Читать книгу Griechische Mythologie und die Götter der Sagen: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Gustav Schwab - Страница 51

LETZTE ABENTEUER DER HELDEN

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Wieder waren sie an mancherlei Ufern und Inseln vorübergesegelt, und schon erblickten sie in der Ferne die heimische Küste des Pelopslandes (Peloponnesos), als ein grausamer Nordstrom das Schiff erfaßte und mitten durchs Libysche Meer neun volle Tage und Nächte auf ungewissem Pfade dahinjagte. Endlich wurden sie an das Sandwüstenufer der afrikanischen Syrten verschlagen, in eine Bucht, deren Gewässer, mit dichtem Seegras und trägem Schaume bedeckt, wie ein Sumpf in starrer Ruhe brütete. Ringsum breiteten sich Sandflächen aus, auf denen kein Tier, kein Vogel sichtbar ward. Hier wurde das Schiff von der Flut so dicht aufs Gestade geschwemmt, daß der Kiel ganz auf dem Sande aufsaß. Mit Schrecken sprangen die Helden aus dem Fahrzeug, und mit Entsetzen erblickten sie den breiten Erdrücken, der sich, der Luft ähnlich, ohne Abwechslung ins Unendliche ausdehnte. Kein Wasserquell, kein Pfad, kein Hirtenhof zeigte sich. Alles ruhte in totem Schweigen. „Weh uns, wie heißt dieses Land? Wohin haben uns die Stürme verschlagen?“ So fragten einander die Genossen. „Wären wir doch lieber mitten in die schwimmenden Felsen hineingefahren! Hätten wir lieber etwas gegen den Willen des Zeus unternommen und wären in einem großen Versuch untergegangen!“ „Ja“, sagte der Steuermann Ankaios, „die Flut hat uns sitzenlassen und wird uns nicht wieder abholen. Alle Hoffnung der Fahrt und Heimkehr ist abgeschnitten; steure, wer da kann und will!“ Damit ließ er das Steuerruder aus der Hand gleiten und setzte sich weinend im Schiffe nieder. Wie Männer in einer verpesteten Stadt untätig, Gespenstern gleich, dem Verderben entgegensehen, so trauerten die Helden, dem öden Ufer entlangschleichend. Als der Abend gekommen war, gaben sie einander traurig die Hände zum Abschiede, warfen sich, ohne Nahrung genommen zu haben, der eine da, der andere dort im Sande nieder und erwarteten, in ihre Mäntel gehüllt, eine schlaflose Nacht hindurch, den Tag und den Tod. Auf einer andern Seite seufzten die phäakischen Jungfrauen, welche Medea vom König Alkinoos zum Geschenke bekommen hatte, um ihre Herrin gedrängt; sie stöhnten wie sterbende Schwäne, ihren letzten Gesang in die Lüfte verhauchend; und gewiß wären sie alle, Männer und Frauen, untergegangen, ohne daß jemand sie betrauert hätte, wenn sich nicht die Beherrscherinnen Libyens, welche drei Halbgöttinnen waren, ihrer erbarmt hätten. Diese erschienen, mit Ziegenfellen vom Hals bis an die Knöchel bedeckt, um die heiße Mittagsstunde dem Iason und zogen ihm den Mantel, mit dem er sein Haupt bedeckt hatte, leise von den Schläfen. Erschrocken sprang er auf und wandte den Blick voll Ehrfurcht von den Göttinnen ab. „Unglücklicher“, sprachen sie, „wir kennen alle deine Mühsale. Aber traure nicht länger! Wenn die Meeresgöttin den Wagen des Poseidon losgeschirret hat, so zollet eurer Mutter Dank, die euch lang im Leibe getragen; dann möget ihr ins glückselige Griechenland zurückkehren.“ Die Göttinnen verschwanden, und Iason erzählte seinen Genossen das tröstliche, doch rätselhafte Orakel. Während alle sich noch darüber staunend besannen, ereignete sich ein ebenso seltsames Wunderzeichen. Ein ungeheuerer Hengst, dem von beiden Seiten goldne Mähnen über den Nacken wollten, sprang vom Meer ans Land, schüttelte den Wasserschaum ab und stürmte davon wie mit Windesflügeln. Freudig erhub jetzt der Held Peleus seine Stimme und rief. „Die eine Hälfte des Rätselwortes ist erfüllt: die Meeresgöttin hat ihren Wagen abgeschirrt, den dieses Roß gezogen hat; die Mutter aber, die uns lang im Leibe getragen, das ist unser Schiff Argo; dem sollen wir jetzt den schuldigen Dank bezahlen. Laßt es uns auf unsere Schultern nehmen und über den Sand hintragen, den Spuren des Meerpferdes nach. Dieses wird ja nicht in den Boden schlüpfen, sondern uns den Weg zu irgendeinem Stapelplatze zeigen.“ Gesagt, getan. Die Göttersöhne nahmen das Schiff auf ihre Schultern und seufzten zwölf Tage und zwölf Nächte wandernd unter der Last. Immer ging es über öde, wasserlose Sandflächen hin; hätte sie ein Gott nicht wunderbar gestärkt, sie wären, Männer und Frauen, am ersten Tage erlegen. So aber kamen sie endlich glücklich an die tritonische Meerbucht; hier ließen sie ihre Last von den Schultern gleiten und suchten, vom Durste gepeinigt wie wütende Hunde, nach einem Quell. Unterwegs begegnete der Sänger Orpheus den Hesperiden, den lieblich singenden Nymphen, welche auf dem heiligen Felde saßen, wo der Drache Ladon die goldenen Äpfel gehütet hatte. Diese flehte der Sänger an, den Schmachtenden eine Wasserquelle zu zeigen. Die Nymphen erbarmten sich, und die vornehmste unter ihnen, Aigle, fing an zu erzählen: „Gewiß ist der kühne Räuber, der gestern hier erschienen ist, dem Drachen das Leben und uns die goldenen Äpfel genommen hat, euch zum Heile gekommen, ihr Fremdlinge. Es war ein wilder Mann, seine Augen funkelten unter der zornigen Stirne; eine rohe Löwenhaut hing ihm über die Schultern, in der Hand trug er eine Keule von Olivenholz und die Pfeile, mit welchen er das Ungeheuer erlegt hat. Auch er kam durstig von der Sandwüste her; da er nirgends Wasser fand, stieß er mit seiner Ferse an einen Felsen. Wie von einem Zauberschlag entfloß diesem reichliches Wasser, und der schreckliche Mann legte sich bis an die Brust auf den Boden, stemmte sich mit beiden Händen an den Felsen und trank nach Herzenslust, bis er wie ein gesättigter Stier sich auf die Erde legte.“ So sprach Aigle und zeigte ihnen den Felsquell, um den bald alle Helden sich drängten. Der erfrischende Trunk machte sie wieder fröhlich, und: „Wahrlich“, sprach einer, nachdem er die brennenden Lippen noch einmal genetzt, „auch getrennt von uns hat Herakles seine Genossen noch gerettet! Möchten wir ihm doch auf unserer ferneren Wanderung noch begegnen!“ So machten sie sich auf, der eine da-, der andere dorthin, den Helden zu suchen. Als sie wieder zurückgekommen waren, glaubte ihn nur der scharfblickende Lynkeus von ferne gesehen zu haben, aber nur etwa so, wie ein Bauer den Neumond hinter Wolken erblickt zu haben meint, und er versicherte, daß niemand den Schweifenden erreichen werde. Endlich, nachdem sie durch unglückliche Zufälle zwei Genossen verloren und betrauert hatten, bestiegen sie das Schiff wieder. Lange suchten sie vergebens aus der tritonischen Bucht in die offene See zu gelangen; der Wind blies ihnen entgegen, und das Schiff kreuzte unruhig in dem Hafen hin und her wie eine Schlange, die vergebens aus ihrem Versteck hervorzudringen strebt und zischend mit funkelnden Augen ihr Haupt da- und dorthin kehrt. Auf den Rat des Sehers Orpheus stiegen sie daher noch einmal ans Land und weihten den einheimischen Göttern den größten Opferdreifuß, den sie im Schiffe besaßen und den sie am Gestade zurückließen. Auf dem Rückwege begegnete ihnen der Meeresgott Triton in Jünglingsgestalt. Er hub eine Erdscholle vom Boden auf und reichte sie als Zeichen der Gastfreundschaft dem Helden Euphemos, der sie in seinem Busen barg. „Mich hat der Vater“, sprach der Meergott, „zum Beschirmer dieser Meeresgegend gesetzt. Sehet, dort, wo das Wasser in unbewegter Tiefe dunkelt, dort ist der schmale Ausweg aus der Bucht ins offene Meer: dorthin rudert; guten Wind will ich euch schicken. Dann seid ihr nicht mehr ferne von der Pelopsinsel!“ Lustig stiegen sie ins Schiff; Triton nahm den Dreifuß auf die Schulter und verschwand damit in den Fluten. Nun kamen sie, nach einer Fahrt von wenigen Tagen, unangefochten nach der Felseninsel Karpathos und wollten von da nach dem herrlichen Eilande Kreta hinüberschiffen. Der Wächter dieser Insel war aber der schreckliche Riese Talos. Er war allein noch übrig aus dem ehernen Geschlechte der Menschen, welche einst Buchen entsprossen waren, und Zeus hatte ihn Europa als Schwellenhüter geschenkt, daß er dreimal des Tages mit seinen ehernen Füßen die Runde auf der Insel machen sollte. Dieser war am ganzen Leibe von Erz und deswegen unverwundlich, nur am einen Knöchel hatte er eine fleischerne Sehne und eine Ader, darin Blut floß. Wer diese Stelle wußte und sie treffen konnte, durfte gewiß sein, ihn zu töten; denn er war nicht unsterblich. Als die Helden auf die Insel zuruderten, stand er auf einer der äußersten Klippen mit seiner Wacht beschäftigt; sobald er ihrer ansichtig ward, bröckelte er Felsblöcke los und fing an, sie gegen das herannahende Schiff zu schleudern. Erschrocken ruderten die Argonauten rückwärts; sie hätten, obwohl aufs neue von Durst geplagt, das schöne Kreta auf der Seite gelassen, hätte sich nicht Medea erhoben und den Erschrockenen zugeredet: „Höret mich, Männer! Ich weiß, wie dieses Ungeheuer zu bändigen ist. Haltet das Schiff nur außerhalb der Steinwurfweite!“ Dann hob sie die Falten ihres purpurnen Gewandes empor und bestieg die Schiffsgänge, über welche Iasons Hand sie hinleitete. Mit schauerlicher Zauberformel rief sie dreimal die lebenraubenden Parzen an, die schnellen Hunde der Unterwelt, die, durch die Lüfte schweifend, allenthalben nach den Lebendigen jagen. Hierauf verzauberte sie die Augenlider des ehernen Talos, daß sie sich schlossen, und ließ schwarze Traumbilder vor seine Seele treten. Betäubt stieß er – sich nach Steinblöcken bückend, um damit den Hafen zu verteidigen – den fleischernen Knöchel an eine spitze Felsenkante, daß das Blut wie flüssiges Blei aus der Wunde quoll. Wie eine halb angehauene Fichte der erste Windstoß erschüttert und sie endlich krachend in die Tiefe stürzt, so taumelte auch Talos noch eine kurze Zeit auf seinen Füßen und stürzte dann entseelt mit ungeheurem Schall in die Meerestiefe.

Jetzt konnten die Genossen ungefährdet landen und erholten sich auf dem gesegneten Eilande bis zum Morgen. Kaum über Kreta hinausgeschifft, erschreckte sie ein neues Abenteuer. Eine entsetzliche Nacht brach ein, die kein Strahl des Mondes, kein Stern erleuchtete; als wäre alle Finsternis aus dem Abgrunde losgelassen, so schwarz war die Luft; sie wußten nicht, ob sie auf dem Meere oder in den Fluten des Tartaros schifften. Mit aufgehobenen Händen flehte Iason zu Phöbos Apollo, sie aus diesem gräßlichen Dunkel zu befreien; Angsttränen stürzten ihm von den Wangen, und er versprach dem Gotte die herrlichsten Weihgeschenke. Dieser vernahm sein Flehen, er kam vom Olymp hernieder, sprang auf einen Meerfels, und den goldenen Bogen hoch in den Händen haltend, schoß er silberne Lichtpfeile über die Gegend hin. In dem plötzlichen Lichtglanze zeigte sich ihnen eine kleine Insel, auf welche sie zusteuerten und wo, vor Anker gelegt, sie die tröstliche Morgenröte erwarteten. Als sie wieder im heitersten Sonnenglanze auf der hohen See dahinfuhren, da gedachte der Held Euphemos eines nächtlichen Traumes. Ihm hatte gedeucht, die Erdscholle des Triton, die er an der Brust liegen hatte, tränke sich voll Milch, beginne sich zu beleben und gestalte sich zu einer lieben Jungfrau, die sprach: „Ich bin die Tochter des Triton und der Libya, vertraue mich den Töchtern des Nereus an, daß ich im Meere wohne bei Anaphe; dann werde ich wieder ans Sonnenlicht hervorkommen und deinen Enkeln bestimmt sein.“ An diesen Traum erinnerte sich jetzt Euphemos, denn Anaphe hatte die Insel geheißen, bei der sie den Morgen erwartet hatten. Iason, dem der Held den Traum erzählte, verstand seinen Sinn alsbald: er riet dem Freunde, die Erdscholle, die er auf dem Herzen trug, in die See zu werfen. Dieser tat es, und siehe da, vor den Augen der Schiffenden erwuchs aus dem Meeresgrund eine blühende Insel mit fruchtbarem Rücken. Man nannte sie Kalliste, das heißt die Schönste, und Euphemos bevölkerte sie in der Folge mit seinen Kindern.

Dies war das letzte Wunder, das die Helden erlebten. Bald darauf nahm sie die Insel Ägina auf. Von dort der Heimat zusteurend, lief ohne weiteren Unfall das Schiff Argo mit seinen Helden glücklich in den Hafen von Iolkos ein. Iason weihte das Schiff auf der korinthischen Meerenge dem Poseidon, und als es längst in Staub zerfallen war, glänzte es, in den Himmel erhoben, am südlichen Firmament als ein leuchtendes Gestirn.

Griechische Mythologie und die Götter der Sagen: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums

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