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Mit Leinen fing es an
ОглавлениеDie Recherche zur 300-jährigen Unternehmensgeschichte der »Schwäbischen Jungfrau« gestaltete sich zum Teil schwieriger als gedacht, denn nur wenige Originaldokumente sind noch erhalten. Zumal das historische Archivmaterial durch einen Brand des Geschäftslokals am Graben 26 im Jahr 1969 fast vollständig vernichtet worden war. Insofern datiert das wenig noch Vorhandene vornehmlich aus den letzten sechs Jahrzehnten. Also ab jener Zeit in der Historie der »Schwäbischen Jungfrau«, als Frau Kommerzialrätin Hanni Vanicek im Alter von 21 Jahren die Geschäftsagenda von den Vorbesitzern übernahm. Fündig wurde ich letztendlich bei meinen Recherchen dank eines Hinweises meines ehemaligen Professors Dr. Murray G. Hall im digitalen Zeitungsarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek ANNO. Aus rund 120 dokumentierten Einträgen in Zeitschriften und Magazinen konnte ich die unterschiedlichen Eigentümerverhältnisse der Leinenwaren-Niederlage – heute ist dafür der Begriff Niederlassung üblich – »Zur Schwäbischen Jungfrau« zumindest teilweise nachzeichnen. Andererseits hat die »Schwäbische Jungfrau« sowohl hinsichtlich ihrer verschiedenen Standorte des Geschäftslokals als auch auf die Vielzahl ihrer Eigentümer und Eigentümerverhältnisse eine recht bunte Geschichte vorzuweisen, was verständlicherweise die Recherchearbeiten über die »Schwäbische Jungfrau« ebenfalls nicht einfacher machte. Großer Dank gebührt auch dem Archiv der Wirtschaftskammer Österreich und hier ganz besonders der Referatsleiterin Mag. Rita Tezzele und ihren Mitarbeiterinnen für die Hilfsbereitschaft beim Ausheben der Auszüge aus dem Handelsregister.
Alles begann im Jahr 1720, als sich der über drei Jahrhunderte tradierten Legende nach, nomen est omen, ein schwäbischer Leinwandhändler am Haarmarkt niederließ. Als Haarmarkt bezeichnete man die Gegend zwischen dem heutigen Lugeck und dem Alten Fleischmarkt, der ursprünglich ein Teil der Rotenturmstraße war. Der Haarmarkt, oftmals auch Flachsmarkt genannt, wurde erstmals Ende des 13. Jahrhunderts, um 1270, urkundlich erwähnt.
Da der Leinwandhändler Johann Joseph Wolff aus Schwaben der Legende nach drei schöne Töchter hatte, zeichnete das Geschäft alsbald mit dem Namen »Zu den drei schwäbischen Jungfrauen«. Wann aus der Geschäftsbezeichnung mit den drei Jungfrauen nur mehr eine übrig blieb, ist anhand der vorliegenden Daten leider nicht eruierbar.
In einem Bericht aus dem Wiener Kommunal-Kalender und städtisches Jahrbuch aus dem Jahr 1912 werden die nun folgenden Eigentümer im Verlauf der ersten fast zwei Jahrhunderte der »Jungfrau« aufgelistet. Sehr abwechslungsreich gestaltet sich dieser wahre Eigentümerreigen, denn zu diesem Zeitpunkt, fast zweihundert Jahre später, waren es in Summe nicht weniger als zwölf unterschiedliche Besitzer und Betreiber der Leinenwaren-Niederlage. Nach dem schwäbischen Gründer folgten im Jahr 1743 ein gewisser Thomas Josef Flaschitz, 1778 Johann Georg Angelmaier, nur sechs Jahre später, 1784, zeichnete für ein Jahr seine Witwe Elisabeth Angelmaier verantwortlich. Ein Jahr später erfolgte die Übernahme der Geschäftsagenda durch Josef Gruber, der wiederum bereits 1788 seinen Sohn, Josef Andreas Gruber, mit der »Schwäbischen Jungfrau« beerbte. Dieser blieb allerdings auch nur neun Jahre Eigentümer, denn ab 1797 wird Ferdinand Kronöster als solcher genannt. Dieser hatte zumindest das schicksalhafte Glück, das Geschäft etwas länger betreiben zu können, denn erst im Geburtsjahr Kaiser Franz Josephs I., 1830, folgte mit Anton Wagner der nächste Eigentümer in diesem abwechslungsreichen Reigen.
Fast ein Vierteljahrhundert später, 1854, folgten wiederum neue Eigentümer der Leinenwaren-Niederlage – zwei Geschäftspartner mit den Namen Vogel & Salzmann. Eine Originalrechnung vom 27. November 1854 ist eines jener raren originalen Zeitdokumente, die im Privatarchiv von Hanni Vanicek noch erhalten geblieben sind. Auf der Rückseite ist ein Konterfei der »Schwäbischen Jungfrau« abgebildet und folgender Aufdruck ist zu lesen: »Vogel & Salzmann, bürgerl. Leinwandhändler, Zur Schwäbischen Jungfrau, Wien, in der Bischofgasse No. 638, empfehlen sich mit ihrem stets gut sortirten (sic!) Warenlager von allen Gattungen Leinwaaren (sic!) um die billigst festgesetzten Preise.«
Originalfaktura der »Schwäbischen Jungfrau«, 1854 (Faksimile)
Unter der Ägide von Vogel & Salzmann fungierte die »Schwäbische Jungfrau« zudem als eine Art Vermittlungsbüro und Anlaufstelle für allerlei Geschäftsgebarungen, was zahlreiche Inserate aus diesen Jahren bezeugen. Man vermittelte über Zeitungsinserate etwa Administrationen von sogenannten Güterinspektoren mit ökonomischen und juridischen Fachkenntnissen, den heutigen Maklern entsprechend, um beispielsweise hübsche Landgüter, Häuser und Sommerwohnungen anzubieten. Und sogar über gesuchte Reisekompagnons oder eine Sängerreise nach Venedig vom Wiener Kaufmännischen Gesangsverein wurden in der »Schwäbischen Jungfrau« Auskünfte erteilt.
Erst rund dreißig Jahre später, im Jahr 1881, sollte wieder einmal ein Eigentümerwechsel erfolgen. Und auch dieses Mal übernahm wieder ein Eigentümerduo die Führung der »Schwäbischen Jungfrau«. Die beiden Herren und Geschäftsmänner Josef Benedikt Markl und Josef Thanhofer erwarben die Leinenwaren-Niederlage und führten sie »in Kompagnie« bis ins Jahr 1900, als sich Josef Thanhofer aus der Geschäftsagenda zurückzog. Von da an leitete Josef B. Markl das Geschäft alleine und übergab es vier Jahre darauf seinem Sohn Hans Markl, der es wiederum mit seinem Partner, Carl Sieper, weiterführte.
Werbung im Neuen Wiener Tagblatt, 7. Februar 1912
In Bezug auf ihre Standorte des Geschäftslokals hatte die »Schwäbische Jungfrau« angesichts ihres oftmaligen, um ihn nicht als inflationär zu bezeichnen, Eigentümerwechsels eine fast ruhig anmutende Geschichte. Lediglich vier Standorte sind in der 300-jährigen Geschichte verzeichnet.
Bis zum Jahr 1913 firmierte die Leinenwaren-Niederlage seit ihrer Gründung im Jahr 1720 fast durchgehend am selben Standort, nämlich in der Rothenthurmstrasse 13 (sic!), vis-à-vis der Wollzeile, wobei sich die Adressbezeichnung des Standortes im Laufe der Jahrzehnte immer wieder änderte: von »Haus Stadt 528« über Bischofgasse 638 bis hin zur letzten Standortumbenennung Rotenturmstraße 13 ab dem Jahr 1862. Die einzige Unterbrechung gab es wegen eines temporären Umzugs aus baulichen Gründen, denn für kurze Zeit wechselte das Geschäftslokal im Jahr 1838 unter dem Eigentümer Anton Wagner in das gegenüberliegende fürsterzbischöfliche Palais mit der Nummer 636, wie der Wiener Zeitung vom 29. September des damaligen Jahres zu entnehmen ist:
Gewölbs-Veränderung der Leinwandhandlung zur Schwäbischen Jungfrau. Ich erlaube mir die Anzeig (sic!), daß wegen dem Baue des Hauses Nr. 638, in der Bischofgasse, die seit vielen Jahren dort bestandene Leinwandhandlung zur Schwäbischen Jungfrau zu Michaeli 1838 in dieselbe Gasse Nr. 636, dem fürsterzbischöflichen Palais gegenüber, verlegt wird. Bey (sic!) dieser Gelegenheit empfehle ich mich mit einem vorzüglich gut sortirten (sic!) Lager aller Gattungen Leinenwaren zu den billigst festgesetzten Preisen, und werde es mir stets zur strengsten Pflicht machen, dem alten Vertrauen womit diese Handlung bisher beehrt wurde durch solide Behandlung würdig zu entsprechen. Anton Wagner.
Faktura mit Briefkopf »Josef B. Markl, vormals Markl & Thanhofer«, 1903
Rund 75 Jahre später liest man in der Illustrierten Kronen Zeitung vom 1. Dezember 1912:
Die seit 200 Jahren bestehende Leinenwaren-Niederlage »Zur schwäbischen Jungfrau«, I., Rotenturmstraße Nr. 13, Ecke Ertlgasse, übersiedelt demnächst wegen Demolierung des Hauses und findet daher ein behördlich bewilligter Ausverkauf zu äußerst reduzierten Preisen statt.
Was war geschehen? Anstelle des Ertl’schen Stiftungshauses, das heute in alle vier Richtungen – Rotenturmstraße, Kramergasse, Ertlgasse und Lichtensteg – frei steht, befanden sich ursprünglich mehrere kleinere Häuser, die zum Teil im Laufe der Zeit miteinander baulich verbunden waren. 1912 wurde der Abriss beschlossen und den dort eingemieteten Gewerbelokalen wurde gekündigt, was sich durch das Neue Wiener Tagblatt vom 5. Oktober 1912 belegen lässt:
Das älteste Geschäft im Hause »Zur Schwäbischen Jungfrau« wird ganz verschwinden. Es verzichtet darauf, in das neue Palais zurückzukehren, und wird mit einem anderen Geschäftshause der Leinenbranche vereinigt sein. Zwölf Besitzer hatten dieses Leinenwarengeschäft zu Ehren gebracht, in dessen Laden noch heute die gute alte Zeit atmet.
Längsseite des Geschäftes am vormaligen Standort in der Rotenturmstraße
Zahlreichen Zeitungsberichten zufolge war die Entrüstung in der Wiener Bevölkerung groß. Ein Feuilleton des Schriftstellers Adam Müller-Guttenbrunn (1852–1923) im Neuen Wiener Tagblatt vom 22. Jänner 1913 mit dem Titel »Die Schwäbische Jungfrau« widmet sich dem Abriss des Gebäudekomplexes und setzt sich mit dem zunehmenden Verschwinden alter Gebäude, respektive mit deren Portalen und Geschäftsschildern, in der Wiener Innenstadt schon damals sehr kritisch auseinander. Man könnte fast meinen, es ist ein Artikel aus dem 21. Jahrhundert:
Wer, vom Stephansplatz kommend, die Rotenturmstraße zur Linken hinabgeht, sieht sich an der Ecke der Kramergasse seit Wochen dem halbdemolierten Ertlschen Stiftungshaus gegenüber […]. Und dasselbe Schicksal steht der ›Schwäbischen Jungfrau‹ bevor, deren lebensgroßes Bild seit nahezu zweihundert Jahren auf die Spaziergänger der Rotenturmstraße niederblickt. Sie ist allmählich ein Wahrzeichen des alten Wien geworden in dieser Umgebung. Aber so wie diese Wahrzeichen jetzt überall in den Schutt sinken, so wird man auch sie in irgendeine Rumpelkammer werfen oder vielleicht von einem Anstreicher überpinseln lassen. Schon hat man ihre Gestalt mit Ausverkaufsnachrichten beklebt, und über der Brust, knapp unter dem anmutigen Kinn, trägt sie ein Plakat: »Portal zu verkaufen«. Wer weiß, in welche Hände dieses altehrwürdige Kaufmannsschild gerät. Und doch scheint es mir nicht ganz wertlos zu sein auch als Bild. Gehört es doch zu jener berühmten Familie künstlerisch ausgeführter Schilder der Inneren Stadt, zu der einst die »Schöne Linzerin«, die »Drei Lausser«, der »Papageno«, die »Jungfrau von Orleans«, und viele andere zählten. […] Aber die »Schwäbische Jungfrau«, mit der man jetzt so grausam verfährt, ist älter als sie alle, sie ging jener Mode, die sie überlebt hat, voraus. Und die Treue der alten Firma für dieses bescheidene, so gar nicht auf die Wirkung ihrer Reize bedachte Schwabenmädel war bisher sehr zu loben. Was jetzt geschieht, ist unverständlich. Ein leeres Brett kann dieses Stück ihres Portals dem Eigentümer doch nicht sein.
Das vom österreichischen Biedermeiermaler Johann Nepomuk Mayer (1805–1866) gestaltete Ladenschild der »Schwäbischen Jungfrau« wurde trotz der zahlreichen Eigentümerwechsel und Umzüge über die Jahre glücklicherweise gerettet.
Für die »Schwäbische Jungfrau« bedeutete die Demolierung des Gebäudes letztendlich die endgültige Übersiedlung des Geschäftslokals. Ab März firmierte man nun nach fast zweihundert Jahren am neuen Standort am Hohen Markt 3. Und auch einen neuen Eigentümer hatte die »Jungfrau« wieder einmal, denn an der Adresse Hoher Markt 3 befand sich die Firma namens Josef Stritzko & Co., die sich im Eigentum des 1870 im galizischen Lemberg geborenen Geschäftsmannes Carl Sutter befand. So ist kurz darauf in der Illustrierten Kronen Zeitung folgende Meldung vermerkt:
Wegen Demolierung des Hauses I., Rotenturmstraße 13, vereinigt sich die altberühmte, 200 Jahre alte Leinenwaren-Niederlage »Zur schwäbischen Jungfrau« Jos. B. Markl Nfg. mit der bestbekannten Leinen- und Wäschefirma Jos. Stritzko & Co., I., Hoher Markt Nr. 3, und ist deshalb dem Publikum für Weihnachten eine äußerst billige Kaufgelegenheit in allen Artikeln bei beiden Häusern geboten.
Die Leinen-, Baumwoll- und Wäscheniederlage Josef Stritzko & Co. war eine in den besten Kreisen eingeführte Firma und war 1907 von Carl und Stanislaus Sutter übernommen worden. Unter der Geschäftsführung von Carl Sutter wurde das Geschäftslokal der damaligen Zeit entsprechend modernst renoviert und deren Schaufenster fielen »angenehm« auf, wie man im Magazin Der Fremdenverkehr vom 9. Mai 1909 erfährt und weiters:
Das Geschäft wurde vollständig neu organisiert, der Neuzeit entsprechend eingerichtet, und Wäsche von einfachster bis zur feinsten Ausführung eigener Erzeugung eingeführt. Der Erfolg dieser Umgestaltung der Firma blieb auch nicht aus. Heute steht dieselbe verjüngt, repräsentationsfähig und in allen Teilen leistungsfähig in der ersten Reihe der soliden altehrwürdigen Stadtgeschäfte Wiens und erfreut sich nicht nur in Wien, sondern in der ganzen Monarchie des größten Vertrauens des kaufenden Publikums.
Der Erste Weltkrieg mit dem anschließenden Zerfall der österreichischen Monarchie und der anschließenden Neuordnung Europas sowie die nun folgenden wirtschaftlich schweren 1920er- und 1930er-Jahre hatten auch auf die »Schwäbische Jungfrau« Auswirkungen. Zudem starb im Jahr 1928 der Gesellschafter Carl Sutter Senior. Seine Witwe Emma Sutter und ihre Söhne Heinrich und Carl Sutter Junior traten als Nachfolger in die Firma ein. Bereits vier Jahre später allerdings drohte trotz innovativer Maßnahmen wie Sortimentserweiterungen und Lagerabverkäufen die Insolvenz des Geschäftes. Ein Konkursverfahren konnte zwar abgewendet werden, allerdings blieb der »Schwäbischen Jungfrau« nach 212 Jahren ein Ausgleichsverfahren nicht erspart. Den Aktiva von 53 000 Schilling standen Passiva von 83 000 Schilling gegenüber. In der Ausgabe vom 23. November 1932 vermerkt die Wiener Zeitung, dass das Ausgleichsverfahren der Schuldnerin, die unter der Firma Leinenwaren-Niederlage »Zur Schwäbischen Jungfrau«, Josef B. Markl Nachf. am Hohen Markt 3 registriert ist, mit 11. November 1932 beendet ist und das Ausgleichsverfahren erfolgreich abgeschlossen werden konnte.
Und wieder versinkt die Geschichte rund um die Eigentümerverhältnisse der »Schwäbischen Jungfrau« für einige Jahre im Dunkeln. Wann genau die Familie Martinke das Geschäft erwarb beziehungsweise wann die Übersiedlung des Geschäftslokals an den Standort am Graben 26 erfolgte, ist ebenfalls leider nicht genau zu eruieren. Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte die Übernahme kurz nach dem Ausgleich der Familie Sutter erfolgt sein. Die Kaufmannsfamilie Martinke betrieb laut Handelskammer-Archiv bereits seit einigen Jahrzehnten ein Geschäft für Wäschewarenerzeugung und Weißwarenverschleiß in der Brunnengasse 61–63 im 16. Bezirk. Die Familie Martinke bestand aus den Geschwistern Aloisia Wilhelmine Martinke, genannt »Luise« (geb. 1888), Karl (geb. 1892) und Auguste (geb. 1895). Bereits deren Mutter, Maria Martinke, die 1866 im mährischen Schönberg geboren wurde, unterhielt eine Wäschewarenerzeugung im 3. Bezirk, Hauptstraße Nr. 93.
Entwurf für ein neues Geschäftsportal der »Schwäbischen Jungfrau«, der nicht umgesetzt wurde, 1950er-Jahre (Faksimile)
Dokumentiert ist, dass ab dem Jahr 1937 die »Leinen- und Baumwollniederlage mit Brautausstattungen« im Geschäftslokal am Graben 26 firmierte. Alles in allem war es jedoch alles andere als eine gute Zeit für eine Geschäftsübernahme – der sich ausbreitende Nationalsozialismus, der »Anschluss« 1938 und letztendlich der Beginn des Zweiten Weltkrieges waren für das Führen eines Handelswarengeschäftes mit Produktionsstätte alles andere als rosig.
In den wenigen noch erhaltenen Originaldokumenten findet sich ein Brief von Luise Martinke aus dem Jahr 1944, über dessen Empfänger sich nichts Näheres eruieren ließ, der aber trotzdem ein interessantes Zeitdokument aus den Wirren des Zweiten Weltkrieges darstellt:
Wien, den 9.10.1944
Lieber Herr Köpf!
Für Ihren freundlichen Brief schönen Dank. Gottlob sind wir alle mit heiler Haut davongekommen; wie Sie ganz richtig vermuten, waren Auguste und ich gerade in Hadersdorf angekommen, als Alarm gegeben wurde, aber der Bruder war in der Brunnengasse, da er jeden Sonntag Bereitschaft hat und daher bei Alarm in die Ortsgruppe lief. Auf dem Weg hätte ihm wohl sehr leicht etwas zustoßen können, wie es 2 Kameraden von ihm tödlich getroffen hat. Seither darf er wirklich erst nach dem Alarm zur Ortsgruppe. – Da nun der Bruder nicht, wie vereinbart, um 3 Uhr spätestens in Hadersdorf eintraf, vermutete ich gleich, dass er zum Einsatz kam und wir fuhren – mit etwas Hindernissen – herein, wo wir gleich die Bescherung sahen. Meine erste Frage war selbstverständlich, ob vom Haus jemand nach dem Alarm den Bruder sah, was mir bejaht wurde, er wäre umziehen gekommen, da er gleich schaufeln ging. Er kam richtig erst um 19 Uhr abends zum Essen und ging gleich wieder fort. Nach dem ersten Säubern der Wohnung von den Scherben und dem Schutt fuhr ich in die Stadt, wo wir etwas arg mitgenommen waren, aber nach dem, was ich unterwegs sah, konnte mich der Zustand unseres Geschäftes gar nicht im geringsten erschüttern, auch die Schwester war vollkommen ruhig – wir fingen gleich einen kleinen Weg ins Innere des Geschäftes zu schaufeln an – das einzige, was ich bedaure, resp. was mir sehr leid tut, ist, dass das schöne Bild ganz zerkratzt und oben stellenweise ganz von der Oelfarbe entblößt ist – ansonsten dürfen Sie uns wirklich gratulieren, zum Märtyrer haben wir gar keine Eignung. Es hätte viel schlimmer ausfallen können. Die ganze Woche brauchten wir zum primitivsten Dreckputzen, eine ganz einfache Verschalung mit einigen Holzleisten – den Ueberresten unseres ehemaligen Portals – machten wir uns auch selbst, nur mit Papier gegen den ständigen Staub geschützt. Selbstverständlich mussten wir jede Nacht abwechselnd herinnen verbringen, da wir die Ware so ziemlich retten konnten und sie oben in der Werkstätte verstaut hatten. In der 2ten Woche konnten wir sogar schon in der Näherei beginnen, da wir 2 Maschinen selbst in Gang bringen konnten, 2 waren allerdings in wenig aussichtsreichem Zustand, aber nun zeigt es sich, dass auch diese wieder gerichtet werden können. Nun ist unser Verkaufsladen auch schon wieder – wenn auch in etwas havariertem Zustande – seit vergangener Woche in vollem Betrieb. Natürlich gabs jeden Tag bis meist halb 10 Uhr abends mit den Handwerkern drinnen zu tun; Tischler, Maurer, Elektriker. Holz bekamen wir zum Teil von der Einsatzstelle, auch Glas zum Teile, zum Teil hatten wir Spiegelscheiben von den Auslagenplatten. Selbstverständlich waren auch die Sonntage mit Maurer und Tischler besetzt, aber ich glaube, diese Woche werden wir so ziemlich in Ordnung kommen. Wenn nichts dazwischen kommt, werde ich endlich wieder einmal einen Sonntag in Hadersdorf verbringen können.
Was Ihre Meldung zum Arbeitsdienst anbelangt, so dürften Sie wohl kaum zu irgend einem Einsatz kommen, da gibt es sicherlich noch genügend andere Jahrgänge. In die Zukunft kann ja niemand sehen, aber das ist sicher, wir können froh sein, wenn die Ordnungsmacht bei uns in nationalsozialistischen Händen bleibt – das sehen nun schon langsam auch andere Kreise ein, die stets gegnerisch gesinnt waren. Nur zu einer tätigen Mithilfe können sich diese Kreise nicht entschliessen, der Herr Kardinal findet es nur ratsam, einen Gelöbnisgottesdienst zu halten mit dem Versprechen, wenn die grosse (sic!) Gefahr von Wien abgehalten werden kann, eine Kirche in einem Arbeiterviertel zu bauen. Aber zur Mithilfe hat er noch niemanden aufgefordert, das wird schon der Partei überlassen. Na, es wird auch das vorübergehen. Der Bruder ist bei seiner 64stündigen Arbeitszeit im Werk noch jeden Sonntag Vor- und Nachmittag beim Einsatz, wie soviele andere Kameraden auch. Dabei hat er keinen Urlaub, da er als Lediger den Verheirateten den Vortritt liess und erst im September drangekommen wäre, als der Urlaub aber schon gesperrt war. Er hätte wirklich einen ruhigen Sonntag wenigstens nötig, aber unverdrossen arbeitet er überall mit.
Dass unsere Soldaten so lange an allen Fronten dem ungeheuren Ansturm standhalten, ist sicherlich ein Wunder – wenn wir uns auch vor 2 Jahren die Front an diesen Stellen nicht vorstellen hätten können. Ausgelöst wurde diese Situation sicherlich zum grossen (sic!) Teile durch den Verrat Italiens, der ja schon bei Stalingrad begann und die enorme Luftüberlegenheit Amerikas. Jetzt ist der Kampf eben wahrhaftig eine Schicksalsfrage – durchhalten müssen wir, wenn nur die innere Front anständig bei der Stange bleibt!
Materieller Schaden lässt sich verschmerzen, wenn auch viele verloren haben, was sie in jahrelanger Mühe und Liebe erworben haben. Je näher die Gefahr des Verlierens ist, desto fester müssen wir bleiben – das wollen wir hoffen. Jedenfalls dürfen wir den Krieg nicht verlieren, wenn uns natürlich auch kein solch glänzender Sieg mehr beschert werden wird, wie er vor 2 Jahren noch in Aussicht stand. Nur verlieren dürfen wir ihn nicht!
Hoffentlich sind Sie und Ihr Bruder mit dem blosen (sic!) Schrecken davongekommen, Sie waren wohl noch zu Hause? Haben Sie in Ihrem Wohnhaus einen ordentlichen Luftschutzkeller?
Nun grüße ich Sie bestens und wünsche Ihnen weiterhin ein gütiges Geschick.
Luise Martinke
Auf einem Auszug aus dem Zentralkataster des Magistratischen Bezirksamtes der Stadt Wien wird ersichtlich, dass am 9. Juni 1960 die OGH »Zur Schwäbischen Jungfrau – Geschwister Martinke«, gewerbeberechtigt für »Wäschewarenerzeugung«, mit Standort I., Graben 26, in eine Einzelfirma der Alleininhaberin Johanna Vanicek umgewandelt wurde.
Hier knüpfen die nun folgenden Erinnerungen von Hanni Vanicek an. Seit mittlerweile sechzig Jahren steht sie im wahrsten Sinne des Wortes ihre Frau im Geschäft am Graben 26 und ist somit, betrachtet man die ereignisreiche 300-jährige Geschichte der »Schwäbischen Jungfrau«, die am längsten dienende Eigentümerin. Keiner der 17 Geschäftsinhaber vor ihr war jemals so lange im Besitz der »Schwäbischen Jungfrau« und gestaltete und leitete ihre Geschicke. Sechs Jahrzehnte sind es, die in diesem Buch lebendig werden und uns durch die Lebenserinnerungen von Hanni Vanicek einen Einblick in den Geschäftsalltag eines der ältesten Traditionsbetriebe der Stadt, seine Kundschaft und die Gepflogenheiten dieser Zeit gewähren. Hanni Vanicek lebt für ihr Geschäft. Wenn man sie persönlich kennenlernen darf, weiß man, sie ist nicht nur beseelt von ihrem Geschäft, sondern sie ist die »Schwäbische Jungfrau«. Ihr Lebensoptimismus und ihr Nonkonformismus Menschen gegenüber sind fast schon legendär und immer eine Bereicherung. Sie hat, entgegen der herrschenden Frauenrollen ihrer Generation und ihrer Zeit, wirtschaftlich stets unabhängig und eigenständig agiert. Darüber hinaus führt sie seit Jahrzehnten ohne elitäre Attitüde und mit herzlichem Wiener Charme ein Traditionshaus äußerst erfolgreich. Chapeau!
Geschäftsportal, 1960
Freya Martin, Juni 2020
Ich bin in einer traditionellen Familie aufgewachsen. Wir haben das Alte immer geschätzt, waren jedoch dem Neuen nie abgeneigt. Als die »Schwäbische Jungfrau« im Jahr 1970 ihr 250-jähriges Jubiläum feierte, verfasste die Schwester meines Vaters, Maria Feiler, eine kleine Schrift über die Geschichte des Geschäftes. Meine Tante Mirle, wie ich sie nannte, war eine gebildete Frau, die Klavier und Harfe studiert hatte. Sie war mir immer eine gute und treue Lebensratgeberin und ich habe sie sehr geschätzt. Ihr kleines Büchlein hat uns sehr viel Freude bereitet und wir haben es unseren Kunden als kleines Andenken mitgegeben. Diese Festschrift aus dem Jahr 1970* zeigt einen kurzen geschichtlichen Abriss der »Schwäbischen Jungfrau«, den wir hier wiedergeben möchten.
Hanni Vanicek, Juni 2020
Guten Tag, meine Dame,
guten Tag, mein Herr!
Ich bin die »Schwäbische Jungfrau« und werde heuer 300 Jahre alt. Als ich in die Welt gestellt wurde, regierte Kaiser Karl VI., der letzte Habsburger, spielte zu meinen Füßen seine dreijährige Tochter Maria Theresia, die einmal die Große werden sollte, hatte Prinz Eugen, der edle Ritter, den Osten des Reiches endgültig befriedet und damit Wien von jahrhundertelangen Feindeinfällen und Plünderungen befreit. Die Stadt atmete auf!
Das Spätbarock trieb seine letzten, wundersamsten Blüten und prägte diese Großstadt wie keine andere auf der Welt. Die größten Baumeister ihrer Zeit bauten dem vielvölkischen österreichischen Adel neue Paläste mit Stiegenhäusern und Sälen, melodiengleich. In den engen Gassen wimmelte bodenständiges Volk und überließ sich in heidnischer Fröhlichkeit allen erreichbaren Genüssen: Glanz, Farben, Musik!
Immer war etwas zu sehen, zu erleben. Man drängte sich zwischen Tragsesseln und lakaienumschwirrten Prunkkaleschen. Täglich fuhr der Kaiser mit großem Gefolge durch das Kärntnertor hinaus in seine Favorita, zogen fremdländische Gesandtschaften ein, stelzten Kavaliere, Stutzer und Reisende aus ganz Europa neugierig durch die Straßen.
Die Frauen waren im Begriff, die Zeit zu der ihren zu machen: Wie sollte das dieser heiteren Stadt nicht gefallen? Die Lebenshaltung war von oben bis unten von Fülle getragen, Konjunktur sagt man heute, alles wurde noch und noch gebraucht, verbraucht: Kleider, Wäsche und alles andere.
Das alte Stapelrecht verlangte, daß alle durch Wien geführten Waren hier drei Tage lang feilgeboten werden mußten. Für die »Leinwatthändler« – es gab noch keine Baumwollgewebe – war der Haarmarkt am heutigen Lugeck der dafür bestimmte Platz. Damals hatte ein schwäbischer Leinwandhändler mit drei Töchtern den raschen Entschluß gefasst, in dieser lebendigen Stadt zu bleiben. Er eröffnete dem Haarmarkt schräg gegenüber, Ecke Rotenturmstraße/Lichtensteg, wo einst die Porta principalis dextra, das befestigte Tor des römischen Lagers, stand, ein Leinwandgeschäft und die Wiener tauften es bald »Zu den drei Schwäbischen Jungfern«. Schließlich blieb es bei der »Schwäbischen Jungfrau«. So kam ich zu meinem Namen.
Ich wurde auch in der Biedermeierzeit gemalt. Einmal von Johann Nepomuk Mayer, ein zweites Mal von Leopold Kupelwieser (1796–1862). Auffallend gering war der Wechsel der Besitzer; unter Frauenhänden gedieh ich immer am besten. Mit dem Schicksal der Stadt war ich spürbar verbunden; ich wurde wie sie von der Zeit und ihren Schwankungen auf und ab getragen und tauchte immer wieder wie sie genesend auf.
Ich entwickelte mich zu einem Spezialgeschäft für feine Leinen- und Baumwollwaren von bestem Rufe. Ob Leinen für Kirchen und Klöster oder überbreites Malerleinen für Akademien und Museen, ob schwere Gedecke für österreichische Repräsentationsgeschäftsstellen im Ausland oder fürstliche Ausstattungen, und sämtliches für den Wäscheschrank der Hausfrau – alles lieferte ich aus.
Auf »jede Kunde« stellte ich mich mit aller Sorgfalt ein; daher gibt es nicht wenige Familien darunter, die mir durch Generationen die Treue halten. Die Wünsche der Kunden jedoch haben sich immer gewandelt. Heute ist das Einzugsgebiet meiner Waren weltenweit geworden, es gibt ausländische darunter, die ich in Österreich exklusiv führe. Andauernd trachte ich, die erlesensten Erzeugnisse anzubieten, um dem hochentwickelten Wiener Geschmack zu dienen.
300 Jahre lang geübter, großer Fleiß und ständiges Bemühen, meine Kunden zufriedenzustellen, machten mich zu der, die ich bin.
*Diese spiegelt Tante Mirles Wissensstand zur Historie der »Schwäbischen Jungfrau« im Jahr1970 wider und kann daher nicht vollständig sein.