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Prolog

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März 1832.

Mit seinen alten Knochen schlug er wiederholt nach der Schmeißfliege, die ihm den letzten Nerv zu rauben drohte. Selbst in diesem zeitigen Frühjahr trieb sie ihr Unwesen. Seitdem er im vergangenen Jahr von seiner Reise aus London zurückgekehrt war, hasste er diese dunklen Brummer mit ihrem blaugrünen Schimmer mehr denn je. So oft hatte er diese ekeligen Subjekte an den Wunden Erkrankter und Verletzter gesehen, wie sie sich auf Sterbende stürzten und selbst dem Tod noch etwas abgewannen. Wesen, die sich als Lebende vom Toten ernährten. Doch noch nie hatten sie ihn persönlich belästigt. Gierig schien dieses Tier sich jetzt an seinen Körpersäften laben zu wollen. Aber warum nur? Er lebte doch. Noch. Und warum ausgerechnet jetzt? Er würde sie zerquetschen, wenn er sie zu fassen bekäme. Er versuchte sie abzuschütteln. Zu verscheuchen. Doch einmal mehr konnte sie sich seiner Abwehrversuche entziehen, schlug er ins Leere. Bei jeder dieser Bewegungen schmerzten die von Gicht geplagten Gelenke. Es fiel ihm nicht leicht, ein Stöhnen zu unterdrücken, den Schmerz zu ertragen. Restlos verbergen konnte er ihn nicht. Zumindest nicht gegenüber Leni, seine treue Seele, die es auf sich genommen hatte, ihn bei dieser Kutschfahrt nach Hameln zu begleiten. Glücklicherweise waren die Wege frei. Frei von Eis und Schnee und wenigstens einigermaßen zu befahren.

»Das Heilmittel Ihres Apothekerfreundes wird die Schmerzen auch diesmal gewiss wieder lindern, Herr Professor«, redete sie beruhigend auf ihr Gegenüber ein.

Er nickte. Mürrisch drehte er sein Gesicht beiseite und blickte aus dem Fenster, als die alte Leni sich zu ihm hinüberbeugte und mit einem spitzenbesetzten Taschentuch den Schweiß von seiner Stirn zu tupfen beabsichtigte.

Jetzt war er nahezu achtzig Jahre alt und musste sich wie ein Kleinkind umsorgt fühlen. Dabei meinte sie es doch nur gut mit ihm. Wie stets. Wie immer während der vergangenen drei Jahrzehnte, in denen sie in seinen Diensten stand. In denen sie seinen Haushalt führte und ihm oft genug mit Rat und Tat zur Seite stand. Ihre Loyalität und Liebenswürdigkeit wusste er wohl zu würdigen. Wenn sie nur ... Wenn sie ihn nur endlich von diesem Mistvieh befreien würde.

Er schloss die Augen. Die Schmerzen seiner Glieder traten in den Hintergrund, während ihm wieder ein Brechreiz überkam. Wie so oft seit kurzem. Ursache des Übels war also keineswegs das Schaukeln der Equipage.

Erneut spürte er auch wieder den Drang, sich erleichtern zu müssen. Und wenn es wieder dieser lästige wässrige Durchfall wäre?

Nach einem Zuruf Lenis hielt der Kutscher das Gefährt an. Trotz seiner körperlichen Schwächung gelang es dem Professor, behände hinter dichtes Gebüsch zu verschwinden.

Nur kurz währte die Unterbrechung ihrer Reise. Arg blass und mit ernstem Gesichtsausdruck kehrte der Professor zurück und schloss den Kutschschlag. Besorgt schaute Leni auf seine eingefallenen Wangen. Das Gesicht wirkte abgemagert. Blutleer.

»Ach, Leni«, seufzte er. »Es fühlt sich an, als wäre alle Flüssigkeit meinem Leib entwichen. Wenn es nur nicht diese neue Krankheit ist, von der man in diesen Wochen immer häufiger hört. Es darf nicht sein, hören Sie, nicht jetzt!« Seine spitze Nase wippte. »Was soll denn dann aus Wirth und Siebenpfeiffer werden? Und all die anderen: Schüler, Savoye und Pistor. Und wie sie alle heißen ...«

»Herr Professor, Sertürner wird uns helfen, da bin ich mir sicher.«

»Aber darf ich es von ihm erwarten? Von einem Vater mit zwei kleinen Kindern? Wie alt ist seine Tochter jetzt?«

»Ida? Ida wird bald vier. Und sein Ältester ist doch schon zehn. Und wenn der Herr Apotheker nicht selbst ... dann sind gewiss seine Freunde bereit ...«

»Leni, Leni, wenn ich Sie nicht hätte. An Ihnen kann man sich aufrichten in der Not.«

Leni wechselte ihren Sitzplatz. Nun ließ sie sich auf dem Polster der Kutschbank neben dem Professor nieder. Mit ihrer behandschuhten Hand tätschelte sie beruhigend auf den Unterarm des Professors. Nur durch behutsames aber unermüdliches Zureden war es ihr gelungen, ihn zu dieser Reise nach Hameln zu bewegen. Sie wusste, es war die letzte Hoffnung, die ihm blieb.

Er lächelte. »Unsere Zwangspause hatte auch etwas Gutes: Endlich sind wir dieses lästige Ungeziefer los.« Dabei schaute er auf Lenis Tasche, die sie fest in ihrem Griff hielt.

Sie folgte seinem Blick. Aus der Tasche lugte der Teil eines Briefumschlags hervor. Sie verstand. Sie wusste, dass sie diesen Brief an Sertürner auszuhändigen hatte, wenn etwas Unvorhergesehenes geschehen sollte. Den Umschlag zierte ein Siegel. Georg zu den drei Säulen. Es war das Siegel der Einbecker Freimaurerloge.

Mörderisches Schwarz-Rot-Gold

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