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DIE ARGONAUTEN ZU LEMNOS

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Auf dieser Insel hatten das Jahr zuvor die Weiber alle ihre Männer, ja das ganze männliche Geschlecht, vom Zorn Aphroditens verfolgt und von Eifersucht getrieben, weil jene sich Nebenweiber aus Thrakien geholt hatten, ausgerottet. Nur Hypsipyle hatte ihren Vater, den König Thoas, verschont und in einer Kiste dem Meere zur Rettung übergeben. Seitdem fürchteten sie unaufhörlich einen Angriff von seiten der Thrakier, der Verwandten ihrer Nebenbuhlerinnen, und blickten oft mit ängstlichen Augen nach der hohen See hinaus. Auch jetzt, wo sie das Schiff Argo heranrudern sahen, stürzten sie alle miteinander aufgeschreckt aus den Toren und strömten, mit Waffen angetan, wie Amazonen ans Ufer. Die Helden verwunderten sich höchlich, als sie das ganze Gestade voll von bewaffneten Weibern und keinen Mann erblickten. Sie fertigten in einem Nachen einen Herold mit dem Friedensstabe an die seltsame Versammlung ab, der von den Frauen vor die unvermählte Königin Hypsipyle gebracht wurde und in bescheidenen Worten die Bitte der Argoschiffer um gastliche Rast vorbrachte. Die Königin versammelte ihr Frauenvolk auf dem Marktplatze der Stadt; sie selbst setzte sich auf den steinernen Thron ihres Vaters; ihr zunächst lagerte sich, auf einen Stab gestützt, die greise Amme; dieser zur Rechten und zur Linken saßen je zwei blondhaarige, zarte Jungfrauen. Nachdem sie der Versammlung das friedliche Ansinnen der Argonauten vorgelegt, sprach sie aufgerichtet: „Liebe Schwestern, wir haben eine große Freveltat begangen und in der Torheit uns männerlos gemacht; wir sollten gute Freunde, wenn sie sich uns darbieten, nicht zurückstoßen. Aber wir müssen auch dafür sorgen, daß sie nichts von unserer Untat erfahren. Darum ist mein Rat, den Fremden Speise, Wein und alle Notdurft in ihr Schiff tragen zu lassen und durch solche Bereitwilligkeit sie ferne von unsern Mauer zu halten.“

Die Königin hatte sich wieder niedergesetzt und dagegen die alte Amme sich erhoben. Mit Mühe richtete sie ihren Kopf aus den Schultern auf und sprach: „Sendet immerhin den Fremdlingen Geschenke: dies ist wohlgetan. Denket aber auch daran, was euch bevorsteht, wenn die Thrakier kommen. Und wenn ein gnädiger Gott diese fernehält, seid ihr darum vor allem Übel sicher? Zwar die alten Weiber, wie ich, können ruhig sein; wir werden sterben, ehe die Not dringend wird, ehe alle unsere Vorräte zu Ende sind. Ihr Jüngeren aber, wie wollet ihr alsdann leben? Werden sich die Ochsen für euch von selbst ins Joch spannen und den Pflug durchs Ackerfeld ziehen? Werden sie an eurer Statt, wenn das Jahr herum ist, die reifen Ähren abschneiden? Denn ihr selbst werdet diese und andere harte Arbeiten nicht verrichten wollen. Ich rate euch, weiset den erwünschen Schutz nicht ab, der sich euch darbietet; vertrauet Gut und Habe den edelgeborenen Fremdlingen an und laßt sie eure schöne Stadt verwalten!“ Dieser Rat gefiel allen Weibern von Lemnos wohl. Die Königin schickte eine der beisitzenden Jungfrauen mit dem Herold auf das Schiff, um den Argonauten den günstigen Beschluß der Frauenversammlung kundzutun. Die Helden waren über die Nachricht hocherfreut, sie glaubten nicht anders, als Hypsipyle sei ihrem Vater nach dessen Tode in friedlicher Übernahme der Herrschaft gefolgt. Iason warf den purpurnen Mantel, ein Geschenk der Athene, über seine Schultern und wandelte der Stadt zu, einem schimmernden Sterne ähnlich. Als er in die Tore einzog, strömten ihm die Frauen mit lautem Gruße nach und erfreuten sich des Gastes. Er aber heftete mit sittsamer Scheu die Augen auf den Boden und eilte dem Palaste der Königin zu. Dienende Mägde taten die hohen Pforten weit vor ihm auf, die Jungfrau führte ihn in das Gemach ihrer Herrin. Hier nahm er dieser gegenüber auf einem prachtvollen Stuhle Platz. Hypsipyle schlug die Augen nieder, und ihre jungfräulichen Wangen röteten sich. Verschämt wandte sie sich an ihn mit den schmeichelnden Worten: „Fremdling, warum weilet ihr so scheu außerhalb unserer Tore? Diese Stadt wird ja nicht von Männern bewohnt, daß ihr euch zu fürchten hättet. Unsere Gatten sind uns treulos geworden; sie sind mit thrakischen Weibern, die sie im Kriege erbeutet, in das Land ihrer Nebenweiber gezogen und haben ihre Söhne und männlichen Diener mit sich genommen; wir aber sind hilflos zurückgeblieben. Darum, wenn es euch gefällt, kehret hier, bei unsrem Volke, ein, und magst du, sollst du an meines Vaters Thoas Statt die Deinigen und uns beherrschen. Du wirst das Land nicht tadeln, es ist bei weitem die fruchtbarste Insel in diesem Meere. Geh daher, guter Führer, melde deinen Genossen unsern Vorschlag und bleibet nicht länger außerhalb der Stadt.“ So sprach sie und verhehlte nur die Ermordung der Männer. Ihr erwiderte Iason: „Königin, die Hilfe, die du uns Hilfsbedürftigen anbietest, nehmen wir mit dankbarem Herzen an; wenn ich meinen Genossen die Nachricht zurückgebracht habe, will ich in eure Stadt zurückkehren, aber den Zepter und die Insel behalte du selbst! Nicht als ob ich sie verachte; aber mich erwarten schwere Kämpfe im fernen Lande.“ Iason reichte der königlichen Jungfrau die Hand zum Abschiedsgruße, dann eilte er zurück ans Ufer. Bald kamen auch die Frauen auf schnellen Wagen nach, mit vielen Gastgeschenken. Ohne Mühe überredeten sie die Helden, die ihres Führers Botschaft schon vernommen hatten, die Stadt zu betreten und in ihren Häusern einzukehren. Iason nahm seine Wohnung in der Königsburg selbst, die andern da und dort; nur Herakles, der Feind weibischen Lebens, blieb mit wenigen auserlesenen Genossen zurück auf dem Schiffe. Jetzt füllten fröhliche Mahlzeiten und Tänze die Stadt; duftiger Opferdampf stieg zum Himmel; Einwohnerinnen und Gäste ehrten den Schutzgott der Insel, Hephaistos, und Aphrodite, seine Gemahlin. Von Tag zu Tag wurde die Abfahrt verschoben; und noch lange hätten die Helden bei den freundlichen Wirtinnen verweilt, wenn nicht Herakles vom Schiffe herbeigekommen wäre und die Genossen, ohne der Weiber Wissen, um sich versammelt hätte. „Ihr Elenden“, schalt er, „hattet ihr nicht genug Frauen im eigenen Lande? Seid ihr der Hochzeit bedürftig hierhergekommen? Wollt ihr als Bauern zu Lemnos das Feld pflügen? Freilich! ein Gott wird für uns das Vlies holen und es uns zu Füßen legen! Lieber lasset uns jeden in seine Heimat zurückkehren; jener mag sich mit Hypsipyle vermählen, die Insel Lemnos mit seinen Söhnen bevölkern und von fremden Heldentaten hören!“

Keiner wagte gegen den Helden, der so sprach die Augen aufzuheben oder ihm zu widersprechen. Von der Versammlung weg rüsteten sie sich zur Abfahrt. Aber die Lemnierinnen, ihre Absicht erratend, umschwärmten sie wie summende Bienen mit Klagen und Bitten. Doch ergaben sie sich zuletzt in den Entschluß der Helden. Hypsipyle trat mit tränenden Augen aus der Schar hervor, nahm Iason bei der Hand und sprach: „Geh, und mögen dir die Götter samt deinen Genossen, wie du es wünschest, das Goldene Vlies verleihen! Wenn du je zu uns zurückkehren willst, so erwartet dich diese Insel und das Zepter meines Vaters. Aber ich weiß es wohl, du hast diese Absicht nicht. So gedenke denn wenigstens meiner in der Ferne!“ Iason schied mit Bewunderung von der edlen Königin und bestieg zuerst das Schiff, nach ihm die andern Helden alle. Sie lösten die Taue, mit welchen das Fahrzeug ans Land gebunden war, die Ruderer setzten sich in Bewegung, und in kurzer Zeit hatten sie den Hellespont hinter sich.

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