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Der Gelbe Fluss

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Hans Müller-Jüngst

Paulo am Ende der Seidenstraße

(8)




Impressum

Texte: © Copyright by Hans Müller-Jüngst

Umschlag: © Copyright by Hans Müller-Jüngst…

Verlag: Hans Müller-Jüngst

Waisenhausstr. 4

47506 Neukirchen-Vluyn

HaMuJu@t-online.de

Druck: epubli, ein Service der

neopubli GmbH, Berlin


Printed in Germany


Lanzhou

liuIch war allein, ich war auf meiner Reise schon oft allein gewesen, aber bei diesem Mal fühlte ich eine große Einsamkeit, ich war über Monate immer mit Leuten zusammen, die meine Freunde wurden, mit einem Schlag war das alles vorbei und ich war auf mich selbst gestellt.

Der Zug würde für die dreihundert Kilometer bis Lanzhou vier Stunden brauchen, ich zog meine Kladde aus dem Rucksack und begann zu schreiben. Mir fielen unendlich viele Dinge ein, die ich für wert befand, notiert zu werden, ich hatte das letzte Mal in Turpan geschrieben, als ich mit Liang neben dem Traubenkarren saß, ich würde festhalten müssen, was es jeweils bedeutet hatte, sich auf die Weise in die Welt der Vergangenheit zurückzuversetzen. Es war nicht ganz einfach, die passenden Worte dafür zu finden, aber ich hatte ja Zeit, mir würde schon etwas einfallen.

Liangs Mutter hatte mir etwas zu essen mitgegeben, Brot, Käse und Dauerwurst, das gute Brot, ich würde es in Deutschland vermissen. Ich packte die Sachen aus und schaute, während ich schrieb und aß, gelegentlich aus dem Fenster. Die Landschaft sauste vorbei und nach drei Stunden, der Zug hatte an mehreren kleinen Bahnhöfen gehalten, erreichten wir in Hekouxiang den legendären Gelben Fluss, den Huang He, wo die Eisenbahn nach einem großen Bogen über die Brücke auf die andere Flussseite gelangte. Der Fluss hatte eine beträchtliche Breite und machte seinem Namen alle Ehre, die Gelbfärbung stammte von abgetragenem Löß am Oberlauf, den er als Sediment mit sich führte. Der Löß summierte sich pro Jahr auf eine Milliarde Tonnen im Mündungsgebiet. Die Eisenbahn folgte dem Flusslauf ungefähr fünfzig Kilometer bis Lanzhou, in einen tausendfünfhundert Meter hoch gelegenen Talkessel, in dem man vor lauter Smog das andere Flussufer kaum erkennen konnte.

Tatsächlich zählte Lanzhou zu den zehn Städten in der Welt, die die meiste Luftverschmutzung aufzuweisen hatten, so eine Studie des „World Ressources Institute“ von 1998. Die Luft in der Stadt war dermaßen belastet, dass viele Menschen unter Atemwegserkrankungen litten, fast so wie in der Zeit, als zu Hause die Schlote qualmten und die Schwerindustrie ihre Emissionen ungefiltert in die Luft abgeben durfte. Das war in Deutschland natürlich längst vorbei, schärfste Umweltauflagen mussten eingehalten werden, das galt europaweit, ich kam mir in Lanzhou vor wie im Ruhrgebiet der 50er oder 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Imposant war der Gelbe Fluss, der mit einer Gesamtlänge von über fünftausend Kilometern Chinas zweitlängster Fluss war. Seine Quelle lag im tibetanischen Hochland, vierhundertfünfzig Kilometer östlich der Quelle des Jangtsekiang, des größten und längsten chinesischen Flusses.

Der Flusslauf ließ sich in drei große Abschnitte gliedern, einen ersten, der von der Quelle in vielen Windungen bis Hekouxiang verlief, der Fluss verlor in dem Abschnitt dreitausendfünfhundert Höhenmeter, sein zweiter Abschnitt beschrieb einen riesigen Bogen, der von Lanzhou aus tausend Kilometer nach Norden reichte, fünfhundert Kilometer nach Osten an Baotou vorbei verlief und dann wieder tausend Kilometer bis Zhengzhou nach Süden abfiel. Dann verließ der Huang He den Gebirgsteil bei Kaifeng, von wo er fünfhundert Kilometer nordöstlich dem Gelben Meer zufloss. In seinem letzten Teil hatte er so viele Sedimente aufgeschüttet, dass sein Flussbett eingedeicht zehn Meter über dem Umland lag, was natürlich bei Dammbrüchen erhebliches Hochwasser nach sich zog. Bei verschiedenen Hochwassern waren in der Vergangenheit Millionen von Menschen umgekommen. Tschiang Kai Tschek hatte einmal die Dämme des Huang He gegen die japanischen Aggressoren öffnen lassen, neben ungezählten Japanern kamen dabei auch eine Million Chinesen ums Leben. An die Tatsache, dass der Gelbe Fluss als die Mutter der Chinesen angesehen wurde, erinnerte am Südufer des Flusses eine Skulptur mit dem Namen „Yellow River Mother“. Es war eine Kolossalfigur, sechs Meter lang, zweieinhalb Meter breit und zweieinhalb Meter hoch, eine liegende Frau, die einen Säugling auf ihrem Körper hielt und ihn fütterte, sie war vierzig Tonnen schwer.

Sie war schlicht gehalten, aus Beton, sie strahlte eine Ruhe aus und wirkte massig. In den Augen der chinesischen Kulturoberen gebührte der Figur höchste Wertschätzung, für europäische Augen war sie einfach eine Betonskulptur und nichts weiter. Der Gelbe Fluss und die von ihm abgeleiteten Bewässerungskanäle waren verseucht, sie waren so verseucht, dass das Wasser nicht einmal mehr zur Landbewässerung geeignet war. Das war der Preis für den unbändigen Wirtschaftsboom, der in China herrschte, wo Fabriken ihre Abwässer in den Gelben Fluss ableiteten und Farmen Wasser entnahmen und mit Pflanzenschutzmitteln verseucht wieder zurückführen durften. Die Wasserentnahme aus dem Gelben Fluss für die Städte und ihre wachsende Einwohnerschaft war so groß, dass der Fluss an seinem Unterlauf entweder austrocknete oder in manchen Jahren nur noch dreißig Prozent seiner Wassermenge bis zum Gelben Meer gelangte. Der Huang He war ein Hauptnerv im chinesischen Staatskörper, er sollte mich noch eine Zeit lang begleiten. Lanzhou drängte sich geradezu ins Blickfeld mit seiner Hochausskyline, die einer modernen Großstadt entsprach. Ich war schon lange nicht mehr in einer Stadt mit einer dermaßen ins Auge stechenden Hochhaussilhouette gewesen, wenn ich mich recht erinnerte, so war das Teheran gewesen, aber das lag schon so lange zurück!

Ich beabsichtigte, eine Zeit in Lanzhou zu bleiben und mir einen Eindruck von der Stadt und ihrer Umgebung zu verschaffen. Der Zug lief in den Bahnhof ein, es war 14.00 h, er war pünktlich, der Bahnhof lag am Südrand des Stadtzentrums. Die Luft war stinkig, einladend war die Stadt nicht, wenn man die Umweltbedingungen und besonders die schlechte Luft zugrundelegte. Ich ging in der Bahnhofshalle zur Tourist Information, um mir ein Hotel nennen zu lassen, das ich auch bezahlen konnte, ich wollte im Höchstfall fünfundzwanzig US-Dollar ausgeben. Im Touristenbüro verwies man auf das „Friendship Jiabinbao Hotel“, rief dort an und reservierte für mich gleich ein Zimmer, nachdem ich beim Preis von vierundzwanzig US-Dollar mein okay gegeben hatte. Der Zimmerpreis lag gerade so in meinem Budget, ich würde mir wohl noch etwas Billigeres suchen, für die erste Nacht war das aber in Ordnung. Man nannte mir eine Buslinie, die am Hotel vorbeiführte, ich müsste nur zum Bahnhofsvorplatz und da würden die Busse warten. Ich trat also aus der Bahnhofshalle hinaus und befand mich in Lanzhou am Huang He, der Busbahnhof lag auf der gegenüberliegenden Seite. Ich stieg in die Nummer, die man mir genannt hatte und löste beim Fahrer einen Fahrschein, nachdem ich ihm den Hotelprospekt gezeigt hatte.

Ich zahlte verschwindend wenig für das Busticket, und der Bus fuhr sofort los in den Norden des Stadtzentrums. Das Hotel lag in einer Gegend, in der ein hässlicher Wohnblock neben dem anderen stand, aber es lag immer noch im Stadtzentrum, das meiste Interessante war von dort aus zu Fuß erreichbar. Das Hotel hatte nach Landeskategorie drei Sterne, die Länder stapelten bei der Sternvergabe immer noch hoch, aber für meine Ansprüche reichte das Hotel allemal, direkt vor dem Hotel lag die Bushaltestelle, ich konnte also jederzeit mit dem Bus ins Zentrum fahren. Das Zimmer, das ich nach dem Einchecken erhielt, war zwar sehr einfach eingerichtet, es war aber sauber und hatte ein frisch gemachtes Bett, dazu gab es auf dem Zimmer noch ein Bad. Mehr brauchte ich nicht, ich stellte meinen Rucksack in die Ecke und legte mich aufs Bett, ich lag auf dem Rücken und dachte über meine Situation nach. Ich wäre in Lanzou nur noch siebenhundert Kilometer von Xian, dem eigentlichen Ende meiner Reise entfernt, ich müsste noch nach Shanghai und nach Peking, von wo aus ich nach Hause flöge. Aber bis dahin dauerte es noch mindestens zwei Monate, ich müsste mir Xian gründlich anschauen, auch Shanghai und vor allem Peking wollte ich gründlich besichtigen. Ich stand wieder auf und nahm ein paar frische Sachen aus meinem Rucksack, dann ging ich duschen und drehte das heiße Wasser voll auf, aber leider gab es kein heißes Wasser, ich duschte also mit einiger Überwindung kalt. Dann zog ich mich an und ging runter, mein Zimmer lag im zweiten Stock, der Lift war außer Betrieb, sodass ich die Treppe nahm. Ich grüßte den Portier im Vorbeigehen und lief zur Bushaltestelle, wo ich den Bus ins Zentrum gerade noch erwischte.

Ich stieg an der legendären Zhongshan-Brücke wieder aus und setzte mich auf eine Bank an den Huang He. Die Zhongshan-Brücke war die erste feste Brücke über den Gelben Fluss, sie löste eine Pontonbrücke ab, die im Winter bei Eisgang abgebaut werden musste, sodass dann eine Flussüberquerung nicht mehr möglich war. Wichtig für mich war, dass über diese Brücke die Seidenstraße verlief, im Jahr 1992 hatte am Südende der Brücke ein Seidenstraßenfestival stattgefunden, auf dem daran erinnert wurde, dass die Brücke ein Denkmal für die Bemühungen Chinas war, sich nach Westen zu öffnen, denn die Brücke war von deutschen Ingenieuren gebaut worden, die alles für den Bau benötigte Material auf dem See- und Landwege dorthin verfrachtet hatten. Im Juli 1907 kamen die ersten Teile im Hafen von Tianjin an und wurden von dort tausendsiebenhundert Kilometer über Land nach Lanzhou transportiert, vierhundertachtzig Kilometer davon mit der Eisenbahn, der Rest wurde mit Lasttieren bewältigt, die Transportzeit betrug insgesamt neunzehn Monate.

Die Brücke lag auf vier Stützpfeilern, die wiederum auf Stahlbetonquadern standen. Die Brückentafel bestand aus Holzbohlen, die eigentliche Brücke bestand aus fünf Kästen mit rechteckigem Querschnitt, die Kästen waren aus vernieteten Eisenträgern gefertigt. Die Länge der Brücke betrug zweihundertdreißig Meter, achtzig Jahre Lebensdauer waren garantiert. Die geplanten Kosten lagen bei 165000 Tael Silber (ein Tael = 37.5 g), sie hatten sich bis zum Ende der Bauzeit auf 306600 Tael Silber erhöht. Um dem wachsenden Verkehr, vor allem dem Kraftverkehr standzuhalten, wurden auf die Brückenkästen ebenfalls vernietete Eisenträger gesetzt, sodass die Brücke dann wie eine Bogenbrücke aussah. Ihre Tragkraft wurde mit dieser Maßnahme verzehnfacht, die ursprünglich 1.20 m breiten Fußwege wurden auf 2.10 m verbreitert und nach außerhalb der Kästen verlagert.

2004 wurde die Brücke für den Straßenverkehr gesperrt und nur den Fußgängern offengehalten. Es gab in Lanzhou mittlerweile zehn Brücken über den Huang He. Ihren Namen erhielt die Brücke 1942 zu Ehren des Gründers der Republik China, Dr. Sun Yat Sen. Die Brückenköpfe waren fußgängergerecht gestaltet, die Menschen, die sie passierten, waren, sowie ich das beobachten konnte, guter Dinge und lachten. Kinder stampften fest mit ihren Füßen, um die Holzbohlen ertönen zu lassen.

Vierhundert Meter flussabwärts gab es die nächste Brücke und noch einen Kilometer weiter lag die große Huang-He-Brücke. Ich ging über die Zongshan-Brücke auf die andere Flussseite und lief die Beibinhe Middle Road flussabwärts, man hatte von dort einen herrlichen Blick auf die City von Lanzhou, allerdings durch dichten Smog. Ich lief am „Apollo“-Hotel vorbei und ging über die Huang-He-Brücke in die Stadt zurück. Am Brückenende ging ich die Treppe hoch und gelangte in eine „Kinderpark“ genannte Günfläche, wo ich mich eine Zeit lang auf eine Bank setzte und Familien mit ihren Kindern beobachtete. Ich lief anschließend weiter ins Zentrum zum Century Place, wo ich mir ein Restaurant suchte, denn es war Abend geworden und ich hatte Hunger bekommen. Ich fand dann ein einfaches chinesisches Restaurant, in dem ich allerdings die Speisekarte nicht lesen konnte. So nahm mich, wie damals in Yining, der Kellner bei der Hand und führte mich in die Küche. Dort zeigte mir der Koch, was sich in den einzelnen Töpfen befand und ich wies auf die Speisen, die mir zusagten und die ich bestellte. Es gab eine sehr gut aussehende Gemüsemischung aus Tomaten und Bohnen, dazu bestellte ich Reis und Rindfleisch süß-sauer. Der Kellner schrieb die von mir ausgesuchten Speisen auf und brachte sie mir ins Restaurant. Ich bestellte Bier zum Essen, das Wort „Bier“ wurde verstanden. Ich musste sagen, dass ich in China noch kein schlechtes Bier getrunken hatte, sie verstanden in China die Braukunst.

Wein zu bekommen wäre in teuren Restaurants zwar möglich gewesen, hätte aber seinen Preis gehabt und dann hätte man natürlich nicht so einen Wein bekommen, wie ihn Liang oder Akuma kelterten, sondern wahrscheinlich importierten Wein minderer Qualität, also trank ich Bier. Es war kühl geworden in Lanzhou, man merkte doch die Höhe von tausendfünfundert Metern, die Luft war entsetzlich.

Die chinesischen Behörden hatten Teile der die Stadt umgebenden Berge sprengen lassen, um einen Luftaustausch zu ermöglichen. Ich lief nach dem Essen ein wenig durch die erhellte Innenstadt, es herrschte geschäftiges Treiben, die Leute kamen entweder von der Arbeit, um vor dem Nachhausegehen noch etwas zu trinken oder sie liefen zum Vergnügen durch die Stadt. Ich hatte einen ersten Eindruck von der Stadt bekommen, einen ersten oberflächlichen Eindruck und lief zur Bushaltestelle, um zu meinem Hotel zurückzufahren. Ich würde am nächsten Tag mit meinem Besichtigungsprogramm beginnen. Ich müsste mir zunächst einmal anschauen, wie der Gelbe Fluss in die Stadt eingebunden war, er war schließlich ein recht breiter Strom, auch schiffbar, da musste es so etwas wie eine Infrastruktur der Binnenschifffahrt geben. Im Bus saßen wenige Menschen in Jacken gehüllt, wortlos, mit teilweise verkrampftem Gesicht, vielleicht kamen sie von der Arbeit zurück, erschöpft. Ich war um 21.30 h am „Friendship Jiabinbou Hotel“, der Portier sah desinteressiert von seinem Rezeptionstisch auf, als ich die Halle betrat und grüßte mich, ich grüßte zurück. Ich ging auf mein Zimmer und las noch einen Augenblick in dem Prospekt, den ich bei der Touristeninformation am Bahnhof erhalten hatte und suchte Besichtigungsschwerpunkte aus.

Über meinem Bett hing ein Bild, das den Huang He an seinem Oberlauf zeigte, wie er tosend durch Gebirgsschluchten brach, über den Bergen flogen Vögel, eine etwas kitschige Darstellung, aber sehr farbenfroh. Gegen 22.30 h schlief ich ein, ich hatte auf meiner Reise nie Schlafprobleme, immer war ich so müde, dass ich schnell einschlief, sei es, weil ich viel Alkohol getrunken hatte oder sei es, weil ich viel herumgelaufen war und müde auf mein Zimmer zurückkehrte. Am nächsten Morgen war ich seit langer Zeit einmal wieder allein beim Frühstück. Ich genoss es, lange zu sitzen und in der „China Daily“ zu blättern, die ich mir am Vorabend in der Stadt besorgt hatte und Tee zu trinken. Ich hatte nicht viel gegessen, ein, zwei Hörnchen mit Marmelade. Nach dem Frühstück nahm ich wieder den Bus zum Bahnhof, von wo ich zwei Kilometer nach Westen lief, und den „Wuquanshan“-Park-auf Englisch „Five-Springs“-Park- erreichte. Der gesamte Park hatte eine Fläche von 260000 Quadratmetern und machte einen sehr gepflegten Eindruck, üppige Grünflächen und einige architektonisch bedeutsame Tempel waren im Park zu finden. Es rankte sich eine Legende um den Park, nach welcher der Kaiser den berühmten General Huo Qubing dazu bestimmt hatte, eine Strafexpedition gegen eine Minderheitengruppe im Nordwesten Chinas durchzuführen. Weil die Soldaten von Xian durchmarschiert waren, waren sie und der General erschöpft, als sie in der Gegend des heutigen Parks ankamen. Sie konnten in der Nähe kein Wasser finden, sodass der General seine Reitpeitsche fünfmal kräftig auf den Boden schlug. Sofort sprudelte aus fünf Quellen Wasser empor, weshalb die Einheimischen fortan die Stelle den „Five-Spring-Mountain“ nannten. Die Geschichte klang unwirklich, Tatsache aber war, dass es fünf Quellen gab, die die Einheimischen über Jahrhunderte hinweg mit frischem Wasser versorgt hatten. Seit 1955 war die Gegend ein offizieller Park. Der mittlere Gipfel im Park, die höchste Erhebung, war tausendsechshundert Meter hoch, die Ganlu-, Juyue- und Mozi-Quelle lagen verstreut auf diesem Mittelgipfel. Die Meng- und die Hui-Quell lagen auf jeweils einer Seite.

Die fünf Quellen waren nicht nur ein touristischer Anziehungspunkt, der Park war auch ein wichtiger religiöser Ort, der „Wenchang“-Tempel, der Schmetterlingstempel, der „Goldener-Buddha-Tempel“, die „Mahavira“-Halle, der „Wanyuan“-Pavillon und der „Tausend-Buddha“-Tempel waren entlang einer Passage auf dem „Five-Spring-Mountain“ angeordnet. Gänge und Steinstufen, die dem Ganzen ein künstlerisches Aussehen gaben, verbanden die Tempel. Man konnte in dem Park vieles über den Buddhismus lernen. Der Eintritt in den Park betrug fünf Yuan, was ungefähr fünfzig Euro-Cent entsprach und für unsereinen wenig, für einen Durchschnittschinesen aber vielleicht beträchtlich war.

Wenn man unterhalb des tibetanischen buddhistischen Tempels stand und die gewaltige Anlage sah, bot sich einem ein faszinierendes Bild, die Anlage war komplett restauriert und in ausgezeichnetem Zustand. Ich setzte mich in ein Besucherlokal und bestellte Tee und eine Kleinigkeit zu essen, wir hatten frühen Nachmittag und ich wollte später noch das Gansu-Museum besuchen. Im „Five-Springs“-Park war nicht viel los, es war ja Werktag und die meisten Menschen mussten arbeiten. Ich ging wieder zum Bahnhof und nahm den Bus in Richtung Hotel, er fuhr die Xijin East Road entlang, und ich stieg am Gansu Museum aus. Das Museum war das größte zusammenhängende Museum der Provinz und ein Besuch war angeblich lohnenswert, so sagte mir jedenfalls der Hotelportier.

Das Museum hatte zwei Abteilungen, eine enthielt natürliche Funde, eine zweite historische Artefakte.

Es enthielt Sammlungen verschiedener Töpferarbeiten aus dem Neolithikum und Schätze aus alten Höhlen. Darüber hinaus fanden sich im Museum kostbares Leinen und Seidenarbeiten, Bücher, hölzerne und bronzene Gefäße, viele Bambustafeln mit Schriften aus der Han-Dynastie, Fresken und viele andere Ausstellungsstücke. Ein vier Meter hohes Mammutskelett, eine Nachbildung war ausgestellt, das aus dem Gelben Fluss ausgegraben worden war (1973). Neben der frühgeschichtlichen Ausstellung waren seltene Tiere zu sehen wie Pandas, Goldaffen und rot gekrönte Kraniche.

Das Museum enthielt sicher in Teilen hoch interessante Ausstellungsstücke, ich hatte aber auch schon in Deutschland Museen zur Ur- und Frühgeschichte besucht, auch während meiner Schulzeit und fand solche Museen nie sonderlich unterhaltsam, aber das war eben Geschmackssache, als Schüler hatten wir uns über fossile Funde immer lustig gemacht. Ich fuhr wieder zum Fluss hoch und ging in den „Wasserrad-Garten“ in der Nanbinhe Middle Road. Der Garten enthielt zwei große Wasserräder, eine Spundwand, ein Erholungsterrain und eine Wassermühle. Lanzhou war die einzige Stadt, die der Gelbe Fluss durchfloss, es gab deshalb viele Bewässerungsanlagen. Man hatte von den Bewässerungssystemen in der Yunnan Provinz gelernt und ein Wasserrad erfunden, das an ein Karrenrad erinnerte und einen Durchmesser von zehn bis zwanzig Metern hatte. Die Radmitte war mit einer Achse auf Brettern aufgebracht, während der Außenrand des Rades mit vielen Schaufelplatten fixiert war. Diese Schaufeln konnten Wasser fünfzehn bis achtzehn Meter hoch befördern, um damit Felder zu bewässern. Bis 1952 standen zweihundertfünfzig Wasserräder an den Ufern des Flusses in Lanzhou und zu der Zeit wurde Lanzhou die „Stadt der Wasserräder“ genannt. In dem Garten standen zwei Wasserräder aufrecht am Südufer des Gelben Flusses. Sie waren den antiken Vorbildern nachempfunden, mit quadratischen Schaufeln und einem Durchmesser von sechzehn Metern. In Zeiten hohen Wassers trieb sie der Fluss, bei Niedrigwasser wurden sie in einer Abdämmung gespeist. Wegen der zwei Wasserräder und ihrer herausragenden Lage, genoss das Teehaus im Garten bei den Touristen großes Ansehen. Besucher konnten von dort bei einer Tasse Tee die sich drehenden Wasserräder beobachten. Im Garten konnten die Touristen Erfahrungen dabei sammeln, wie man den Fluss mit einem Schafshautfloß überquerte, was die urzeitliche Fähre im Nordwesten der Stadt war.

Der Besuch in dem Wasserradgarten hatte sich gelohnt, ich hätte jedem einen Besuch des Gartens empfohlen, besonders natürlich, weil man direkt am Gelben Fluss saß, der mich faszinierte, obwohl sein Wasser wahrscheinlich verseucht war. Ich liebte in Deutschland auch den Rhein, dessen Wasser wieder ganz erträglich geworden war.

Flüsse trugen immer ein Stück aus der Vergangenheit mit sich und das seit Jahrtausenden. Ihren Wassermassen waren die Menschen entweder hilflos ausgeliefert oder sie wussten sie für sich zu nutzen, wie bei den Wasserrädern. Der Wasserradgarten schloss um 18.00 h und ich war einer der letzten, der ihn verließ. Ich wollte wieder in die Innenstadt in mein Restaurant am Century Park, so lief ich den Fluss entlang und schaute immer auf das Wasser, der Fluss nahm mich gefangen. Vor der Zongshan-Brücke gab es Flussinseln, die das Wasser teilten, hinter der Brücke gab es Anleger, an denen Hausboote festgemacht hatten. Ich bog nach rechts in die Stadt ab, die Luft war unerträglich, am Mittag konnte man von den „Five-Spring-Mountains“ die gelbe Dunstglocke sehen, die sich über das Stadtgeschehen wölbte, ich könnte nicht in der Stadt leben und fragte mich, ob nicht alle Einwohner früher oder später schwere Erkrankungen davontrügen. In der Stadt herrschte dichter Autoverkehr, der zur Luftverschmutzung noch beitrug.

Ich erreichte nach einem zwanzigminütigen Gang den Century Place mein Restaurant. Der Kellner vom Vorabend bediente mich und ging mit mir unverzüglich in die Küche, wo ich mir das Essen vom Vorabend noch einmal zusammenstellte. Wieder nahm ich vorab ein Bier. Ich hatte mir meine „China Daily“ vom Morgen mitgenommen und begann, in aller Ruhe Zeitung zu lesen, mich interessierte nicht wirklich, was in der Welt um mich herum geschah, ich registrierte aber die Schlagzeilen. Ein Farbiger war amerikanischer Präsident geworden, das war schon bemerkenswert, der erste farbige amerikanische Präsident! Dann kam mein Essen, wieder so lecker wie am Vorabend, ich bestellte noch ein Bier. Anschließend las ich noch ein wenig in meiner Zeitung. Ich zahlte und schlenderte durch die Innenstadt, es war kühl geworden, wir hatten mittlerweile Spätsommer! Ich kam an einer Kneipe vorbei und hörte laute Musik, „Beat it“ von Michael Jackson beschallte die Umgebung, ich trat ein und sah viele junge Leute, die sich im Takt bewegten, einige tanzten. Das Kneipeninnere war war von Rauch geschwängert, so als würde jeder Besucher zwei Zigaretten auf einmal rauchen, man sah keine fünf Meter weit. Ich lief an die Theke und bestellte mir schreiend ein Bier, das mir sofort gegeben wurde und das schön kalt war. Einige Herumstehende sahen mich an, nicht dass ich zu alt gewesen wäre für die junge Kneipe, ich sah nur anders aus als die anderen. Ich stellte mich an einen Stehtisch zu Leuten, die Cola tranken und lachten und trank mein Bier aus der Flasche. Ich stand direkt unter einer Lautsprecherbox, die so laut eingestellt war, dass es unmöglich war, sich zu unterhalten und „Beat it“ hatte ja Bässe, die einem das Blut in den Adern vibrieren ließen. Ich trank mein Bier aus und ging wieder hinaus, es herrschte eine wohltuende Stille, als sich die Kneipentür hinter mir schloss, jedenfalls empfand ich es so, in Wirklichkeit war auf der Straße aber auch Lärm, wenn auch bei weitem nicht so ein Getöse, wie in der Kneipe.

Man sah einige Pärchen auf der Straße, Händchen haltend, nicht küssend, denn das war in der Öffentlichkeit verpönt. Ich kam noch an weiteren Lokalen mit lauter Musik vorbei, unterließ es aber, hineinzugehen, stattdessen lief ich weiter durch die Innenstadt, die hell erleuchtet war und sah mich um. Ich erreichte irgendwann den Bahnhof und stieg in den Bus zum Hotel, das ich gegen 22.00 h erreichte. Der Portier sah kurz hoch und fragte mich in gebrochenem Englisch, wie mir Lanzhou gefallen hätte und ich antwortete, leicht übertrieben, ausgezeichnet.

Ich ging aufs Zimmer und las in meiner Zeitung. Hillary Clinton, die hoch favorisierte Kandidatin für das Amt des amerikanischen Präsidenten, war Barack Obama unterlegen, der es in einem beispiellosen Wahlkampf verstanden hatte, die Massen auf seine Seite zu ziehen. Hillary Clinton wurde dann seine Außenministerin, eine Demokratin, aber Obama schaffte es, auch Leute in sein Kabinett einzubinden, die nicht der Demokratischen Partei angehörten. Um 22.45 h löschte ich das Licht und schlief sofort ein, ich hatte aus der Musikkneipe immer noch ein Rauschen in den Ohren, das erst dann langsam abklang.

Am nächsten Morgen stand ich um 8.30 h auf, duschte und ging in den Frühstücksraum, der einfach wirkte und in dem nur wenige Leute saßen. Er hatte in seiner Schlichtheit etwas von einer Milchbar, es war kühl in ihm und ich zog mir eine Jacke über. Ein heißer Tee tat gut, ich aß zwei Hörnchen mit Marmelade und unterhielt mich mit Hotelgästen am Nebentisch, es war ein Ehepaar aus Schweden, das eine Chinarundreise machte und in Lanzhou gelandet war, wie ich. Ich verabschiedete mich dann von ihnen und verließ das Hotel, um die „Weiße Pagode“ zu besichtigen, ein weiteres Highlight in Lanzhou. Die „Weiße Pagode“ lag im Norden der Stadt, direkt vor der Zongshan-Brücke am Nordufer des Gelben Flusses.

Sie hatte die Grundfläche eines Oktaeders, an jeder Seite des Achtecks war ein Buddhabildnis zu sehen. Die Pagode war siebzehn Meter hoch und hatte sieben Stockwerke, sie war komplett weiß, mit Ausnahme des Daches, das grün gehalten war und dem Gebäude eine vornehme Note gab. Die Legende besagte, dass die Pagode zu Ehren eines bekannten tibetanischen Lamas gebaut worden war, der an einer schweren Krankheit starb, als er auf dem Weg zu Dschingis Khan war. Möglicherweise verfiel die Pagode in den späteren Jahren. Die bestehende Pagode wurde von einem Reichsinspektor der Quing-Dynastie gebaut. 1958 wurde sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der ganze Park enthielt drei architektonisch bedeutsame Komplexe, die mit der umgebenden natürlichen Landschaft harmonierten. Nach vielen Jahren Aufforstungsarbeit bekam der Park ein neues Aussehen und in unserer Zeit erhielt er üppige Rasenflächen. Wenn jemand den Park besuchte, sollte er das oberste Stockwerk der Pagode besuchen, weil er von dort einen Blick auf den Park und auf Lanzhou erhielt. Der Blick fiel natürlich auch auf die Zongshan-Brücke, mit der die Pagode eine Einheit zu bilden schien, beide waren ein Symbol für Lanzhou und ein unbedingtes Muss für Touristen. Ich ging am Fuße der Pagode in eine Teestube, trank Tee und aß Gebäck dazu, um die Mittagszeit war an der Pagode nicht viel los.

Einige Familien liefen mit ihren Kindern durch den Park, die Kinder hatten Spaß daran, auf die Pagode zu klettern und den Blick von ganz oben zu genießen. Anschließend in der Teestube schrien sie herum und die Eltern hatten Mühe, sie zur Ruhe zu ermahnen, so ausgelassen, wie die Kinder waren, war das sehr schwer, aber auch gar nicht unbedingt nötig. Ich lief nach dem Tee zum Fluss hinunter und ging über die Zongshan-Brücke, die mir wie eine Spielzeugbrücke vorkam, so schwach wie sie war, aber sie vermittelte doch einen Eindruck davon, was es bedeutet hatte, vor hundert Jahren erstmalig über den breiten Fluss fahren zu können. Auf der anderen Flussseite hielt ich mich links und ging zu den Anliegern der Hausboote, die dort lagen und auf denen Leute Ferien zu machen schienen. Ich setzte mich am Ufer auf eine Bank und schaute mir das Treiben auf den Hausbooten an, die Sonne schien und es war relativ warm. Auf einem Hausboot sah man Kinder spielen, sie hatten Modellautos und fuhren damit an Deck herum, auf einem anderen Hausboot saß ein alter Mann in einem Schaukelstuhl und las Zeitung und auf einem dritten Hausboot hängte eine Frau gerade ihre Wäsche auf die Leine. Ich dachte an die Hausbootszene in Frankreich, wo das Hausboot sehr verbreitet war und wo die Leute quer durch das Land fuhren, durch unzählige Schleusen. Sicher böte der Fluss nicht immer die nötige Wassertiefe, um mit einem Boot auf ihm entlangzufahren. Im September führte er aber so viel Wasser, dass es locker ausreichte, eine Hausboottour auf dem Gelben Fluss zu machen.

Plötzlich erschallte eine laute Stimme von einem vierten Boot, von dem jemand zu rufen schien, ich drehte mich um, konnte aber niemanden entdecken, an den sich die Stimme gerichtet hätte. Noch einmal ertönte ein lautes Rufen, ich schaute zu dem vierten Hausboot und erkannte die Ruferin, die offensichtlich mich rief, als ich sie ansah, winkte sie mir wie wild zu, ich sollte zu ihr kommen. Das tat ich dann, lief über einen schmalen Steg auf das Hausboot und grüßte leicht verwirrt ein nettes chinesisches Mädchen, im gleichen Moment kamen ein junger Mann und noch ein Mädchen an Deck. Wir sahen uns alle an und die Ruferin hieß mich auf Englisch willkommen an Bord. Ich sagte, dass ich Paulo hieße und auf einer Reise die Seidenstraße entlang wäre, ich wäre schon seit zwei Jahren unterwegs, ergänzte ich. Die drei hörten mir zu und staunten, sie sprachen zum Glück alle Englisch und stellten sich der Reihe nach vor, der junge Mann hieß Lan, seine Freundin Mayleen und deren Schwester Lo. Lo war die Ruferin und hatte mich aus Neugier an Bord gerufen, wie sie sagte.

Wir kamen ins Gespräch, sie baten mich, an Deck Platz zu nehmen und brachten Tee. Ich musste erzählen, woher ich kam, was ich machte und wohin ich wollte. Nachdem ich erzählt hatte, dass meine Zukunft noch nicht ganz feststünde, ich aber wohl Philosophie studieren wollte, sagten Lo, Mayleen und Lan, dass sie Kommilitonen wären und an der Universität von Shanghai Politikwissenschaft studierten. Sie wären mit ihrem Hausboot schon seit einer Woche unterwegs und kämen aus Xincheng, sie lägen seit zwei Tagen in Lanzhou und machten eine Pause, sie wollten „The Great Bend“ fahren, das war der große Bogen, den der Gelbe Fluss in seinem mittleren Abschnitt beschrieb, tausend Kilometer nach Norden, fünfhundert Kilometer nach Osten und wieder tausend Kilometer nach Süden. Das fände ich sehr interessant, sagte ich, der Gelbe Fluss übte auf mich eine große Faszination aus, wie ich überhaupt große Flüsse liebte.

Ob ich nicht ein Stück mitfahren wollte, fragten sie mich, ich könnte ja jederzeit wieder von Bord gehen, wenn es mir nicht gefiele. Sofort sagte ich zu, keine Sekunde überlegte ich, wir kannten uns überhaupt nicht und wussten doch instinktiv voneinander. Dann gingen sie mit mir unter Deck, wo es drei kleine Kabinen gab, in denen jeweils ein Bett und ein Schränkchen untergebracht war, es roch leicht nach Diesel unter Deck, weil natürlich die Maschine auch unter Deck lag. Alles sah sehr gemütlich aus und ich freute mich auf meine Zeit auf dem Hausboot. Ich sagte, dass ich zu meinem Hotel müsste, um meine Sachen zu holen und wäre in einer Stunde zurück. So fuhr ich zum Hotel, packte meinen Rucksack und bezahlte mein Zimmer, der Portier schaute mich an und fragte mich, wohin ich denn weiter reiste. Ich sagte, dass ich mit einem Hausboot nach Norden führe, woraufhin er mich ungläubig ansah und mir alles Gute wünschte. Ich bedankte mich und verließ das Hotel, stieg in einen Bus, mit dem ich bis zur Zongsahn-Brücke fuhr, dort stieg ich aus und lief die hundert Meter bis zum Hausboot. Die anderen warteten schon auf mich und wollten an dem Nachmittag noch zwei, drei Stunden flussabwärts fahren. Lan wies mir meine Kabine zu und ich legte meine Sachen auf das Bett, das zwar sehr schmal aber ausreichend lang war. Er warf die Maschine an, Mayleen löste die Haltetaue und wir setzten uns in Bewegung. Ich schaute noch einmal auf Lanzhou und sah die „Weiße Pagode“ und die Skyline der Stadt. Dann verschwand alles ganz langsam und nachdem wir das Industriegebiet von Lanzhou hinter uns gelassen hatten, gelangten wir in eine scheinbar menschenleere und gebirgige Landschaft, die Eisenbahn folgte eine Zeit lang dem Flusslauf.

Nach drei Stunden legten wir in Bajiaping an, von dort machte der Fluss eine Wendung nach Norden, der er tausend Kilometer folgen sollte. Wir vertäuten das Boot an der Anlegestelle, ich reaktivierte meine Kenntnisse über das Belegen, über das vorschriftsmäßige Festmachen eines Schiffes also, was ich einmal auf einer Tour mit einer Kutterjacht durch Holland gelernt hatte. Die Eisenbahn bog an der Stelle nach Süden ab, es gab auch keine uns begleitende Straße, sondern nur die menschenleere Landschaft und uns.

Wir setzten uns an Deck und stellten an Land einen Grill auf, den wir sofort in Gang setzten. Lan holte ein paar Würstchen und Brot, ich machte aus dem, was an Bord zu finden war, einen Salat. Ich müsste am nächsten Tag einige grundlegende Dinge, die in die Küche gehörten, einkaufen. Wir grillten den ganzen Abend lang, ich wurde wegen des Salates gelobt, es schmeckte ganz ordentlich, unter den dreien schien kein guter Koch zu sein. Lan hatte Bier und Schnaps an Bord, wir tranken ordentlich und ich fühlte mich auf Anhieb wohl. Ich sagte, dass ich es bezeichnend fände, wie wir uns gefunden hätten. Es gäbe doch ein gemeinsames Band, das alle miteinander in Beziehung setzte, ohne dass die Individualität verloren ginge, glichen sich die Menschen unseres Alters im Hinblick auf ihre Vorlieben, Lebensbilder und Geschmäcker immer mehr und zwar unabhängig von ihrer Nationalität.

Lo, Mayleen und Lan gaben mir recht, sie hätten mich in Lanzhou nur anzusehen brauchen, um zu wissen, dass ich zu ihnen passte. Ich erzählte von meiner Bootstour auf dem Ili, auch der Ili hätte mich in seinen Bann geschlagen, wir hätten aber nur ein Schlauchboot gehabt, da wäre das Hausboot schon deutlich komfortabler. Auch zu den beiden Amerikanern, die mich begleiteten, hätte ich sofort eine freundschaftliche Beziehung aufgebaut, wir hätten uns auf Anhieb verstanden. Dann sagte ich, dass ich in fünfeinhalb Wochen nach Shanghai wollte, um meine Freunde aus Turpan dort auf einer Weinmesse zu besuchen. Sie hätten noch zwei Monate Semesterferien und wollten in der Zeit dem Gelben Fluss so weit wie möglich folgen, sagten die drei darauf. Sie wollten wissen, wie mir China gefiele und ich musste an meiner Antwort etwas überlegen.

Ich merkte dann an, dass ich sehr viele schöne Dinge in China erlebt und den strapaziösen Alltag gar nicht mitbekommen hätte. Das, was ich gesehen hätte, wäre beeindruckend und die Menschen, die ich kennengelernt hätte, wären alle sehr nett und freundlich gewesen. Aber, wie gesagt, ich hätte nur ganz selten einen Einblick in den normalen Alltag erhalten und könnte mir nur das Urteil eines Touristen erlauben. Ich fragte die drei, ob sie in Shanghai lebten und Lan bejahte, Lo und Mayleen kämen aus Nanjing, sie hätten sich auf dem Campus kennengelernt, das wäre ein bzw. eineinhalb Jahre her, sie wären gute Freunde geworden. Lo wäre ein Jahr jünger als Mayleen, sie hätte ein Semester später mit ihrem Studium angefangen. Lan hatte eine gut aussehende Kommilitonin zur Freundin gewonnen, aber auch Lo war ausgesprochen hübsch, für eine Chinesin groß gewachsen und von sanfter Statur. Sie hatte glänzendes langes schwarzes Haar und trug Jeans und T-Shirt, wie die anderen beiden auch. Wir stellten im Gespräch fest, dass ich ein Jahr älter als Lo war, also war Lo einundzwanzig, wir liebten die gleiche Musik und die gleiche Mode, also Jenas und T-Shirt, wenn man da von Mode sprechen konnte. Wir hatten Jacken übergezogen und saßen lange an Deck bei Petroleumlicht, Bier und Wein war genügend vorhanden. Ab und zu ging man nach hinten und pinkelte über die Reling, die Mädchen gingen nach unten aufs Klo.

Um Mitternacht überkam uns aber alle die Müdigkeit und wir gingen schlafen, meine erste Nacht auf dem Boot begann, ich hatte meinen Schlafsack ausgebreitet und musste mich zuerst an die schmale Unterlage gewöhnen, es klappte aber sehr gut und ich schlief tief und fest, mein kleines Bullauge hatte ich geöffnet. Wir schliefen bis 9.00 h und gingen dann an Deck, um zu frühstücken.

Ich nahm vorher eine Dusche in dem winzigen Duschraum, den es unten gab, die Dusche war mit der Toilette kombiniert, die Abwässer wurden in den Fluss geleitet. Wir müssten immer dafür sorgen, dass wir ausreichend Frischwasser an Bord hätten, meinte Lan, sonst müssten wir uns mit Flusswasser waschen und ob das so empfehlenswert wäre, könnte er sich nicht vorstellen. An unserer Anlegestelle konnten wir keinen Diesel und kein Wasser aufnehmen, wir müssten am Abend einen Ort anlaufen, wo das möglich wäre, wir müssten auch einkaufen. Unser Frühstück war recht karg, aber gut, es gab gutes Brot, zwar nicht frisch, aber lecker und Marmelade, dazu heißen Tee. Ich sagte, dass ich ausgezeichnet geschlafen hätte, ich hätte mein Bullauge etwas geöffnet, um frische Luft hereinzulassen. Gut dass ich das sagte, meinte Lan, ich müsste das Bullauge während der Fahrt schließen, damit kein Wasser ins Boot spritzte. Ich lief sofort nach unten und schloss das Bullauge, ich stellte meinen Rucksack vor das Schränkchen und öffnete meinen Schlafsack, damit er lüften konnte. Wir räumten dann an Deck unseren Frühstückstisch auf und spülten die Sachen, um sie hinterher zu verstauen, es gab neben der Treppe, die nach unten führte, eine winzige Kochecke, dort waren auch kleine Schränke für das Geschirr angebracht. Wir machten die Leinen los und legten ab.

Der Diesel tuckerte vernehmbar vor sich hin, störte aber nicht. Lan stand am Steuer und hielt das Boot auf Kurs. Wir machten flussabwärts ungefähr acht Knoten, das entsprach fünfzehn Stundenkilometer, was eine ordentliche Geschwindigkeit war. Wenn wir fünf Stunden täglich unterwegs wären, schafften wir fünfundsiebzig Kilometer am Tag, mit Abwechslung am Ruder verstand sich. Der Fluss verengte sich plötzlich und wir durchfuhren eine Gebirgsquerung, bis wir nach zwei Stunden nach Nirwan kamen, das in einem fruchtbaren Tal lag, was dem Auge nach der engen und teilweise reißenden Flussfahrt guttat. Bei Xixia Kou passierten wir anschließend problemlos eine Schleuse und gelangten bei Beiwundang an eine sehr große Flussinsel. Wir fuhren gemütlich an dem Ort vorbei und erreichten am Nachmittag Liangzhuang, der Ort lag in einer grünen Ackerbauebene, wir legten an und machten fest.

Das wäre unser Liegeplatz für diesen Tag, ich lief mit Lo in den Ort und kaufte ein, nachdem wir uns einen Zettel mit den Dingen, die wir brauchten, geschrieben hatten. Ich hatte meinen Rucksack in mein Schränkchen geleert und nahm ihn als Tragehilfe zum Einkaufen mit.

Der Ort lag vielleicht dreihundert Meter vom Ufer entfernt, ich dachte, dass es ab und zu einmal Hochwasser gäbe. Neben dem Ort floss ein kleiner Fluss und mündete an der Stelle, wo wir mit unserem Boot lagen, in den Huang He. Wir fanden im Ort einen Supermarkt im Zentrum, der geöffnet war und packten alles, was wir aufgeschrieben hatten, in einen Einkaufskorb, ich nahm auch viel Bier und eine Flasche Reisschnaps mit. Dann zahlten wir und luden unseren Einkauf in meinen Rucksack, der mit einem Mal ein Gewicht bekam, wie ich es bei ihm noch nie erlebt hatte. Ich balancierte den Rucksack zum Boot, Lo lief nebenher, immer aufpassend, dass ich mit der ganzen Fuhre nicht umkippte, aber was hätte sie schon ausrichten können, wenn ich gefallen wäre, sie war von so zarter Gestalt, dass sie wohl kaum die Kraft gehabt hätte, mich aufzufangen. Ich stellte meinen Rucksack auf das Deck und achtete darauf, dass das vorsichtig geschah, damit die Bierflaschen nicht kaputtgingen. Dann liefen Lo und ich noch einmal los und gingen zur Dorftankstelle, sie sollten uns einen LKW mit zweihundert Litern Diesel und dreihundert Litern Frischwasser bringen. Ich lief völlig befreit von der Last des Rucksacks durch das Dorf, wir schauten uns um, es wirkte alles ein wenig trostlos und verlassen, einige Kinder spielten auf der Straße, Autos gab es so gut wie keine, am Fluss stand ein einsamer Angler. Ich wusste nicht, ob es ratsam war, Fisch aus dem Gelben Fluss zu essen, ich konnte mir vorstellen, dass der Fisch mit Schwermetallen und anderen giftigen Chemikalien belastet wäre, ich würde keinen solchen Fisch essen. Dann kam der Lastwagen mit zwei Tanks auf der Ladefläche, für Diesel und für Wasser. Er fuhr längsseits und begann, den Diesel in den Bootstank zu pumpen. anschließend füllte er unseren Wassertank auf, wir waren wieder versorgt. Wir machten ein Bier auf und studierten die Karte, wir wollten am nächsten Tag einmal achtzig Kilometer fahren, was bedeutet hätte, dass wir bis Xiagun gelangen müssten, wir nahmen uns die Etappe vor. Ich fing an, meinen leckeren Lammgulasch zuzubereiten, wir hatten alles Nötige eingekauft, vor allem Gewürze. Ich rührte für den Salat eine Vinigrette an aus Essig, Öl, Salz Pfeffer, Zwiebeln und ließ sie etwas ziehen. Dann schnitt ich das Fleisch in mundgerechte Stücke und benutzte dazu mein Messer, was sofort Lans Aufmerksamkeit erregte. Ich erzählte ihm die Geschichte von Yussuf, dem Messerschmied aus Istanbul, wie er mit mir im Großen Basar Messerstahl kaufen ging, und wie er mir dann das Messer schmiedete, das höchste Handwerkskunst war. Ich sollte bloß auf mein Messer aufpassen, solche Dinge würden schnell gestohlen, und aus meiner Rucksackseitentasche könnte man mein Messer sogar stehlen, ohne dass ich das merkte. Ich begab mich in die Kochecke und stellte die Gasflamme an, setzte einen Topf auf die Flamme und schüttete einen Schuss Öl hinein. Dann gab ich das Fleisch in den Topf und ließ es von allen Seiten gut anbraten, bis ich die Zwiebeln und den Knoblauch hinzugab, auch salzte und pfefferte ich. Dann gab ich etwas Wasser hinzu und streute ein wenig Instantbrühe hinein, ich stellte die Flamme klein. Das Fleisch schmurgelte so eineinhalb Stunden. Ich wusch den Salat, trocknete und zerkleinerte ihn. Es gab an Bord alles nur in kleinen Größen, so fand ich eine Salatschüssel im Miniformat. Messer gab es keine, wir mussten mit Löffeln und Gabeln essen. Ich kochte den Reis und als der Gulasch fertig war, setzten wir uns an den Tisch und aßen in aller Ruhe.

Die Luft war nach Lanzhou wieder sehr gut geworden und es herrschte eine so wohltuende Stille, dass man sie in sich aufsog. Wir konnten am frühen Abend Wildgänse auf dem Huang He beobachten, sie trieben eine Zeit lang über dem Wasser, um sich dann wieder in die Luft zu erheben und in ihrer traditionellen Keilform weiter zu fliegen. Unsere Stimmung war sehr gut, wir freuten uns, zusammen auf dem Fluss fahren zu können, Lan sagte, so einer wie ich hätte noch an Bord gefehlt, und ich fühlte mich geehrt. Ich schüttete jedem einen Schnaps ein und wir prosteten uns zu, Lo schüttelte sich, sie war so harte Sachen nicht gewohnt.

Was denn so in Shanghai los wäre, wollte ich wissen, und Lo begann zu erzählen, wie sich die Touristen am „Oriental Tower“ die Klinke in die Hand gäben, sie wurde von Mayleen und Lan unterstützt, das Vorzeigestück von Shanghai wäre „The Bund“, eine Vergnügunsmeile am Huang Po, dort würde es von Touristen nur so wimmeln und in der Nanjing Road, der Haupteinkaufsstraße, käme man sich vor wie auf dem Rummelplatz, Lo meinte, dass es auf dem Times Square in New York wahrscheinlich ähnlich aussähe.

Sie fühlten sich alle drei aber in Shanghai sehr wohl, es gäbe auf dem Campus inzwischen eine Menge ausländischer Studenten, vor allem aus Europa, zu denen sie guten Kontakt hätten. Wenn ich in fünfeinhalb Wochen in Shanghai wäre, sollte ich mir alles einmal genau ansehen, sie wären dann leider noch unterwegs, sonst hätten sie mir die Stadt zeigen können. Aber wir wollten zunächst einmal den Huang He hinunter fahren und uns an der Schönheit des Flusses und der Landschaft erfreuen.

Wir nahmen alle ein Bier und tranken es in aller Gemütsruhe aus, wir mussten uns überlegen, wie wir das Bier kalt bekamen, so lauwarm, wie es war, schmeckte es nicht besonders gut. Einen Kühlschrank hatten wir nicht an Bord, wir konnten deshalb auch keine leicht verderblichen Dinge mitnehmen, wie Milchprodukte. Mir fielen auf Anhieb zwei Möglichkeiten ein, die eine wäre das Flusswasser, wir müssten die Flaschen einfach in einen Korb legen und ihn ein paar Stunden unter Wasser tauchen, die zweite Möglichkeit wäre Verdunstungskälte, man schlug ein nasses Tuch um die Flaschen und legte sie so in die Sonne, die möglichst stark scheinen musste, das verdunstende Wasser entzöge den Bierflaschen Wärme. An jenem Abend begnügten wir uns aber mit dem lauwarmen Bier. Lan und ich nahmen noch einen Schnaps, Mayleen und Lo winkten ab, sie spürten beide noch den ersten Schnaps und waren beide nicht die großen Alkoholtrinkerinnen.

Da gäbe es in der Studentenschaft einige traurige Fälle, wo einige Studenten völlig dem Alkohol verfallen waren und gar nicht mehr studierten. Die Hochschulleitung musste solche Leute den Behörden melden, die sie dann auf Zwangsentzug setzte, was sicher sehr hart war. Es war mittlerweile stockfinster geworden, man hörte außer dem gurgelnden Flusswasser keinen Laut. Vom Dorf sah man einzelne Lichter in den Häusern, wir hatten unsere Petroleumlampe an. Dann musste ich von Deutschland erzählen, wie die Jugend dort zurechtkäme und was ihre Träume wären, wie es mit der Bildung aussähe. Ich sagte, dass die Jugend in Deutschland ein hohes Maß an materieller Ausstattung genösse und auch Wert auf Dinge legte, die rein materieller Art wären, wie Autos, Kleidung und Kosmetik. Es würde die Beschäftigung mit Bildung zu kurz kommen, es würde kaum noch gelesen, die Jugendlichen sähen keinen Sinn darin, sich Klassiker zu Gemüte zu führen. Man musste natürlich sehen, dass sie in der Schule zwangsweise mit solcher Lektüre konfrontiert wurden, die nicht immer Interpretationsmuster für die Lebenswirklichkeit bot. Auch in mir wäre die Erkenntnis, dass im europäischen Abendland die Griechen alles schon vorgelebt und Problemlösungen für alles Mögliche geliefert hätten, erst sehr spät gereift. Jugendliche würden mir vielleicht vorhalten, dass die Griechen doch noch gar keine Computer gekannt hätten, was wohl richtig wäre, aber Computer dienten doch nur der Kommunikation und dem Wissenserwerb, sie wären also Medium und kein Wert an sich. Ich glaubte, dass Jugendliche immer meinten, Vorreiter einer neuen Zeit zu sein, waren sie auch, aber sie waren gleichzeitig Produkt ihrer Vergangenheit und würden nur allzu leicht die Verbindung dahin kappen.

Wir kamen wieder ins Philosophieren, wie so oft, wenn man mit Leuten zusammensaß, besonders abends und sich völlig ohne Druck treiben lassen konnte. Um 24.00 h löschten wir die Lampe und gingen schlafen. Unten gab mir Lo vor meiner Kabinentür einen Kuss auf die Wange und wünschte mir eine gute Nacht, ich schlief sofort ein.

Am nächsten Tag fuhren wir so gegen 10.00 h los, wir wollten achtzig Kilometer schaffen, Lo hatte Tücher besorgt, sie nass gemacht, Bierflaschen damit umwickelt und in die Sonne gelegt. Ab und zu musste man die Tücher anfeuchten, bis sie dann wieder trocken waren. Der Fluss wurde mit einem Male recht seicht, wir mussten aufpassen, nicht aufzusetzen und viele Flussinseln umschiffen, es blieb aber immer genügend Wasser unter dem Kiel. Das Boot hatte einen Tiefgang von achtzig Zentimetern, da musste schon extreme Wasserkknappheit herrschen, bis wir aufsetzten. Wir unterquerten hinter Wujiawan die Brücke der Nationalstraße 109, die Straßenbrücke und gleichzeitig Eisenbahnbrücke war, danach beschrieb der Gelbe Fluss einen großen Bogen, um dann lange durch eine fruchtbare Ebene zu fließen. Am frühen Nachmittag unterquerten wir die große Brücke des Liubai Expy, wir hatten bis zu der Brücke schon fünfzig Kilometer hinter uns gebracht. Wir gaben unseren Plan, bis Xiacun zu fahren auf und fuhren weiter bis Yema, einem Dorf, das inmitten von Bergen auf einer grünen Landzunge lag. Das würde uns noch einmal zwei Stunden Fahrt kosten, aber das machte nichts, wir hatten Zeit, der Fluss war ruhig und wir kamen gut voran. Am Nachmittag stand ich am Steuer und war fröhlich, ich sang vor mich hin und pfiff Melodien. Lo kam zu mir und fragte mich, warum ich so guter Dinge wäre. Mir fiel als Antwort nichts Besseres ein als zu sagen, dass ich mich am Leben freute, was sich sehr emphatisch anhörte, aber exakt den Kern der Dinge traf.

Sie mochte mich, sagte Lo dann zu mir und legte ihre Hand auf meine Schulter, ich antwortete, dass ich sie auch mochte, ihr das nur noch nicht richtig hätte zeigen können und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Kurze Zeit später erreichten wir Yema. Es gab keinen Anleger, wir mussten so nah wie möglich ans Ufer fahren und Bäume oder Astwerk suchen, an denen wir das Boot festmachen konnten. Lan hatte das Boot ans Ufer gefahren, langsam, immer darauf achtend, nicht aufzusetzen. Ich sprang ins flache Wasser und lief an Land, wo ich stabile Bäume fand, um die ich die Taue legte, mit denen ich das Boot festmachte. Wir waren alle etwas erschöpft, hatten wir doch an dem Tag mehr als achtzig Kilometer zurückgelegt. Gegessen wurde unterwegs nicht, wir hatten während der fünfeinhalb Stunden Fahrt nur etwas getrunken. Umso hungriger waren wir. Lo und ich schnappten uns meinen Rucksack und liefen ins Dorf zum Einkaufen. Wir wollten grillen, das wäre für uns am einfachsten.

Wir kauften also Fleisch ein, Ketchup, Senf, Salat und Brot. Eine Salatsauce war schnell gemacht, Lan und Mayleen hatten den Grill schon angesteckt. Wir brachen das Brot entzwei und legten Fleischstücke auf den Grill. Das Bier hatte eine akzeptable Temperatur angenommen, das Prinzip der Vedunstungskälte funktionierte eben immer, das Bier hatte zwar keine Kühlschranktemperatur, war aber gut trinkbar, anders als am Vorabend. Wir mischten den Salat und setzten uns an den Tisch. Der Grill stand an Deck, weshalb wir ein wenig aufpassen mussten, dass keine Glutstücke aufs Boot fielen und Brandflecke hinterließen oder gar ein Feuer entfachten. Wir hatten Jacken übergezogen, abends wurde es am Fluss doch immer recht frisch, es war genau so gemütlich, wie am Vorabend, wir kamen wieder gut ins Gespräch. Ich schnitt das Thema Nationalitätenkonflikte in China an und verwies auf meine Erfahrungen im uigurischen Konfliktgebiet, die ich gemacht hatte und erzählte von meinem Erlebnis, das ich mit Liang in Urumqi hatte, wo wir Zeugen eines Polizeiübergriffes wurden.

China täte sich seit jeher sehr schwer mit seinen unterschiedlichen Ethnien, es wäre ja auch praktisch unmöglich, einerseits religiöse Toleranz zum Beispiel zu üben und andererseits Unterordnung unter den staatlichen Überbau zu fordern, sagte Lan. Da, wo es Diskriminierungen gegeben hätte, wie offensichtlich bei den Uiguren, wären deren Protest und Aufbegehren verständlich und müssten die für die Diskriminierungen Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, fuhr er fort, allerdings müssten die Ethnien auch sehen, dass sie in einem Staate zusammenlebten und auch von sich aus etwas dazu beitrügen, dass das Zusammenleben friedlich verliefe. Ich gab Lan recht, dagegen war nichts zu, und ich musste an die Ausländer in Deutschland denken, und welche Schwierigkeiten damit verbunden waren, das, was man Integration nannte, auch Wirklichkeit werden zu lassen. Es ging nicht an, dass Ausländer, die in Deutschland oder auch anderswo leben wollten, Parallelgesellschaften bildeten, in denen sie fernab von geltenden sozialen oder staatlichen Strukturen lebten, ohne sich um die Sprache des Gastlandes zu bemühen, gleichwohl aber Bezieher staatlicher Leistungen sein zu wollen, das gleiche gelte sicher auch für China. Mayleen sagte, dass die ausländischen Mitbewohner natürlich in ihrer Sprache reden dürften, dass sie aber auch gut Chinesisch sprechen können müssten.

Lan und ich tranken einen Schnaps und prosteten uns zu, die Mädchen tranken Bier. Wir zündeten unsere Petroleumlampe an und saßen bis Mitternacht, dann räumten wir den Tisch ab, spülten das wenige Geschirr und trockneten es ab. Nachdem wir es in die kleinen Schränkchen getan hatten, schütteten wir die heiße Grillasche in den Fluss und ließen den Grill auf dem hinteren Deckteil stehen, damit er dort auskühlte, dann gingen wir ins Bett.

Unten vor meiner Kabinentür fiel Lo mir um den Hals, ich schob sie in meine kleine Kajüte, wo wir uns küssten. Wie gut das tat, einen Frauenkörper am eigenen Leibe zu spüren, wir streichelten uns überall und küssten uns ohne Pause.

„Du hast mir auf Anhieb sehr gut geallen“, sagte ich zu Lo und drückte sie an mich.

„Mir war klar, als du am Ufer standest, dass du einer von uns warst“, antwortete Lo.

Lo hatte einen federleichten Körper, sie war klein und dünn.

„Wenn ihr ohne mich losgefahren wärt, wäre es für euch sicher langweiliger an Bord gewesen“, sagte ich.

„Es wäre nicht nur langweiliger gewesen.ich hätte auch niemanden gehabt, mit dem ich so innig knutschen könnte wie mit dir!“, sagte Lo.

„Ich habe schon lange keinen Mädchenkörper gestreichelt und finde es ungeheuer aufregend, mit dir hier zu stehen und dich zu küssen“, sagte ich.

„Tu dir keinen Zwang an ich finde deine Küsse sehr sanft und umwerfend“, antwortete Lo.

Wir zogen uns aus und legten uns nackt auf meine schmale Liege. Ich küsste Los kleine Brüste,

„Hast du in Shanghai einen Freund?“, fragte ich Lo.

„Nein, im Moment nicht, und deshalb fühle ich mich bei dir so wohl“,sagte Lo und schiegte sich an mich. streichelten und küssten uns, dann zog Lo sich an und verschwand leise nach nebenan.

Ich schlief ausgezeichnet und wachte am nächsten Morgen erst gegen 9.00 h auf, ich hatte geträumt, ich wäre mit Lo auf Reisen, ohne auf die Zeit achten zu müssen. Ich sprang schnell unter die Minidusche, die kalt war und machte mich frisch, bevor ich mich zu den anderen zum Frühstück an Deck gesellte. Ich aß zwei Hörnchen mit Marmelade und trank Tee, Mayleen und Lan grinsten vielsagend, sie hatten Lo und mich wohl in der Nacht gehört.

Lan schlug seine Karte auf und wir schauten nach, wohin wir an dem Tag wohl fahren könnten. Die Stille war wohltuend, nur der ewig fließende Strom gab Geräusche von sich, sonst war nichts zu hören, auch vom Dorf drang kein Laut bis zu uns. Wir maßen in etwa siebzig Kilometer ab und kämen so nach Yinping, was ungefähr zwanzig Kilometer hinter der Unterquerung der S 308 lag. Das Wetter war schön, die Sonne schien warm, wenn auch nicht mit solcher Kraft, dass man vor Hitze stöhnte, wenn ich da an meinen Ausflug in die Taklamakan-Wüste dachte! Wir räumten den Frühstückstisch ab und spülten das Geschirr, schnell trockneten wir es ab und räumten es in die Schränke in der Kochecke. Dann nahmen wir nasse Tücher, umwickelten einige Bierflaschen und legten sie in die Sonne. Lan ging an das Steuerrad und ich sprang an Land, um die Halteleinen zu lösen. Plötzlich rief Lan, ich sollte die Leinen noch nicht lösen, der Motor spränge nicht an und er wüsste noch nicht genau, was zu tun wäre. Ich kletterte wieder zurück aufs Boot und ging zu Lan an den Steuerstand, er drehte den Zündschlüssel herum, die Kontrolllampen brannten, aber es tat sich nichts. Ich bat Lan, mich einmal an den Steuerstand zu lassen, damit ich mir die Sache einmal ansehen könnte. Ich drehte den Zündschlüssel herum und beobachtete die rote Lampe, wenn ich den Zündschlüssel in die Startposition drehte, flackerte die rote Lampe schwächer, ein Zeichen dafür, dass Strom zwar floss, aber auf einen großen Widerstand stieß. Das kam mir doch sehr bekannt vor, ich erinnerte mich an die VW-Käfer meiner Freunde in Deutschland, die oft exakt das gleiche Symptom aufwiesen. Der Magnetschalter des Anlassers hing dann fest, man konnte ihn mit einem gezielten Hammerschlag vor den Anlasser wieder lösen, sodass der wieder lief. Ich berichtete Lan von meiner Diagnose, Lan hatte keine Ahnung von der Motortechnik und gab mir zu verstehen, dass er meinen Worten Glauben schenkte. Ich sagte, dass wir die Motorhaube öffnen und den Anlasser suchen müssten, dann müssten wir einen Gegenstand, am besten einen Hammer nehmen, gegen den Anlasser schlagen und sehen, ob sich der Magnetschalter löste, ich hätte in Deutschland das gleiche Problem schon mehrfach am Auto erlebt.

Lan sagte, dass wir das versuchen sollten und ging mit mir nach hinten, um die Motorklappe zu suchen und wir fanden auf dem Hinterdeck eine aufklappbare Bretterkonstruktion, die wir öffneten, sodass der Motor vor uns lag. Der Motor stank nach Diesel und war ölverschmiert, ein Hammer lag neben ihm, ich schloss daraus, dass das Problem, das wir hatten, früher schon einmal aufgetreten und auf die von mir beschriebenen Weise behoben worden war. Man konnte am Motor das große Schwungrad erkennen und, daran befestigt, den Anlasser sehen, der ja mit einem Ritzel das Schwungrad drehen sollte. Das Ritzel wurde über den Zündstrom nach vorne getrieben und schnappte, wenn der Motor lief, sofort wieder zurück. Ich bat Lan, nach vorn zum Steuerstand zu gehen und den Zündschlüssel in die Startposition zu drehen, dann nahm ich den Hammer und gab mit ihm einige Schläge vor den Anlasser. Sofort sprang das Ritzel vor und drehte den Motor, der auch ansprang, das Ritzel schnappte zurück. Ich schaute zu Lan, der lachte und sich anerkennend verbeugte.

Der Motor lief, ich schloss die Klappe, was das Motorgeräusch sofort dämpfte. Dann sprang ich ans Ufer und löste die Befestigungsseile, kletterte wieder an Bord und legte die Seile zusammen, Lan legte ab und wir fuhren los. Der Motor tuckerte gleichmäßig und machte einen sehr soliden Eindruck, den Anlasser würden wir gegebenenfalls wieder mit dem Hammer bearbeiten, wir wussten ja dann, wie es zu machen wäre. Wir hatten wegen der Anlassergeschichte eine Stunde an Zeit verloren und würden deshalb möglicherweise nicht bis Yinping kommen, wir müssten einfach einmal abwarten, wie wir vorwärts kämen und machten davon abhängig, wo wir anlegen wollten. Lo und Mayleen lagen an Deck und lasen, sie waren zwei sehr schöne Mädchen, Lo sah kurz zu mir herüber und lachte mich an, sie sah aus wie eine Fee. Ich schüttete einen Eimer Flusswasser über die Bierflaschen, damit die Verdunstungskälte ihre Wirkung tun konnte. Dann schnippte ich mit dem Finger einige Wasserspritzer auf Lo und Mayleen und erntete frenetisches Gekreische. Der Fluss zog sich über viele Windungen immer wieder durch Gebirgsmassive, das Flussbett verengte sich dann, und die Fließgeschwindigkeit des Wassers stieg. Da hieß es vorsichtig manövrieren und aufpassen, dass man nicht zu dicht ans Ufer kam und aufsetzte, denn ein Loch im Rumpf hätte wohl das vorläufige Ende der Bootsfahrt bedeutet. Aber Lan war ein guter Steuermann, er lancierte unser Boot sicher durch die Stromschnellen und durch seichtes Wasser, er hatte einen Blick dafür, wo die sichere Fahrrinne lag. Dann gab es wieder große fruchtbare Ebenen, wo der Huang He gemächlich dahinfloss, wie bei Zhujiayao, sofort folgte aber wieder eine windungsreiche Gebirgspassage, die in einen großen Schlenker und, nach der S 308, in eine große Ebene auslief, wie bei Chenjiatan. Der Fluss mäanderte in der Ebene sogar um Flussinseln herum, bevor er sich seinen Weg durch eine neues Gebirgsmassiv fraß und wir Yinping erreichten. Es war später Nachmittag, wir lagen sehr gut in der Zeit und konnten uns in aller Ruhe einen Liegeplatz suchen. Dort zwischen den hohen Bergflanken strömte der Fluss ziemlich stark, wir mussten unser Boot gut festmachen und suchten fest verankerte Bäume für unsere Befestigungsseile, wir nahmen sogar noch ein Extraseil, um das Boot auch ja gut zu verankern.

Yinping war ein Flussnest, wie die anderen Dörfer am Fluss, die wir bis dahin gesehen hatten, auch, man konnte sich glücklich schätzen, eine asphaltierte Dorfstraße vorzufinden. Lo und ich waren wieder einkaufen, wir gingen zuerst zum Bäcker und holten gutes frisches Brot, dann kauften wir im Supermarkt lauter leckere Sachen, die zu gutem Brot passten, wie Käse, Büchsenfleisch und Dauerwurst. Wir wollten kalt essen, das würde weniger Arbeit machen und schmeckte ebenso gut, wir kauften auch jede Menge Obst, das wegen seines Vitamingehaltes wichtig , und wir stockten unseren Biervorrat auf. Wir hatten wieder meinen Rucksack als Tragetasche mit, er war aber nicht so schwer geworden, wie bei unserem ersten Einkauf, stabil genug war er, ich hatte die Nähte kontrolliert. Ich sagte Lo frei heraus, dass ich keine Präservative hätte und Lo ging im Supermarkt zum passenden Regal und nahm wie selbstverständlich eine Packung Kondome heraus. Anschließend setzten Lo und ich mich in Yinping vor eine Kneipe und tranken Bier.

Einige Kinder kamen und schauten neugierig, was die Fremden denn da in ihrem Dorf machten und lachten. Ich gab jedem der Kinder hundert Yuan, die Kinder lachten laut auf und rannten davon. Ich wusste nicht, wie das Verhalten der Kinder zu deuten wäre, Lo sagte, dass das schon in Ordnung wäre, die Kinder freuten sich, ihr Lachen wäre ihr Dank. Ich zahlte und wir liefen zum Boot zurück, wo Lan und Mayleen schon den Tisch gedeckt hatten. Wir hatten noch Tomate und Gurke, die wir zerkleinerten und mit klein geschnittener Zwiebel anrichteten. Wir zerteilten das Brot, legten Käse und Dauerwurst auf den Tisch und öffneten das Büchsenfleisch, das zwar eine undefinierbare Fleischmasse mit vielen Fettstücken war, aber eine sehr gute Würze hatte und ausgezeichnet schmeckte. Ich sagte Lo, Mayleen und Lan dann, dass in Deutschland die wildesten Gerüchte darüber kursierten, was die Chinesen äßen, unsere China-Restaurants wären ja eigentlich Hongkong- oder Indonesien-Restaurants. Viele Deutsche glaubten, dass die Chinesen alles äßen, was Beine hatte, so wie Katzen und Hunde, ja sogar vor Ratten schreckten viele nicht zurück, auch Insekten wären nicht verpönt. Mayleen entgegnete, dass sich die Essgewohnheiten in China stark unterschieden, je nach Region gäbe es unterschiedliche Küchen, es würden tatsächlich auch Hunde gegessen, wogegen eigentlich nichts spräche, Hunde wären saubere Tiere und hätten gutes Fleisch, sie selbst hätte aber noch nie Hund gegessen. Der Genuss von Ratten wäre in Vietnam verbreitet, sie hätte noch nicht davon gehört, dass in China Rattenfleisch gegessen würde, der Genuss von Rattenfleisch wäre sicher nicht unproblematisch, weil Ratten in Fäkalien lebten und ihr Fleisch deshalb unrein wäre. Das Lieblingsfleisch der Chinesen wäre Schweinefleisch, Rindfleisch würde auch gerne gegessen, wäre aber zu teuer, Geflügel rangierte auf dem Speiseplan ganz oben, es gäbe sehr gute Rezepte mit Geflügelfleisch, zum Beispiel Hähnchen süß-sauer. Das Schwein würde übrigens gegessen, obwohl es sich im Dreck wälzte und im Regelfall keinen sauberen Eindruck machte. Insekten äße man in Südwestasien als Proteinlieferanten, sie würden in Öl frittiert und schmeckten zum Teil ganz gut, Mayleen hätte einmal Insekten probiert, müsste sie aber nicht noch einmal essen. Dann erzählten Lan und Lo von ihren Essvorlieben und ich erzählte von der mitteleuropäischen Küche, die mittlerweile so facettenreich geworden war, dass man gar nicht wusste, wo man anfangen sollte.

Ich erzählte von der Resonanz der italienischen Küche in den deutschen Restaurants, dass die Jugendlichen mit Vorliebe Pizza äßen und die Erwachsenen den italienischen Wein entdeckt hätten, dass man aber meinen Vater früher mit Nudeln hätte jagen können. Ich sagte, dass auch ich sehr gerne italienisch äße, die mediterrane Küche wäre obendrein auch sehr gesund, wegen des Olivenöls und wegen der Kräuter. Wir öffneten vier Bierflaschen und prosteten uns zu, das Bier war schön kalt, Lan und ich tranken einen Schnaps zum Essen, die Mädchen verzichteten. Wir aßen in aller Ruhe, hatten Zeit ohne Ende, niemand störte uns.

Ein solches Essen liebte ich, fern von allem, es war mucksmäuschenstill, die Temperatur stimmte, ich war glücklich. Gut, dass wir so einen versierten Mechaniker an Bord hätten, meinte Lan und wies auf mich. Ich entgegnete, dass das am Morgen doch wirklich ein Klacks gewesen wäre und wenn ich so etwas nicht schon einmal erlebt hätte, hätte ich auch nicht gewusst, was zu tun gewesen wäre. Lan stieß mit seinem vollen Schnapsglas mit mir an, wir nahmen beide noch einen zweiten Schnaps, dann brachte ich die Flasche fort, damit wir nicht schon am frühen Abend betrunken wären. Wir steckten unsere Petroleumlampe an und sahen, dass viele Mücken in das Licht flogen, Lan hatte Duftkerzen gegen die Mücken mitgenommen, stellte welche auf den Tisch und steckte sie an. Tatsächlich hatte man den Endruck, die Stecherei ließe nach.

Die Kerzen gaben beim Verbrennen ätherische Dämpfe frei, die die Mücke abstießen, was sollte man aber im Bett machen? Lan hatte zu dem Zweck ein Insektenmittel, mit dem man sich einreiben müsste, das stänke zwar, wäre aber hoch wirksam, er hätte jedenfalls gute Erfahrungen damit gemacht. Mayleen und Lo fingen plötzlich an, wunderschön zu singen, sie sangen ein Lied von Trauer und Freude, wie sie mir hinterher sagten und ich glaubte, den Inhalt an der Melodie und dem Ausdruck der beiden erraten zu können, Lan summte mit und als ich die Melodie halbwegs verstanden hatte, summte auch ich mit, wie gern hätte ich mitgesungen, aber dazu fehlten mir die Sprachkentnisse. Lan und ich klatschten Beifall, als die beiden aufgehört hatten, sie bedankten sich und sangen gleich ein neues, mindestens genau so schönes Lied, Lan und ich summten wieder mit. Ich erzählte anschließend, dass es zu meiner Jugendzeit Sitte war, am Lagerfeuer zu singen, wir hätten Lieder gesungen, die jeder kannte und jeder sang auch mit. So ein Lied verband alle miteinander und hob einen in eine andere Sphäre, eine Sphäre, die über dem Alltag angesiedelt war und die etwas ganz Besonderes hatte, etwas, das jeder spürte, etwas, das jeden beseelte, was man schon daran merkte, dass man sich im Anschluss an das Singen ganz leise unterhielt, was sich dann zwar wieder verlor, aber zumindest eine Zeit lang angehalten hatte. Ich glaubte, dass solches Singen die Menschen glücklich stimmte, man sang mit anderen gemeinsam Texte, die schon alt waren und auf deren Sinn es gar nicht ankam, es war das gemeinsame Singen, das verzauberte und entrückte. Nach dem wunderschönen Gesang aßen wir weiter, wir waren sehr guter Stimmung und meine drei Gastgeber sagten mir dann noch einmal, dass sie glaubten, mit mir einen Glücksgriff getan zu haben, es wäre schade, dass ich nicht den ganzen Bogen des Gelben Flusses mitführe. Ich dankte für das hohe Lob und prostete den anderen zu, so langsam merkte ich den Alkohol, ich hatte auch schon zwei Schnäpse und vier Bier intus, das Bier im Dorf noch gar nicht mitgerechnet.

Es war ein sehr gemütlicher Abend und es fiel schwer, dann irgendwann ins Bett zu gehen, es war schon Mitternacht. Ich küsste Lo und wir gingen beide in unsere Kajüte, zu müde, um uns noch zu lieben. Als ich am nächsten Morgen die Tür zu unserer Minidusche öffnete, stand Lo unter der Dusche, sie hatte vergessen die Kabinentür abzuschließen. Sie sah mich an und zeigte keine Scheu, sie stand nackt vor mir und machte keine Anstalten, etwas von sich mit den Armen oder einem Handtuch zu verdecken, so konnte ich sie betrachten und es schien Lo zu gefallen, wie ich sie ansah. Mir fehlten die Worte, so schön war Lo, ihr Busen war klein und fest, ihr Körper wohlproportioniert. Ich küsste sie und zog mich wieder zurück. Nach dem Duschen trafen wir uns alle vier beim Frühstück an Deck, es war ein herrlicher Tag und wir waren guter Dinge. Lan hatte die Karte hervorgeholt und wir schauten, welches unser Tagesziel sein könnte. Wir waren uns einig, dass wir versuchen sollten, in die fruchtbare Ebene von Zhongwei zu kommen, das wären allerdings um die hundert Kilometer, wir könnten es zumindest versuchen, dann hätten wir für längere Zeit erst einmal das Gebirge hinter uns.

Doch zunächst einmal gab es Frühstück. Es war noch nicht zu spät, wenn wir bald losmachten, könnten wir viele Kilometer hinter uns bringen, wir könnten aber auch jederzeit anlegen, wenn wir keine Lust mehr hätten. Uns standen sehr viele nicht ganz ungefährliche Flusswindungen bevor, das Problem war die hohe Fließgeschwindigkeit des Flusses in den Verengungen beim Durchfließen eng aneinander stehender Gebirgshänge. Man musste dort gut steuern können und aufpassen, dass man nicht in zu seichtes Wasser gedrückt wurde, das hätte möglicherweise in Loch im Rumpf gegeben und für unsere Reise das vorzeitige Aus bedeutet. Wir fuhren um 9.30 h los und waren gutgelaunt, wir freuten uns, wie wir uns durch die Landschaft bewegten, Lan stand am Steuer, Lo und Mayleen hatten sich auf die Liegen an Deck gelegt und lasen. Ich stellte mich zu Lan und wir unterhielten uns, er war eigentlich genau so schiffsunerfahren wie ich, hatte nur den Erfahrungsvorsprung von zwei Wochen an Bord, die er länger auf dem Boot war, als ich. Es fing gleich mit den mächtigen Kehren an, die der Fluss beschrieb, er wälzte sich mit seinen gelben Fluten um die Felsnasen herum, die wir umsteuerten, um der Fließrichtung zu folgen. Man sah auf dem Fluss nur selten Boote oder Schiffe, der Fluss schien im Bewusstsein der Bevölkerung nur eine untergeordnete Rolle zu spielen, jedenfalls was den Fluss als Wasserstraße anbelangte, die Aufschwemmungen durch Löß waren gelegentlich gewaltig, sodass große Schiffe nur selten durchfahren konnten. Manchmal passierten wir ein Dorf und wenn fruchtbare Flächen an den Ufern freigelegt waren, betrieben die Dorfbewohner dort Ackerbau und Viehzucht, waren aber ansonsten fast völlig von der Außenwelt abgeschnitten, nur Fernsehen und Internet stellten eine Verbindung her, die hatten überall ihren Einzug gehalten. Man fragte sich, was die Bewohner solcher Dörfer für ein Leben führten, das verschloss sich einem Außenstehenden ja vollkommen, ihre einzige Zutrittsmöglichkeit zu der sie umgebenden Welt wäre der Fluss gewesen, Straßen gab es weit und breit keine. Es schien aber so, dass die Dörfer zum Fluss kein gutes Verhältnis hatten, es gab jedenfalls weder Anlegestelle noch Boote, vielleicht trat der Gelbe Fluss regelmäßig über die Ufer und überspülte die Äcker mit seiner gelben Fracht, die sicher fruchtbar war, im Moment der Überflutung aber alle Feldfrüchte vernichtete und dem Vieh die Weiden nahm. Stundenlang durchfuhren wir das Gebirge, schroffe Felswände wechselten sich mit kleinen Landvorsprüngen ab, an denen es Dörfer und landwirtschaftliche Flächen gab, hin und wieder mündete ein Nebenfluss. Auf der linken Flussseite begleitete uns seit geraumer Zeit eine schmale Straße und bei Yushu Taizi hatten sich Ausläufer der Gobi Wüste aus der Inneren Mongolei, an deren Grenze wir uns inzwischen befanden, zum Fluss hindurchgebrochen, wir bekamen plötzlich einen heißen Wind zu spüren, tauchten dann aber für weitere vierzig Kilometer in die Felsformationen ein, die aber schon nicht mehr die gewaltigen Ausmaße hatten. Die warme Luft begleitete uns fortan und wir bekamen großen Durst, dem wir aber nicht mit Bier abhalfen, sondern wir nahmen jeder eine leere Flasche und füllten sie am Wassertank. Dann, bei Dawan, tauchten wir in die Wüstenebene ein, neben uns verlief die 201 Provincial Road mit Eisenbahn und es folgte ein Gebiet mit dichter Besiedlung, in Shapo Toucun machten wir fest, ein kleiner Ort, der allerdings lebte, man merkte die Nähe großer Städte, es gab Autoverkehr, die absolute Stille war vorbei, es gab sogar Touristen. Lo und ich gingen wieder einkaufen, man hatte am Ort verschiedene Supermärkte, wir wurden nicht angestarrt wie das achte Weltwunder, man musste beim Überqueren der Straße auf Autos achten. Wir hatten beschlossen, wieder zu grillen und Lo und ich gingen zum Metzger, wir kauften bei ihm gutes Lammfleisch, danach deckten wir uns im Supermarkt mit Bier ein, auch Limo holten wir, zum Schluss holten wir beim Bäcker gutes Brot. Der Rucksack hatte doch beträchtlich an Gewicht zugelegt und ich schleppte den Einkauf zum Boot. Lo und ich setzten uns an den Tisch und öffneten jedem eine Flasche Bier, als wir plötzlich vom Unterdeck her Stöhngeräusche hörten. Wir schauten uns an und küssten uns, Lo umarmte mich und schmiegte sich an mich. Ich war zu jenem Zeitpunkt seit einer Woche auf dem Boot, es kam mir vor, als hätte ich nie etwas anderes getan, als Boot zu fahren. Lo und ich bereiteten den Grill vor uns steckten ihn an, wir stellten ihn aus der Windrichtung, sodass wir nicht im Qualm sitzen mussten. Dann kamen Mayleen und Lan hoch und setzten sich zu uns an den Tisch. Wir gaben ihnen Bier und stießen gemeinsam an.

Ich legte Fleisch auf und zerschnitt ein paar Gurken und Tomaten, ich zerteilte das Brot. Das war ein anstrengender Tag, die Fahrerei durch das Gebirge hatte höchste Aufmerksamkeit erfordert, ich hatte mich am Steuer zwar mit Lan abgewechselt, aber Lan stand doch immer neben mir, egal, wir hatten es geschafft und waren zufrieden. Wir kamen auf das Thema Familien zu sprechen, als ich sagte, dass ich einmal wieder nach Hause telefonieren müsste, um mitzuteilen, dass alles in Ordnung wäre. Die anderen wollten von mir wissen, welche Rolle mein Elternhaus in meinem Leben spielte. Ich überlegte kurz und antwortete dann, dass ich gerne an mein Elternhaus dächte, aber auch froh wäre, auf eigenen Beinen zu stehen. Ich wäre zwei Jahre von zu Hause fort, manchmal sehnte ich mich nach meinen Eltern, sie wären aber in einem Alter, wo sie mir in meinem Leben nicht mehr weiterhelfen konnten, es würde sich allmählich ein Rollentausch vollziehen, auch innerhalb der Familie hätte in den letzten Jahren mehr und mehr die Mutter das Zepter in die Hand genommen. Lan sagte von seiner Familie etwas Ähnliches, als er Kind war, hätte er seinem Vater unbedingt aufs Wort gehorchen müssen, bei Verfehlungen gab es Schläge mit dem Rohrstock, weshalb er seinen Vater in den späteren Jahren hasste. Dann aber ließ die Strenge plötzlich nach, als er ungefähr fünfzehn Jahre alt war, hatte er zu seinem Vater ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut, von dem er nie geglaubt hätte, dass es sich jemals einstellen würde. Er hätte noch eine Schwester, die durch eine ganz andere Erziehung gegangen wäre, sie wäre als Mädchen nie solch strengen Maßregeln unterworfen gewesen, sie hätte mehr unter den Fittichen seiner Mutter gestanden und die war sehr sanft und nachsichtig. Lo und Mayleen hatten einen Bruder und bestätigten für ihre eigene Erziehung Lans Worte, auch bei ihnen wäre die Mutter die Hauptansprechpartnerin gewesen, nie wären sie geschlagen worden, sie hätten eine sehr glückliche Kindheit durchlebt. Wir fragten uns, wie wir unser Verhältnis zu unseren Eltern in diesem Moment sähen. Ich sagte, dass ich ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern hätte, jedenfalls glaubte ich das, ich achtete auf Distanz, ohne meine Eltern das merken zu lassen, außer natürlich auf meiner Reise. Lan meinte, dass eine solche Distanz wichtig wäre, einerseits um zu signalisieren, dass man auf eigenen Füßen stünde, andererseits auch, um zu zeigen, dass man sich dem erzieherischen Einfluss durch das Elternhaus entzogen hätte. Die Mädchen sagten, dass es immer sehr schön wäre, nach Hause zu fahren, es hätte sich nicht sehr viel geändert. Ich erwähnte, dass sich bei meinem Vater langsam Krankheiten einstellen würden, an die man früher nicht gedacht hatte. So litte er in letzter Zeit unter Rheuma und sonstigen Altersbeschwerden, er wäre sechzig Jahre alt und müsste sich schonen, er wäre Frührentner und würde noch viel im Garten arbeiten. Lo, Mayleen und Lan entgegneten, dass ihre Eltern jünger und bei bester Gesundheit wären, sie wüssten nicht, woran es läge, dass in den westlichen Zivilisationen Krankheiten verbreitet wären, die es in China kaum gäbe. Ich gab meiner Vermutung Ausdruck, dass das ernährungsbedingt wäre, der hohe Fleischkonsum bei uns wäre nicht gut für den Körper, womit wir wieder bei unserem Grill wären und lachen mussten.

Ich wendete die Lammsteaks und stellte Ketchup und Senf auf den Tisch, wir prosteten uns zu und nahmen uns vor, auf unsere Ernährungsgewohnheiten zu achten, ab und zu einmal zu grillen, das könnte aber nicht schaden. Ich gab jedem ein Stück Fleisch und legte noch nach, die Mädchen winkten ab, Lan und ich würden aber noch ein zweites Stück Fleisch essen.

Der Fleischkonsum war in China in den letzten Jahren deutlich angestiegen, wie sich überhaupt der ganze Lebensstandard verbessert hatte. Die Massenarmut war nicht mehr so ausgeprägt, wie in früheren Jahren. Sicher, es gab noch Wanderarbeiter, die zu Millionen vom Land in die Städte zogen und dort Arbeit suchten, deren Schicksal war erbärmlich. Aber die unglaubliche Armut früherer Jahre auf dem Land war praktisch verschwunden, was viele auf Chinas Öffnung nach Westen zurückführten und auf die Möglichkeit für den Einzelnen, in Eigenverantwortung Gewinne zu erwirtschaften, was früher völlig undenkbar war. Ich schenkte Lan und mir einen Schnaps ein, wir sahen uns an und kippten ihn hinunter. Ich wollte es an dem Abend bei einem Schnaps belassen, Lan auch und so brachte ich die Flasche wieder weg. Wir hatten lange geredet, das Reden hatte Spaß gemacht, man merkte, dass man auf der gleichen Wellenlänge schwang, und so gab es viele Anknüpfungspunkte für Gespräche, einer war eben die Familie.

Trotz unserer Auslassungen über den übermäßigen Fleischgenuss in Zentraleuropa ließen wir uns unser Grillfleisch schmecken, es schmeckte hervorragend. Wir saßen lange an Deck und erzählten, es herrschte wieder die Philosophieatmosphäre, wie an so vielen Abenden zuvor auch schon, sie entwickelte sich, wenn man unter Gleichaltrigen in aller Ruhe ohne Druck zusammensaß. Gegen Mitternacht gingen wir schlafen, nachdem wir die heiße Grillasche in den Fluss geschüttet, den Grill nach hinten gestellt und den Tisch abgeräumt hatten.

Als ich Lo unten vor ihrer Kajütentür küsste, schob sie mich in ihre Kajüte und wir umarmten uns gierig, wobei wir uns gegenseitig auszogen. Ich sagte zu Lo:

„Unsere Gespräche an Deck nach dem Essen sind immer sehr erfüllend, ich glaube, dass jeder von uns etwas davon hat.“

„Wenn Lan, Mayleen und ich zusammen sind, führen wir oft solche Gespräche, bei denen sich jeder wohlfühlt“, sagte Lo.

„Man merkt euch allen dreien an, dass ihr vieles aus eurem Studium vor euch her transportiert, man spürt einen Wissensfundus“, antwortete ich.

„Wir streiten uns auch schon einmal, das sind oft Kleinigkeiten, um die es dann geht und wir lösen den Konflikt dann meistens in Frieden auf“, sagte Lo. Ich drückte Lo eng an mich und küsste sie, Lo schien meine Küsse zu genießen und schmiegte sich an mich. Wir lagen auf Los enger Liege übereinander, wieder spürte ich kaum ihr Gewicht, sie war wie eine Feder, ich musste vorsichtig sein, sie nicht zu verletzen. Dann überkam uns die Müdigkeit und ich ging in meine Kajüte, wo ich mich hinlegte und sofort einschlief.

Als ich am nächsten Morgen nach der Dusche zum Frühstück hochging, saßen alle schon am Tisch und ich fragte sie, ob sie Frühaufsteher wären. Lo sagte, dass das so drin wäre, wenn sie Seminare hätte, würden die immer um 8.00 h anfangen, das hieße dann 6.30 h aufstehen, frühstücken und mit dem Fahrrad zur Uni fahren.

Wir überlegten alle zusammen beim Frühstück, ob wir uns in Zhongwei den „Gao Miao“-Tempel anschauen sollten, das war ein Tempel, der buddhistischen, konfuzianischen und taoistischen Darbietungen gedient hatte, unter ihm war während der Kulturrevolution ein Betonbunker gebaut worden.

Wir waren aber der Ansicht, dass wir weiterfahren sollten und die ganzen bevölkerungsreichen Städte in der riesigen, der Wüste abgetrotzten Ebene von Zhongwei hinter uns lassen sollten. Der Entschluss erwies sich als wohlüberlegt, so konnten wir eine ausgiebige Frühstückszeit einplanen, ich lief schnell los und holte gutes frisches Brot. Das Brot mit Marmelade, dazu ein guter Tee, etwas Besseres würde mir wohl in meinem ganzen Leben nicht mehr zum Frühstück geboten werden.

Am späten Vormittag machten wir los und fuhren flussabwärts an der Millionenmetropole Zhongwei vorbei nach Zhenlou und Yuding, Orte, die wir am Mittag passierten. Der Fluss mäanderte durch die Ebene, man musste höllisch aufpassen, in der Fahrrinne zu bleiben. Wir kamen sehr gut vorwärts, am frühen Nachmittag hatten wir die große Ebene durchfahren und bewegten uns dann nordwäts, wir fuhren bis zur Flussschleife beim Yuanlin Village, wo wir festmachten. Der Ort lag fünfhundert Meter vom Fluss entfernt, wir mussten zum Einkaufen dort hin laufen. Wir entschieden uns, am nächsten Abend essen zu gehen und wenn es möglich wäre, das Boot dabei im Auge zu behalten. Lo und ich liefen los, wir hatten eine Tragetasche dabei, denn viel wollten wir nicht kaufen.

Yuanlin Village war eine Art Feriensiedlung mit Anbindung an die Nationalstraße 109, die Eisenbahn lag fünf Kilometer entfernt, der Gelbe Fluss hatte dort einige Altarme. Es gab mitten im Ort einen Laden, der die Dinge führte, die wir haben wollten, das war nur Brotauflage, also Käse, Dauerwurst und Büchsenfleisch, ferner gab es fertige Frikadellen, Tomaten, Gurken, Obst und Brot. Wir packten alles in unseren Beutel und liefen zum Boot zurück.

Maylee und Lan hatten schon den Tisch gedeckt, wir machten vier Bier auf und begannen zu essen, in aller Ruhe, so wie wir das bislang immer getan hatten. Wir waren an dem Tag fast neunzig Kilometer gefahren und ziemlich erschöpft, es war die ununterbrochene Aufmerksamkeit, die man walten lassen musste und die einen so ermüdete. Wir wollten zur Abwechslung an dem Abend einmal etwas spielen, es war interessant zu erfahren, dass es in China ähnliche Spiele gab wie in Deutschland. Es gab ein Würfelspiel, bei dem es darum ging, Straßen oder Gleiche zu würfeln, auch eine Art „Stadt, Land, Fluss“ war in China verbreitet und das spielten wir auch. Jemand sagte leise das Alphabet auf und nannte den Buchstaben, bei dem er angekommen war, wenn ein anderer „Stopp!“ rief. Es mussten dann aus allen möglichen Wissensgebieten Begriffe mit diesem Anfangsbuchstaben gefunden werden. Vorab mussten wir uns über über die Begriffe verständigen, Stadt, Land und Fluss blieben natürlich, wir ergänzten Pflanze, Tier und Berg. Das Spiel erwies sich als gute Idee, wir waren alle spielbegeistert und hatten einen unglaublichen Spaß miteinander. Oft wurden Begriffe in Zweifel gezogen, und der Betreffende musste glaubhaft die Richtigkeit seines Begriffes versichern, oft waren es unbekannte chinesische Städte, über die gestritten wurde oder deutsche Städte, die die drei dann nicht kannten, wir einigten uns aber immer. Am Ende zählten wir unsere Punkte zusammen und Lan hatte gewonnen, er zeigte sich als Geografiekundiger, der bei Flüssen und Bergen unschlagbar war. Gegen Mitternacht gingen wir schlafen, ich küsste Lo vor ihrer Kajütentür und wir umarmten uns, dann wünschten wir uns eine gute Nacht und gingen in unsere Kojen.

Das Frühstück am nächsten Morgen fand relativ zeitig statt, Lan und ich studierten die Karte, während wir unser Brot aßen und Tee tranken. Wir mussten an dem Tag an Wuzhong vorbei, einem Moloch von Stadt mit Millionen Einwohnern, in der es keine nennenswerte Sehenswürdigkeit gab. Vorher gab es bei Wudatei eine sehr große Schleusenanlage, die uns sicher eine Zeit lang aufhalten würde. Wir fuhren um 9.30 h los und kamen schon um 13.00 h an die Schleuse, den Fluss säumten schwarze Industrieanlagen mit rauchenden Schloten, wir unterquerten noch zwei große Brücken, bevor der Fluss an Breite zunahm, träge dahin floss und viele Seitenarme bildete. Nach vier Stunden kamen wir an die Jingzang-Expy-Brücke, wir fuhren noch eine Stunde und machten dann bei Nanfang an einem Anleger fest, der zu einem Restaurant gehörte.

Wir wollten an dem Abend ja essen gehen, so kam uns der Anlegepunkt sehr gelegen, wir konnten draußen sitzen und unser Boot im Auge behalten. Das Restaurant war aber noch geschlossen und würde erst in der folgenden Stunde öffnen. So setzten wir uns an Deck und tranken Bier, erzählten viel und genossen den warmen Wind, der aus der Gobi-Wüste zu uns wehte. Wir liefen nach einer Stunde zur Restaurantterrasse, die direkt am Flussufer lag und auf Holzstelzen gebaut war, weil der Boden schlammig war und für ein Fundament nicht genügend Halt bot. Nach und nach füllte sich die Terrasse, offensichtlich kamen Touristen dorthin, die die gute Restaurantküche schätzten, was für uns ein gutes Zeichen war. Wir ließen uns die Karte bringen und bestellten Bier, dann begann Lan, die Speisekarte ins Englische zu übersetzen, ein großer Vorteil für mich, so brauchte ich dem Kellner nicht in die Küche zu folgen. Lan fragte die Mädchen, was sie essen wollten, sie sagten, sie wollten Rindfleisch süß-sauer mit Reis und Chop Suey, einem Gemüsemix, der in China sehr verbreitet war und zu Rind- und Schweinefleisch gereicht wurde. Lan und ich schlossen uns an, Chop Suey war eigentlich kein original chinesisches Gericht, sondern es wurde um die Mitte des 19. Jahrhunderts wahrscheinlich von Exilchinesen in San Francisco erfunden. Ab und zu schweifte unser Blick zum Boot, es lag völlig unberührt da und wir brauchten uns im Grunde keine Sorgen zu machen. Es war gut, dass wir an dem Abend essen gegangen waren, keiner hatte Lust, wieder an Bord zu essen, denn dort ging es ja doch mit vermindertem Komfort zu, es war eben sehr schön, ab und zu einmal bedient zu werden.

Viele kamen aus dem nahegelegenen Yinchuan ins Restaurant gefahren, das konnte Lan an deren Dialekt erkennen, wir hatten es also gut angetroffen.

Und dann kam unser Essen, Berge von Fleisch, Reis und Gemüse, das man mit Sojasauce und „Sambal Oleg“ würzte, wobei man mit „Smbal Oleg“ vorsichtig umgehen musste, es war das schärfste Gewürz, das ich jemals gegessen hatte. Das Essen schmeckte ausgezeichnet und unsere Stimmung war ausgelassen und vergnügt, wir bestellten noch eine Runde Bier. Nach zwei Stunden liefen wir wieder zum Boot, wo wir es uns beim Schein der Petroleumlampe gemütlich machten. Wir unterhielten uns über die Hauptstadt der autonomen Provinz Ningxia Hui Yinchuan, die wir unbedingt besuchen und besichtigen wollten. Wir beschlossen, unser Boot am nächsten Morgen am Restaurant liegen zu lassen und den Bus von Nanfang nach Yinchuan zu nehmen. Wir baten den Restaurantbesitzer, gelegentlich nach unserem Boot zu schauen und gaben ihm einen kleinen Betrag dafür. Wir gingen an dem Abend relativ früh zu Bett, ich lag mit Lo auf meiner Koje, wir küssten uns und schmiegten uns aneinander, wir schliefen zusammen, woraufhin mich ein unbeschreibliches Gefühl befiel und ich glaubte, dass auch Lo etwas empfand, das sie so schnell nicht wieder vergessen würde. Wir würden am nächsten Tag nicht weit fahren, wenn wir überhaupt führen, unser Aufenthalt in Yinchuan würde sicher seine Zeit dauern.

Wir frühstückten ausgiebig und brachten auf dem Boot alles in Sicherheit, wir verriegelten die Türen nach unten und liefen dann zur Bushaltestelle in Nanfang. Es waren ungefähr zwanzig Kilometer bis Yinchuan zu fahren, die Strecke mit dem Boot zu fahren, hätte nicht gelohnt, zumal wir dann vom Fluss aus circa sechs Kilometer bis zur Stadt hätten laufen müssen, und wer wusste schon, wie der Anlegeplatz gewesen wäre? Wir stiegen also in den Bus, der über die Nationalstraße 109 in Yinchuan hineinfuhr und uns am Hauptbahnhof absetzte. Wir setzten uns zunächst einmal in die Teestube und überlegten, wie wir uns die Stadt ansehen sollten. Wir entschieden, im Bahnhof zum Tourist Office zu gehen und uns beraten zu lassen. Das Bahnhofsgebäude war ultramodern und mit seiner futuristischen Architektur zum Wahrzeichen der Universitätsstadt geworden. Beim Tourist Office stellte man uns vor die Wahl, entweder an einer geführten Stadtrundfahrt teilzunehmen oder im Bahnhof Fahrräder zu leihen und selbst die Stadt zu erkunden. Wir beschlossen auf Anhieb, die Fahrräder zu nehmen, damit wir nach so langer Radabstinenz einmal wieder etwas für die Beinmuskulatur taten. Man gab uns Tipps, welche Punkte in der Stadt zu besichtigen wären und versorgte uns mit Stadtplan und Prospektmaterial. Yinchuan hatte 1.17 Mio. Einwohner und lag auf 1100 m Höhe. Das Klima war sehr angenehm warm und trocken.

Die Menschen hatten es seit langem verstanden, der Wüste durch aufwändige Bewässserungsprojekte Land abzugewinnen. Die Stadt war rein landwirtschaftlich geprägt, es gab kaum nennenswerte Industrie, der Huang He durchfloss das Stadtgebiet, wenn auch in einiger Entfernung vom Stadtzentrum, von Südwest nach Nordost. Im Westen ragten die Flanken des Helan-Berges auf das Stadtgebiet, dahinter lag die innermongolische Wüste, im Osten lag der Fluss, dahinter Ackerland und angrenzend die Ordos-Platte, um die der Huang He seinen großen Bogen beschrieb. Beim Blick auf den Plan fiel auf, dass die Stadt in zwei Zentren zerfiel, in ein westliches, in dem der Bahnhof lag und in ein östliches, in dem wir uns unter anderem den „Haiboata“-Tempel ansehen wollten. Wir setzten uns erst einmal auf unsere Räder und genossen es, uns den Wind um die Nase wehen zu lassen, es tat richtig gut, sich einmal wieder zu bewegen. Wir hielten uns zunächst nach rechts, um zur „Yinbei“-Moschee zu gelangen, wir mussten einfach nur die Xingzhou Street entlang und kamen dann zur Moschee. Anschließend fuhren wir was das Zeug hielt nach Norden, bis wir an den Xitan-Lake kamen, das war ein zusammenhängendes Seengebiet mit hohem Freizeitwert, wir setzten uns in ein Ausflugslokal und bestellten Tee. Es war warm und wir fuhren in T-Shirts und nach einer Zeit des Ausruhens und Dösens fuhren wir in das andere Zentrum von Yinchuan an den Beita-Lake. Hier umrundeten wir den See einmal mit unseren Rädern, bevor wir nach Südosten abbogen und uns zum „Haiboata“-Tempel bewegten. Die buddhistische Tempelanlage war von beträchtlicher Größe und fast völlig mit Wüstensand bedeckt, wie man überhaupt den Eindruck hatte, permanent durch eine Wolke feinsten Sandes zu fahren. Wir stellten die Räder ab und liefen einmal um die Tempelanlage herum, sie machte einen verlassenen und verwahrlosten Eindruck. Wir schwangen uns wieder auf unsere Räder und machten uns nach Süden auf, um den „Chengtiansi“-Tempel zu besichtigen, der, wie auch der „Haiboata“-Tempel zu den „Eight Famous Sceneries“ in Ningxia gehörte. Wir sahen uns die Tempelanlage von außen an und bewunderten den guten Erhaltungszustand. Eigentlich gehörten zu den Sehenswürdigkeiten von Yinchuan auch die „Western Xia Tombs“, die aber vierzig Kilometer außerhalb lagen und damit mit den Rädern für uns unerreichbar waren. Wir machten noch einen kleinen Abstecher in den Zhongshan-Park, wo wir uns hinsetzen und etwas tranken. Es war inzwischen Nachmittag geworden und wir dachten daran, zum Bahnhof zu fahren und die Räder wieder abzugeben. Wir bewegten uns durch kleine Sträßchen, einfach nach Westen, das waren vielleicht vier Kilometer und bekamen so etwas vom Alltag in Yinchuan mit, abseits der großen Alleen. Die Stadt war erstaunlich wasserreich, das Wasser stammte sicher vom Huang He und wurde durch versteckte Kanäle in die Stadt geleitet. Um 16.00 h waren wir wieder am Bahnhof und gaben die Räder ab, wir winkten der Frau im Tourist Office zu und gingen zur Bushaltestellle.

Wir kamen um 17.00 h in Nanfang an und gingen zum Boot, der Restaurantbesitzer hatte gut aufgepasst und wir bedankten uns bei ihm. Wir nahmen auf der Terrasse ein Bier und entschlossen uns, an dem Abend wieder in dem Restaurant zu essen. Das Fahrradfahren hatte uns alle ein wenig ermüdet und wir hatten mächtig Hunger bekommen, wir bestellten das Chop Suey mit Rindfleisch vom Vorabend und tranken jede Menge Bier dazu. Gut gesättigt liefen wir zum Boot zurück, schlossen die Tür nach unten auf, setzten uns an Deck und redeten bei Bier über das Erlebte. Ich schüttete Lan und mir einen Schnaps ein, jeder hatte den Ausflug in die Großstadt als Wohltat empfunden, schließlich waren wir seit zwei Wochen durch menschenleere Gebiete gefahren und hatten einfach das Bedürfnis, einmal wieder etwas zu erleben. Wir gingen vor Mitternacht unter Deck, jeder fiel hundemüde in seine Koje, Lo und ich küssten und drückten uns und wünschten uns eine gute Nacht.

Am nächsten Morgen fuhren wir nach dem Frühstück an Yinchuan vorbei, wir brauchten eineinhalb Stunden, bis wir in Höhe der Stadt waren, wir passierten eine Fülle von kleinen Städten und Dörfern, bis wir in Wuduizi auf der Höhe von Shizuishan waren, einem Kohlerevier der übelsten Sorte, obwohl wir über zwanzig Kilometer von der Stadt entfernt waren, war in Ufernähe alles mit schwarzem Kohlenstaub überzogen, der von den LKWs hinabfiel, die unablässig die Kohlen die Strasse entlang transportierten. Um Shizuishan herum gab es auch ein dichtes Gleisnetz, auf dem die Kohlenzüge verkehrten. Auch die Bahntrasse war schwarz von Kohlenstaub, aber auf Umweltschutz zu achten, galt in China nicht viel, jedenfalls bis in jüngste Zeit nicht, erst allmählich besann man sich in China auf den Schutz der Umwelt. Wir hatten zu dem Zeitpunkt schon achtzig Kilometer hinter uns und suchten langsam eine Anlegestelle, die nach Möglichkeit nicht mit Kohlenstaub verdreckt war oder nach Schwefeldioxid stank. Wir fanden so einen Ort in Sanhe Village, einer Art Feriensiedlung auf dem Ostufer des Huang He, wobei man sich fragen musste, wer denn in dieser Gegend Ferien machte. Es stellte sich heraus, dass es Minen- und Stahlwerksarbeiter waren, denen ein sehr preiswerter Urlaub in den Ferienhäusern, die der Kohlenmine oder dem Stahlwerk gehörten, ermöglicht wurde. Es gab für uns sogar eine Anlegestelle, wo wir festmachen und von wo wir bequem ins Dorf laufen konnten, um einzukaufen. Das Umland war eigentlich recht schön, es gab viel Grün und die Luft war erstaunlich gut, Lo und ich liefen zum Supermarkt. Ich hatte meinen Rucksack mitgenommen, denn wir mussten unseren Biervorrat aufstocken. Auch fehlten einige Dinge in der Küche wie Öl und Spüli. Wir kamen in ein Dorf mit schönen sauberen Ferienhäusern, die alle belegt waren und vor denen die Kinder Fußball oder Fangen spielten und fragten nach dem Supermarkt. Wo wir denn herkämen, wollten die Leute von uns wissen und wir sagten, dass wir mit dem Boot den Huang He entlangführen. Ob das denn nicht sehr gefährlich wäre, fragten uns die Leute und wir antworteten, dass es manchmal Flussverengungen gäbe, wo sich die Fließgeschwindigkeit des Wassers erhöhte, das wäre dann nicht ungefährlich, aber wir wären immer aufmerksam. Und dann luden wir die Dorfbewohner ein, sich doch einmal unser Hausboot anzuschauen, wir sagten, dass wir zu Abend äßen und sie danach erwarteten. Einige sagten ihr Kommen zu und wir freuten uns, uns mit ihnen unterhalten zu können und einmal direkt mit dem Arbeitsleben konfrontiert zu werden. Lo und ich gingen in den Supermarkt und ich lud meinen Rucksack mit Bierflaschen voll, ich dachte auch an unseren Besuch und lud etwas mehr als gewöhnlich ein, auch eine Flasche Schnaps kam in den Rucksack. Wir aßen einmal wieder kalt, Mayleen und Lan fragten, wo wir denn so lange geblieben wären und wir sagten, dass wir uns mit einigen Dorfbewohnern unterhalten und sie am Abend auf unser Boot eingeladen hätten. Wir deckten schnell den Tisch und aßen und tranken. Wir räumten dann den Tisch ab und spülten die Sachen weg. Wir säuberten das Deck und stellten einige zusätzliche Sitzgelegenheiten auf, damit die Dorfbewohner einen Platz hätten. Wir legten einige Bierflaschen mehr in den Korb, den wir ins Wasser versenkten.

Dann erschienen sechs Dorfbewohner und begrüßten uns, wir baten sie an Bord und gaben jedem von ihnen eine Flasche Bier, unsere Sitzgelegenheiten reichten nicht für alle, sodass wir uns auf die Decksplanken oder Aufbauten setzten, wir wussten uns zu behelfen. Wo wir denn herkämen, fragte jemand von den Dorfbewohnern und Lan antwortete, sie kämen aus Xincheng und ich wäre in Lanzhou zugestiegen, ich wäre Deutscher auf Reisen und sie Studenten der Politikwissenschaft aus Shanghai. Die Dörfler sagten, dass sie Arbeiter in der Kohlenmine von Shizuishan wären und ihren zweiwöchigen Jahresurlaub in Sanhe Village verbrächten, so gut wie wir hätten sie es auch gern einmal. Lan gestand zu, dass sein Leben vermutlich deutlich angenehmer verliefe, als das der Dorfbewohner, sagte aber, dass das der Lauf der Dinge wäre, wer studieren wollte, müsste zu einer Hochschule gehen und dort gäbe es im Sommer drei Monate Semesterferien. Es wäre ja nicht so, dass wir im Geld schwämmen, aber so über den Huang He zu schippern, wäre natürlich schon eine komfortable Angelegenheit. Lan bat die Männer, doch einmal etwas über die Kohhleförderung zu erzählen, man hörte fast wöchentlich von Unfällen auf Zechen, bei denen es zig Tote gäbe. Das stimmte durchaus, die Kohleförderung in China wäre mit der in Europa nicht zu vergleichen, Sicherheitsbestimmungen würden kaum eingehalten, alles wäre nur darauf aus, so viel Kohle wie möglich aus der Erde zu holen, ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Beschäftigten. Wenn man sich weigerte, unter den herrschenden Bedingungen unter Tage zu fahren, könnte man ja kündigen, es warteten genügend andere darauf, den gefährlichen Job zu erledigen, sie würden nicht nach Sicherheitsvorkehrungen fragen. Lo wollte wissen, wie denn ihre Bezahlung wäre und bekam zur Antwort, dass die Bezahlung so gerade zum Leben reichte, große Sprünge könnte man mit der Entlohnung sicher nicht machen. Dann gingen wir von Deck und setzten uns am Ufer ins Gras, Lan machte ein Feuer an und Lo und ich suchten Feuerholz. Ich hatte lange nicht an einem Lagerfeuer gesessen, das erinnerte mich an meine Jugendzeit, wo wir sehr oft Feuer gemacht hatten, wir starrten in die Flammen und beobachteten die unterschiedlichen Flammenverfärbungen, das Krachen des brennenden Holzes vermittelte etwas Gemütliches. Und dann begann Lo plötzlich am Feuer zu singen, sie sang so schön, wie ich noch nie jemanden habe singen hören. Das Lied schien bekannt zu sein, jedenfalls stimmten alle ein, alle sangen mit, auch Mayleen und Lan. Leider ging die engelhafte Stimme von Lo dabei unter, ich fragte sie, woher sie so schön singen könnte. Lo sagte, dass das Singen bei ihr zu Hause eine große Tradition hätte, dort wurde immer gesungen, besonders, wenn Besuch von Tanten und Onkeln kam, dann setzte man sich zusammen und sang, ihre Mutter hätte eine so helle Stimme gehabt, dass sie deswegen von allen bewundert wurde.

Eines Tages hätte Lo Gesangsunterricht bekommen, den sie aber nach einem halben Jahr wieder abgebrochen hätte, ihre Lehrerin hätte gesagt, dass aus ihr einmal eine große Sängerin hätte werden können. Die Stimmung am Feuer hatte etwas Heimeliges, alle starrten in die Flammen, die Dörfler rauchten dabei, Lo und ich hatten einen großen Berg Feuerholz aufgeschichtet, ich warf in regelmäßigen Abständen große Äste in das Feuer. Dann spratzte es und Funken flogen zur Seite, bevor sich die Flammen der neuen Nahrung bemächtigten und größer wurden.

Lan hatte Biernachschub geholt, die Männer bedankten sich, die Schnapsflasche kreiste. Stundenlang saßen wir so am Feuer, es hatte etwas Einigendes, es begrub Zwistigkeiten und lud ein, über das Leben nachzudenken, es vermittelte große Zufriedenheit. Dann kamen mit einem Mal vier Kinder angelaufen und forderten die Männer auf, im Namen ihrer Mütter sofort nach Hause zu kommen. Schade, sagte jemand, immer wenn es am schönsten wäre, dann erhoben sich alle Männer, bedankten sich und wünschten uns noch eine gute Fahrt. Wir kippten einen Eimer Wasser auf das Feuer, das dann erlosch und gingen an Deck, wo wir uns hinsetzten und noch Bier und Schnaps tranken. Die Zusammenkunft mit den Dorfbewohnern hatte uns gut gefallen, niemand von ihnen schien richtig traurig zu sein über das, was er machte, wenn man allerdings deren Lebensumstände mit den unseren verglich, dann waren wir doch privilegiert. Wir löschten die Petroleumlampe und gingen schlafen. Ich schob Lo in meine Kajüte und wir drückten und küssten uns fest, wir zogen uns aus und

„Auf diese Art und Weise habe ich dann einmal die Möglichkeit erhalten, Chinesen aus der arbeitenden Bevölkerung kennenzulernen“, sagte ich zu Lo.

„Ja, die Minenarbeiter waren durchaus repräsentativ“, antwortete sie.

„Den Kohlenarbeitern in meiner Heimat geht es deutlich besser“, sagte ich.

„Ich möchte auch um nichts in der Welt mit den Minenarbeitern tauschen“, entgegnete Lo dann.

Am Morgen nahmen Lan und ich uns die Karte vor und planten den nächsten Fahrtabschnitt. Ich sagte, dass ich drei Tage später von Bord ginge und mit dem Zug nach Lanzhou zurückführe, um über die Seidenstraße nach Xian zu gelangen. Die anderen nahmen meine Ankündigung schweigend zur Kenntnis, es würde sicher ein trauriger Moment des Abschieds werden, wenn ich ginge. Wir wollten an dem Tag die Grenze zur Inneren Mongolei überfahren und irgendwo in der Gegend von Sandaokan, südlich von Wuhai, festmachen. Nach Wuhai wollten wir nicht, weil wir erst einen Tag zuvor in einer Großstadt waren. Ab Dukoucun hatten wir eine dreißig Kilometer lange Gebirgspassage vor uns, die in Sandaokan endete und in eine große sich öffnende Ebene mündete. Wir fuhren um 9.30 h los und erreichten Dukoucun, wir passierte die Bergenge in zwei Stunden, um dann schon in Sandaokan zu sein, insgesamt hatte die Tagesetappe fünf Stunden gedauert. In Sandaokan tobte ein heißer Wüstenwind aus der Gobi. Wir machten bei der Eisenbahnbrücke fest, in der Hoffnung, dass uns der Krach der Züge, die über die Brücke ratterten, nicht aus den Kojen schmiss. Wir wollten an dem Abend wieder grillen und bereiteten alles vor. Lo und ich gingen in Sandaokan einkaufen. Als wir zurück waren, fuhr gerade ein Zug über die Brücke und machte dabei einen solchen Lärm, dass wir wieder losmachten und ein Stückchen weiterfuhren. Ein Kilometer reichte schon und wir machten an Bäumen fest.

Leise hörten wir noch die Eisenbahn und die Straße, man merkte die Nähe der Millionenstadt Wuhai, wo erst kürzlich ein neuer Flughafen in Betrieb genommen worden war. Wir saßen an Deck, tranken Bier und grillten, das Grillen war immer die problemloseste Art zu essen, es gab dazu Brot, Gurke und Tomaten. Unser Bier hatte eine erträgliche Temperatur, wir hatten es während der Fahrt über Verdunstungskälte gekühlt. Nach dem Essen spielten wir wieder „Stadt, Land, Fluss“, wobei Lo ganz groß herauskam, sie wusste plötzlich so viele Dinge, die uns anderen im Traum nicht eingefallen wären und freute sich, als sie gewonnen hatte, selbst Lan lag weit hinter ihr, Mayleen und ich rangierten unter „ferner liefen“. Das machte mir aber nichts aus, auch Maylen nicht, ich hatte meinen Spaß beim Spielen und beim Überlegen, aber Lo war immer einen Tick schneller. Ich schenkte Lan und mir einen Schnaps ein, den wir schnell hinunterkippten, woraufhin ich noch einen zweiten einschenkte, dann ließ ich die Flasche aber verschwinden.

Lan fragte, wie lange ich wohl noch in China wäre und ich antwortete, dass ich mir Xian ausgiebig ansehen wollte, danach nach Shanghai müsste, wo ich auch eine intensive Besichtigung plante und zum Abschluss in Peking wäre und Peking müsste man sich als Tourist ja wohl sehr gründlich ansehen, ich wollte auch zu einem Abschnitt der Chinesischen Mauer, ich überlegte kurz und schätzte dann, dass ich in drei Monaten wieder zu Hause wäre. Wir gingen gegen 23.00 h schlafen.

Ich küsste und drückte Lo und sagte ihr, dass ich sie liebte, daraufhin schmiegte sie sich fest an mich und zog mich in ihre Kajüte. Wir liebten uns so heftig, dass wir Angst haben mussten, an Land gehört zu werden, Mayleen und Lan dachten sich bestimmt auch ihren Teil, dann ging ich in meine Kajüte und schlief ein. Ich lief vor dem Frühstück nach Sandaokan und holte frisches Brot, die Dorfleute schauten mich verdutzt an, so eine Langnase wie mich bekam man im Dorf wohl nur selten zu sehen.

Dann gab es ein tolles Frühstück, ich hatte Eier mitgebracht und kochte jedem ein Ei, dazu hatten wir gute Marmelade und Tee, was wollte man mehr? Lan und ich schauten auf die Karte, wir wollten so schnell wie möglich an Wuhai vorbeifahren, wir würden ungefähr eine Stunde bis zu der Millionenstadt brauchen. Um 10.00 h legten wir ab, der Gelbe Fluss beschrieb an Wuhai vorbei eine regelrechte S-Kurve und hatte am Stadtausgang im Norden eine Verengung, die wir aber problemlos meisterten. Dann zog sich der Fluss träge dahin, immer geradeaus, es gab eine Fülle von Ansiedlungen, die Einsamkeit der Berge war ohnehin schon seit ein paar Tagen vorbei. Wir fuhren nach Wuhai noch ungefähr vierzig Kilometer und machten dann in Balagong einen Kilometer vor der Eisenbahnbrücke, fest. Unser Tagespensum war an dem Tag nicht so groß, es war mein vorletzter Tag auf dem Boot. Lo und ich gingen in den Ort, der riesig war im Vergleich zu den kleinen Dörfchen, bei denen wir sonst immer angelegt hatten. Ich wollte zu meinem Abschied am Abend etwas kochen und dachte an Curry-Hähnchen mit Reis und Salat. Dazu brauchte ich Sahne, Ananas, Curry, eigentlich auch gehackte Mandeln und etwas Mehl zum Andicken. Die Mandeln bekamen wir mit viel Mühe in einem ganz anderen Geschäft, nachdem wir alles andere in einem Supermarkt erstanden hatten. Hacken mussten wir sie selbst, aber das machte nichts, ich hatte ja mein scharfes Messer! Wir kauften noch Bier, Schnaps hatten wir noch, und mein Rucksack wurde wieder schwer, er hielt den Transport aber sehr gut durch.

Zurück beim Boot fing ich mit den Vorbereitungen an, ich zerschnitt das Hähnchenfleisch in Stücke und briet sie gut an. Dann hackte ich die Mandeln und wusch den Salat, ich bereitete eine Vinaigrette, die ich mit den gehackten Zwiebeln ziehen ließ. Ich verquirlte die Sahne mit etwas Mehl und gab sie zu den Hähnchen, dazu gab ich die Ananasstücke. Ich würzte mir Salz, Pfeffer und reichlich Curry sodass das Gericht eine gelbe Farbe annahm. Der Reis wurde gekocht und der Tisch gedeckt. Der Salat wurde mit der Vinaigrette übergossen und umgerührt. Zum Schluss wurden die gehackten Mandeln über das Fleisch gegeben und die Sachen auf den Tisch gestellt.

Nach einer Stunde Kochzeit konnten wir essen. Lan gab jedem eine Flasche Bier und ließ weitere Flaschen in den Fluss hinab zum Abkühlen. Mein Abschiedsessen konnte beginnen, wir nahmen unsere Flaschen hoch und prosteten uns zu, keiner sagte ein Wort. Das Essen schmeckte gut, nach und nach löste sich die Spannung und ich fragte die drei, wie lange sie weiterzufahren gedächten. Lan sagte, dass sie den ganzen Bogen um die Ordos-Platte fahren wollten, er schätze, dass sie dazu noch knapp drei Wochen brauchen würden. Mayleen sagte dann, dass sie es sehr schade fände, wenn ich am nächsten Tag ginge, wir hätten alle so gut zusammengepasst und eine richtige Bootsmannschaft gebildet, sie glaubte, dass sie darüber sehr traurig würden. Ich entgegnete, dass ich natürlich auch sehr traurig wäre, gehen zu müssen, aber ich müsste nun einmal meinem Reiseplan folgen und die Seidenstraße zu Ende reisen. Wir stießen wieder zusammen an und gingen anschließend auf die Uferböschung, wo wir ein Feuer entzündeten. Lo und ich sammelten Holz, Lo hielt meine Hand und drückte sich ganz fest an mich, ich legte meine Arm um ihre Schulter und küsste sie.

Wir gingen zum Feuer zurück und warfen das gesammelte Holz auf einen Haufen. Schweigend saßen wir bei den Flammen und legten ab und zu einen Ast nach, jeder stierte ins Feuer. Mayleen und Lo fingen an zu singen, das Lied hörte sich traurig an, ich verstand natürlich den Text nicht. Lan sagte hinterher, dass das Lied von Abschied und Trauer gehandelt hätte.

Ich holte die Schnapsflasche und Lan und ich nahmen einen kräftigen Schluck, auch die Mädchen setzten die Flasche an, nippten und mussten husten, sie mochten den Schnaps nicht. Wir saßen bis nach Mitternacht, als wir das Feuer löschten, die leeren Bierflaschen aufnahmen und auf das Boot zurückkehrten. Mayleen und Lan gingen nach unten, Lo und ich blieben noch an Deck sitzen.

Lo setzte sich auf meinen Schoß und küsste mich, ich erwiderte ihre Küsse und streichelte ihre Brust. Wir begannen uns auszuziehen und waren dann beide ganz nackt in der Dunkelheit an Deck, es war nicht zu kalt. Wir bereiteten uns ein Lager aus einer Decke und unserer Kleidung, auf das wir uns niederließen und auf dem wir uns liebten. Lo war schnell nach unten gelaufen und hatte ein Kondom geholt, das sie mir überstreifte. Dann drang ich in sie ein und liebte sie, ich liebte sie so innig, dass ich mich fast vergaß, Lo stöhnte, ja sie schrie, sodass ich ihr die Hand vor den Mund halten musste. Aber auch ich war außer mir vor Erregung und gab Stöhngeräusche von mir, gut dass wir nicht direkt beim Ortskern lagen, sonst hätte man uns womöglich gehört. Mayleen und Lan hörten uns natürlich, aber das machte nichts, sie hatten uns auch schon früher gehört, die Verhältnisse unter Deck waren sehr beengt, da hörte man alles. Wir lagen ungefähr drei Stunden an Deck, streichelten und küssten uns, dann gingen wir nach unten und schliefen noch in paar Stunden.

Ich stand um 9.00 h auf und traf Lo unter der Dusche, ich küsste sie und betrachtete ihren makellosen Körper, sie ließ sich dadurch nicht beirren und wusch sich, bis sie mir die Dusche überließ. Wir gingen zusammen hoch zum Frühstück und trafen Mayleen und Lan an, die schon seit einer Stunde dort saßen.

Lan schaute auf die Karte und überlegte, wie weit es wohl bis nach Linhe wäre, wo ich in den Zug nach Lanzhou steigen wollte. Das mochten vielleicht fünfzig Kilometer sein, etwa vier Stunden Fahrt, wenn wir es gemütlich angehen lassen würden. Doch zuerst frühstückten wir in aller Ruhe und ließen uns die Sonne aufs Haupt scheinen, mein letzter Tag auf dem Boot war angebrochen und eine sehr schöne Zeit mit den dreien ging zu Ende, die ich nie vergessen würde. Ich sagte den dreien, dass sie doch alle einmal nach Deutschland kommen und mich besuchen sollten, wir würden uns dann die schönsten Städte ansehen. Wir fuhren erst um 11.00 h los, unterquerten die Eisenbahn- und die Straßenbrücke der Nationalstraße 110 und waren um 15.00 h in Linhe. Wir legte in Wuhan Suhai an und liefen die zwei Kilometer bis zum Bahnhof. Ich kaufte ein Ticket für den Nachtzug nach Lanzhou, der um 18.00 h abfahren würde, wir mussten also noch zwei Stunden warten, nachdem wir um 16.00 h auf dem Bahnhof eingetroffen waren. Wir setzten uns vor eine Bar und tranken Bier, das Bier löste die Zunge, das war für die Überbrückung der Wartezeit genau das Richtige, wir redeten über alles Mögliche und ließen keine Traurigkeit aufkommen. Als es aber dann um 17.45 h auf den Bahnsteig ging, da brachen sich bei Lo die Tränen ihre Bahn und auch ich hatte Mühe, ein Heulen zu unterdrücken. Lo und ich umarmten und küssten uns hemmungslos auf dem Bahnsteig, Mayleen und Lan legten ihre Arme um uns, sodass die Leute ungläubig schauten. Dann kam der Zug und ich stieg ein, ich ging in mein Abteil und öffnete das Fenster, um zu winken, da standen meine drei chinesischen Freunde auf dem Bahnsteig und waren genau so traurig wie ich, dass wir auseinandergingen.

Der Zug fuhr los und ich winkte, ich winkte so lange, bis ich Lo, Mayleen und Lan nicht mehr sah, schloss das Fenster, setzte mich hin und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Ich holte meine Kladde aus dem Rucksack und schrieb die Erlebnisse meiner Bootstour auf dem Hunag He auf. Ich würde die ganze Nacht durchfahren, es waren ungefähr tausend Kilometer bis Lanzhou, ich war gespannt darauf, ob ich würde schlafen können. Ich hatte einen Sitz, den man ausziehen und wo man sich lang machen konnte, das war eigentlich sehr komfortabel. Eigentlich müsste ich gut schlafen können, hatte ich nach der letzten Nacht doch noch ein Schlafdefizit zu bewältigen. Es war noch lange hell draußen und ich schaute aus dem Fenster, um vielleicht Orte zu erkennen, an den wir in den vergangenen zweieinhalb Wochen gewesen waren, die Eisenbahnstrecke verlief lange am Gelben Fluss entlang.

Aber die Perspektive aus dem Eisenbahnabteil war eine ganz andere als die vom Boot aus und man hatte Schwierigkeiten, Orte wiederzuerkennen.

Ich erkannte allerdings kurz nach der Abfahrt unseren letzten Liegeplatz an der Eisenbahnbrücke in Balagong, dann hielt der Zug aber immer zwei Kilometer Abstand vom Fluss und man sah ihn deshalb kaum noch. Wir kamen in Wuhai in eine gigantische Rangiergleisanlage, bevor wir in den Bahnhof einfuhren, der ein richtiger Großstadtbahnhof war. Als wir in Shizuishan eintrafen, war es stockdunkel und ich zog meinen Sitz aus, um es mir für die Nacht gemütlich zu machen. Wir würden voraussichtlich zwölf Stunden bis Lanzhou brauchen, wir wären dann also am nächsten Morgen um 6.00 h dort, ich hätte noch genügend Zeit, zu schlafen. Als der Schaffner kam, bat ich ihn, mich rechtzeitig zu wecken, ich hatte keine Mühe, ihm das verständlich zu machen, ich zeigte ihm mein Ticket, machte eine Schlafbewegung und wies auf meine Uhr, das reichte, und er verstand, was ich von ihm wollte. Ich stellte meinen Rucksack zwischen das Fenster und meinen Sitz, wenn jemand hätte klauen wollen, hätte ich es ihm wenigstens schwer gemacht. Ich legte mich hin und dachte an Lo, Mayleen und Lan, was sie wohl gerade taten, ob sie etwas Gutes zu Abend gegessen hätten, ob sie Bier und Schnaps tranken?

Darüber schlief ich ein, der Zug wiegte mich mit seinen Fahrbewegungen in den Schlaf, im gleichmäßigen Rhythmus fuhren wir über die Gleise, die mit ihren Nahtstellen für das klackende Geräusch sorgten und den Waggon schaukeln ließen. Es war kein sehr bequemer Schlaf auf dem Liegesitz, aber er reichte mir, um mich ein wenig zu erholen. Ich wurde erst wach, als mich der Schaffner gegen 5.00 h an die Schulter stieß und mich fragte, ob ich ein Hörnchen und eine Tasse Tee wollte, ich sagte nicht nein. Es dämmerte draußen und langsam wurden die uns umgebenden Berge sichtbar. Ich zog meinen Rucksack zu, stellte meinen Sitz aufrecht, trank meinen Tee und aß mein Hörnchen. Vor Lanzhou überquerten wir die Brücke über den Gelben Fluss und bogen in die Stadt ein, der Zug schlich dann langsam, bis wir den Bahnhof erreichten. Ich stieg aus dem Zug und erkannte den Bahnhof sofort wieder, ich war dort vor drei Wochen schon einmal ausgestiegen, ich ging in die Teestube und nahm ein kleines Frühstück.

Paulo am Ende der Seidenstraße (8)

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