Читать книгу Die Stunde der Kurden - Hans-Joachim Löwer - Страница 4
Vorwort
ОглавлениеNachrichten aus dem Nahen Osten verheißen üblicherweise nichts Gutes. Die Schlagzeilen in den gedruckten und die Videoblogs in den elektronischen Medien sind beherrscht von Krieg und Grausamkeiten. Doch im Schatten dieser Gewaltorgien, fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit, reift im Norden des Irak ein Modell für ein Staatswesen heran, das so ganz anders ist als die Systeme der Nachbarländer. Hundert Jahre lang hat das Bergvolk der Kurden mit der Waffe in der Hand um seine Eigenständigkeit gekämpft. In der Türkei und im Iran sind sie damit bis heute nicht sehr weit gekommen. Im zerfallenden Syrien haben sie sich 2014 an der Nordgrenze immerhin eine Freizone erstritten.
Ausgerechnet aber in dem Land, in dem sie am brutalsten unterdrückt worden sind, stehen sie vermutlich vor der Verwirklichung ihres großen Traums. Seit mehr als zwanzig Jahren gibt es im Nordirak die Autonome Region Kurdistan. Sie entstand aus einer Flugverbotszone, die 1991 auf Druck der USA eingerichtet wurde, um die Kurden vor weiteren Angriffen der Streitkräfte des Diktators Saddam Hussein zu schützen.
Nach ein paar Jahren turbulenter interner Auseinandersetzungen begann in dieser Region eine erstaunliche, für viele fast unerklärliche Entwicklung. Die Kurden, einst nur als tapfere Kämpfer bekannt, lernten die Spielregeln einer parlamentarischen Demokratie, lösten einen Wirtschaftsboom aus und demonstrieren eine Toleranz für politische, ethnische und religiöse Minderheiten, die im Nahen Osten sonst kaum zu finden ist. Was ist das Geheimnis dieses geradezu sensationellen Prozesses? Wie kann eine Insel des Friedens in einem Meer von Gewalt entstehen? Aus welchen Quellen schöpfen diese Kurden? Ich bin einen Monat lang durch das milde und nicht mehr wilde Kurdistan im Norden des Irak gereist, um nach den geistigen Spuren dieser Entwicklung zu suchen. Was ich gefunden habe, müsste eigentlich Stoff für ganz neue Schlagzeilen aus dem Orient liefern – denn es sind endlich einmal Nachrichten, die Hoffnung machen.
Hans-Joachim Löwer