sie darüber nach! Sie erreichen mich ab zwanzig Uhr.«

Sie tauchte in Ihren kleinen Sportwagen und fuhr scharf an. Josuah Parker hüstelte ein wenig und kam sich überfordert vor. Innerhalb der vergangenen halben Stunde war er mit Informationen förmlich überschüttet worden.

Da war zuerst mal die Übertragung dieser »Wanze« gewesen, dann die auffällig hastige Flucht der beiden jungen Männer im Morris und nun auch noch diese Dame, die sich wohl bespitzelt gefühlt hatte. Das alles war kompliziert und vielversprechend zugleich. Parker kam sich vor, als habe er zu nachdrücklich in ein Wespennest gegriffen. Noch hatte sich zwar nichts getan, doch mit Stichen war mit Sicherheit zu rechnen.

Er schüttelte die Gedanken daran aber erst mal ab. Noch hatte er den abgehörten Psychiater nicht gefunden. Agatha Simpson erwartete Resultate. Parker schritt zurück zum Hampton House, um seine eigentliche Suche fortzusetzen. Die Praxisschilder neben den beiden Fahrstühlen wiesen ja schließlich nur ein gutes Dutzend Namen auf. Ob er sich allerdings auch im richtigen Haus befand, stand noch längst nicht fest. Der geplante Hutkauf der Lady Agatha Simpson weitete sich zu einem neuen Fall aus, das stand für den Butler inzwischen unumstößlich fest.

*

Agatha Simpson wartete sehr ungeduldig auf die Rückkehr ihres Butlers.

Sie war in der Boutique gewesen, hatte dort aber nichts gefunden, was auf ihren Kopf paßte. Um sich die Zeit zu vertreiben, wechselte sie hinüber in ein angrenzendes kleines Ladenlokal, in dem antiquarische Bücher angeboten wurden. Die Detektivin schritt an den Regalen und Büchertischen vorüber und wußte selbst nicht, wonach sie suchte. Wie gesagt, es ging ihr nur darum, sich abzulenken.

Das Antiquariat war ein langer Schlauch, der vollkommen unübersichtlich eingerichtet war. Querregale schufen eine Art Labyrinth. Im Halbdunkel des hinteren Drittels befanden sich die Bedienungstheke und die Kasse.

Agatha Simpson fand schnell heraus, daß das Angebot an alten Büchern miserabel war. Es waren fast ausschließlich gebrauchte Taschenbücher und die Exemplare einiger bekannter Büchergemeinschaften ausgestellt. Normalerweise hätte Lady Agatha diesen Laden sofort wieder verlassen und dem Inhaber dieser Nichtigkeiten ein paar unverblümte Wahrheiten gesagt. Da sie jedoch auf ihren Butler wartete, verkniff sie sich diesen Wunsch, zumal sie in diesem Augenblick auf einen Sammelband stieß, in dem sich Kurzgeschichten einer gewissen Agatha Christie befanden.

Ein wenig herablassend blätterte die ältere Dame in dem Sammelband und wurde dann gegen ihren Willen von dem Beginn einer Kriminalgeschichte gefesselt. Nicht gerade begeistert räumte sie ein, daß diese Frau eigentlich doch recht interessant schrieb. Gewiß, sie war keine Wundererscheinung, wie die Kritik sie pries, aber sie ließ sich durchaus lesen.

Agatha Simpson, die diese Schriftstellerin früher oder später völlig in den Schatten stellen wollte, ließ sich jedoch leicht ablenken. Ihr fiel auf, daß in dieser langen, schlauchartigen Buchhandlung erstaunlich viele Herren erschienen, die ihre Käufe sehr schnell tätigten.

Sie betraten das Antiquariat, schlenderten an dem langen Regal rechts an der Wand entlang, griffen nach einem der Taschenbücher und bezahlten dann hinten an der Kasse. Der Umsatz an Taschenbüchern mußte beachtlich sein.

Agatha Simpson war stets in Sorge, etwas verpassen zu können. Also wechselte sie den Standort und suchte sich an einem der Querregale einen Platz, von wo aus sie das Längsregal besser einsehen konnte. Dabei blätterte sie natürlich wieder scheinbar interessiert in einem Band, den sie sich aus dem Regal gegriffen hatte.

Ein neuer Künde erschien gerade.

Agatha Simpson sah deutlich, daß dieser etwa vierzigjährige Mann wirklich wahllos nach einem Taschenbuch langte. Die Detektivin hatte Glück und konnte mit ihren guten Augen sogar den Titel erkennen. Demnach interessierte dieser neue Kunde sich für einen »Kurzen Abriß der Psychoanalyse.«

Er ging weiter, ohne auch nur einen einzigen Blick auf den Titel dieses Taschenbuches zu werfen, verschwand fast im Dämmerlicht des hinteren Ladens und verhandelte dort mit dem Buchhändler. Nach wenigen Minuten erschien er wieder vorn in Lady Simpsons Höhe und tat etwas Erstaunliches.

Der Kunde schob das Taschenbuch zurück ins Regal, zündete sich eine Zigarette an und verließ wieder das Antiquariat. Die Lady fragte sich unwillkürlich, was dieser Kunde dort hinten an der Kasse wohl bezahlt haben mochte. Sie hatte schließlich deutlich das Geräusch von gewechselten Münzen gehört.

Und da erschien auch schon der nächste Kunde.

Auch er hielt sich nicht lange vor dem Längsregal auf, griff wahllos nach irgendeinem Buch, verschwand nach hinten in Richtung Kasse und blieb dort vielleicht zwei oder drei Minuten, um dann wieder vorn zu erscheinen. Er nahm sein Taschenbuch jedoch mit.

Dafür zeigten sich die beiden nächsten Kunden desinteressiert an einem Buchkauf. Auch sie bezahlten irgendeine Ware weit hinten im Antiquariat, kamen wieder zurück in Richtung Eingang, stellten ihre Bücher zurück ins Regal und gingen dann nach draußen.

Agatha Simpson witterte ein Geheimnis.

Ihre Wangen färbten sich rosa, sie machte einen äußerst animierten Eindruck. Die ältere Dame ergriff nun ebenfalls ein Taschenbuch und ging nach hinten zur Kasse.

»Sie haben was gefunden, Madam?« fragte der Buchhändler, den Lady Simpson jetzt endlich sah. Es handelte sich um einen etwa fünfzigjährigen, untersetzten und beleibten Mann mit schlauen Fuchsaugen.

»Das hier«, sagte Agatha Simpson. »Oder kann ich noch etwas anderes bekommen?«

»Sie brauchen nur zu wählen, Madam«, erwiderte der Beleibte geschmeidig. Er schien nur an Bücher zu denken.

»Dann möchte ich das haben, was die Herren eben bekamen«, sagte die Detektivin. »Streiten Sie erst gar nicht ab, daß es das gibt! Ich habe schließlich Augen im Kopf.«

»Was sollen die Kunden denn außer Büchern bekommen haben?« wollte der Buchhändler wissen. Seine schmalen Fuchsaugen verengten sich.

»Darüber werde ich jetzt ausführlich mit Ihnen reden, junger Mann.« Agatha Simpsons Gesicht hatte einen grimmigen Ausdruck angenommen. Der Pompadour an ihrem linken Handgelenk geriet in verdächtige Schwingungen.

»Okay, Mylady, kommen Sie ins Büro«, schlug der Buchhändler vor. Agatha Simpson nickte gewährend und folgte dem gerissenen Fuchs in den Bau. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung, auf was sie sich da eingelassen hatte ...

*

Die resolute Detektivin sah sich zwei jungen Männern gegenüber, die sich mit einer großen Aktentasche befaßten. Sie mochten etwa dreißig Jahre alt sein und stammten aus jenem Morris, auf den Butler Parker aufmerksam geworden war. Doch davon wußte Lady Simpson nichts. Sie spürte nur, daß ihr die Gesichter der beiden jungen Männer nicht gefielen.

»Die Alte schnüffelt im Laden rum«, sagte der Buchhändler in einem Ton, auf den die Detektivin sofort allergisch reagierte. »Schnappt sie euch und dreht sie mal durch den Wolf! Ich will wissen, wer sie ist...«

»Ihr Ton ist äußerst rüde«, stellte Agatha Simpson streng fest. Der Pompadour an ihrem linken Handgelenk geriet in stärkere Schwingungen.

»Halt bloß die Klappe, altes Mädchen«, wurde der Buchhändler ruppig.

»Ihr Ton gefällt mir immer weniger«, warnte Lady Simpson. »Sie wissen wohl nicht, mit wem Sie es zu tun haben!«

»Sie sind doch diese Alte, die dauernd in fremder Leute Angelegenheiten rumschnüffelt, oder?« erkundigte sich der erste junge Mann.

»Und zwar zusammen mit diesem komischen Butler«, fügte der zweite hinzu. »Eben aufm Parkplatz, da hat er sich auch schon rumgetrieben.«

»Sie benehmen sich flegelhaft«, monierte Agatha Simpson grimmig.

»Und Sie spielen mit dem Feuer, altes Mädchen«, sagte der Buchhändler warnend, »’ne kleine Lektion kann bestimmt nicht schaden.«

Er sah die beiden jungen Männer an, die bösartig grinsten. Sie hatten den Buchhändler sofort verstanden, näherten sich drohend der älteren Dame und wollten sie ängstigen. Eine ernsthafte Gegnerin konnte diese Frau für sie natürlich niemals sein, wie sie sich einredeten.

»Sie stehen einer Dame gegenüber«, warnte Agatha Simpson.

»Die in der Zukunft schön in der Bude bleibt und stricken wird«, sagte der erste junge Mann.

»Oder häkelt«, meinte der zweite. »Dann hat sie nämlich kapiert, wie gefährlich das Leben sein kann.«

»Ich habe es ja mit Flegeln zu tun«, sagte die Detektivin grimmig und ... knallte dem ersten jungen Mann ihren Pompadour gegen die linke Kopfseite.

Die Wirkung war geradezu verheerend.

In dem bestickten Handbeutel befand sich Myladys Glücksbringer, ein echtes Hufeisen, das aus Gründen der Menschlichkeit mit einer dünnen Lage Schaumstoff umwickelt war.

Der Getroffene verdrehte die Augen, blieb einen Moment wie erstarrt stehen und entwickelte dann den dringenden Wunsch, sich in dem hinter ihm stehenden Büroschrank zu verkriechen. Da die Schranktür jedoch geschlossen war, durchbrach er sie einfach und verhedderte sich anschließend in den Holztrümmern.

Der zweite junge Mann stutzte noch, als ihn der Schlag mit dem Pompadour traf. Er stöhnte auf, grunzte ein wenig und verschwand dann unter dem Schreibtisch des Buchhändlers. Hier rollte der junge Mann sich zusammen und haderte mit seinem Schicksal, bevor er ohnmächtig wurde.

Der Buchhändler hatte eigentlich noch gar nicht begriffen, als Agatha Simpson sich mit ihm befaßte. Er schaute gerade vom Schreibtisch zurück zum zertrümmerten Schrank, in dem der erste junge Mann es sich in einem Zwischenfach bequem gemacht hatte. Dann aber ging ihm ein Licht auf. Er begriff, daß hier irreguläre Dinge geschehen waren. Der beleibte Buchhändler riß beide Arme hoch und ergab sich. Wie hypnotisiert starrte er dabei auf den pendelnden Pompadour in Myladys Hand.

»Was wird hier gespielt?« fragte die ältere Dame eindringlich. »Ich erwarte eine schnelle und ehrliche Antwort, Sie Lümmel!«

»Wetten«, stammelte der Beleibte mit brüchiger Stimme.

»Dachte ich es mir doch! Und für wen betreiben Sie diese Annahmestelle?«

»Joe Calster«, lautete die prompte Antwort. »Lady, machen Sie sich nicht unglücklich! Vergessen Sie den Namen ganz schnell!«

Der Beleibte machte einen unglücklichen Eindruck. Er hatte mit einiger Verspätung begriffen, daß er geplaudert hatte. Sein Gesicht war kreidebleich geworden. Er schaute ängstlich zu den beiden Männern hinüber, doch die hatten das wohl nicht mitbekommen. Sie machten immer noch einen äußerst schläfrigen und benommenen Eindruck.

»Wohin führt diese Tür?« Agatha Simpson deutete auf eine schmale Tür neben dem zertrümmerten Büroschrank.

»Mantelablage«, stotterte der Beleibte.

»Worauf warten Sie noch, Sie Lümmel?« Lady Simpsons Stimme trieb den Mann zur höchsten Eile an. Erjagte förmlich an ihr vorbei und warf sich in das kleine Gelaß, das Lady Simpson hinter ihm schloß. Sie kippte die Lehne eines Stuhls über den Drehknauf und widmete sich dann in aller Ruhe der Aktentasche.

Sie enthielt eine Reihe kleiner versiegelter Päckchen, deren Inhalt Agatha Simpson jetzt nicht untersuchte. Das hatte Zeit und konnte von Josuah Parker erledigt werden. Mit solchen Kleinigkeiten gab die ältere Dame sich nicht gern ab.

Nach einem letzten prüfenden Blick verließ sie das Büro und traf dann an der Theke zwei Männer, die bereits ungeduldig warteten und Agatha Simpson irritiert anschauten.

»Die Annahmestelle ist geschlossen«, verkündete die resolute Dame mit rollender Baßstimme. »Die Polizei wird hier gleich erscheinen.«

Die beiden Wettkunden entwickelten große Schnelligkeit im Verlassen des Antiquariats. Agatha Simpson folgte gelassen und ohne jede Hast. Ein vorzeitiges Erwachen der beiden jungen Männer befürchtete sie überhaupt nicht. Sie wußte, wie nachhaltig ihr »Glücksbringer« das Schlafbedürfnis eines Menschen förderte.

*

»Mylady waren mit dem Einkauf zufrieden?« erkundigte sich Josuah Parker und musterte verstohlen und mißtrauisch die schwarze Aktentasche, die seine Herrin auf den Rücksitz des hochbeinigen Monstrums warf.

Es handelte sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das nach Parkers Wünschen und Vorstellungen umgebaut worden war. Die äußeren Wagenkonturen waren dabei nicht verändert worden. Die technischen Raffinessen befanden sich unter dem Blechkleid, dieses wirklich sehr altertümlich aussehenden Wagens.

Der Motor entsprach dem eines Tourenrennwagens, die Radaufhängung nicht weniger. Doch das war es nicht, was den Reiz dieses Wagens ausmachte. Er war im Lauf der Zeit zu einer wahren Trickkiste auf Rädern umgestaltet worden. Gangster aller Schattierungen hatten das bereits am eigenen Leib gespürt. Daß dieses hochbeinige Monstrum nicht zu fliegen vermochte, empfand Parker als einen echten Schönheitsfehler.

»Nun, haben Sie den Psychiater gefunden?« fragte die ältere Dame, ohne auf die Bemerkung ihres Butlers einzugehen.

»Es handelt sich um einen gewissen Doktor Harold Bushford«, meldete Josuah Parker gemessen, wobei er die schwarze Tasche nicht aus den Augen ließ. Geradezu aufreizend lag sie auf dem rückwärtigen Sitz des Wagens.

»Lassen Sie sich gefälligst nicht jedes Wort aus der Nase ziehen«, raunzte die ältere Dame.

»Mylady haben eine Aktentasche erstanden, wenn ich fragen darf?« Josuah Parker witterte Schwierigkeiten.

»Und wer ist die Dame, die Sie im Autoradio gehört haben?« Erneut überging Agatha Simpson Parkers Frage.

»Doktor Bushford sah sich leider außerstande, Mylady, den Namen der Dame zu nennen. Er berief sich auf seine ärztliche Schweigepflicht.«

»Sie haben eben nicht nachdrücklich genug gefragt«, stellte die Detektivin grimmig fest und ließ den Pompadour bedrohlich pendeln. »Ich glaube, ich werde mich auch noch mal mit diesem Doktor Bushford unterhalten, Mister Parker.«

»Mylady fanden Gefallen an der Aktentasche?« Parker wurde den schrecklichen Verdacht nicht los, daß seine Herrin wieder mal Unheil angerichtet hatte. Ihm entging zudem nicht, daß sie immer wieder hinüber zum Eingang eines Antiquariats schaute.

»Fahren wir«, entschied Agatha Simpson, die den Blick ihres Butlers bemerkt hatte. »Ich verbitte mir übrigens Ihre hartnäckigen Fragen, Mister Parker. Ich kann mir immer noch kaufen, was ich will.«

»Sehr wohl, Mylady! Erwarten Mylady vielleicht jene beiden jungen Herren dort in der Tür zur Buchhandlung?«

»Nun fahren Sie schon endlich los!« Agatha Simpson konnte sich lebhaft vorstellen, daß die beiden Männer nicht besonders gut auf sie zu sprechen waren. Sie machten immer noch einen ramponierten Eindruck, doch erholt hatten sie sich inzwischen schon wieder. Sie hatten Agatha Simpson entdeckt, rannten über die Straße und hielten direkt auf das hochbeinige Monstrum des Butlers zu.

»Mylady wollen Doktor Bushford erst zu einem späteren Zeitpunkt besuchen?« Parker hatte viel Zeit und öffnete sehr umständlich die hintere Wagentür.

Inzwischen waren die beiden jungen Männer heran. Sie gingen langsam und näherten sich betont drohend dem Wagen. Sie sahen sogar sehr ramponiert aus, wie Parker fand. Er wußte sich darauf einen Vers zu machen. Agatha Simpsons Temperament schien wieder mal mit ihr durchgegangen zu sein.

»Die Tasche«, sagte der erste Mann.

»Und zwar ein bißchen plötzlich«, sagte der zweite. Dann schob er seine rechte Hand in die Tasche seines angerissenen Jacketts und machte deutlich, daß er noch über eine Schußwaffe verfügte.

»Sind die Herren sicher, sich an die richtige Adresse gewandt zu haben?« erkundigte sich Parker, während seine Herrin einen grimmigen Eindruck machte.

»Die Lady scheint die falsche Tasche erwischt zu haben«, sagte der erste Mann jetzt vermittelnd.

»Etwas plötzlich, sonst ist hier gleich der Teufel los«, drohte der zweite Mann gereizt.

»Man wird Ihre Wünsche möglicherweise respektieren«, gab Josuah Parker würdevoll zurück und musterte die beiden Männer, die ihm sehr bekannt vorkamen. »Gehe ich recht in der Annahme, Sie in einem Morris gesehen zu haben?«

»Die Tasche her!« Der erste Mann verlor die Geduld.

»Oder seid ihr scharf auf blaue Bohnen?« erkundigte sich der zweite Mann.

»Mitnichten«, erwiderte Josuah Parker höflich und ... wurde dann sehr aktiv. Drohungen dieser Art konnte er nicht vertragen. Er sah sich zu seinem Leidwesen gezwungen, erzieherische Maßnahmen zu ergreifen. Sein altväterlich gebundener Universal-Regenschirm wurde in Sekundenbruchteilen zu einer gefährlichen Waffe.

Der erste Mann quiekte betroffen, als die stählerne Zwinge sich in seine empfindliche Magenpartie bohrte. Bevor der zweite Mann reagieren konnte, machte er Bekanntschaft mit dem Bambusgriff, der mit Blei gefüllt war. Die Kinnlade des Mannes knirschte, worauf der Mund sich schief stellte. Anschließend taumelte der Mann zurück und hatte das Pech, in die Reichweite der älteren Dame zu gelangen.

Er hätte sich besser für eine andere Richtung entschieden ...

Agatha Simpson ließ sich die Möglichkeit nicht entgehen. Ihr Pompadour schwang hoch und legte sich auf die Brust des vorkippenden Mannes. Der Getroffene wurde zurückgeworfen und setzte sich entgeistert auf seinen Hosenboden. Er wollte noch etwas sagen, doch erst jetzt stellte sich die volle Wirkung des im Pompadour befindlichen »Glücksbringers« ein. Der Mann schloß daraufhin die Augen und verzichtete auf jede Diskussion.

Der von der Schirmzwinge Getroffene litt immer noch unter Luftschwierigkeiten und verbeugte sich unwillkürlich in Richtung Lady Simpson.

Parker trat höflich zurück und lüftete seine schwarze Melone.

»Ich möchte Mylady nicht vorgreifen«, sagte der Butler dazu in seiner unnachahmlichen Art.

»Was ich mir auch ausgebeten haben möchte!« Agatha Simpson sah den Butler kurz, aber streng an, um ihren Pompadour dann noch mal in Pendelschwingungen zu versetzen.

Der zweite Mann setzte sich neben den ersten und bereute seine Unhöflichkeiten.

»Eine Erziehung haben diese jungen Leute von heute! Es ist einfach nicht zu glauben.« Agatha Simpson war entrüstet, maß die beiden Männer mit einem strafenden Blick und bestieg dann den Wagen, dessen Tür Parker höflich schloß. Dann setzte er sich ans Steuer und verließ den Parkplatz.

»Wissen Mylady möglicherweise, was sich in der Aktentasche befindet?« erkundigte sich Parker, als er die Straße erreicht hatte. Ein Blick in den Rückspiegel hatte ihm gezeigt, daß der kleine Zwischenfall auf dem Parkplatz von der Öffentlichkeit nicht bemerkt worden war. Dazu war erfreulicherweise alles zu schnell geschehen.

»In der Tasche befindet sich wahrscheinlich Wettgeld«, erwiderte die Detektivin animiert. »Sagt Ihnen der Name Joe Calster etwas, Mister Parker?«

Der Butler bemühte sich ehrlich, sein tiefes Luftholen nicht zu zeigen, doch es gelang ihm nur recht unvollkommen.

»Joe Calster«, wiederholte Agatha Simpson noch mal, aber bedeutend lauter. »Schnaufen Sie nicht, antworten Sie lieber!«

»Mister Joe Calster, Mylady, gilt in eingeweihten Kreisen als der Chef einer Bande, die sich mit verbotenem Wettspiel befaßt«, erklärte der Butler, der sich wieder unter Kontrolle hatte. »Besagter Joe Calster soll ein äußerst bedenkenloser, ja, fast brutaler Gangster sein.«

»Dann wird es höchste Zeit, diesem Subjekt gute Manieren beizubringen«, entschied Agatha Simpson unternehmungslustig und rückte sich wohlig auf dem Sitz zurecht. »Ein guter Nachmittag, Mister Parker, finden Sie nicht auch?«

*

Dr. Harold Bushford war groß, schlank und elegant, ein Mann von etwa fünfundvierzig Jahren.

Er sah gereizt auf, als Agatha Simpson sich in seine Ordination schob, kniff dann ratlos die Augen zusammen und wußte mit der majestätischen Erscheinung der älteren Dame nichts anzufangen. Vielleicht hatte er sofort erkannt, daß diese Frau ganz sicher keine psychiatrische Hilfe brauchte, dazu sah sie einfach zu dynamisch aus.

»Wer hat Sie hereingelassen?« fragte er, nachdem er sich von seiner Überraschung erholt hatte. »Ich habe keine Sprechstunde mehr. Hat meine Sprechstundenhilfe Ihnen das nicht gesagt? Miß Merlin! Miß Merlin, wo stecken Sie denn?«

Kay Merlin erschien.

Die Sprechstundenhilfe des Psychiaters war eine adrette Blondine von etwa dreißig Jahren, ein wenig mollig wirkend. Sie machte einen leicht verstörten Eindruck und sorgte dafür, daß sie nicht zu nahe an Agatha Simpson herankam.

»Miß Merlin ist unschuldig«, raunzte die Detektivin den Psychiater an. »Sie hätte mich niemals aufhalten können, Doktor. Ich habe nämlich mit Ihnen zu sprechen.«

»Das ist Lady Simpson, Doktor«, flüsterte die Sprechstundenhilfe beeindruckt.

»Ich habe meine festen Sprechstunden«, gab Dr. Bushford zurück. »Bitte, Mylady, machen Sie mit meiner Sprechstundenhilfe einen passenden Termin aus! Ich bin überbeschäftigt.«

»Sie suchen nach der ›Wanze‹, nicht wahr?« Agatha Simpson schloß vor Kay Merlins Nase die Tür und marschierte zum Schreibtisch, hinter dem Dr. Bushford stand.

»Sie wissen?« Der Psychiater sah die ältere Dame überrascht an.

»Mein Butler war schon bei Ihnen«, erklärte sie und ließ sich in dem Besuchersessel nieder. »Sie waren sehr zurückhaltend, Doktor, was den Namen Ihrer Patientin betrifft.«

»Den kann ich nicht nennen, Mylady«, schränkte der Psychiater ein. »Ich müßte vorher mit ihr reden und ihr Einverständnis einholen.«

»Haben Sie die Dame bereits informiert, Doktor?« Agatha Simpson sah den Mann scharf an.

»Wie komme ich eigentlich dazu, Ihre Fragen zu beantworten?« brauste Dr. Bushford auf. »Dieser Fall geht nur die Polizei etwas an.«

»Haben Sie sie bereits verständigt, Doktor?«

»Ich habe jetzt keine Zeit mehr, Mylady.« Dr. Bushfords Stimme klang eisig.

»Aber ich«, stellte die Detektivin kriegerisch fest. »Obwohl Sie wissen, daß sich hier in Ihrer Ordination eine ›Wanze‹ befindet, haben Sie noch nichts unternommen. Ich nenne das Dummheit und Fahrlässigkeit.«

»Unsinn. Wer sagt denn, daß es diese ›Wanze‹ tatsächlich gibt? Das ist doch nur eine Behauptung Ihres Butlers.«

»Der Sie zumindest nachgehen sollten, Doktor. Haben Sie denn noch immer nicht begriffen, um was es geht? Ihre Patienten breiten ihr Seelenleben vor Ihnen aus, Doktor, sprechen über die intimsten Dinge. Gleichzeitig aber wird das alles von einer ›Wanze‹ nach draußen übertragen und abgehört. Geht Ihnen jetzt endlich ein Licht auf, Doktor? Haben Sie nun kapiert?«

»Worauf wollen Sie hinaus, Mylady?« Harold Bushford machte nun doch einen betroffenen Eindruck, zumal die Tonart der Dame nicht gerade seinem Naturell entsprach.

»Du lieber Himmel, Doktor, sind Sie begriffstutzig«, wunderte sich Agatha Simpson und maß den Psychiater mit einem verweisenden Blick. »Haben Sie das Wort Erpressung schon mal gehört? In welchem Jahrhundert leben Sie eigentlich? Mit den Informationen, die die ›Wanze‹ liefert, lassen sich tolle Geschäfte machen. Muß ich noch ausführlicher werden, junger Mann?«

»Wer... wer sollte diese ›Wanze‹ denn bei mir angebracht haben?« Dr. Bushford war inzwischen ein Licht aufgegangen. Er wurde nervös und machte einen bestürzten Eindruck.

»Das werde ich selbstverständlich noch herausfinden«, erklärte Lady Agatha Simpson. »Jetzt möchte ich erst mal wissen, wer die verzweifelte Dame in Ihrer Praxis war, die Selbstmord begehen wollte?«

»Ich... ich werde sie sofort anrufen.«

»Dort steht das Telefon, Doktor.«

»Also gut, ich rufe an, Mylady.« Dr. Bushford baute sich vor dem Apparat auf, daß die Detektivin nicht sehen konnte, welche Nummer er wählte. Es dauerte einen Moment, bis auf der Gegenseite abgehoben wurde. Dr. Bushford nannte seinen Namen, wandte sich plötzlich nach Lady Simpson um, schluckte und wirkte sehr bestürzt.

»Ich bin der Psychiater von Missis Dorothy Windlow«, sagte er dann. »Wie bitte? Selbstmord? Nein, das kann doch nicht wahr sein, Superintendent. Ja, natürlich, ich stehe Ihnen zur Verfügung. Ja, ich werde hier in meiner Praxis auf Sie warten, Sir.«

Dr. Bushford ließ den Hörer in die Gabel fallen und machte einen völlig verstörten Eindruck.

»Sie hat Selbstmord begangen«, sagte er schließlich. »Missis Windlow ist tot.«

»Ahnen Sie endlich, was diese ›Wanze‹ alles anrichten kann?« fragte Agatha Simpson streng.

»Was ... was hat dieser Selbstmord mit der ›Wanze‹ zu tun?« Dr. Bushford sah die ältere Dame geistesabwesend an.

»Wahrscheinlich ist diese Missis Windlow erpreßt worden«, antwortete die Detektivin in einem Ton, als sei das bereits eine erwiesene Tatsache.

»Weil ihr Mann sie betrügt?« Dr. Bushford hatte sieh wieder gefaßt und schüttelte den Kopf.

»Nun ja, immerhin.« Agatha Simpson geriet ein wenig aus dem Konzept, denn dieses Motiv schied tatsächlich als Grund für einen Selbstmord aus.

»Ich werde alles Weitere mit der Polizei besprechen«, sagte der Psychiater. »Ich werde natürlich meine ganze Praxis nach verborgenen ›Wanzen‹ untersuchen lassen, Mylady.«

Agatha Simpson vermißte gerade in diesem Augenblick ihren Butler, den sie nicht mitgenommen hatte. Sie selbst wußte nicht weiter. Es fielen ihr keine Fragen mehr ein. Sie kam sich ein wenig ausgebootet vor, worüber sie sich natürlich ärgerte.

»Sie werden noch von mir hören«, sagte sie also grimmig, um sich einen guten Abgang zu verschaffen. Dann trat sie den Rückzug an und suchte nach einem geeigneten Objekt, wo sie ihren Ärger ablassen konnte.

*

»Wenn man Sie mal braucht, sind Sie natürlich nicht da«, knurrte sie ihren Butler an, der im langen Korridor des Bürohauses auf sie gewartet hatte.

»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit zerknirscht«, antwortete Josuah Parker. »Darf ich dennoch hoffen, daß Mylady erfolgreich waren?«

»Natürlich! Was dachten denn Sie?« Die Detektivin sah Parker fast empört an. »Missis Dorothy Windlow hat den angekündigten Selbstmord begangen, wenn Sie das meinen.«

»Handelt es sich um jene Dame, deren verzweifelte Stimme ich im Wagen hörte, Mylady?«

»Warum bringt solch eine Frau sich um? Nur, weil ihr Mann sie betrügt?« Agatha Simpson schüttelte verständnislos den Kopf. »Sind das die Männer überhaupt wert?«

»Dazu möchte ich aus verständlichen Gründen keine Stellung nehmen, Mylady, zumal meine Antwort subjektiv gefärbt sein könnte. Mylady wissen, um welche Dame es sich handelt? «

»Muß ich denn alles allein tun?« Agatha Simpson warf ihrem Butler einen gereizten Blick zu. »Mit solchen Kleinigkeiten gebe ich mich nicht ab, Mister Parker. Für Routinedinge sind Sie zuständig.«

Sie ärgerte sich natürlich, daß sie Dr. Bushford nicht nach der Adresse gefragt hatte, und überspielte das wie üblich durch Ruppigkeit.

Josuah Parker wollte sich schon in Bewegung setzen, als seine Herrin ihn plötzlich mit einem erstaunlich harten Griff am Oberarm in ein Zimmer schob, dessen Tür sie geöffnet hatte. Parker setzte diesem Griff keinen Widerstand entgegen. Er hatte sofort begriffen, daß Agatha Simpson zusammen mit ihm von der Bildfläche verschwinden wollte.

»Bushford und seine Sprechstundenhilfe«, flüsterte die ältere Dame ihm erklärend zu. »Solch eine Gelegenheit kommt nicht wieder.«

»Guten Tag«, sagte der Butler und lüftete grüßend seine schwarze Melone in Richtung eines Mannes, der erstaunt um seinen Schreibtisch herumkam und seine beiden Besucher abwartend ansah. Der Mann machte einen irritierten Eindruck, da die Dame ihm den Rücken zuwandte und durch den Türspalt nach draußen in den Korridor schaute.

»Kann ich etwas für Sie tun?« erkundigte sich der Mann und kam vorsichtig näher.

»Mit einiger Sicherheit, Sir«, erwiderte der Butler und warf einen schnellen Blick ins Büro. Er wollte herausfinden, welchem Beruf dieser schlanke, etwa fünfzigjährige Mann nachging.

»Mit wem habe ich das Vergnügen?« wollte der Inhaber des Büros wissen und beobachtete Agatha Simpson, die keine Anstalten machte, sich nach ihm umzuwenden.

»Sie sind der Anlageberater Miller?« erkundigte sich Parker höflich. Diese Berufsbezeichnung war ihm gerade eingefallen. Das Büro gab keinen Aufschluß über den Beruf des Mannes.

»Ich heiße Frankers und bin Grundstücksmakler«, erwiderte der Mann irritiert.

»Darf ich unterstellen, daß dieser Beruf Ihnen Freude macht?« fragte der Butler.

»Ja, natürlich.« Der Grundstücksmakler wußte nun überhaupt nicht mehr, woran er mit seinem Besuch war.

»Dann möchte ich es nicht versäumen, Ihnen zu gratulieren, Sir.« Parker lüftete seine schwarze Melone und folgte seiner Herrin, die jetzt wieder in den Korridor ging.

»Vielen Dank«, sagte der Grundstücksmakler und zog ein glückliches Gesicht. Dann starrte er auf die Tür, die sich hinter Agatha Simpson und Josuah Parker gerade schloß. Er strich sich über die Stirn, ging zum Schreibtisch zurück und blieb dann jäh stehen. Mit erheblicher Spätzündung ging ihm auf, daß er irgendwie genarrt worden war. Er lief zur Tür zurück und hielt Ausschau nach diesem seltsamen Paar, doch es war bereits im Treppenhaus oder mit dem Fahrstuhl verschwunden. Der Mann saß anschließend noch lange vor seinem Schreibtisch und grübelte darüber nach, wer diese beiden Besucher wohl gewesen sein mochten. Er kam überhaupt nicht auf die Idee, daß sein Büro nur als improvisiertes Versteck benutzt worden war.

Butler Parker 117 – Kriminalroman

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