Читать книгу Salambo - Гюстав Флобер, Silvia Bardelás - Страница 5
Kapitel 5
Tanit
ОглавлениеAls sie die Gärten durchschritten hatten, sahen sie sich durch die Mauer zwischen Megara und der Altstadt am Weitergehn gehindert. Da entdeckten sie einen schmalen Durchlaß in dem gewaltigen Mauerwerk und kamen hindurch.
Der Boden senkte sich und bildete eine große Mulde. Sie schritten über einen freien Platz.
»Höre mich einmal an,« sagte Spendius, »und vor allem fürchte nichts!… Ich werde mein Versprechen erfüllen!«
Er unterbrach sich und nahm eine nachdenkliche Miene an. Offenbar suchte er nach Worten. »Entsinnst du dich noch, wie ich dir damals auf Salambos Terrasse bei Sonnenaufgang Karthago gezeigt habe? An jenem Tage waren wir stark, doch du wolltest von nichts hören.« Und mit feierlicher Stimme fuhr er fort: »Herr, im Heiligtum der Tanit befindet sich ein geheimnisvoller Mantel, der vom Himmel gefallen ist und die Göttin umhüllt.«
»Ich weiß es,« entgegnete Matho.
»Er ist heilig,« sprach Spendius weiter, »denn er ist ein Teil der Göttin. Die Götter wohnen, wo ihr Abbild weilt. Karthago ist mächtig, weil es diesen Mantel besitzt.« Er trat dicht an Matho heran. »Ich habe dich hierhergeführt, damit wir ihn zusammen rauben!«
Der Libyer prallte vor Entsetzen zurück.
»Geh! Such dir jemand andern! Ich will dir bei solch einem abscheulichen Frevel nicht helfen!«
»Tanit ist deine Feindin!« erwiderte Spendius. »Sie verfolgt dich, und du stirbst an ihrem Zorn. Räche dich!
Sie soll dir untertan werden! Du wirst fast unsterblich und unüberwindbar sein!«
Matho senkte das Haupt. Spendius fuhr fort:
»Wir müssen unterliegen. Das Heer wird sich aufreiben. Wir haben weder Flucht, noch Beistand, noch Vergebung zu erhoffen! Welche Strafe der Götter brauchst du aber zu fürchten, wenn du ihre Kraft selber in den Händen hältst? Willst du lieber am Abend nach einer Niederlage elend im Busch verrecken oder unter den Hohnrufen des Pöbels auf einem Scheiterhaufen umkommen? Herr, eines Tages wirst du in Karthago einziehen, von den Priestern umringt, die deine Sandalen küssen! Und wenn dich dann noch der Mantel der Tanit beängstigt, dann magst du ihn in ihren Tempel zurücktragen. Komm, wir rauben ihn!«
Glühende Gelüste verzehrten Matho. Er hätte den Mantel besitzen mögen, doch ohne Tempelraub zu begehen. Er überlegte sich, ob er das Heiligtum wirklich rauben müsse, um sich dessen Kraft anzueignen. Er spann seinen Gedanken nicht zu Ende, sondern blieb an dem Punkte stehen, wo er davor erschrak.
»Gehen wir!« sagte er. Und sie entfernten sich beide raschen Schritts, Seite an Seite, ohne zu sprechen.
Der Boden stieg an. Die Häuser wurden immer zahlreicher. Die beiden Männer kamen in enge Gassen, die in tiefem Dunkel lagen. Die geflochtenen Matten, mit denen die Türen verhängt waren, schlugen gegen die Wände. Ans einem Platze lagen kauende Kamele vor Haufen von Heu. Dann gingen sie durch eine Allee buschiger Bäume. Ein Rudel Hunde bellte sie an. Plötzlich weitete sich die Aussicht, und sie erblickten die Westseite der Akropolis. Am Fuße des Burgberges dehnte sich eine lange düstere Masse: das war der Tempel der Tanit, ein Gewirr von Gebäuden, Gärten, Höfen und Vorhöfen, von einer niedrigen Mauer aus groben Steinen umgrenzt. Spendius und Matho kletterten darüber.
Die erste Einfriedigung umschloß einen Platanenhain, der zum Schutz gegen die Pest und gegen verunreinigte Luft angelegt war. Hier und da standen Zelte, in denen man bei Tage allerlei feilbot: Enthaarungsmittel, Wohlgerüche, Kleider, mondförmige Kuchen, Bilder der Göttin und Abbildungen des Tempels, auf Alabasterstücke eingeritzt.
Sie hatten nichts zu fürchten, denn in den Nächten, wo der Mond nicht schien, fanden keine Gottesdienste statt. Trotzdem verlangsamte Matho seine Schritte, und vor den drei Ebenholzstufen, die in die zweite Umzäunung führten, blieb er stehen.
»Weiter!« ermunterte ihn Spendius.
Granat- und Mandelbäume, Zypressen und Myrten, alle unbeweglich, wie aus Erz gegossen, wechselten regelmäßig miteinander ab. Der blaue Kies des Weges knirschte unter den Tritten. Den langen Baumgang überdeckte ein Laubendach, von dem allüberall blühende Rosen herabhingen. Sie kamen vor ein eirundes Becken, über dem ein Gitter lag. Matho, den die Stille bedrückte, sagte zu Spendius:
»Hier wird Süßwasser mit salzigem vermischt.«
»Das habe ich alles bereits in Syrien gesehen,« bemerkte der ehemalige Sklave, »in der Stadt Maphug!«
Auf einer sechsstufigen Silbertreppe stiegen sie nunmehr hinauf in die dritte Einzäunung.
In der Mitte stand eine riesige Zeder. Ihre unteren Zweige waren über und über mit Bändern und Halsketten behängt, – von den Gläubigen dargebracht. Nach ein paar weiteren Schritten erhob sich vor ihnen die Tempelfassade.
Von einem viereckigen Mittelturme, auf dessen Plattform der Halbmond ragte, liefen zwei lange Säulengänge aus, deren Architrave auf dicken Pfeilern ruhten. Über den Enden der Gänge und an den vier Ecken des Turmes flammte in Schalen Räucherwerk. Die Säulenkapitäle waren mit Granaten und Koloquinten geschmückt. An den Wänden wechselten Mäanderbänder, Rauten und Perlstäbe miteinander ab, und ein Zaun aus Silberfiligran bildete einen weiten Halbkreis vor der ehernen Treppe, die von der Vorhalle abwärts führte.
Am Eingange stand zwischen einer goldnen und einer smaragdnen Stele ein Steinkegel. Matho küßte sich beim Vorbeigehen die rechte Hand.
Das erste Gemach war sehr hoch. Zahllose Öffnungen durchbrachen die Decke, so daß man beim Aufsehen die Sterne erblickte. Ringsum an den Wänden standen Rohrkörbe, mit Bärten und Haaren angefüllt, den Erstlingsopfern junger Leute; und in der Mitte des kreisrunden Saales wuchs aus einem mit Brüsten verzierten Sockel ein weiblicher Körper hervor. Das dicke bärtige Gesicht hatte halbgeschlossene Augen und einen lächelnden Ausdruck. Die Hände lagen gefaltet auf dem Schoße des dicken Leibes, den die Küsse der Menge poliert hatten.
Dann kamen die beiden wieder ins Freie, in einen unbedeckten Quergang, in dem ein Miniaturaltar an einer Elfenbeintür stand. Hier war der Gang zu Ende. Nur die Priester durften die Tür öffnen, denn ein Tempel war kein Versammlungsort für die Menge, sondern die gesonderte Wohnung einer Gottheit.
»Die Sache ist unausführbar!« sagte Matho. »Daran hast du nicht gedacht! Wir wollen umkehren!«
Spendius betrachtete prüfend die Mauern. Er wollte den Mantel haben! Nicht, weil er der Zauberkraft vertraute – Spendius glaubte nur an Orakel – , sondern weil er überzeugt war, daß die Karthager, seiner beraubt, tief entmutigt sein würden. Um irgendeinen Eingang zu finden, schlichen sie hinten um den Tempel herum.
Unter Terpentinbäumen erblickte man kleine Kapellen in verschiedener Bauart. Hier und da ragte ein steinerner Phallus empor. Große Hirsche streiften friedlich umher und brachten mit ihren gespaltenen Hufen abgefallene Pinienäpfel ins Rollen.
Die beiden kehrten um und kamen zwischen zwei lange Galerien, die nebeneinander herliefen. Sie enthielten Reihen kleiner Zellen. An den Zedernholzsäulen hingen von oben bis unten Tamburins und Zimbeln. Vor den Zellen schliefen Frauen, auf Matten hingestreckt. Ihre Leiber trieften von Salben und dufteten nach Spezereien und Weihrauch. Sie waren mit Tätowierungen, Halsbändern, Ringen, Zinnober- und Antimonmalereien derart bedeckt, daß man sie ohne die Atmungsbewegungen ihrer Brüste für Götzenbilder gehalten hätte, die da auf der Erde lagen. In einem von Lotosblumen umwachsenen Springbrunnen schwammen Fische. Weiter hinten, an der Tempelmauer, glänzte ein Weinstock mit gläsernen Reben und Trauben aus Smaragd. Der spielende Widerschein der Edelsteine tanzte durch die bunten Säulen und über die Gesichter der Schläferinnen.
Matho erstickte fast in dem schwülen Dunst, den die Zedernholzwände ausatmeten. Alle die Symbole der Befruchtung, die Wohlgerüche, das Spiel der Lichter, die Atemgeräusche beklemmten ihn. Er dachte bei all diesem mystischen Gaukelwerk an Salambo. Sie war für ihn eins mit der Gottheit selbst, und seine Liebe sog daraus neue Nahrung, wie die großen Lotosblumen, die aus der Tiefe des Wassers emporwuchsen.
Spendius berechnete, welche Geldsummen er ehedem beim Verkauf von so vielen Frauen wie diese hier verdient hätte, und mit raschem Blick schätzte er im Vorübergehen die goldnen Halsbänder ab.
Der Tempel war auf dieser Seite ebenso unzugänglich wie aus der andern. Sie kehrten wieder zurück in den unbedeckten Gang. Während Spendius suchte und spähte, hatte sich Matho vor der elfenbeinernen Tür niedergeworfen und betete zu Tanit. Er flehte sie an, den Tempelraub nicht zuzulassen, und suchte sie mit Schmeichelworten zu besänftigen, wie man sie an einen Erzürnten zu richten pflegt.
Da entdeckte Spendius über der Tür eine enge Öffnung. »Steh auf!« sagte er zu Matho und hieß ihn sich mit dem Rücken an die Wand stellen. Dann setzte er einen Fuß auf Mathos Hände, den andern auf seinen Kopf, gelangte dadurch an das Luftloch, schlüpfte hinein und verschwand. Einen Moment später fühlte Matho auf seine Schulter den mit Knoten versehenen Strick fallen, den Spendius sich um den Leib gewickelt hatte, ehe sie sich in die Zisternen gewagt. Der Libyer klomm mit beiden Händen daran empor, und bald sah er sich an der Seite seines Gefährten in einer weiten dunklen Halle.
Ein derartiger Tempeleinbruch war etwas ganz Ungewöhnliches. Die Unzulänglichkeit der Schutzvorrichtungen zeigte allein schon, daß man damit überhaupt nicht rechnete. Furcht schützt Tempel besser als alle Mauern. Matho war bei jedem Schritt auf seinen Tod gefaßt.
Ein Lichtschein schimmerte matt aus dem Dunkel heraus. Die beiden gingen darauf zu. Es war ein brennendes Lämpchen in einer Muschel vor dem Sockel eines Standbildes, dessen Haupt eine Kabirenkappe trug. Das lange blaue Gewand war mit kleinen Mondscheiben aus Brillanten übersät. Die Füße waren an Ketten befestigt, die in die Steinfliesen eingelassen waren. Matho unterdrückte einen Schrei. »Ah, hier! Tanit!« stammelte er. Spendius nahm das Lämpchen, um damit zu leuchten.
»Wie gottlos du bist!« murmelte Matho. Trotzdem folgte er ihm.
Das Gemach, das sie nun betraten, enthielt nichts als ein schwarzes Wandgemälde, das eine Frau darstellte. Die Beine liefen an der einen Wand empor, und der Leib reichte über die Decke hinweg. Vom Nabel hing an einer Schnur ein riesiges Ei herab. An der andern Wand neigte sich der Körper hinab, mit dem Kopfe nach unten, so daß die Fingerspitzen den Steinboden berührten.
Um weiterzugelangen, schlugen sie einen hängenden Teppich zurück. Der Luftzug blies ihr Licht aus.
Nun irrten sie in den labyrinthischen Räumen des Gebäudes umher. Plötzlich fühlten sie etwas Weiches unter ihren Füßen. Funken knisterten und sprühten. Sie schritten wie durch Feuer. Spendius betastete den Boden und erkannte, daß er kunstfertig mit Luchsfellen ausgeschlagen war. Dann war es ihnen, als ob ein dickes, kaltes, feuchtes und klebriges Seil zwischen ihren Beinen hinglitt. Durch schmale Spalten im Mauerwerk drangen dünne weiße Lichtstrahlen. In diesem Dämmerdunkel schritten sie weiter. Da erkannten sie eine große schwarze Schlange. Sie schoß schnell vorbei und verschwand.
»Hinweg!« schrie Matho. »Da ist sie … ich fühl es … sie kommt!«
»Ach was!« entgegnete Spendius. »Sie ist nicht mehr hier!«
Blendendes Licht zwang sie jetzt, die Augen niederzuschlagen. Dann erblickten sie rings an den Wänden eine Unmenge von Tierkarikaturen mit erhobenen Tatzen, die sich in geheimnisvollem, fürchterlichem Wirrwarr durcheinander drängten: Schlangen mit Füßen, geflügelte Stiere, Fische mit Menschenhäuptern, die Früchte verzehrten, Krokodile, aus deren Rachen Blumen sprossen, und Elefanten mit erhobenem Rüssel, die kühn wie stolze Adler durch die blaue Luft schwebten. In gräßlicher Kraftentfaltung reckten alle ihre unvollständigen oder verdoppelten Glieder, und auf ihren hervorschießenden Zungen schienen sie ihre Seele ausspeien zu wollen. Alle Formen und Gestalten waren hier dargestellt, just als wäre die Büchse der Urkeime plötzlich geborsten und hätte sich über die Wände dieser Halle ergossen.
Zwölf Kugeln aus blauem Kristall standen im Kreise an den Wänden, von Ungeheuern in Tigergestalt getragen. Ihre Augen quollen weit vor, wie die der Schnecken.
Ihre stämmigen Leiber krümmten sich, und ihre Köpfe wandten sich dem Hintergrunde zu, wo auf einem zweirädrigen Elfenbeinwagen die göttliche Astarte thronte, die Allbefruchterin, die zuletzt Erschaffene.
Von den Füßen bis zum Bauche war ihr Leib mit Fischschuppen, Federn, Blumen und Vögeln bedeckt. Als Ohrgehänge trug sie silberne Zimbeln, die ihre Wangen berührten. Ihre großen Augen blickten starr, und auf ihrer Stirn glänzte, in ein unzüchtiges Symbol gefaßt, ein leuchtender Stein, der den ganzen Saal erhellte und über der Tür in roten Kupferspiegeln widerstrahlte.
Als Matho auf eine Steinfliese trat, gab sie unter seinen Füßen nach, und plötzlich begannen die Kugeln sich zu drehen, die Ungeheuer zu brüllen. Dazu erklang Musik, eine Melodie, rauschend wie die Harmonie der Sphären: Tanits wilde Seele brauste durch den Raum. Matho hatte das Gefühl, als erhebe sie sich, als sei sie hoch wie die Halle, als breite sie die Arme aus. Plötzlich schlossen die Ungeheuer ihre Rachen, und die Kristallkugeln standen wieder still.
Eine Zeitlang klangen noch unheimliche Töne durch die Luft, bis sie endlich verhallten.
»Und der Mantel?« fragte Spendius.
Er war nirgends zu erblicken. Wo war er? Wie sollte man ihn finden? Wenn ihn die Priester nun versteckt hatten? Matho empfand einen Stich durch das Herz. Er kam sich wie genarrt vor.
»Hierher!« flüsterte Spendius. Eine Eingebung leitete ihn. Er zog Matho hinter den Wagen der Tanit, wo eine Spalte, eine Elle breit, die Mauer von oben bis unten durchschnitt.
Sie drangen in einen kleinen kreisrunden Saal, der so hoch war, daß man das Gefühl hatte, sich im Innern einer Säule zu befinden. In der Mitte schimmerte ein großer schwarzer Stein, halbkreisförmig wie ein Sessel. Über ihm loderte ein Feuer. Hinter ihm ragte ein kegelartiges Stück Ebenholz empor, mit einem Kopf und zwei Armen.
Dahinter hing etwas wie eine Wolke, in der Sterne funkelten. Aus tiefen Falten leuchteten Figuren hervor: Eschmun mit den Erdgeistern, wiederum einige Ungeheuer, die heiligen Tiere der Babylonier und andre, die den beiden unbekannt waren. Das Ganze breitete sich wie ein Mantel unter dem Antlitz des Götzenbildes aus. Die langen Enden waren an der Wand hochgezogen und mit den Zipfeln daran befestigt. Es schillerte blau wie die Nacht, gelb wie das Morgenrot, purpurrot wie die Sonne. Es war über und über bestickt, durchsichtig, lichtfunkelnd und duftig. Das war der Mantel der Göttin, der heilige Zaimph, den kein Mensch anschauen durfte.
Sie erbleichten beide.
»Nimm ihn!« gebot Matho endlich.
Spendius zauderte nicht. Auf das Götzenbild gestützt, machte er den Mantel los, der zu Boden glitt. Matho hob ihn auf. Dann steckte er seinen Kopf durch den Halsausschnitt und breitete die Arme aus, um das Gewebe besser zu betrachten.
»Fort!« rief Spendius.
Matho blieb keuchend stehen und starrte auf den Boden.
Plötzlich rief er aus:
»Wenn ich jetzt zu ihr ginge? Ich habe keine Furcht mehr vor ihrer Schönheit! Was vermöchte sie gegen mich?
Jetzt bin ich mehr als ein Mensch! Ich könnte durch Flammen schreiten, über das Meer wandeln! Begeisterung reißt mich fort! Salambo! Salambo! Ich bin dein Herr und Meister!«
Seine Stimme dröhnte. Er erschien Spendius höher von Gestalt und wie verwandelt.
Geräusch von Schritten ward hörbar. Eine Tür ging auf, und ein Mann erschien, ein Priester mit hoher Mütze. Er riß die Augen weit auf. Ehe er aber eine Bewegung gemacht, war Spendius auf ihn losgestürzt, hatte ihn mit beiden Armen umschlungen und ihm seine Dolche in die Seiten gestoßen. Dumpf schlug der Kopf des Ermordeten auf die Fliesen. Dann standen sie eine Weile ebenso unbeweglich, wie der Tote dalag, und lauschten. Man vernahm nichts als des Windes Stimme durch die offene Tür.
Sie führte auf einen engen Gang. Spendius betrat ihn. Matho folgte. Sie befanden sich fast unmittelbar an der dritten Umwallung, zwischen den Seitenhallen, in denen die Priesterwohnungen waren.
Hinter den Zellen mußte ein kürzerer Weg zum Ausgange führen. Sie beschleunigten ihre Schritte.
Am Rande des Springbrunnens kniete Spendius nieder und wusch sich das Blut von den Händen. Die Frauen schliefen noch. Der smaragdene Weinstock glänzte. Sie setzten ihren Weg fort.
Unter den Bäumen lief jemand hinter ihnen her, und Matho, der den Mantel trug, fühlte mehrmals, wie jemand von unten ganz sacht daran zupfte. Es war ein großer Pavian, einer von denen, die im Tempelbezirk frei herumliefen. Er zog an dem Mantel, als wüßte er, daß es sich um einen Raub handelte. Sie wagten nicht, ihn zu schlagen, aus Furcht, er möchte laut schreien. Plötzlich besänftigte sich sein Ärger, und er trabte wiegenden Ganges mit seinen langen herabhängenden Armen neben ihnen her. An der Umfriedung schwang er sich mit einem Satze in einen Palmbaum.
Als sie die letzte Mauer hinter sich hatten, lenkten sie ihre Schritte nach dem Schlosse Hamilkars. Spendius begriff, daß es erfolglos war, Matho davon abbringen zu wollen.
Sie gingen durch die Gerberstraße, über den Muthumbalplatz, den Gemüsemarkt und den Kreuzweg von Kynasyn. An einer Mauerecke fuhr ein Mann vor ihnen zurück, erschreckt durch den glänzenden Gegenstand, der die Finsternis durchstrahlte.
»Verdeck den Zaimph!« riet Spendius.
Andre Leute kreuzten ihren Weg, bemerkten sie aber nicht.
Endlich erkannten sie die Häuser von Megara.
Der Leuchtturm auf der äußersten Mole erhellte den Himmel weithin mit rotem Schein, und der Schatten des Palastes mit seinen übereinander getürmten Terrassen fiel über die Gärten hin wie eine ungeheure Pyramide. Sie drangen durch die Judendornhecken, indem sie sich mit ihren Dolchen einen Weg bahnten.
Überall sah man noch die Spuren vom Festmahle der Söldner. Zäune waren niedergerissen, Wasserrinnen versiegt, Kerkertüren standen offen. In der Nähe der Küchen und Keller ließ sich kein Mensch blicken. Matho und Spendius wunderten sich über die Stille, die nichts unterbrach als hin und wieder das heisere Schnauben der Elefanten, die in ihren Gehegen auf und ab gingen, und das Prasseln des lohenden Aloefeuers auf dem Leuchtturm.
Matho wiederholte immer von neuem:
»Wo ist sie? Ich will sie sehen. Führe mich zu ihr!«
»Es ist Wahnsinn!« sagte Spendius. »Sie wird schreien. Ihre Sklaven werden herbeieilen, und trotz deiner Kraft wird man dich niedermachen.«
So gelangten sie zur Galeerentreppe. Matho blickte empor und glaubte ganz oben einen matten Lichtschimmer zu bemerken. Spendius wollte ihn zurückhalten, aber der Libyer stürmte die Stufen hinauf.
Als er den Ort wiedersah, an dem er Hamilkars Tochter zum ersten Male erblickt hatte, schwand die ganze inzwischen verflossene Zeit aus seinem Gedächtnisse. Noch eben hatte Salambo da zwischen den Tischen gesungen. Eben erst war sie weg … und seitdem hatte er nichts getan, war nur die Treppe emporgestiegen… . Der Himmel zu seinen Häupten flammte in Feuer. Das Meer erfüllte den Horizont. Bei jedem Schritt weitete sich die Unendlichkeit um ihn herum. Er stieg immer höher, mit der seltsamen Leichtigkeit, die man im Traum empfindet.
Das Knistern des Mantels, der die Steine streifte, erinnerte ihn an seine neue Macht. Aber im Übermaß seiner Hoffnung wußte er jetzt nicht mehr, was er tun sollte, und diese Unsicherheit machte ihn scheu.
Von Zeit zu Zeit preßte er sein Gesicht gegen die viereckigen Fensteröffnungen der verschlossenen Gemächer. In mehreren wähnte er schlafende Menschen zu erkennen.
Das oberste, schmalste Stockwerk bildete gleichsam einen Würfel auf der vorletzten Terrasse. Matho umschritt es langsam.
Milchweißer Schein glänzte auf dem Marienglas, das die kleinen Öffnungen im Mauerwerk deckte. In ihren regelmäßigen Abständen sahen sie in der Dunkelheit wie Perlenschnüre aus. Matho erkannte die rote Tür mit dem schwarzen Kreuz. Sein Herz pochte heftig. Er hätte fliehen mögen. Er stieß gegen die Tür. Sie sprang auf.
Eine Hängelampe in Form eines Schiffes brannte in der Tiefe des Gemaches, und drei Lichtstrahlen, die dem silbernen Kiel entglitten, zitterten über das hohe Getäfel, dessen rote Bemalung von schwarzen Streifen unterbrochen ward. Die Decke bestand aus lauter kleinen Balken; sie waren vergoldet und mit Amethysten und Topasen geschmückt. Von der einen Langseite des Gemaches zur andern zog sich ein niedriges Lager aus weißem Leder hin, und darüber öffneten sich in der Wand in Muschelform gewölbte Nischen, aus denen hier und da ein Gewand bis zum Boden herabhing.
Eine Onyxstufe umgab ein eiförmiges Badebecken. Am Rande standen ein Paar zierliche Pantoffeln aus Schlangenhaut und ein Krug aus Alabaster. Daneben bemerkte man nasse Fußspuren. Köstliche Wohlgerüche erfüllten die Luft.
Matho schritt leicht über die mit Gold, Perlmutter und Glas ausgelegten Fliesen; aber obgleich er über polierten Stein hinging, war es ihm, als ob seine Füße einsänken wie in Sand.
Hinter der silbernen Lampe hatte er eiu großes viereckiges himmelblaues Hängebett erblickt, das an vier emporlaufenden Ketten frei schwebte. Er schritt mit krummem Rücken und offenem Mund darauf los.
Flamingoflügel mit Griffen aus schwarzen Korallen lagen zwischen Purpurkissen, Schildpattkämmen, Zedernholzkästchen und Elfenbeinspateln umher. An Antilopenhörnern steckten Fingerringe und Armreifen. Tongefäße, die in der Maueröffnung auf einem Rohrgeflecht standen, kühlten im Winde ab. Des öfteren stieß Matho mit den Füßen an, denn der Fußboden bestand aus Flächen von ungleicher Höhe, die den Raum gewissermaßen in eine Gruppe von Zimmern zerlegten. Im Hintergrunde umgab ein silbernes Geländer einen mit Blumen bemalten Teppich. Endlich gelangte er an das Hängebett, neben dem ein Ebenholzschemel zum Hinaufsteigen diente.
Der Lichtschein hörte am Bettrand auf. Schatten lag wie ein großer Vorhang darüber. Man konnte nur einen Zipfel der roten Matratze erkennen und die Spitze eines kleinen bloßen Fußes, der auf dem Knöchel ruhte. Matho nahm behutsam die Lampe herab.
Salambo schlief. Eine Hand lag an ihrer Wange, den andern Arm hatte sie ausgestreckt. Ihr Haar umwallte sie in solcher Lockenfülle, daß sie auf schwarzen Federn zu ruhen schien. Ihr weites weißes Gewand schmiegte sich in weichen Falten den Biegungen ihres Körpers an und reichte bis zu den Füßen hinab. Unter den halbgeschlossenen Lidern sah man ein wenig von den Augen. Senkrecht herabfallende Vorhänge hüllten die Schlummernde in bläuliche Dämmerung. Ihre Bewegungen beim Atmen teilten sich den Ketten mit, so daß sie in der Luft kaum sichtbar hin und her schaukelten. Eine große Stechmücke summte um das Lager.