Читать книгу Sklaven, Bimm und Alemannia - Hans Joachim Gorny - Страница 6

Das Kaninchen

Оглавление

Schon am Abend zuvor hatte es beängstigend gestürmt, der Sturm sich zu einer Äste-abreisenden-Gewalt gesteigert, was die drei Gruppen hinter der Mauer veranlasste, ihre Arbeiten vor der Zeit zu beenden und die Dörfer zu verlassen. Mit Einbruch der Dämmerung öffnete der Himmel seine Schleusen und innerhalb einer Nacht ergossen sich auf Alemannia die Niederschläge eines Monats. Weder die Kanalisationen noch Flüsse und Bäche konnten die Wassermassen fassen, die deshalb bevorzugt auf den Straßen dem Rhein entgegen strömten. Auch im Beamtenstadtteil sprudelte das Wasser mit Druck aus den Regenwassergullys, sammelte sich in Garagen und Kellern und suchte Straßen, die als Bachbett zu nutzen waren.

Als Halmschor morgens aus dem Haus trat, tröpfelte es nur noch und die Straßen des Viertels, das erhöht lag, waren Wasserfrei. An der Sammelstelle erwartete ihn schon ein zerknitterter Albritz, der Tag sollte eine Katastrophe werden.

„Wir können nicht durch das Tor“, berichtete der Alte grußlos. „Hinter dem Tor staut sich ein See, der aus unbekanntem Grund nicht Abfließt.“

„Das bedeutet, wir müssen berghoch durch den Wald, um durch das Obere Tor zu kommen“, hatte Hal sofort begriffen.

„Leider“, meinte Dr. Albritz. „Da liegen bestimmt Äste und Bäume auf dem Weg.“

„Was melden die Augen“, fragte Hal neugierig.

„Die Augen melden Chaos. Bei uns im Dorf liegt ein Baum auf einer Baracke, und es liegen jede Menge abgedeckte Dachplatten und viel Sturmbruch herum.“ Die an einigen Stellen aufgehängten Augen dienten dazu, die Sklaven währen der Nacht zu überwachen, was aus Personalmangel und mangelnder Notwendigkeit eher nicht gemacht wurde, sonst wären die Radschlagende Bimm und das Feuer schon lange aufgefallen.

„Und wie ist der Plan?“ fragte Halmschor weiter.

Albritz sah auf sein Gerät und las. „Die Sklaven sollen selbständig abladen und sich versorgen, was garantiert ein weiteres Chaos bringt und wir sollen die Verletzten versorgen, danach denn Sturmbruch beseitigen und die Dächer reparieren. Die erste Gruppe soll unverzüglich das Wasser vor dem Tor abfließen lassen.“

„Wenn wir nur schon dort wären“, meinte Halmschor missmutig.

Alle sechs Fahrzeuge setzten sich gleichzeitig in Bewegung. Auf den öffentlichen Straßen waren gemeindeeigene Roboter fleißig dabei, herumliegende Äste von den Fahrbahnen zu sammeln. Mit leichter Verspätung bog die Kolonne in den Wald. Kaum unter dem Blätterdach, lag der erste abgerissene Ast auf dem Weg. Die Vorderen, die noch ein schlammiger See erwartete, stiegen aus und zogen ihn vom kiesigen Waldweg. Von den Insassen brauchte keiner die Strecke zu beobachten, denn der erste Bus meldete sich zeitig, wenn etwas den Weg versperrte. Doch alle starrten gebannt nach vorne und darauf, was da auf sie wartet. Für die Arbeiter im ersten Lastzug wurde es zum ständigen Aus und Einsteigen. Nicht lange, lag auch ein dicker Baum quer über der Fahrbahn. Alle sechs Fahrzeuge hielten wieder an, aus einem wurde ein Schneidegerät ausgeladen und der Stamm damit in handliche Stücke geschnitten, die dann die Böschung hinuntergerollt wurden. „Jetzt fehlt uns nur noch ein Erdrutsch“, orakelte Dolora. Die Arbeiter stiegen erst gar nicht mehr ein und marschierten vor dem ersten Fahrzeug her, um herumliegendes Gehölz und Steine zur Seite zu werfen. Der Waldweg schien solide gebaut, kein bisschen Erde hatte sich ober- oder unterhalb bewegt, aber der Weg war aufgeweicht und nach dem letzten Fahrzeug bestand er aus zwei Gräben, in denen sich Wasser sammelte.

Ab der Stelle ab der es steiler wurde, verweigerte der vordere Bus die Weiterfahrt. Jetzt schon deutlich im Verzug, wurde das Personal aufgeregter. Leute aus dem hintersten Laster eilten nach vorne um zu erfahren, was denn nun schon wieder sei, und als sie es erfuhren, schlugen sie die Hände über dem Kopf zusammen. Zurückfahren sei auf keinen Fall möglich, die Strecke bestünde nur noch aus tiefem Morast. Der Anführerbus wollte nichts weniger, als eine befestigte Fahrspur, das zeigte er auf seinem DV und sprach es auch aus. Der Chef das Buses, ein jüngerer Arzt, fragte ihn ungehalten, wie er sich das vorstelle, eine Baukolonne käme jetzt wohl nicht mehr bei. Vielleicht wäre es hilfreich, Steine auf die weichen Stellen des Weges zu legen, meinte der Bus diplomatisch. Den drei Mannschaften blieb nichts anderes übrig als vor dem Bus herzulaufen, beidseitig des Weges Steine zu suchen und die, sobald das Fahrzeug stoppte, auf die aufgeweichten stellen zu legen. Die Fahrzeuge krochen vor sich hin. Als die Steigung endlich hinter ihnen lag, war der Vormittag fast schon vorüber und die Mägen begannen zu knurren. Dann waren auf dem Höhenweg noch ein paar Äste und ein Baum zu beseitigen und ein paar hundert Meter weiter erblickten sie das heißersehnte obere Tor. Hinter dem gleich der nächste Baum zu zerteilen und wegzutragen war. Jetzt warteten alle gespannt, wie es in ihren jeweiligen Dörfern aussah.

Als Albritz Gruppe nach der Beseitigung eines weiteren Baums auf dem Dorfplatz einfuhr, standen und saßen dort hunderte Sklaven wie begossene Pudel mit ratlosen Gesichtern.

Halmschor hielt sich nicht lange auf und rief: „Abladen, aber alle.“ Dr. Albritz rief: „Gibt es Verletzte?“ Während die Arbeiter sich gleich daran machten die Schäden zu inspizieren, bauten die Arzthelferinnen ein behelfsmäßiges Lazarett auf, in das auch die Zahnärztin und der Laborant miteinbezogen wurden. Verstört führten einige Sklaven die Ärzte zu den Verletzten, von Bimm keine Spur. Eine uralte wilde Kirsche war auf den hinteren Teil einer Baracke gestürzt und hatte zwei Wohneinheiten zertrümmert. Dort lagen mehrere Sklaven mit gebrochenen Knochen und einer mit eingeschlagenem Schädel. Auch an anderer Stelle gab es Verletzte, die meisten waren von herumfliegenden Teilen getroffen worden. Die ganz schweren Fälle, denen Dr. Albritz nicht helfen konnte, weil sie in ein Krankenhaus gehörten und operiert werden mussten, schläferte er ein, so wie er es sonst auch mit Schwerkranken machte.

Der Alte verschaffte sich einen Überblick, brachte nochmal alle Helfer und Sklaven auf Trab, dann wollte er doch wissen wo Bimm steckt. Innerlich sah er sie schon tief im Wald unter einem Baum liegen. Er marschierte zu der Gasse in der ihre Mutter und ihre Geschwister lebten, sah sich nach Schäden um und konnte außer zwei herumliegenden Dachziegeln nichts feststellen. Er klopfte und fragte die ihm öffnende Kugel mit Mädchengesicht, wo Bimm wäre. Weiß nicht, war die Antwort. Um das Dorf abzusuchen war es doch zu groß, deshalb stapfte er weiter zum Lagerfeuer, das natürlich nach dieser Sintflut nicht mehr brannte, im Loch stand Wasser. Von dort aus sah er Dolora, die an den Klappbetten Fleischwunden behandelte, ging schließlich zum Bus zurück und erkundigte sich bei ihr nach Bimm. Halmschor hätte sie gefunden, wusste sie inzwischen, bei einem umgestürzten Baum, unterhalb des Dorfes.

Nach dem Halmschor festgestellt hatte, dass es im alten Dorf nur geringe Schäden gab, eilte er weiter zu den Baracken am Dorfrand. Seine Arbeiter entfernten schon die alte Kirsche, die auf einer der Baracken lag. Der Sturm hatte viele Dachplatten abgerissen, die als gefährliche Geschosse durch die Gassen gefegt waren. Um die fehlenden Platten besser zählen zu können, wanderte er außen um das Dorf herum und wäre fast über Bimm gestolpert.

„Hier steckt du? Bist du in Ordnung?“ Teilnahmslos saß sie auf einem Ast und starrte vor sich hin.

„Mit dir stimmt doch etwas nicht“, sagte Hal dann. Langsam zeigte sie zu dem umgestürzten Baum und dann sah Halmschor das Gesicht mit den weit aufgerissenen Augen, das unter den Zweigen hervor schaute. Es waren eindeutig die Augen einer Toten. Er ging hin, bückte sich, schob langsam das Geäst beiseite und lies es sofort wieder los. Der Toten steckte ein Ast im Bauch.

„Wer ist das?“ fragte er leise.

„Sie heißt glaube ich Mali“, antwortete sie gleichgültig.

Hal war irritiert, es war anscheinend keine Verwandte und keine Freundin von ihr. „Und weshalb sitzt du hier?“

„Wo ist es hin?“ fragte Bimm fordernd.

„Was?“

„Das Lebendige von ihr“, stieß sie die Worte aus.

Er suchte nach einfachen Worten. „Sie funktioniert nicht mehr. Es funktioniert nichts mehr an ihr, auch nicht mehr das Lebendige.“

„Kann es einfach so aufhören“, meinte sie ungläubig. „Kann das Lebendige in uns nicht irgendwie in die Wolken gehen oder in einen Vogel?“

Halmschor seufzte, das war ihm zu schwere Kost. „Man kann sich die schönsten oder die schlimmsten Sachen ausdenken, was nach dem Tod sein könnte“, wollte er das Thema beenden. „Erfahren werden wir das nie, weil die Toten nicht mehr mit uns reden. Ich hole jetzt Arbeiter, die die Tote heraussägen, und du kannst dir Brot holen.“

Albritz erkundigte sich bei Halmschor nach Bimm. Hal erzählte von der Begegnung. „Das ist interessant“, meinte der Alte. „Durch solche Gedanken sind Religionen entstanden“.

„Das fehlt uns noch, Bimm als Religionsgründerin bei den Quallen“, lästerte Hal. „In der Schule habe ich gelernt, dass Religionen immer nur Ärger gemacht haben“.

„Sowas können wir hier bestimmt nicht brauchen“, pflichtete ihm der Arzt bei.

Halmschors alte Gruppe kam an diesem Tag nur mit Schwierigkeiten zu ihrem Barackendorf am Tor. Weil der Weg zu sumpfig war und sie stecken zu bleiben drohten, verweigerten die Fahrzeuge wiederholt die Weiterfahrt. So rekrutierten sie alle Sklaven derer sie habhaft werden konnten und befahlen ihnen, Steine und Kies heranzuschaffen. Als die Gruppe endlich bei den Baracken ankam, war der See vor dem Tor schon abgeflossen. In der dann einsetzenden Hektik, versäumten sie leider in den Tunnel zu schauen, da hatte eindeutig der DV des Buses geschlafen. In der Dämmerung packten alle drei Gruppen gleichzeitig zusammen und standen vor dem Tor Schlange. Den Arbeitern und dem medizinischen Personal reichte es dicke, sie wollten nur noch heim. Doch gleich das Zweite Fahrzeug blieb im Tunnel stecken, die Insassen konnten nicht einmal aussteigen und helfen. Das abgelaufene Wasser hatte den Tunnelboden zum Sumpf gemacht. Weshalb die Sensoren der Fahrzeuge im Tunnel versagten, wurde breit diskutiert. Mit mehr Glück als Können, gelang es das Fahrzeug herauszuschleppen. Das nachfolgende Personal musste bis in die Nacht hinein Steine suchen, die Sklaven wollten sie nicht in den Tunnel lassen.

Am nächsten Tag wurden auch das dienstfreie Personal und die Ersatzfahrzeuge eingespannt, damit die gröbsten Schäden behoben und die Toten schnell unter den Boden gebracht werden konnten. Speziell Albritz Gruppe benötigte noch Wochen, bis alles wieder beim Alten war. Aber schon nach zwei Tagen brannte wieder das Lagerfeuer. Der Chef befragte ausdauernd alle die ihm in die Quere kamen, Personal und Sklaven, wer das Feuer neu entfacht habe. Aber ergebnislos. Irgendwann bemerkte Dolora, dass ihr Maskottchen nicht mehr gegenwärtig war. Bimm erschien jeden Morgen um sich Brot zu holen, den Rest des Tages war sie weder um die Fahrzeuge herum, noch auf den Feldern. Darauf angesprochen, zuckte sie die Schultern, eine Geste, die sie dem Personal abgeschaut hatte. Hal fragte Bimm dann, ob sie krank sei. Nein, sie hätte nur nachzudenken. Der Chef machte darauf eine Bemerkung in Richtung Religionsstifterin.


Es verhielt sich aber ganz anders und war so ungeheuerlich, dass es Albritz‘ Vorstellungskraft überstieg. Bimm hatte eine Entdeckung gemacht. Eine Entdeckung solchen Ausmaßes, das sie tagelang traumatisiert umherwandelte. Weil sie befürchtete, dass man ihr das ansah, hielt sie sich vom Personal fern.

Nachdem sie diese Mali entdeckt hatte, wollte sie erst einmal allein sein und streifte weiträumig durch den Wald. Sie musste überlegen was es bedeutet Tod zu sein. Innerhalb der Mauer beanspruchten Ackerland und Dörfer nur ein Drittel des Areals, das sich auf dem Talboden konzentrierte. Der weitaus größere Teil des Gebiets bestand aus urwüchsigem Wald, der seit 150 Jahren sich selbst überlassen und an den Berghängen am wildesten war. Der Wald war Bimms Reich, was ihr auch niemand streitig machte. Nichts tat sie lieber, als unter den Bäumen herumzustreifen und nach Pflanzen und Tieren zu suchen.

Im Laufe ihres Lebens hatte sie es sich angewöhnt, unter Steine und hinter die Rinde morscher Bäume zu schauen. Deshalb waren ihr Würmer, Maden, Schnecken und anderes Getier nicht unbekannt. Weil sie das Essen aus den Paketen, die jeden Tag geliefert wurden, nicht vertrug und deshalb von klein auf am Hungertuch genagt hatte, hatte sie nebenbei alles Erreichbare auf seine Essbarkeit getestet. Als Kleinkind zuerst die Feldfrüchte, später die Früchte der Wildpflanzen und schließlich auch sämtliche Tiere.

Sie wusste, dass es verschiedene Mäuse gab. Manche waren pelziger, andere hatten große Ohren und lange Schwänze, andere kleine Ohren und kurze Schwänze. So hielt sie die pelzigen, welche Haselmäuse waren, für die Männchen, die mit den großen Ohren und den langen Schwänzen, was Waldmäuse waren, für die Weibchen und die anderen, die Feldmäuse, für deren Kinder. Bis sie eines Tages auch Nester der verschiedenen Arten entdeckte und ihren Irrtum erkannte.

Ihre Lieblingstiere waren die Eichhörnchen und mit viel Geschick hatte sie Dolora entlockt, wie sie genannt wurden. Leider ließen sich die Eichhörnchen von unten nur schlecht beobachten. Weil Bimm es so fantastisch fand, wie die agilen Tiere von Baum zu Baum sprangen, hatte sie selber das Klettern angefangen. Dort oben war sie nicht nur den Eichhörnchen näher, denen sie natürlich nicht folgen konnte, sie war auch den zahlreichen Vögeln näher. Manchmal entdeckte sie sogar ein Vogelnest und wunderte sich nicht wenig über die Hässlichkeit der nackten Jungen.

Auf den Bäumen fühlte sie sich auch der Welt entrückt. Mit zunehmendem Alter wurde sie neugieriger und bestieg mit Vorliebe Bäume neben der Mauer, um hinübersehen zu können. Doch so hoch sie auch stieg, entdeckte sie auf der gegenüberliegenden Seite nur noch mehr Wald. Sie hatte gehofft, vielleicht das Dorf der Alten zu entdecken. Den Höhepunkt ihres Lebens erfuhr sie mit der Besteigung des höchsten Baumes, der oberhalb des oberen Tores stand. Von dort oben konnte Bimm in ein anderes Tal schauen und meinte dort Grasflächen und auch Hütten zu erkennen. Bei diesem Anblick, da sie nun über ihren eingeschränkten Lebensraum hinaus sehen konnte, öffnete sich eine bis dahin nicht gekannte Weite in ihrer Brust. Ab diesem Tag vernachlässigte sie die Feldarbeit und hielt sich zunehmend im Wald auf. Die große Entdeckung kam aber erst noch.

Nach dem sie, um die Aussicht zu genießen, den großen Baum immer wieder erkletterte, war er wie fast alle Bäume eines Wintertages blattlos. Nun konnte sie durch die Zweige auch in eine Richtung spähen, die ihr bislang verdeckt gewesen war. Dort wo die Sonne untergehen musste, sah sie einen gewellten Horizont, den sie eingehend studierte. Es war das Gebirge der Vogesen, wobei Bimm weder das Wort Gebirge kannte, noch je von Vogesen gehört hatte. Sie konnte sich auf das Gesehene keinen Reim machen, bestieg aber nun den Baum immer öfter. Eines Morgens erfreute sie sich einer sehr klaren Sicht und sie glaubte dann zu wissen was dort drüben zu sehen war. Es waren Berge, bewaldete Berge, mutmaßte sie, so wie dieser den sie hochgewandert war. Und an den Hängen und am Fuße dieser Berge gut zu erkennen, lagen Dörfer mit vielen Häuschen und Türmchen. Wie riesig die Welt doch war. Diese Entdeckung musste Bimm erst einmal verdauen. So wie ihre Klettereien, behielt sie auch ihre Entdeckungen für sich.

So richtig gut nachzudenken war ihr erst möglich, nachdem sie, bis auf das Brot, komplett auf die Sklavennahrung verzichtet hatte. An die ersten fünf Jahre ihres Lebens erinnerte sie sich überhaupt nicht, und ein intensives Gefühl zu Leben empfand sie erst, nachdem sie das Rennen und Klettern entdeckt hatte. Wenn sie so ihre Umgebung betrachtete kam sie zu dem Schluss, dass die angebotenen Lebensmittel dick machten und das Denken verhinderten. Leider wollten ihre Geschwister nicht auf diese sattmachenden, süßen Lebensmittel verzichten. Sie konnte reden wie sie wollte, die Sklaven waren mit allem zufrieden.

Die beste Idee ihres Lebens war, einem der Arbeiter, die sowieso auf beiden Augen blind waren, das Feuerzeug zu nehmen, um damit im Wald herumzuexperimentieren. Sie verbrachte sehr viel Zeit um Erfahrungen zu sammeln was brannte, was schnell brannte oder lange, wie man ein Feuer am leichtesten entzündet und wie man es am Leben erhielt. Aber immer erst abends, wenn Albritz mit seiner Gruppe weg war, und auch nur versteckt im Wald. Irgendwann hatte sie die Feuerstelle, als eine Art kindliche Machtdemonstration, an den Dorfrand verlegt. Den verunsicherten Sklaven, die mit Neuem nicht umzugehen wussten, gefiel das Feuerchen schließlich und einige zeigten so etwas wie Freude. Bimm hatte sie aufgefordert immer schön dicht um die Flammen zu sitzen, damit die Arbeiter nichts sehen konnten und sie sollten auch sitzenbleiben, wenn der Chef kam.

Als das Feuer nach Tagen doch entdeckt wurde, die Sklaven sogar sitzenblieben, obwohl der Chef sie aufforderte Platz zu machen, hatte das Personal zum ersten Mal überhaupt einen Rückzieher gemacht, weil ihnen die Sache nicht geheuer war. Dass Bimm pausenlos auf die Dicken einflüsterte, damit sie nicht aufstanden, konnte Albritz und seine Leute nicht hören. Es war wie ein Sieg über eine Besatzungsmacht, manche der Sklaven konnten sich ein zufriedenes Lächeln abringen. Das Personal löschte dann das Feuer immer in einem Moment, wenn nur wenige oder gar keine Sklaven davor saßen. Doch immer wieder wurde es von neuem entfacht, das Feuer das zuerst unauffällig in einem Loch entzündet wurde, wurde Dauerzustand. Nur weil Dolora in ihrer Verwirrtheit einmal arglos gefragt hatte, ob sich dort die Sklaven ihr Essen brutzeln würden, Kartoffeln oder so, war Bimm auf die Idee gekommen, Essen ins Feuer zu halten.

Nicht nur aus Hunger, auch aus einer kindlichen Neugier heraus, hatte sie schon immer alles Mögliche auf seine Essbarkeit probiert, wann das begonnen hatte, wusste sie nicht mehr. Es war aber ein langer Weg mit viel Bauchweh gewesen, der sogar in einer Pilzvergiftung gipfelte, bis sie genau wusste, was ihr gut tat und was nicht. Inzwischen briet sie sich abends wenn die Arbeiter weg waren, alles was sie tagsüber im Wald gefunden hatte, auf einer Schaufel. Geröstete Maden mit Karotten war Bimms Lieblingsgericht. Ganz hervorragend schmeckten ihr auch in der Glut gebackene Kartoffeln, die sie so lange an dem Stangenbrot rieb, bis sie salzig waren. Das Brot schmiss sie nach der Mahlzeit ins Feuer. Was ihr im Rohzustand besser schmeckte, verzehrte sie unbehandelt.


Nach dem Sturm durchsuchte sie den Wald nach Verwertbarem. Dabei interessierte sie sich weniger für das was man essen konnte, sie suchte nach sonst unerreichbaren Gegenständen die aus den Bäumen gefallen waren, um mit ihnen ihre Schlafkammer zu schmücken. Dr. Albritz hatte damals nicht schlecht gestaunt als er in Bimms Kammer geführt wurde, die sie sich mit den Schwestern teilte, um ihre Pilzvergiftung zu behandeln. Mit Harz waren verschiedene bunte Blätter und Federn an die Wände des alten Hauses geklebt, in den Ecken standen besonders urige und verdrehte Äste und Wurzeln, die sie mühevoll mit der Hacke gekürzt hatte. Auf einer Kiste, die sie nicht haben durfte, befand sich eine Sammlung getrockneter Käfer und eine Handvoll sehr unterschiedlicher leerer Schneckenhäuschen. Auf dem Regal in das der spärliche Besitz der Sklavinnen gestopft war, lagen viele bunte Steine, Kristalle, Quarze und Steine mit Spuren des goldigen Pyrits. In einem Eimer saßen ein Grasfrosch und eine Zauneidechse und warteten auf Futter, außen auf der Fensterbank lagen die Nester diverser Vogelarten. Der Arzt, der so etwas noch nie gesehen hatte, war tief beeindruckt und fand, dass an Bimm eine Forscherin verlorengegangen war.

Im Wald war nach dem Unwetter sehr mühsam voranzukommen, besonders berghoch. Bimm verfiel auf die Idee, zuerst an der Mauer entlang nach oben zu wandern und dann suchend abwärts zu gehen, wobei es mehr ein Klettern als ein Gehen war. Nach zwei Tagen konzentrierter Suche, stolperte sie über ein mittelgroßes Vogelnest, aus dem es herausfunkelte. Sie hob das Nest auf und nestelte aus den Zweiglein einige kleine Stücke einer glitzernden Folie. Dann entdeckte sie noch eine dünne silberne Halskette, an der ein funkelnder grüner Stein hing. Bimms Herz schlug bis zur Schädeldecke, es waren Gegenstände die sie nicht kannte, für sie waren es Zeugnisse einer unbekannten Welt. Besonders der kleine grüne Stein war das schönste was sie je in ihrem Leben gesehen hatte. Das Personal durfte bei Strafe keinen Schmuck tragen, um bei den Sklaven keine Begehrlichkeiten zu wecken. So sah Bimm das erste Mal in ihrem Leben ein Schmuckstück und kam ganz aus dem Häuschen. Die Tage darauf suchte sie fieberhaft weiter, in der Hoffnung, noch mehr solche Nester zu finden, die Gegenstände einer fremden Welt beinhalteten. Was sie dann fand, brachte sie vollends aus dem Gleichgewicht.

Weit weg von ihrem Dorf hatte das Unwetter, etwa einen Meter vor der Mauer, ein Loch ausgespült. Deutlich konnte sie an der frischen Erde erkennen, dass Wasser aus dem Loch geflossen war und sich Hang abwärts ergossen hatte. Bimm betrachtete ratlos die Öffnung die so groß war, dass sie ihren Kopf hineinstecken konnte. Wo konnte hier oben nur so viel Wasser herkommen, fragte sie sich und ob bei Regen zukünftig noch mehr Wasser aus dem Loch fließen würde. Sie kannte selbstverständlich einige Stellen an denen Wasser aus dem Boden kam, Quellen genannt, und wie jedes Tal, hatte auch ihres einen Bach. Aber sämtliche Quellen sprudelten viel weiter unten, hier musste irgendetwas nicht stimmen.

Bimm bückte sich und sah in das Loch hinein, dessen Innendurchmesser noch größer war als der Austritt. Es sah irgendwie interessant aus. Um tiefer hinein schauen zu können ging sie auf die Knie und fragte sich sogleich, weshalb es darin so hell war. Sie suchte vor der Mauer nach einer zweiten Öffnung, die das Loch mit Licht versorgte, fand aber kein zweites Loch. In einem Loch hat es dunkel zu sein, überlegte sie. Nach einer weiteren Begutachtung der äußeren Umstände kam ihr eine Ahnung, die ihr eine Hitze in den Kopf trieb. Sie sah sich gründlich um und widmete sich wieder dem Loch. Bimm begann mit bloßen Händen den Eingang zu erweitern, in der Höhle selber sah sie nur puren Fels. Sie kroch mit dem Oberkörper hinein und schaufelte störende Steine heraus, kroch weiter hinein und sah deutlich, dass am anderen Ende von oben Licht in das Loch fiel. Sie schob und schlängelte sich vorwärts, bekam zwischendurch Angst darin stecken zu bleiben und kam doch mit ihrem Kopf unter die andere Öffnung. Sie drehte sich auf den Rücken, und sah den bewölkten Himmel. Nach einer längeren Pause, in der sie sich ihrer Tat immer mehr bewusst wurde, setzte sie sich auf und weitete den Ausstieg, indem sie oben die Erde wegdrückte. Wie ein überdimensionierter Maulwurf schob sie sich dicht neben der Mauer aus dem Boden.

Sie war außerhalb der Mauer, es war nicht zu fassen, weg von ihrer Welt. Sollte sie sich freuen oder entsetzt sein? Die Höhle war kaum länger als sie selber und außer ihr würde niemand hindurch passen, war ihr klar. Bimm wagte aufzustehen und betrachtete das Bauwerk von außen. Es hatte einen Tarnanstrich. Gleich darauf erkannte sie, wie es zu der Ausspülung gekommen war. Streckenweise folgte die Mauer dem felsigen Gebirgskamm. Zwischen Fels und Mauer hatte Starkregen eine Rinne ausgewaschen. In dieser Rinne war das Wasser entlanggeschossen und hatte im Laufe einer langen Zeit diesen Durchlass ausgespült. Bimm war nicht wohl, stieg wieder mit dem Kopf voraus in das Loch und zog sich auf dem Rücken liegend auf die andere Seite. Nun musste sie erst einmal viel nachdenken.

Schlafwandlerisch, weil sie total durch den Wind war, schlenderte sie zum Dorf zurück. Sie befürchtete, dass man ihr die Verstörtheit ansah und machte deshalb um das Personal einen großen Bogen, ging in ihre Kammer, legte sich auf die Matratze und überlegte was es bedeutet, jetzt nach draußen zu können. Nach Feierabend fasste sie einen Entschluss. Bimm stand auf, marschierte zum Dorfrand, sammelte dürre Stängel und Zweige und ging zur Feuerstelle. In das Loch dort legte sie ein Stück Sturmbruch, darüber die Stängel und Zweige und steckte sie an. Jeder der ans Feuer sitzen wollte, musste erst Holz sammeln gehen. Im Laufe des Abends brachten mehrere Sklaven Brennmaterial und setzten sich schweigend zu ihr. Beim Ins-Feuer-starren konnte sie am besten überlegen. Es wurde dunkel, es wurde Mitternacht und Bimm konnte es drehen und wenden wie sie es wollte, es blieben ihr immer die gleichen zwei Optionen: Entweder das Loch zu melden oder sich auf der anderen Seite umzusehen, etwas anderes kam nicht in Frage. Beim letzteren fürchtete sie sich weniger davor entdeckt zu werden, sie wusste ja wie blind das Personal war. Sie fürchtete sich davor, was sie drüben erwarten würde, denn sie rechnete fest damit, dort die Welt der Glitzerfolie und funkelnden Steine zu finden. Als sie am nächsten Morgen erwachte, war der Entschluss gefestigt diese Welt kennenzulernen.

Noch bevor Albritz Gruppe auftauchte, strebte Bimm festen Schrittes in Richtung Loch. Noch nie hatte sie beim Hochklettern eines Hanges so weiche Knie verspürt. Vor dem Loch jedoch handelte sie entschlossen. Aufmerksam blickte sie sich um, legte sich hin, drehte sich auf den Rücken und zog sich hinein. Bevor sie auf der anderen Seite das Loch verließ, sah sie sich abermals gründlich um. Dann ging sie erst einmal schnurstracks, wie sie es sich in der schlaflosen Nacht überlegt hatte, nach unten. Auch hier lag viel Totholz herum, sie befand sich ja im Nationalpark Schwarzwald. Vorsichtig, sich immer wieder umsehend, überstieg sie Baum für Baum. Nicht lange und sie stand auf einem Pfad der parallel zur Mauer verlief. Nach einem Zögern hielt sie es für besser von diesem Pfad zu verschwinden und das ging nach unten am Schnellsten. Häufig blieb sie abrupt stehen, lauschte, späte in alle Richtungen, die Bäume und Vogelstimmen auf jeden Fall waren die, die sie schon kannte.

Nach einer gewissen Zeit wurde es unten heller, was einen Waldrand ankündigte. So leise sie es vermochte bewegte sie sich auf das offene Land zu, ging in die Hocke und krabbelte auf allen Vieren durch die letzten Blätter. Wiesen, was Bimm nicht kannte. Faszinierte schaute sie über die großen grünen Flächen, die nur aus Gras und Blumen zu bestehen schienen. Zwei Steinwürfe entfernt standen drei Häuser. Ihr Herz pochte laut, nie würde sie es wagen das schützende Laub zu verlassen. Aber zurück wollte sie auch nicht, dazu war sie zu neugierig. Sie wollte wenigsten etwas von den Bewohnern sehen. Sie lag und lag und beobachtete, die Klamotten wurden von der Erde immer feuchter, sie wurde auch hungrig und durstig, aber nichts tat sich. Schließlich zog sie sich zurück und schlich innerhalb des Waldes talwärts, weil sie hoffte, dort noch mehr Häuser zu finden. Tatsächlich erreichte sie ein weiteres Haus, das sie sehr beeindruckte. Es war sehr groß, hatte mehrere Dächer, war blendend weiß und drum herum standen seltsame kugelige Büsche. Der Hof bestand aus einer grauen Fläche und machte einen glatten Eindruck.

Hier warte ich jetzt egal wie lange, sagte sie sich, denn sie wollte unbedingt wissen, wie die Bewohner aussahen. Bimm ging davon aus, dass in dem prächtigen Haus keine Sklaven wohnten, eher dachte sie an Bewohner in schwarzen Overalls. Das Haus würde sehr gut zu Dr. Albritz passen, bestimmt hat er viele Kinder. Nachdem eine Zeitlang nichts geschah, robbte sie zu einem einzelnen Busch, der etwas abgerückt vom Waldrand in der Wiese stand. Kurz darauf bewegte sich ein kleines Fahrzeug lautlos auf das Haus zu. Es war ein Fahrzeug, wie sie es noch nie gesehen hatte, sie kannte ja nur Buse und Laster. Es fuhr auf den Hof und kaum dass es gehalten hatte, sprangen lärmend zwei kleine Kinder heraus. Magere Kinder, fast so dünn wie sie und sie trugen bunte Kleidung, in so kräftigen Farben wie es nur die Blumen hervorbrachten. Bimm war wie vor den Kopf geschlagen. Dann stieg auch die Mutter der Kinder aus, ohne schwarzen Overall, auch sie in bunten Kleidern. Aus dem Fahrzeug löste sich noch ein kleiner beladener Wagen, der dann auf das Haus zufuhr. Nach den Kindern verschwand auch die Mutter und zuletzt der kleine Wagen hinter dem Haus, wo vermutlich der Eingang lag.

So farbenfrohe Kleidung gab es. Bin ich blöd, schalt sich Bimm, die Overalls sind ihre Arbeitsklamotten. Nur kurze Zeit später bewegte sich noch etwas den Berg herauf, was sie noch nie gesehen hatte. Ein Ei. Ein großes Ei das an den Seiten offen war, vorne ein Fenster hatte und nur auf einem Rad fuhr, stoppte neben dem Fahrzeug. Ihm entstieg ein Mann mit einer Knielangen Jacke, die er vorne offen trug. Das Muster der Jacke war unregelmäßig schwarz-weiß gestreift, doppelt so viel schwarz als weiß. Bimm dämmerte, dass sie außerhalb der Mauer nur unbekanntes zu sehen bekommen würde. Für den Tag hatte sie genug gesehen, traute sich aber nicht aus den Busch. Erst als Hunger und Durst unerträglich wurden, kroch sie flach an den Boden gedrückt rückwärts zum Wald. Verlaufen konnte sie sich ja nicht, sie musste nur den Berg hochklettern und oben an der Mauer entlang bis zu ihrem Loch.

Tief versunken in Gedanken stieß sie, fast oben angekommen, auf den Pfad. Mit der letzten Neugier folgte sie ihm aufwärts und erfuhr den Schreck ihres Lebens. Vor ihr stand ein Tier, riesig gegen ein Eichhörnchen und es hatte zwei bedrohliche Zweige auf dem Kopf. Mit großen braunen Augen glotzte es Bimm an, die wie angewurzelt stehen blieb. Der Rehbock, eigentlich ein harmloses Tier, erkennt einen Mensch nur am Geruch oder wenn er sich bewegt. Erst als sie sich einen Schritt rückwärts bewegte, sprang er mit einem weiten Satz vom Weg hangabwärts in das Unterholz. Ihr reichte es nun vollkommen, nun musste sie sich erst erholen. Sie schlüpfte wieder zurück durch das Loch und befand sich schon auf dem Abstieg, als ihr etwas einfiel, was nützlich sein konnte. Sie kroch wieder auf die andere Seite, riss abseits ein paar Zweige ab und zog sie hinter sich in das Loch, um es zu tarnen. Innerhalb verwischte sie alle Spuren des Wassers, legte altes Laub darüber und Rindenstücke auf den Eingang.

Bimm verfügte über ein persönliches Depot, in dem sie ihre Lebensmittel verbuddelt. Die meiste Zeit des Jahres konnte sie dem Versteck diverse Rüben, Knollen und Kiwis entnehmen. Von dort holte sie sich eine kleine Zuckerrübe, zerschmetterte sie mit einem Stein und biss herzhaft in die saftigen Teile. Schmatzend an einen Baum gelehnt überlegte sie angestrengt, was sie über die Welt da draußen wusste. Am auffälligsten waren diese fliegenden Dinger die man ab und zu sah. Über den Wald flogen manchmal kleine Vierecke oder große Dreiecke, immer mit einer Spitze voraus. Wie Bimm bald erfahren würde, waren die kleinen Vierecke militärische Kampfflugzeuge und die großen Dreiecke, Passagierflugzeuge. Dann viel ihr noch der DV von Halmschor ein und wie er den Hirschkäfer herausgeholt hatte. Wenn sie ihn nach dem Tier mit den spitzen Ästen auf dem Kopf frug, war alles gefährdet. Die Arbeiter waren vielleicht blind, aber nicht unbedingt doof. Auch kam sie zu dem Schluss, sich öfters bei Albritz blicken lassen zu müssen, damit er nicht misstrauisch wurde. Aber nicht mehr heute, sie brauchte viel Schlaf. Morgen früh würde sie sich erst ein Brot holen, allen brav winken und dann mit einer Tasche voll Karotten wieder den Berg hochsteigen. Denn wenn sie mehr erfahren wollte, musste sie wieder auf die andere Seite.


„Man sieht dich in letzter Zeit so wenig“, begrüßte Halmschor sie am nächsten Morgen, als sie Feldfrüchte gegen Brot eintauschte.

„Auf den Feldern gib es jetzt viel zu tun“, entgegnete sie. Halmschor glaubte aber, dass irgendetwas vorgefallen sein musste und sie sich jetzt in einem anderen Dorf aufhielt.

„Du besuchst mich ja überhaupt nicht mehr“, sagte Dolora zu ihr.

„Du erzählst mir eh nicht das was ich wissen will“, meinte Bimm beleidigt. So ist das also, dachte Dolora, sie spielt die beleidigte Leberwurst damit ich weich werde und ihr Dinge verrate, die nicht für sie bestimmt sind.

Bimm verbrachte nun die Tage außerhalb der Mauer. Wenn das große Haus nichts zu bieten hatte, suchte sie weiter den Waldrand entlang. Dabei sah sie ab und zu auch noch andere Menschen, die ihre Häuser verließen, in kleine Fahrzeuge stiegen, oder nach Hause kamen. Sie lernte auch einige neue Tiere kennen, über die sie natürlich nichts wusste. Zum Beispiel entdeckte eine Katze Bimm in ihrem Versteck und strich auffordernd um sie herum. Bimm saß stocksteif und wartete, bis dieses langschwänzige Vieh wieder abzog. Aus der Ferne hatte sie auch einen Hund beobachtet, der laut kläffend wild auf einem Hof herumsprang. Dem würde sie lieber nicht begegnen. Am nettesten fand sie die Wildkaninchen die sie immer wieder sah, die aber so scheu waren, dass sie bei der unmerklichsten Bewegung sofort unter der Erde verschwanden. Wer stundenlang auf einer Stelle saß, bekam einige Tiere zu Gesicht. So sah sie auch einmal einen Fuchs der die niedlichen Kaninchen aufmischte und wiederholt Rehe, die in der Dämmerung, bevor sich Bimm auf den Rückmarsch machte, sich aus dem Wald auf die Wiesen trauten. Die Vögel waren vor der Mauer dieselben wie dahinter.

Die anderen Häuser waren lange nicht so schön wie das Große und die andern Menschen auch lange nicht so interessant wie dort. Die Leute die in dem prächtigen Haus wohnten, schienen jeden Nachmittag nachhause zu kommen. So verlagerte Bimm jeden Nachmittag ihren Beobachtungsposten in die Nähe, um die Kinder, das fahrende Ei und den Mann zu beobachten. Die Frau, die einen unbeweglichen Eindruck machte, fand sie nicht so beobachtungswürdig.

Bimm kroch schon zum X-ten Mal durch das Loch zurück, tarnte Ein-und Ausstieg und kletterte müde den Hang hinunter, als sie ein Kaninchen entdeckte, das sich hinter die Mauer verlaufen hatte. Panisch rannte es vor Bimm, die es fangen wollte, davon, bohrte sich in einem Akt der Verzweiflung in ein Dickicht, das aber nur aus Schlingpflanzen bestand. Das arme Tierchen verfing sich heillos und konnte so von Bimm gefangen werden, die es auf den Boden drückte. „Hast du dich verheddert?“ fragte sie das Häschen.

Sie hatte Erfahrung mit gefangenen Mäusen, auch unschöne. So klein die Mäuse waren, bissen sie wild um sich und zappelten, um sich zu befreien. Einmal hatte sie dabei ein besonders wildes Mäuschen immer fester gedrückt, um es ruhig zu bekommen. Es wurde auch immer ruhiger bis zur Regungslosigkeit. Sie hatte es erstickt und war von sich sehr schockiert. Das Kaninchen zappelte und kratzte auch sehr heftig, sie konnte es nur im Genick halten. In der dunklen Tasche verhielt es sich dann still. Bimm schwankte. Sollte sie das Tier zurück ins Loch stecken oder damit Dolora und Hal erfreuen. Mit einem Grinsen ging sie mit ihrer Beute hinab zu den Fahrzeugen. Dort zeigte sie das vor Schreck erstarrte Tier Dolora, die gerade zusammen räumte. Beide streichelten ausgiebig den grauen Pelz. Albritz, der zufällig vorbei kam, stieß den Schrei aus, auf den Bimm gewartet hatte: „Ein Kaninchen. Wo kommt denn das bloß her?“ wunderte er sich.

„Das habe ich da vorne gefangen“, log Bimm und zeigte in Richtung des unteren Tores. „Vielleicht ist es mit den Fahrzeugen hinein geschlüpft“, meinte sie noch scheinheilig. Ohne das Wort Unwahrheit zu kennen, kam ihr diese wie geschmiert über die Lippen. Wer vor Anderen Geheimnisse zu verbergen hatte, fand wie selbstverständlich zur Lüge.

Albritz, der wusste, dass es innerhalb der Mauer keine Wildtiere gab, meinte darauf: „Wir nehmen es nachher mit und lassen es draußen frei. Kaninchen können nur leben, wenn sie zu vielen sind.“ Bimm war es recht, denn sie wusste nicht, wann sie sich um das Tier kümmern sollte.


Sklaven, Bimm und Alemannia

Подняться наверх