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I. Herkunft. Steins Eltern und Geschwister

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Die vom Stein waren seit Jahrhunderten in Nassau ansässig. Sie gehörten seit der Mitte des 12. Jahrhunderts zu den Burgmannen der Grafen von Nassau und lebten ab 1235 sehr lange in einer Burg „auf dem Stein“ an dem der Lahn zugewandten Hang des Berges, auf dessen Spitze noch heute die Reste der Burg Nassau zu sehen sind. In dem Städtchen Nassau am anderen Ufer des Flusses besaßen sie früh einen Hof. Dort ließen sie 1621 einen Herrensitz errichten, ein kleines Schloss im Renaissance-Stil, und übersiedelten dorthin –, ‚der Stein‘ blieb in ihrem Blickfeld. Durch die Generationen hin betrieben sie eine geschickte Erwerbspolitik und brachten im Laufe der Zeit einen reichen Besitz zusammen, mannigfache Güter und Rechte in etwa 50 Dörfern in Streulage rechts wie links des Rheins im weiten Umfeld Nassaus. Die bedeutendsten Erwerbungen waren die Dörfer Schweighausen fünf Kilometer südlich der Stadt und das etwas weiter entfernt liegende Frücht südwestlich von Ems. Ersteres wurde 1427 erworben, Letzteres kaufte Johann Gottfried vom Stein mitsamt der Landeshoheit 1613 für die beachtliche Summe von 2000 fl. den Nassauer Grafen ab. Auf Frücht beruhte die Reichsunmittelbarkeit des Geschlechts auf jeden Fall, aber auch für Schweighausen beanspruchten sie die hohe Gerichtsbarkeit und damit die Freiheit von jeder Landesherrschaft. Als Reichsritter gehörten die vom Stein zu jener Gruppe des Adels, die Kaiser und Reich unmittelbar zugeordnet und in Franken, Schwaben und am Rhein besonders stark vertreten war. Unter den rheinischen Reichsrittern hatten die vom Stein eine führende Position. Die direkte Stellung zum Kaiser, auf dessen Schutz die Reichsritter angewiesen waren, hinderte die vom Stein nicht, sich früh dem Luthertum zuzuwenden. Das schloss jedoch nicht aus, dass die männlichen Mitglieder der Familie auch weiterhin in den Dienst katholischer Landesherren oder des Kaisers traten. Karl Philipp vom und zum Stein, geboren im Oktober 1708, war kurfürstlich-mainzischer Geheimer Rat. Wegen der damit verbundenen Verpflichtungen war er sehr oft von Nassau abwesend und in Mainz oder Aschaffenburg tätig. Als Rat der rheinischen Ritterschaft, die ihren Kantonssitz in Friedberg hatte, machte er sich zudem um seine Standesgenossen verdient. Er besaß eine gründliche juristische Gelehrsamkeit, einen scharfen Verstand und einen nüchternen Sinn.

Seine Frau Karoline, geboren im September 1721, war dreizehn Jahre jünger als er. Ihr Vater Philipp Reinhard Freiherr Langwerth von Simmern aus einer seit etwa 1600 lutherischen Familie stand in jungen Jahren im Dienst des Grafen von Nassau-Idstein, später des Markgrafen von Baden-Durlach und führte danach mit Wohnsitz in Eltville die Familiengüter und den damit verbundenen ausgedehnten Weinhandel. Hier verbrachte Karoline ihre Kindheit und Jugend. Sie erhielt eine standesgemäße Erziehung, und es gab viele Kontakte zum Rheingauer Adel und zum Hof in Mainz, im Juli 1743 heiratete sie den fünf Jahre älteren August von Löw, auch er Angehöriger der rheinischen Ritterschaft. Das Ehepaar nahm seinen Wohnsitz in Florstadt in der Wetterau. 1744 wurde ein Sohn geboren, wenig später, im August jenes Jahres, starb Löw. Nun bat Karoline Karl Philipp vom Stein um die Vormundschaft für ihren Sohn – sie kannten sich seit Langem, waren sie doch Vetter und Cousine: Ihre Väter hatten Schwestern aus der Kraichgauer Familie von Gemmingen geheiratet. Das Kind starb Ende 1745, aber Stein stand der jungen Witwe weiter zur Seite, gab es doch ärgerliche Erbauseinandersetzungen mit der Familie von Löw. Im August 1746 heirateten die beiden. In Nassau nahm Karoline tätigen Anteil an der Verwaltung des weitgestreuten Steinschen Besitzes. Wegen der häufigen Abwesenheit ihres Mannes war das unabdingbar, es entsprach aber auch ihrem auf Tätigkeit gerichteten Wesen. Natürlich war für die tagtägliche Arbeit in der Verwaltung das Steinsche Amt zuständig, aber es gab doch immer wieder Rückfragen. Dem geistigen Leben ihrer Zeit stand Karoline vom Stein sehr aufgeschlossen gegenüber und nahm daran mehr Anteil als ihr Mann. Ob man deshalb aber sagen sollte, sie habe ihn geistig überragt, wie das etwa der Stein-Biograph Max Lehmann 1902 tat, stehe dahin. Mit dem Züricher Pfarrer Johann Kaspar Lavater, der damals am Beginn einer bedeutenden literarischen Wirksamkeit stand und durch sein Werk „Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe“ (1775–1778) berühmt wurde – auch Karoline vom Stein befindet sich darin –, führte sie eine langwierige Korrespondenz. Lavater war 1774 in Nassau, begleitet vom jungen Goethe. Dass Karoline vom Stein zu einer im geistigen Deutschland bekannten Persönlichkeit wurde, verdankte sie auch Sophie von Laroche, die seit 1771 in Thal-Ehrenbreitstein lebte und öfter in Nassau war und sie in ihrem Werk „Rosaliens Briefe an ihre Freundin Marianne v. St.“ (1781/82) porträtierte.


Das Schloss der Freiherren vom Stein in Nassau.

Karoline vom Stein brachte zehn Kinder zur Welt. 1747 Mechthild, die bereits 1761 starb, Anfang 1749 Johann Friedrich, zehn Monate später Friederike, 1751 Johanna Luise, 1752 Friedrich Ludwig, 1753 Marianne, 1754 Marie Charlotte, 1755 Henriette, 1757 Karl und 1762 Gottfried. Friederike lebte nur wenige Tage, Henriette knapp zwei Jahre. 1755 war Karoline monatelang schwer leidend. An der Erziehung ihrer Kinder nahm sie lebhaften Anteil, aber selbstverständlich gab es Gouvernanten und Hauslehrer, und auch für auswärtige Ausbildung wurde gesorgt. Johann Friedrich war 1764 und 1765 auf dem Franckeschen Pädagogium in Halle. Was mit dem Jungen danach anzufangen sei, beschäftigte die Mutter sehr. Sie habe dazu viele Überlegungen, wisse aber nicht, welche die beste sei, schrieb sie ihrem Mann im Juli 1765 nach Aschaffenburg. Ein Studium erschien ihr nicht angezeigt. Der Junge lerne doch nichts. Am besten werde er Offizier, und zwar bei den Holländern, denn gehe er in den kaiserlichen Dienst, werde er vielleicht katholisch. So erhielt er eine Offiziersstelle im Regiment Nassau-Usingen und trat zur weiteren Absicherung in den evangelischen Zweig des Deutschen Ordens ein, hatte mithin ledig zu bleiben; er erhielt eine Komtur in der Nähe von Goslar. Zu Beginn des Bayerischen Erbfolgekrieges verkaufte er 1778 seine Offiziersstelle, stellte ein Freiregiment für Friedrich den Großen auf, für den er ebenso wie seine Mutter schwärmte, und wurde preußischer Oberst. 1780 wurde er mit dem Rang eines Zeremonienmeisters am Berliner Hof bekleidet und sogleich mit einer diplomatischen Mission nach Wien betraut. Sie erledigte er zur vollen Zufriedenheit des Königs, und auch seine Denkschriften zur habsburgischen Politik machten Eindruck. So wurde er 1781 nach Mainz, Würzburg und Bamberg entsandt. Er gewann sodann Einfluss am Hof des Thronfolgers und wurde von Friedrich Wilhelm II. bald nach dem Tode Friedrichs des Großen zum Landjägermeister der Mark ernannt. Von Ende 1787 bis 1793 war er preußischer Gesandter in Mainz und schloss dort Freundschaft mit dem bekannten Historiker Johannes von Müller. 1793 fiel er offenbar in Ungnade und wurde in das seit Kurzem preußische Ansbach versetzt, wo er 1799 starb. Das Urteil der Mutter, der Junge sei leichtsinnig und lerne nichts, war unzutreffend. Auch Friedrich Ludwig wurde Offizier und Mitglied des Deutschen Ordens, er starb 1790 in Ungarn. Über den jüngsten Sohn Gottfried sagte Karl vom Stein im Frühjahr 1792, seit seinem fünfzehnten Jahre sei nicht eines vorübergegangen, in dem die Familie nicht seinem Leichtsinn, seinem Dünkel, seiner Unüberlegtheit, seinem Hang zum Verschwenden und zur niedrigen Sinnlichkeit Geduld entgegengebracht und ihn mit Rat und Tat unterstützt habe. Falle er je wieder in unsere Hände, werden „wir ihn ewig zwischen vier Wände setzen.“2 Diese Bemerkung ging nach Karlsruhe, wo Gottfried eine Stelle als Jagdjunker hatte, von wo er aber unter Hinterlassung einer großen Schuldenlast geflohen war. Selbstverständlich regulierte Stein diese Verbindlichkeiten. In die Hände bekam er seinen Bruder nicht. Gottfried galt als verschollen. Erst 1814 schrieb er aus Bremen, er habe seit Langem unter dem Namen Salzer gelebt, es gehe ihm kläglich, er entschuldige sich für sein Tun und bitte um Hilfe. Stein setzte ihm eine lebenslange Rente aus, machte aber zur Bedingung, dass Gottfried den Namen Salzer weiterhin führe und allen Ansprüchen an die Familie vom Stein entsage. Von den Schwestern heiratete Luise einen thüringischen Grafen Werthern, der es an Verwunderlichkeiten nicht fehlen ließ. Die Ehe war nicht gut. Karl August von Sachsen-Weimar war Luise sehr zugeneigt. Goethe, der sie sehr genau kannte, nannte sie liebenswürdig, einfach, klug und verständig und bildete das Ehepaar im „Wilhelm Meister“ ab. Marianne, der sich Karl vom Stein lebenslang besonders eng verbunden fühlte, war verwachsen und blieb ledig, sie wurde Stiftsdame und Äbtissin im Stift Wallenstein zu Homberg an der Efze, war aber immer wieder auch in Nassau. Charlotte heiratete einen hannoverschen Adligen, Georg August von Steinberg, sie starb 1793 im Kindbett.

An den Sohn Karl knüpften Karl Philipp und Karoline vom Stein offenbar besondere Erwartungen. Er war anders als seine Geschwister. Später meinte er einmal, eine einsame Jugend im Kreise einer lebhaften Familie verbracht zu haben. In einem 1823 auf Wunsch des bayerischen Kronprinzen Ludwig verfassten kurzen Lebensabriss sagte er gleich einleitend, tief eingeprägt worden seien ihm von den Eltern „die Ideen von Religion, Vaterlandsliebe, Pflicht, sein Leben zu gemeinnützigen Zwecken zu verwenden und die hierzu erforderliche Tüchtigkeit durch Fleiß und Anstrengung zu erwerben.“3 Das verinnerlichte er in vollem Maße, und deshalb war er streng gegen sich und gegen andere. Müßigem Treiben konnte er nichts abgewinnen. Seine Eltern wünschten sich für ihn eine Stelle an einem der beiden hohen Reichsgerichte in Wetzlar und Wien, und das bedingte ein Jurastudium.

Freiherr vom Stein

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