Читать книгу Butler Parker 141 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3

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Butler Parker fühlte sich heiter und entspannt.

Er lustwandelte durch einen gepflegten Park, wie man ihn eigentlich nur in England antrifft. Obwohl die Baumgruppen, sattgrünen Wiesen und kleine Teiche scheinbar regellos angelegt worden waren, spürte man doch die ordnende Hand des Landschaftsgärtners, der einen sicheren Blick für Wirkung hatte. Entlang der schmalen Wege, die sich durchs Grün schlängelten, standen überall Rhododendron-Sträucher und boten ihre farbige Pracht an. Auf kleinen Teichen tummelten sich Wildenten, die keineswegs an Flucht dachten, als der Butler auftauchte.

Es war keine Frage, Josuah Parker paßte hierher in die gepflegte Umgebung. Er war etwas über mittelgroß, fast schlank und trug über seinem schwarzen Zweireiher einen ebenfalls schwarzen Covercoat. Auf seinem Kopf saß die schwarze Melone, am angewinkelten linken Unterarm hing sein altväterlich gebundener Regenschirm. Parker bot das Bild eines hochherrschaftlichen Butlers bester britischer Schule.

Er war am Vortag zusammen mit Agatha Simpson hierher auf den Landsitz seiner Herrin gekommen. Die immens vermögende Lady wollte einige Tage Urlaub machen und hatte sich für diese ihrer vielen Besitzungen entschieden. Sie befand sich in der Grafschaft Surrey, südwestlich von London, wo Parker seit längerer Zeit nicht mehr war. Lady Agatha hatte gerade ihren Tee genommen und hielt sich in Dorkwell-Castle auf, wie der Landsitz hieß. Sie wollte ein wenig meditieren, wie sie behauptet hatte, doch in Wirklichkeit saß sie vor dem Fernsehapparat und sah sich einen Krimi an.

Parker hatte also etwas freie Zeit und nutzte sie. Mit Aufregungen war hier auf dem Land ohnehin nicht zu rechnen. Und er hatte wirklich nichts dagegen. Erst vor wenigen Tagen hatte man einen Kriminalfall glücklich beenden können. Agatha Simpson war dabei wieder mal zur Höchstform aufgelaufen und hatte für Verwicklungen am laufenden Band gesorgt. Dabei war Parker ungemein gefordert worden, um Schaden von der älteren Dame abzuwenden. Auch seine Nerven sehnten sich nun diskret nach ein wenig Ruhe, und die war hier draußen auf dem Landsitz so gut wie garantiert. Die nächsten Dörfer waren weit entfernt und boten ein Bild ländlicher Idylle. Die Zeit schien langsam und auf Zehenspitzen zu gehen. Parker, der sich einem blühenden Rhododendron-Strauch genähert hatte und sich vorbeugte, um eine ganz spezielle Blüte zu bewundern, hörte rechts davon plötzlich ein scharrendes Geräusch, das wohl von einem kleinen Tier verursacht worden war. Vorsichtig und durchaus höflich zog Parker sich sofort zurück, um dieses Tier nicht zu stören. Er fühlte sich als Gast hier und dachte nicht im Traum daran, angestammtes Wild zu verjagen.

Dann aber blieb er stehen und konzentrierte sich auf das Geräusch, das in dumpfes Stöhnen übergegangen war. Seinem Wissen nach war ein Tier nicht in der Lage, solche Laute zu produzieren.

»Braucht man möglicherweise meine mehr als bescheidene Hilfe?« rief Parker halblaut. Ohne eine Antwort abzuwarten, beschrieb der Butler einen Bogen und näherte sich dem dichten Unterholz von der Seite. Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms teilte er dann einige Zweige und ... erblickte einen am Boden liegenden Mann, der einen recht mitgenommenen Eindruck machte. Er blutete aus Gesichtsverletzungen und schien Ärger mit dem linken Bein zu haben. Er hielt es sich mit beiden Händen in Höhe des Knies und blickte dabei den Butler aus entsetzten Augen an.

»Darf man davon ausgehen, daß Sie das Opfer eines Unglücksfalles wurden?« fragte Parker und lüftete höflich die schwarze Melone.

»Wer ... Wer sind Sie?«

»Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor, »haben Sie sich möglicherweise das Bein gebrochen?«

»Gehen Sie weiter, bitte«, drängte der etwa Fünfundzwanzigjährige, der Jeans und ein kariertes Hemd trug, »schnell, bevor man uns sieht.«

»Werden Sie verfolgt?« lautete Parkers nächste Frage. Er blieb selbstverständlich dort, wo er war.

»Bitte, so gehen Sie doch«, drängte der junge Mann erneut, »wenn die uns sehen, sind auch Sie reif...«

»Sie befinden sich auf Privatbesitz, doch dies nur zur Erklärung und am Rand«, schickte der Butler voraus, »es ist selbstverständlich, daß ich Ihnen meine Hilfe nicht nur anbiete. Die Tat wird umgehend folgen.«

»Mann, Sie haben ja keine Ahnung, wer die Kerle sind«, stöhnte der Verletzte, »hauen Sie ab, solange Sie’s noch können!«

»Sie sind offensichtlich wehr- und waffenlos.«

»Hören Sie ...?« Der junge Mann hob den Kopf ruckartig, als ein gellender Pfiff zu vernehmen war.

»Wenn Sie erlauben, werde ich Ihnen ein wenig Gesellschaft leisten«, schlug Josuah Parker vor. Er schob sich ins Gesträuch und ordnete hinter sich die Zweige. Dann spähte er den schmalen Weg hinunter und brauchte nicht lange zu warten, bis zwei stämmige, untersetzte Männer zu sehen waren. Sie trugen Axtstiele in Händen und machten einen durchaus kriegerischen Eindruck.

Sie schoben sich vorsichtig näher und musterten die Sträucher und Büsche links und rechts vom Weg. Noch schienen sie keine Spuren entdeckt zu haben.

Der junge Mann neben Parker hielt plötzlich ein langes Messer in der rechten Hand und richtete sich auf. Dabei zerbrach er einen Zweig unter sich und erregte so die Aufmerksamkeit der beiden Männer. Sie blieben sofort stehen und nickten sich dann zu, wie Parker deutlich sah. Dann trennten sie sich und wollten den Rhododendron-Strauch quasi in die Zange nehmen.

Josuah Parker sah sich veranlaßt, seine heitere und entspannte Grundstimmung aufzugeben.

*

Der Stämmige sah sich plötzlich Parker gegenüber und kam vor lauter Verblüffung nicht dazu, mit seinem Axtstiel, den er zum Schlag erhoben hatte, zuzulangen.

»Messen Sie meiner Reaktion keine Bedeutung bei«, schickte Josuah Parker voraus, um dann seinerseits zuzuschlagen. Er benutzte dazu den Bambusgriff seines Regenschirms, der mit Blei ausgegossen war. Entsprechend war die Energie, die er an die Stirn des Mannes weiterreichte. Der Getroffene öffnete den Mund und wollte mit einiger Sicherheit wohl noch einen Schrei ausstoßen, schaffte es jedoch nicht mehr. Er ließ sich zu Boden und legte sich auf eine schmale Moosbank.

»Is’ da wer?« rief der zweite Stämmige, der Parkers verbale Versicherung mitbekommen hatte. Der Mann war noch nicht zu sehen, doch er schob sich bereits mit Wucht durch das dichte Unterholz, entdeckte den jungen Mann und grinste dann breit und siegessicher. Den Butler sah er hingegen nicht. Parker hatte hinter einem mannshohen Strauch Deckung bezogen.

»Da sind wir ja«, sagte der Stämmige genüßlich und baute sich breitbeinig auf, »wer wollte denn da abhauen?«

»Mike, mach’ keinen Unsinn«, stieß der junge Mann hervor, »ich hab’ nichts gesehen und gehört, laß’ mich verduften.«

»Wo steckt Joe?« wollte der Stämmige wissen. Er bezog sich für Parker auf jenen Mann, den er eben erst zu Boden geschickt hatte. »Der muß doch gerade hier gewesen sein.«

»Joe ist...«

» ... momentan unansprechbar und steht nicht zur Verfügung«, schaltete Josuah Parker sich ein und trat hinter dem Strauch hervor. Auch jetzt lüftete er höflich die schwarze Melone.

»Wer is’ denn das?« Der zweite Stämmige riß seine Augen weit auf und starrte den Butler an.

»Ich habe die unzweifelhafte Ehre und auch den Vorzug, Lady Simpsons Butler sein zu dürfen«, erwiderte Josuah Parker, »bei dieser durchaus passenden Gelegenheit möchte meine Wenigkeit darauf verweisen, daß Lady Simpson die Besitzerin dieser diversen Ländereien ist.«

»Mann, aus welchem Museum stammen denn Sie?« Der Stämmige konnte es noch immer nicht fassen und verengte die Augen.

»Sie frönen einem eigenwilligen Humor«, stellte der Butler fest, »suchen Sie möglicherweise Ihren Begleiter?«

»Genau, Mann. Wo steckt er?«

»Er befindet sich augenblicklich in einem Zustand der totalen Entspannung«, antwortete der Butler und deutete mit der Spitze seines Regenschirms auf den am Boden liegenden Mann, den der zweite Mann bisher übersehen hatte.

Der Angesprochene beging den Fehler, seinen Blick von Parker abzuwenden. Als er sich dieses Fehlers bewußt wurde, war es für ihn bereits zu spät. Parker hatte noch mal den Bambusgriff eingesetzt und trat ein wenig zur Seite, als nun auch der zweite Stämmige wie ein gefällter Baum zu Boden ging. Der Mann blieb zwischen den Zweigen hängen und breitete sich wie ein nasses Handtuch aus.

»Ihre beiden Verfolger heißen also Mike und Joe mit Vornamen«, meinte der Butler und widmete sich wieder dem jungen Mann, der offensichtlich noch immer nicht ganz begriffen hatte, daß die Gefahr überstanden war.

»Mike und Joe«, bestätigte er automatisch.

»Und Sie versicherten, wenn meine Wenigkeit weiter zusammenfassen darf, daß Sie weder etwas gesehen noch gehört haben.«

»Nichts, rein gar nichts«, lautete die Antwort.

»Und was haben Sie nun tatsächlich gesehen und auch gehört?« fragte Josuah Parker. »Ich möchte betonen, daß reine Neugier im Spiel ist.«

»Nichts, wirklich rein gar nichts.« Der junge Mann hatte sich wieder unter Kontrolle. »Hören Sie, Sir, was Sie nicht wissen, können Sie auch nicht weitersagen.«

»Eine bemerkenswerte Feststellung«, antwortete Josuah Parker in seiner höflichen Art, »selbstverständlich wird meine Wenigkeit sich nicht weiter aufdrängen. Ich erlaube mir, Ihnen noch einen erholsamen Nachmittag und Abend zu wünschen.«

Parker lüftete die schwarze Melone und schickte sich an, das dichte Gesträuch zu verlassen. Er schien bereits die Gegenwart des jungen Mannes und die der beiden Stämmigen völlig vergessen zu haben.

»Hallo, einen Moment noch«, rief der junge Mann, »ich kann nicht mehr gehen. Ich glaube, ich habe mir das Bein gebrochen.«

»Die beiden Herren werden es sich sicher zur Ehre anrechnen, Ihnen behilflich sein zu dürfen.«

»Sie wissen doch genau, daß die mich fertigmachen wollen, Sir.« Die Stimme des jungen Mannes ließ Panik erkennen.

»Was meine Wenigkeit nicht weiß, kann meine bescheidene Person auf keinen Fall weitersagen«, zitierte Parker den jungen Mann, wobei er sich einige leichte Abänderungen gestattete.

»Sie werden in des Teufels Küche kommen, Sir«, sagte der junge Mann eindringlich.

»Ein Besuch, der sicher interessant werden könnte.«

»Okay, ich packe aus, aber schaffen Sie mich erst mal weg.«

»Währenddessen könnten die Herren Mike und Joe wach werden und das sogenannte Weite suchen.«

»Die kommen wieder, verlassen Sie sich darauf, Sir.«

»Man sollte, falls es sich einrichten läßt, jeder Eventualität Vorbeugen«, lautete die Antwort des Butlers. Seine gepflegte, jedoch ein wenig umständliche Ausdrucksweise paßte zu seinem Äußeren, sie stand jedoch im krassen Gegensatz zum Slang der modernen Zeit. Parker war tatsächlich so etwas wie ein wandelnder Anachronismus.

»Sie können uns doch nicht gleichzeitig wegschaffen«, meinte der junge Mann.

»Aber ja doch«, widersprach Josuah Parker, »an der Wegkreuzung unterhalb der Sträucher steht ein Leiterwagen.«

»Mann, Sie haben Nerven. Sie wissen ja gar nicht, wie hart diese beiden Männer sind. Die machen Kleinholz aus Ihnen, sobald sie wieder wach sind.«

»Dies wird man ihnen mit Erfolg ausreden«, sagte Josuah Parker gemessen und würdevoll, »gedulden Sie sich einen Moment.«

Parker verließ den Ort des Geschehens, war aber schon nach wenigen Minuten wieder zurück. Er zog hinter sich den kleinen Leiterwagen her, der mit Arbeitsmaterial der Gärtner bepackt war. Parker warf einen kurzen Blick auf die beiden Männer. Sie schliefen noch und merkten nicht, daß der Butler sie erst mal mit Gärtnerhanf behandelte. Parker wickelte dieses an sich zähe Bindematerial um die Handgelenke der beiden Männer und sorgte dafür, daß sie sich nicht selbständig machen konnten. Der junge Mann schaute fasziniert zu und schüttelte dann den Kopf, als der Butler seine Arbeit beendete.

»Verdammt, warum wollen Sie die beiden unbedingt mitnehmen?« fragte er dann und stöhnte, was jedoch eindeutig mit seinem geschädigten Bein zusammenhing, »die sind doch nicht allein.«

»Sie werden später Gelegenheit haben, sich dazu zu äußern«, meinte der Butler, »wenn ich Ihnen jetzt aufhelfen darf? Ich werde mir erlauben, Sie in den Wagen zu setzen. Und dann braucht man nur noch darauf zu warten, daß die beiden Männer erwachen.«

»Ja, und dann?« fragte der junge Mann erwartungsvoll.

»Man wird den beiden Männern freistellen, den Leiterwagen zu ziehen«, gab Parker höflich zurück, »meine Wenigkeit geht davon aus, daß sie meiner Bitte nachkommen werden.«

*

»Sie sind sicher, daß meine Augen mich nicht trügen, Mr. Parker?« erkundigte sich Lady Agatha. Sie stand an der Brüstung der Terrasse und blickte auf den Leiterwagen hinunter, in dem der junge Mann saß. Vorn an der kurzen Deichsel standen Mike und Joe und wirkten wie eingespannte Zugpferde. Sie machten einen etwas betrübten Eindruck, was wohl damit zusammenhing, daß Parker ihre gebundenen Hände an der Deichsel befestigt hatte. Auch hier hatte der Gärtnerhanf wahre Wunder bewirkt.

»Ein zufälliges Zusammentreffen, Mylady«, beantwortete der Butler die Frage der älteren Dame, »die drei Männer kreuzten meinen bescheidenen Weg, wenn man so sagen darf.«

»Das werde ich mir aus der Nähe ansehen.« Die Lady, die das sechzigste Lebensjahr mit Sicherheit bereits überschritten hatte, setzte ihre majestätische Fülle in Bewegung. Agatha Simpson war das, was man eine große und stattliche Frau nannte. Sie trug ein zu weites, aber ungemein bequemes Tweedkostüm, ihr grau-weißes Haar lag in Locken auf dem ausgeprägten Kopf. Mylady hatte eine ausgeprägte Adlernase, einen energischen Mund und ein Kinn, das noch wesentlich mehr verriet. Ihre grauen Augen konnten zu Eis werden, wenn sie sich ärgerte. Die Bewegungen der Lady waren dynamisch und fast sogar ungestüm. Als sie den Leiterwagen erreichte, holte sie ihre Lorgnette aus der Brusttasche des Kostüms, klappte die Stielbrille auseinander und visitierte die beiden Männer vorn an der Deichsel.

Mike und Joe, wie sie offensichtlich hießen, kamen sich vor wie seltene Insekten, als sie auf diese Art betrachtet wurden. Mike geriet prompt in Wut.

»Noch’n Museumsstück«, sagte er wütend, »verdammt, Lady, Sie bringen mich um Kopf und Kragen. Sagen Sie Ihrem verdammten Butler, daß er uns sofort losbinden soll.«

»Wie nannten Sie mich gerade?« fragte Agatha Simpson fast erfreut. Ihre Augen funkelten erwartungsvoll.

»Das is’ doch egal«, meinte Mike vorsichtig, »aber sagen Sie ihm endlich, daß er uns losbinden soll.«

»Was sagte er?« Lady Agatha wollte es genau wissen und wandte sich zu Parker um, der einen halben Schritt seitlich hinter ihr stand.

»Es ging um eine Behauptung, Mylady, nach der man Mylady zu unterstellen wagt, aus einem Museum zu stammen«, antwortete der Butler.

»Das also war es.« Sie nickte und ... trat dann mit dem rechten Fuß kurz und gekonnt und auch völlig ungeniert gegen das linke Schienbein des Stämmigen, der von diesem Tritt völlig überrascht wurde. Mike jaulte auf und verbeugte sich tief. Er wollte nach dem mißhandelten Bein langen, doch seine Hände hingen fest an der Deichsel.

»Sie können froh sein, daß ich eine Dame bin, die die Etikette zu wahren versteht«, sagte Lady Agatha dann und visitierte den jungen Mann im Leiterwagen, »und was ist mit Ihnen?«

»Wir... Wir hatten Streit, sonst nichts«, log er, der sich inzwischen wohl eine Geschichte ausgedacht hatte, »es ging um ’ne Wette, Lady. Und dabei bin ich ausgerutscht.«

»Lügt er, Mr. Parker?« erkundigte sich Agatha Simpson bei ihrem Butler.

»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit«, gab Parker höflich zurück. Er hatte seinen Satz kaum beendet, als seine Herrin eine ihrer gefürchteten Ohrfeigen an den Mann brachte.

Der junge Mann im Leiterwagen war der völlig überraschte Empfänger.

»Eine Lady Simpson belügt man nicht«, sagte die ältere Dame grollend, »ich will gleich Ihre Geschichte hören. Wagen Sie es nicht, mir noch mal mit einer Lüge zu kommen.«

»Gott, warum bin ich hierher in den Park gerannt«, sagte der junge Mann leise.

»War da gerade etwas?« fragte die passionierte Detektivin.

»Nein, nichts, Lady«, erwiderte der junge Mann mehr als hastig und tastete ungemein vorsichtig nach seiner Backe, »das heißt, lassen Sie doch’n Taxi kommen, dann bin ich sofort verschwunden.«

»Meine Gastfreundschaft, junger Mann, ist total«, entgegnete Lady Agatha, »Sie werden mein Gast sein, ob Sie das wollen oder nicht. Schreiben Sie sich das gefälligst hinter die Ohren.«

»Mylady billigen auch nachträglich noch mein bescheidenes Vorgehen?« fragte Parker.

»Erwarten Sie keine Begeisterungsstürme von mir, Mr. Parker«, antwortete Agatha Simpson, doch sie nickte durchaus huldvoll, »aber ich werde mich ausnahmsweise mal ablenken lassen. Sorgen Sie dafür, daß meine Gäste standesgemäß untergebracht werden.«

*

»Es dürfte sich tatsächlich um einen Beinbruch handeln«, meldete der Butler eine halbe Stunde später. Er hatte den großen Salon des Landsitzes betreten, in dem die Hausherrin sich aufhielt.

»Und was werde ich jetzt tun?« wollte Agatha Simpson von ihrem Butler wissen.

»Mylady werden dem jungen Mann Gelegenheit geben, sich per Telefon mit der Außenwelt in Verbindung zu setzen.«

»Aha.« Sie nickte. »Leiten Sie das also in die Wege, Mr. Parker.«

»Dies, Mylady, ist bereits geschehen«, lautete Parkers Antwort, »der junge Mann dürfte inzwischen bereits telefonieren. In seinem Zimmer steht der dazu benötigte Apparat. Ein Tonbandgerät aus meinem bescheidenen Gepäck wird die Gespräche aufzeichnen.«

»Sehr hübsch, Mr. Parker.« Sie lächelte und nickte huldvoll. »Und was ist mit den beiden Subjekten, die mich beleidigten?«

»Sie halten sich zur Zeit in einem Kellerraum auf, Mylady, in dem leider das elektrische Licht fehlt.«

»Habe ich es mit Gangstern zu tun?«

»Mit Schlägern, Mylady, wenn diese Einschränkung erlaubt ist. Mit Schußwaffen konnten die beiden Männer nicht dienen.«

»Wie auch immer, Mr. Parker.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Fest steht aber doch, daß sie diesen jungen Mann zuammenschlagen wollten, wie?«

»Diese Absicht war eindeutig erkennbar, Mylady.«

»Vielleicht plante man sogar einen Mord.« Agatha Simpson stand aus ihrem geblümten Sessel auf und wanderte durch den großen Salon. Sie wirkte wie elektrisiert. Sie hatte überhaupt nichts gegen einen neuen Kriminalfall einzuwenden. Sie war eine begeisterte Amateur-Detektivin, die stets und überall einen Fall witterte, den es zu lösen galt.

»Warum sagen Sie nichts, Mr. Parker?« fragte sie, als der Butler sich beharrlich ausschwieg.

»Die drei Männer sprechen einen Slang, Mylady, wie man ihn in London antrifft«, sagte Parker, »genauer gesagt, im Osten der Stadt. Um Landbewohner handelt es sich keineswegs.«

»Ich weiß, das habe ich sofort festgestellt«, erwiderte sie fast ungeduldig, »ich frage mich allerdings, was die drei Männer aus London ausgerechnet hier auf meinem Landsitz zu suchen haben. Wie denke ich darüber, Mr. Parker?«

»Mylady haben bereits eine Theorie?« fragte Parker.

»Und ob, Mr. Parker.« Sie nickte nachdrücklich. »Man wollte mich hier ausrauben. Oder man wollte mich als Geisel nehmen und ein horrendes Vermögen herauspressen.«

»Eine bestechende Theorie, Mylady.« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos und glatt wie das eines professionellen Pokerspielers.

»Ich weiß«, gab sie freundlich zurück, »ich denke, ich werde jetzt diesen jungen Burschen vernehmen, Mr. Parker.«

»Sehr wohl, Mylady.« Parker verließ den großen Salon und kreuzte durch die noch größere Halle, in der ein riesiger offener Kamin die Szene beherrschte. An den hohen Steinwänden hingen Gobelins und Gemälde. Der Butler wechselte hinüber in einen langen Korridor und öffnete dann eine schwere Eichentür.

»Sie werden erwartet«, rief er in den Raum, dessen Fenster vergittert waren.

»Ich ... Ich kann doch nicht gehen«, lautete die etwas verzerrt klingende Antwort.

»Sie dürften neben der Tür stehen«, meinte der Butler gemessen, »meiner bescheidenen Schätzung nach dürfte sich in Ihren Händen eine Streitaxt von der Wand befinden.«

Es dauerte eine Weile, bis Parker etwas hörte. Ein Gegenstand aus Metall wurde zu Boden geworfen. Parker erblickte durch die geöffnete Tür tatsächlich eine mächtige Streitaxt, die noch an der Wand hing, als er den Raum verlassen hatte.

»Woher haben Sie das gewußt?« fragte der junge Mann mit normaler Stimme.

»Sie wollen offensichtlich das noch mal wenden, was man volkstümlich das Blatt nennt«, antwortete Parker, »Sie möchten um jeden Preis dieses an sich gastliche Haus verlassen und so einer Unterhaltung aus dem Weg gehen.«

»Sie können reinkommen«, antwortete der junge Mann wütend, »ich habe Sie wieder mal unter schätzt.«

»Sie schmeicheln meiner Wenigkeit«, lautete Parkers Antwort, »würden Sie sich freundlicherweise vor die Tür bemühen?«

»Ich bin unbewaffnet.«

»Dies wird sich dann zeigen«, sagte Josuah Parker, »überstrapazieren Sie nicht die Geduld der Lady Simpson. Dies könnte sich sonst für Sie gesundheitlich negativ aus wirken.«

Ein Stuhl scharrte über den Boden, bald darauf war der junge Mann zu sehen, der den Stuhl als Laufhilfe benutzte. Er war jetzt tatsächlich unbewaffnet und schien sich in sein Schicksal gefügt zu haben. Er lächelte sogar, wenn auch ein wenig verkniffen.

»Ich hätte wirklich nicht hart zugelangt«, behauptete er dann und deutete auf die Streitaxt.

»Wie rücksichtsvoll«, fand der Butler, »ich werde mich bemühen, Ihrer Versicherung Glauben zu schenken.«

*

»Nun haben Sie sich nicht so, junger Mann«, grollte die Detektivin, als ihr Gast in den großen Saal kam, »was ist schon ein Beinbruch? Seien Sie froh, daß Ihr Genick in Ordnung ist.«

Der junge Mann saß auf einem Bürosessel, der auf Rollen über das Parkett glitt. Parker hatte ihn aus einem Arbeitszimmer geholt und benutzte ihn als Rollstuhl.

»Ich hab’ Schmerzen, Lady«, klagte der junge Mann und verzog sein Gesicht, »ich brauch’ einen Arzt.«

»Ich wurde in erster Hilfe ausgebildet«, erinnerte Agatha Simpson sich prompt, »ich werde nachher Ihren gebrochenen Knochen richten.«

»O nein, Lady«, gab der junge Mann entsetzt von sich, »lassen Sie das einen Arzt machen.«

»Papperlapapp«, raunzte sie, »selbstverständlich werde ich Ihnen helfen, so etwas lasse ich mir nicht nehmen. Aber jetzt zur Sache: Wie heißen Sie? Und wagen Sie es nicht, mich zu belügen!«

»Randy Laydon«, stellte der junge Mann sich vor, »und das is’ die Wahrheit. Ich komme aus London.«

»Natürlich. Woher sonst? Ich habe es sofort am Dialekt gemerkt, junger Mann. Und jetzt will ich wissen, warum man Sie ermorden wollte.«

»Nee, ermorden wollten die mich bestimmt nicht, Lady, nur zusammenhauen, verstehen Sie?«

»Ich verstehe kein Wort. Oder sehen Sie das anders, Mr. Parker?«

»Keineswegs und mitnichten, Mylady«, versicherte Parker seiner Herrin. Er hatte nichts gegen ihre Verhörmethoden einzuwenden. Agatha Simpson war in solchen Fällen immer sehr direkt und wußte auch durchaus, worauf es ankam.

»Die wollten mich nur zusammenhauen, weil ich aussteigen wollte.«

»Woraus wollten Sie aussteigen? Lassen Sie sich gefälligst nicht jedes Wort aus der Nase ziehen, junger Mann, sonst werde ich unwirsch.«

»Wir gehören zu ’ner Firma, die hier in der Gegend im Straßenbau tätig ist.«

»Wo ist der Sitz der gerade erwähnten Firma?« schaltete Josuah Parker sich ein.

»Bei Dorking« antwortete der junge Mann.

»Und wer ist der Besitzer der Firma?«

»Carl Tanfield«, sagte der Befragte, »aber den Boß kenn’ ich kaum, der läßt sich nur hin und wieder blicken. Unser Vormann ist Richard Fallby.«

»Mr. Parker, merken Sie sich diese Namen«, forderte Lady Agatha den Butler auf, »Sie wissen ja, mit unwichtigen Details belaste ich mich grundsätzlich nicht.«

»Sehr wohl, Mylady.« Parker hatte die bisher gehörten Angaben bereits gespeichert. Er wandte sich nun wieder an den jungen Mann. »Da Sie nun die erwähnte Firma verlassen wollten, sollten Sie zusammengehauen werden, wie Sie sich auszudrücken beliebten. Ein recht ungewöhnliches Verfahren, um Vertragstreue zu erzwingen.«

»Das war doch wegen dem Vorschuß«, meinte Randy Laydon treuherzig, »ich gebe ja zu, daß ich damit abhauen wollte.«

»Einmal abgesehen vom Genitiv, den Sie nicht unterschlagen sollten, Mr. Laydon, sorgten Sie sich draußen im Park ungewöhnlich um meine Gesundheit. Die Praktiken dieser Firma scheinen demnach recht rauh zu sein.«

»Ich wollte Sie doch da nicht reinziehen«, beteuerte Laydon eifrig, »warum wollen Sie sich mit Leuten anlegen, die verdammt hart sind?«

»Dieser Mann lügt nach Strich und Faden, nicht wahr?« Agatha Simpson sah Parker empört an.

»Die Angst dürfte die Zunge des Mr. Laydon führen, Mylady.«

»Habe ich sonst noch Fragen?« Lady Agatha näherte sich dem improvisierten Rollstuhl, worauf Randy Laydon automatisch den Kopf einzog und Parker einen flehenden Blick zuwarf.

»Mylady werden die gehörten Argumente sicher im sogenannten Raum stehen lassen«, beantwortete Parker die Frage seiner Herrin.

»Genau das habe ich vor.« Sie nickte bestätigend. »Und jetzt werde ich erste Hilfe leisten. Man soll einer Lady Simpson nicht nachsagen, sie habe kein Herz für Hilflose und Ratsuchende.«

»Ich ... Ich glaube Ihnen das auch so«, versicherte Randy Laydon hastig. »Nichts da«, sagte sie energisch, »Sie werden sich in ein paar Minuten wie neugeboren fühlen. Ich werde Sie in der Bibliothek verarzten.«

Sie versetzte dem Rollstuhl einen Stoß, worauf Randy Laydon expreßartig durch den großen Raum schoß und genau auf die Tür zuschoß, die noch geöffnet war.

»Das war wohl ein wenig zu nachdrücklich«, meinte die ältere Dame und blickte dem davonsausenden Gefährt verblüfft nach.

»Man wird es gleich hören, Mylady«, erwiderte der Butler höflich.

*

»Die Jugend von heute ist wirklich nicht mehr belastungsfähig«, räsonierte Lady Agatha und beugte sich ein wenig zu dem jungen Mann hinab. Randy Laydon lag neben dem improvisierten Rollstuhl, der umgestürzt war, und stöhnte herzerweichend.

»Das andere Nein, das andere Bein«, sagte er mit gepreßter Stimme, »ich glaube, das ist jetzt auch gebrochen.«

»Nun übertreiben Sie mal nicht gleich, junger Mann«, grollte Agatha Simpson, »aber warum mußten Sie denn auch mit solch einem Tempo davonfahren? Etwas mehr Selbstbeherrschung wäre angebrachter gewesen. Mr. Parker, schaffen Sie ihn jetzt in die Bibliothek.«

»Warum rufen Sie nicht einen Unfallwagen?« fragte Laydon verzweifelt.

»Sie werden noch früh genug in ein Hospital kommen«, meinte Agatha Simpson, »warten Sie, Mr. Parker, ich werde Ihnen helfen. Es gibt da Transportgriffe, die man mir früher bei den Pfadfindern beigebracht hat. Ich bin sicher, daß ich sie noch nicht verlernt habe.«

Lady Agatha war eine starke Frau, wie sich zeigte. Geschick bewies sie zwar keineswegs, doch sie demonstrierte Kraft. Sie spielte nicht umsonst Golf und huldigte dem Sport des Bogenschießens. Ihre Muskeln waren gut ausgebildet, was Randy Laydon schon bald zu spüren bekam. Agatha Simpson wuchtete den jungen Mann hoch und ließ ihn auf den Sitz des rollbaren Bürostuhls zurückdonnern, den der Butler gerade aufgerichtet hatte. Nach dieser Prozedur hing Laydon wie zusammengestaucht auf dem Sitz und litt.

Nachdem der Butler den jungen Mann in die Bibliothek gerollt hatte, besorgte er den hauseigenen Verbandskasten aus der Küche des Landsitzes, reichte ihn an die ältere Dame weiter und konnte sich dann endlich um das kleine Tonbandgerät kümmern, das er in jenem Raum untergebracht hatte, in den man Laydon vor dem Verhör gesteckt hatte.

Parker trug dieses Gerät in den großen Salon und war bereit, sich überraschen zu lassen. Er hatte sich nicht getäuscht. Randy Laydon hatte telefoniert. Das drehen der Wählerscheibe war deutlich zu hören. Danach meldete Laydon sich hastig zu Wort. Er sprach mit einem Richard, der wohl mit dem Vormann Fallby identisch war, von dem Laydon berichtet hatte.

Laydon erklärte diesem Richard, er wolle zurück in die Firma kommen und keine Zicken mehr machen, wie er sich ausdrückte. Er teilte diesem Richard ferner mit, ein ulkig aussehender Butler und eine komische Lady hätten sich eingeschaltet, doch die würden mit Sicherheit keine Gefahr darstellen.

Leider konnte Josuah Parker nicht verstehen, was die Gegenseite sagte. Das Gespräch endete damit, daß Randy Laydon hoch und heilig versprach, den Mund zu halten. Er bat zuletzt noch darum, daß man ihn abholen solle.

Danach erfolgte ein zweiter Anruf.

Diesmal sprach der junge Mann mit einem Les Clapping. Dieses Gespräch war nur kurz. Randy Laydon sagte, es habe eine böse Panne gegeben, Fallby sei mißtrauisch geworden und habe zwei Schläger auf ihn angesetzt. Randy Laydon gab die momentane Adresse durch und bat um Hilfe.

Parker schaltete das kleine Tonbandgerät ab, das zu jenen Utensilien gehörte, die er stets im Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums mit sich führte. Dann baute er sich vor einem der schmalen, hohen Fenster auf und blickte auf den parkähnlichen Garten unterhalb der Terrasse. Aus beiden Telefonaten ging hervor, daß mit baldigem Besuch zu rechnen war. Wie nahe mochten die Besucher bereits heran sein?

Parker griff unwillkürlich nach seiner Weste unter dem schwarzen Zweireiher und tastete mit den Fingerkuppen die mehr als reichhaltige Auswahl der Kugelschreiber ab. Sie sahen aus wie völlig normale Schreibgeräte, doch sie hatten es alle in sich. Sie stellten ein Arsenal von miniaturisierten Abwehrwaffen dar, die Parker in seiner privaten Werkstätte anfertigte. Sie zeichneten sich durch Raffinesse und einen hohen Wirkungsgrad aus. Unbefugte waren so gut wie nicht in der Lage, diese kleinen Waffen zu bedienen. Parker hatte aus Gründen der allgemeinen Sicherheit Sperren eingebaut, die nur er allein zu lösen verstand.

Nun, die Kugelschreiber waren vorhanden. Da sie leicht waren und unauffällig getragen werden konnten, führte Parker sie meist mit sich. Er war recht froh darüber, daß er sie mit aufs Land genommen hatte. Er wußte bereits jetzt, daß er seine Waffen anwenden mußte.

Die Türglocke meldete sich. Der Butler verließ den Salon, durchmaß die Halle und näherte sich dem Portal des Landsitzes. Er griff in eine der vielen Westentaschen und zog eine kleine Spraydose hervor, die völlig normal und durchaus harmlos aussah. Sie konnte aus der nächstbesten Apotheke stammen und ein Mittel gegen Heuschnupfen enthalten. Diese kleine Spraydose verschwand in Parkers linker Hand.

»Die Herren wünschen?« fragte Parker, nachdem er die schwere Eichentür geöffnet hatte. Er sah sich zwei Männern gegenüber, die Overalls trugen. Ihre Gummistiefel waren lehmverschmiert.

»Firma Tanfield«, sagte einer der beiden Männer barsch, »wir arbeiten hier in der Gegend im Straßenbau.«

»Wie schön für Sie, meine Herren, daß Sie einer festen Arbeit nachgehen können«, kommentierte Parker diese Eröffnung.

»Wir wollen hier ’nen Mann abholen, der eben angerufen hat«, redete der Mann weiter. Er machte einen ungeduldigen Eindruck und schob sich vor, »und dann müssen auch noch zwei andere Leute von uns hier sein.«

»Sie scheinen Lady Simpsons Anwesen mit einer Pension zu verwechseln«, gab der Butler zurück.

»Sind die Leute nun hier oder nicht? « brauste der zweite Mann auf.

»Wenn Sie erlauben, wird meine Wenigkeit Mylady danach fragen«, schickte Josuah Parker voraus, »könnten Sie sich also möglicherweise ein wenig in Geduld fassen?«

»Mann, schwirren Sie ab«, verlangte der Wortführer und wollte den Butler zur Seite drücken. Parker hob den linken Unterarm und täuschte so eine Schutzbewegung vor, tatsächlich aber brachte er seine kleine Spraydose in Position. Eine Sekunde später schloß der Mann unfreiwillig die Augen und fuchtelte mit den Armen unkontrolliert in der Luft herum. Bevor der zweite Mann reagieren konnte, tat er es seinem Partner nach. Auch seine Augen waren von dem feinen Spray getroffen worden. Auch er fuchtelte mit den Armen herum und traf dabei seinen Begleiter, der sich prompt angegriffen fühlte und hart zurückschlug.

Josuah Parker wollte nicht stören.

Höflich trat er zurück und beobachtete die beiden Männer, die zu wütenden Kampfhähnen geworden waren und es darauf anlegten, sich gegenseitig zu Boden zu schicken. Gewiß, mancher Schlag ging wegen der getrübten Sichtverhältnisse daneben, doch andere Schläge wieder trafen ungewöhnlich gut.

Josuah Parker war mit der Entwicklung durchaus zufrieden und wartete geduldig auf die Beendigung dieser an sich fruchtlosen Diskussion.

*

»Darf man sich nach dem Befinden des Patienten erkundigen?« fragte der Butler. Er betrat die Bibliothek und warf einen Blick auf den jungen Mann, der steif und starr auf einer lederbezogenen Sitzbank lag und einen abwesenden Eindruck machte.

»Ich glaube, er ist etwas bewußtlos geworden, Mr. Parker«, antwortete die ältere Dame, »und genau das kann ich einfach nicht verstehen. Ich habe ihn doch wirklich mit Samthandschuhen angefaßt.«

»Der Stützverband, Mylady, sieht beeindruckend aus«, meinte Parker und deutete diskret auf die Schienen, die die ältere Dame dem Patienten angelegt hatte.

»Er wehrte sich mit Händen und Füßen gegen meine Hilfe«, grollte Agatha Simpson, »ich mußte ihn erst ohrfeigen, bevor er Ruhe gab.«

»Daher seine momentane Ruhe, wenn man so sagen darf.«

»Vielleicht auch deshalb«, sagte die Detektivin zufrieden, »manche Menschen muß man eben zu ihrem Glück zwingen.«

»Darf man sich erkühnen, Mylady auf einen kleinen, vielleicht an sich unbedeutenden Fehler aufmerksam zu machen?«

»Eine Lady Simpson begeht keine Fehler.« Sie sah Parker streng an.

»Mylady haben möglicherweise das falsche Bein geschient.«

»Ausgeschlossen.« Die ältere Dame wandte sich um und betrachtete Randy Laydons Bein.

»Falls meine Erinnerung nicht trügt, Mylady, klagte Mr. Laydon über Schwierigkeiten mit dem linken Bein.«

»Keine Spitzfindigkeiten, Mr. Parker«, reagierte sie streng, »für mich ist Bein gleich Bein, Hauptsache, die Schienen sitzen mustergültig.«

»Mylady erhielten vor wenigen Minuten Besuch«, meldete Parker, der eine Debatte über Randy Laydons Beine vermeiden wollte, »die beiden Besucher hatten die Absicht, den jungen Mann dort abzuholen. Bei dieser Gelegenheit wollten sie sich wohl auch um die anderen Gäste kümmern.«

»Und wo stecken die beiden Subjekte jetzt, die mich stören wollten?«

»Meine Wenigkeit lud sie ein, den beiden bereits anwesenden Männern ein wenig Gesellschaft zu leisten.«

»Und sie nahmen diese Einladung ohne weiteres an?«

»In etwa, Mylady«, sagte Parker, »meine Wenigkeit mußte erst ein wenig nachdrücklich werden.«

»Nun gut«, erwiderte Lady Agatha, »dann sitzen jetzt also bereits vier Subjekte im Keller.«

»Sehr wohl, Mylady. Sie alle dürften zur Straßenbaufirma des Mr. Carl Tanfield gehören.«

»Ich weiß, Mr. Parker, Sie wissen doch, wie gut ich mir Namen und Gesichter merken kann. Sie wissen hoffentlich auch, wie die beiden Neuzugänge heißen«

»Die Frage muß leider verneint werden«, antwortete der Butler, »es gab bisher keine Gelegenheit, danach zu fragen.«

»Na, endlich«, sagte die Detektivin und blickte zu Randy Laydon hinüber, der aufgewacht war, »Sie haben aber eine schwache Konstitution, junger Mann. Sie sollten in Zukunft mehr Sport treiben und etwas für Ihre Gesundheit tun.«

Randy Laydon blickte auf seine Beine und holte tief Luft.

»Sie brauchen gar nichts zu sagen, junger Mann«, meinte Lady Agatha, »Sie haben mir das falsche Bein gezeigt. Ich möchte nur wissen, was Sie damit eigentlich bezweckten.«

»Ich habe doch die ganze Zeit über was sagen wollen«, verteidigte sich der junge Mann resignierend.

»Und warum haben Sie das nicht getan?« raunzte sie ihn an, »bin ich eine Hellseherin, habe ich Röntgenaugen?«

»Man wird die Schienen umgehend neu anlegen«, warf Josuah Parker ein.

»Was mich aber nicht mehr interessiert«, erklärte die ältere Dame, »Mr. Parker, übernehmen Sie diese Routinearbeit.«

»Wie Mylady wünschen«, lautete Parkers Antwort, »anschließend könnte man Mr. Laydon einladen, einen Blick auf die vier Männer zu werfen.«

»Nun gut, aber ich werde nichts überstürzen«, sagte die ältere Dame, »alles zu seiner Zeit, Mr. Parker. In zehn Minuten beginnt eine Fernseh-Show, die ich mir unbedingt ansehen muß. Dabei möchte ich auf keinen Fall gestört werden.«

»Mylady können sich darauf verlassen.« Parker war ungemein erleichtert. Saß seine Herrin erst mal vor dem Fernsehgerät, ließ sie sich kaum ablenken. Für den Butler bedeutete das Zeit und Gelegenheit, sich mit den Besuchern auf seine sehr persönliche Art und Weise zu befassen.

*

Auch Parker nahm sich Zeit.

Er hatte Randy Laydons zweiten Telefonanruf keineswegs vergessen. Der junge Mann hatte mit einem gewissen Les Clapping gesprochen, mit dessen Ankunft fest zu rechnen war. Schließlich hatte Laydon, dessen Bein inzwischen richtig geschient worden war, um schnelle Hilfe und um Abholung gebeten. Solch ein Hilferuf konnte nicht in den Wind gesprochen worden sein.

Josuah Parker hatte die Geräusche der Wählscheibe noch nicht identifiziert, wußte aber bereits, daß es sich um Ortsgespräche gehandelt hatte. Auch dieser Les Clapping mußte sich demnach in der nahen Umgebung aufhalten.

Josuah Parker begab sich hinauf in sein Zimmer, öffnete die schwarze Ledertasche, die seine persönlichen Utensilien enthielt, und sichtete gewisse Bestände. Es zahlte sich wirklich wieder mal aus, daß er stets über eine gewisse Grundausstattung verfügte. So standen ihm die Gabelschleuder zur Verfügung, das zusammensetzbare Blasrohr und andere, völlig verspielt und harmlos aussehende Dinge, die in seiner Hand jedoch bemerkenswerte Verteidigungswaffen werden konnten. Der Butler entschied sich für die Gabelschleuder, versorgte sich mit der passenden Munition und begab sich gemessen zurück in die Halle. Er befand sich noch auf der Treppe, als die Türglocke sich meldete.

Parker durchmaß die Halle, ließ die schwere Eichentür aber im wahrsten Sinn des Wortes links liegen und blickte durch ein Erkerfenster zur Außenseite der Tür. Vor ihr stand ein schlanker, mittelgroßer Mann von schätzungsweise vierzig Jahren, der gerade verstohlen eine Pistole durchlud. Anschließend ließ der Mann die Waffe dann unter dem Sakko verschwinden.

Parker begab sich zurück zur Tür und öffnete sie. Dabei blieb er im Schutz des schweren Türblatts und wartete, bis der Besucher die Schwelle überschritten hatte. Als dies der Fall war, drückte Josuah Parker das Türblatt wieder energisch zurück in den Rahmen. Der eintretende Mann kam auf diese Art mit den Eichenbohlen in eine Berührung, die man nur als innig bezeichnen konnte. Seine Nase wurde seitlich weggedrückt, verformte sich dabei und sorgte dafür, daß eine Tränenflut die Augen überschwemmte. Bevor der Mann sich von seiner Überraschung erholt hatte, stand Josuah Parker bereits dicht vor ihm, denn nun hatte er die Tür erneut geöffnet.

»Sie sehen meine Wenigkeit bestürzt«, entschuldigte sich der Butler, »sollte man davon ausgehen, daß Sie sich leicht verletzt haben?«

»Sie Idiot«, fluchte der Mann und hielt sich mit der rechten Hand die Nase. Parker ging auf diesen Gruß erst gar nicht ein, sondern griff ungemein schnell und geschickt zu. In wenigen Sekunden brachte er die Pistole in seinen Besitz und ließ sie unter dem Zweireiher verschwinden. Ein professioneller Taschendieb hätte es nicht schneller gekonnt.

»Hat man die Ehre mit Mr. Les Clapping?« erkundigte sich Parker.

»Woher... Woher kennen Sie mich?« fragte der Mann verblüfft.

»Es handelte sich um eine Vermutung, die durch Ihre Frage zur Gewißheit wurde«, erklärte der Butler, »Sie haben die Absicht, Mr. Randy Laydon abzuholen?«

»Wie geht es ihm?« Der Mann schaute sich neugierig in der großen Halle um.

»Mr. Laydon zog sich einen Beinbruch zu«, erwiderte der Butler, »nach Lage der Dinge und der Fraktur dürfte mit einem normalen Heilungsprozeß zu rechnen sein.«

»Sie sind hier der Butler? Führen Sie mich zu Laydon ...«

»Sie arbeiten wahrscheinlich nicht für die Firma Tanfield?«

»Hören Sie mal, wollen Sie mich etwa verhören? «

»Meine Wenigkeit wäre bestürzt, wenn Sie dies so und nicht anders auffassen würden.«

»Nun machen Sie schon, oder muß ich Sie erst anheizen? Ich will Laydon mitnehmen, klar?«

»Könnten Sie sich freundlicherweise ausweisen?«

»Klar doch«, sagte der Mann und produzierte ein schiefes Grinsen, was wohl mit seiner jetzt ein wenig schiefen Nase zusammenhing. Dann langte der Mann nach seiner durchgeladenen Waffe, die allerdings nicht mehr dort war, wo er sie vermutete. Die Verblüffung war deutlich zu erkennen. Der Mann hüstelte, blickte zu Boden und wußte nicht recht, wie er sich verhalten sollte.

»Sie vermissen etwas?« erkundigte sich Parker.

»Nein, nein, wie kommen Sie darauf?« Der Mann, der offenbar Les Clapping war, langte noch mal zur Innentasche seines Sakkos und holte eine Art Ausweis hervor. Es handelte sich um ein Plastikschild, auf dem sein Foto zu sehen war.

»Ich liefere Kies, Mutterboden und Schotter«, sagte er dazu, »und bin Abbruchunternehmer. «

»Und Mr. Laydon ist Ihr Angestellter?«

»Richtig«, erwiderte Les Clapping und ließ die Plastikkarte wieder verschwinden, »kann ich jetzt endlich Laydon sehen? Ich habe es eilig.«

»Folgen Sie meiner Wenigkeit«, bat Parker und schritt voraus, »ich werde Sie sofort zu Mr. Laydon führen.«

»Nehmen Sie die Flossen hoch«, befahl Les Clapping unmittelbar darauf. Parker spürte einen harten Gegenstand, der sich gegen sein Rückgrat drückte, »machen Sie ganz schnell, Mann, oder ich verpasse Ihnen eine blaue Bohne!«

*

»Sie setzen meine bescheidene Person in eine gewisse Bestürzung«, sagte Parker, der die Arme selbstverständlich nicht anhob, »glauben Sie wirklich, mit einem sozusagen nackten Zeigefinger Angst oder Panik auslösen zu können?«

Parker wandte sich um, und Les Clapping blickte gerade wütend auf seinen Zeigefinger, den er als Pistolenersatz benutzt hatte. Danach wollte Clapping sich auf den Butler stürzen und ihn niederschlagen. Er holte mit seiner rechten Hand dazu weit aus und ... ließ die Faust dann in der Luft schweben, als Parker ihm die Pistole zeigte.

»Wo ... Woher haben Sie denn die?« fragte Les Clapping verblüfft.

»Sie müssen sie verloren haben«, sagte Parker ausweichend, »besteht nun Ihrerseits weiterhin die Absicht, tätlich zu werden, Mr. Clapping?«

»Zum Teufel, ich hab’ Sie unterschätzt. Sie sind gerissen. Verdammt, wie sind Sie nur an meine Kanone gekommen?«

»Man sollte dieses unwichtige Thema nicht weiter vertiefen«, schlug der Butler vor, »Sie stehen in gewisser Konkurrenz zu der Firma des Mr. Carl Tanfield?«

»Mann, wie kommen Sie denn darauf?« Clapping sah den Butler abschätzend an und suchte verstohlen nach einer Waffe. Seine Augen waren unruhig geworden, sein Blick tastete die Kamingarnitur ab.

»Mr. Laydon, nach Ihren Worten wurde Ihr Mitarbeiter von Männern verfolgt, die eindeutig zur Firma Tanfield gehören«, beantwortete der Butler die Frage.

»Also gut, wir sind uns nicht gerade grün«, räumte Les Clapping ein, »es geht da um den Straßenbau.«

»Könnten Sie eventuell noch weitere Informationen liefern?« erkundigte sich Parker gemessen.

»Tanfield ist da ganz groß eingestiegen und braucht Kies und Schotter, kapieren Sie das, Mann? Schön, ich kann ihm das verkaufen, aber wir können uns nicht über den Preis einigen. Er will so gut wie gar nichts bezahlen und läßt das Zeug jetzt von der Konkurrenz ranschaffen.«

»Demnach müssen Sie, was Ihr Angebot betrifft, teuer sein.«

»Ich verlange nur normale Preise, aber ich liefere nicht zum Nulltarif«, sagte Les Clapping, »aber was geht das Sie überhaupt an, verdammt? Ich bin Ihnen doch nicht Rechenschaft schuldig, oder?«

»Natürlich nicht, Mr. Clapping«, entgegnete der Butler höflich, »Sie beurteilen das völlig richtig, wenn man so sagen darf. Sie haben Mr. Laydon als eine Art Spion oder Agent in die Firma Tanfield geschickt?«

Butler Parker 141 – Kriminalroman

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