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25.IX.44

Der nächste Morgen kam, es war der Sonnabend vor dem schönen Osterfest, und die Mutter hatte mit Kochen und Backen vielerlei zu tun. So gingen Vater und Sohn selbander aus, wieder an die Spree, und zwischen sich ließen sie den Teddy mitgehen, ein wunderbares unverwüstliches Tier, das ich noch in den »ärmlichen« Zeiten meines Hausstandes für dreiunddreißig Mark erstanden hatte, zum Entsetzen meiner Frau. Der Teddy bleckte so schön seine rote Zunge, und seine Freude am sonnigen Frühjahrshimmel und den schon wieder eifrig fahrenden Schiffen schien eben so lebhaft wie die meines Knaben. Eine Weile vergnügten wir uns nur mit Schauen, dann gingen wir zu aktiveren Spielen über und durchstöberten eine kleine Schilfwildnis, aus der Vögel, unwillig über die Störung tschilpend, aufflatterten. Den Teddy hatten wir so lange abgesetzt auf einem Maulwurfshaufen. Wir waren noch beim Stöbern, da standen plötzlich vor uns zwei Gestalten in jenen braunen Hemden, die ich damals schon nicht gerne sah und an deren Anblick ich mich bis heute noch nicht gewöhnt habe. In der Hand hielt jede der Gestalten eine Pistole, die unmißverständlich auf mich gerichtet war. »Nanu!« dachte ich. »Sind Sie der Fallada?« wurde ich gefragt. Der Sprecher sagte aber nicht Fallada mit dem Ton auf erster Silbe, wie ich es liebe, denn das kann wie ein triumphierender Trompetenstoß klingen, sondern er sprach es Falláda, was immer nach einem Menschen klingt, der gleich fallen und auf der Nase liegen wird. Recht hatte er ja eigentlich, denn ich würde gleich fallen, aus all meinen schönen Osterfestträumen zum mindesten, aber auf der Nase würde ich deswegen doch nicht liegen! »Der bin ich!« sprach ich, faßte die Hand meines kleinen Sohnes fester und fand diesen ganzen Aufwand angesichts meines friedfertigen Charakters reichlich theatralisch. »Dann kommen Sie mit!« wurde mir barsch gesagt. »Und denken Sie an keinen Fluchtversuch, wir schießen sofort.«

»Ich darf vielleicht erst unseren Teddy holen?« fragte ich freundlich, und schweigend duldeten es die beiden Finsteren, daß wir den Teddy von seinem Maulwurfshaufen fortnahmen. So marschierten wir durch den aufsteigenden Garten der Villa zu: mein Sohn und ich, zwischen uns den Teddy, und die beiden Braunhemden mit gezückten Pistolen. Ich fand, ich verdarb ihnen ihren theatralischen Aufzug gewaltig, aber sie merkten nicht das Geringste davon, noch nie haben Menschen so wenig Sinn für Humor gehabt wie Herr Hitler und sein gesamter Anhang bis in die fernsten Ausläufer. Ihnen war alles blutiger Ernst, und das ist es ja dann auch bis in den letzten Sinn des Wortes geworden.

Im Übrigen machte ich mir über diesen Morgenbesuch nicht viel Gedanken. Das war wahrscheinlich wieder einmal eine der jetzt so beliebten Nachsuchen nach Waffen oder kommunistischen Schriften – sie sollten gerne bei mir suchen, ich war sicher, sie würden nichts bei mir finden. (Ich unschuldsvoller Engel ahnte damals noch nicht, daß man sich auch mitbringen kann, was man finden will, ein durchaus sicheres Mittel, Mißliebige unter allen Umständen zu erledigen. Aber bei mir ging es an jenem Tage nicht um solche Dinge. Die Politik war ferne, und die Geldinteressen überwogen, aber das sollte ich noch zu seiner Zeit erfahren!)

Ich fand das stille Haus am Dorfende in der lebhaftesten Bewegung. Es wimmelte nur so von SA-Leuten, zwanzig, fünfundzwanzig von diesen Herren hatten mich zum mindesten beehrt, unter ihnen auch ein großer Mann mit irgendwelchen Abzeichen in Gold. War es ein Standartenführer? Ein Rottenführer? Ein Scharführer? Ich ahne es nicht, bis heute habe ich mein Hirn noch nicht mit der Erkundung all dieser Uniformspielereien, in denen sich das neue Deutschland seit 1933 ausgetobt hat, belastet. Ich möchte ohne Abzeichen und Ehrenauszeichnungen sterben; wenn ich sehr alt werden sollte, können sie mich am Brandenburger Tor in Berlin ausstellen und anschlagen: »Dies ist der einzige Deutsche, der nie einen Orden oder Ehrenzeichen erhalten hat, der nie einen Rang oder Titel erworben, der nie einen Preis erhielt und nie einem Verein angehörte.« In diesem Punkte bin ich bestimmt sehr undeutsch.

Also ein höherer SA-Führer war auch aktiv, was aber meinem Herzen wohl tat, es war auch ein braver Landjäger dabei, in der vertrauten grünen Uniform und mit einem Tschako. Es war nämlich damals kürzlich eine Verordnung des Herrn Göring herausgekommen, daß Haussuchungen und Verhaftungen von nun an nicht mehr von Gliederungen der Partei allein vorgenommen werden durften, sondern daß stets ein Beamter der Polizei dabei sein mußte. Die Übergriffe und Brutalitäten nämlich, die sich die Herren von der Partei Gegnern gegenüber erlaubt hatten, waren wie Gestank zum Himmel emporgestiegen, und zu jener ersten Zeit waren sogar manche Parteinasen noch empfindlich gegen allzu argen Gestank. Diese Empfindlichkeit gab sich allerdings rasch. Die Herrschaften sahen bald ein, daß sie sich dem deutschen Volk gegenüber einfach alles erlauben konnten, es war eben schon gar zu geduldig!

Der Anblick eines Gendarmen gab mir also – in Erinnerung jener Verordnung – ein gewisses Gefühl der Sicherheit: es würde doch wenigstens einigermaßen »legal« zugehen. (Binnen jetzt und zwei Stunden würde ich erfahren, wie es mit dieser »Legalität« aussah.) Der Gendarm sagte zu mir ganz höflich: »Wir müssen eine Haussuchung bei Ihnen abhalten, Herr Fallada, es liegt eine Anzeige gegen Sie vor. Geben Sie mir Ihre Schlüssel!«

»Bitte sehr!« antwortete ich und gab sie ihm. Ich war beruhigt über den höflichen Ton, hütete mich aber, nach dem Inhalt der Anzeige zu fragen. »Wer viel fragt, bekommt viel Antwort« oder gar keine, und das gilt besonders in dem Umgang mit Gerichtspersonen und allem, was mit ihnen zusammenhängt.

Wir gingen in das Haus hinein, ein stattlicher Aufmarsch, mein kleiner Sohn, der mucksmäuschenstill mit großen blauen Augen allen Vorgängen gefolgt war, und der Teddy noch immer an meiner Hand.

Einen Augenblick sah im Erdgeschoß Frau Sponar aus einer Tür hinaus, die Augen dieser bösen Frau glühten, ich hatte ein ungemütliches Gefühl, als sie mich so ansah. Und mit diesem Gefühl hatte ich, ohne es noch zu wissen, recht: sie glaubte, mich zum letzten Mal in ihrem Leben zu sehen. Wir stiegen die Treppe hinauf, und in der Küche sah ich meine Frau wirtschaften, sie war ein wenig bleich, aber das Geschirr, mit dem sie wirtschaftete, klirrte nicht. Ich schickte ihr den Jungen hinein, der Gendarm sagte: »Es ist Ihnen verboten, mit Ihrer Frau oder sonst irgend jemandem vorläufig in Verbindung zu treten.« Ich neigte den Kopf. »Und nun zeigen Sie uns zuerst, wo Sie Ihre Briefschaften aufbewahren!« Ich tat es.

Ich bin immer stolz auf die Ordnung gewesen, in der ich meine Privat-Angelegenheiten gehalten habe, meine doppelte Buchführung würde keinem bilanzsicheren Buchhalter zu Schande gereichen, und meine Korrespondenz ist schön übersichtlich alphabetisch nach Empfängern in Ordnern gesammelt. Ich schloß den Schrank mit ihr auf. Die erste Mappe, die sie herausnahmen, war nicht die mit dem A, sondern die mit dem S. ›Aha!‹ dachte ich. ›Dieser Besuch in der Morgenstunde hängt mit Herrn von Salomon zusammen! Wer weiß, was dieser Abenteurer mit dem so kommunistischen Bruder wieder ausgefressen hat, und mich bringt er dadurch auch ins Gedränge!‹

Aber sie fanden nicht einen Brief von oder an Herrn von Salomon, der war nur eine Plauderbekanntschaft.

Aber das entmutigte sie nicht, wenn es sie im ersten Augenblick auch enttäuschte. Sie gingen Mappe für Mappe durch, und als sie damit fertig waren, nahmen sie meine Bücher vor. Jedes Buch wurde gründlich durchgeschüttelt, sehr zum Schaden der Bucheinbände. Da ich damals noch nicht sehr viele aber doch schon eine ganze Reihe von Büchern hatte, dauerte das eine ganze Weile. Ab und zu liefen sie zu ihrem goldgeschmückten Führer und zeigten ihm ein Buch, das ihnen besonders auffiel, etwa das Erinnerungsbuch von Max Hölz: »Vom weißen Kreuz zur roten Fahne« oder Marx’ »Kapital« oder das Heft »Radikaler Geist«. Aber der Führer schüttelte den Kopf: solche Kleinigkeiten interessierten ihn nicht, es ging ihm um Größeres. Mit Recht nahm ich das für ein schlechtes Zeichen – dieser verdammte Herr von Salomon, sicher hatte er wieder irgendeinen kleinen Putsch in Vorbereitung, war überwacht gewesen und so sein Besuch bei mir entdeckt worden. Nun, immerhin, bei mir würden sie nichts finden! Übrigens beteiligte sich der Gendarm nicht an dieser Haussuchung, er sah nur, ziemlich gelangweilt, zu und ließ die Braunhemden allein toben. Als einziges Ergebnis der einstündigen Untersuchung legten sie mir schließlich einen Zettel vor, den sie in meiner Arbeitsmappe zum »Blechnapf« gefunden hatten. Auf dem Zettel stand neben einer kleinen Zeichnung das Wort »Maschinengewehr«.

»Was haben Sie mit einem Maschinengewehr zu tun?« wurde ich gefragt. »Und was soll diese Zeichnung bedeuten?« Alle hatten sich um mich versammelt und hörten gespannt zu. Auf ihren Gesichtern lag Schadenfreude und Neugier, sie glaubten schon, sie hätten mich. »Meine Herren«, sagte ich lächelnd, »ich arbeite, wie Sie aus der Manuskriptmappe da sehen können, an einem Roman über das Schicksal der Strafgefangenen. Dafür habe ich manches Material über das Leben in den Gefängnissen gesammelt. Dazu gehört auch dieses ›Maschinengewehr‹. Dieses Maschinengewehr ist gar kein Maschinengewehr, sondern es sind, wie Sie aus der Zeichnung sehen können, acht Gefangene, die einen neunten, der sich etwa durch Klauerei mißliebig gemacht hat, in eine Decke gehüllt haben und nun auf eine besondere Art verprügeln wollen. So etwas nennt man im Kittchen Maschinengewehr …« Ich sah sie strahlend an. Aber ich begegnete in ihren Gesichtern nur offenem Unglauben, und ihr Führer fuhr mich wütend an: »Das sind ja alles faule Ausreden! Mit solchen Lügen können Sie uns doch nicht dumm machen! Gestehen Sie auf der Stelle, wo Sie das Maschinengewehr vergraben haben, oder ich ziehe andere Saiten auf. Ich fange mit Ihnen das Schwerste an, Mann!« Er sah mich drohend an. Mir fiel schwer auf ’s Herz, daß ich kein Beweismittel mehr besaß, wenn diese Herren nicht glauben wollten. Ich war ganz in ihre Hand gegeben, meine Unschuld interessierte sie nicht, da sie mich für schuldig halten wollten. In diesem Augenblick der Not kam nun Hilfe von da, wo ich sie am wenigsten erwartet hätte: von einem derben, schlägerhaft aussehenden Mann im brauen Hemd. »Doch«, rief er. »Das stimmt. Wir haben selber mal einen im Schlafsaal so vertrimmt, da sagten wir auch Maschinengewehr dazu …« Er brach ab, auf einen Blick seines Führers hin. Der fand es wohl nicht ganz richtig, das Vorleben eines braven SA-Kämpfers in Gegenwart eines solchen Außenseiters wie ich zu erörtern. »Es ist gut«, sagte der Führer dann mürrisch und schob den Zettel in den Aufschlag seines Uniformärmels zu eventueller weiterer Verwendung. »Ich werde diese Sache noch später überprüfen. Jetzt werden wir erst die anderen Räume durchsuchen.« Sie taten es gründlich, aber nicht mit übermäßiger Geschicklichkeit. Mit einigem Vergnügen stellte ich fest, daß ein Hausbesuch, den wir hatten, eine jüdische Dame, ohne allzu große Mühe sich den Herren von Zimmer zu Zimmer entziehen konnte; sie bekamen sie überhaupt nicht zu Gesicht, obwohl meine paar Zimmer doch eigentlich von SA wimmelten. Einmal sah ich die Dame in einem Winkel auf dem Balkon sitzen. Ich nickte ihr mit den Augen zu, und sie nickte lächelnd zurück: ich war doch froh, daß sie nicht entdeckt wurde, ihretwegen und auch ein wenig meinetwegen. Eine Jüdin im Hause wäre doch wieder eine zusätzliche Belastung gewesen.

Auch die Durchsuchung der übrigen Räume gab nicht das geringste Belastende: in mürrischem Schweigen wurde auf den Boden gestiegen und dort eine Durchsuchung unserer leeren Koffer und Kisten vorgenommen. Ich stand an dem einen Bodenfenster, am nächsten standen der SA-Führer und der Gendarm im Gespräch. Plötzlich hörte ich den Gendarm entschieden sagen: »Es hat sich nicht der geringste Anhalt ergeben. Ich kann den Mann nicht verhaften.«

Der Führer sagte hitzig: »Aber es ist so – wir haben die bestimmtesten Nachrichten. Sie müssen ihn festnehmen.«

Der Gendarm stülpte sich den Tschako auf den Schädel und zog an seinem Koppel. »Ich kann es nicht und ich tue es nicht«, sagte er wieder mit Entschiedenheit. »Dann nehme ich ihn eben fest!« rief der SA-Führer giftig. »Tun Sie, was Sie wollen. Aber ich habe damit nichts zu tun!« antwortete der Gendarm und verließ den Bodenraum. Mit ihm ging die »Legalität« aus dem Hause, so also sah es mit der Befolgung der Göringschen Verordnungen aus! Bis zu dieser Minute hatte ich das Ganze noch für ein etwas lästiges, aber doch auch belustigendes Spiel angesehen: die Brüder konnten mir gar nichts wollen! Ich war unschuldig. Jetzt begriff ich, daß es darauf gar nicht ankam, wenn sie mir ernstlich an den Kragen wollten. Ich begriff, daß ich wirklich in Gefahr war, und daß es für mich besser sein würde, das Ganze nicht als eine »Lappalie« anzusehen. Ich würde vielleicht all meine Kraft und meinen Mut brauchen, um heil aus dieser Affäre herauszukommen!

Ich wurde in mein Arbeitszimmer zurückgeführt und dort unter der Bewachung von zwei SA-Leuten zurückgelassen, die übrigen, auch der Führer, zogen ab. Wenn ich aus dem Fenster schaute, sah ich aber, daß auch an der Gartenpforte zur Straße ein SA-Posten stand. Wahrscheinlich würde auch hinter dem Hause, nach der Spree zu, solch ein Posten stehen. Ich schien ihnen wirklich sehr kostbar zu sein. Ich horchte in das Haus: alles war totenstill. Dieses Warten war qualvoll. Was hatten sie mit mir vor? Warum ließen sie mich hier? Ich sah in die Gesichter meiner beiden Bewacher und zog es vor, sie nicht zu befragen. Es waren die rohen Schlägergesichter von Männern, die in hundert Saalschlachten den Worten ihres Führers mit Schlagring und Stuhlbein Nachdruck verliehen hatten, es waren die gemeinen Gesichter bedenkenloser Männer, die auf ein Wort hier jeden Schädel zerschlagen hätten. Ich habe immer gefunden, daß dieses typische SA-Gesicht, dessen Hochkommen wir nach der Machtergreifung erlebten, am stärksten ausgeprägt in der Visage des Gauleiters Streicher war, dieses intimen Freundes des Führers, der das antisemitische Blatt »Der Stürmer« herausgab, ein so schmutziges Blatt, wie kein Intimitätenblatt je schmutzig gewesen ist. Wenn ich je diesen Mann auf einem Bilde sah, stieg der Haß in mir auf, ein Haß, der wahrhaftig nichts mit Politik zu tun hatte. Sondern diese kleinen Augen, die niedrige Stirn, das überentwickelte Kinn, und vor allem dieser Nacken mit seinen sechs, sieben Speckfalten – das charakterisierte so das Böse, den Ungeist, daß ich diesen Mann bei mir den »Henker«getauft hatte. Solche Visagen hatten auch meine beiden Bewacher, Leute, denen man es ohne Weiteres zutrauen konnte, daß sie ein Kind bei den Beinen faßten und mit dem Kopf gegen den Kühler ihres Autos schlugen, bis es tot war. (Das haben mir später Augenzeugen von des Führers Leibgarde, der SS erzählt, von dieser Elite-Formation, die auf solche Weise die Judenfrage löste!)

Zwei, drei Stunden verstrichen über diesem Warten. Ich verstand es nicht. Später habe ich erfahren, daß die SA Schwierigkeiten gehabt hatte, für meinen Abtransport einen geeigneten Wagen aufzutreiben. Schließlich fuhr er aber doch vor, der älteste Wagen, in dem ich je gefahren bin, ein devastiertes, rumpelndes Gefährt von anno dazumal, das noch nicht einmal einen Starter hatte, sondern von vorn angekurbelt wurde. In dieses Gefährt, dessen Polster vollständig zerfetzt waren, wurde ich zwischen zwei SA-Leute gezwängt, vorn saß der Führer, der selbst chauffierte, mit einem weiteren SA-Mann. Wir fuhren los, in Richtung nach Berlin. Ich sah nach dem Haus zurück. Es war ein schöner Frühlingstag. Die Sonne spiegelte sich in den Scheiben, wenn ein Gesicht mir nachschaute, ich sah es nicht. Ich wagte nicht zu winken. Aber ich sah wohl, daß der Posten an der Gartentür auch nach meiner Abfahrt nicht eingezogen war, er wanderte weiter auf der Straße hin und her – bewachten sie nun auch meine Frau? Das Herz wurde mir schwer.

Wir klapperten durch das Dorf, fuhren dann zwischen Feldern und kamen in den Wald, monotonen, dürren, jungen Kiefernwald, der bezeichnend für diese sandige Gegend ist, eigentlich nur dünne Stangen mit etwas Grünem oben drauf.

Der Führer war jetzt merkwürdig höflich zu mir, immer wieder wandte er sich zurück (der Wagen hatte übrigens ein Stundentempo von höchstens zwanzig Kilometern), er forderte mich auf, doch zu rauchen und erkundigte sich sogar, ob wir nicht zu eng säßen. Sein so verändertes Wesen machte mich stutzig. In seiner Freundlichkeit lag soviel Gezwungenes, ja, etwas, das fast wie Angst war, jedenfalls war der Mann sehr aufgeregt. Ich war sehr auf meiner Hut, ich fühlte: er hat etwas vor. Vielleicht ist die Entscheidung ganz nahe.

Plötzlich hielt der Wagen, mitten im dürren Walde, die Straße war ganz leer. Die beiden SA-Leute stiegen aus, auch vorne die beiden stiegen aus. Ich blieb sitzen. Ich sah zu, wie die vier an den Chausseerand traten und ihr Geschäft verrichteten. Dann blieben sie da stehen, zündeten sich Zigaretten an, sprachen leise miteinander, einer rückte an seinem Koppel, schob die Pistolentasche mehr nach vorn. Meine Unruhe stieg von Sekunde zu Sekunde … Der Führer ging über die Straße auf mich zu. Seine Stimme klang merkwürdig leise und erregt, als er sagte: »Wenn Sie vielleicht austreten möchten? Bitte sehr!« Sein Gesicht sah sehr bleich aus. Er sagte weiter an: »Wir werden noch eine ganze Weile fahren müssen, und diese olle Kaffeemühle schafft ja nichts!« Er versuchte zu lachen.

Ich sagte kühl: »Danke vielmals. Ich brauche nicht auszutreten. Danke wirklich.«

Er bestand darauf: »Nein, nein, erledigen Sie das bitte lieber jetzt. Nachher soll ich in einem Augenblick halten, wo es gar nicht paßt. Diese Kaffeemühle ist schwer wieder in Gang zu bringen. Also bitte sehr!« Das klang schon mehr wie ein Befehl.

Aber während er so sprach, hatte ich immer die Überschrift einer vor kurzem gelesenen Zeitung vor Augen: »Auf der Flucht erschossen«. Wie gut das paßte: die stille Straße, der gleichförmige einsame Wald – sie würden mich meiner Frau ins Haus bringen: »Auf der Flucht erschossen. Tut uns leid, daß er so töricht war …« Nein, sie würden ihr einfach meine Sachen schicken, mit dem Vermerk: »Auf der Flucht erschossen!« Bedauern unnötig.

Ich sagte kühl: »Ich danke wirklich! Ich muß nicht austreten, ich halte es noch Stunden aus!« Sein Gesicht rötete sich vor Zorn. Er sah zu seinen Leuten hinüber, die verstummt waren und zu uns hin sahen, die Zigarette im Munde. »Also machen Sie jetzt keine Geschichten!« sagte er grob. »Sie treten jetzt aus, ich befehle es Ihnen. Ich will keine Scherereien mit Ihnen haben!«

Ich sah ihn fest an. »Und ich steige nicht aus diesem Wagen!« rief ich dann und klammerte mich mit den Händen in die Polster. Ich schrie ihm ins Gesicht: »Sie werden mich nicht auf der Flucht erschießen! Wenn Sie mich erschießen wollen, müssen Sie mich schon in Ihrem Wagen erschießen! Und wenn die Polster noch so zerfetzt sind, man wird es doch sehen!«

Einen Augenblick sahen wir uns beide stumm an. Sein Gesicht war schneeweiß, wie wohl auch das meine. Plötzlich wandte er sich scharf um und rief zu seinen Leuten hinüber: »Ihr da, kommt mal her!« Ich klammerte mich noch fester, ich zitterte an allen Gliedern. »Sie sollen mich nicht hinausschleppen«, dachte ich. »Nur im Wagen sollen sie mich erschießen!« All mein Wille war nur darauf konzentriert, im Wagen erschossen zu werden, das wollte ich. Daß ich erschossen werden würde, das interessierte mich im Augenblick kaum noch.

Langsam kamen die Leute über die Landstraße näher, die Zigaretten hingen schief in ihren Mündern, alle Augen sahen auf mich. Die Sekunde der Entscheidung war gekommen. Aber anders fiel diese Entscheidung, als wir alle erwartet hatten. Ganz mit unserer Auseinandersetzung beschäftigt, war ein großer Wagen von Berlin herunter gekommen. Jetzt hielt er bereits und unser guter Arzt rief mir vom Fenster aus zu: »Aber, Herr Fallada, was machen wir denn hier auf der Landstraße?«

»Oh«, sagte ich, »ich fahre mit den Herren nach Fürstenwalde aufs Gericht. Grüßen Sie bitte meine Frau und sagen Sie ihr, es gehe mir gut.«

»Schön, schön«, sagte der Arzt. »Ich will es ausrichten. Gute Fahrt dann!« Aber er gab seinem Chauffeur keine Anweisung, weiter zu fahren. Er blieb stehen. Meine Eskorte hatte einander Blicke zugeworfen. Nun hatten sie sich entschlossen, sie stiegen wieder ein. Der letzte drehte die Kurbel, warf den Wagen an. Wir starteten, von dem dürren Platz, an dem ich hatte sterben sollen, fuhren wir fort. Ich hatte das sichere Gefühl, daß ich fürs Erste gerettet war. Schon die mürrischen, unzufriedenen Gesichter meiner Begleiter verrieten mir das. Und dann, wenn ich den Kopf vorsichtig wandte, sah ich den großen Wagen des Arztes, der unserem Schneckentempo folgte. Er war nicht weiter gefahren, der Gute – oh, man wußte es damals in deutschen Landen, was solch ein Wagen mit SA – ein Zivilist dazwischen, bedeutete!

Wir fuhren in das Städtchen Fürstenwalde ein. Es ist nur ein kleines ärmliches märkisches Städtchen mit einem erbärmlichen Kopfsteinpflaster, aber ich begrüßte es wie die hochgebaute Stadt Zion, die Stadt des Erlösers: der schlichteste Bürger, die spielenden Kinder auf der Straße, alles verstärkte mein Gefühl von Sicherheit. Die schwerste Gefahr war erst einmal überwunden, auf der offenen Straße legten selbst die Nationalsozialisten damals ihre Gegner noch nicht um.

Wir hielten vor der Polizeiwache, in der mein Führer mit ein paar seiner Trabanten verschwand. Wir mußten lange warten, auch diesmal schien es mit mir nicht alles ganz glatt zu gehen. Es ging wirklich nicht glatt: wenn seine eigene SA auch Göringsche Anordnungen nicht befolgte, andere taten es. Nach einer Weile erschien mein Führer wieder mit einem blau uniformierten Stadtsoldaten, zeigte auf mich und sagte: »Das ist er. Nehmen Sie ihn in Schutzhaft.«

»Das tue ich nicht«, sagte der Stadtpolizist störrisch. »Ohne Papiere tue ich das nicht.«

»Aber ich sage Ihnen doch, ich besorge Ihnen die Papiere! Ich kann den Mann doch nicht so lange frei herumlaufen lassen! Der wird nicht auf mich warten! Also los!«

»Erst die Papiere!« war die Antwort. »Ohne Papiere können wir hier keinen reinnehmen.« Der Mann blieb unerschütterlich. »Himmelarschundwolkenbruch!« fluchte der Führer zornig. Und besann sich, ein Ausweg war ihm eingefallen. »Also kommen Sie rein. Ich will Ihnen selbst die Papiere ausstellen.«

Sie verschwanden, und diesmal waren die Verhandlungen erfolgreich. Als sie wieder erschienen, brummte der Blau-Uniformierte: »Also, kommen Sie mit.« Ehe ich ihm folgte, warf ich noch einen Blick auf die braun Gehemdeten. Das mehrstündige Zusammensein mit ihnen hatte meine Sympathien für sie nicht verstärkt. Ich hatte den allerdringendsten Wunsch, mit sowas nicht so bald in meinem Leben wieder in Berührung zu kommen, am liebsten überhaupt nicht.

Die Zelle, in die ich gebracht wurde, war das allergemeinste, allerschweinischste Loch, in dem ich in meinem Leben je gewesen bin. Ich meine hier nicht einmal so die Unflätereien, mit denen die ehemals geweißt gewesenen Zellenwände von oben bis unten bedeckt waren, teils mit Bleistift gekritzelt, teils mit einem Nagel in den Kalk der Wand gekratzt. Sondern ich meine die allerprimitivste Sauberkeit. Der Strohsack, der völlig zerlumpt war, das Stroh, das faulig und gedrückt aus ihm hervorkroch, der verdreckte, mit Schmutzbrocken bedeckte Boden, all das legte ein deutliches Zeichen dafür ab, daß in der Verwaltung der guten Stadt Fürstenwalde auch im Dritten Reich etwas nicht stimmte. Als ich den Strohsack mit zwei Fingern etwas anhob, entdeckte ich Scharen von Wanzen und nun, aufmerksam geworden, sah ich ihre Spuren überall an den Wänden, in der Nähe des Bettes, breite braunrote Blutplacken oder breit geschmierte zerdrückte Wanzenleichen mit ihren spitz verlaufenden Blutbahnen hinter sich. Das Schlimmste aber an diesem ekelhaften Ort war der Kübel in der Ecke, der defekt und lange nicht geleert, eine breite Schmutzpfütze aus Kot und altem Urin um sich hatte. Obwohl die meisten Scheiben in dem hoch angebrachten Zellenfenster zerbrochen waren, war die ganze Zelle dick von diesem infernalischen Gestank erfüllt, der jedes Atmen zur Qual machte. Ja, man ekelte sich zu atmen, es war einem widerwärtig, diesen unsauberen Gestank auch nur für einen Atemzug in den eigenen Körper zu lassen. Man konnte nicht sitzen und nicht liegen, eigentlich konnte man nicht hin und her gehen, nur ein kleiner Fleck war so weit sauber, daß man wenigstens auf ihm stehen mochte.

Und es ist seltsam zu sagen: ich war eben erst einem fast sicheren Tode entronnen, ich befand mich in gewissem Maße geborgen, aber die Empörung über den Saustall, in den man mich gesteckt hatte, überwog alles. Ich war auf meine Braunhemden, die mich doch hatten umbringen wollen, nicht annähernd so wütend gewesen wie auf den Blau-Uniformierten, der mich in dieses Loch gesteckt hatte. Ich war ein Schutzhaftgefangener, und mir wagte man es, eine solche Pennerzelle zu bieten, ein Loch für unsauberes Gesindel! Wußten die Kerls denn gar nicht mehr, was Recht in Deutschland war?! Dann war es aber die höchste Zeit, daß ich es ihnen beibrachte! Und ich fing an, abwechselnd mit den Händen und mit den Hacken gegen die eisenbeschlagene Tür zu trommeln. Es hallte dumpf im Gang wider, eine andere Wirkung tat es aber nicht. In Abständen trommelte ich weiter, dazwischen brüllte ich, aber niemand kam. Das verwunderte mich aber nicht: ich wußte, was für eiserne Nerven Polizeibeamte haben können, die eine Nacht lang auf der Pritsche in Bereitschaft liegen und schlafen, während in der Zelle nebenan ein eben sistierter Betrunkener wütend deliriert, oder gar ein vom Alkohol wild gewordenes Weib seine Zoten herausgellt. Ich konnte es mir also ganz gut vorstellen, daß mein Blaugerockter in seiner Wachtstube da vorne bei all meinem Getobe ein ruhiges Nachmittagsschläfchen abhielt, zumal dies der erste wirklich schöne warme Frühlings-Nachmittag war. Ich hämmerte und schrie deswegen aber ruhig weiter: es war doch auch ein gewisser Zeitvertreib.

Ich war wieder einmal gerade im besten Hämmern und Johlen, als plötzlich die Zellentür überraschend aufging, und ein Blau-Uniformierter vor mir stand. Es war aber ein anderer als der vom Mittag. »Was machen Sie denn für einen Krach?« fragte er gemäßigt und gnädig und ohne jedes wirkliche Interesse. »Ich verlange erstens eine anständige Zelle und nicht solch ein Scheißloch!« schrie ich wütend. »Zweitens verlange ich ein Mittagessen! Ich bin Schutzhaftgefangener und habe ein Recht das zu verlangen!«

»Na, dann seien Sie man froh, daß Sie so ’n Recht haben!« antwortete er, schmiß die Tür wieder zu und schob die Riegel vor. Über mein neuerliches Wutgebrüll hörte ich ihn ganz gemütlich auf dem Gang kichern.

Die Stunden schlichen nur so dahin, teils dem Studium der Pornographie an den Wänden, teils neuerlichem Gelärm gewidmet – ich mußte mich ja irgendwie beschäftigen! Ich hätte gerne einmal zum Fenster hinausgesehen und ein wenig frische Luft geschöpft nach diesem widerlichen Gestank. Aber um mich am Fenster hoch zu ziehen, mußte ich mit der Wand in Berührung kommen, und das zu tun, ekelte mich doch zu sehr. Immerhin war ich fest davon überzeugt, daß sie noch vor der Nacht noch irgendetwas mit mir aufstellen würden, damals schien mir ganz unmöglich, daß sie es wagen würden, mich die ganze Nacht über in diesem Loch sitzen, nein, stehen zu lassen. Schließlich lebten wir doch in einem Rechtsstaat, und eine solche Gemeinheit würde ihnen ziemlich teuer zu stehen kommen. Ich Kind ahnte es damals noch nicht, daß Deutschland seit diesem Januar 1933 aufgehört hatte, ein Rechtsstaat zu sein, daß es ein reiner Willkürstaat war, in dem nur recht war, was die Herren taten. Aber dieses Mal trog mich meine Ahnung doch nicht, es dämmerte schon, da öffnete sich meine Zellentür wieder. »Kommen Sie mit!« sagte er und führte mich in die Wachtstube, dort übergab er mich einem Grau-Uniformierten mit den Worten: »Das ist der Mann«, drehte sich um und sofort war ich seinem Bewußtsein für immer entschwunden. »Kommen Sie mit!« sagte auch der Grau-Uniformierte, ich dachte: »Bin mal neugierig, wohin Dich nun dein Schicksal verschlägt« und folgte ihm. Wir gingen aber nur ein paar Schritte weit, über die Straße, auf ein rotes Gebäude zu, das die Aufschrift trug: »Amtsgericht«. »Aha!« dachte ich. »Gerichtsgefängnis – bei dem Tausch verliere ich jedenfalls nichts!« Es ging hinein in das Amtsgericht, hinein in ein Büro, in dem ein älterer verstaubter Mann saß, der an seinem Federhalter kaute und um den Kopf herum gerupft aussah. »Das ist der Mann«, sagte mein Führer, der Verkehr hier schien mit sehr wenig Redewendungen auszukommen. Der Schreiber warf einen schiefen Blick auf mich, suchte lange in einem dicken Stoß von Akten, entschloß sich schließlich aber doch, ein direkt vor ihm liegendes Blatt Papier zu nehmen. »Da!« sagte er.

Ich entfaltete das Schreiben. Es stammte von dem Landrat des Kreises Lebus und teilte mir in einem Satz mit, daß er die Schutzhaft über mich verhängt habe, da ich an einer »Verschwörung gegen die Person des Führers« beteiligt sei.

»Ich protestiere!« sagte ich lebhaft. »Das ist doch vollkommener Unsinn! Nie habe ich mich an einer Verschwörung beteiligt, und nun gar gegen die Person des Führers! Ich bin überhaupt ganz unpolitisch …«

»Das geht uns nichts an«, sagte der Schreiber gleichmütig und kratzte sich im Ohr. »Wir führen hier nur die Schutzhaft durch. Sonst noch was?«

»Dann möchte ich mich sofort mit meinem Anwalt in Verbindung setzen!« sagte ich. »Sie können ihm schreiben«, antwortete der Schreiber und reichte mir ein Briefblatt mit einem Umschlag. »Sonst noch was?«

»Meiner Frau möchte ich auch schreiben.« Ich bekam eine zweite Ladung. »Sonst noch was?«

»Ich weiß im Augenblick nicht …«, sagte ich zögernd.

»Sie können sich«, sagte der Mann und sah mich plötzlich voll an, »als Schutzhaftgefangener selbst beköstigen, das heißt Sie können sich Ihr Mittag- und Ihr Abendessen aus einem Gasthof holen lassen.« Er sah mich noch einmal an. Dann sagte er rasch: »Falls Sie nämlich eigenes Geld haben sollten!«

»Das habe ich!« rief ich und packte aus. »Wachtmeister, dem Mann wird das Essen regelmäßig aus dem Armen Ritter am Markt geholt. – Sonst noch was?«

Ich wußte im Augenblick wirklich nichts mehr, wenigstens nichts, was der Sekretär mir erfüllen konnte. »Wachtmeister, führen Sie den Mann in seine Zelle!« Gottlob war es, wie ich im letzten Dämmerlicht noch feststellen konnte, eine saubere Zelle, sie war auch, wie ich nach der ersten dort verbrachten Nacht wußte, wanzenfrei. Ich war schon früh wach, ich baute mein Bett und schrieb meine beiden Briefe. Den Anwalt bat ich nur, mich zu besuchen; in dem Brief an meine Frau stand außer der gleichen Bitte noch einiges mehr, alles, was ich unter den gegebenen Umständen eben sagen konnte. Ich sah sie vor mir, sie hatte jetzt keine guten Tage, sie erwartete ein Kind, sie erwartete sogar Zwillinge, wie wir wußten, das machte ihr viel Beschwerden. Und dann sah ich mich fortfahren vom Haus, in diesem klapprigen Auto der SA, und ein Posten blieb vor ihrer Tür zurück. Wie würde sie das alles ertragen – bei ihrem Zustand ertragen? Ein bißchen beruhigte es mich, daß sie über mein Leben wenigstens ruhig sein durfte, der gute Onkel Doktor würde ihr meine Grüße schon gebracht haben! Und dann fiel es mir schwer auf ’s Herz, daß nicht einmal dies sicher war: würde der Posten dann Besucher zu ihr lassen? Was hatte der Posten für einen anderen Sinn als sie zu isolieren? Und ich sah sie da vor mir, allein mit dem Jungen im Hause, das Telefon erst auch gesperrt – und unten nur unsere Wirtsleute, alte Leute, zu Rat und Hilfe. Sponars! Plötzlich fiel mir der vom Haß glühende Blick der Frau Sponar ein, den sie auf mich geworfen, als ich, von SA eskortiert, nach oben gegangen war. Ein unangenehmes Gefühl wollte mich beschleichen. Sponars – hatten sie etwa auch ihre Finger in diesem üblen Handel? Gleich fiel mir der Donnerstag-Nachmittag ein, die Witzchen des Herrn von Salomon – aber es war doch unmöglich! Was sollten Sponars für ein Interesse haben, mich zu schädigen? Sie hatten im Gegenteil jedes Interesse, mir behilflich zu sein, ich hatte ihnen mehr geboten als jeder andere: ein sorgenfreies Alter! Nein, die Sponars würden meiner Frau schon helfen, so weit bei so fremden Leuten eben Hilfe war. Diese Szene vor dem Abendmahl am Karfreitag war wirklich reichlich widerlich gewesen – Suse würde zu solchen Leuten nie volles Vertrauen haben können! Aber immerhin lag jetzt auch in dieser Szene eine gewisse Beruhigung: so heuchlerisch, so verderbt waren diese alten Leute bestimmt nicht, daß sie, den Verrat im Herzen, zu uns gegangen wären, unsere Verzeihung zu erbitten! Unmöglich! Sie hatten es ja gar nicht nötig. Nein, diese ganze Suppe hatte mir dieser ewige Verschwörer und Tollkopf von Salomon eingebrockt! Verschwörung gegen die Person des Führers – das sah ganz nach ihm aus! Aber wieso kam man darauf, daß ich ein Mitverschwörer war? Schließlich konnte man doch nicht alle Personen, die Herr von Salomon in dieser Zeit besuchte, ohne Prüfung als Mitverschwörer verhaften und in Schutzhaft nehmen! Wie ich auch grübelte, ein Rest blieb ungeklärt, und immer wieder sah ich dann, ich mochte mich noch so sehr wehren, den haßerfüllten Blick von Frau Sponar.

So gingen meine Gedanken, und ich war ordentlich froh, als der Wachtmeister endlich aufschloß und mir einen trockenen Kanten und einen Becher Zichorienwasser als Morgenfrühstück hineinreichte. Er nahm meine Briefe in Empfang, warf einen Blick auf mich, dann in die Zelle … der Blick blieb auf dem Bett haften, das vorschriftsmäßig gemacht jetzt an der Wand hochgeklappt war. »Zum erstem Mal sind Sie aber auch nicht im Kittchen«, stellte er fest. »So baut nur ein Alter den Kahn.«

Er hatte leider recht mit seiner Bemerkung, in meinem viel bewegten Leben hatte ich auch dann und wann schon einmal eine Zelle bevölkert. Aber ich ärgerte mich doch ein wenig, daß er es gemerkt hatte. Unterdes war ich ein bekannter Schriftsteller geworden, und die Zeiten meiner Jugendtorheiten lagen weit zurück. Ich antwortete ihm nicht. Er warf wieder einen Blick auf mein Gesicht »Na«, meinte er dann. »Vor dem Mittagessen sehe ich noch rein und erkundige mich, was Sie haben wollen.«

»Irgendeinen Fleischgang mit Suppe und Kompott«, sagte ich. »Und ein großes Glas Bier. Und zwanzig Zigaretten.« (Das Glas Bier – ich liebe Bier eigentlich gar nicht – hatte ich mir bestellt, weil mich Bier immer so schön müde macht. Ich hoffte auf einen ausgiebigen Nachmittagsschlaf. Damit verging die Zeit schneller.)

»Ist gemacht«, antwortete er und ging. Der lange Tag lag vor mir, und ich wußte es aus mancher bitteren Erfahrung, wie unendlich lang und qualvoll solch ein Tag in der Zelle werden kann, wenn man keinerlei Arbeit hat und sich nur seinen Grübeleien überläßt. Die Fähigkeit zu »dösen« besitze ich überhaupt nicht, und meine Schlafbegabung ist auch in normalen Zeiten nur gering. So hatte ich mir denn Arbeit vorgenommen. Gewiß, meine Zelle war sauber aber nach den Großreinemachbegriffen meiner Hamburger Frau war sie ein Dreckstall. Ich hatte mir ausgerechnet, daß mein Anwalt wohl erst in zwei oder drei Tagen zu mir kommen würde, und diese drei Tage hatte ich mir aufgeteilt: vom Fensterputzen und Wändereinigen bis zum Blankputzen. Ich wußte, man konnte an einem Kübeldeckel aus Zink einen ganzen Tag lang putzen, ehe er eine spiegelnde Glätte aufweist, die auch nicht eine stumpfe Stelle von der Größe eines Stecknadelkopfes aufweist. Also frischauf und ans Werk! Zuerst die Fenster –: die Stunden verflogen mir wirklich so rasch, daß ich ganz erstaunt war, als der Wachtmeister aufschloß und mir das Mittagessen in einer Menage des Hotels hereinbrachte.

Gefängnistagebuch 1944

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