Читать книгу Heute bei uns zu Haus - Ханс Фаллада - Страница 8
Ich weiß ein Haus am Wasser
ОглавлениеEs ist Sommer geworden, wir wohnen im Hotel ›Schwarzer Bär‹ zu Bergfeld, der Sohn Uli, seine Pflegerin Wendehals und ich. Suse liegt noch immer in der Klinik; die Zwillinge sind gekommen, aber nur eins der beiden kleinen Mädchen lebt, das andere starb schon nach wenigen Stunden. Das hat mich sehr erschüttert, im geheimen messe ich mir eine Schuld am Tod des kleinen Mädchens bei: Suse hatte zu viel Aufregungen in der letzten Zeit.
Auch dies wurde zu einem Wendepunkt, so vieles kann Wendepunkt werden, wenn man nur empfänglich ist. In diesem Sommer wendete sich vieles, in diesem Sommer war ich für Besinnung und Einkehr sehr empfänglich. Solch kleines Wesen – es hatte nur ein paarmal kläglich geschrien, dann war es gestorben – ein Stück von uns.
Jede Woche zwei-, dreimal fahre ich mit Fräulein Wendehals und Uli auf unsern Besitz hinaus, um die Bauarbeiten zu kontrollieren. Nun kenne ich, was ich gekauft habe. In meinen Briefen bereite ich Suse darauf vor, daß bis zum Herbst noch nicht alles in Ordnung kommen wird. Es bleibt Bauerei genug für das nächste Jahr, um das Haus in einen wohnlichen Zustand zu versetzen, von Stall und Scheune ganz zu schweigen. Trotzdem finde ich, ich habe nicht schlecht gekauft.
Andere sind darüber anderer Ansicht. An einem heißen Sommertag trete ich in eine Wirtschaft der Stadt Bergfeld, ich lasse mir ein Glas Bier geben. Ein paar Leute sitzen da, ich kenne sie nicht, sie kennen mich nicht, ich bin ein Kurgast für sie. Eine Stimme erhebt sich und spricht: »Da hat ja so 'n Berliner Dösbartel das Haus von dem Pendel in Mahlendorf gekauft. Zwölftausend Mark soll er dafür gegeben haben. Daß die Dummen nicht alle werden!«
»Dat segg man, Paule!« stimmt der Wirt eifrig zu. »Zwölfdusend Mark – und is doch bloß ne Baracke, die alle Tage einfallen kann! Herrgott, wie groß ist dein Tiergarten!«
»Meine Herren!« sprach ich hoheitsvoll. »Der Dösbartel aus unsers Herrgotts Tiergarten – der bin ich!«
Sah sie alle der Reihe nach sehr an und verschwand unter tiefem Stillschweigen.
Alle drei fahren wir nun durch das sommerliche Land Mahlendorf zu. Das Land sieht flach aus, ab und zu liegt zwischen den reifenden Feldern ein dunkler Waldstreif. Wer es nicht weiß, kann nicht ahnen, daß jeder dieser dunklen Waldstreifen einen tief ins Land eingeschnittenen langen See bedeutet, Seen mit dem tiefsten, klarsten Wasser, von einem bezaubernden Türkisgrün oder Azurblau. Wir sind hier in einem Endmoränengebiet, hier endeten die Gletscher der Eiszeit, tief schnitten ihre Zungen in das Land ein. Heute noch hat das Wasser etwas von der Frische und Klarheit des Eises, unsere Seen sind wie Hochgebirgsseen.
Und das ganze Land, jedes Stückchen Acker ist durchsetzt von Steinen, Blöcken, Felsen: das sind die Geröllmassen, die von den Gletschern aus Schwedens Gebirgen herabgetragen wurden. Sie werden uns noch viel zu schaffen machen, diese Steine und Felsen. Im Dorf behaupten sie, es sei zwecklos, sie aus dem Boden zu schaffen, ›sie wüchsen nach‹. Das werden wir ihnen schon beibringen, das Nachwachsen!
Am Eingang des Dorfes drehte damals noch eine Windmühle ihre Flügel. Die Windmühle war und ist scheußlich, ein schwarzgeteerter Stumpf aus Mauersteinen, wie eine verräucherte Fabrikesse, allein die Flügel versöhnten ein wenig mit ihr. Unterdes sind diese Flügel abgefault und heruntergefallen, und die Windmühle, für die alle Winde umsonst wehen, ist nur noch scheußlich.
Kurz nachdem wir an der Mühle vorbei sind, sage ich zu dem Chauffeur »Hupen!« Er hupt kräftig, und auf dieses Gehupe eilt aus einem Haus eine Frau mit fliegenden Haubenbändern heraus, eilig laufend bindet sie ihre Schürze um. Das ist Frau Tschermak, die bei mir im Tagelohn steht, sie soll den Garten in Ordnung bringen. Da ihr Arbeitgeber aber nicht am Ort wohnt, gibt sie sich immer wieder der Hoffnung hin, ihren Tagelohn empfangen, dafür aber zu Haus sitzenbleiben zu können. Immer wieder denkt sie, ich komme zu meinen Kontrollen mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Wenn ich heute da war, werde ich morgen nicht schon wieder kommen. Wenn es regnet, werde ich auch nicht kommen. Aber schon Frau Tschermaks wegen komme ich ganz unregelmäßig, und immer wieder erwische ich sie.
Nun eilt sie in fliegender Hast hinter meinem Auto her. Fünf Minuten nach mir wird sie auf meinem Besitz eintreffen, stets eine höchst plausible Entschuldigung auf den Lippen. Ihre Sau ist krank, der Briefträger bringt ihr heute Geld, sie mußte nur mal schnell andere Schuhe anziehen. Ich bin immer gespannt, was sie diesmal vorbringen wird, aber ihr Vorrat an Ausreden ist unerschöpflich. Als sie mir aber einreden will, sie habe nur oben in ihrer Wohnung nach der Uhr sehen wollen, weil die Uhren von den Maurern unten alle falsch gingen, trenne ich mich von ihr und mache mir eine Feindin im Dorf. Gute Frau Tschermak, schließlich hat sie mir doch vergeben: heute nach neun Jahren fängt sie schon wieder an, mich zu grüßen!
Unten auf dem Bau wird fleißig gearbeitet. Es wimmelt von Maurern, Zimmerleuten und Handlangern. In diesem Jahr wird noch nichts Neues gebaut, nur wohnlich wird das Wohnhaus gemacht.
Als ich mir die Geschichte näher ansah, hatte ich ein langgestrecktes altes Fachwerkhaus von Herrn Pendel gekauft, das äußerlich gar nicht übel aussah. Früher – es soll 1848 nach einem großen Brand erbaut worden sein – war es ein Zweifamilienhaus, zwei Landarbeiterfamilien wohnten darin. In den letzten Jahrzehnten hatte aber immer nur eine Familie darin gewohnt: ein Viehhändler, ein Seradella-Händler, schließlich Herr Pendel, von dem noch zu reden sein wird. Alle diese Leute hatten wenig Forderungen an Behaglichkeit gestellt. Daß keine Wasserleitung im Hause war, ist verständlich, natürlich gab es überhaupt keine Wasserleitung im ganzen Dorf, nur Brunnen. Daß aber dieser Brunnen bei uns direkt neben einem grün schillernden Jauchetümpel lag, war weniger schön. Auch die bewußten Herzhäuschen direkt bei der Küche gefielen mir nicht so recht, ich mußte immer an die muntere Zirkulation der Fliegen denken. Keine Diele war heil, nur zwei Stuben heizbar, die Räume entweder preußischblau oder schweinfurtergrün gekalkt, soweit der Kalk noch an den Wänden saß. Zum Boden führte eine wacklige Stiege empor. Dort oben gab es Heureste, einen zertretenen Lehmboden und einen Verschlag für das etwaige Mädchen.
Heil war nichts, aber auch gar nichts, in Haus und Hof. Selbst das Vieh – von der Erikuh erzähle ich an anderer Stelle – war voll Überraschungen und Tücken. Noch ein Jahr später lachten Suse und ich, wenn wir irgend etwas aus dem Besitz des Herrn Pendel in die Hand bekamen: es war so sicher kaputt, wie das Amen in der Kirche fällig ist. Da war kein Schaufelstiel, der nicht angebrochen, kein Baumpfahl, der nicht abgefault war. Von den Hämmern flogen die Köpfe durch die Luft, die Wagen wieder waren mit Stricken geflickt und brachen boshaft zusammen, sobald man eilig zur Bahn mußte, die Klositze rutschten überraschend unter einem fort.
Die vornehmste Leidenschaft des Herrn Pendel aber hatte den Nägeln gegolten. Er muß eine wahre Leidenschaft für Nägel gehabt haben. Wo ein andrer Mensch einen Nagel eingeschlagen hätte, schlug er deren zehn ein – worauf die Sache bestimmt nicht hielt. Man mußte sich verdammt vorsehen: überall spießten Nagelspitzen. War man unachtsam, hatte man sie gleich in irgendeinem Körperteil.
Er nagelte alles, was es nur auf der Welt gab: Tische, Stühle, Zäune, Schaufelstiele, Sensen, Fässer, Klodeckel, aber vor allem Obstbäume. Ich ahne es heute noch nicht, warum dieser Mann Dutzende von Nägeln in jeden Obstbaum gehauen hat. Vielleicht reagierte er seinen Zorn auf diese Welt, in der er nicht zurechtkam, damit ab. Manchmal stelle ich ihn mir vor, wie er nach seinem (gänzlich mißglückten) Tagwerk des Abends in den Garten geht, ein gutes Nagelsortiment in der Tasche, einen loseköpfigen Hammer in der Hand. Und nun fängt er an zu nageln, Kirschen, Pflaumen, Äpfel, Birnen – es kam ihm nicht darauf an. Diesen Nagel für die Sense, die in einen Stein ging. Und diesen für die Erikuh, die mich schlug. Und diesen für die Hella, die wieder mal gebockt hat. Und diesen und diesen und diesen für die Patzigkeit meiner Frau!
Noch nach vielen Monaten fanden wir immer neue Nägel in den Obstbäumen. Ja, als wir längst damit durch zu sein glaubten, als der böse Winter 39/40 viele unserer Obstbäume erfrieren ließ, die wir dann zerschnitten, geriet unsere Säge noch tief im Innern der Bäume auf längst verwachsene Nägel. Dann dachte ich wieder an Herrn Pendel ...
Mit Bewusstsein habe ich Herrn Pendel ein erstes und einziges Mal bei der Übergabe seines Besitzes an mich gesehen. Da machte er keinen schlechten Eindruck, ein großer Mann Mitte der Dreißiger, mit einem schwarzen Bärtchen. Ich kam nicht auf den Gedanken, daß dies der Urtypus eines nicht glückhaften Menschen sei. Er hatte ein sonores Organ, er kam mir recht sicher vor. Aber er war es nicht, noch weniger als ich, der bei dieser Übergabe immer von dem Gedanken geplagt war, Herr Pendel könne vielleicht doch gemerkt haben, daß ich ihn und meinen Besitz zum erstenmal sah.
Ein wenig sehr geldgierig kam er mir vor. Ich hatte Haus und Hof mit allem lebenden und toten Inventar gekauft, und ich hatte sofort, ohne alles Handeln, den Preis bewilligt, den er gefordert hatte. Nun aber, bei der Übergabe, kam Herr Pendel mit einer langen Liste von Dingen hervor, die ich noch extra kaufen sollte, die nicht zum Hofinventar gehörten, die sein persönlicher Besitz seien:
Zum Beispiel: der Hofhund, der ein rauhaariger Airedale war und darum den schönen Namen ›Rautendelein‹ führte.
Zum Beispiel: die Kette zu dem Hofhund.
Zum Beispiel: die Hütte zu dem Hofhund.
Zum Beispiel: der Futternapf für den Hofhund.
Zum Beispiel: die Hundesteuer.
Zum Beispiel: eine Obstbaumspritze, die nachher nicht ging.
Zum Beispiel: ein Ruderboot – später erwies es sich als verfault.
Zum Beispiel ... Zum Beispiel ... Zum Beispiel ...
Mit einer gradezu schafsmäßigen Geduld kaufte ich alles; ich wollte mit Herrn Pendel fertig werden, ich wollte endlich Selbstherrscher aller Reußen sein.
Zum Schluss kam Herr Pendel noch mit einem kleinen flachen blauen Karton an. Er tat sehr geheimnisvoll mit diesem Karton. »Da habe ich noch etwas ganz besonders Schönes für Sie – grade weil Sie Schriftsteller sind!«
Der Inhalt des blauen Kartons erwies sich als eine Kupferplatte zum Druck von Ansichtspostkarten, darstellend das ›Haus Pendel am Mahlendorfer See‹.
»Von einer ersten Künstlerin gestochen«, flüsterte Herr Pendel aus seinem schwarzen Bart. »Ganz was Künstlerisches – grade für Sie!«
Und er drückte mir den Karton in die Hand.
»Danke schön, Herr Pendel«, sprach ich. »Es freut mich, daß Sie mir das verehren wollen!«
»Alles will ich Ihnen nun aber auch nicht verehren«, sprach Herr Pendel gekränkt, aber sonor. »Die Platte kostet dreißig Mark!«
Dies mir, dem er eben sein verfaultes Boot angedreht hatte! Und ich bezahlte die dreißig Mark! Später, als ich einmal wirklich Ansichtskarten nach der Platte drucken lassen wollte, zeigte sich natürlich, daß sie einen Riß hatte! Bei Herrn Pendel war eben nichts heil.
Er war einer jener unseligen Stadtmenschen, die eine tiefe Liebe zum Lande haben und doch nicht das geringste Geschick für das Landleben. Er war schon zu sehr verstädtert. Als er sich den kleinen, hoch mit Hypotheken belasteten Besitz gekauft hatte, war er wohl des Glaubens gewesen, er könne mit Weib und Kind von sechs und einem halben Morgen Land leben. Bald sah er ein, daß dies für einen Landwirt nicht möglich war, vielleicht aber für einen Gärtner. So legte er ein Frühbeet an und zog Gemüsepflanzen zum Verkauf. Aber in dieser ländlichen Gemeinde gab es keine Käufer für Gemüsepflanzen oder aber die Gemüsepflanzen mißrieten auch: bald verfaulte das Frühbeet.
So hat Herr Pendel noch manches angefangen, er nahm Sommergäste und Ferienkinder, er verlegte sich aufs Angeln, schließlich holte er sich die sogenannte kleine Konzession und machte einen Kaffeegarten auf. ›Haus Pendel‹ lag so schön am Mahlendorfer See, die Sommergäste aus Bergfeld mußten doch kommen. In den Obstgarten wurden geliehene Gartentische und Stühle gesetzt, Kaffeegeschirr wurde angeschafft, Selterswasser und Brause beim Bierverleger entnommen, Ansichtspostkarten gedruckt – alles war bereit, nur die Gäste blieben aus.
Es ist rührend und kläglich anzusehen, wie sich solch unglückhafter Mensch tausendfach abmüht, und erreicht doch weniger als der erste beste Dummkopf. Die Leute im Dorf haben's mir später erzählt, wie es bei Pendels zuging, wenn sich doch einmal eine kaffeedurstige Familie in den Pendelschen Garten verirrte. Kaffeebohnen waren nie im Haus, dafür war die Kasse zu klein, also eilte Frau Pendel fliegenden Fußes ins Dorf und borgte von einer Nachbarin ein Achtelchen oder ein Sechzehntel Bohnen. Unterdes entfachte Herr Pendel ein Feuer im Herd, ließ das Wasser sieden und stürzte mit einem Sahnekännchen in den Stall, eifrig bemüht, der widerspenstigen Erikuh ein wenig Milch abzulisten. Kuchen war nie da. Zum Schluss hatten die Kaffeegäste für achtzig Pfennige verzehrt, und die Wirtsleute zwei Arbeitsstunden versäumt. Die Rechnung konnte nie aufgehen!
Am wenigsten Talent aber hatten Pendels, mit ihrem Vieh umzugehen. Die Schweine wurden bei ihnen nie fett, dafür mästeten sich aber die Ratten, die in ganzen Scharen auf dem verfallenen Hof hausten, fraßen auch einmal, war das Futter knapp, einer Sau die Zitzen an, so daß sie notgeschlachtet werden mußte. Pendels besaßen ein Pferd, genauer gesagt ein Doppelpony, eine Zwischengröße also zwischen Pferd und Pony. Es war ein munteres und vor allem freches Tier, ich habe es noch jahrelang gefahren. Bei Pendels hieß der Gaul Hella, ich nehme an, nach Pendelschem Sprachgebrauch, weil er so hell in der Farbe war. Hella war ein Apfelschimmel, und ein schlaueres Tier habe ich nie kennengelernt.
Begleiten wir einmal das Ehepaar Pendel auf einer Ausfahrt in die Stadt Bergfeld. Hundertmal ist mir davon im Dorf erzählt, und an Hand eigener Erfahrungen kann ich die Einzelheiten nachprüfen und bestätigen. Der Wagen, in den Hella gespannt wurde, war ein verdammt hochrädriger Karren, man saß auf ihm wie auf der Zinne eines Turms und sah tief auf Hellas Hinterteil hinab, das sich ganz dicht bei den Füßen des Fahrers befand.
Herr Pendel führte Hella aus dem Stall und spannte sie in die Gabel, was sie sich mit heiterem Ohrenspiel gefallen ließ: eine Ausfahrt mit dem Kutschwagen versprach ihr immer viel Erheiterung. Erkletterten nun die Kutschierenden die Zinne, so drehte sich Hella um und betrachtete genau die Last. Waren es viele, mehr als zwei, so streikte sie von vornherein. Waren es aber nur Frauen, so war sie von Anfang an schamlos frech; wie manche ihrer menschlichen Schwestern verachtete Hella ihr eigenes Geschlecht bodenlos.
Aber wir nehmen an, daß Pendels den Turm bestiegen haben, Herr und Frau Pendel, und Herr Pendel hat die Zügel ergriffen. Er knallt mit der Peitsche, schnalzt mit der Zunge und ruft: »Hüh, Hella!«
Hella besinnt sich auch nicht einen Augenblick, wie aus der Pistole geschossen saust sie vom Hof und trabt eifrig durch das Unterdorf. Herr und Frau Pendel sehen sich an: Heute wird alles gut gehen. Hellapferdchen ist bester Stimmung!
Zwischen Unterdorf und Oberdorf liegt ein sowohl hoher wie steiler Berg, was man in Mecklenburg eben Berg nennt, sagen wir sechzig Meter Höhe, aber steil. Hella saust über die Brücke, zwischen zwei Höfen durch, trabt den Anfang des Berges hoch – und bleibt stehen! Herr Pendel wirft seiner Frau einen leicht besorgten Blick zu: Hella wird doch nicht –?
Wieder knallt er mit der Peitsche, wagt sogar einen leichten Streich, aber nun ist es schon geschehen: Hellapferdchen geht rückwärts. Mit arglistigem Bedacht läßt sie den Wagen bergab rückwärts rollen, und zwar so, daß er gegen eine Mauer der eben passierten Höfe anprallen, besser aber noch gegen das Brückengeländer und ins Wasser stürzen soll.
Aber auch Pendels sind nicht das erste Mal in dieser Lage. Wie der Blitz sind beide von ihrem Turm herunter. Während Herr Pendel Hella vorn am Kopf nimmt und sie am Zurückgehen zu hindern versucht, bückt sich Frau Pendel eifrig und schmeißt Hella mit Sand. Aus unerforschlichen Gründen ist Sandschmeißen Hellachen besonders unangenehm, viel unangenehmer als Peitschenhiebe.
Hella sieht ein, sie muß nachgeben. Sie hat es nicht schnell genug geschafft, den Wagen an der Hofwand zerschellen zu lassen. Langsam geht sie wieder vorwärts, und so erklimmen sie zu dreien den Berg: Hella in der Gabel, an ihrem Gebiss Herr Pendel, Sand schmeißend hinterdrein Frau Pendel. Schließlich hat Hella ihr Ziel doch erreicht: den Berg hinaufzieht sie grundsätzlich nur den leeren Wagen, keiner darf darauf sitzen.
Sind sie dann im Oberdorf, geht die Fahrt weiter. Pendels thronen wieder oben. Auf ebenem Gelände legt Hella keinen Wert darauf, Wagen rückwärts zu schieben, das ist ihr zu anstrengend. Sie wandert jetzt mürrisch und verdrossen einher, alles ermunternde Rufen und Zügelziehen des Herrn Pendel kann ihr auch nicht den leisesten Trab entlocken.
Wir kommen aus dem Oberdorf an der geteerten Mühle vorbei ins freie Feld. Nehmen wir nun an, in der Nacht ist erfrischender, ausgiebiger Regen gefallen, so ein sanfter Regen von zehn Millimetern, der unsern Feldern so gut tut. Die leichten Böden haben den Regen bereits restlos geschluckt, aber die Straße ist in keinem guten Zustand: auf ihr stehen lange und tiefe Pfützen. Herr und Frau Pendel tauschen besorgte Blicke: Hella wird doch nicht –? Herr Pendel sitzt auf der Wacht, die Zügel stramm in der Hand.
Trotzdem gelingt es der Hella natürlich: mitten in der längsten und tiefsten Pfütze angelangt, sinkt sie plötzlich sanft in sich zusammen und legt sich bäuchlings hinein. Da liegt sie, sie grunzt vor Behagen, sie wälzt sich auch ein bißchen, soweit es Gabel und Geschirr gestatten – und oben sitzen Pendels und warten. Sie sind geduldig, sie warten; aus langer Erfahrung wissen sie, daß Hella doch nicht eher aufsteht, bis ihr Bauch tiefgekühlt ist.
Dann steht Hella auf. Das Bad hat sie ermuntert, sie starrt vor Dreck, das Geschirr trieft, aber das macht ihr gar nichts aus: jetzt trabt sie. Sie ist allerbester Stimmung, und um ihrer Herrschaft doch auch etwas von dieser guten Stimmung abzugeben, fängt Hella an auszuteilen. Ich habe es ja schon gesagt: Pendels sitzen schräg über Hellas Hinterteil, und so wunderbar weiß dieser Apfelschimmel auszuteilen, daß er mit jedem Schlag die Beine der Kutschierten in Gefahr bringt. Ursprünglich war ein Brett als Schutz vorne am Wagen angebracht, aber dieses Brett hat Hella längst zertrümmert. So bleibt Pendels nichts, als die Beine bis zu den Nasen hochzuziehen oder unter den Po zu stecken, so wie Türken und Schneider sitzen.
Allmählich kommen sie nach Bergfeld. Vielleicht nimmt Hellachen noch ein Pfützenbad, geht im zu passierenden Dorf Althof noch einmal rückwärts, so daß wiederum mit Sand geschmissen werden muß – wer weiß das? Sicher ist nur, daß Hella viel Freude an solchen Ausfahrten hat. Übrigens wird mir von durchaus glaubwürdigen Leuten versichert, daß solche sieben Kilometer lange Fahrt nach Bergfeld mit Hella nie unter zwei Stunden abzumachen war, zu Fuß war's eigentlich schneller, ungefährdeter und bequemer.
So wie Haus und Hof, so wie lebendes und totes Inventar, so sahen natürlich auch Garten und Acker bei Pendels aus. Daß auf seinem Boden die vollständigste Kollektion deutschen Unkrauts voll Macht und Herrlichkeit wuchs, versteht sich von selbst. Daß es überall von Steinen wimmelte, selbst handlichen, leicht zu entfernenden Steinen direkt am Ufer des Sees, in den man sie einfach hineinwerfen konnte, ist ebenso klar.
Dazu bevorzugte Herr Pendel noch etwas, was ich den Wunderknäuelanbau nennen möchte. Vielleicht erinnert man sich: als unsere Mütter noch jung waren und das Strümpfestricken lernten, bekamen sie solche Wunderknäuel zur Fleißaufmunterung geschenkt. Zwischen der Wolle verborgen gab es Belohnungen: goldene Fingerringe aus Messing mit bunten Glasdiamanten, Zuckerherzchen – und meine Mutter vergaß nie, daß sie im Zentrum eines solchen Knäuels einmal ein winziges Vogelbauer aus gelbem Draht mit einem Kanarienvogel darin sich erstrickt hatte. All so etwas barg ein schlichtes Wollknäuel.
Ähnlich Herr Pendel. Wenn Sie ein Kartoffelfeld von ihm sahen, mußten Sie nicht glauben, es war einfach ein schlichtes Kartoffelfeld. Sahen Sie genauer unter dem Unkraut und den kläglichen Erdäpfeln zu, so entdeckten Sie dazwischen Gurken oder Kürbisse. In einem Roggenstück fand ich einen Fleck groß wie eine Stube, den er mit gelb blühenden Studentenblumen angesät hatte.
Im eigentlichen Gemüsegarten gab es wieder andere Überraschungen. Das klägliche Geschrei meines Sohnes Uli, der damals drei Jahre alt war, lockte mich in eine Spinatrabatte. Vom Sohn war überirdisch nur das rotgebrüllte Haupt zu sehen. Ich griff zu und gab ihn dem Licht und der Luft wieder. Als ich den Fall untersuchte, entdeckte ich, daß Herr Pendel mitten zwischen seinen Spinat zwei leere Zementtonnen eingelassen hatte – warum, ich ahnte es nicht. Ein völlig verquerer Kopf!
Seine Erbschaft hatte nun ich angetreten, für viel Geld, ich, der Dösbartel aus Berlin. Meine Frau, meine Freunde haben später meinen Mut bewundert, ›so etwas‹ zu kaufen. Es hatte seinen Mutes bedurft, bewußtlos, in völliger Ahnungslosigkeit hatte ich einen der schönsten, stillsten Erdenflecke eingehandelt. Ein Haus, es mag noch so verfallen sein, kann man zurechtbauen. Ratten sind zu vertreiben, und auch des Unkrauts wird man eines Tages Herr. Was man nicht ändern kann, ist die Lage. Haust man in einer Sandwüste, hat man böse Nachbarn – gute Nacht, schöne Welt!
Ich sitze im Garten. Drüben im Haus höre ich die Maurer arbeiten. Sie machen aus der Räucherkammer ein Badezimmer, aus einem vergitterten Vorratsloch eine Kinderstube, sie reißen die Dielen auf, setzen Öfen, flicken Schornsteine. Alle Tage berichte ich Suse vom Fortschritt der Arbeit ...
Was ich ihr nicht schildern kann, was ich dir nicht schildern kann, lieber Leser, das ist die Lage dieses Landhauses, ein wenig abseits vom Dorf, zwischen Obstbäumen, von hohen Tannen beschirmt, am Ufer eines großen Sees. Mit fünfzehn Schritten sind wir vom Hause am Wasser. Der See ist sehr tief, sein Wasser kristallklar, noch in der stärksten Sommerhitze bleibt es kühl. Ist im August der Tag sehr heiß, ist es beinahe Essenszeit, so stürzen, gesotten vom Küchenherd, Hausfrau und Haustöchter erst noch einmal in den See. Ein wenig feucht, aber kühl und lächelnd setzen sie sich an den Tisch.
Und dieser See an meiner Tür ist nur einer von fünf Seen, an denen Mahlendorf liegt. Von allen Fenstern aus sehen wir Wasser, lebendiges Wasser, das Schönste auf Erden. Es blitzt auf zwischen den Wipfeln uralter Linden; es verliert sich in der Ferne, begleitet von schmächtigen Ellern; dickköpfige Weiden suchen es zu verstecken, hinter gelben und grünen Schilffeldern breitet es sich weit. In diesen Schilffeldern nistet noch die Rohrdommel, ein immer seltener werdender Vogel. Ich habe ihn nie zu sehen bekommen, aber im Frühsommer höre ich den Ruf der Dommel, einen seltsamen, höchst unmelodischen Ruf, der genau so klingt, als pumpe man mit einer ächzenden, quietschenden Pumpe.
Jenseits unseres Sees sehen wir andere Höfe, auf Hügeln gelagert, dort ist schon Preußen, die Uckermark, Nudelland, wie man hier spöttisch sagt. Denn der Uckermärker nennt Kartoffeln nicht ›Tüften‹ wie jeder anständige Mecklenburger, sondern ›Nudeln‹. Die Seen sind die Grenze.
Weitab liegt dies Dorf von der Welt, trotzdem Berlin in zwei Autostunden zu erreichen ist. Nicht einen Tag, nicht eine Stunde haben wir es bedauert, uns hier angekauft zu haben. Es ist mit den Jahren, die jedes irgendwelche Bauerei brachten, ein recht teures Haus geworden – ich glaube, für das Geld, das ich in das alte Haus gesteckt habe, hätte ich zwei neue bauen können. Es hat unendlich vieler Arbeit bedurft, um aus der Unkraut- und Steinwüste einen wirklichen Garten, einen ergiebigen Acker zu machen. Aber Haus wie Land haben jede Mühe gelohnt. Jedes Jahr wurde es noch ein bißchen schöner.
Für unsere Kinder ist das schönste auf der Welt Mahlendorf. Fahren wir einmal nach Berlin, so betteln sie: »Ach, nehmt uns doch mit!« Aber kaum sind wir drei Tage in Berlin, so langweilen sie Autos, Zoo und Cafés, sie fragen: »Fahren wir nicht bald wieder nach Haus? Es ist so langweilig in Berlin!«
In Mahlendorf gibt es keine Langeweile. Kein Sommerferientag ist zu lang: Die Kinder finden ihre Beschäftigung. Sie spielen zwischen Torfmull, Kompost und Holz, jagen sich im Obstgarten, verstecken sich auf dem Heuboden, spüren Eier verlegenden Hühnern nach, rudern auf dem See, schwimmen im See, spielen mit dem Hund, rennen ins Dorf – Berlin? Ach was, Berlin! Mahlendorf!!!
Ich habe eben wieder einmal Glück gehabt, grade als ich auf der Kippe stand. Ich habe schlecht gekauft? Ich hätte nicht besser kaufen können!