Читать книгу Der sympathische Mörder von nebenan - Hans Detlef Junker - Страница 6

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Ein gemütlicher Nachmittag im Garten

Es klingelte zweimal - und beinahe gleichzeitig hörte Hermann den Haustürschlüssel im Schloss. Gestern hatte er seine Tochter angerufen und sie gebeten vorbeizukommen. Er hatte angedeutet, dass sie sich auf ein paar schockierende Geständnisse gefasst machen sollte. Mehr wollte er am Telefon nicht sagen.

„Bemühe dich nicht, ich bin schon drin", rief Amanda und kam ins Wohnzimmer.

Amanda machte das immer so, wenn sie ihren Vater besuchte. Sie klingelte zweimal kurz um sich anzukündigen und schloss dann auf damit Vater nicht extra zur Tür gehen musste. Nicht, dass es Hermann etwas ausgemacht hätte, zur Tür zu gehen. Genau genommen war er noch sehr fit für seine 74 Jahre. Er überragte seine Tochter mit seinen 1,95 Metern Größe um gut eineinhalb Köpfe. Und weil er zweimal in der Woche trainieren ging, war er nach wie vor muskulös. Nur vor vier Jahren, als seine Frau gestorben war, hatte er sein Training für fast ein Jahr unterbrochen.

Hermann hatte eine bequeme Jogginghose und ein rotes Shirt an. Darin sah er ein bisschen wie ein Weihnachtsmann aus. Schuld daran war wahrscheinlich auch sein weißer Vollbart und seine weißen, langen Haare.

Amanda war leger gekleidet mit einer gelben Bluse, die einen guten Kontrast zu ihren schwarzen Haaren bildete, und Designerjeans. Dazu trug sie weiße Turnschuhe. Früher hatte sie immer hohe Absätze getragen, um etwas größer zu wirken. Mittlerweile stand sie dazu, dass sie nur 1,58 m groß war.

Seit sieben Jahren war sie Leiterin einer Kunstgalerie. Anfangs hatte sie es schwer, sich mit ihren gerade einmal 25 Jahren in der Kunstwelt zu behaupten. Inzwischen war sie eine echte Größe in der Künstlerszene. Ihre Ausstellungen waren stets gut besucht.

Eigentlich hätte sie sich um ihre nächste Ausstellung kümmern müssen, doch ihr Vater hatte sie mit seinem Anruf zu neugierig gemacht. Heute wollte er ihr etwas aus seinem Leben erzählen, hatte er gesagt. „Ich bin mir nur nicht sicher, ob du verkraftest, was du hören wirst“, hatte er gesagt. Was soll in seinem Leben schon Schockierendes geschehen sein? Ihr Vater war Künstler und hatte ein Vermögen mit seinen Bildern gemacht.

Soviel sie wusste, hatte er als Maskenbildner bei einem kleinen Wandertheater angefangen.

Irgendwann hatte er dann angefangen zu malen und seine Bilder zu verkaufen. Er war erfolgreich. Seine Bilder erzielten immer einen hohen Preis. Vielleicht wollte er ihr eröffnen, dass er noch mehr Kinder hat und sie nicht alles alleine erben wird. Nun - das würde sie nicht wirklich schockieren. Vielleicht wäre es ja auch ganz spannend neue Geschwister kennenzulernen.

„Schön, dass du gekommen bist, mein Schatz. Lass uns in den Garten gehen. Heute ist zu schönes Wetter, um im Haus zu bleiben“, sagte Hermann.

Es war ein herrlicher Samstagnachmittag. Das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite. Er nahm seine Tochter kurz in den Arm und verließ mit ihr das Haus. Während sie in den Garten gingen, erzählte Amanda, dass sie einen neuen Künstler für die Galerie entdeckt hatte und jetzt eine Ausstellung für diesen Künstler plante. In der Ausstellung sollten nur Zeichnungen präsentiert werden. Amanda schwärmte ihrem Vater noch einen Moment von den Zeichnungen vor, ehe ihr auffielen, dass es nach frisch gemähtem Gras roch. Sie liebte den Geruch von frisch gemähtem Gras.

Der Garten war auf zwei Ebenen angelegt. Beide Ebenen wurden von einem gut gepflegten Rasen, auf dem hier und da ein paar Obstbäume standen, dominiert. Auf der oberen Ebene war eine Terrasse, die einen direkten Zugang zum Wohnzimmer und zur Küche hatte. Das Haus, ein Holzhaus mit einem 50 cm hohen Bruchsteinsockel, hatte Hermann selbst entworfen. Auf der Vorderseite gab es eine Veranda mit einer Schaukel. Als Kind hatte Amanda diese Schaukel geliebt. Auch heute noch schaukelte sie oft darauf, bevor sie das Haus betrat. Sie konnte dabei herrlich entspannen und alle Sorgen des Alltags hinter sich lassen. Nach hinten heraus war das Haus ebenerdig. Einen Gärtner gab es nicht. Ihr Vater hielt den Garten ganz alleine in Ordnung.

Hermann hatte auf der Terrasse den Tisch gedeckt und selbst gebackenen Apfelkuchen aufgefahren. Er schenkte seiner Tochter Kaffee ein und gab ihr ein Stück Kuchen.

- Er muss etwas zu beichten haben -, dachte Amanda, denn normalerweise ließ er sich lieber von ihr bedienen.

Hermann hatte lange überlegt, ob er ihr sagen sollte, woher das Familienvermögen stammt.

Er hatte sich schließlich dafür entschieden. Leicht war ihm der Schritt nicht gefallen.

Auftragskiller gehört ja auch nicht unbedingt zu den beliebtesten Berufen, in denen sich ein Vater präsentieren möchte.

„Was ist denn so Furchtbares passiert? Bis du pleite? Kein Problem, ich kann dich unterstützten. Ich verdiene genug. Oder hast du mir ein paar Geschwister verschwiegen?“

Ganz meine Tochter. So war sie schon immer, dachte Hermann. Es gibt keine Probleme, nur interessante Aufgabenstellungen und Lösungen. Das muss sie von mir haben.

„Nun, passiert ist eigentlich nichts, oder doch, es ist viel passiert nur eben nicht jetzt. Ich bin nicht pleite und Geschwister habe ich dir auch nicht verschwiegen. In dem Punkt kann ich dich beruhigen. Ich möchte dir nur erzählen, wie ich zu meinem Vermögen gekommen bin“, sagte Hermann.

Er griff nach dem Zucker und tat zwei Löffel davon in seinen Kaffee. Hermann trank seinen Kaffee immer mit zwei Löffeln Zucker. Milch gab es nur, wenn er schneller war als die Katze seines Nachbarn.

Eigentlich war Minka die Katze seines Nachbarn, doch Minka sah das nicht so eng. Sie war drauf und dran sein Grundstück und sein Haus in Besitz zu nehmen und er war nicht abgeneigt, sein Heim mit ihr zu teilen. Nur die Sache mit der Milch musste einmal grundsätzlich geregelt werden.

„Das weiß ich doch", meinte Amanda. "Du hast deine Bilder sündhaft teuer verkauft. Ich weiß noch genau, wie du mal einen Regenbogen gemalt hast. Am einen Ende hatte er einen weißen und am anderen Ende einen schwarzen Punkt. Als ich dich gefragt hatte, was das sein soll, hast du gesagt: Keine Ahnung, aber die Kunstexperten werden sich schon was einfallen lassen. Und das taten sie dann auch. Einer sah darin die unerschöpfliche Energie des Universums, ein anderer den Untergang des Kapitalismus. Und dann hat es einer gekauft, der darin die Hoffnung gesehen hat. Wir hatten uns köstlich amüsiert.“

„Ganz so einfach verhält es sich nicht. Die Bilder kamen erst später in mein Leben. Genau genommen habe ich meine Karriere einem Diebstahl und einer ganzen Reihe von Lügen zu verdanken. - Na ja, Lügen ist vielleicht etwas zu hart ausgedrückt, nennen wir es Verschweigen von Tatsachen. Also nicht, dass ich jemanden etwas abgenommen hätte, was er noch gebraucht hätte. Diebstahl ist vielleicht in dem Zusammenhang nicht das richtige Wort. Ich habe nur vielleicht das eine oder andere Mal einen Sachverhalt etwas in meinem Sinne beeinflusst.“

„Du redest wirres Zeug. Du hast also geklaut, ohne zu klauen und gelogen ohne zu lügen und dabei manipuliert. Sehr verwirrend, wirklich sehr verwirrend“, sagte Amanda.

„Okay", antwortete er, "Ich werde wohl von vorne anfangen müssen.“

Amanda unterbrach ihn. „Nicht nur mit der Geschichte, du hast dir mittlerweile schon den fünften Löffel Zucker in den Kaffee getan. Gelinde gesagt wirkst du etwas nervös.“

Hermann war nervös. Er goss seinen Kaffee ins Gebüsch und schüttete sich eine neue Tasse ein. Diesmal machte er den Kaffee erst fertig, bevor er den nächsten Versuch startete.

„Also gut", setze Hermann erneut an. „Die Sache mit dem Maskenbildner ist schon richtig.

Ich habe eine Ausbildung als Maskenbildner und ich war auch in diesem Tourneetheater als Maskenbildner beschäftigt. Soweit stimmt das, was du über mich weißt. Nur meine Bilder haben mich nicht reich gemacht, jedenfalls nicht sofort.

Genau genommen habe ich erst zu malen angefangen, als ich schon reich war. Sehr reich sogar.“

Minka kam und sprang auf seinen Schoss. Sie war wohl der Meinung, dass nun die richtige Zeit zum Schmusen gekommen war. Minka war eine rot getigerte ziemlich große Katze. Wenn sie sich auf die Hinterpfoten stellte und etwas reckte, konnte sie sehen, was auf dem Tisch stand. Sie machte es sich bequem und fing an zu schnurren. Minka wusste, dass sie jetzt gestreichelt wurde. Wann Zeit zum Schmusen war und wie lange diese dauerte, bestimmte einzig und allein sie.

„Du willst mir aber jetzt nicht sagen, dass du als Maskenbildner ein Vermögen verdient hast und dann aus Langeweile angefangen hast zu malen oder?“, warf Amanda ein.

„Nein so kann man das nicht sagen“, antwortete er. „Ich habe angefangen zu malen, um mein Geld zu waschen. Das mache ich auch nach wie vor so. Wie das genau funktioniert, erzähle ich dir später. Zuerst sollst du erfahren, wie ich zu dem Geld kam.“

Hermann machte eine kurze Pause, trank einen Schluck Kaffee und nahm den Faden dann wieder auf.

„Du weißt, dass dein Großvater mit seiner Firma in Konkurs gegangen ist. Leider war ich kurz vor der Pleite in die Firma eingestiegen. Wir stellten Maschinenteile her. Damals gab es viele kleine Firmen hier in der Gegend, die Werkzeugmaschinen herstellten. Und wir waren nicht die einzige Firma, die damals die Segel streichen musste. Gerade in unserer Branche gingen viele Firmen in Konkurs. Ich mache Großvater keinen Vorwurf. Er konnte schließlich nichts dafür, dass unser Hauptabnehmer zahlungsunfähig wurde. Wir hatten kein Geld mehr um Ware zu kaufen. Wir waren auch mit Lohnzahlungen im Rückstand. Sicher, unsere Arbeiter hatten ein Überbrückungsgeld vom Arbeitsamt erhalten, doch das war natürlich weniger als sie sonst hatten. Für Großvater war dies das Schlimmste überhaupt. Er war ein Patriarch der alten Schule. Seine Angestellten waren für ihn wie Kinder, um die er sich kümmern musste. Und jetzt musste er sie zum Amt schicken. Uns ging es auch nicht besser. Wir hafteten mit unserem Privatvermögen. Wir waren so pleite, wie man nur sein kann. Unsere Schulden waren sechsstellig. Alles, was wir damals besaßen, wurde gepfändet. Unser Haus wurde Teil der Konkursmasse und wir mussten in eine Mietwohnung ziehen. Dein Großvater und ich waren ruiniert. Den Job beim Tourneetheater hatte ich gekündigt und in dieser Saison würde es keine neue Anstellung mehr geben.

Damals bekam ich Kontakt zu, nun ja sagen wir einmal, etwas zwielichtigen Gestalten.“

„Du hast dich mit Gangstern eingelassen?“, platzte es aus Amanda raus.

„Was heißt schon Gangster? Ja sicher es waren Gangster", sagte Hermann. „Nur am Anfang sah ich das nicht so. Das waren damals Leute, für die ich nebenbei den einen oder anderen Job erledigen konnte. Zuerst waren es nur kleine Botengänge, die aber außergewöhnlich gut bezahlt wurden. Gezahlt wurde immer in bar und niemand wollte etwas pfänden.“

Minka hatte die Milch auf dem Tisch entdeckt und forderte ihren Anteil. Aus einem kurzen, eher zögerlichem Mau - Maauu wurde, als keiner reagierte, ein lang gezogenes Maaauuu, das so jämmerlich klang, als hätte Hermann die ärmste Katze der Welt auf dem Schoss. Wenn Minka so jammerte, konnte er ihr nichts abschlagen und das wusste Minka genau. Sie sollte ihren Willen haben. Hermann goss etwas Milch in seine Hand. Minka fing sofort wieder an zu schnurren und schlecke dabei die Milch aus seiner Hand.

„Sie weiß genau, wie sie ihren Willen durchsetzt", sagte Hermann, während er wieder anfing, Minka zu kraulen.

Unglaublich dachte Amanda, mein Vater hat sich mit Gangstern eingelassen. Um einen sechsstelligen Schuldenbetrag los zu werden, reichten kleine Botengänge sicher nicht aus. Da wird noch was Dickeres kommen. Einerseits wollte sie von der offensichtlich vorhandenen dunklen Seite ihres Vaters gar nichts wissen, andererseits wollte sie jetzt auch alles wissen. Gleichzeitig hoffte sie, dass ihr Vater sich nicht als völlig skrupelloser Gangster outen würde. Womöglich wollte er ihr klarmachen, dass sie ihn demnächst im Knast besuchen müsste. Amanda ging im Geiste eine Liste von Anwälten durch, die bei ihr schon gekauft hatten. Wer war der beste Anwalt und könnte ihn verteidigen? Ihr Vater war in dem Alter doch sicher nicht mehr hafttauglich. Dafür muss der Anwalt sorgen. Es ratterte nur so in ihrem Kopf. Amanda musste sich zusammenreißen, um sich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren.

„Mit diesen Botengängen bist du sicherlich nicht reich geworden“, sagte sie, um ihrem Vater wieder zum Thema zurückzubringen.

„Nein, damit nicht, das war nur der Anfang.“ Hermann hatte beschlossen, Amanda direkt mit der vollen Wahrheit zu konfrontieren. „So oder so ähnlich fängt es wahrscheinlich immer an.

Die Botengänge waren keine Besorgungen, ich hatte Schutzgelder kassiert. Ich war in einen Erpresser-Ring geraten und als Kassierer sicher nicht der Unschuldigste. Doch das war wie gesagt, nur der Anfang. Je mehr ich bei den ehrenwerten Herren verdiente, umso mehr hatten sie mich in der Hand. Das ging sogar so weit, dass sie mich mit meinem ersten - na ja“, er druckste herum, bis es schließlich aus ihm herausplatzte, „- Mord beauftragten.“

Der Kuchen wäre Amanda beinahe im Hals stecken geblieben. Amanda verschluckte sich und musste husten.

"Mord", krächzte sie, immer noch um Atem ringend. Amanda nahm einen Schluck Kaffee, ehe sie weitersprach. „Du warst Erpresser und Auftragskiller? - Sag, dass das nicht wahr ist. Du hast nicht wirklich jemanden umgebracht.“

Amanda war völlig aufgelöst. Sie hatte nach den ersten Andeutungen ja schon einiges erwartet, aber das war zu viel. Ihr Vater ein Erpresser und Auftragskiller, und er hatte gesagt, mein erster Mord. Es gab also mehrere Morde?

Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein. Sie hatte immer geglaubt, ihr Vater könne keiner Fliege etwas zuleide tun. Sie nahm einen Schluck Kaffee. Am liebsten hätte sie jetzt einen Whisky getrunken. Aber er hatte auch gesagt, dass er sein Vermögen mit Diebstahl und Lügen, oder auch keinen Lügen gemacht hatte. Amanda war verwirrt.

Mit einem hatte er jedenfalls recht gehabt. Da kamen ein paar dicke Brocken auf sie zu. Ein paar verschwiegene Geschwister wären ihr lieber gewesen.

„Nun ja, wie man es nimmt. Meine Auftraggeber glauben bis heute, dass ich darin perfekt bin“, sagte er. „Doch glauben heißt nicht wissen.

Es ist nicht so schlimm, wie es sich anhört. Schließlich ist niemand gestorben. -- Oder doch, gestorben wurde schon, nur hatte ich keinen Einfluss auf das Ableben meiner Opfer. Jedenfalls nicht so direkt.“

Hermanns Nervosität ging langsam zurück. Das Schwerste war gesagt und Amanda saß ihm immer noch gegenüber. Wenn auch etwas bleicher als eben. Er hatte befürchtet, Amanda wäre einfach aufgestanden und gegangen.

Minka sprang von seinem Schoss. Sie hatte wohl genug geschmust. Sie strich noch einmal kurz um Amandas Beine und ging dann ihrer eigenen Wege.

„Wie soll ich das denn jetzt verstehen? Du hast dein Geld als Auftragskiller verdient und dabei niemanden umgebracht. Deine Opfer sind einfach so gestorben, weil sie nett zu dir sein wollten und deine Auftraggeber glauben, du wärst der perfekte Killer?“, fragte Amanda. „Das musst du mir schon etwas näher erklären.“

Hermann nahm noch einen Schluck Kaffee und wollte gerade mit seiner Erklärung fortfahren, als er je unterbrochen wurde.

„Huhu!“ - Amandas Freundin Maria kam um die Hausecke gestürmt und fuchtelte wie immer mit den Armen in der Luft herum. Maria sprach immer mit Händen und Füßen. Sie konnte wahrscheinlich nicht anders. Sie war wohl das verrückteste Mädchen, das Hermann je gesehen hatte. Eigentlich war Sie schon lange kein Mädchen mehr, sondern eine sehr attraktive Frau. Jedoch für Hermann war sie immer noch ein kleines Mädchen. Schließlich kannte er sie schon, seitdem sie neun Jahre alt gewesen war. Maria war mit Amanda in die Schule gegangen.

„Hier seid ihr also. Ich hatte geschellt, aber es hatte keiner aufgemacht. Wie denn auch, die Schelle könnt ihr hier ja nicht hören. Ich hatte dein Auto in der Einfahrt gesehen, Amanda. Du musst mir unbedingt helfen. Ich weiß einfach nicht, in welcher Farbe ich mein Haus streichen soll. Oh - ihr habt Kuchen gebacken? Da komm ich ja genau richtig. Eigentlich darf ich ja keinen Kuchen essen, wegen meiner Figur, aber bei Apfelkuchen kann ich einfach nicht widerstehen. Mein Gott Amanda wie siehst du denn aus? Du bist ja weiß wie eine Wand. Ist dir ein Geist begegnet? Ich will gar nicht lange bleiben, aber das müsst ihr euch eben angucken."

Maria hatte Farbtafeln mitgebracht, die sie den beiden auch sofort präsentierte. Bei Maria zu Wort zu kommen, war so gut wie aussichtslos. Vor allem, wenn sie von einem Thema besessen war. Und im Moment war es die Farbe ihres Hauses, die ihr keine Ruhe lassen wollte. Hermann und Amanda kannten das nicht anders bei ihr. Und so bot Hermann ihr einen Stuhl an.

„Ich hole dir eben einen Teller und eine Tasse", sagte er und verschwand im Haus.

Ausgerechnet jetzt musste Maria hier einfallen, dachte er. Einen schlechteren Zeitpunkt hätte es kaum geben können und unter > nicht lange bleiben < verstand Hermann eigentlich etwas Anderes. Er kannte Maria zu gut und wusste, was jetzt kommen würde.

Dem ersten Stück Kuchen folgte auch noch ein weiteres. „Jetzt muss ich aber aufhören, sonst trete ich mir heute Abend noch selbst auf den Bauch", sagte Maria und schob den Teller von sich weg.

„Dazu müsstest du erst einmal einen Bauch haben", erwiderte Amanda. „Du kannst doch essen so viel du willst und bist trotzdem dünn wie eine Bohnenstange.“

Maria schaute Amanda empört an. „Das wäre ich mal besser, bin ich aber nicht. Ich habe im letzten halben Jahr zwei Kilo zugenommen. Möchtest du mal sehen, wie fett ich geworden bin?“ Maria stand auf und streckte ihren Bauch raus.

Ein lächerlich kleines Bäuchlein, wie Hermann fand. Amanda war froh, dass Maria darauf verzichtet hatte, ihr Kleid auszuziehen, um ihren Bauch zu präsentieren. Nicht, dass Maria dazu neigte, sich vor anderen auszuziehen, doch ihr fehlte einfach jegliches Schamgefühl. Sie hatte einmal mitten in der Stadt ihre Bluse aufgeknöpft, um Amanda ihren neuen knallroten Spitzen-BH zu zeigen. Viel verdeckt hatte der nicht. Maria war damals total begeistert von dem Ding. Die männlichen Passanten auch. Was sie da tat, wurde ihr erst bewusst, als einer der Beobachter einen Pfiff ausstieß. Maria dachte sich einfach nichts bei solchen Aktionen. Im Nachhinein war ihr so etwas dann peinlich, zumindest für ein paar Minuten. Und dann war es auch schon wieder vergessen.

Im Laufe des Nachmittags wurden fünf mögliche, aus mindesten einhundert Farbtönen, in die engere Auswahl genommen. Währenddessen landete ein weiteres Stück Apfeltorte und zwei Tassen Kaffee in Marias Bauch.

Der Redefluss von Maria war nicht einmal während der Nahrungsaufnahme sonderlich eingeschränkt. Sie textete beide gnadenlos zu.

So durften Amanda und Hermann erfahren, welche unterschiedlichen Farben es gab und welche Vorzüge die einzelnen Farben hatten. Maria war ganz begeistert von einer Farbe mit Lotuseffekt. Angeblich sollte dabei der Schmutz allein durch das Regenwasser abgewaschen werden. Sehr praktisch, wenn es denn funktionieren sollte.

Maria blieb, bis es dunkel wurde. Eine Entscheidung wurde natürlich nicht gefällt. Das hatte auch niemand wirklich erwartet. Sicher schien nur, das Gelb ausgeschieden war, jedenfalls im Moment. Das könnte sich aber morgen auch schon wieder ändern, wenn Maria sich Rat bei dem nächsten Nachbarn holen würde, vorausgesetzt der käme zu Wort. Was Hermann jedoch schwer bezweifelte.

„Rot, ich wette, das Haus wird rot“, sagte Amanda, als Maria endlich gegangen war.

„Ich werde nicht dagegen halten", sagte Hermann. „Aber wer weiß, vielleicht überrascht sie uns ja doch einmal.“

Die Ablenkung hatte Amanda gutgetan. Sie hatte sich durch Marias Auftritt tatsächlich wieder beruhigt. Hermann und Amanda gingen ins Haus. Es war spät geworden und sie bestellten sich eine Pizza bei ihrem Lieblingsitaliener. Francesco war der beste Pizzabäcker der Stadt. Bei ihm bestellten beide schon seit Jahren.

Jetzt, wo Maria wieder weg war, wollte Hermann wieder auf den Grund ihres Zusammenseins zurückkommen.

„Wo war ich noch stehen geblieben?", begann Hermann. In diesem Moment klingelte der Pizzabote an der Haustür.

Das Gespräch verläuft nicht gerade so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Etwas weniger Unterbrechungen wären besser gewesen, dachte Hermann und ging zur Tür. Er hatte nicht vor, den Abend so ausklingen zu lassen. Ein bisschen sollte Amanda noch erfahren, ob sie wollte oder nicht. Er kam mit den Pizzen zurück. Amanda hatte in der Zwischenzeit Teller und Besteck aus der Küche geholt. Sie gingen ins Esszimmer.

Eigentlich war es nicht wirklich ein Esszimmer. Hermann liebte offene Wohnlandschaften und so bildeten Wohnzimmer, Esszimmer und Küche einen großen Raum. Der Raum war groß insgesamt hatte er gut 60 qm. Der Küchenbereich war durch eine Theke optisch vom Rest des Raumes getrennt. Daran schloss sich, seitlich versetzt, der Essbereich an.

Amanda und Hermann teilten sich die Pizzen. Jeder bekam eine halbe Pizza Thunfisch und eine halbe Pizza Hawaii.

Einen Moment saßen sie sich schweigend gegenüber und aßen ihre Pizzen. Dann holte Hermann eine Flasche Rotwein und goss beiden ein Glas ein. Sie nahm das Glas Wein schweigend entgegen und trank einen großen Schluck.

„Du kannst hier schlafen, wenn du willst“, sagte er. Es wäre nicht das erste Mal, dass Amanda in ihrem alten Zimmer übernachtete, wenn sie bei ihrem Vater etwas getrunken hatte.

Eigentlich wollte sie an diesem Abend nach Hause fahren und sich Gedanken zu ihrer nächsten Ausstellung machen. Doch nach dem, was sie heute erfahren hatte, war an Arbeiten nicht mehr zu denken. Zudem kannte Amanda ihren Vater. Sie wusste, dass er nicht aufhören würde, bis er erzählt hatte, was er erzählen wollte. Und sie musste sich eingestehen, dass sie gar nicht

wirklich wollte, dass er zu erzählen aufhörte. Genau genommen wollte sie jetzt hören, dass ihr Vater kein Monster war, doch die Hoffnung darauf war nicht mehr sehr groß.

Der sympathische Mörder von nebenan

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