Читать книгу Anika und die Quallenprinzessin - Hannelore Deinert - Страница 4

Dünen, Pferde, Meer und Quallen.

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Trotz bewölktem Himmel und einer leichten Prise, die ihnen sanft entgegenwehte, sollte es keine Hürde sein, heute noch das Meer zu erreichen, es waren die ersten dreißig Kilometer von circa zweihundertvierzig bis Amsterdam. Eine Woche war dafür eingeplant, das sollte reichen.

Frisch und wohlgemut radelten sie auf gepflegten, gewundenen Fahrradwegen durch üppige Wiesen und an Pferdekoppeln und Bächen vorbei, die sie gelegentlich auf kleinen Holzbrücken oder Stegen überquerten. Zwischen Baumgruppen und sattem Grün leuchtete hie und da das Rot von Ziegeldächern hervor, ein malerisches Windrad grüßte aus der Ferne.

Es wurde hügelig, die ersten Ermattungserscheinungen stellten sich ein, Zeit für eine kleine Rast. Mama breitete am Fuße eines kleinen Hügels, im kargen Gras eine dünne Decke aus und die Familie ließ sich dankbar darauf nieder. Sie vertilgten die belegten Brote, die Äpfel und die Apfelsaftschorle, die ihnen der Wirt vorsorglich eingepackt hatte. Außer dem Säuseln des Windes und ihren eigenen Geräuschen war nichts zu hören.

„Wisst ihr was?“, meinte Papa, nachdem er den sandigen Boden und die langen Grasbüschel, die sich darauf behaupteten, untersucht hatte, „wir sitzen schon auf einer Düne. Die spärliche Vegetation verhindert, dass der Wind den Sand wegweht. Würde mich nicht wundern, wenn es hier Schafe oder sowas gäbe!“

Anika und Max wollten es erkunden, sie kletterten den runden Hügel hinauf, vielleicht, dachten sie, konnte man von oben das Meer schon sehen. Aber sie entdeckten etwas anderes.

„Kommt herauf!“, riefen sie zu den Großen hinunter. „Hier gibt es Ponys!“

Also stiegen die Eltern ihren Kindern nach, die Großeltern etwas bedächtiger, und sahen die zwei niedlichen Ponys, die seelenruhig an den langen, harten Grasbüscheln knapperten, auch. Anika, die Pferdenärrin, hatte sich ihnen schon genähert, Max hielt sich respektvoll zurück. Als die Ponys neugierig herbei trotteten, sie schienen etwas zu erwarten, bedauerte er, dass sie keine Äpfel mehr hatten, aber die Putzen mussten noch irgendwo sein. Er sprang den Hügel hinter und kam gleich darauf mit den Putzen zurück. Die Ponys sahen nett und harmlos aus, fand Max und bot ihnen mit ausgestrecktem Arm und flacher Hand die Putzen an. Da schnappte eins der Pferdchen zu, Max in den Bauch. Er schrie überrascht auf und rannte die Düne wieder hinunter.

Unten betrachtete er verdattert seinen Bauch, die Zähne des Ponys hatten rote Spuren hinterlassen. „Och“, meinte er verlegen, als man ihn bedauern wollte, „nicht schlimm, das T Shirt ist zum Glück heil geblieben.“ Das war wichtig, denn er hatte nur zwei dabei.

Dann mussten sie weiter. Der Wind wehte nun stärker, die hohen Gräser beugten sich ihnen entgegen, sie mussten kräftig in die Pedale treten. Mama Steinert dachte unwillkürlich an die Warnungen der Freunde, die vor dem unentwegt strammen Küstenwind gewarnt hatten.

Als sie später die Treppe eines Damms hinaufliefen, um Ausschau zu halten, da lag fast unerwartet ein endlos in dunstiger Ferne verlaufender, weißer Sandstrand vor ihnen, jenseits davon lag das blaue, weite Meer. Sanfte, Gischt gekrönte Wellen rauschten unermüdlich heran, verliefen sich schnell im Sand und hinterließen dunkle Flächen, die im nächsten Moment erneut schäumend überspült wurden, weiße Möwen segelten in eleganten Bögen durch die Gischt, kein Mensch war zu sehen. Die Steinerts spürten den Hauch von Ewigkeit, den dieses Schauspiel vermittelte, ließen sich davon überwältigen, aber dann holten sie flott ihre Fahrräder und befestigten sie an den Pfählen, die im Dünenhang steckten. Anika und Max liefen jauchzend, sich ihre Sandalen abstreifend dem bewegten Meer entgegen. Das kühle Wasser stoppten sie, sogleich wurden sie von einer heranbrausenden Welle überrascht, ruck, zuck waren ihre Shorts nass und sie mussten kreischend flüchten. Flocki war ihnen mit im Wind wehenden Ohren nachgeflitzt und machte sofort Bekanntschaft mit einer heranbrausenden Welle, sie nahm erschrocken Reißaus und kläffte der nächsten Welle, die es wagte sie rauschend zu verjagen empört entgegen. Die Großen, mit nackten Füßen im feuchten Sand stehend, amüsierten sich köstlich über ihren kleinen Hund, der es sogar mit den Nordsee Wellen aufnehmen wollte.

Oma entdeckte kleine Muscheln im feuchten Sand, sie waren von solch bunter Vielfallt, dass sie am liebsten alle mitgenommen hätte, sie fing schon einmal mit dem Einsammeln an.

Anika aber entdeckte etwas anderes im Sand, das ihre weitsichtige Oma nicht sehen konnte, nämlich unendlich zarte, durchscheinende, schillernde Gebilde. Eins davon nahm sie in die Hände, um es genauer zu betrachten. Max sah es und warnte sie: „Pfui, eine Qualle! Wirf sie weg, Anika, sie ist giftig!“

„Lass sie liegen, Anika!“, hörte sie auch Papas Stimme durch das Wellenrauschen. „Wir kennen uns mit ihnen nicht aus!“

Aber da glaubte Anika ein leichtes Beben in ihrer Hand zu spüren. Sie setzte sich in den feuchten Sand und betrachtete die kleine Qualle aufmerksamer.

„Rette mich.“

Es war nur ein Hauch. Hatte sie sich verhört?

„Rette mich.“

Anika stand auf und wollte die kleine Qualle ins Meer zurückbringen, wo sie hingehörte. Sie watete ein paar Schritte in die Fluten hinein, wobei sie die Hände mit der Qualle halb geschlossen hielt, erst im Wasser öffnete sie sie ein klein wenig.

„Nun hole auch meine Gefährtinnen, kleines Mädchen. Alleine schaffen sie es nicht ins Meer zurück.“

„Wer bist du?“, fragte Anika verwundert.

„Ich bin eine Prinzessin derer von Oranien“, raunte die überaus zarte Stimme. „Vor vielen Jahren wurden meine Gefährtinnen und ich von der Zauberin Circe in Quallen verwandelt. Sollte aber je ein Fremder meinen Namen erraten, dann werden wir erlöst sein und unsere menschlichen Gestalten zurückerlangen. Vielleicht bist du es, kleines Mädchen, das uns erlösen wird. Die Buchstaben meines Namens lauten: Zweimal ein ‚M‘, zweimal ein ‚I‘, ein ‚A‘ und ein ‚R‘. Wenn du meinen Namen weißt, dann ruf ihn ins Meer hinaus, wir werden es hören. Nun rette auch meine Freundinnen, kleines Mädchen, zum Dank dafür darfst du dreimal in die Geschichte dieses Landes schauen. Der Spruch dazu lautet folgend:

Zeig mir was einst war, vor „so oder so vielen“ Jahr‘n!

Vorsicht, kleines Mädchen, du könntest dabei in Gefahr geraten oder gar in der Zeit verbleiben müssen, die du gewählt hast. Nun rette auch meine Gefährtinnen.“

Anika wiederholte flüsternd die Buchstaben: „Zweimal ein M, zweimal ein I, ein A und ein R, dann öffnete sie ihre Hände und überließ die kleine Qualle den Wellen, in denen sie, sich ihnen anmutig hingebend, entschwand. Anika watete zum Strand und brachte eine Qualle nach der anderen, sie sorgsam in den Händen haltend, zurück in die rettenden Fluten. Sie beobachtete, wie die zarte, schillernde Schar schnell in den Nordseefluten verschwand.

„Anika rettet tote Quallen!“, lachte Max spöttisch, er verstand wieder einmal gar nichts.

Die Großen mahnten zum Aufbruch, sie gingen durch den Strand zurück zu den Rädern, die Kinder sammelten unterwegs ihre Sandalen ein, Flocki rannte hinter ihnen her.

Während Anika mit den anderen dahin radelte, ging ihr die kleine Qualle nicht aus dem Kopf, in Gedanken wiederholte sie immer wieder jenen verheißungsvollen Spruch: „Zeig mir, was einst war, vor so oder so vielen Jahr‘n.Ja, so hatte er wohl gelautet, sie musste ihn unbedingt aufschreiben.

Gottlob fand Papa mittels seines Alles-Könner-Handys noch vor der ersten großen Brücke eine kleine Pension mit freien Zimmern. Sie waren müde, als sie in dem kleinen Ort ankamen, trotzdem mussten sie in einem Supermarkt noch ein Abendbrot besorgen, sie wählten Holländischen Leerdammer, Joghurt- Drinks und dunkles Brot. Die Pension, in der sie abstiegen, war bescheiden, aber es gab eine Dusche und gute Betten. In einem der Zimmer rückten sie mangels eines Tisches zwei Nachtkästchen zusammen und deckten darauf ihr Abendbrot. Nach dem langen Tag auf dem Rad schmeckte es köstlich. Den spärlichen Rest packten Oma und Mama als Proviant für den morgigen Wandertag ein.

Dann verkrochen sie sich in ihre Betten und kurz darauf verriet ein allgemeines, gleichmäßiges Atmen, Röcheln oder leises Schnarchen, dass sich die Familie Steinert im Reich der Träume befand. Bis auf Anika.

Noch immer spukte die kleine Qualle in ihrem Kopf herum. Die Buchstaben, die den Namen der Prinzessin derer von Oranien bilden sollten, hatte sie in ihr Notizheft geschrieben, zweimal ein M, zweimal ein I, ein A und ein R., aber sosehr sie auch ihre grauen Zellen anstrengte, ein passender Name fiel ihr nicht ein. Auch jener Spruch- hoffentlich hatte sie ihn richtig aufgeschrieben- beschäftigte sie, dreimal sollte sie mit seiner Hilfe in die Vergangenheit dieses Landes schauen können.

Aber dann schlummerte sie doch ein und träumte von der Quallenprinzessin, die sich, wunderbar anzuschauen, mit ihren Gefährtinnen aus dem bewegten Meer erhob.

Anika und die Quallenprinzessin

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