Читать книгу Der exzellente Butler Parker 6 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3

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Mylady hatte eine Bekannte in Brighton besucht und befand sich auf der Rückfahrt nach London. Parker benutzte eine spärlich befahrene Seitenstraße, um dem starken Rückreiseverkehr in die Hauptstadt zu entgehen. Stocksteif und aufrecht, als habe er den vielzitierten Ladestock verschluckt, saß er am mächtigen Lenkrad seines Privatwagens und nahm mit bemerkenswerter Geschwindigkeit souverän die Kurven.

Plötzlich wurde es auf der schmalen Strecke lebendig. Das Dröhnen schwerer Motoren war zu hören und schwoll zu einem wahren Crescendo an. Olivgrüne Lastwagen kamen aus einer Biegung hinter Parkers Privatwagen, und der Butler sah sich genötigt, reaktionsschnell an den Straßenrand zu steuern.

»Das ist doch die Höhe!« empörte sich Lady Agatha im Fond und forderte ihren Butler auf, den Militärkonvoi zu verfolgen. »Ich spüre deutlich einen klaren Anschlag auf mich. Die Unterwelt hat sich eine neue Methode ausgedacht, um mich lahmzulegen. Beeilen Sie sich, damit wir die Lümmel zur Strecke bringen. Geben Sie Gas, Mister Parker!«

»Mylady müssen gewisse Leute außerordentlich stören, daß man zu einem derart aufwendigen und massiven Mittel greift«, ließ sich Parker vernehmen.

»Ich bin eben einfach zu gefährlich, und das weiß die Unterwelt«, erklärte Lady Agatha munter. »Man weiß, daß ich früher oder später jeden zur Strecke bringe, und deshalb will man mich beseitigen. Meine Gegner wissen, wozu ich fähig bin!«

»Myladys Ruf ist wie Donnerhall in der Unterwelt«, erwiderte Parker schmeichelhaft.

»Das haben Sie sehr hübsch gesagt, Mister Parker, das muß ich mir unbedingt merken. Aber es trifft genau den Kern der Sache«, gab sie zufrieden zurück.

Parker steuerte seinen Privatwagen durch eine weitere, sehr scharfe Kurve und trat plötzlich auf die Bremse, Mylady, die sich etwas vorgebeugt hatte, wurde gegen die Vordersitze gepreßt und verlor ihre eigenwillige Hutschöpfung, die bei oberflächlicher Betrachtung an eine Kreuzung zwischen Kochtopf und Napfkuchen erinnerte und erst auf den zweiten Blick als Kopfbedeckung auszumachen war.

»Was soll das, Mister Parker, wollen sie mich neuerdings auch umbringen?«

»Meine bescheidene Wenigkeit hofft, Mylady nicht allzusehr inkommodiert zu haben, aber dort am Straßenrand hält einer der Militärlastwagen. Man scheint von einer Reifenpanne überrascht worden zu sein. Sicher möchte sich Mylady mit den Insassen ein wenig austauschen«, bemerkte Parker höflich.

»Worauf Sie sich verlassen können, Mister Parker. Ich werde diesen Burschen mal ordentlich Bescheid sagen!«

Mylady stieß, ehe ihr Parker beim Aussteigen behilflich sein konnte, die Fondtür auf und wälzte ihre walkürenhafte Gestalt auf das olivgrüne Fahrzeug zu.

Am rechten, hinteren Zwillingsreifen standen mehrere uniformierte Männer, die sich wie auf Kommando umwandten, um Mylady entgegenzusehen.

Als sie nur noch zwei oder drei Schritte entfernt war, löste sich ein schlanker, hochgewachsener Mann aus der Gruppe und trat mit federnden Schritten auf die ältere Dame zu.

*

Er blieb vor Lady Agatha stehen und legte die ausgestreckte Rechte grüßend an den Mützenrand, der übrigens eine silberne Borte trug und ihn als Offizier auswies.

»Ich muß mich sehr wundern über Ihre Manieren im Straßenverkehr, junger Mann«, grollte die Lady und faßte ihn scharf ins Auge, »seit wann versucht die Armee, harmlose Steuerzahler mit ihren Lastwagen umzubringen?«

»Pardon, Madam, dies ist ein sehr eiliger Transport, und wir sind bereits etwas spät dran. Falls wir Sie behindert haben sollten, darf ich Sie in aller Form um Entschuldigung bitten.«

»Hm.« Lady Agatha schnaufte enttäuscht und wandte sich hilfesuchend nach Parker um, der hinter ihr Aufstellung genommen hatte. Sie ärgerte sich ein wenig über das perfekte Verhalten des Offiziers, das ihr keinerlei Anlaß zu einer kleinen Auseinandersetzung bot.

»Sie hatten bedauerlicherweise eine Panne?« erkundigte sich Parker gemessen.

»Allerdings, und bedauerlich ist genau das richtige Wort«, lächelte der Offizier. »Wie gesagt, wir sind schon etwas spät dran und müssen unsere Einheit vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Entschuldigen sie mich!« Er legte erneut die Hand grüßend an die Mütze und wandte sich mit zackiger Kehrtwendung zu seinem Fahrzeug.

»Man hofft, daß Sie nicht die Orientierung verloren haben, Colonel«, bemerkte Parker höflich.

Der Colonel fuhr bei dieser Bemerkung auf dem Absatz herum und starrte Parker aus zusammengekniffenen Augen an. »Was wollen Sie damit sagen, Mann?« knurrte er, während er den Butler von oben bis unten musterte. Sein Ton war jetzt längst nicht mehr so höflich und verbindlich wie vorher; aus seiner Stimme drang sogar deutlich eine gewisse Schärfe.

»Sie haben offensichtlich Raketen geladen«, fuhr Parker fort und deutete mit der Schirmspitze zum LKW hinüber, dessen Ladefläche mit einer gefleckten Plane bedeckt war. Unter der zeichneten sich allerdings eher deutlich die Umrisse eines solchen Projektils ab. Außerdem schaute die nadelförmige Raketenspitze unter der Plane hervor und ragte sogar etwas über die Ladefläche hinaus.

»Das ist ja wohl deutlich zu sehen. Worauf wollen Sie hinaus?«

Der Offizier trat näher auf Parker zu und blieb dicht vor ihm stehen. »Sie kommen mir etwas seltsam vor, Mann, ich frage mich, ob Sie sich wirklich nur zufällig hier aufhalten oder ob mehr dahintersteckt. Ich überlege ernsthaft, Sie festnehmen zu lassen, um Sie im nächsten Ort der Polizei zu übergeben.«

Lady Agatha starrte den Colonel empört an und schob sich angriffslustig näher.

»Sie wissen offenbar nicht, mit wem Sie es zu tun haben, Sie Lümmel, aber das mache ich Ihnen gern klar.«

Der Offizier sah die ältere Dame verdutzt an, stutzte einen Augenblick und brach dann in schallendes Gelächter aus. Das hätte er besser nicht getan.

Mylady sah ihn freudig bewegt an. Dann hob sie ihren rechten Fuß und ... trat gegen das Knie des Colonels. Der schrie vor Überraschung und Schmerz auf und hielt sich die lädierte Stelle. Diese Gelegenheit nutzte die Lady, um eine ihrer gefürchteten Ohrfeigen an den Mann zu bringen.

Da Mylady begeistert dem Bogen- und Golfsport frönte, waren ihre Muskeln keineswegs unterentwickelt. Entsprechend fiel die Wucht ihrer Maulschelle aus.

Der Colonel wurde von dem Schlag leicht angehoben und segelte förmlich über den staubigen Straßenbelag auf seinen LKW zu, wo er von seinen Soldaten mit ausgebreiteten Armen empfangen wurde.

»Man darf sich nicht alles bieten lassen im Leben, Mister Parker«, dozierte Lady Agatha, »schon gar nicht von aufgeblasenen Militärs, die unsere mühsam erarbeiteten Steuergroschen mit vollen Händen zum Fenster hinauswerfen.«

»Man scheint über Myladys unmißverständliche Meinungsäußerung ein wenig ungehalten zu sein«, bemerkte Parker höflich »und die Absicht zu haben, gegen Mylady mehr oder weniger massiv vorzugehen.«

»Diese Lümmel werden hier und heute ihr Waterloo erleben, Mister Parker«, verkündete Lady Agatha munter. »Ich zeige den Burschen mal, was ’ne Harke ist.«

»Die Herren dürften schon jetzt zu bedauern sein«, wußte Parker im voraus. »Gegen Mylady gibt es nicht den Hauch einer Chance, wenn meine Wenigkeit diese Feststellung treffen darf.«

»Sie sagen es, Mister Parker«, gab Mylady zurück und schwang unternehmungslustig ihren Pompadour.

*

»Und, wie ging die Schlacht aus?« erkundigte sich Mike Rander interessiert am Abend in der großen Wohnhalle in Myladys Fachwerkhaus in Shepherd’s Market.

»Ich siegte natürlich. Was denn sonst, mein lieber Junge?« freute sich die Lady und nahm einen Schluck Cognac. »Allerdings, eines muß ich schon sagen: sollten diese Waschlappen jemals in die Verlegenheit kommen, das Empire zu verteidigen … armes old England, kann ich da nur sagen!« Sie seufzte tief und schüttelte bekümmert den Kopf.

»Sie waren mit der Qualität unserer Vaterlands Verteidiger nicht zufrieden, Mylady?« hakte Kathy Porter lächelnd nach. Sie war die Gesellschafterin und Sekretärin und fast schon so etwas wie Agatha Simpsons Tochter.

Kathy Porter war groß, schlank, hatte dunkelbraunes Haar mit reizvollem Roteinschlag und strahlte einen gewissen exotischen Reiz aus, wozu die hochangesetzten Backenknochen und die etwas schräg geschnittenen Augen beitrugen. Lady Agatha träumte davon, Kathy mit Mike Rander, der als ihr Anwalt und Vermögens Verwalter tätig war, für immer zusammenzubringen und tat alles um dieses Ziel zu erreichen.

»Diese Burschen hatten absolut keinen Mumm in den Knochen«, entrüstete sich die Lady. »Sogar Mister Parker gelang es, zwei oder drei von ihnen niederzuschlagen.«

»Donnerwetter, Sie machen sich, Parker«, spöttelte Mike Rander, der natürlich sehr wohl wußte, daß es Parker war, der bei der Lösung der Probleme der eigentliche ›Macher‹ war.

»Man bedankt sich für das freundliche Kompliment, Sir«, gab Parker, der vor einigen Jahren Mike Rander in den USA gedient und dort gemeinsam mit ihm diverse Kriminalfälle gelöst hatte, höflich zurück.

»Mylady konnten zwecks Einvernahme Gefangene machen?« erkundigte sich Kathy Porter, indem sie bewußt den militärischen Jargon gebrauchte.

»Leider nicht, mein Kind. Und daran ist Mister Parker schuld.« Lady Agatha sah ihren Butler vorwurfsvoll an und ließ sich zur Stärkung ihres Kreislaufs das Cognacglas neu füllen.

»Was hat er denn wieder angestellt?« konnte sich Mike Rander nicht verkneifen zu fragen.

»Mister Parker hat sich wieder mal einen taktischen Fehler geleistet und versäumt, uns gegen die übrigen Konvoifahrzeuge abzuschirmen. Dadurch gelang es den Subjekten, meine Gefangenen zu befreien und mit diesen zu entkommen. Ich bin darüber verärgert. Besonders den Colonel hätte ich gern intensiv verhört. Ich bin sicher, daß ich dabei einige interessante Dinge erfahren hätte.«

»Könnte man Details hören?« bat Kathy und s h Josuah Parker lächelnd an.

»Gern, Miß Porter. Wie Mylady bereits ausführte, hatte Mylady die sechsköpfige Besatzung des bewußten LKWs bereits überwältigt. Leider wurde dieses Fahrzeug von den bereits vorausgefahrenen Konvoimitgliedern vermißt, und man schickte einen leichten Schützenpanzer zurück, um nach dem Rechten zu sehen. Man erdreistete sich dabei, Mylady mittels einer solide wirkenden Panzerkanone zu bedrohen und die gefangenen Militärs zu befreien.«

»Man muß sich das mal vorstellen, man hetzte gleich einen Panzer auf mich«, schnaubte Lady Agatha. »Das zeigt wieder mal sehr deutlich, welchen Respekt man mir entgegenbringt. Man wäre natürlich nie auf die Idee gekommen, Mister Parker auf diese Weise zu bedrohen.«

»Man kennt Mylady und fürchtet, mit Verlaub, ihre Reaktion«, wußte Josuah Parker, ohne eine Miene zu verziehen.

»Wie verhinderte man, daß Sie die Verfolgung aufnahmen?« erkundigte sich Mike Rander.

»Leider zerschnitt man sämtliche Reifen meines bescheidenen Fahrzeugs und beraubte es außerdem einiger notwendiger Teile, deren Ersatz eine gewisse Zeit in Anspruch nahm. In der Zwischenzeit hatte der Konvoi reichlich Gelegenheit, unterzutauchen.«

»Ist ja wirklich seltsam«, fand Kathy Porter, »aber warum das alles? Worum geht es denn hier überhaupt, Mylady?«

»Das ist doch wohl sonnenklar, Kindchen. Wir haben es hier mit einem hochbrisanten Fall zu tun, was ich natürlich sofort erkannte, als mich die Lastwagen auf diese unanständige Art überholten und schnitten. Natürlich mußte ich Mister Parker erstmal lang und breit erklären, worum es ging. Sie wissen ja, er hat einfach nicht die Nase für solche Dinge.«

»Sehr interessant, Mylady. Und um was geht es nun, bitte schön?« hakte Mike Rander grinsend nach. Er wußte natürlich, daß die Lady den Ball gleich Parker zuspielen würde, was sie auch prompt tat.

»Mister Parker, zeigen Sie den Kindern, daß Sie aufgepaßt haben und erklären Sie ihnen meine Theorie!« forderte sie ihn auf und beschäftigte sich intensiv mit ihrem Glas.

»Mylady erkannten sofort, daß mit diesem Konvoi etwas nicht stimmte«, begann Parker gemessen. »Mylady haben eben einfach ein untrügliches Gespür für solche Dinge.«

»Reden Sie nicht lange herum, Mister Parker, die Fakten bitte!« forderte die Hausherrin, die genauso gespannt war wie Kathy Porter und Mike Rander.

»Falls Mylady lieber selbst berichten wollen?« fragte Parker höflich. »Immerhin ist es Mylady zu verdanken, daß ...«

»Papperlapapp, Mister Parker, zieren Sie sich nicht länger und erzählen Sie! Sie brauchen keine Angst zu haben. Falls Sie an irgendeiner Stelle nicht weiterkommen, helfe ich Ihnen natürlich.«

»Wofür meine Wenigkeit sich schon im voraus herzlich bedankt, Mylady.«

Parker verneigte sich leicht in Richtung seiner Herrin und setzte seinen Bericht fort.

»Mylady fiel sofort auf, daß sich der Raketentransport keineswegs zu einem der durchaus bekannten Standorte bewegte, sondern im Gegenteil davon weg. Der nächste derartige Stützpunkt liegt etwa hundert Meilen weiter südwärts, Richtung Küste, genau entgegengesetzt also. Der Konvoi kam statt dessen aus dieser Richtung und bewegte sich mit hoher und in Anbetracht der Ladung gefährlicher Geschwindigkeit davon weg, was Myladys Aufmerksamkeit sofort erregte.«

Die passionierte Detektivin nickte geschmeichelt und bewunderte sich wieder mal selbst. Sie glaubte Parker und war felsenfest davon überzeugt, daß es so und nicht anders stattgefunden hatte.

Kathy Porter und Mike Rander, die die ältere Dame verstohlen aus den Augenwinkeln beobachteten, konnten sich einen kleinen Heiterkeitsausbruch nicht verkneifen und wandten sich beinahe gleichzeitig ab.

Josuah Parker setzte seinen Bericht fort. »Als das letzte Fahrzeug des Konvois wegen einer Panne halten mußte, beschloß Mylady sofort, der Sache auf den Grund zu gehen und den verantwortlichen Offizier einem scharfen Verhör zu unterziehen. Dieser reagierte auf die harmlose Frage, ob man nicht möglicherweise die Orientierung verloren hätte, sehr ungehalten und bestätigte so Myladys Verdacht, es mit einem heuen Fall zu tun zu haben.«

»Woraufhin sich die kleine Privatschlacht mit dem bekannten Ausgang anbahnte«, fügte Mike Rander hinzu.

»In der Tat, Sir. Mylady meint außerdem, daß ein solcher Transport niemals auf einer derart schmalen und gefährlichen Straße stattgefunden hätte, sondern auf einem der ausgebauten Motorways. Außerdem hätte man sicher nicht darauf verzichtet, den Konvoi durch Militärpolizei oder Angehörige der normalen Polizei flankieren zu lassen, um einerseits den Transport, dann aber auch harmlose Verkehrsteilnehmer zu schützen.«

»Genauso ist es, Mister Parker, Sie haben das recht hübsch vorgetragen. Jetzt brauchen sie nur noch mal die Schlußfolgerung zu wiederholen, die ich Ihnen gegenüber bereits zog.«

»Wie Mylady zu wünschen belieben, Mylady zogen daraus den naheliegenden Schluß, daß es sich hierbei um einen irregulären Transport handelte, der sich mit der illegalen Verlagerung von Armee-Eigentum befaßte.«

»Mit anderen Worten, Sie... ich meine natürlich, Mylady glaubt, daß hier schlicht ein paar Raketen aus einem Armeedepot geklaut wurden«, machte Mike Rander deutlich.

»Selbstverständlich, so und nicht anders ist es!«

Agatha Simpson war mit ihren durch Parker gezogenen Rückschlüssen mehr als zufrieden und sah sich in ihrer Rolle als größte lebende Kriminalistin bestätigt.

»Nicht zu glauben! Meinen sie wirklich, daß so etwas überhaupt möglich ist?« zweifelte Kathy Porter.

»Es war diesmal möglich, aber jetzt, wo ich mich einschalte, nicht mehr, Kindchen. Bevor die Gangster erneut zuschlagen können, habe ich sie schon gefaßt und den Behörden ausgeliefert. Mister Parker, veranlassen Sie alles Nötige, die unwichtigen Details überlasse ich dann gern Ihnen!«

*

»Ich komme nicht ganz zufällig vorbei«, erklärte Chief-Superintendent McWarden am nächsten Morgen, als ihn Parker in die große Wohnhalle führte, wo Lady Agatha beim Frühstück saß.

McWarden war ein untersetzter und kompakt gebauter Mann, Mitte Fünfzig, der mit seinen Basedow-Augen und dem meistens grimmig wirkenden Gesichtsausdruck an eine leicht gereizte Bulldogge erinnerte. Er leitete im Yard ein Sonderdezernat zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens und war dem Innenministerium direkt unterstellt.

Er galt als Freund des Hauses, auch wenn es bei seinen Besuchen stets zu Wortgefechten zwischen ihm und der Hausherrin kam. Aber er nahm gern Lady Agathas Sticheleien in Kauf, da er deren unkonventionelle Art, vor allem aber Parkers Fähigkeiten im Umgang mit Kriminellen, ungemein schätzte.

»Fällt es Ihnen nicht auch auf, Mister Parker, daß sich Mister McWarden stets zu einer bestimmten Zeit hier einfindet? Man könnte fast meinen, er wollte sich das Frühstück erschnorren, weil er sich als Beamter keins leisten kann!« bemerkte die Hausherrin spitz, während sie unwillkürlich schneller kaute.

»Und diesmal bringe ich sogar noch jemand mit«, freute sich der Yard-Gewaltige und deutete auf einen hageren, grauhaarigen Mann mit verkniffen wirkenden Gesichtszügen, der sich bei dieser Ankündigung linkisch verbeugte und Lady Agatha zunickte.

»Sie schrecken wirklich vor nichts zurück, um einer alten Frau den Appetit zu verderben«, beklagte sich die Hausherrin und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.

»Mylady liebt Diät, deshalb dieses spartanische Frühstück«, erläuterte McWarden seinem Begleiter spöttisch, während er den üppig gedeckten Tisch musterte.

»Ach, tatsächlich?« staunte der Grauhaarige sichtlich verwirrt. Er wußte nicht recht, ob McWarden seine Bemerkung ernst meinte oder ihn auf den Arm nehmen wollte.

Myladys Frühstückstisch sah aus, als wäre er für eine Großfamilie gedeckt. Es gab diverse Brotsorten, Platten mit Käse und Wurst, eine Silberschüssel mit gebackenen Nierchen, eine Wärmeplatte mit Bratwürsten, einen Holzteller mit schottischem Räucherlachs sowie einige Behältnisse mit Butter, Marmelade und Honig.

Mylady beobachtete stirnrunzelnd, wie Parker bereits zwei weitere Gedecke auflegte und die Neuankömmlinge mit Kaffee versorgte. »Ich bin sicher, die beiden Herren haben bereits gefrühstückt, Mister Parker«, bemerkte sie, während sie nervös einige Platten näher zu sich heranzog.

»Leider nicht, Mylady, deshalb nehmen wir Ihre Einladung dankend an«, freute sich McWarden und griff ungeniert zu.

»Allmählich komme ich mir vor wie ein Wohlfahrtsinstitut«, mäkelte die Lady weiter, »Wenn ich mich nicht selbst einschränken würde, wäre ich längst ruiniert.«

»Mylady steht kurz vor der Verarmung«, bemerkte der Chief-Superintendent zu seinem Begleiter, dem das alles sichtlich unangenehm war.

»Nun übertreiben Sie nicht gleich wieder, ein Brötchen dürfen Sie sich ruhig nehmen«, gestattete Lady Agatha, während sie die Platte mit dem Räucherlachs nahm und davon aß.

»Sie wollen diesen köstlichen Fisch doch nicht etwa allein verspeisen?« erkundigte sich McWarden ungeniert.

»Sie wissen ihn doch nicht recht zu würdigen, mein Lieber«, gab sie genüßlich zurück. »Deshalb nehme ich ihn lieber zu mir. Ihr Magen ist doch wohl mehr die einfache Kost gewöhnt.«

»Was soll denn das, Mister Parker?« fragte sie empört, als Parker mit einer neuen Platte Lachs erschien und diese McWarden hinhielt.

»Mister Parker weiß eben, was mir guttut«, bemerkte McWarden und versorgte sich großzügig.

»Sie können abräumen, Mister Parker, mir ist der Appetit vergangen«, erwiderte die Detektivin verärgert, während sie noch rasch einige Würstchen auf ihren Teller häufte.

»Darf man Mylady dahingehend interpretieren, daß Mylady auch die frische Diät-Torte nicht mehr zu probieren gedenken,« erkundigte sich Parker mit glatter, ausdrucksloser Miene höflich.

»Eine Diät-Torte? Was hat es damit auf sich?« fragte sie sofort, während ihre Zunge über die Lippen fuhr.

»Man war so frei, eine Torte bei einem bekannten Konditor zu besorgen, der sich auf die Herstellung kontinentaler Backwerke spezialisiert hat, Mylady, Es handelt sich dabei um eine sogenannte Schwarzwälder Kirschtorte, die aus kalorienarmen Zutaten produziert wurde. Wenn Mylady allerdings darauf verzichten wollen, dann...«

»Papperlapapp, Mister Parker. Wenn Sie sich schon soviel Mühe gegeben haben, will ich Sie nicht enttäuschen. Ich werde daher ein kleines Stück probieren«, unterbrach sie ihn. »Ich nehme allerdings nicht an, daß unsere Gäste Torte mögen ...«

»Wir nehmen auch etwas davon, auch wir wollen Sie nicht enttäuschen«, meldete sich McWarden lächelnd zu Wort. »Sie dürfen uns jeweils ein großes Stück servieren, wir müssen nicht auf die Figur achten.«

»Das sollten sie aber, nehmen sie sich an mir ein Beispiel.« Lady Agatha sah ihn strafend an und wollte noch etwas hinzufügen, wurde dann aber von ihrem Butler abgelenkt, der gerade mit der Torte hereinkam und diese auf den Tisch stellte.

»Nun ja, das sieht ja recht verlockend aus, Mister Parker«, lobte sie, während sie gespannt beobachtete, wie er routiniert und formvollendet das Backwerk anschnitt.

*

»Selbstbeherrschung ist alles, Mister Parker, auch wenn ich kaum etwas zu mir genommen habe – Sie können jetzt abtragen«, erklärte sie später und lehnte sich zufrieden zurück.

»Mylady waren mit der Torte zufrieden?« erkundigte sich der Butler höflich, während er die bescheidenen Reste abservierte.

»Im Prinzip nicht schlecht«, räumte sie ein, »allerdings etwas trocken, fand ich.«

Parker hatte den Wink verstanden und servierte bereits den Cognac.

»Die Herren sind sicher im Dienst und dürfen deshalb nichts trinken«, hoffte Mylady, während sie nach ihrem Glas griff.

»Ich trinke grundsätzlich im Dienst«, erklärte der Chief-Superintendent und nickte Parker dankend zu, als er ihm einen Cognacschwenker anbot.

»Früher hätte es so etwas nicht gegeben«, reagierte Lady Agatha spitz. »Da hielten unsere Beamten noch etwas auf sich und ihre Prinzipien.«

McWarden seufzte. »Diese Zeiten sind leider vorbei, Mylady. Prost!« Er hob seinen Schwenker und toastete ihr lächelnd zu.

»Sind Sie eigentlich nur gekommen, um sich bei mir den Bauch vollzuschlagen und meinen teuren Cognac zu trinken?«

Die Lady sah McWarden aufgebracht an.

»Nicht nur, Mylady. Ehrlich gesagt geht es darum, daß man Ihre Hilfe braucht.«

»Sie kommen also wieder mal ohne mich nicht aus«, freute sich Agatha Simpson. »Es hätte mich auch sehr gewundert, wenn es anders wäre. Wann haben Sie eigentlich das letzte Mal einen Fall allein gelöst?«

»Eigentlich noch nie, das haben immer andere für mich getan«, gab der Chief-Superintendent lächelnd zurück. »Außerdem bin nicht ich es, der Ihre Hilfe sucht, ich soll Sie lediglich vermitteln.«

»Ach, und für wen, mein Lieber? Für wen soll ich diesmal die Kastanien aus dem Feuer holen?« erkundigte sie sich und lächelte süffisant.

»Ehrlich gesagt, Mylady, meine Dienststelle würde gern Ihre Hilfe in Anspruch nehmen«, meldete sich McWardens grauhaariger Begleiter zu Wort.

»Sie vertreten welche Organisation, Sir,« fragte Parker höflich.

»Einen Geheimdienst, der ein kleines Problem hat, bei dessen Lösung wir um Ihre Hilfe bitten«, murmelte der hagere Mann und sah Parker direkt in die Augen.

»Was sehen Sie Mister Parker an, wenn Sie meine Hilfe brauchen?« mokierte sich Lady Agatha umgehend. »Überhaupt, was hat McWarden mit Ihnen zu tun?«

»Man weiß, daß ich öfters hier im Haus zu Gast bin, Mylady, und bat mich, die Verbindung herzustellen, sozusagen ganz inoffiziell auf freundschaftlicher Basis. Man ist an höchster Stelle der Ansicht, daß nur Sie das anstehende Problem in den Griff bekommen können«, schmeichelte ihr McWarden, während er Parker ungeniert zublinzelte.

»Nun ja, bei mir sind Sie tatsächlich an der richtigen Adresse, wenn Sie ein größeres Problem haben«, räumte die Detektivin großzügig ein und lächelte versonnen. »Ich habe in der Vergangenheit bereits zahlreiche Fälle für die Behörden gelöst, die sich immer wieder als inkompetent und unfähig erweisen.«

Der grauhaarige Mann räusperte sich laut und sah die Lady pikiert an. »Ich muß doch sehr bitten, Mylady. Ihre Einstellung gegenüber staatlichen Stellen...«

»Ist absolut richtig«, unterbrach ihn die Hausherrin genüßlich. »Aber Sie brauchen keine Angst zu haben, ich helfe Ihnen, Ihr Fall ist bereits so gut wie gelöst, nicht wahr, Mister Parker?« erklärte sie ohne falsche Bescheidenheit.

»Myladys Erfolge sind bereits Legende«, bestätigte Parker, ohne die Miene zu verziehen, und verneigte sich andeutungsweise.

»Da hören Sie’s«, freute sich Agatha Simpson. »Also heraus mit der Sprache! Wo drückt der Schuh?«

»Was Sie jetzt zu hören bekommen, Mylady, unterliegt strenger Geheimhaltung. Ich muß Sie also bitten ...« begann der Grauhaarige, doch die Detektivin unterbrach ihn sofort.

»Reden Sie keinen Unsinn, rücken Sie endlich mit der Sprache raus!« raunzte sie ungnädig. »Vor mir hat die Regierung keine Geheimnisse, fragen Sie Mister McWarden, der kann es Ihnen bestätigen.«

»Mylady genießt das uneingeschränkte Vertrauen des Kabinetts«, nickte McWarden mit todernster Miene. »Sie können also unbesorgt sein und sich ihr an vertrauen.«

»Okay.« Der Grauhaarige beugte sich vor und räusperte sich, dann begann er seine Schilderung ...

»Die Regierung vermißt hochmoderne Waffen aus ihren Arsenalen«, faßte Parker hinterher zusammen, »darunter auch Raketen, die sogar zur Aufnahme von Atomsprengköpfen geeignet sind.«

»Leider, Mister Parker. Und diese Raketen sind erst gestern aus einem Arsenal an der Küste gestohlen worden. Wir stehen vor einem absoluten Rätsel.«

»Ich nicht, mein Lieber, ich weiß nämlich, wo die Raketen hingekommen sind«, ließ sich Lady Agatha triumphierend vernehmen.

»Sie wissen ...« Der Grauhaarige starrte die ältere Dame verblüfft an.

»Allerdings! Mister Parker, erklären Sie, was ich weiß«, forderte sie ihren Butler auf.

»Sie sind den Raketendieben begegnet?« fragte McWarden ungläubig, nachdem Parker seine Erklärung beendet hatte.

»Stimmt genau, mein Lieber, und wenn Mister Parker etwas besser aufgepaßt hätte, wären mir die Banditen nicht entkommen.«

»Meine bescheidene Wenigkeit ist untröstlich, es an der nötigen Aufmerksamkeit haben fehlen zu lassen«, bedauerte Parker höflich.

*

»Diesen Fall werde ich umgehend lösen, Mister Parker. Ich werde auch dem Geheimdienst mal zeigen, was eine Harke ist«, erklärte Agatha Simpson selbstbewußt. Sie saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum, wie sein Privatwagen von Freund und Feind respektvoll genannt wurde, und war auf dem Weg zu einem Treffen, das der Butler arrangiert hatte.

»Die Waffenschieber haben nicht den Hauch einer Chance gegen Myladys Tatkraft«, bestätigte Parker umgehend, während er das ehemalige Londoner Taxi durch den vormittäglichen Verkehr der City lenkte.

»Wer war doch dieser komische Graukopf in McWardens Begleitung, dem ich helfen soll, Mister Parker? Ich hoffe, Ihr Gedächtnis ist nur halb so gut wie meines, dann können Sie schon stolz darauf sein«, bemerkte Mylady die sich keine Namen merken konnte.

»Ein Sir Winston Hammerfield, Mylady, der für einen Geheimdienst des Verteidigungsministeriums arbeitet und den Waffenschiebern das Handwerk legen soll«, gab Parker würdevoll zurück, der natürlich die Schwächen seiner Herrin nur zu genau kannte und sich grundsätzlich über nichts mehr wunderte, was mit Lady Agatha zusammenhing.

»Richtig, Mister Parker, und diesem Sir Jammerfield werde ich den Fall auf einem Silbertablett servieren. Eigentlich eine Schande, jetzt muß ich schon zwei hohen Beamten unter die Arme greifen, nur weil sie unfähig sind, ihre Fälle selbst zu lösen«, freute sie sich.

»Die Regierung ist Mylady zu großem Dank verpflichtet«, wußte Parker. »Eigentlich müßten Mylady wegen ihrer diesbezüglichen Verdienste dekoriert werden.«

»Sie meinen, man sollte mir einen Orden verleihen, Mister Parker?« fragte sie nachdenklich. »Sie wissen, wie bescheiden ich bin, ich lege keinen Wert auf Äußerlichkeiten. Andererseits, wenn ich’s mir recht überlege ... so ein Orden würde sich vielleicht recht nett an meinem Pompadour ausmachen«, meinte sie. »Nun gut, ich werde die Queen beim nächsten Empfang darauf aufmerksam machen«, schloß sie selbstbewußt.

»Man wird sich Myladys Wunsch nicht verschließen können«, prophezeite Parker. »Darf man Mylady übrigens darauf aufmerksam machen, daß Mylady verfolgt werden?«

»Das wurde aber auch Zeit, Mister Parker, meine Gegner wissen schließlich, wie gefährlich ich bin ... Im übrigen habe ich das längst selbst bemerkt, einer Lady Simpson entgeht nichts. Sie meinen den gelben Renault hinter uns, nicht wahr?«

Sie drehte sich um und starrte ungeniert aus dem Rückfenster auf den nachfolgenden Verkehr.

»In etwa, Mylady«, stimmte ihr Parker zu. »Es handelt sich um einen roten Ford, in dem Myladys Verfolger sitzen.«

»Sag’ ich doch, Mister Parker, seien Sie nicht immer so kleinlich«, grollte sie. »Ich hoffe, Sie wissen bereits, wie ich die Lümmel stoppen kann. Ich möchte sie einem scharfen Verhör unterziehen, eine Lady Simpson verfolgt man nicht ungestraft.«

»Mylady können sich ganz auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen. Darf man vorschlagen, ins nahegelegene Hafengebiet abzubiegen, um dort die geplante Befragung durchzuführen?« schlug Parker höflich vor.

»Sie wissen, Mister Parker, in kleinen Dingen lasse ich Ihnen voll und ganz freie Hand. Schließlich brauchen auch Sie ab und zu ein Erfolgserlebnis«, gab sie großzügig zurück. »Suchen Sie aber eine möglichst verlassene Stelle aus, damit man die Schreie nicht so hört«, fügte sie hinzu, obwohl sie im Grund ihres Herzens eine mitfühlende Frau war.

Parker hatte inzwischen eine schmale Straße erreicht, die in einen aufgegebenen Teil des Hafengebietes führte. Der rote Ford schob sich hinter ihnen gleichfalls in die Straße und holte deutlich auf. Anscheinend hielten auch die Verfolger diese Gegend für ideal, um eine kleine Aussprache zu führen.

Der Ford schob sich an Parkers Privatwagen vorbei und schwenkte dicht davor wieder ein. Dadurch war Parker gezwungen, eine Vollbremsung durchzuführen, um nicht den nun vor ihm liegenden Verfolgerwagen zu rammen.

»Eine Unverschämtheit«, mokierte sich Lady Agatha umgehend, »Diese Lümmel wollen mich provozieren, Mister Parker! Ich werde gleich austeigen und ihnen eine Lektion erteilen, die sie so schnell nicht vergessen!«

*

Die jungen Männer fielen förmlich aus ihrem Wagen und umstellten blitzschnell Parkers hochbeiniges Monstrum. Ihre Kleidung bestand aus khakifarbenen Anzügen und polierten Stiefeln.

In den Fäusten hielten sie Maschinenpistolen, die Parkers sachkundiger Blick sofort als israelische Uzis identifizierte. Diese Waffen wurden auf die Seitenscheiben des ehemaligen Taxis gerichtet und durchgeladen.

»Sehr hübsch, Mister Parker, die Herren machen mir einen handfesten Eindruck«, freute sich Lady Agatha, die die jungen Männer ungeniert musterte. »Ich denke, ich werde mich sehr gut unterhalten.«

Der Anführer stand neben Parkers Scheibe und deutete ihm an, diese herunterzukurbeln, was der Butler natürlich nicht tat. Statt dessen legte er einen der zahlreichen Knöpfe am Armaturenbrett um und schaltete damit die bordeigene Übertragungsanlage ein.

Ein versteckt am Wagen angebrachter Lautsprecher konnte nun Gesprochenes aus dem Innern nach außen übertragen, während ein ebenfalls versteckt angebrachtes Mikrophon die Außengeräusche nach innen transferierte.

»Die Herren haben bestimmte Wünsche?« erkundigte sich Parker höflich, während er die schwarze Melone lüftete. Als britischer Butler wußte er schließlich, was sich gehörte.

Die Herren in Khakikleidung starrten sich verblüfft an, als Parkers Stimme unsichtbar an ihre Ohren drang. Dann hob der Anführer seine Waffe und klopfte mit der Mündung energisch gegen die Seitenscheibe. »Machen Sie auf, aber ’n bißchen plötzlich, sonst helfen wir nach«, forderte er wütend.

»Welcher Art würde diese Nachhilfe sein?« erkundigte sich Parker, ohne eine Miene zu verziehen.

»Wenn Sie nicht sofort das Fenster öffnen, schießen wir«, drohte der Untersetzte. »Und ich versichere Ihnen, wir sind nicht zu Scherzen aufgelegt.«

»Darf man Sie darauf hinweisen, daß die Scheiben aus schußsicherem Glas bestehen? Es steht ihnen natürlich frei, diese Behauptung zu überprüfen. Verbandszeug zum Versorgen der durch Querschläger entstehenden Wunden ist in ausreichender Menge verfügbar, wie man Ihnen versichern darf«, gab Parker höflich zurück.

Der Anführer stutzte einen Augenblick, dann schüttelte er den Kopf und hob die Maschinenpistole. Er hatte offensichtlich die Absicht, Parkers Behauptung praktisch zu überprüfen. Bevor er abdrücken konnte, schob jedoch der neben ihm stehende Mann die Mündung der Waffe beiseite. Die sich lösende Salve prasselte in ein Gebüsch am Straßenrand.

»Man kann Sie zu diesem weisen Eingreifen nur beglückwünschen, Sir«, ließ sich Parker gemessen vernehmen. »Sie haben damit sich und Ihrem Kollegen gewisse Blessuren erspart.«

»Nun ist aber Schluß, Mister Parker. Sorgen Sie endlich dafür, daß ich mit diesen Lümmeln sprechen kann«, forderte Lady Agatha ungeduldig aus dem Fond. »Stellen Sie mir diese Subjekte für mein Verhör zur Verfügung.«

»Wie Mylady zu wünschen belieben.« Parker bediente einen weiteren Schalter auf dem üppig ausgestatteten Armaturenbrett und sah nach draußen. Plötzlich wallten rings um den Wagen dunkle Wolken hoch und hüllten die Männer total ein.

Einen Augenblick später begannen die Ford-Insassen zu husten und um die Wette zu bellen, bis schließlich Ruhe einkehrte und absolut nichts mehr zu hören war.

Der Butler wartete, bis sich der Nebel einigermaßen verzogen hatte, dann schob er die Tür auf und stieg aus. Die vier in Khaki gekleideten Herren lagen zu beiden Seiten des ehemaligen Londoner Taxis und rührten sich nicht. Ihre Waffen neben den ausgestreckten Armen warteten nur darauf, von Parker eingesammelt zu werden.

»Sehr schön, Mister Parker, ich bin einigermaßen zufrieden mit Ihnen«, erklärte die Lady und sah lächelnd auf die bewußtlosen Männer hinab. »Natürlich hätte das alles noch ein wenig perfekter ablaufen können, aber ich will nicht kleinlich sein. Hoffentlich wachen die Lümmel bald wieder auf.«

»Eventuell könnten Mylady ein wenig nachhelfen«, schlug Parker vor.

»Wie habe ich das zu verstehen, Mister Parker? Ich hoffe, Sie verfügen über einen brauchbaren Vorschlag«, gab sie zurück und blickte ihren Butler an.

Parker begab sich zum Kofferraum seines Jagens und öffnete ihn. Er holte einen Plastikeimer hervor, dessen als Griff dienender Drahtbügel mit einem soliden Seil versehen war. Damit begab sich Parker zum nahegelegenen Hafenbecken und warf den Eimer hinein, um ihn gleich darauf gefüllt wieder an Land zu ziehen. Einen Augenblick später überreichte er seiner Herrin den mit Brackwasser gefüllten Eimer und verbeugte sich andeutungsweise. »Wären Mylady mit dieser Erfrischung für die Herren gedient?« erkundigte er sich würdevoll.

»Pfui Teufel, das stinkt ja scheußlich, Mister Parker!« erwiderte sie und schwenkte unternehmungslustig den Eimer. Im nächsten Moment ergoß sich die Brühe über den Anführer und weckte ihn abrupt aus seinen Träumen.

Prustend und schnaubend erhob er sich und sah sich verwirrt um. Dann war er wieder im Bild und wollte sofort angreifen, hatte aber nicht mit Myladys Geistesgegenwart und Schlagfertigkeit gerechnet.

Bevor er richtig auf den Beinen stand, flog ihm der Eimer um die Ohren, und Agatha Simpson sah zufrieden zu, wie er stöhnend zu Boden ging und sich an den malträtierten Kopf griff.

»Das wird sie lehren, eine harmlose, alte Frau anzugreifen«, bemerkte sie dazu und rieb sich die Hände.

»Ich erwarte Ihre Vorschläge, was die übrigen Subjekte betrifft, Mister Parker«, erklärte sie danach und sah ihn herausfordernd an. »Hüten Sie sich aber vor allzugroßer Zimperlichkeit, Sie wissen ja, das kann ich nicht ausstehen.«

»Vielleicht wollen Mylady den Herren einen Freiflug verschaffen und zu einem einmaligen Überblick über das Hafengelände verhelfen«, konnte Parker mit einem akzeptablen Vorschlag dienen.

»Klingt nicht schlecht, Mister Parker. Und wie stelle ich mir das vor?« ging die ältere Dame sofort darauf ein.

»Mylady denken sicher daran, sich eines intakten Ladekrans zu bedienen, um die Herren ein wenig zu unterhalten«, schlug Parker vor. »Mylady könnten die Herren daran hochziehen und sie eine einmalige Aussicht genießen lassen.«

*

Parker hatte auf dem ehemaligen Lagerplatz einer Verladefirma solide Ketten entdeckt und sich nach sorgfältiger Prüfung für zwei von ihnen entschieden. Er hatte die Ketten durch die heruntergekurbelten Seitenscheiben des Ford geführt und über dem Wagendach in einen mächtigen Haken gehängt, der seinerseits wieder an einem dicken Drahtseil hing, das zu einem der gewaltigen Ladekräne gehörte. Danach hatte er die vier Herren in ihr Fahrzeug gesetzt und mit den Sicherheitsgurten festgeschnallt.

»Mylady sind mit den Vorbereitungen zufrieden?« erkundigte er sich höflich bei seiner Herrin, die ihn aufmerksam und wohlwollend beobachtet hatte.

»Nicht schlecht, Mister Parker.« Sie räusperte sich und blickte an der Gitterkonstruktion des Kranes hoch, wo sich in luftiger Höhe der Steuerstand befand. »Selbstverständlich werde ich diesen Kran persönlich bedienen, Mister Parker«, bemerkte sie. »Lassen Sie sich also etwas einfallen, wie ich dahinauf komme.«

»Vielleicht sollten Mylady diese an sich doch recht langweilige Aufgabe meiner bescheidenen Wenigkeit überlassen, während Mylady per Funksprechgerät einige Fragen an die Herren richten«, schlug Parker vor. Seine Mundwinkel verzogen sich kaum, als er daran dachte, welches Bild Mylady abgab, wenn sie die schmale Eisenleiter an der Innenseite des Krans hinaufhangelte.

»Kommt nicht in Frage, Mister Parker, Sie behandeln die Gangster wieder viel zu sanft. Nein, nein, ich muß das schon selbst machen. Also, ich erwarte Ihre Vorschläge«, sagte sie ungeduldig.

Parker kannte seine Herrin gut genug, um sie noch mal umstimmen zu wollen. Ihm war klar, daß sie es unmöglich schaffte, die Leiter bis zum Führerstand zu bewältigen.

Dann hatte er die Lösung. Er lüftete höflich die Melone und deutete auf einen kleinen Aluminiumcontainer in einer Ecke des ehemaligen Ladeplatzes.

»Könnten Mylady sich eventuell entschließen, selbst eine kleine Luftreise anzutreten?« fragte er gemessen.

»Ich muß doch sehr bitten, Mister Parker.« Lady Agatha musterte ihn mit flammendem Blick. »Soll ich etwa in dieses Blechding steigen? Sie suchen doch nur nach einer Möglichkeit, mich loszuwerden«, grollte sie.

»Mitnichten, Mylady. Wenn Mylady sich jedoch zum Benutzen des Containers entschließen könnten, würde meine bescheidene Wenigkeit Mylady zum Führerstand des fraglichen Krans hochliften, damit Mylady selbst die Luftreise der Herren Ganoven steuern kann. Selbstverständlich könnte auch ich...«

»Papperlapapp, Mister Parker, selbstverständlich wird es so gemacht, wie ich es gerade vorschlug. Seien Sie nicht immer so umständlich. Sie ziehen mich mit diesem Container hoch, und ich steige dann in den Führerstand um.«

»Wie Mylady zu wünschen belieben.« Parker wunderte sich nicht im geringsten darüber, daß sie auf einmal so tat, als wäre das alles ihre Idee gewesen. Er kannte die Sprunghaftigkeit Agatha Simpsons.

Er wartete, bis sie nahezu majestätisch im Container Platz genommen hatte. Dann befestigte er das Ladegeschirr eines anderen Kranes daran und stieg gemessen und würdevoll zum Führerstand hoch. Einen Augenblick später ruckte der Container an, und Mylady schwebte langsam nach oben.

Vorsichtig ließ Parker seine kostbare Fracht zum Führerhaus hinüberschwenken.

Der Container pendelte aus und kam direkt neben dem Einstieg zum Stehen.

Unbekümmert richtete sich Mylady auf und brachte damit erst mal ihr Transportmittel nachhaltig ins Wanken. Sie hielt sich geistesgegenwärtig am Rand fest und schaute mißbilligend zu Parker hinüber, der entschuldigend die Melone lüftete und den Container durch eine vorsichtige Steuerbewegung erneut ausrichtete.

Lady Agatha ergriff entschlossen die Haltegriffe an der Außenseite des Führerhauses und zog sich energisch hoch. Einen Moment sah es so aus, als würde sie in dem an sich recht schmalen Einstieg hängenbleiben, dann aber drückte sie ihre walkürenhafte Gestalt hindurch und fiel mehr oder weniger hinein.

Sie ließ sich auf den Sitz hinter dem Steuerpult fallen und musterte interessiert die diversen Anzeigen, Schalter und Instrumente. Schließlich ließ sie ihre nicht gerade zierlichen Hände auf die Armaturen fallen und wartete gespannt, was daraufhin geschah ...

*

Der Ford wurde urplötzlich hochgerissen und schlidderte mit den Rädern über den Beton des Kais. Dann stürzte er über die Kaimauer und schwebte schaukelnd über dem Wasser.

Die Gangster, die beim Anrucken ihres Wagens aufgewacht waren und aus weitaufgerissenen Augen nach draußen starrten, stimmten ein Protestgeschrei an und fühlten sich sichtlich unwohl.

Mylady nahm ihre Handflächen vom Armaturenbrett und entschloß sich zur Betätigung einzelner Instrumente. Zunächst drückte sie probeweise einen roten Knopf, um dessen Funktion zu testen.

Das Drahtseil rauschte daraufhin mit beachtlicher Geschwindigkeit aus und ließ die am Haken hängende Last blitzartig nach unten sausen. Der rote Ford klatschte ins Wasser und verschwand bis zum Dach darin.

Die Insassen brüllten entsetzt, stellten ihren Protest jedoch umgehend ein, als sie die Brühe des Hafenbeckens zu schmecken bekamen.

Lady Agatha war mit der Wirkung des Knopfdrucks durchaus zufrieden und probierte deshalb gleich einen zweiten, der grün gekennzeichnet war. Sie preßte ihren Zeigefinger nachdrücklich darauf und sah interessiert zu, wie der Wagen aus dem Wasser tauchte und als Expreßfahrstuhl in die Höhe stieg.

Der exzellente Butler Parker 6 – Kriminalroman

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