Читать книгу Die Geschichte des Deutschen Ritterordens - Gustav Freytag - Страница 8
Ihre älteste Regel und Zusätze
ОглавлениеSo entstand der Orden, welcher unter allen ritterlichen Bruderschaften die größte Bedeutung gewinnen sollte, aus einer deutschen Bürgerstiftung. Und für seine ganze Geschichte sollte der Zusammenhang mit dem Bürgertum entscheidend werden. Daß er Städtegründer, Schützer und Teilnehmer an dem Großhandel der Nordmeere wurde, das gab ihm die beste Kraft; als die Ordensinteressen und die der Städte sich feindlich schieden, verging er.
Die Dienstleute St. Mariens vom deutschen Hause, wie sie in ihrer ältesten Regel genannt werden, sind begebene Menschen unseres Herrn Christus, sie sind ausgenommen von jedem weltlichen Gericht, ihnen ist geboten Keuschheit, Verzicht auf eigenen Willen und Verzicht auf eigenen Besitz. Nur der Orden darf besitzen Land und Gebäude, Renten, Weib und Mann. Zum Andenken daran, daß der Orden eher Spital hatte als Ritterschaft, soll er in seinem obersten Hause oder wo sonst der Meister mit dem Kapitel (der Genossenschaft) beschließt, ein Hospital halten für alle Zeit.
Wer in das Hospital aufgenommen wird, soll zuerst beichten, wenn er die Kraft hat; seine Habe soll der Bruder des Hospitals verzeichnen. Die Siechen sollen alle Tage ihre Krankenkost bekommen, bevor die Brüder essen, der Orden soll ihnen nach Vermögen Ärzte halten, und ein Nachtlicht darf ihnen nie fehlen. Man soll ihnen in Demut und Treue dienen. –
Um die großen Kosten des Hospitals zu decken, darf man mit Erlaubnis des Meisters Almosenbitter in das Land senden, Leute von geistlichem Leben, erfahren und mäßig.
Der Orden besteht aus – wenigen – Geistlichen und aus Laien, welche die Hauptmasse und Stärke des Ordens sind; beide sollen fromm ihren Gottesdienst halten, siebenmal im Jahre das Abendmahl nehmen. Wenn ein Bruder stirbt, soll man seine besten Kleider und des Bruders Speise und Trank 40 Tage einem Armen geben.
Die Brüder sollen Hemden, Niederkleid und Beinstrümpfe, Leilach (Leinlaken) und Bettgewand von Leinwand haben, Pelz, Kürse (Pelzrock) und Bettdecke sollen nur von Schaf- und Geißfell sein, aber Geißfell soll nur erhalten, wer es verlangt. Von den Laienbrüdern sollen die Ritterbrüder weiße Mäntel tragen, sonst in Kleidern von den übrigen Laienbrüdern nicht unterschieden sein; alle Brüder aber tragen an Mantel, Kappe (Kutte mit Ärmeln) und Wappenrock ein schwarzes Kreuz. Wer neues Gewand erhält, soll das alte zurückgeben für die Knechte und Armen. Alle sollen ihr Haar kurz geschoren tragen, die Brüderpfaffen nicht zu kleine Platte, die Laienbrüder mäßige Bärte. – Der Vollbart wurde bald gegenüber der Rittermode das charakteristische Kennzeichen der Ordensbrüder und „die Bärtigen“ ihr Beiname.
Bei Tische sprechen die Pfaffen den Segen und die Laien ein Paternoster und Ave-Maria [Vaterunser und „Gegrüßet seist du, Maria“ (Gebet)]. Drei Tage in der Woche dürfen sie Fleisch essen, drei Tage Molken und Eier, am Freitag Fastenspeise, bei Schwachen und Kranken darf man die Kost bessern. In ihrem Haus essen die Brüder zwei und zwei miteinander, nur Mus und Trank hat jeder allein. In allen Häusern, wo ein Konvent der Brüder ist, nämlich nach der Zahl der Apostel zwölf Brüder und ein Komtur, soll man die Lektion bei Tische halten, und alle Essenden sollen schweigen. Sonst soll man bei Tische wenig reden, wenn nicht der Oberste Gästen zu Gefallen Erlaubnis gibt. Angebrochenes Brot soll man nach Tische als Almosen geben, außerdem den zehnten Teil alles Brotes, das in dem Ofen des Hauses gebacken wird. An bestimmten Tagen sollen die Brüder fasten, an jedem Fasttage haben die Brüder eine Abendkollation, diesen Trank sollen sie tun zwischen Vesper und Komplet (dem letzten Gottesdienst), und dabei von ehrsamen Dingen leise sprechen. Alle Brüder sollen in einem Raume schlafen, begürtet mit Hemd, Niederkleid und Hosen, jeder in besonderem Bett, ausgenommen die im Dienst des Ordens anderswo schlafen. In der gemeinsamen Schlafstelle soll jede Nacht Licht brennen. Wenn die Komplet gesprochen ist, dann sollen die Brüder schweigen, bis die Prime (Morgengottesdienst) des nächsten Tages gesungen ist, außer in Notfällen.
Kein Bruder darf ein Siegel haben, keiner Briefe absenden oder lesen ohne Erlaubnis des Oberen, der Vorlesung fordern darf. Die Brüder dürfen tauschen oder verschenken, was sie aus Holz für sich gemacht haben [Es sind wohl Armbrüste, Speere und Pfeile gemeint.]. Kein Bruder im Haus darf ein Schloß an Truhe und Schrein legen.
Rosse, Waffen, Knechte und was dem Bruder zum Streite nötig und erlaubt ist, soll er nach Landesgewohnheit führen (nicht selbst besitzen), aber nicht Silber, Gold und weltliche Farben an Schild, Sattel, Zaum. Sattel, Schaft und Schild sollen keine Überdecke haben. Rosse oder Waffen, die einem Bruder verliehen sind, darf der Obere ohne Widerspruch anderen geben; niemand soll bestimmte Waffen und Rosse fordern, hat er Einwand gegen die zugeteilte Rüstung, so soll er ihn demütig kundgeben. – Jagd mit Hunden und Federspiel sollen die Brüder nicht üben. Wo Jäger nützlich sind, darf der Orden sie halten, und die Brüder dürfen sie zum Schutz geleiten, nur wilde Tiere dürfen sie töten, ohne Jagdhunde, und Vögel schießen zur Übung.
Die Brüder sollen einträchtig leben in Sanftmut von niemandem Übles raunen, nicht von vergangenen Taten, nicht afterreden, nicht lügen, fluchen, schelten, streiten, prahlen, nicht schlagen und nicht drohen. Hat ein Bruder den andern erzürnt, soll er ihn um Verzeihung bitten, bevor die Sonne untergeht.
Bei allen Geschäften, welche die Ordensgemeinde angehn, bei Einsetzung und Absetzung, bei Landverkauf, bei Aufnahme von Brüdern, soll der Meister alle gegenwärtigen Brüder versammeln, dem besseren Rat der Brüder sollen Meister oder Obere folgen, aber sie selbst sollen entscheiden, welcher der bessere Rat sei.
Brüder auf der Wegefahrt sollen gutes Beispiel geben; Herbergen von bösem Leumund sollen sie meiden. Zu Hochzeiten, Rittergesellschaften und weltlichen Spielen sollen die Brüder selten gehn; wo man Argwohn haben kann, sollen sie das Gespräch mit Frauen, zumeist mit jungen, meiden; Frauen dürfen sie nicht küssen, auch nicht ihre eigene Mutter oder Schwester. Gebannte Leute sollen sie meiden, und Gevatter sollen sie nur stehn, wenn das Kind in Todesgefahr ist.
Keinen Knaben soll man vor dem 14. Jahre beim Orden annehmen. Kein Weib soll man zur Gesellschaft in den Orden nehmen, denn oft geschieht es, daß männliche Kraft durch Heimlichkeit des Weibes schädlich erweicht wird. Doch zum Krankendienst und beim Vieh darf man Frauen als Mitschwestern annehmen, sie aber sollen getrennt von der Wohnung der Brüder hausen.
Auch weltliche Leute darf man in die Heimlichkeit des Ordens aufnehmen, verheiratete und ledige, als Mitbrüder und Mitschwestern, wenn sie darum bitten, wenn sie würdig sind und wenn sie ihr Gut gegen Leibgedinge (bestimmtes Jahreseinkommen) oder doch jährliche Spenden dem Orden geben.
Der Meister soll ein Stab sein der Schwachen und ein Züchtiger der Ungehorsamen, deshalb soll er Stab und Gerte in seiner Hand führen. Er hat Gewalt, von allen diesen Gesetzen zu befreien, nur nicht von Keuschheit, Armut und Gehorsam.
Das war die älteste Regel des deutschen Hauses, wie sie sich zuerst aus den Statuten der Hospitaliter und Templer, demnächst aus Verordnungen der Päpste bis zur Eroberung Preußens bildete, ein ehernes Band, das die Selbstwilligkeit brach und den einzelnen dem Orden als Werkzeug untergab. Diese alte Regel wurde durch spätere „Gesetze“, d. h. Bestimmungen, welche sich die Brüder selbst gesetzt, und durch „Gewohnheiten“ vermehrt und verändert, in dem Ordensstatut das Neue an das Alte hängt. Aber man suchte in jener Zeit nicht System und Folgerichtigkeit des geschriebenen Status, das ehrwürdige Alte blieb in den Formeln bestehn, auch wenn es dem Zusatz sich nicht recht fügen wollte. Aus diesen ältesten Zusätzen nur folgendes:
Kein Bruder soll aus Bequemlichkeit oder zum Scherz barfuß gehen, keiner soll mit dem andern auf einem Pferde reiten, außer in Not. Der ungelehrte Bruder soll in dem Orden ohne Erlaubnis nicht lernen, die vorher gelehrt waren, mögen das wohl fortsetzen, wenn sie wollen; kein Laienbruder soll Pfaffe werden und kein Pfaffe zur hohen Schule fahren ohne des Meisters Erlaubnis. Drei Tische sollen im Konvent sein, der Meister und alle gesunden Brüder sitzen an der Konventstafel, alle erhalten gleiche Speise, der Meister aber vierfache Portionen, damit er den Brüdern sende, welche in Buße sitzen. Nach der Konventstafel essen die dienenden Brüder am zweiten Tisch; die Knechte, welche auf Arbeit waren, am dritten Tisch. Außerdem gibt es eine Tafel von Krankenkost, die Firmarientafel. Bedarf der Meister aber besserer Speise, so mag er an der Krankentafel essen oder allein. Jeden Freitag, außer an Festtagen des Ordens, soll jeder Bruder seine Juste (sein Gerechtes) – die üblichen Ruten- oder Geißelhiebe der Mönchsorden – erhalten.
Wer zur Jahrbuße verurteilt ist, der soll ein Jahr in einem Sklavenmantel gehen, soll dienen mit einer Kappe ohne Kreuz, mit den Knechten essen und auf der Erde sitzen, drei Tage in der Woche mit Wasser und Brot fasten, davon können ihm zwei aus Gnade erlassen werden. Jeden Sonntag soll er von dem Priester in der Kirche vor dem Volk seine Rutenhiebe empfangen. War das Ärgernis, das er weltlichen Leuten gab, nicht so groß, so soll er die Streiche nur von dem Kapitel erhalten. Die schwerste Schuld des Bruders ist, wenn er durch Simonie (Kauf des Amtes) oder mit Lüge in den Orden kommt, wenn er einen andern um Bestechung aufnimmt, wenn er verschwiegen hat, was seine Aufnahme gehindert hätte, wenn er feige fahnenflüchtig wird, wenn er von den Christen zu den Heiden fährt, ohne seinen Glauben aufzugeben, wenn er geheime Sünde tut.
Wer als Bruder in den Orden aufgenommen wird, der soll vorher von einem Bruder in den Ordensgebräuchen unterrichtet werden; wird er eingeführt, so soll er niederknien vor dem Meister oder dem Kapitel und soll um Aufnahme bitten um seiner Seele willen. Dann soll der Meister antworten: „Die Brüder haben Eure Bitte gehört für den Fall, daß Ihr nicht Dinge an Euch habt, die ich Euch fragen werde. Das erste ist, ob Ihr Euch nicht in einen andern Orden verlobt habt, oder ob Ihr einem Weibe durch Gelübde gebunden seid, oder ob Ihr eigen seid einem Herrn, oder ob Ihr eine Schuld auf Euch habt, die den Orden beschweren könnte, oder ob Ihr geheime Krankheit habt, und wäre eins dieser Dinge an Euch, und Ihr saget uns das nicht, und wir erfahren es später, so könnt Ihr unser Bruder nicht sein und habt den Orden verloren.“ Spricht der Neue aber, daß er dieser Dinge nicht schuldig ist, so soll ihm der Meister das vorlegen, wodurch er ihn an den Orden bindet. Erstens, daß er gelobe, den Siechen zu dienen, zweitens, das heilige Land zu beschirmen und andere Lande, die dazu gehören; das dritte ist, ob er einen Beruf verstehe, den soll er dem Meister angeben und ihn üben nach des Meisters Willen; dann soll er geloben, zu hehlen des Kapitels Rat und des Meister heimliche Tat; nicht aus dem Orden zu treten ohne Erlaubnis in ein anderes Leben, und endlich, zu halten die Regel und die Gewohnheit des Ordens. Darauf erfolgt die Aufnahme mit Probezeit (Probacie), wenn der Neue diese begehrt, und die kirchliche Einweihung. Der Orden aber gelobt dem Bruder, den er aufnimmt: Wasser, Brot und alte Kleider.
Jedermann, der als Bruder in den Orden aufgenommen wird, soll gefragt werden, ob er das Kredo (Glaubensbekenntnis) und das Paternoster kann. Kann er es nicht, so soll er es bei den Priestern heimlich lernen in dem ersten Halbjahr. Tut er das nicht und versäumt es aus eitlem Sinn, so soll er dafür drei Tage büßen, und lernt er es nicht auswendig im zweiten Halbjahr, so hat er den Orden verloren, wenn nicht der Meister und die Brüder Gnade üben.
Wer den Orden zweimal verlassen hat und zum zweitenmal wiederkommt, der soll nicht aufgenommen werden, außer wenn er Jahrbuße tut. Geht ein Bruder in einen andern Orden über, so soll er sein Amt abgeben und seine Rüstung und soll sich melden, wenn der Meister in dem Kapitel spricht: „Hat jemand in dem Orden zu bedenken seiner Seele Heil, der nehme Urlaub.“ Kommt er aber wieder, so soll er in dem Kapitel sprechen: „Brüder, ich bin wiedergekommen mit meinem Willen.“
Wenn ein Meister stirbt, so soll sein Stellvertreter den Komturen (Vorgesetzte der Ritter) von Deutschland, Preußen, Livland einen Wahltag entbieten. Auch soll man besenden die Komture von Apulien und den anderen Landen, daß sie kommen, wenn die Zeit das erlaubt; jeder von ihnen soll erscheinen und mit sich den besten seiner Brüder bringen; sind die Zugereisten und die Brüder in dem Kapitel versammelt, so soll der, der an Meisters Statt ist, einen Ritterbruder zum Wahlkomtur ernennen, und der Wahlkomtur soll einen zweiten Bruder wählen nach seinem Gewissen, die zwei den dritten, die drei den vierten und so fort bis zu dreizehn; einer soll ein Priester sein, acht Ritterbrüder und vier andere Brüder, womöglich jeder von einem anderen Lande, nicht die Mehrzahl von einem, die Minderzahl von einem zweiten. Die dreizehn sollen lautere Wahl beschwören und keinen wählen, der nicht ein ehelich Kind ist oder der wegen Unkeuschheit oder Dieberei Jahrbuße getan hat. Bei der Wahl soll der Wahlkomtur zuerst den Namen nennen, der ihm der beste dünkt, dann soll er jedem befehlen, daß er mit lauterem Herzen sage, wen er zum Meister wolle; ist die Mehrzahl auf einen gefallen, so ist die Wahl vollendet und gültig, dann sollen sie es dem Konvent verkünden, die Pfaffenbrüder sollen das festliche Tedeum (Lobgesang) anheben und die Glocken läuten, und der an des Meisters Statt war, soll dem Erwählten vor dem Altar das Amt des Meister überantworten mit Fingerring und Insiegel und ihn an die Pflicht seines Amtes mahnen, damit er am jüngsten Tage vor Gott bestehen möge. Dann soll der Meister den Bruder Priester küssen und den, der ihm Ring und Insiegel übergeben hat.
Unter dieser Regel hat die Genossenschaft der Dienstleute von St. Marien Völker bezwungen, Könige besiegt, über große Länder geherrscht; ihre Geschichte ist eng verwachsen mit vielen großen Erinnerungen unseres Vaterlandes. Und doch ist ihre Verfassung oft mißverstanden worden, auch in neuer Zeit.