Читать книгу Todsichere Beziehungen - Hannelore Wiese - Страница 3
Kapitel 1 Was wäre, wenn …
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Karoline beobachtete ihn angewidert von ihrem Gartenstuhl aus. Mit leicht zitternden Beinen stieg Ernst die Leiter hinauf und verbreitete dabei selbst im Freien noch einen durchdringenden Schweißgeruch. Das Hemd hing ihm am Rücken aus der Hose, deren zerbeultes und abgewetztes Hinterteil sie an die Zeichnungen von Wilhelm Busch erinnerte. Die nackten Füße steckten in herunter getretenen Holzpantinen.
Plötzlich rutschte die Leiter ein wenig auf den Steinen und Ernst griff blitzschnell halt suchend zur Regenrinne.
Wenn er jetzt herunterfällt und sich den Hals bricht, bin ich als Witwe nicht schlecht dran, dachte sie und blickte abschätzend und fast beschwörend von der Regenrinne über die Leiter auf die Erde.
Sie hatten sich gestritten, weil sie sich aus einem Versandhaus einen teuren Mantel hatte schicken lassen. Mit zermürbender Kleinlichkeit hatte er ihr vorgerechnet, wie teuer der letzte Mantel gewesen war, den sie schon seit Jahren trug. Er rechnete ihr sogar noch vor, wie lange sie den Mantel noch tragen müsste, damit sich die Ausgabe gelohnt hätte.
Nach dem Streit hatte er sich zu einem Schläfchen auf das Sofa gelegt und ihren Hass noch gesteigert, indem er Nerven zersägend schnarchte. Wütend war sie aus dem Wohnzimmer gegangen und hatte die Tür mit einem lauten Knall zugeschlagen.
Als er aufgewacht war, hatte er die Zeitung vor geholt und sich im Garten an den kleinen runden Bistrotisch gesetzt. In bester Laune hatte er seinen Nachmittagskaffee verlangt.
Während er las, war sie ins Haus zurückgegangen, hatte entschlossen ihren alten Mantel genommen und in den Altkleiderbeutel gestopft. Dann hatte sie den neuen angezogen, und als sie sich im Spiegel betrachtete und sich dabei hin und her drehte, legte sich ihr Zorn. Ein Paar Schuhe und eine farblich abgestimmte Handtasche zum neuen Mantel würde sie bestimmt auch noch im Katalog finden. Frohgemut, weil sie sich selbst eine Freude machen würde, hatte sie den Katalog von ihrem Nachttisch genommen und sich demonstrativ damit hinaus in den Garten gesetzt.
Als er seinen Kaffee getrunken hatte, war er aufgestanden ohne sie zu beachten und hatte die Leiter geholt.
Ich würde ihm auch eine schöne Beerdigung ausrichten, dachte sie, mit Musik und allem was dazu gehört. Die Witwenrente, die ich dann bekäme, würde reichen, dass ich mir ab und zu mal etwas leisten könnte, ohne mich von einem Geizkragen wie dem da anbrüllen lassen zu müssen.
Und überhaupt hatte sie es gründlich satt, Dienstmädchen für einen Mann zu spielen, für den die einzigen Freuden des Lebens nur noch darin bestanden, fern zusehen, Zeitung zu lesen oder am Haus zu werkeln.
Seinen Lehnstuhl würde ich als erstes beseitigen. Dann müsste eine neue Sitzecke her, und im Sommer könnte ich endlich einmal verreisen, schmiedete sie Zukunftspläne.
Denn er reiste nicht mit ihr. Er war am liebsten zu Hause. „Wir haben doch einen Garten, da haben wir unseren Urlaub."
Dass sie jeden Tag jahrelang dieselben Wände anstarrten, interessierte ihn nicht.
Ein Gedanke wuchs, nahm von ihr Besitz mit der ganzen, lange aufgestauten Wut und er erschreckte sie keineswegs in seiner Ungeheuerlichkeit. Verstohlen drehte sie sich in ihrem Gartenstuhl um und suchte mit den Augen die Gartenhecke ab, ob vielleicht gerade jemand auf das Grundstück sah. Dann erhob sie sich aus ihrem Gartenstuhl und ging langsam mit konzentriertem Blick und ausgestreckten Händen auf die Leiter zu.
Da traf sie ein schwerer Schlag am Kopf, und sie sackte lautlos in sich zusammen.
„Ich habe Angst gehabt", sagte der Mann später vor der Polizei aus. „Gerade will ich zu ihr sagen, sie soll mir den Dachziegel abnehmen, da sehe ich, wie sie mit ausgestreckten Händen auf die Leiter zugeht. Und dabei grinst sie so gemein, wie ich sie noch nie gesehen habe. Den Ziegel habe ich nach ihr geworfen, weil sie mir Angst gemacht hat und sie von der Leiter wegbleiben sollte."