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Prolog
ОглавлениеWien, 2. Februar 1865
Etwas ist anders als sonst. Etwas lastet auf dieser Tür, vor der er nun schon einige Augenblicke steht, auf dem Zimmer dahinter, dem Menschen darin. Er zögert, als er seine Hand an die Türklinke legt. Und weiß nicht warum. Da dringt aus dunkler Stille plötzlich unsterbliche Musik zu ihm: die Aria der Goldberg-Variationen. Wie oft hat er sie schon gehört, auch von ihm, doch selbst sie ist anders in diesem Moment, unendlich traurig erscheint sie ihm, fast so, als läge aller Schmerz der Welt in ihr.
Schwere Vorhänge sperren das trübe Licht eines frühen Wintermorgens aus, nur der helle Schein eines Kerzenleuchters auf dem Klavier. Der Freund blickt auf den unbewegten Rücken, auf das blonde Haar des gesenkten Kopfes. Erst als sich das Gesicht leicht zu ihm wendet, kann er die Tränen sehen, die an den Wangen herabfließen. Und noch während er weiterspielt, antwortet Brahms auf die stumme Frage, sagt, was geschehen ist, mischt seine Worte in die Töne der ersten Variation, in die Klänge Bachs, die ihn trösten, wie einen nur seine Mutter tröstet. Dabei hat er nur sie vor sich, ganz nah: ihre gütigen blauen Augen, die nun für immer erloschen sind. Sieht sie, wie er sie als Kind einst sah, vor langer Zeit, weit weg von hier …
Sie schiebt sanft eine weiße Gardine beiseite, öffnet ein wackeliges Fensterchen und lächelt noch einmal hinab zu ihm.