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Ayurveda im Vergleich mit der Biologie

Ayurveda bedeutet das Wissen vom Leben. Die Lehre des Ayurveda baut auf der Idee auf, dass Leben sich in einer stetigen Abfolge der Tätigkeiten „Aufnehmen“, „Umwandeln“ und „Weitergeben“ äußert. Damit setzt Ayurveda einen anderen Schwerpunkt als die Biologie, also die Lehre vom Leben.

Die Biologie definiert ein Lebewesen als ein Objekt, das folgende Merkmale aufweist:

 eine physische Begrenzung Bei einem Lebewesen kann bestimmt werden, ob ein Objekt Teil des Lebewesens ist oder nicht.

 aktive Bewegung Ein Lebewesen kann aktiv eine Formänderung oder eine Bewegung an einen anderen Ort herbeiführen.

 ein Stoffwechsel Ein Lebewesen nimmt Stoffe auf und gibt andere Stoffe ab.

 FortpflanzungEin Lebewesen verfügt über einen Mechanismus, mit dem es neue Lebewesen des eigenen Typs erzeugen kann.

 Fähigkeit zur Veränderung oder Mutation Der Mechanismus zum Erzeugen der Kopie eines Lebewesens ist so beschaffen, dass die Kopie Änderungen im Vergleich zum ursprünglichen Lebewesen aufweisen kann.

Wegen der unterschiedlichen Fragestellungen „Was ist Leben?“ und „Was ist ein Lebewesen?“ ist es möglich, beide Definitionen miteinander in Einklang zu bringen:

 Innerhalb einer physischen Begrenzung findet eine gleichartige Abfolge der Tätigkeiten Auf-nehmen, Umwandeln und Weitergeben statt.

 Bei der aktiven Bewegung von Tieren und auch bei den Pflanzen wird Energie, die in Stoffen gebunden war, in eine Bewegung umgewandelt. Pflanzen wachsen zielgerichtet, sie bewegen sich also aktiv in eine bestimmte Richtung, etwa um mehr Licht aufzufangen.

 Ein Stoffwechsel entsteht dadurch, dass das Lebewesen Stoffe aufnimmt, in andere Stoffe umwandelt und dann alle oder einen Teil dieser Stoffe wieder an seine Umgebung abgibt.

 Bei der Fortpflanzung muss ein Lebewesen erst einmal Stoffe aufnehmen, die es danach in diejenigen Objekte umwandelt, die es benötigt, um den Fortpflanzungsmechanismus in Gang zu setzen. Während des Fortpflanzungsmechanismus werden diese Objekte vom Lebewesen gezielt ab- bzw. weitergegeben.

 Die Fähigkeit zur Mutation besteht darin, dass die aufgenommenen Stoffe nicht in der Weise umgewandelt und weitergegeben werden, die eine identische Kopie ermöglicht, sondern dass bei der Umwandlung der aufgenommenen Stoffe eine veränderte Version des Lebewesens erzeugt wird. Bei der geschlechtlichen Fortpflanzung ist der Hauptmechanismus für die Veränderung die Kombination unterschiedlicher Versionen der Gene, bei der einfachen Zellteilung ist es der Austausch von Bausteinen im Genom der Kopie.

Ein Ergebnis dieses Vergleichs ist, dass alle Merkmale von Lebewesen mit unterschiedlichen Abfolgen der Tätigkeiten „Aufnehmen“, „Umwandeln“ und „Weitergeben“ verknüpft werden können. Aufgrund dieser Vereinbarkeit der Definitionen von Biologie und Ayurveda kann man Erkenntnisse des Ayurveda nutzen, um in der Biologie bisher wenig beachtete Phänomene zu erklären oder neue Sichtweisen in die Biologie einbringen, die auf den Erfahrungen des Ayurveda beruhen.

Ein weiteres Ergebnis dieses Vergleichs ist, dass die sehr allgemein gehaltene Definition von Leben im Ayurveda sich auf viele Bereiche des menschlichen Lebens anwenden lässt. Die Unterteilung der menschlichen Tätigkeiten in Abfolgen aus den Tätigkeiten „Aufnehmen“, „Umwandeln“ und „Weitergeben“, die mit dem Symbol Ayurveda-Sutra veranschaulicht wird, kann jedermann leicht verstehen und zur Organisation des eigenen Lebens nutzen. Das erklärt auch, weshalb sich Ayurveda bis heute in Indien erhalten hat.

Eine weitere Erkenntnis ist, dass alte Theorien auf richtigen Erkenntnissen aufbauen können, die aber über die Jahrhunderte hinweg von weiteren Ideen und Folgerungen überdeckt wurden. Wenn einige dieser Folgerungen auf falschen Annahmen beruhen, so kann dennoch die ursprüngliche Idee richtig sein. Man sollte also die Kernaussagen alter Theorien untersuchen, bevor man die Theorien wegen einiger falscher Annahmen in den daraus abgeleiteten Folgerungen komplett verwirft.

Auch die westliche Welt sollte in ihren Ideologien und Theorien die zugrunde liegenden Kernaussagen untersuchen und kontrollieren, wie sich diese Kernaussagen mit den Kernaussagen oder Annahmen aus der Biologie vertragen. Dazu muss zunächst verstanden werden, welche Philosophie sich hinter den Aussagen der Biologie verbirgt.

Die Philosophie hinter der Biologie

Die Definition von Lebewesen in der Biologie beschränkt sich weitgehend auf Eigenschaften, die messbar sind, also Größe, Länge, Geschwindigkeit, Effektivität der Energieumwandlung sowie Anzahl.

Der Vorteil einer solchen Definition besteht darin, dass Lebewesen in physikalischen Größen beschrieben und damit bezüglich dieser Größen miteinander verglichen werden können. Schon im römischen Reich hatte Vitruvius die Idee, die physikalischen Eigenschaften von Menschen zu erfassen, um die Effektivität der Arbeit der Menschen erhöhen zu können. Leonardo da Vincis Zeichnungen des vitruvianischen Menschen veranschaulichen diese Idee.

Diese Idee, die physikalischen Eigenschaften der Lebewesen und damit auch die der Menschen miteinander zu vergleichen, läuft hinaus auf ein Bild vom Menschen, das überspitzt formuliert werden kann als:

Der Mensch ist eine Maschine.

Die Funktionsweise dieser „Maschine“ ist noch nicht vollständig geklärt, doch können mehr und mehr Aspekte ihrer Tätigkeit beschrieben und Messgrößen für die Effektivität der Arbeit dieser „Maschinen“ entwickelt sowie die Arbeit dieser „Maschinen“ simuliert und beeinflusst werden. Dies wird besonders deutlich in der Reproduktions- und Transplantationsmedizin sowie in der Forschung an menschlichen Stammzellen.

Die Idee, Messgrößen für die Effektivität bestimmter Aktivitäten der Lebewesen zu entwickeln, wird unterstützt durch das von Charles Darwin formulierte Prinzip der Entwicklung der Arten durch natürliche Zuchtwahl: Lebewesen mit Eigenschaften, die ihnen im täglichen Überlebenskampf einen Vorteil verleihen, haben mehr Gelegenheit sich fortzupflanzen als Lebewesen, denen diese Eigenschaften fehlen. Besser bekannt ist dieses Prinzip als

das Überleben der Tüchtigsten

Die meisten Menschen werden jedoch feststellen, dass es Menschen gibt, die in bestimmten Tätigkeiten tüchtiger sind als sie selber. Auch die Weltmeister im Sport werden nach einiger Zeit ihre Titel nicht mehr verteidigen können. Früher oder später stellt sich daher für die allermeisten Menschen die Frage:

Wie kann ich überleben,

ohne am tüchtigsten zu sein?

Auf diese Frage hat die Spieletheorie folgende Antwort geliefert:

Schaffe eine ökologische Nische,

in der Du am tüchtigsten bist.

Dieses Prinzip ist in der Natur verwirklicht worden, wie wir an den reichhaltigen Ökosystemen auf der Erde sehen können. Die vielfältigen Tier- und Pflanzenarten nutzen die Erde auf verschiedene Weise und sind jeweils auf ihre Art äußerst effektiv in der Nutzung ihrer ökologischen Nischen. Es ist auch festzustellen, dass Vertreter unterschiedlicher Tier- oder Pflanzenfamilien ähnliche ökologische Nischen für sich entdeckt haben und auf Arten nutzen, die durch eine möglichst geringe Änderung der ursprünglich vorhandenen Fähigkeiten zu erreichen waren.

Eine Folge dieser Anpassung ist, dass sich die Umwelt, in der Tiere und Pflanzen leben, durch die fortwährende Anpassung der Tiere und Pflanzen an die vorhandenen ökologischen Nischen fortwährend ändert – die Nischen werden schließlich gefüllt. Dadurch können ökologische Nischen verschwinden und die Lebewesen, die diese Nischen genutzt haben, verlieren ihre Existenzgrundlage. Sie haben dann nur die Möglichkeit, sich an eine neue ökologische Nische anzupassen oder auszusterben. Auf jeden Fall verkümmert die Kombination von Eigenschaften, die für die Nutzung der verschwundenen ökologischen Nische notwendig war, und eine andere Kombination von Eigenschaften entwickelt sich. Am deutlichsten sichtbar sind solche Veränderungen an den Skeletten der Fossilien, die einen geänderten Körperbau aufweisen.

Das in der Natur zu beobachtende Phänomen des Über-lebens der Tüchtigsten findet sich in der menschlichen Gesellschaft vor allem im Wirtschaftsleben, und zwar unter dem Begriff des Kapitalismus. Auch hier gelten ähnliche Prinzipien wie das Finden einer ökologischen Nische:

 Jeder versucht, das zu Geld zu machen, was er am besten kann. Entwickelt eine Firma ein neues Verfahren, mit dem bestimmte Produkte billiger hergestellt werden können als mit den bisherigen Verfahren, dann wird die Firma, die das neue Verfahren einsetzt, wahrscheinlich sehr erfolgreich sein. Zugleich verändert sie durch ihren Erfolg aber auch das Wirtschaftssystem, in dem sie selbst agiert. Einige Konkurrenten, die ähnliche Produkte produzieren, werden vom Markt verschwinden, weil sie ihre Produktion nicht umstellen. Andere Firmen werden ihre Produktion umstellen und dann unter Umständen noch effektiver und damit kostengünstiger werden als die Firma, die das neue Verfahren entwickelt hat. Dann läuft die Firma, die das neue Verfahren entwickelt hat, selbst Gefahr, von der Entwicklung überrollt zu werden.

 Neuartige Produkte können andere Produkte überflüssig machen, sodass deren Produzenten sich ein anderes Betätigungsfeld suchen müssen.

Die Analogie der Wirtschaft mit der Natur bezieht sich jedoch nicht nur auf das Verhalten Konkurrenten ge-genüber. So wie sich in der Natur mehrere Individuen zusammentun, um ihre Überlebenschancen zu erhöhen, findet man im Wirtschaftsleben Kooperationen zwischen den Firmen ebenso wie Gewerkschaften und Wirt-schaftsverbände, die die Interessen ihrer Mitglieder wahrnehmen. Im Idealfall entsteht zwischen den Teilnehmern am Wirtschaftsleben eine Symbiose, bei der alle Teilnehmer etwas abgeben, aber auch von den

anderen Teilnehmern eine positive Gegenleistung erhalten. Wie die Natur hat auch die Wirtschaft Parasiten hervorgebracht, die andere Wirtschaftsteilnehmer nur für ihre Interessen ausnutzen und letztlich wie einen Organismus zum Kollabieren bringen können, falls die von ihnen angegriffenen Wirtschaftsteilnehmer nicht Abwehrmechanismen entwickeln. Resteverwerter, die die Hinterlassenschaften anderer Lebewesen nutzen, gibt es in der Natur wie im Wirtschaftsleben.

Aufgrund der Analogien des Wirtschaftslebens mit der Natur wird es nicht gelingen, ein Wirtschaftssystem zum Erfolg zu führen, das die Prinzipien des Kapi-talismus verneint. Stattdessen muss man sich bewusst machen, dass es diese Analogien gibt und dass man aus der Natur lernen kann, die Prinzipien des Wirt-schaftslebens zu verstehen.

Eine Lehre ist, dass man in jeder Partnerschaft wach-sam sein muss, dass aus einem beiderseitigen Nutzen nicht ein einseitiger Nutzen – im Zweifel für die andere Seite – wird. Auch die eigene Neigung, den eigenen Nutzen auf Kosten der Partner zu maximieren, sollte man im langfristigen Eigeninteresse so weit zügeln, dass die Partnerschaft weiterhin von allen Teilen als nutzbringend empfunden wird.

Eine andere Lehre ist, dass alle Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer sich an das Marktgeschehen ständig neu anpassen müssen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Das betrifft sowohl die Produktionsmethoden als auch die Produktpalette.

Diese Ausführungen scheinen vor allem auf Firmen und ihre Führungskräfte gezielt zu sein. Diese Aussagen gelten jedoch auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie für die Politikerinnen und Politiker, die das Geschick ganzer Gesellschaften lenken.

Ayurveda-Sutra eine alte Theorie für ein modernes Leben

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