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Kapitel 1

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Mariannes Zweiter

Marianne Solics, pensionierte Kriminalbeamtin, saß im Schanigarten vor dem Cafe am Leobersdorfer Hauptplatz und genoss ihren Häferlkaffee.

Ihr Blick wanderte über den großen weiten Platz, und irgendwie sah die Kirche heute so klein und gedrungen hinter der großen freien Fläche aus. Man sah ihr heute noch an, dass sie einst eine Wehrkirche, erbaut auf den Resten eines römischen Wachturmes war, auch wenn sie in den letzten 2000 Jahren ein paar Mal abgebrannt war. Heute thronte der heilige Martin über einem barocken Altar. Irgendwie sah man es ihr an, dass eine Unzahl von Völkern an ihre Mauern gebrandet waren und dabei, so ganz nebenbei, den Ort verwüstet hatten.

Deplatziert wirkte sie, nur mehr das letzte einstöckige Haus ihr gegenüber passte zu ihr! Ja, der Baum neben ihr hatte auch die ganzen Erneurungen überlebt und stand einsam und verloren neben der Kirche, die er wahrscheinlich schon länger als 100 Jahre begleitete.

Wie anders hatte der Platz in ihrer Kindheit ausgesehen. Nicht durchdesigned und modern, sondern nur ein kleiner Platz vor der Kirche war er. Gerade groß genug, um der Gemeinde nach dem Kirchgang beim üblichen Schwätzchen Platz und Geborgenheit zu bieten.

Dann kamen ein paar zusammengebaute Häuser, in einem war eine Bäckerei, die den ganzen Platz samt der Hauptstrasse in den Geruch von frischem Brot und warmen Semmerln einhüllte, wenn Marianne die Augen schloss, zog der Duft noch immer durch ihre Nase.

Das beste Milchbrot weit und breit gab es dort, kein weiches pappiges Etwas! Das war fest, wie richtiges Brot, mit einer herrlichen goldbraunen Rinde mmmh – und dann noch Butter drauf, so richtig gelbe Butter!

Und sie war so jung, dass sie das essen konnte, ohne dass sich der Bereich rund um die Galle einmal vorsichtshalber in Abwehrstellung begab.

Irgendwie war das Leobersdorf von damals doch schöner, obwohl es zum Wohnen und Leben natürlich heute besser war. Na ja, das Leben war damals sicher einfacher und doch auch schöner gewesen.

Gegenüber dem Kirchenplatz war eine kleine Konditorei, der Jugendtreff damals. Und gegenüber der Gemeinde war das Kaffeehaus. Wenn die Konditorei zusperrte, gings zu einem Heurigen und in der Nacht dann ins Kaffeehaus, dem Sud. Mit einem Terrarium, in dem sich ein Krokodil fadisierte, bei dessen Anblick sich Faszination und Unbehagen bei vielen der Kaffeehausgäste die Waage hielten. Marianne war immer froh, dass eine Glasscheibe zwischen ihr und dem Tier war.

Mein Gott wie lang war das her? Gefühlt war’s gestern, vernünftig betrachtet schon über 40 Jahre! Sie hatten damals eine wunderbare Jugend in einer Ortschaft, wo es alles an Lokalen gab, was man sich als Jugendlicher wünschte. Mit dem Barbarastüberl war sogar die „angesagteste“ Diskothek der Umgebung im Ort. Bis nach Wien hinein war dieser Tamztempel bekannt.

Trotzdem gab es genügend Natur rundherum, um ungestört die ganzen Erlebnisse haben zu können, von denen die Eltern nie etwas wissen sollten.

Sie blickte auf die Uhr, es war Zeit sich aufs Rad zu setzen und nach Hause zu fahren. Ruth, ihre Mitbewohnerin und Freundin, kam in einer Stunde von der Arbeit. Seit sie pensioniert war, hatte sie die hausfraulichen Tätigkeiten übernommen und Ruth hatte schon lächelnd festgestellt, dass sie bald Mutti zu ihr sagen würde, wenn sie sie weiter so umsorgte. Rauf aufs Rad und ab nach Bad Vöslau Abendessen richten!

Ruth, Polizeipsychologin, kam sichtlich erschöpft bei der Tür rein und ließ sich auf einen Sessel plumpsen: „Die Welt steht auf kan Fall mehr lang. Heut kommt eine junge Beamtin zu mir und klagt mir ihr Leid. Vor drei Jahren hat sie, als hochqualifizierte Aktenträgerin, einen Hofrat geheiratet, natürlich sicherheitshalber gleich mit Zwillingen schwanger, sie 25, er 65 und jetzt ist sie wieder schwanger und ihr Mann will nicht in Karenz gehen. Er gönnt ihr ihre Karriere nicht! Ich hab mich nicht halten können und gesagt, machen sie sich keine Sorgen, mit 65 muss er eh in Pension gehen, dann kann ja er dem Pamperletsch die Brust geben und sie können Karriere machen.“

„Ja, ich weiß, ich hätt die Pappen halten sollen, aber es musste einfach sein. Na, was soll ich dir sagen, die Blunzn fängt an zu heulen rennt alsa platzerter zum Amtsleiter und ich hab ein Verfahren wegen Diskriminierung weiblicher Personen am Hals. G´schwollener geht’s nicht! Hoffentlich schicken sie mich auch gleich in Pension, ich will nicht mehr!“

Marianne sah der Freundin stumm in die Augen, schob ihr des Nachtmahl rüber und zuckte verständnisvoll die Schultern. Beide mussten lachen. Nach einem Glas blauem Portugieser auf der Terrasse war die Welt wieder in Ordnung.

Der Abend senkte sich über Bad Vöslau und der übliche Trott würde morgen in seiner verdammten Endlosschleife weiterlaufen.

Ruth fuhr in die Arbeit und Marianne widmete sich der Pflege der Wohnung, da dieselbige aber durch viel überschüssige Zeit sowieso schon aussah, wie eine Puppenküche, war sie vor 9 Uhr schon wieder fertig und gönnte sich einen Kaffee. Dabei machte sie ein Häferl dreckig, um nachher wieder etwas zum Abwaschen zu haben.

Plötzlich läutete ihr Telefon. Ruth war dran, ganz aufgeregt: „Marianne, setz dich ins Auto, nimm sicherheitshalber ein paar Sachen für uns mit, hol mich von der Dienstelle ab! Kannst du dich an die Frau Dr Lischka erinnern? Bei der ihrer Ausgrabungsstätte, der des –Keltenkriegers,- ist eine Tote gefunden worden. Unter so eigenartigen Umständen, dass ich eine psychologische Tatortbegehung machen soll. Mariann sattl die Hühner, wir reiten ins Weinviertel!“

Marianne warf blitzschnell ein paar Sachen in eine Tasche, Badezeug, falls sich die Therme Laa ausging, und ab ging’s ins Auto Richtung Wien, Ruth abholen.

Ruth wartete schon vor ihrer Dienststelle. Marianne blieb kurz in zweiter Spur stehen, Ruth sprang in den Wagen und weiter ging’s ins Weinviertel. Diesmal nahmen sie die neue Autobahn und waren ruck zuck in Mistelbach. „Schön und flott zum Fahren, aber ob der viele Asphalt dem Klimawandel Einhalt gebietet, das wär zu hinterfragen.“, Ruth konnte es nicht lassen, ein paar grüne Gedanken mussten einfach sein. Marianne war da großzügiger in ihrem Weltbild, sie freute sich einfach über die großzügige neue Strasse. Laa, Hadres, na das war aber schnell gegangen, sie fanden auch den Feldweg zur Ausgrabungsstätte und sahen schon von Weitem die Dienstfahrzeuge.

Der Pathologe hatte auf sie gewartet und kam ihnen entgegen: „Ja hallo Marianne, mit dir hab ich nicht gerechnet. Hat man dich wieder in Amt und Würden geholt?“

„Gott bewahre!“, Marianne freute sich über die Reaktion des ehemaligen Kollegen, „Ich bin Pensionistin und hab Ruth nur begleitet. Na ja, für einige niedere Dienste wird’s noch reichen. Was ist los, dass ihr allerhöchste psychologische Betrachtungen von der Ruth braucht’s? Grad richtig, die hat nämlich einen festen Dienststellenblues im Moment.“

Der Pathologe grinste: „Ja, liebe Ruth, wir haben es schon alle gehört, und die ganze Abteilung hat sich köstlich amüsiert. Dir wird im Moment nicht so zum Lachen sein, aber was soll’s, pensionieren können sie dich und ganz streng ´tutu´ sagen. Na, da fahrt’s einmal im Urlaub und der ganze Deppenhaufen soll euch kreuzweis! Aber kommt’s mit, ich hab so was noch nicht gesehnen, in all den Jahren nicht.“

Er ging zu einem großen, zugedeckten Etwas, das genau vor dem Kellereingang war. Gemeinsam hoben sie das Tuch weg.

Es war einige Zeit ruhig bis Ruth einfach nur „Na servas!“ sagte.

Vor ihnen war eine nackte Frau ein Stück in den Lössboden eingegraben, und zwar kniend, sodass ihr Hinterteil der höchste Punkt war. Zwischen ihren Pobacken war der Vorderreifen eines Mountainbikes, als wäre der tote Körper der Fahrradständer für das verbeulte Ding.

Mariannes Zunge war wieder einmal um eine Spur zu schnell, und ehe sie sich’s versah hatte sie „a Burgenländischer Radlständer“ gesagt.

„Genau!“, meinte der Pathologe, „Ich glaub, genau das wollte der Täter, ihr nämlich im Tod noch richtig wehtun. Im Leben war’s wohl umgekehrt! Übrigens, die Frau fiel keinem Gewaltverbrechen zum Opfer, sondern es dürfte, nach meinem jetzigen Dafürhalten, ein Unfall, wahrscheinlich mit diesem Mountainbike, gewesen sein. Der Schotterausschlag an Händen und Beinen spricht dafür, und Todesursache dürfte ein glatter Genickbruch sein. Downhill heißt das, glaub ich. Da werden die Dinger manchmal schnell wie ein Motorrad.“

Ruth ging ein paar Mal um das Opfer herum und schüttelte den Kopf: „Ich würd gar nicht sagen, dass da ein kranker Geist am Werk war. Ich glaub auch, dass da einer posthum seinem Ärger so richtig freien Lauf lassen wollte. Ich hab so was auch noch nie gesehen, nichts Religiöses, auch keine politischen Symbole, einfach nur im Tod der Lächerlichkeit preisgegeben!“

„Ja, noch was.“, meinte der Pathologe, „Die Kleidung wurde ihr nicht ausgezogen, sondern heruntergeschnitten, und nachdem das nach dem selben Muster ist, wie ich das mache, würde ich auf einen Arzt tippen,“ Er zeigte dabei auf ein sorgfältig zusammengelegtes Bündel: „Sogar die Sportschuhe sind aufgeschnitten, und das muss zuminderst eine medizinische Schere gewesen sein.“

„Ok, ihr könnt alles mitnehmen, ich hab genug gesehen.“, Ruth blickte fragend im Kreis herum: „Sonst noch was?“

„Ja, du solltest dir unbedingt anhören, was der junge Kollege vom hiesigen Posten zu erzählen hat.“ Der Pathologe zeigte auf einen jungen Beamten.

Ruth lächelte in freundlich an: „Keine Angst, ich bin da, um ein Profil zu machen und nicht um Kollegen psychologisch auszufratscheln. Also, erzählen sie uns einmal, was sie wissen.“

Der junge Kollege holte tief Luft: „Also, das ist Frau Gertrud Bosch, Leiterin unsere Bank und wahrscheinlich die meistgehasste Frau in der ganzen Umgebung. Jeder hat sie gekannt und ist mit allen Gelddingen zu ihr gegangen. Sie war irrsinnig nett und hilfsbereit, bis dann die Banken anfingen alles Geld zu veranlagen. Als ich geheiratet hab, hat mein Großvater einen Wald verkauft und hat mir und meiner Frau zweihunderttausend Euro zum Bauen gegeben.

Ich hab’s auf die Bank getragen und die Frau Bosch hat mich beraten. Das Geld veranlagt sie für mich und ich nehm einen Frankenkredit auf und bau damit unser Haus, und nach zehn Jahren lös ich die Veranlagung auf, begleiche damit den Kredit und vom Kapital bleiben uns mindestens fünfzig Prozent. Ich kenn die Frau Bosch seit meiner Schulzeit – ich hab’s gemacht. Nach fünf Jahren war das Geld weg, ich bin auf einem Haufen Schulden gesessen. Sie hat nicht einmal rechtzeitig was gesagt, sie hat’s verspielt bis zum letzten Cent. Sie hat, eigentlich hatte, eine Traumvilla in Hollabrunn und hier gibt’s eine Menge Leut, denen geht’s genauso wie mir. Ich gehör also zu den Hauptverdächtigen, denn leid tut mir das Ganze nicht, sie hat sichs verdient, auch wenn das uns allen nichts mehr hilft.“ Verbittert sah er zu Boden.

„Und wie viele Geschädigte wird’s da wohl geben?“, Ruth sah ihn fragend an.

„Sicher weit über hundert, hat damals viel Wind gegeben, als das Kartenhaus zusammengestürzt ist. Ich hab ein halbfertiges Haus, und meine Frau und ich machen jede Überstunde, die möglich ist, um von dem Schuldenhaufen wieder runterzukommen. Da sind ein paar Existenzen draufgegangen.“

Man sah dem jungen Kollegen an, dass da einiges in ihm hochkam, je länger er darüber redete. Ruth legte ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter und er presste ganz leise zwischen den Lippen hervor: „Eigentlich würd ich sie am liebsten jetzt noch in den Hintern treten, und das schlimme ist, ich schäm mich nicht mal dafür!“

Marianne durchbrach die Betroffenheit aller: „Na, da wartet viel mühselige Polizeiarbeit auf euch! Alle Kunden überprüfen, eigentlich müsste der Täter überbleiben.“

„Seh ich auch so. Ein Profil ist mit dieser Geschichte unnütz, alle Geschädigten durchwassern, da wird sicher der Täter dabei sein, und alle werden ihm Sympathie entgegenbringen und ihr seid’s die Bösen!“

Alle waren sich eigentlich sicher, dass dies der Weg zur Lösung dieses Falls war.

Man kann sich aber auch täuschen!

Die beiden Frauen gingen mit den Kollegen essen und Ruth wollte sich noch bei den Arbeitskollegen des Opfers umhören. Hier wurde der bisher gewonnene Eindruck noch verstärkt: Eine einst liebe und hilfsbereite Chefin war total umgekippt und hatte nur mehr in Boni und Börsenlatein gedacht.

Dabei war sie, wie alle Spieler, ins Uferlose gekippt und war noch der Meinung, die Leute wären selbst schuld. Hätten sie Kapital nachgeschossen und sie weiter zocken lassen, wäre überall ein Gewinn zu machen gewesen. Das Schlimme war, dass alle zugesehen haben und niemand „Aus“ geschrien hat. Einige hatten sicher geunkt, aber am Anfang, als alle verdient hatten, wollte die Rufe ja keiner hören. Wie hieß doch die Dame aus der Antike? Ach ja, Cassandra – es hat sich bis heute nicht viel geändert.

Marianne und Ruth waren beide der Meinung, der Täter wäre im Kreis der Geschädigten zu suchen. Und laut Pathologen war’s sowieso nur eine Störung der Totenruhe. Das würde jetzt in der Presse ein paar Wellen schlagen, dann aber schnell wieder vergessen sein. Vorausgesetzt, der Tathergang brachte nicht irgendwelche Trittbrettfahrer auf grandiose Ideen.

Ruth meinte: „Auf in die Therme, zum Berichtschreiben ist morgen Zeit genug. Ich will einfach nix mehr hören von Banken, vom kollektiven Matschkern, samt dazugehörigem Nixtun, und schon gar nichts von frustrierten Hofratsgattinnen auf dem Selbstfindungstrip!“

„Kannst du dich an den alten Herrn Wöhrer erinnern, der neben dem Kino gewohnt hat? Der hat immer gesagt: Steckt’s ihnen einen Reißnagel in die Schuh und lasst sie einmal um den Block laufen, wird’s sehen, sofort haben sie diese Sorgen nicht mehr!“ Marianne grinste von einem Ohr zum andern, denn dass gerade ihre Freundin, die damals im Emanzipationskampf weit vorne war, tief und ehrlich rot bis ins letzte Winkerl war, jetzt ein Opfer des Gleichheit - Gender - Wahns geworden war, amüsierte sie doch sehr. Aber was soll’s - ab ins warme Wasser -- AAAAAH

Ein Flachlandkrimi II

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