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Wie Wizzels Vater die Mutter um einen Zuckerzopfaustrieb und wie sich kein Stand seiner annahm

Als ich ein Jahr alt war, kam mein Vater eines Abends nach seinem Kienverkauf zu uns auf die Kammer. Meine Mutter färbte sich eben für ihren abendlichen Männerfang in den Schenken schön die Wänglein mit Ziegelrot und wusch das weiße Hälselein, indes ich mich in meinem Dreck sühlte. Aus seiner Taschen zog mein Vater einen stattlichen Zopf, aus rotem Zucker geflochten, und sagte sehr liebreich zu mir: »Hier, mein Sohn!« Meine Mutter aber, die auch ein Leckermaul war, faßte rasch zu und hatte das längere Ende vom Zopf zwischen den Zähnen, ehe mein Vater noch husch! sagen konnte. Er sprach böse: »Laß das, Weib!«, denn er zürnte ihr aus vielen Gründen sehr, vor allem aber darum, weil sie mich so in Dreck und Unflat hausen ließ. Doch änderte sein Zorn gar nichts, der mehrste Zucker war schon verschluckt, und so bot er mir wenigstens das Ende vom Zopf. Meine Mutter aber, nicht faul, griff wiederum zu und schleckte alleine.

Da ergrimmte mein Vater in seinem schwersten Grimm, ergriff einen Reiserbesen und hub an, meine Mutter unbarmherzig zu streichen und zu stäupen, daß sie schreiend aus der Kammer fuhr, bei den Nachbarn Hilfe und Unterschlupf zu suchen. Mein Vater aber lief so rasch hinterdrein, daß sie auf die Gasse hinaus mußte, und hier setzte er ihr mit so trefflichen Schlägen, Knüffen und Hieben zu, daß sie immer schneller vor ihm her lief, aus der Gasse in die Straße hinein. Der Vater aber war ein großer und starker Mann und konnte es wohl erzwingen; mit dem Reiserbesen blieb er auf ihren Fersen und schlug wieder und noch einmal, daß ihre Flucht und seine Verfolgung ständig an Schnelligkeit zunahmen. Da blieb manch würdige Bürgerin schreckgebannt stehen ob solch liederlichem Volk, für manchen behäbigen Bürger fiel ein Puff oder Hieb ab, daß er fast in die Straßenwand fuhr vor Angst. Die Gassenjungen aber liefen barfüßig hinterdrein, so schnell sie nur konnten, und was an räudigen, krätzigen, stinkenden, faulen Hunden in der Stadt lebte, fuhr dazwischen, bellend und jachternd.

Indem löste sich das Rockband meiner Mutter, ein Hund schnappte nach dem Ende und zog. Da fiel der Rock zur Erde, und ehe sie ihn noch wieder erraffen konnte, war mein Vater über ihr und servierte ihr eine solche Prügelsuppe, daß sie laut aufschreiend weiterlief. Und jetzt beflügelte nicht nur die Angst, sondern auch die Scham ihre Schritte, denn unter dem Rock war nur ein Hemde gewesen, und wenn der Rock auch prächtig gewesen war, das Hemde war löcherig. So liefen die beiden dahin, schreiend und stäupend, ein Ärgernis für jeden Ehrbaren in der Stadt Schalkemaren. Aber mein Vater war in seinem Zorn über das Weib blind für alles um sich.

Nun aber sah meine Mutter am Ende der Straße das Stadttor und die Scharwache, die sich gerade bereitmachte, das Tor zu schließen, denn die Sonne ging unter. Sie verdoppelte ihre Anstrengungen, denn sie hoffte wohl, draußen Frieden und Zuflucht zu finden, und wischte gerade zwischen den Torflügeln noch hinaus. Da aber war’s erst recht vertan, denn mein Vater stieß so gewaltig in die von der Scharwache, daß sie durcheinanderfielen wie die Kegel, wenn der Neunerwurf getan wird. Er warf das Tor wieder auf und sprang nun frei und ungehemmt hinter ihr drein und gab ihr Schlag auf Schlag, wobei er rief: »Den für die Buhlerei! Den für den Soff! Den für den geschleckten Zuckerzopf! Den für die betrügerische Trauung! Den für das eingebrachte Kind! Den für die gestohlenen Dreier! Den für dein lügenhaft Maul! Den für deinen Zankteufel! Den für den Dreck am Kinde! Und den für seinen Buckel!« Und er hätte diese Litanei wohl immer weitergebetet, bis meine Mutter für tot umgefallen wäre, denn der Zorn machte sein langsam Hirn witzig und seinen Arm nimmermüde, hätte meine Mutter nicht hinter einem Buschwerk ein Feuer erspäht, auf das sie frischweg zugesprungen.

An dem Feuer aber saßen vier oder fünf Marodebrüder, die sich als Atzung ein Rehkitz gefangen, das sie über der Glut schmurgelten. Wie erstaunten, erschraken und erzürnten sich die, als ein fast nacktärschig Weib in ihren Kreis gesprungen kam und gar noch den duftenden Braten ins Feuer stieß. Ehe sie sich aber noch recht besonnen, war auch mein Vater da, dem noch etwas eingefallen war. Denn er versetzte seinem Weib wiederum einen derben Schlag und schrie: »Den für den Grind auf meines Sohnes Schädel!« Da aber waren sie schon über ihn her, und wenn mein Vater auch ein bärenstarker Mann war, vier solch alte Fechtkumpane wurden doch sein Meister, und sie zahlten ihm im Zorn über den verbrannten Braten mit Heller und Pfennig, mit Zins und Zinseszins heim, was er meiner Mutter ausgezahlt. Dann drehten sie ihm die Taschen um, nahmen ihm das Kiengeld und, was ihm bitterer war, die Schnapsflaschen und schickten ihn mit einem gewaltigen Tritt wieder auf die Heimreise, die er, wund an allen Gliedern, ächzend und stöhnend antrat. Meine Mutter aber hatte nicht auf ihn warten wollen, sondern war längst im nächtigen Walde verschwunden.

Während all dies mit meinen Eltern geschah, lag ich arm Kindlein verlassen in der Kammer und brüllte, einesteils wegen des Zuckerzopfes, andernteils wegen des Unflats. Die Nachbaren aber hörten mich wohl schreien, aber keiner traute sich zu mir hinein. Es gibt nämlich in der Stadt Schalkemaren ein Gesetz: Wer zuerst zu einem verlassenen Kindlein hineingeht, der muß es auch aufziehen. Nun meinten die Muhmen und Basen, Kräuterweiblein, Stallknechte, Huren, Wäscherinnen und was alles in unserer Gasse wohnte in ihrem Witz, mein Vater habe seinem Weibe bei dem Auszug soeben gar nicht richtig den Rücken gestrichen, sondern es sei ein listig abgekartetes Spiel zwischen den beiden, auf gute Art von dem Buckel loszukommen und ihn den Nachbaren anzuheften. Also ließen sie mich schreien, tuschelten auf dem Gange und warteten, daß etwa die Spülmagd vom Blauen Hahnen käme, zu fragen, wo denn die Mutter bliebe, die Trinker warteten schon.

Ich schrie weiter, denn keine Spülmagd kam. Statt dessen kam der Herr Pfarr, den ein vorwitzig, rotznäsig Mägdlein von der Gasse hinaufgelockt mit der Lüge, die Kienmichelin sei auf der Treppe gefallen und liege im Sterben. Doch war der Herr Pfarr ein groß erfahrener Mann – als er mich hinter der Tür brällen hörte, schlug er feste mit der Faust dagegen, schreiend: »Kienmichelin, was machst du? Lebst du oder stirbst du?« Ich brüllte verdoppelt auf den Lärm, wohl, weil mir beim Namen der Mutter der rote Zuckerzopf in den Sinn kam, da sprach der Herr Pfarr: »Leute, das könnt ihr nicht machen mit mir!«, riß die lügnerische Botin derbe am Ohr und stieg wieder die Treppe hinab.

Abermals nach einer Weile kam ein Höker mit grünen Heringen die Treppe hinaufgestiegen und verhandelte seine Meertiere von Tür zu Tür. »Die Kienmichelin schläft noch«, sprachen die Nachbarn listig, »klopfe aber nur fest an und tritt ein. Du weißt, Heringe in Brotkrumen und Fett sind ihr Magenschmaus. Sie möchte es dir nicht verzeihen, gingest du ihr vorbei.« Eben wollte der Höker zu uns eintreten, da geriet eine Katze, wild auf Fische, über seinen Heringskorb und rannte mit zweien fort. Er lief der Räuberin nach und kam nicht wieder.

Dann verging eine lange Zeit, und ich brüllte schon schwächer in der Dunkelheit, denn die Kehle war mir wund, da kam der Perückenmacher. Bei dem hatte sich meine Mutter zwei künstliche, lange, blonde Drehlocken bestellt, die, wie sie meinte, sich ausnehmend schön zu ihrem schwarzen Haar machen und ihr neue Kundschaft zuführen müßten. Als der Meister von den Nachbarn erkundet, meine Mutter sei daheim, ging er doch nicht hinein, sondern rief von draußen, er sei mit den Locken da und die Kienmichelin möge ihm das Geld hinausreichen. Von mancher Erfahrung her war der Perückenmacher nämlich gewitzigt und wußte, daß meine Mutter eher bereit war, mit liebreichem Wesen als mit Geld zu bezahlen, und da er die Schwäche seines Fleisches kannte, blieb er draußen. Als nun drinnen nichts geschah und ihm kein Geld hinausgereicht wurde, ging er wieder, auf günstigere Gelegenheit hoffend, heim.

Schließlich, es war schon tiefe Nacht, kam der Magister Ruhsam von seinen lateinischen Büchern auf dem Stadthause heim, ihn hatten die Nachbarn als einen letzten Hoffnungsanker erwartet. Der aber war so versunken in seine Meditationen, daß er weder auf mein nur noch schwaches Gebräll noch auf die Stimmen der Nachbarn hörte, sondern, allen freundlich eine »Bonnox« wünschend, in seine Dachkammer hinaufstieg.

So haben mich nacheinander Geistlichkeit und Gelehrtenstand, ehrsames Handwerk und Kaufmannschaft verschmäht, und diese Geschichte, die mir später berichtet worden, ist mir immer ein Symbolum für mein ganzes Leben gewesen. Denn in all diesen Ständen bin ich nichts geworden, wohl aber hat sich das edle Rittertum meiner erbarmt und zu seinem geehrten Schalksnarren gemacht!

Wizzel Kien

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