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Vorwort

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Vorwort

Ich besuche Muddi im Altenheim, jeden Tag.

Seit fast 4 Jahren.

Sie erkennt mich meist, aber manchmal auch nicht. Sie kann kaum noch laufen, kann ganz schlecht sehen und dass ihr Mann, mein Vater, vor fast 2 Jahren gestorben ist, das weiß sie nur manchmal.

4 turbulente Jahre.

Jahre, in denen wir lernen mussten, was Demenz und Alzheimer bedeutet. Jahre, in denen wir dieses auch in unserer Familie akzeptieren mussten, ob wir wollten oder nicht.

Es war nicht so, wie wir dachten, ja, überzeugt waren, dass meine Eltern nicht dement werden, kein Alzheimer bekommen und auch nicht pflegebedürftig werden.

Heute ist das Wetter schön, die Sonne lacht und ich will mit ihr im Rollstuhl an die frische Luft. Sie liegt, wie immer, auf dem Bett und schaut zur Decke.

Manchmal hat sie auch die Augen zu und manchmal schläft sie auch tief, wenn ich komme. Aber heute ist sie wach und scheint auch gut drauf.

„Hallo Muddi“, sage ich, „wie geht’s?“

„ Wie immer“, vernehme ich, wenn ich mich anstrenge. Denn ganze Sätze sprechen ist ihr heute nicht immer möglich. „Ich wollte mit dir nach draußen, die Sonne scheint so schön“. „Ja, geht das denn?“ fragt sie dann. Das fragt sie dann immer, als wenn wir nicht gestern und vorgestern auch draußen am Bach gesessen hätten, die Enten füttern. Als wenn wir das nicht andauernd machen würden.

Sie weiß es jetzt im Moment eben nicht mehr. Das ist so.

Ich bin nur noch traurig. Traurig, weil ich dieses Leben oder wie auch immer man so etwas bezeichnen soll, mir für sie nicht gewünscht hatte.

Das hat sie einfach nicht verdient!

Sie ist so ein toller Mensch, war sie zumindest früher immer, aber auch heute ist sie immer noch ein toller Mensch, sie ist nie aggressiv, sie meckert nicht, schimpft nicht, nimmt alles so demütig hin. So, als ob sie im Gefängnis sitzt.

„ Darf ich das denn?“ fragt sie. „Natürlich darfst du das!“

Sie ist nicht im Gefängnis, sie ist hier Zuhause. Sie hat um Gottes Willen auch überhaupt keinen Grund, im Gefängnis zu sein.

Aber sie ist im Gefängnis: in ihrem eigenen Gefängnis, gefangen von der Krankheit, die Demenz heißt, gefangen von der körperlichen Beeinträchtigung, die der Schlaganfall hinterlassen hat. Gefangen in ihrem Kopf, der zwar alle Sätze denkt, der Mund sie aber nicht mehr aussprechen kann.

Gefangen, weil sie immer weniger redet, weil ja sowieso nichts Richtiges mehr rauskommt, sie sich darüber ärgert, weil ein Satz mindestens 3 Versuche braucht, weil das erste Wort Brot heißen soll, sie aber Tulpe sagt.

Und nach den 3 Versuchen sagt sie, “ach egal“. Vermutlich hat sie dann ja auch vergessen, was sie sagen wollte.

Vermutlich!

Ich vermute immer nur. Ich weiß das nicht. Ich weiß gar nichts. Sie kann es mir leider auch nicht sagen.

Ich habe mich natürlich schlau gemacht. Aber da gibt es keine allgemeingültige Regelung. Da ist jeder Mensch anders. Niemand kann einem die richtigen Ratschläge geben, bei dem Einen geht es so am besten, beim Anderen eben anders. Und bei Muddi eben nochmal anders.

Sie ist meine Mutter, das ist der große Unterschied zu all den Bewohnern hier, die ich zum Teil auch schon lange kenne. Ich mag die Bewohner hier alle, jeden eben so, wie er ist. Manche nett und freundlich, manche miesepetrig, manche wissen überhaupt nichts mehr, manche laufen rastlos herum, manche sind völlig apathisch.

Aber Muddi ist eben Muddi! Meine Muddi! Das ist etwas ganz Anderes, sie ist etwas Besonderes. Meine Muddi eben!

Ich weiß, wenn sie einmal nicht mehr ist, dann wird sie mir fehlen. Noch mehr fehlen, als das jetzt schon der Fall ist. Denn die schlimmen Dinge, die sind schnell vergessen.

Das sehe ich ja an Vaddi. Es gibt Tage, da wünsche ich mir, er säße im Speisesaal oder steht am Fenster oder ich könnte mich im Heim auf die Suche nach ihm machen.

Und wenn ich ihn gefunden hätte, dann würde ich seine Beine eincremen und sehr gerne seinen unermüdlichen Erzählungen zuhören.

Und bei Muddi würde ich sehr gerne nur neben ihr sitzen und kuscheln. Ohne Worte.

Noch kann ich das und das ist auch gut so.

Es begann mit Tag X, im Januar 2011. Mit einem Schlag.

Tag X, den wir nie wollten, immer dachten, die zwei bleiben so, wie sie sind. Zwar alt, aber total fit. Im Kopf und in den Beinen.

Sie werden weder dement noch bekommen sie Alzheimer, sie sind ja schon so alt, was soll denn da noch passieren?

Und während sie begeistert bei Günther Jauch mitraten, da werden sie Hand in Hand einfach sterben.

Davon war ich fest überzeugt.

Neunzehn Achtel Oma und Opa

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