Читать книгу Fliegen lassen - Hans-Dietrich Reckhaus - Страница 6
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Oktober Nach drei Jahren Entwicklungsarbeit halte ich etwas in Händen, das wirklich funktionieren könnte. Eine Fliegenfalle, der man auf den ersten Blick nicht ansieht, dass sie eine Fliegenfalle ist. Weil eine bunte Scheibe die Klebefläche verdeckt, an der die Tiere haften bleiben und verenden. Insekten sollen im Verborgenen sterben. Das wünschen sich unsere Kunden.
Begeistert zeige ich meinem Bruder Arne den Prototypen. Seit Anfang der 1990er-Jahre kümmern wir uns gemeinsam um das Unternehmen unserer Eltern. Mein Bruder als Allrounder in Produktion und Verwaltung, ich als Geschäftsführer. Der Hauptsitz ist mit 50 Mitarbeitenden in Bielefeld, der zweite Standort mit zehn Mitarbeitenden im schweizerischen Teufen, knapp zehn Kilometer von St. Gallen entfernt. Im Grunde läuft alles super. Seit Jahren geht es mit dem Umsatz bergauf. Neben unserer Hausmarke recozit, die wir exklusiv an kleine Fachhändler verkaufen, wächst unser zweites Standbein »Handelsmarken« besonders gut. Für große Handelshäuser stellen wir Fliegenfänger, Insektenspray, Mottenpapier und Ameisenköder her, die sie dann unter ihrem eigenen Namen verkaufen.
»Das neue Produkt besteht aus drei Komponenten«, sage ich zu Arne. »Hier die runde Fangscheibe aus festem Polystyrol mit einem rückseitigen Klebestreifen fürs Anbringen am Fenster. Die Scheibe ist nicht mehr transparent wie bei unseren Vorgängern, sondern gelb. Gelb lockt Fliegen besonders gut an. Außerdem hat die Scheibe in der Mitte ein Loch für einen Saugnapf, auf dem eine Abdeckscheibe steckt.«
SONNENLICHT LÄSST
DIE FALLE LEUCHTEN
Arne nimmt die Fliegenfalle in die Hand und sieht, dass die Innenseite der Abdeckscheibe, also die Seite zum Fenster, wie ein Spiegel silbern eingefärbt ist. So wird das Sonnenlicht reflektiert, die gelbe Fangscheibe fängt an zu leuchten und lockt dadurch noch schneller Fliegen an. »Wenn das funktioniert, Hans, dann ist das sensationell. Die Leute werden das kaufen! Lass uns die Wirksamkeit von Herrn Bucher in dem Schweizer Labor prüfen.«
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Wer sich mit Insekten beschäftigt, merkt schnell: Es gibt unglaublich viele ARTEN – die eine Million, die wissenschaftlich beschrieben ist, macht nicht einmal die Hälfte aus, vielleicht sogar nur ein Zehntel. Keine andere Tiergruppe kommt auf eine so gigantische Zahl.Wie es den Tieren geht, hängt von vielen Faktoren ab: Wo leben sie, wie entwickeln sich Temperaturen und Feuchtigkeit vor Ort, finden sie genug zu fressen und Plätze zum Vermehren, und was machen ihre natürlichen Feinde?Klimawandel und Internationalisierung des Waren- und Personenverkehrs sorgen dafür, dass in manchen Regionen die Zahl bestimmter Insekten zunimmt. Gleichzeitig werden die Sechsbeiner immer stärker bekämpft und aus ihren natürlichen Lebensräumen verdrängt. Wiesen werden versiegelt für immer neue Häuser, Straßen und Einkaufszentren. Zudem werden Wälder abgeholzt, Moore trockengelegt und Felder monokulturell bepflanzt – wenn überhaupt finden Insekten dort nur saisonal Futter. | Zahlreiche Studien belegen, dass die Gesamtzahl der Insekten stark rückläufig ist. Allein in Westeuropa haben wir in den vergangenen 50 Jahren die Hälfte der Biomasse an Insekten verloren. Rund 40 Prozent der Insektenarten sind gefährdet und fünf Prozent bereits ausgestorben.Vermutlich ist die Lage aber noch ernster. Mehrere Studien konnten zeigen, dass Insekten nicht sofort sterben, es dauert mitunter Jahre, bis Arten schwinden und irgendwann ganz verschwunden sind. Insofern bilden die heutigen Zahlen nur die Vergangenheit ab – die Auswirkungen unseres gegenwärtigen Handelns ist bis dato unbekannt. |
Dezember Kurz vor Weihnachten liegen die Testergebnisse vor: Volltreffer. Unser Produkt fängt die Fliegen schneller als die beiden großen Markenprodukte. Jetzt brauchen wir nur noch die richtige Vermarktung. Wieder treffe ich mich mit Arne, um die nächsten Schritte zu besprechen.
»Als Erstes solltest du das Produkt patentieren lassen«, sagt mein Bruder und stellt fest: »Die Fliegenfalle wäre das erste Patent in unserer Firmengeschichte.«
»Und dann?«
»Vielleicht als Handelsmarke für unseren Kunden Aldi? Der Discounter würde uns schnell große Mengen abnehmen können.«
»In Bezug auf einen kurzfristigen Erfolg hast du recht. Aber schon nach kurzer Zeit geht es wieder nur um den Preis und wir verdienen kein Geld. Wenn aber das Produkt so gut ist, wie wir es erwarten, dann kann es uns eine ganz neue Tür öffnen. Ich meine, eine neue, eigene Marke: insektizidfrei und zeitgemäß.«