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Die vornehme Elly

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Wenn man durch siebzehn Generationen hindurch alte Teppiche gestohlen hat, so ist es begreiflich, dass man in der achtzehnten sich nach Anstand, in der neunzehnten nach Wohlstand und in der zwanzigsten nach Vornehmheit sehnt.

Elly Bärwald hatte schon einen ganz anständigen Großvater und höchst wohlhabende Eltern; da war es kein Wunder, dass sie selbst wirklich vornehm war.

Ihre Schneiderin hatte einmal zu ihr gesagt: »Wenn man zu Ihnen spricht, drängt sich einem unwillkürlich das Wort ›Komtesse‹ auf die Lippen.«

Da hatte Elly Bärwald mit den Achseln gezuckt: »Nehmen Sie Ihre Maße und behalten Sie Ihre Redensarten für sich!«

Und das hatte der Schneiderin natürlich noch mehr imponiert.

Wenn Elly Bärwald ihr Kleid schürzte, um über den Straßendamm zu gehen, so fasste sie es vorn, nicht rückwärts. Sie hatte durchgesetzt, dass ihr Vater den blonden Assessor nicht mehr einlud, seitdem er sich Mosel ins Bordeauxglas eingeschenkt hatte. Sie rauchte nie, nur in der Mitte des Diners eine langgemundete Zigarette, beim Punch Romain vor dem Metzer Masthuhn.

Mit den Jahren verinnerlichte sich ihre Vornehmheit. Sie machte einen Kultus daraus, eine gewundene Ästhetik, die auf die abstrakte Linie hinauslief.

»Man muss Kopenhagen leben!«, sagte sie.

Und das tat sie auch, psychisch wenigstens. Sie träumte in milchweißen und graublauen Porzellantönen und inspirierte einen jungen Dichter zu einem sehr seltsamen Essay über die Entwickelung einer neuen Kunst aus dem Flammentanze der Füller. Sie fühlte, dass in der endlichen Überwindung aller Raumverteilung die Zukunft des Kunstgewerbes lag.

»Sie sind eben so ganz anders«, sagten ihre Verehrer.

Elly Bärwald ließ sich die Fingernägel küssen, die sie leicht mit Henna gerötet hatte.

»Das ist nicht mein Fehler«, sagte sie. »Warum sind die anderen nicht so wie ich?«

Freiherr von Habermann, der Münchner Maler, der die Kopenhagener Linie ins Porträt übersetzte, hatte einmal mit ihr geplaudert. Über »Sterben in Schönheit« hatte man sich unterhalten. Sie wusste nicht recht, ob der Maler Ernst machte oder Scherz trieb.

»Die Schönheit ist lebensbejahend«, sagte sie: »In Schönheit empfangen!«

Sie blickte ihm so ruhig ins Auge, dass der Maler sich schnell niederbeugte, weil er des Lächelns sich schämte. Er küsste ihr die Fingernägel, die leicht mit Henna gerötet waren.

Seither träumte Elly Bärwald vom Manne.

All ihr vornehmes Empfinden, ihr ästhetisches Bedürfnis, ihr tastendes Kulturgefühl wendete sich diesem einen Punkte zu. Sie wusste, wie ihr Mann aussehen würde, ehe sie ihn gesehen.

Er war Mitglied vom Unionklub, vom Automobilklub, vom Kaiserlichen Jachtklub. Er trug einen guten Namen und hatte irgendwoher ein klein wenig orientalisches Blut in den Adern. Er hatte gewiss große, grausame Hände und die Ohrläppchen waren angewachsen. Er war einmal Attaché gewesen, war gut zu Hause auf dieser kleinen Erde und lebte so von oben herab. Natürlich war er Künstler; Maler oder Schriftsteller, das galt ihr gleich. Nur Musiker nicht, natürlich nicht; wie kann ein vornehmer Mensch ein Musiker sein!

Vornehm – und Geräusch machen, da musste sie lächeln.

Elly Bärwald musste diesen Mann finden, und deshalb fand sie ihn. Das heißt, sie hätte ihn beinahe gefunden. Oder vielmehr, sie hatte ihn schon gefunden, und dann war er’s doch nicht.

Freiherr von Habermann, der Münchner Maler, sagte ihr später, als er von der Sache hörte: »Sterben in Schönheit ist leichter als in Schönheit empfangen.«

Da antwortete Elly Bärwald: »Halten Sie den Mund!«

Und doch hatte eigentlich ihre ganze Sehnsucht sich erfüllt.

Der Mann, der um ihre Hand bat, war Mitglied vom Unionklub, vom Automobilklub und vom Kaiserlichen Jachtklub. Er trug einen guten Namen und hatte irgendwoher ein klein wenig orientalisches Blut in den Adern. Er hatte große, grausame Hände und die Ohrläppchen waren angewachsen. Er war einmal Attaché gewesen, sogar Legationsrat, und war gut zu Hause auf dieser Handvoll Erde. Außerdem malte er, und die Leute sagten, dass er Talent habe.

»Ich bin ein ganz gewöhnlicher Durchschnittsmensch«, sagte er so von oben herab, als er zum ersten Male mit ihr sprach.

Elly Bärwald fühlte, dass ihre Seele zuckte.

Die Hochzeit war so einfach wie möglich. Schon um halb zwei Uhr mittags saßen sie im Eilzug nach Wien.

***

Aber am anderen Abend schellte es wie närrisch an der Haustüre des Konsuls Bärwald.

Elly schritt schwer die Treppe hinauf.

Die Mutter kam ihr entgegen.

»Um Gottes willen, wo kommst du her, Kind?«, rief sie.

Sie antwortete nicht, nur nach einem heißen Bad verlangte sie. Die Mutter ließ sie gewähren, sie sandte ihr das Nachtmahl aufs Zimmer.

Aber am nächsten Morgen ging sie zu ihr ans Bett.

»Nun?«, fragte sie.

»Ja«, sagte Elly Bärwald.

»Du hast deinen Mann verlassen?«, forschte die Mutter.

Sie nickte.

Langsam erfuhr die Mutter, dass Elly mit ihrem Mann nach Wien gefahren, dort im Grand Hotel abgestiegen war. Nach einer halben Stunde war sie aus dem Zimmer fortgelaufen, hatte am Bahnhof auf den nächsten Zug gewartet und war nach Berlin zurückgekehrt.

Mama Bärwald staunte.

Sie hielt ihrer klugen Tochter die Rede, die schon so manche Mamas ihren Töchtern vor und bisweilen auch nach der Hochzeitsnacht gehalten haben. Diese schöne Rede, die fast nie nötig ist, wenn sie gehalten wird, und die da, wo sie einmal nötig ist, immer vergessen wird. Es kommt viel von Pflicht darin vor und von Ergebenheit und von solch schönen Sachen. –

Doch Elly Bärwald schüttelte den Kopf und blickte traurig auf ihre Fingernägel, die mit Henna leicht gerötet waren.

Da verstand die Mama, dass die Rede unnütz war, und dass wohl ein anderer Grund vorliegen müsse. Aber sie fühlte, dass sie den Grund wissen musste, sonst würde sie keine glückliche Stunde mehr haben in ihrem ganzen Leben. Und sie würde nicht eher aus dem Zimmer herausgehen.

Da richtete sich Elly hoch auf in den seidenen Kissen.

Zwei große Tränen liefen ihr die Wangen herab.

»Mama!«, schluchzte sie. »Mama! Der Mensch hatte – eine Ansteckkrawatte an!«


Mein Begräbnis. Und andere Grotesken

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