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Mr. Parham unter den flott lebenden Reichen

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Es war Mr. Parham nicht ganz klar, ob er seine Zeitung bekommen würde; doch merkte er, daß er Aussichten hatte, etwas wie ein Mentor des Sir Bussy zu werden. Was für eine Art von Mentor, ließ sich noch nicht voraussehen. Wenn man sich Sokrates als groß und gut gewachsen vorstellt, Alkibiades hingegen als klein und energisch, sich überdies jene unheilvolle Expedition nach Syrakus unter besseren Umständen inmitten einer machtvollen Konsolidierung Griechenlands wiederholt denkt – wenn man mit einem Wort den Vergleich so weit zurechtstutzt, daß gerade noch eine Spur von Ähnlichkeit bestehen bleibt, beginnt man zu erkennen, wie die Erwartungen Mr. Parhams beschaffen waren. Vielleicht sind übrigens Aristoteles und Alexander besser für unseren Zweck geeignet. Es ist einer der zahllosen Vorteile einer guten klassischen Bildung, daß man eine menschliche Beziehung niemals in ihrer ganz gewöhnlichen Einfachheit zu sehen braucht, noch sehen kann; sie wird stets durch den Vergleich mit Vergangenem bereichert. Man verliert allen Sinn für die Geschehnisse der Gegenwart; es ist einem, als ob sich die geschichtlichen Ereignisse mit denen man vollgepfropft wurde, immerfort wiederholten.

Bei der Abendgesellschaft im Hotel Savoy bekam Mr. Parham zum erstenmal einen Begriff von dem Aufwand in der Lebensführung Sir Bussys. Ein gewöhnlicherer Geist wäre von dem Eindruck überwältigt gewesen. Selbst Mr. Parham ertappte sich dabei, daß er insgeheim nachrechnete, was bloß dieser eine Abend seinen neuen Bekannten kosten mochte. Die Summe würde der Schätzung Mr. Parhams nach genügt haben, ein Wochenblatt allerersten Ranges für mindestens drei Jahre zu finanzieren.

Mr. Parham legte Wert darauf, sich für jeden gesellschaftlichen Anlaß richtig und gut zu kleiden. Er war ein Gegner der unter Gelehrten und intellektuell hochstehenden Menschen verbreiteten Meinung, daß man in großer Gesellschaft einen niedrigen Kragen und bei einer Tanzunterhaltung einen veralteten Smoking tragen könne. Seiner Ansicht nach mußte man vielmehr den Leuten zeigen, daß ein Philosoph durchaus imstande ist, gelegentlich als Mann von Welt aufzutreten. Seine schlanke Größe gestattete ihm eine elegant nachlässige Körperhaltung, die ein wenig an Lord Balfour gemahnte, und er wußte, daß er mit seinen feinen und blasierten Gesichtszügen im ganzen recht gut aussah. Sein für unser liederliches Zeitalter ein wenig altmodischer Klapphut hielt seine unruhigen langen Finger in Zaum, und seine schöne goldene Uhrkette war offensichtlich ein Familienerbstück.

Das ganze Hotel Savoy hatte sich Sir Bussy zur Verfügung gestellt. Das gesamte Personal des Hauses war an dem Abend seine Dienerschaft. In ihren Kniehosen aus grauem Plüsch und ihren gelben Westen sahen die Leute wie Bediente einer altadeligen Familie aus. In der Garderobe traf Mr. Parham Sir Titus Knowles mit der mächtigen Stirn, der sich eben eines außerordentlich kleinen steifen Hutes und eines riesigen Abendmantels entledigte.

»Hallo!« sagte Sir Titus. »Sie hier?«

Mr. Parham nahm den Ausruf weiter nicht übel. »Wie man sieht«, antwortete er.

»Ah!« sagte Sir Titus.

»Marke ist nicht nötig, Sir Titus«, sagte der Garderobier. »Wir kennen Sie ja.«

Sir Titus verschwand mit lächelndem Gesicht.

Mr. Parham jedoch erhielt eine Marke für seinen Überrock.

Er schob sich durch die Herren, die auf ihre Damen warteten, und befand sich alsbald inmitten einer blendenden Menge von lieblichen und außerordentlich teuer aussehenden Frauen mit schimmernden Armen, Schultern und Rücken, und einer sehr mannigfachen Schar von Männern. Das lebhafte Sprechen der Menschen ringsum klang so, als ob ein starker und dabei sehr ungleichmäßiger Wind durch Bäume mit Zinnblättern blase. Etwas wie ein Empfang ging vor sich. Plötzlich erschien Sir Bussy.

»Fein«, sagte er erfreut. »Wir müssen nachher gemütlich plaudern. Kennen Sie Pomander Poole? Sie brennt darauf, Sie kennen zu lernen.«

Er verschwand, und Mr. Parham hatte an dem Abend kein einziges Mal Gelegenheit, mehr mit ihm zu reden als ein paar flüchtig hingeworfene Sätze, obgleich er ihn von ferne her immer wieder erblickte, ein wenig verstimmt geschäftig oder erkünstelt fröhlich.

Miss Pomander Poole begann sehr ernst damit, daß sie Mr. Parham um seinen Namen fragte, den Sir Bussy aus Nachlässigkeit oder in augenblicklicher Vergeßlichkeit nicht genannt hatte. »Parham ist der Name des Mannes, den Sie so gerne kennen lernen möchten«, sagte Mr. Parham mit einem bestrickenden Lächeln, das alle seine ausgezeichneten Zähne sehen ließ, ausgenommen die Backenzähne selbstverständlich.

»Bussy erinnert heute abend mehr als je an einen Floh«, sagte Miss Pomander Poole. »Er ist wie eine verlorene Stecknadel oder ein winziges Sandkörnchen. Ich habe schon sechs Leute gesehen, die vergeblich hinter ihm her jagten.«

Sie war eine dunkelhaarige, hübsche Dame mit unruhigen Augen und mehr Körperfülle als heute modern ist. Ihre Stimme war tief und wohlklingend. Sie blickte über den länglichen Saal hin, in dem sie sich befanden. »Warum in aller Welt gibt er wohl diese Gesellschaften? Ich kann es nicht begreifen!« sagte sie, seufzte und schwieg dann, um zu zeigen, daß sie zur Anknüpfung eines Gesprächs nunmehr das Ihrige getan hatte.

Mr. Parham war einigermaßen unentschlossen. Er hatte den Namen Pomander Poole schon oft genug gehört, wußte aber im Augenblick durchaus nicht, ob im Zusammenhang mit Büchern, Zeitungsartikeln, Theaterstücken, Bildern, Skandalgeschichten und Gesellschaftstratsch oder mit der Welt der Varietékunst. Wie sollte er da den ungezwungenen, aufmunternden und dabei überlegenen Gesprächston finden, der einem Philosophen in weltmännischer Stimmung geziemt? Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zunächst auf Äußerungen zu beschränken, die einer Ausfragerei bedenklich nahe kamen.

»Ich kenne unseren Wirt erst seit ganz kurzer Zeit«, sagte er. Der Satz zielte offenkundig auf Erläuterungen ab.

»Er existiert gar nicht«, sagte sie.

Allem Anscheine nach gedachte seine Partnerin durch Geist zu glänzen, und da war nun Mr. Parham gewiß nicht der Mann, der seine Stichworte verfehlt. »Wir sind also einem Phantom begegnet«, meinte er.

Sie ging völlig achtlos über diese Antwort hinweg. »Er existiert nicht«, seufzte sie noch einmal. »Infolgedessen jagen nicht nur seine Nebenmenschen vergeblich hinter ihm her, auch er selber kann sich sozusagen niemals erwischen. Alle Tage dreht er sein Bettzeug um und um und sucht seine eigene Person. Aber es nützt ihm nichts.«

Die Dame besaß nicht nur Körperfülle, sondern auch einen üppigen Witz.

»Er erwirbt Reichtümer«, sagte Mr. Parham.

»Die Natur verabscheut ein Vakuum«, sagte sie mit der müden Lässigkeit eines Menschen, der ein längst bekanntes Frage- und Antwortspiel über sich ergehen läßt. Ihre unruhigen, forschenden dunklen Augen blickten in die Runde, als ob sie sich nach irgend jemandem umsähe, der sie von Mr. Parham befreien mochte.

»Heute abend ist das Vakuum von interessanten Menschen erfüllt.«

»Ich kenne die wenigsten.«

»Ich bin unweltlich genug, um ihre äußere Erscheinung interessant zu finden.«

»Und ich weltlich genug, um mich davon nicht blenden zu lassen.«

Aufs neue trat eine peinliche Pause des Stillschweigens ein. Mr. Parham wünschte, seine Gefährtin könnte hinweggezaubert und jemand Angenehmerer an ihre Stelle gesetzt werden. Doch sie rettete die Situation. »Es ist wohl noch zu früh, um zum Souper hinunter zu gehen«, sagte sie; »hinunter oder hinauf – ich weiß nicht, wo der Speisesaal ist. So eine Vakuum-Gesellschaft erzeugt ein außerordentliches Gefühl der Leere in mir.«

»Wir wollen es erforschen«, meinte Mr. Parham, setzte sein Lächeln wieder auf und nahm die Dame ins Schlepptau.

»Ich glaube, ich habe Sie in der Royal Institution einen Vortrag halten gehört«, erklärte sie.

»Ich bin noch nie dagewesen«, entgegnete Mr. Parham.

»Ich habe Sie aber da gesehen. Schon öfter. Und zwar gewöhnlich zwei oder drei Herren, die ganz so aussehen wie Sie. Sie sind ein Mann der Wissenschaft.«

»Hochschullehrer, meine Gnädigste. Historiker. Mit einigen Lieblingsthemen, die ich immer und immer wiederkäue – und einem tintigen Zeigefinger.«

Das war gar nicht übel. Miss Poole betrachtete ihn, als ob sie sein Vorhandensein jetzt erst merke. Ein Strahl des Interesses leuchtete in ihrem Gesichte auf, erlosch aber sofort wieder.

Wenn wir sagen, daß Mr. Parham auf der Suche nach dem Speisesaale die Dame ins Schlepptau genommen habe, so entspricht diese Ausdrucksweise mehr seinen Absichten als den Tatsachen. In Wirklichkeit schritt sie ihm voran, während sie sich durch die glänzende Menge hindurchwanden – ein wenig zerstreut vielleicht, aber trotzdem zielbewußt. Das Souper hatte tatsächlich bereits begonnen, und zwar sehr nachdrücklich und lärmend, und Miss Poole, immer noch ihrem Begleiter um einige Schritte voraus, wurde von einer Gruppe von Leuten begrüßt, die allem Anscheine nach eigentlich noch nicht aßen, sondern zunächst Vorräte zusammentrugen. »Was sagen Sie heute abend, Pomander?« rief ein hübscher junger Mann, und sie mischte sich in die Gruppe, ohne daß sie irgendwelchen Versuch gemacht hätte, Mr. Parham vorzustellen. »Ich zweifle an Bussys Existenz«, erwiderte Miss Poole, »und sehne mich nach seinen guten Gaben.«

»Ganz wie es ein moderner Christ mit seinem Gotte hält«, meinte jemand.

Mr. Parham schritt rings um die Gruppe herum und gelangte an die glänzende Tafel. Sie war reich besetzt, und das einzige Getränk, so schien es Mr. Parham, war Champagner in Kristallkaraffen. Er füllte ein Glas für Miss Poole, doch sie war bereits versehen; so trank er es selbst, tat so, als ob er sich an dem Gespräch der Leute, die ihm samt und sonders den Rücken zukehrten, beteilige, blickte amüsiert drein und verzehrte mit einer Miene nachlässiger Ungezwungenheit einige belegte Brötchen. Miss Pooles Laune war beträchtlich fröhlicher geworden. Sie klatschte einem dicken Juden ein Gänseleber-Sandwich auf die Wange – aus keinerlei ersichtlichem Grund. Vielleicht mochte sie ihn gerne. Oder es war weiter nichts als Übermut. Sie brachte das Gespräch wieder auf Sir Bussy und äußerte noch einmal, daß er ihrer Meinung nach alle Tage seine eigene Person zwischen seinem Bettzeug suche, welches witzige Bild allgemeines Entzücken erregte. Inmitten des lebhaften Beifalls drehte sich ein schmächtiger blonder Jüngling mit geheimnisvoll wichtigtuerischer Miene zu Mr. Parham um, wiederholte das Scherzwort sorgfältig und vergaß ihn daraufhin sogleich wieder.

Mr. Parham versuchte zu übersehen, daß die Gruppe sich nicht im geringsten um ihn kümmerte, doch war das Gefühl, daß dem so sei, recht stark in ihm vorhanden, und um darüber hinweg zu kommen, trank er noch ein Glas Champagner. Da entdeckte er dicht neben sich Sir Titus Knowles, der offensichtlich bei einer benachbarten Gruppe fröhlicher junger Leute dieselbe Behandlung erfahren hatte. »Hallo!« sagte Mr. Parham. »Sie hier?«

»Ein entzückendes Fest«, sagte Sir Titus heuchlerisch, und dann stand plötzlich, als wäre sie vom Himmel gefallen, eine ganz reizende junge Blondine zwischen ihnen, erhitzt und allerliebst. Sie wandte sich anscheinend völlig außer Atem an den großen Spezialisten.

»Suche Herrn namens Parham, Sir Titus«, erklang ihre warme, verschleierte Stimme. »Aber vor allem muß ich etwas zu essen haben, bitte.«

Dieser dringendste Wunsch wurde erfüllt. »Als ich Bussy fragte, wie er aussehe, sagte er: ›Oh, Sie werden ihn schon erkennen, wenn Sie ihm begegnen.‹ Ich muß ihn finden und ihn zum Tanzen kriegen. Hab mit Bussy gewettet, daß es mir gelingt. Parham. Soll ich herumgehen und den Namen ausrufen? Wahrscheinlich ist eine Million Menschen da. Man wird mich als zudringliche Person vor die Tür setzen.«

Sie entdeckte eine belehrende Grimasse auf dem Gesichte des Sir Titus, begriff die Situation und drehte sich zu Mr. Parham herum. »Natürlich!« sagte sie mit vollem Munde. »Das wäre gelungen. Ich heiße Gaby Greuze. Sie sind der schönste Mann hier. Das hätte ich mir ja aber auch denken können, daß Bussy mich nicht an irgend eine unbedeutende Nummer weisen wird.«

In Mr. Parhams Miene mischten sich Entzücken und Widerstreben. »Sie werden mich nicht zum Tanzen bringen«, sagte er.

Das Gedränge der Menschenmenge ringsum schob sie dicht an ihn heran. Wie lieblich war das Gesicht, so nahe gesehen! Keck, blauäugig! Die Augenlider waren entzückend gebildet. Der weiche, schön geschwungene Mund reizend! »Ich werde Sie zum Tanzen bringen. Und ich könnte Sie zu allem Möglichen bringen. Wissen Sie warum?«

Sie biß kräftig in ein Schinkenbrötchen und fuhr schmatzend fort:

»Weil Sie mir gefallen.«

Sie nickte bekräftigend mit dem Kopf. Mr. Parhams strahlendes Lächeln kam diesmal mühelos. »Ich fürchte, ich werde keinerlei Widerstand leisten«, sagte er und fügte mit der Miene eines Schwerenöters hinzu: »Es ist gar nicht meine Art. Er war hingerissen von ihr. Ja, dieses Geschöpf war etwas anderes als die so absichtlich geistreiche Miss Pomander Poole, an die er fortan keinen Gedanken mehr verschwenden wollte. Mochte sie aller Welt Sandwiches ins Gesicht klatschen!«

Miss Gaby Greuze machte sich klug und bedachtsam an ihre Aufgabe. Nichts auf der Welt ist so abgeschlossen und intim wie ein Zwiegespräch inmitten einer schmausenden und schwatzenden Menge. Der Lärm, den Sir Bussys Gäste machten, war bereits mit Windesrauschen in einem Walde metallischer Blätter verglichen worden. Nun kam noch das Klappern von Tellern, Schüsseln und Bestecken hinzu. Diese Fülle ineinander schmelzender Klänge, dies metallische Lautgewebe in der Luft schuf gleichsam eine Laube, einen Schlupfwinkel für Mr. Parham und seine liebliche Gefährtin. Er brauchte aus diesem geheimen Versteck hervor nur den Arm auszustrecken, um die Champagnerkaraffe zu fassen, Salate aller Art in Schüsselchen, köstliche Leckerbissen in Aspik und erlesenes Obst. Dann reichte er ihr seine Beute dar, und sie lächelte ihm aus ihren so überaus lieblichen Augen Dank zu und bediente sich. Schließlich verließen sie die Tafel Arm in Arm und suchten schalkhaft ein »ruhiges Winkelchen«, wo sie ihm die Grundbegriffe des modernen Tanzes beizubringen gedachte, ehe er sich in den Tanzsaal wagte. Sie vertrugen sich wunderbar. So oft sein klassisch schönes Gesicht sich herbeugte, um ihr Nichtigkeiten zuzuflüstern, liebkoste ihr seidenweiches Haar seine Wangen.

Etwas in diesem Erlebnis gemahnte Mr. Parham an Horaz und die leichteren Schöpfungen der lateinischen Dichter – also konnte es, das fühlte er, nichts durchaus Gemeines oder Schlechtes sein. Es gab Augenblicke, da nur seine klassische Erziehung, das Bewußtsein seines Ranges als Universitätslehrer und die Furcht vor den überaus zahlreichen unerwarteten Ecken und Spiegeln ringsum, sowie vor den überall auftauchenden Bediensteten des Savoy, aber auch, wir müssen es zugeben, eine gewisse ernste Gediegenheit seines Wesens ihn davor bewahrten, das so aufreizend liebliche Geschöpf in die Arme zu nehmen und ihm zu zeigen, was ein Mann von Bildung und Geist auf dem Gebiete leidenschaftlicher Zärtlichkeit zu leisten imstande war.

»Nun vergessen Sie ja nicht, was ich Ihnen gesagt habe«, schärfte ihm Miss Gaby Greuze ein, während sie ihn wieder in den Trubel der Gesellschaft zurückführte; »wenn Sie schön aufpassen, wird es sehr gut gehen. Bis zum nächsten Tanz wollen wir einmal zugucken. Setzen wir uns hierher, und ich will inzwischen eine Limonade trinken.«

Mr. Parham lächelte bei dem Gedanken, was wohl seine Studenten sagen würden, wenn sie ihn jetzt hätten sehen können. Er saß neben seiner Gefährtin, den Arm vertraulich auf die Lehne ihres Stuhles gelegt, und sprach wie ein intimer Freund mit ihr.

»Sir Bussy dünkt mich ein Wunder«, sagte er, indem er in das Menschengewühle blickte.

»Ein recht ärgerliches Wunder«, meinte sie. »Er wird nächstens einmal eine Backpfeife erwischen.«

»Das will ich nicht hoffen.«

»Er würde trotzdem weiter grinsen. Er könnte wirklich was Besseres auf der Welt tun, als die Leute ausnützen – wo er so viel Geld hat.«

»Ich bin eben erst in den Kreis der Plutokraten gezogen worden«, sagte Mr. Parham.

Sie verstand ihn offensichtlich nicht, blickte aber umso respektvoller zu ihm auf.

»Also jetzt«, sagte sie und erhob sich in der Absicht, mit Mr. Parham loszutanzen, sowie etliche andere Paare sich auf der vorläufig noch kahlen Tanzfläche eingefunden haben würden. Sie hatte starke Arme, wie Mr. Parham erstaunt merkte, und auch einen starken Willen, und die Instruktionen, die sie ihm erteilt hatte, waren gut und klar gewesen. Mr. Parham hatte die Kunst des modernen Tanzes so weit begriffen, wie es seiner Wesensart nach überhaupt nur möglich war. »Bussy ist da drüben«, sagte sie und steuerte quer durch den Saal auf ihren Gastgeber zu.

Er stand ganz allein in der Nähe der gestikulierenden Negerkapelle und schien sein ganzes Interesse auf die unerwarteten Übergänge in ihrer Musik zu konzentrieren. Die Hände tief in den Hosentaschen, wiegte er verträumt den Kopf. Mr. Parham und seine Partnerin tanzten zweimal lächelnd an ihm vorüber, ehe er ihrer gewahr wurde.

»Nu!« sagte Sir Bussy, indem er endlich aufblickte. »Es hat keine Stunde gedauert!«

»Ist er das?« fragte sie triumphierend.

»Das ist er«, entgegnete Sir Bussy.

»Sie haben verloren.«

»Nein. Aber Sie haben gewonnen. Ich bin ganz zufrieden. Und ich gratuliere Ihnen, Parham. Ich wußte es ja, daß Sie einen vortrefflichen Tänzer abgeben würden. Wenn man Sie nur an die richtige Lehrerin weist. Man lernt niemals aus im Leben. Wie gefällt sie Ihnen? Sie stellt den alten Velasquez in den Schatten, was?«

»Auf diese Beleidigung hin gehe ich in den Speisesaal und esse Sie arm«, erwiderte Miss Grenze. Zum zweiten Male hatte sie den Sinn einer Bemerkung nicht erfaßt. Sie ließ sich von ihrem Partner wieder in den Speisesaal führen, ohne den Tanz beendet zu haben. Er hätte gern sein Leben lang mit ihr weiter getanzt, doch allem Anscheine nach hatte sie nunmehr ihren Zweck erreicht.

Sie wurde erstaunlich böse. »Man hat Bussy gegenüber immer das Gefühl, als ob man nicht gegen ihn aufkäme«, sagte sie, »auch wenn man eine Wette gewonnen hat. Aber ich will ihn nächstens einmal klein kriegen – koste es, was es wolle. Er bringt einen auf Gedanken …«

»Auf was für Gedanken?« fragte Mr. Parham.

»Habe ich Ihnen denn erzählt …« überlegte sie, und ein sonderbarer Ausdruck zeigte sich plötzlich in ihren Augen. Sie betrachtete Mr. Parham prüfend.

»Sie können mir alles sagen«, meinte er.

»Ach, das will viel heißen. Nein – vorläufig sage ich Ihnen nichts. Wahrscheinlich niemals.«

»Ich kann warten und hoffen«, sagte Mr. Parham mit dem Gefühl, daß das alles oder nichts bedeuten konnte.

Im Speisesaal verlor Mr. Parham seine Gefährtin. Er verlor sie, während er über ihre sonderbaren Äußerungen nachdachte. Was ihr dabei im Sinn gelegen hatte, sollte er erst beträchtlich später erfahren. Es tauchte ganz plötzlich eine Schar junger Mädchen auf, die ihr glichen, aber nicht so wunderhübsch waren; sie umringten sie, drängten sich liebkosend an sie und riefen: »Liebe Gaby! Süße Gaby! Allerschönste Gaby!« Eine Art Berufsschwesternschaft von Tänzerinnen oder jungen Schauspielerinnen. Er wurde von ihr getrennt und wäre fast wieder mit Miss Pomander Poole zusammengeraten, ehe er die Gefahr merkte.

Eine Zeitlang blieb er einsam. Er versuchte, aufs neue in die Nähe seiner allzu beliebten Gaby zu gelangen, jedoch vergebens. Ein widriges Geschick trieb ihn immer wieder zu Pomander Poole hin und sie zu ihm. Ein unbewußtes dramatisches Bedürfnis in ihr, eine Neigung, in Gebärden zu denken, machte es ihm nur allzu klar, daß sie nicht die geringste Lust verspürte, sich nochmals in ein Gespräch mit ihm einzulassen. Es sah aus, als ob sie ihre Gebärden mit Worten begleitete, doch war er glücklicherweise nie so nahe, daß er hätte verstehen können, was sie sagte. Dann stieß er plötzlich auf Lord Tremayne, der ihm in herzlichstem Tone zurief: »Sie haben mir noch immer nicht gesagt, wie Sie über Westernhanger denken.«

Mr. Parhams augenblickliche Spannung löste sich, als der junge Mann hinzufügte: »Aber jetzt ist es ja zu spät, also wollen wir uns nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen. Ich finde es eine Schande … Wahrscheinlich kennen Sie die wenigsten Leute hier in dieser hohlen Welt des bunten Flitters, wie? Wollen Sie irgend jemandem vorgestellt werden? Ich kenne sie allesamt.«

Er machte Mr. Parham mit zwei Gräfinnen und seiner Schwägerin, Lady Judy Percival bekannt, die sich zufällig in nächster Nähe befanden; daraufhin verschwand er. Die Vorstellung hatte nicht viel Zweck, denn die drei Damen sprachen vorwiegend nur untereinander, während Mr. Parham nachdenklich die Menge betrachtete. Die gehobene Stimmung ob seines Erfolges bei Gabrielle Greuze war einigermaßen abgeebbt. Vielleicht, überlegte er, würde er sie später von ihren Freundinnen aufs neue absondern und das Gespräch mit ihr wieder aufnehmen können. In einiger Entfernung bemerkte er Sir Titus, dessen hohe Stirn ihm ein wenig schief über dem einen Auge zu sitzen schien, während sein Arm deutlich sichtbar die Taille einer schlanken, dunkelhaarigen Dame in Grün umfaßt hielt. Der Anblick brachte Mr. Parham seine eigene Würde in Erinnerung. Er lehnte sich gegen eine Mauer und verhielt sich still beobachtend.

Seltsam, zu denken, daß diese Abendgesellschaft da, von einem Londoner Plutokraten in einem Hotel gegeben, in physischer Hinsicht höchstwahrscheinlich weitaus glänzender und schöner war, als irgend ein höfisches Fest der elisabethanischen oder jakobinischen Zeit. Wie klein und düster müßte solch eine gesellige Veranstaltung der Vergangenheit wirken, überlegte Mr. Parham, wenn man sie neben das bunte Schaugepränge des heutigen Abends stellen könnte. Brokate und Reifröcke, weder allzu neu noch sauber, von Kerzen und Fackeln beleuchtet. Erstaunlich, diese materielle Üppigkeit unserer Zeit! Doch jene kleinen Versammlungen bei trübem Licht hatten ihren Shakespeare, ihren Bacon, ihren Burleigh und ihren Essex gehabt. Sie waren durch und durch Geschichte geworden. Bücher waren über sie geschrieben worden, Studien und Kommentare, immer wieder wurde auf sie angespielt. Jede geringste Huld der jungfräulichen Königin war heute bedeutsam für die ernstesten Gelehrten. Kleine Räume vielleicht, aber große Zeiten.

Jedoch dies bunte Getriebe von heute – wohin führte es? Konnte es jemals Geschichte werden in irgend einem Sinne des Wortes? Auf den Hof der Königin Elisabeth gingen die ersten Anfänge Amerikas zurück, jene Menschen hatten den Grundstein zur modernen Wissenschaft gelegt, sie hatten die englische Sprache geformt – die englische Sprache, der diese Leute hier mit ihrem Kauderwelsch und ihrer lakonischen Durchtriebenheit eilends den Garaus machten. Vielleicht waren einige Künstler unter ihnen, vielleicht ein Gelbschnabel von einem Lustspieldichter. Mr. Parham war gerne bereit, Zugeständnisse an einzelne ihm möglicherweise Unbekannte unter der Menge zu machen – trotzdem blieb das Ergebnis des angestellten Vergleiches erschrecklich.

Die Jazz-Musik erklang aus dem Hintergrunde des Saales und begann ihm auf die Nerven zu fallen. Sie drang über die Köpfe der Versammelten hinweg, ungeheuerlich, als ob sie ihn suche, und alsbald war es, als hätte sie ihn entdeckt und rüttle und schüttle ihn nun. Mit einem Aufschrei, der, unendlich melancholisch, an Rufe aus der Dschungel gemahnte, griff sie ihm plötzlich ans Herz, um sich gleich darauf in hämmernde Trivialität zu verlieren und so zu tun, als sei sie stets nur trivial. Sie wurde intim; sie schien obszöne Gedanken erwecken zu wollen. Er erkannte, wie notwendig es war, hier ohne Unterlaß zu tanzen oder zu sprechen, schnell und laut zu sprechen, wenn man der Schar schwarzer Musikanten nicht wehrlos ausgeliefert sein wollte. Wie fremdartig sie doch waren, fast als gehörten sie einer anderen Gattung Lebewesen an! Mit ihren glänzenden, triumphierenden Gesichtern, ihren drängenden Gebärden. Was würde die jungfräuliche Königin, was ihr geliebter und getreuer Burleigh zu dem Kapellmeister da drüben mit dem Gesicht aus Bronze gesagt haben?

Seltsam, zu denken, daß sie sozusagen den Grundstein zu dem Lande Virginia gelegt hatte, aus dem der Kerl aller Wahrscheinlichkeit nach stammte. Der Kerl, der da hinter den Weißen herzuhetzen schien, sie zu einer geheimnisvollen Verleugnung, ja Vernichtung ihres eigentlichen Wesens trieb. Sie bewegten sich gleich Marionetten in dem Takte, den er schlug …

Diese Betrachtungen eines scharf beobachtenden, nachdenklichen und mit reichem Wissen ausgestatteten Geistes wurden durch das Wiedererscheinen des Lord Tremayne unterbrochen, der eine der Damen, die er Mr. Parham bereits vorgestellt hatte, am Arme führte.

»Hier ist er«, rief Tremayne fröhlich. »Sie kennen meine Kusine Lady Glassglade! Wenn irgend jemand, so kann er dir die Angelegenheit Westernhanger auseinandersetzen. Er hat neulich famos darüber gesprochen, einfach famos!«

Mr. Parham blieb mit Lady Glassglade allein.

Die Glassglades hatten ein Besitztum in Worcestershire und waren ganz gewiß Leute, die man kennen soll. Was aber die Dame hier wollte, war nicht recht begreiflich. Verwunderlich, wie weit Sir Bussys gesellschaftliche Beziehungen reichten. Sie war eine freundlich lächelnde und sehr selbstbeherrschte kleine Dame mit ein wenig angegrautem Haar. Mr. Parham verbeugte sich anmutig. »Wir sind hier der Musikkapelle zu nahe, um plaudern zu können«, sagte er. »Wollen wir in den Speisesaal hinuntergehen?«

»Da war es vorhin furchtbar voll, ich konnte nichts bekommen«, sagte die Dame.

Mr. Parham gab ihr zu verstehen, daß das nun anders werden sollte.

»Und ich bin eigentlich nur hierher gekommen, weil ich so hungrig war!«

Reizend! Sie vertrugen sich sehr gut miteinander, und er sorgte dafür, daß sie etwas zu essen bekam. Mit ruhiger Gelassenheit bestand er darauf, diese Aufgabe auf sich zu nehmen. Sie sprachen von dem Glassgladeschen Besitz in Worcestershire und dem so durchaus englischen Zauber Oxfordshires; dann kamen sie auf ihren Gastgeber zu reden. Lady Glassglade erklärte, sie finde Sir Bussy »einfach wunderbar«. Sein Urteilsvermögen im Geschäftsleben sei instinktiv, habe sie sagen hören, unglaublich schnell überblicke er die Dinge, während andere Leute umherliefen und Erkundigungen einzögen. Er müsse acht bis zehn Millionen im Vermögen haben.

»Und doch dünkt er mich einsam«, meinte Mr. Parham. »Einsam und losgelöst.«

Lady Glassglade stimmte dem zu.

»Wir haben ihn nicht assimiliert«, sagte Mr. Parham, und sein Gesichtsausdruck deutete auf ein fein organisiertes soziales System hin, das an einer Verdauungsstörung litt.

»Nein«, bestätigte Lady Glassglade.

»Ich habe ihn erst vor kurzem kennen gelernt«, sagte Mr. Parham. »Er dünkt mich merkwürdig typisch für unsere Zeit. Dieser neue Reichtum ist so sicher und kühn, doch fehlt es ihm in so unglaublichem Maße an dem noblesse oblige.«

»Das stimmt«, meinte Lady Glassglade.

Beide füllten ihre Gläser aufs neue mit Sir Bussys Champagner.

»Wenn man bedenkt, wie ernst unser alter Landadel seine Standespflichten stets genommen hat …«

»Ganz richtig«, sagte Lady Glassglade traurig.

Doch dann raffte sie sich zusammen: »Trotzdem ist er eine amüsante Erscheinung.«

Mr. Parham stellte sich auf einen höheren Standpunkt. Er blickte auf die Vergangenheit zurück und faßte die dunkle Drohung der Zukunft ins Auge. »Ich weiß nicht«, meinte er.

Lady Glassglade und Mr. Parham blieben ziemlich lange plaudernd beisammen. Mit ernstem Humor entwickelte er den Plan, daß Oxford Fortbildungskurse für die neuen Reichen werde einrichten müssen. Lady Glassglade schien sehr belustigt über diesen Gedanken.

»Als Nebenfächer Tennis, Tischmanieren, Waldhühnerjagd und Golf.«

Die Eindrücke, die Mr. Parham in Sir Bussys Gesellschaft gewann, verloren an Schärfe, je weiter die Nacht fortschritt. Irgendwie wurde er von Lady Glassglade getrennt. Als er davon sprach, daß jede Aristokratie, auch eine, die es nur dem Namen nach sei, die Pflicht habe, den Massen Führer zu sein, wandte er den Kopf, um festzustellen, ob sie den Sinn dieser Bemerkung auch recht erfasse: doch da war sie verschwunden, offenbar schon seit längerer Zeit. An Stelle des rhythmisch bewegten Flimmerns in seiner Geistesverfassung war allmählich etwas wie ein goldenes Dämmerlicht, eine schwere und doch humorvolle Feierlichkeit getreten. Er sprach mit fremden Leuten über den Gastgeber des Abends. »Er ist ein einsamer und führerloser Mensch«, sagte Mr. Parham. »Und warum? Weil er keine Tradition hat.«

Eine lange, lange Zeit hindurch stand er, wie er sich später erinnerte, ganz still und betrachtete bewundernd und voll Mitleid eine schöne schlanke Frau mit ruhigem Gesicht, die allein war und auf jemanden zu warten schien, der nicht kam. Er verspürte Lust, zu ihr hinzugehen und mit leiser, aber klarer Stimme »Warum so nachdenklich?« zu fragen.

Wenn sie dann erschreckt und überrascht die schönen dunkelblauen Augen auf ihn richtete, gedachte er im Nu ein höchst geistreiches Gespräch mit ihr zu beginnen. Phantasie und Wirklichkeit wollte er in eins verweben, wollte Sir Bussy mit Trimalchio vergleichen, in einer kurzen, aber lebensvollen Darstellung das Wirken des Petronius schildern und schließlich allerlei merkwürdige und amüsante kleine Geschichten über die Königin Elisabeth oder Kleopatra oder andere historische Persönlichkeiten zum besten geben. Und sie, davon war er überzeugt, würde ihm hingerissen lauschen.

»Sagen Sie mir«, sprach er zu einem jungen Mann mit Monokel, der sich im Gedränge an ihm vorüberschob. »Sagen Sie mir«, wiederholte er.

Indem er die Hand bewegte, merkte er, daß mit seinen Fingern irgend etwas Sonderbares los war. Dieser Umstand fesselte seine Aufmerksamkeit so sehr, daß er zunächst nicht weitersprach.

Der Ausdruck von Ungeduld in des jungen Mannes Gesicht verwandelte sich in einen des Interesses und der Sympathie. »Was soll ich Ihnen denn sagen?« fragte er, indem er erst Mr. Parhams fast völlig selbstständig gewordene Hand und dann dessen ganze Person durch sein Monokel hindurch betrachtete.

»Wer ist diese reizende Dame in Schwarz und – Jett nennt man das, glaube ich, da drüben?«

»Die Duchess von Hichester, mein Herr.«

»Besten Dank«, sagte Mr. Parham.

Doch sein Verlangen, die Dame anzusprechen, war verflogen. Er war dieses törichten, lärmenden, nächtlichen Festes, dieses ganzen hohlen Flitterkrams müde. Ein ungeheuerliches Fest war es. Ein Fest außerhalb der Geschichte, das nirgends anfing und nirgends hinführte. Ein Durcheinander. Herzoginnen und Tänzerinnen. Professoren, Plutokraten und Schmarotzer. Er wollte gehen. Doch eines hielt ihn noch eine Weile auf: sein Klapphut war ihm abhanden gekommen. Er befühlte seine Rocktaschen und betrachtete den Fußboden ringsum mit prüfendem Blick. Der Hut war weg.

Sonderbar!

In einiger Entfernung sah er einen Herrn, der einen Klapphut in der Hand trug. Einen Klapphut, just wie der seine, das sah er deutlich. Sollte er ihn dem Herrn mit einem ernsten »Verzeihen Sie« aus der Hand reißen?

Wie aber sollte Mr. Parham beweisen, daß es sein Klapphut sei?

Der Diktator oder Mr. Parham wird allmächtig

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