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1. Das Problem
ОглавлениеZum Thema ›Naturwissenschaft und Spiritualität‹ gibt es von christlicher Seite fast nichts, dafür aber umso mehr von Seiten der Esoterik oder einer ostasiatisch inspirierten Neomystik. Heißt das, dass die Theologen wieder einmal das Problem verschlafen haben? Ich will nicht bestreiten, dass es schläfrige Theologen gibt, was die neueren Entwicklungen anbelangt, aber in Bezug auf Naturwissenschaft sind sie deutlich besser als ihr Ruf. Es gibt einerseits sehr gründliche Untersuchungen zum Thema ›Naturwissenschaft und Theologie‹, oft von doppelt qualifizierten Wissenschaftlern. Man könnte sogar die These aufstellen, dass die Theologen in dieser Hinsicht wacher sind als ihre materialistischen Gegner. Wer z.B. den Bestseller von Richard Dawkins »Der Gotteswahn« gelesen hat, wird vielleicht bemerkt haben, dass Dawkins den Forschungsstand in der Theologie gar nicht zur Kenntnis genommen hat. Man könnte mit viel mehr Recht behaupten, dass die Materialisten schlafen.
Andererseits gehen die Themen ›Naturwissenschaft und Spiritualität‹ und ›Naturwissenschaft und Theologie‹ nicht genau in dieselbe Richtung. Naturwissenschaft und Theologie sind beide, wenn auch sehr verschiedene, Theorieformen, die man leidlich vergleichen kann. Dagegen meint Spiritualität eine existenzielle Praxis, so dass man nicht leicht sieht, was sie wohl mit den abstrakten Theorien der Naturwissenschaftler zu tun hat.
Könnten wir nicht im Gegenteil sagen: »Das hat gar nichts miteinander zu tun«? Wenn wir die großen christlichen Mystiker lesen, also z.B. Johannes vom Kreuz, Therese von Avila oder Ignatius von Loyola (allesamt Spanier!), dann scheinen ihre Überlegungen in keinem wie auch immer gearteten Verhältnis zu wissenschaftlichen Theorien zu stehen. Was würde sich denn z.B. an den Exerzitien des heiligen Ignatius ändern, wenn die Materie, statt aus diskreten Atomen zu bestehen, kontinuierlich verteilt wäre, wenn sich die Sonne um die Erde drehte, statt andersherum, oder wenn der Urknall vor 135 Milliarden Jahren stattgefunden hätte und nicht etwa vor 13,5 Milliarden Jahren? Was würde sich denn da wohl ändern? Offenkundig nichts! Im Weltall hängt zwar alles mit allem irgendwie zusammen, aber oft nur sehr lose. Die Mehrzahl der Biologen kennt wenig von der Quantentheorie, ohne dass ihnen als Biologen irgendetwas fehlt. Man muss eben nicht immer alles wissen.
Ist das Thema ›Naturwissenschaft und Spiritualität‹ also von vornherein verfehlt? Sollten wir es auf sich beruhen lassen? Ich bin nicht dieser Meinung. Aber das Verhältnis beider ist eher vermittelt, nicht so unmittelbar, wie es die paganen Neomystiker darstellen. Tatsächlich glaube ich, dass sie sich die Sache zu einfach machen und dass sie die Tiefe des Grabens, den sie überbrücken wollen, nicht richtig eingeschätzt haben. Sie legen ein großes Brett über den Grand Canyon, ohne zu bemerken, wie leicht sie uns zum Absturz bringen könnten, wenn wir töricht genug wären, auf ihr schwankendes Brett zu steigen.
Ich möchte, weil das Problem sehr verwickelt und dornig ist, zunächst einmal den Gegensatz zwischen Spiritualität und Wissenschaft deutlich herausarbeiten. Der Grand Canyon ist an manchen Stellen an die zwei Kilometer tief. Für die Überquerung braucht es eine solide Brücke, deren Materialien man nicht im Baumarkt erwirbt. Dass die christlichen Theologen bezüglich ›Naturwissenschaft und Spiritualität‹ etwas spröde sind, erklärt sich vielleicht aufgrund folgender Überlegungen:
Stellen wir uns vor, in einer Buchhandlung gäbe es Bücher mit den folgenden Titeln: »Gott und Geld«, »Differentialgleichungen und Spiritualität«, »Jesus und Steuererklärung«, »Handy und Heiliger Geist«. Da würden wir uns sehr verwundern. Wir wären sicher, dass diese Bücher nichts als Unsinn enthalten.
Ganz anders, wenn wir folgende Titel vorfinden würden: »Natur und Spiritualität«, »Geist und sinnliche Präsenz«, »Gott und Kunst«, »Jogging als Meditation«. Warum würden wir diese Titel für sinnvoll halten, warum würden wir von vornherein vermuten, dass es sich um lesenswerte Bücher handelt, während wir bei den zu erst genannten Titeln sicher wären, dass sie nichts Vernünftiges enthalten?
Der Grund liegt m.E. in Folgendem: Der Mensch ist ausgespannt zwischen Aktion und Kontemplation. Es gab zwar Wüstenväter, die überhaupt nichts anderes taten, als zu beten. Aber dieses Ideal steht in der Kirche nicht allein. »Ora et labora« heißt die Devise seit Benedikt von Nursia. Das will besagen: Christlich gesehen ist nicht nur das Gebet, d.h. die Kontemplation, gefordert, sondern genauso gut die stocknüchterne Bewährung im Endlichen, in der Arbeit, im Herrichten, im Denken, in einer rein aufs Diesseits gerichteten Planung. Wer sich hier nicht bewährt, soll nicht glauben, er sei ein vorbildlicher Christ. Ich denke, dass es in dieser Hinsicht einen Stilunterschied gibt zwischen ostasiatischen Formen von Mystik und der christlichen Mystik. Es gibt weise Hindus, die auf Dauer einsam in den Höhlen des Himalaya leben und keine Sozialkontakte haben. Man verehrt sie als große Vorbilder. Der Hindu-Heilige Sri Ramakrishna soll den größten Teil seines Lebens in Ekstase verbracht haben. Ich glaube, dass ihn Ignatius von Loyola nicht im Jesuitenorden geduldet hätte. Die Ideale gehen eben in eine andere Richtung. Es macht einen Unterschied, ob ich die Welt für eine Illusion halte, die es in tiefer Meditation zu überwinden gilt, oder ob ich die Welt als die gute Schöpfung Gottes ansehe. Dann muss ich an ihrer Dynamik tätigen Anteil nehmen und kann mich nicht an ihr vorbeimogeln.
Dieser Gegensatz gilt übrigens nicht nur zwischen Christentum und ostasiatischen Religionen, er besteht auch zwischen Christentum und griechischer Philosophie. Plato und Aristoteles betrachteten das handwerkliche Herrichten als die niedere Arbeit von Sklaven. Der freie Grieche widmete sich der zweckfreien Kontemplation, die abgesondert war von niedriger, aufs Materielle gerichteter Arbeit. Hingegen war der Ziehvater von Jesus Tischler oder Paulus war Zeltmacher und blieb es auch dann noch, als er längst die unbezahlte Gastfreundschaft der Gemeinden in Anspruch hätte nehmen können, bei denen er missionierte.
Dieses christliche Ideal des »ora et labora« hat aber einen hohen Preis. Wer sich ganz in diese Welt hineinbegibt, geht auch leicht in ihr auf. Wer sich auf Weltbewältigung konzentriert, verliert leicht den Überblick über das Ganze und wird zum blinden Organisierer, dem die Sorgen und Freuden dieser Welt den Blick aufs Eigentliche verstellen. Dementsprechend legt christliche Spiritualität großen Wert darauf, dass der Spagat zwischen Kontemplation und Weltbewältigung gelingt, und das geht eben nicht ohne Reibungsverluste. Ich glaube nicht, dass es in diesem Bereich glatte Lösungen gibt. Aber man könnte das Christentum definieren als eine Religion, die uns zeigt, wie man mit einer Welt umgeht, in der es nirgends glatte Lösungen gibt. Die Esoterik bietet uns hingegen solche glatten Lösungen an. Welt, Seele und Gott verschmelzen zur Einheit, Wissenschaft und Weisheit werden vertauschbar und mit der Subjekt-Objekt-Spaltung verschwinden alle Gegensätze, die uns so sehr zu schaffen machen. Das riecht nach Rauschgift. Auch Rauschgifte bringen die Kanten und Ecken der Welt zum Verschwinden, aber nur um den Preis, dass sie sich im nüchternen Zustand beträchtlich verschärfen.
Wenn wir uns, wie wir sollten, ganz in die Weltbewältigung hineinstürzen, unseren Mann oder unsere Frau stehen wollen, dann sind wir in dieser Hinsicht der Transzendenz entfremdet. Daher klingt es so absurd, wenn jemand ein Buch schriebe mit dem Titel »Differentialgleichungen und Spiritualität« oder »Jesus und Steuererklärung«. Die Serie der ersten Titel, die ich erfunden habe, schließen durchweg Weltbewältigung und Kontemplation kurz. Die Serie der zweiten Titel verweist hingegen auf Selbstzwecklichkeit als den Platzhalter des Spirituellen.
Weltbewältigung schreibt sich ein in Zweckrationalität. Zweckrationalität heißt: Wir sind, um unser Leben zu bewältigen, genötigt, gewisse Ziele zu verfolgen. Dazu wählen wir die besten Mittel aus, um erfolgsorientiertes Handeln zu gewährleisten. Im zweckrationalen Zusammenhang gibt es nichts, was für sich selber steht. Alles ist nur um eines anderen willen da. Häufig sind die Zwecke, die wir uns setzen oder die uns gesetzt sind, nur Mittel zu noch höheren Zwecken usw. Mit einem Wort: Weltbewältigung und Zweckrationalität sind nicht der Ort, wo die Dinge als sie selbst in den Blick kommen, sondern immer nur als Funktion von etwas anderem.
Ganz anders die Kontemplation. Der Kontemplative erfährt die Welt, als wäre sie gerade in diesem Moment erschaffen. In kontemplativer Einstellung interessiert mich z.B. nicht, ob ein schöner Baum, den ich betrachte, eine genetisch programmierte Maschine ist, deren Eigenschaften möglichst überlebenstauglich eingerichtet sind. Das ist natürlich auch der Fall und könnte z.B. einen Biologen interessieren. Oder wenn ich nachts zum Sternenhimmel emporblicke, dann interessiert mich in kontemplativer Einstellung nicht, dass das Sternenlicht durch eine Kernfusion zustande kommt, in der nämlich der Stern Wasserstoff zu Helium verbrennt. Die Kontemplation durchbricht den Kausalzusammenhang oder die zweckrationale Einbindung des Realen. Sie betrachtet alles als es selbst, nicht nur als Funktion und Wirkung eines anderen. Sie betrachtet es nicht nur, als wäre die Welt in ebendiesem Augenblick aus dem Nichts entstanden. Sie betrachtet überdies die Objekte der Kontemplation so, als gäbe es nichts anderes. Der Baum wird zum Repräsentanten des Ganzen, das Sternenlicht zum Symbol der Transzendenz.
Es ist natürlich nicht so, dass es gottfreie Zonen gäbe oder dass Gott nur an bestimmten heiligen Orten oder in heiligen Zeiten präsent wäre. Dass wir Raum für Kontemplation schaffen müssen, dass wir bestimmte Zeiten und Orte aussparen, wo wir die Feier des Heiligen inszenieren, das hat einfach nur psychologische Gründe. Wir sind eben nicht fähig, in jeder kognitiven und vor allem in jeder praktischen Einstellung Gott zu erfahren. Ich möchte nicht ausschließen, dass ein Mensch auch während des Ausfüllens einer Steuererklärung jäh vom Heiligen Geist erfasst wird. Aber das wird doch eher die Ausnahme sein. Deutlich häufiger erleben wir, dass uns die Kunst in eine kontemplative Stimmung versetzt, die dem Religiösen verwandt ist. Das ist ja auch der Grund dafür, weshalb Kunst in den Kirchen und Tempeln auf der ganzen Welt eine große Rolle spielt.
Was bedeutet das nun in Bezug auf die Naturwissenschaft? Naturwissenschaft hat verschiedene Aspekte. Penetrant und dominierend ist auch hier der Aspekt der Weltbewältigung. Ganz nüchtern: Wofür werden denn 99 % aller Forscher bezahlt? Dass sie das Wesen des Kosmos in zweckfreier Kontemplation auf den Punkt bringen? Oder nicht vielmehr dafür, dass sie die Grundlage zu technischer Weltbewältigung liefern, also um eines praktischen, zumeist ökonomischen, wenn nicht gar militärischen Zweckes willen? Es gibt zwar eine Selbststilisierung des Wissenschaftlers als desjenigen, dem nur an zweckfreier Wahrheit liegt, nämlich zu wissen, »was die Welt im Innersten zusammenhält«. Aber das sind Sonntagsreden und dafür wird der Wissenschaftler schlichtweg nicht bezahlt.
Ich bin trotzdem nicht der Meinung, dass Wissenschaft in praktischer Weltbewältigung aufgeht. Insofern sie es nicht tut, gibt es Querverbindungen zwischen Spiritualität und Wissenschaft. Realistischerweise muss man sehen, dass dieser Aspekt von Wissenschaft nicht der dominierende ist. Das erklärt auch ganz leicht, weshalb hier nicht direkt und unmittelbar zur ›Spiritualität‹ übergegangen werden kann.
Es kommt noch etwas anderes hinzu: Nicht nur das praktische Handeln legt uns aufs Diesseitige fest, auch das Verstandesdenken hat eine ähnliche Konsequenz. Man könnte ja vielleicht sagen: Der Forscher ist ein Denker und Denken ist etwas Geistiges und insofern verwandt mit Spiritualität. Aber das wäre zu kurz geschlossen. Auch zwischen diskursivem Denken und Kontemplation gibt es ein Spannungsverhältnis.
Sehr deutlich wird dieses Spannungsverhältnis im Werk von Nikolaus Cusanus. Cusanus war Wissenschaftler, Philosoph und Mystiker zugleich und hat wie kaum ein anderer diese Spannung ausgemessen. Er lehrt drei Erkenntnisvermögen: Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft. Die Sinne erkennen das Konkrete, Vorliegende, die Substanzen in Raum und Zeit. Der Verstand arbeitet zergliedernd, analysierend, er ist diskursiv. Lateinisch »discurrere« heißt im Deutschen »durchlaufen«. Der Verstand durchläuft also verschiedene Vorstellungen und verknüpft sie miteinander. Er bewegt sich im Wechsel zwischen Einheit und Vielheit. Er begreift die Einheit nie direkt, sondern immer nur mit Hilfe von Analysen der Gegensätze. Selbst so einfache Erkenntnisse wie »Alle Raben sind schwarz« haben diesen Charakter, denn das Urteil »Alle Raben sind schwarz« beruht darauf, dass wir imstande sind, Raben zu identifizieren, dass wir ihr Gemeinsames (im Kontrast zu Tauben etwa) namhaft machen können und dass wir diesen Allgemeinbegriff des Raben mit dem der Schwärze in Übereinstimmung bringen. Der Verstand ist also analysierend, d.h. zergliedernd, und synthetisierend, d.h. zusammenführend, zugleich.
Anders die Vernunft, jedenfalls nach Cusanus. Unser heutiger Vernunftbegriff ist von der Aufklärung her geprägt. In diesem Sinn betrachtet z.B. Kant die Vernunft als das Vermögen der höchsten Prinzipien. Aber so denkt Cusanus nicht. Für ihn ist ›Vernunft‹ gleichbedeutend mit ›anschauender Vernunft‹. Vernunft ist das Vermögen, die Einheit der Gegensätze zu erkennen. Was der Verstand trennt, bringt die Vernunft zur Einheit, aber so, dass die Vielheit ausgeschlossen wird. Cusanus hat das mit Vorliebe anhand von mathematischen Vergleichen erläutert: Für den Verstand sind Gerade und Kreis Gegensätze wie A und nicht-A. Eine Gerade ist kein Kreis und umgekehrt. Aber im Unendlichen fallen diese Gegensätze zusammen: Ein Kreis mit Radius unendlich wäre dasselbe wie eine Gerade! Ebenso sind für den Verstand ein Vieleck und ein Kreis entgegengesetzt. Was Ecken hat, ist kein Kreis und umgekehrt. Aber wenn ein Vieleck unendlich viele Ecken hätte, dann wäre es zum Kreis geworden! All das sind Metaphern, um etwas Bestimmtes zu verdeutlichen: Für Cusanus ist das mystische Innewerden der absoluten Einheit etwas, was alles diskursive Denken übersteigt, also etwas, was nur der anschauenden Vernunft zugänglich ist. Diese Vernunft ist mystische Vernunft. Wir sehen: Die mystische Erfahrung tritt erst dort ein, wo der Verstand mit seiner analysierenden Bewegung schweigt. Das Denken überschlägt sich sozusagen und geht in ein Schweigen über, in dem die Differenzen aufgehoben sind.
Ich bin der Meinung, dass Cusanus das Verhältnis zwischen analysierendem Denken und mystischer Erfahrung richtig beschrieben hat, und das gibt uns einen Hinweis darauf, wie wir das Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Spiritualität ausbuchstabieren sollten. Insofern der Naturwissenschaftler sein Tagesgeschäft betreibt, leistet er Verstandesarbeit. Wenn er sich darauf konzentriert, dann kann ihm das Absolute, das allem Zugrundeliegende, niemals zu Gesicht kommen. Bei der Steuererklärung oder beim Tippen einer Telefonnummer erlebt man gewöhnlich keine Ekstasen. In der Einstellung des diskursiven Verstandes sind wir von Natur aus nicht disponiert zur Einheitserfahrung. Dieser Zusammenhang erklärt zwanglos, weshalb es so viele hochqualifizierte Wissenschaftler gibt, die die Mystik für Unsinn halten. Der Verstand ist von sich aus blind für die Einheit der Dinge, und wer sich nur auf der Verstandesebene bewegt, wird davon nichts wissen können. Es ist damit so ähnlich, wie wenn sich jemand nur mit Geld beschäftigt. Auch der wird Gott für eine Illusion halten. Wir verstehen nun auch, woher es kommt, dass große Spirituelle, wie z.B. Franz von Assisi, keine Intellektuelle waren (und auch gar nicht sein mussten) und weshalb so viele Intellektuelle von Spiritualität so gar nichts halten. Es gibt eben diesen von Cusanus herausgestellten Gegensatz zwischen anschauender Vernunft, die auf das Eine zielt, und dem rechnenden Verstand, der nicht aufhört, zu zergliedern, zu vergleichen, zu analysieren, und so seine großen Triumphe feiert.
Nun hindert natürlich nichts, dass auch ein Wissenschaftler eine Einheitserfahrung macht, dann nämlich, wenn er nicht nur rechnet und analysiert. Aber dazu muss er einen Schritt von seinen Forschungen zurücktreten. Er muss eine kontemplative Distanz herstellen, er muss sozusagen vom Laboratorium ins Oratorium überwechseln. Dass das sinnvoll möglich ist, werde ich im letzten Kapitel zeigen, und dann werden wir auch sehen, dass trotz aller Widersprüche und Gegensätze ein Leben der Wissenschaft und der Kontemplation zugleich möglich ist. Ich habe in diesem ersten Kapitel dennoch auf den Gegensätzen bestanden, weil das Thema ›Naturwissenschaft und Spiritualität‹ hauptsächlich von Esoterikern und Neomystikern behandelt wird, die es sich viel zu leicht machen. Sie legen ein schwankendes Brett über den Grand Canyon, weil sie nicht imstande sind, dessen wahre Tiefe abzuschätzen.
Um mich aber nicht dem Vorwurf auszusetzen, ich würde mir selbst die Sache zu einfach machen, möchte ich betonen, dass meine kritischen Äußerungen bezüglich Esoterik und Neomystik sich nur auf das Verhältnis dieser Formen von Spiritualität zur Naturwissenschaft beziehen. An dieser Stelle nehme ich ein beträchtliches Defizit wahr. Würde jemand ein Buch schreiben über das Verhältnis zwischen christlicher und außerchristlicher Spiritualität im Allgemeinen, dann könnte seine Darstellung weit weniger kritisch ausfallen.