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Die Welt vor den Menschen

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von Wolfgang Luley

Es gab einmal eine Zeit, lange vor den Menschen, in der Fliegen Elefanten ängstigten. Ihr müsst wissen, dass Fliegen damals so groß waren, dass sie einem ausgewachsenen Elefanten bis an die Knie reichten. Hörten Elefanten ein Gesumme aus der Ferne näher kommen und sahen obendrein die haarigen Beine und die beiden glotzenden Augen einer Fliege, rannten sie in Panik davon. Damals machte ein Sprichwort unter den Elefanten die Runde: Aus einem Elefanten eine Fliege machen. So nannten sich Elefanten gegenseitig, wenn sie einander ärgern wollten oder, um auszudrücken, wie ekelig sich ein Elefant gerade benahm._In jener Zeit waren die Elefanten mit den Mäusen befreundet. Mäuse waren damals mutig und hatten vor den Fliegen keine Angst. Sahen sie eine Fliege im Anflug, blieben sie stehen und sahen ihr zu. Aus diesem Grund sagte man unter den Elefanten: Sei wie eine Maus! Und Elefantenkinder, die ihren Eltern eine Freude bereiten wollten, sagten: Heute bin ich eine Maus! Dann wackelten die Eltern mit ihren großen Ohren, was ein Zeichen großer Freude war. Daher auch das Sprichwort: Mit den Ohren wackeln. Waren die Eltern jedoch betrübt, weil ihre Kinder wie Fliegen waren, dann ließen sie ihre Ohren hängen. Was die Mäuse wiederum sehr belustigte._Die Mäuse waren zwar mit den Elefanten befreundet, sie achteten sie aber nicht wirklich. Die Mäuse sagten sich: wir sind viel kleiner als die Elefanten, wir sind so klein, dass uns die Elefanten mit einem Fußtritt zerquetschen könnten und was tun sie bei Fliegen? Sie rennen in Panik davon. Wir aber, die wir viel kleiner sind, wir bleiben mutig stehen und blicken den Fliegen in die Augen. Daher auch unter ihnen das Sprichwort: Sei kein Elefant. Überhaupt: die Tiere besaßen damals sehr viele Sprichwörter. Als der Mensch auftrat, hat er sich alle Sprichwörter abgelauscht und selbst verwendet. Sogar noch mehr: er behauptete frech, die Sprichwörter selbst erfunden zu haben!_Noch aber war die Zeit der Menschen nicht angebrochen. Noch lebten Elefant und Maus friedlich miteinander und das Einzige, was diese Freude störte, waren die Fliegen; dann allerdings passierte ein Unglück. Das Wetter und die Temperaturen änderten sich. Viele Pflanzen und Bäume starben aus und die Mäuse wussten nicht, woher sie ihre Lieblingsspeise, die Nüsse, nehmen sollten. Die Elefanten, weil sie groß waren, kamen bis an die Spitze der Bäume und konnten die Blätter essen. Bis an die Spitze der Bäume kamen zwar auch die Fliegen, aber die Honigbäume, die es damals noch gab, trugen wenig Honig in ihren Blüten, Honigbäume brauchen warme Temperaturen, und so fanden auch die Fliegen kaum Nahrung._Nach und nach wurde der Hunger unter den Fliegen und Mäusen immer größer. Vor allem die Mäuse wurden griesgrämig und benahmen sich den Elefanten gegenüber übellaunig. Ja mehr noch! Einmal, schon irr vor Hunger, sprang eine Maus sogar einen Elefanten an. Und als die anderen Elefanten sahen, wie die Maus am Elefanten knabberte, rannten sie in Panik davon. Die Mäuse aber waren überall und lauerten den Elefanten auf. Schließlich hörte man weithin nur einen einzigen Ruf unter den Elefanten: „Iiiih – eine Maus!“ Und kaum war dieser Ruf ertönt, stoben alle Elefanten wild auseinander. Jeder rannte um sein Leben. Vergessen war alle Panik vor den Fliegen. Als Feind galt fortan die Maus. Und wenn sich doch mal ein Elefant vor einer Fliege fürchtete, sagten die anderen Elefanten: Mach aus einer Fliege keine Maus! Und damit beruhigte sich der Elefant wieder. _Viel zum beruhigen gab es damals aber nicht: das wackelige Klima, die hungrigen Mäuse und die nicht minder hungrigen Fliegen. So kam es zum Beispiel vor, dass sich Mäuse und Fliegen um einen toten Elefanten stritten. Manchmal war der Elefant aber nicht tot und sah zu, wie sich Maus und Fliege um ihn stritten. Bei einer solchen Gelegenheit hat ein Elefant ein neues Sprichwort erfunden: Streiten Fliege und Maus, kommt dabei nichts heraus! Und tatsächlich kamen beide nicht überein. So trottete der Elefant, der das Sprichwort erfunden hatte, gelangweilt davon. Und nicht nur er, auch andere Elefanten machten diese unschöne Erfahrung. _Für die Fliegen sollte der Streit mit den Mäusen aber viel unschöner enden. Die Mäuse gaben nicht viel darauf, ob sie nun an einem Elefanten knabberten oder an einer leckeren Fliege. Überhaupt war die Zeit den Fliegen nicht zugetan. Die Honigbäume starben aus, sie wurden von Mäusen gejagt und der Mensch kam auf. Natürlich jagte auch der Mensch die leckeren Fliegen, deren Fleisch süß mundete. Ganz sicher hätten die Fliegen das Schicksal der Honigbäume geteilt, wenn, ja, wenn sie nicht zu einer List gegriffen hätten. Fliegen sind zwar gefräßig, aber nicht dumm. Sie machten sich einfach kleiner oder flohen davon. Daher sagt man auch: Mach die Fliege! _Zu jener Zeit beruhigte sich das wackelige Klima wieder und der Mensch drängte sich nach vorne. Er sah nicht ein, dass er Mäusen oder Elefanten Untertan sein sollte. Lieber jagte er beide. Die Mäuse, die aber nicht dumm waren, verkrochen sich in Erdlöcher. Vorher hatten sie auf der Erde gelebt, aber Menschen konnte man nicht trauen; sie waren ärger als Fliegen. So galt der Mensch als die Fliege unter den Tieren. Heute sagt das aber kein Tier mehr, da kaum noch einer von ihnen weiß, wie groß und gefährlich die Fliegen einst waren. Was sich die Tiere aber gemerkt haben, vor allem die Elefanten, das ist das gemeine und übellaunige Verhalten der Mäuse ihnen gegenüber. Aus diesem Grund sagt man auch: Jemand hat das Gedächtnis eines Elefanten. Und wenn sich die Elefanten gegenseitig ärgern wollen, sagen sie übereinander: Mach aus einem Elefanten keine Maus oder: Mach aus einem Elefanten keine Fliege. Das ist für andere Elefanten tatsächlich ärgerlich, wenn sie mit beißwütigen Mäusen oder ängstlichen Fliegen verglichen werden. Dann kann es schon einmal passieren, dass die betroffenen Elefanten ihre Ohren anlegen und böse mit dem Rüssel zu trompeten anfangen. Selbst Menschen gehen ihnen dann aus dem Weg. Meist bleiben sie aber und verhalten sich ihnen gegenüber wie einst die Mäuse den Fliegen gegenüber oder wie die Mäuse den Elefanten gegenüber, als diese begannen, die Elefanten zu jagen. Eine gewisse Sympathie hat der Mensch sich aber dem Elefanten gegenüber bewahrt. Wenn zum Beispiel ein Kind seinen Eltern gegenüber Märchen erzählt, sagen die zum Kind: Mach aus einer Fliege keinen Elefanten. Was die Elefanten dann regelmäßig freut. Denn wenn ein Elefant etwas nicht leiden mag, dann ist es, mit Fliegen verglichen zu werden. Und das ist auch gut so. Als hätten Elefanten haarige Beine und riesige Glotzaugen!


Preussischer Anzeiger - Ausgabe September / Oktober

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