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Zweites Kapitel
Berlin macht sich schwach 1

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Viele Straßen um den Schlesischen Bahnhof sind schlimm; damals, 1923, kam zu der Trostlosigkeit, den üblen Gerüchen, dem Elend der öden, dürren Steinwüste eine wilde, verzweifelte Schamlosigkeit, Feilheit aus Elend oder Gleichgültigkeit. Geilheit aus der Gier, sich einmal selbst zu fühlen, selbst etwas zu sein in einer Welt, die in sausender, irrer Fahrt jeden mitriß, unbekannten Dunkelheiten zu.

Der Rittmeister von Prackwitz, viel zu elegant in einen hellgrauen Anzug gekleidet, den ihm ein Londoner Schneider nach gesandten Maßen gefertigt, viel zu auffallend aussehend mit seiner schlanken Figur, dem schlohweißen Haupthaar über dem braun verbrannten Gesicht, mit den dunklen, buschigen Brauen und den dunkel glühenden Augen – der Rittmeister von Prackwitz geht achtsam, sehr grade aufgerichtet, den Bürgersteig entlang, besorgt, niemanden zu streifen. Er sieht gradeaus vor sich hin, auf einen imaginären Fleck, der in Augenhöhe fern von ihm die Straße hinunter liegt, um niemanden und nichts sehen zu müssen. Er möchte auch gerne mit seinen Ohren weghorchen können, etwa in das schwere Rauschen seiner immer noch kaum angemähten, erntereifen Neuloher Kornfelder hinein, er bemüht sich, wegzuhorchen von dem, was ihm Hohn und Neid und Gier nachrufen.

Plötzlich ist es ihm wie in den unseligen Novembertagen des Jahres 1918, als er mit zwanzig Kameraden – dem Rest seiner Schwadron – auch eine Berliner Straße langmarschierte, in der Reichstagsnähe – und plötzlich prasselte aus Fenstern, von Dächern, aus dunklen Torgängen eine wüste Schießerei auf den kleinen Zug herab, ein regelloses, wildes, feiges Geknalle. Auch damals waren sie so weitermarschiert, das Kinn vorgestoßen, den Mund fest geschlossen, mit den Augen einen imaginären Punkt am Ende der Straße fixierend, den sie wohl nie erreichen würden. Und dem Rittmeister ist, als sei er in den fünf Wahnsinnsjahren seitdem eigentlich immer so weitermarschiert, einen imaginären Punkt fixierend, wachend wie schlafend – denn es gab in diesen Jahren keinen Schlaf ohne Traum. Immer eine trostlose Straße voller Feinde, Haß, Gemeinheit, Würdelosigkeit hinunter, und kam, wider alles Erwarten, doch die Ecke, so tat sich nur eine neue, ganz gleiche Straße auf, mit demselben Haß und derselben Gemeinheit. Aber wieder war der Punkt da, auf den man losmarschieren mußte, dieser Punkt, den es gar nicht gab, eine bloße Einbildung – .

Oder war der Punkt etwas, das gar nicht draußen, außerhalb von ihm lag, sondern in ihm, in seiner eigenen Brust – sage ich es denn: in meinem Herzen? Marschierte er, weil ein Mann marschieren muß, ohne auf Haß und Gemeinheit zu horchen, sehen auch aus tausend Fenstern zehntausend böse Augen auf ihn, sei er auch ganz allein – denn wo sind die Kameraden?! Marschierte er, weil man nur so sich näher kommt, das wird, was man auf dieser Erde zu sein hat, nämlich nicht das, was die andern von einem erwarten, sondern man selbst –? Mann selbst!

Und plötzlich ist dem Rittmeister von Prackwitz, hier auf der Langen Straße am Schlesischen Bahnhof in Berlin, einer verfluchten Stadt, ist dem Rittmeister und Rittergutspächter, angesichts von zehn schreienden Kaffeehausschildern, die nichts anzeigen als Bordelle – ist dem Rittmeister und Rittergutspächter und Mann Joachim von Prackwitz-Neulohe, der hierherkam, sehr gegen seinen Willen hierherkam, um mindestens sechzig Leute für die Ernte aufzutreiben, ist ihm, als wenn nun wirklich das Ende seines Marschierens ganz nahe wäre. Als könne er nun wirklich bald einmal das Kinn zurücknehmen, den Blick senken, den Fuß ruhen und sagen wie der Herrgott: siehe da, es war alles sehr gut!

Jawohl, eine gute, fast eine Bombenernte stand auf den Feldern, eine Ernte, die diese Verhungerten in der Stadt sehr wohl hätten gebrauchen können, und er mußte alles stehenlassen, einem jungen, etwas verlotterten Bengel von Inspektor übergeben und in die Stadt fahren und um Leute flehen. Denn es war seltsam und völlig unverständlich: je größer das Elend in der Stadt wurde, je knapper dort das Brot und je mehr nur noch das Land wenigstens die auskömmliche Nahrung bot, um so mehr drängten die Leute in die Stadt. Es war wirklich wie mit den Motten, die von der tötenden Flamme gelockt werden!

Der Rittmeister lachte auf. Ja wahrhaftig, es sah wirklich so aus, als winkte ihm ganz nahebei die himmlische Herrgottsruhe vom sechsten Schöpfungstage! Eine Fata Morgana, ein Oasen-Vorgespiegel, wenn der Durst ganz schlimm wird!

Das Weibsbild, dem er gedankenvoll ins Gesicht gelacht, gießt hinter ihm her einen ganzen Kübel, ein Jauchefaß, ach was, eine ganze Jauchegrube unflätiger Schimpfereien aus. Der Rittmeister aber tritt in einen Laden, über dem, verdreckt und schief, ein Schild hängt ›Berliner Schnitter-Vermittlung‹.

Wolf unter Wölfen

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