Читать книгу Menssi, das traurige Waisenhäschen - Guy Dantse - Страница 5
Bevor die Geschichte erzählt wird
Оглавление„Kuchen ist fertig und steht auf dem Tisch. Kommt Kinder und bedient euch. Ich hüpfe unter die Dusche“, sagte Mia, die Mutter von Bouba.
Sie hatte den Lieblingskuchen von Bouba gebacken: Marmorkuchen mit Schokoladenguss.
Jonas und Hakan waren gerade zu Besuch bei Bouba und sie spielten in seinem Zimmer, als sie den Aufruf von Mia hörten. Sie rannten schnell an den Tisch und fingen an sich zu bedienen. Im diesen Moment kam Bell, der Vater von Bouba.
„Was ist los? Warum streitet ihr euch?“, fragte er.
„Papa, das ist Jonas. Er will mein Stück nehmen“, beklagte sich Bouba.
„Das stimmt nicht, ich war der erste, der das große Stück nehmen wollte. Das gehört mir“, entgegnete Jonas.
Jonas und Bouba kämpften weiter, um das größte Stück zu nehmen, während Hakan nur ruhig zuschaute.
„Stopp, ihr beiden“, sagte Bell und trug den Teller mit dem Kuchen weg.
„Bouba, das sind unsere Gäste. Der Gastgeber gibt dem Gast immer das beste Stück. Das habe ich dir immer gesagt. So ist es in Afrika.“
„Papa, aber wenn ich bei Jonas bin, nimmt er immer das größte Stück zuerst und dann ich. Bei mir bin ich der Chef“, verteidigte sich Bouba.
„Ja, mag sein, mein Sohn, aber gerade weil du der Chef bist, sollst du den anderen vorlassen.“
„Papa, ich will aber das Stück Kuchen haben. Ich bin bei mir zu Hause und meine Mama hat ihn gebacken“, verlangte Bouba.
„Okay, wir machen das anders. Du nimmst den Kuchen für dich, aber aus Gastfreundlichkeit gibst du ihn Jonas weiter und du, Jonas gibst ihn aus Höflichkeit an Hakan. Und ihr bedient euch wieder und das Problem ist gelöst. Jeder ist zufrieden, jeder hat gewonnen.“ Jonas lehnte das Angebot von Bell vehement ab.
„Nein, ich will den Kuchen, weil ich der erste war, ihn haben zu wollen!“
Bouba ließ sich nicht zweimal einladen und reagierte genauso stur wie Jonas.
„In diesem Fall werde ich ihm das Stück nicht geben. Das gehört mir, weil ich bei mir zuhause bin. Das ist mein Haus. Er ist nur zu Besuch hier.“
„Lieber Sohn, zuerst müssen wir etwas klären. Du bist hier zu Hause, das ist dein Zuhause bei dir zuhause. Du wohnst hier, aber das hier ist nicht dein Haus. Das ist das Haus deiner Eltern, deiner Mama und mir. Das, was ich habe, gehört mir und du kannst nicht mit meinen Sachen angeben oder Anspruch darauf erheben“, erklärte Bell.
„Aber Papa, wenn ich bei Jonas bin, macht er das auch und seine Eltern sagen nichts“, protestierte Bouba.
„Es ist mir egal, aber hier läuft es, wie ich dir sage und ich sage dir, der Fremde oder der Gast ist König bei mir in meinem Haus. Der Gast bekommt das größere Stück. Wir haben zwei Gäste hier und...“
Bouba und Jonas standen auf und unterbrachen Bell und riefen gleichzeitig: „Nein.“
Nun war es zu viel für Bell, der gerade vom Sport kam und müde war. Genervt stellte er wieder den Teller auf den Tisch und sagte in ernstem Ton:
„Hört zu. Es reicht mir jetzt. Keine weiteren Verhandlungen mehr mit euch. Jeder setzt sich wieder und ich verteile selbst den Kuchen. Das größte Stück bekommt Hakan, der die ganze Zeit ruhig dagesessen hat“, sagte er und gab ihm das Stück, worüber sich Bouba und Jonas gerade gestritten hatten. Jonas und Bouba waren entsetzt und reagierten empört.
„Das ist aber unfair“, sagten sie fast gleichzeitig.
„Dann gib es lieber Jonas“, sagte Bouba.
„Ich würde es lieber Bouba geben“, schlug Jonas vor.
„Jetzt ist es zu spät. Ihr hattet genug Zeit, eine Lösung zu finden“, sagte Bell.
„Es ist aber trotzdem unfair“, sagte Bouba.
„Das ist saudoof“, sagte auch Jonas.
„So was sagt man nicht bei mir, saudoof und ähnliches höre ich nicht gern und will ich nicht mehr hören. Ihr sagt, dass es unfair ist. Was daran ist unfair? Nichts davon. Es ist alles gerecht: Wer am meisten will und mit anderen nicht teilen möchte, bekommt am Ende nichts. Wer mit dem Wenigen zufrieden ist, bekommt am Ende alles. Hakan war der letzte, der etwas wollte, nun ist er der Erste, der etwas auf den Teller bekommen hat und dabei sogar das größte Stück. Und ihr kriegt nun die kleineren Stücke.“
„Das ist wirklich ungerecht, Papa. Hakan war der Letzte am Tisch. Jonas und ich waren die Ersten hier. Jetzt bekommt er als Erster den Kuchen und sogar den größten. Wir sollten aber das größte Stück haben“, schimpfte Bouba.
„Ja, so ist es mein Sohn. So ist es im Leben. Wenn man nur an sich selbst denkt, nur sich selbst sieht, nicht auf den anderen achtet, wenn es nicht gerecht zugeht, dann werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten. Das ist wie bei der Geschichte von dem armen Waisenhäschen, das sehr früh seine Mama und seinen Papa verlor und bei einer Hasenfamilie als Adoptivkind leben musste. Das Häschen…“
Bouba, Jonas und Hakan vergaßen den Kuchen und dass sie gerade darüber gestritten hatten und standen nun vor Bell, sodass Bell gar nicht mehr dazu kam, seinen Satz zu beenden.
„Kannst du uns die Geschichte erzählen?“, fragte Hakan.
Bell, der vom Sport ganz verschwitzt war und eigentlich schnell unter die Dusche gehen wollte, tat so, als ob er nicht verstanden hatte.
„Welche denn? Ich war sowieso fertig und muss jetzt duschen“, versuchte er sich der Sache zu entziehen.
„Bitte Papa, die Geschichte des Waisenhäschens; vielleicht lernen wir etwas dabei und müssen uns den großen Kuchen nicht mehr streitig machen“, sagte Bouba.
„Ja, wir würden in Zukunft nicht mehr versuchen unfair zu sein und drängeln, um die Ersten zu sein.“
„Ich gebe dir dann mein großes Stück Kuchen, Bell, und du erzählst uns die Geschichte“, flehte Hakan.
Bell blieb nichts mehr übrig, als sich der Bitte der Kinder zu beugen, weil sie alle so nett fragten.
„Okay, wir machen das so: Ihr esst eure Kuchen, ich gehe duschen und dann setzen wir uns in den Wintergarten und ich erzähle euch die Geschichte des traurigen Hasenmädchens, das Menssi hieß. Übrigens, danke Hakan für dein Angebot. Dafür, dass du bereit warst mir dein Stück Kuchen zu geben, kriegst du auch etwas von mir. Das nächste Mal, wenn wir Eis essen gehen, bekommst du eine Eiskugel mehr.“
„Wow, cool. Danke, Bell. Kriege ich zwei Kugeln, wenn ich dir zwei Kuchen gebe?“, freute sich Hakan.
„Oooooh nein, Jonas, wir haben echt auf der ganzen Linie verloren“, jammerte Bouba.
„Vielleicht sind wir auch am Ende die Ersten, Bouba, und Hakan der Letzte, wenn wir uns nicht mehr streiten? Ich habe da eine Idee …“, lächelte Jonas.
„Okay, ich bin gleich wieder da und dann werdet ihr sehen, warum die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein werden“, verabschiedete sich Bell.
Nach einer halben Stunde kam er frisch geduscht und rasiert zurück ins Wohnzimmer. Er setzte sich an den Tisch und trank mit Mia einen Tee. Die Kinder warteten schon geduldig im Garten.
„Da hast du dir noch etwas vorgenommen. Die Kinder haben mir erzählt, dass du eine Geschichte erzählen wirst. Na dann viel Spaß“, lachte Mia.
„Wo hast du nur immer solche Geschichten her? Sie haben mir auch die Sache mit dem Kuchen erzählt. Ich finde es toll, wie du das gemacht hast. Ich wäre nicht darauf gekommen. aber der Sinn ist wunderbar.“
„Kriege ich dafür einen Kuss?“
„Von mir? Die Kinder sollten dir dafür einen Kuss geben. Die Geschichte ist doch nicht für mich. Werden die Letzten nicht die Ersten sein? Ich will die Letzte sein, die dir einen Kuss gibt, damit ich bei dir immer die Erste bleibe“, lachte sie fröhlich.
„Ha, na schön. Bin immer der Letzte bei dir“, nörgelte Bell.
„Das ist der Grund warum du mein Allererster bist. Los, die Kinder warten schon auf dich.“
Im gleichen Moment strömten die Kinder wieder herein und als Bouba „Papa“ rief, riefen alle „Papa, Papa, Papa, Papa, papapapa.“
Bell wurde regelrecht von den Kindern mit den Händen nach draußen geschoben.
Sie saßen nun auf dem Teppichboden im Wintergarten alle drei im Halbkreis vor Bell.
Die Glasfenster des Wintergartens waren total verschneit und es schneite immer noch. Es sah alles so schön aus, so gemütlich.
„Ja Jungs, das ist eine Geschichte von einem Hasenmädchen, das seine Eltern verloren hatte und bei einer anderen Hasenfamilie leben musste, die auch eine Tochter hatte. Ihre Tochter war genauso alt wie Menssi und hieß Schnuckiputzi.“
„Schnuckiputzi, ah!!! hahaha!, hihi !!! haha !!!, hahaha! Hihihi!!!“, lachten die Kinder.
„Was ist los?“, fragte Bell.
„Schnuckiputzi, das ist so lustig!“, antwortete Jonas.
„Ja, und deine Mama nennt deine Schwester immer Schnuckiputzi, komm her mein Schnuckiputzi, Schnuckiputzi, willst du was essen ... Haha!!!“
„Das ist nicht lustig, Babou“, beklagte sich Jonas.
„Schnuckiputzi, hihi!!!“, neckte Hakan nun auch.
„Selber Schnuckiputzi“, erwiderte Jonas.
„Nein Hakan, Schnuckiputzi ist seine Schwester, er heißt Schnuckihubsi“, setzte Bouba einen drauf.
„Jetzt reicht es. Ihr müsst Jonas nicht weiter ärgern. Wenn ihr keine Lust mehr auf meine Geschichte habt, kein Problem. Dann höre ich auf zu erzählen“, drohte Bell.
„Oh nein, Papa, wir wollen die Geschichte doch hören. Wir sind jetzt ruhig“, sagte eines der Kinder. Bell wusste nicht genau, wer das gesagt hatte, aber sie waren auf einmal wieder ruhig und hingen aufmerksam an seinen Lippen.
„Wie ich sagte, die Tochter der neuen Haseneltern von Menssi hieß Schnuckiputzi und ...“
„Hahaha!, Hahaha! Haha!!!“, amüsierten sich die Kinder, aber als sie der Blick von Bell traf, wurden sie sofort wieder ruhig und Bell fuhr fort:
„Ihr neuer Hasenpapa hieß Hansi und die neue Hasenmama Putzi. Sie waren nicht gut zu Menssi, die sehr traurig und unglücklich war. Sie weinte jedes Mal, wenn sie am Wasser…“
„Papa kannst du die Geschichte so erzählen, wie man eine Geschichte erzählt?“ traute sich Bouba zu fragen.
„Wie denn, Bouba?“
Alle Kinder antworteten in einem Chor: „Von Anfang an, als Menssi noch nicht geboren war.“
„Okay, okay, ich wäre sowieso dazu gekommen. Ich wollte nur…. okay ich fange am Anfang an...“