Читать книгу Das Gorilla-Prinzip - Hans-Jürgen Breuer - Страница 11

2. Kapitel: Evolutionsbiologische Beschreibung des systemischen Prinzips von Rangordnungen

Оглавление

Die systemische Betrachtungsweise folgt einem biologischen Prinzip, das ganz allgemein in der Natur verbreitet ist. Das Darwinsche Prinzip „survival of the fittest“, das Überleben der am besten angepassten Spezies, sichert ein Überleben des Einzelnen und damit auch ein Überleben der jeweiligen Population. Um dieses Prinzip zu verwirklichen, gibt es innerhalb einer Gemeinschaft von Lebewesen ein klares Ranking: So hat jede Tierherde ihr Alpha-Tier: In der Regel ist es das stärkste, klügste und fortschrittlichste Tier. In erbittert ausgefochtenen Rivalenkämpfen setzt sich dieses Tier an die Spitze einer Herde und führt diese so lange, wie seine Überlegenheit und Kraft andauert und es irgendwann einem stärkeren Tier weichen muss.

Diese systemischen Prinzipien, denen auch wir Menschen unterworfen sind, sind von Biologen in unterschiedlichen Tierpopulationen beobachtet worden. Der Mensch verhält sich am ähnlichsten den Verhaltensmustern, die auch bei anderen Primaten vorherrschen. Insofern kann man das systemische Prinzip in der Lebensform des Menschen auch das Gorilla-Prinzip nennen, weil eine Gorilla- oder Schimpansen-Herde im Prinzip genauso funktioniert wie die soziale Ordnung und die Abläufe in Unternehmen.

„Nie werde ich meine erste Begegnung mit den Gorillas vergessen. Geräusch kam vor Sicht, und vor dem Geräusch kam noch der Geruch in Form einer umwerfenden Mischung aus moschusartigem Stall- und Menschenduft. Plötzlich war die Luft erfüllt von einer Reihe schriller Schreie, gefolgt von dem rhythmischen Rondo scharfen Pok-pok-Brustgetrommels eines großen, männlichen Silberrückens 2, der von einer schier undurchdringlichen Pflanzenmauer verdeckt war.“ 3 „Wir lugten durch das Dickicht und konnten eine ebenso neugierige Phalanx schwarzer, ledergesichtiger, haarbeschopfter Menschenaffen sehen, die auf uns zurückstarrten. Ihre klaren Augen bewegten sich unruhig unter starken Brauen, als ob sie uns einordnen wollten als vertraute Freunde oder mögliche Feinde. ... Hin und wieder richtete sich der ranghöchste Mann auf zum Brusttrommeln, mit dem er uns einzuschüchtern versuchte. Der Klang hallte durch den ganzen Wald wider und rief ein ähnliches, wenngleich weniger großartiges Imponiergehabe bei den Gorillas hervor, die sich um ihn scharten. ... Wie im Wetteifer um unsere Aufmerksamkeit vollführten einige Tiere eine Reihe von Tätigkeiten wie Gähnen, symbolische Nahrungsaufnahme, Zerbrechen von Zweigen oder Brusttrommeln. Nach jeder Darbietung blickten die Gorillas fragend auf uns, als ob sie die Wirkung ihrer Vorstellung feststellen wollten.“ 4

In jeder Population von Lebewesen gibt es eine klare Rangordnung: Das Alpha-Tier steht an der Spitze und hat die meisten Rechte. „Es ist ein großartiger Anblick, wenn massige Silberrücken auf der Suche nach den kleinen Delikatessen behutsam in die höchsten Äste stiegen. Dank ihres hohen Ranges haben sie die erste Wahl, während die rangtieferen Tiere am Boden warten, bis die Patriarchen hernieder steigen und sie an der Reihe sind.“ 5 Die rangtieferen Tiere müssen sich in diese Rangordnung einfügen und können drohende Gefahren bei Überschreitung ihrer Kompetenzen am besten durch eine vertiefte Demutshaltung abwehren: Hunde werfen sich auf den Rücken und bieten dem überlegenen Tier die Kehle. Ein Mensch, der mit einem nur scheinbar gefährlichen Gorilla zusammentrifft, kann sich auf diese Art und Weise schützen: „Der Angriff einer Gorilla-Gruppe ist sehr schwer zu beschreiben. Wie bei den anderen Angriffen auf mich waren die Schreie so ohrenbetäubend, daß ich nicht wußte, aus welcher Richtung sie stammten. ... Als der dominante Silberrücken mich erkannte, bremste er etwa einen Meter vor mir ab, woraufhin die vier nachfolgenden Männer sofort ungeschickt auf ihm landeten. In diesem Augenblick sank ich langsam zu Boden, um so unterwürfig wie möglich zu erscheinen.“ 6

Die Rangordnung wird über Rivalenkämpfe erstellt. Ein solcher Kampf findet ceteris paribus aber nur dann statt, wenn die Kräfteverhältnisse so beschaffen sind, dass der Angreifer auch tatsächlich gewinnen kann; sonst zieht er sich wieder in sichere Entfernung zurück.

„Schließlich hielt Onkel Bert es nicht mehr aus. Auf den Hinterbeinen stehend, trommelte er auf seinem Brustkorb und klatschte laut auf die Pflanzen zwischen sich und Beethoven. Das war zuviel für den älteren Mann, der bis dahin ein Muster an Duldsamkeit gewesen war. Mit zornigen Schreien stürzte er sich auf Onkel Bert. Der junge Silberrücken floh schmählich bergab, der Rest seiner Gruppe mit hysterischem Geschrei hinter ihm her. Anstatt ihn zu verfolgen, stand Beethoven nur da und blickte verachtungsvoll den verwirrten Angehörigen der Gruppe 4 nach. Knapp 20 Meter weiter unten blieb Onkel Bert stehen. Zweifellos gab ihm der größere Abstand mehr Sicherheit, und er nahm sein Imponiergehabe wieder auf mit Brusttrommeln, Heulgesängen und Rennen durchs Gebüsch.“ 7

Weil es ein klares Ranking in jeder Gruppe gibt, wird es als Rolle daher nicht nur den Anführer-Typus, sondern auch das Schlusslicht der Gruppe geben: das Omega-Tier.

„Beethoven zeigte sich als einziger in Gruppe 5 besorgt um das junge Weibchen. Er verlangsamte die Geschwindigkeit der Fortbewegung und der Futtersuche, so daß sie mitkam, und er verteidigte sie gegen die zunehmenden Mißhandlungen durch Gruppenmitglieder. Je schwächer sie wurde, desto häufiger war sie das Ziel von Rempeleien, Tritten und Angrunzereien.“ 8

Ihnen werden gewisse Analogien aufgefallen sein:

 Wenn sich eine Herde von Menschen nähert, hören wir zunächst deren Gerede, was in einer Gruppe meistens besonders laut ausgeprägt ist. Ein Geschnatter wie in einem Affenzirkus, ein Wort, das in die Umgangssprache eingeflossen ist und auch noch eine andere inhaltliche Bedeutung transportiert, die Ihnen bestens bekannt sein dürfte. Wenn Affen aufgeregt sind und nicht weiter wissen, dann fangen sie ein lautes Geschnatter an. – Manager sind ähnlich. Wenn sie unklar sind, dann fängt ein großes Gerede an. Je mehr Emotionen eine Rolle spielen und je unklarer die Gedanken sind, umso lauter ist das „Geschnatter“ der Manager und um so länger dauern die Sitzungen Eine Ausnahme, die Sie sehr oft beobachten können: im Fahrstuhl. Hier erstirbt nahezu jedes Gespräch sofort, weil der Sicherheitsabstand zu gering ist.

 Und nicht nur für Frauen gilt, dass ihnen der Duft von Parfüms vorauseilt.

 Das Nachahmungsverhalten imitiert immer die Vorgaben des Alpha-Tiers. Wie ausgeprägt ist in Unternehmen die Kultur, sich am Verhalten des TOP-Managements zu orientieren! Hierbei werden natürlich nicht nur sinnstiftende Verhaltensweisen kopiert, sondern leider auch völlig unsinnige.

 Das Brusttrommeln findet man, außer von Johnny Weismüller in seinen Tarzan-Filmen beeindruckend vorgeführt, in der Welt des Managements nur in abgeleiteter Form wieder. Das Brusttrommeln macht deutlich, dass man groß, stark und mächtig ist und hebt den Brustkorb deutlich hervor. Der Kleidungsstil im Management unterstreicht dies ebenso durch uniformenhafte Sakkos und auffällig-unauffällige Krawatten, während bei den Militärs die wirklichen Uniformen und die mit zahlreichen Orden geschmückte Brust dem Gorilla-Prinzip in seiner urwüchsigen Form noch etwas näher stehen.

 Beim Essverhalten transformiert sich das Gorilla-Prinzip in die Kantine für alle und die besonderen Speisesäle, die dem TOP-Management vorbehalten sind und häufig von einem Edel-Koch bewirtschaftet werden. Die Spesenbudgets sprechen dieselbe Sprache.

 Die Demutshaltung wird heute in westlichen Regionen in verschiedenen Formen praktiziert: zum Beispiel durch ein Verneigen bei der Begrüßung. In anderen Kulturkreisen (Japan), bei Hofe oder in der Kirche (die tiefe Verneigung und der Handkuss) ist dieses Ritual der Demutshaltung durchaus noch wesentlich stärker ausgeprägt. Und es gibt zahlreiche Varianten davon in Unternehmen, die Ihnen alle sicherlich bestens bekannt sind. Auch die Umgangssprache hat diese Demutshaltung übernommen: sich mit eingezogenem Kopf davonschleichen.

 Das Imponiergehabe bei Gorillas und Menschen ist im Grundsatz identisch. Die Menschen haben hierfür eine Unmenge von Statussymbolen erfunden, auf die leider in vielen Unternehmen peinlichst genau geachtet wird: Wie groß ist mein Büro? Auf welcher Etage befindet es sich? Wie viele Fenster (Achsen) hat meine Büroflucht? Wie viele Sekretärinnen schmücken mich? Bekomme ich einen Dienstwagen? 9 Sie können diese Liste im beruflichen oder privaten Bereich beliebig verlängern. Die Standards dieser Statussymbole werden vom TOP-Management geprägt, die dann in rangmäßig abgestufter Form im Nachahmungsverhalten kopiert werden.

 Ein besonders ausgeprägtes Element dieser Statussymbole sind die Titel, die im Management vergeben werden. Wir finden in Deutschland die bekannte Hühnerleiter vom Handlungsbevollmächtigten Version A und B über den Prokuristen, Abteilungsdirektor, stellvertretenden Direktor, Direktor, Direktor mit Generalvollmacht, Generalbevollmächtigten, Vorstand oder Geschäftsführer, Sprecher, Vorsitzenden bis zum früher sehr beliebten Generaldirektor. Die unnütze Perversion dieser Titelmanie zeigt sich zum Beispiel in Konstruktionen, den früheren Inhabern bestimmter Rangstufen diesen ihre Titel in veränderter Form immer noch anzuerkennen, indem man einen Zusatz formuliert: Staatssekretär a.D. oder Altbundeskanzler. Diese Hierarchie-Titel bilden in vielfältiger Weise das systemische Ranking ab.

 Der Sicherheitsabstand im Zusammenhang mit dem Imponiergehabe ist bei uns Menschen besonders eindrucksvoll zu beobachten: Wer kennt nicht die unzähligen Storys von Kollegen „Dem habe ich es aber gezeigt!“, aus sicherer Entfernung formuliert, während sie tatsächlich im Gespräch mit ihrem Widersacher mit hoher Wahrscheinlichkeit die Unterwürfigkeit in Person waren. – Leider ist es so, dass uns Menschen eine gut ausgeprägte konstruktive Konfliktfähigkeit nicht angeboren ist, sondern erst durch viele Übungen erworben werden muss. Fast kann man gleichsetzen: Wer nicht aus der Ferne prahlt, wie stark er in einer bestimmten Situation aufgetreten ist, der dürfte eher ein hohes Maß an Konfliktfähigkeit und Überzeugungskraft besitzen et vice versa.

 Auch bei den Gorillas ist schon ein Phänomen zu erkennen, dass wir heute mit dem englischen Begriff des Mobbings bezeichnen. Das Mobbing richtet sich immer gegen ein Mitglied eines Systems, das aus welchen Gründen auch immer nicht so richtig in das System passt. In einer Kultur der Intelligenz ist es der zu wenig Intelligente, der schließlich weichen muss, in einer Kultur von Leistung und Erfolg der am wenigsten Erfolgreiche. In Unternehmen mit einer ausgewogenen, natürlichen Kultur sind es Menschen, die eher nicht ausgewogen und eher ungewöhnlich sind. 10

Die Schimpansen sind genetisch ein wenig weiter entwickelt als die Gorillas und zeigen einerseits ähnliche Verhaltensweisen, andererseits Muster, die ein wenig differenzierter und „intelligenter“ sind. Zum Imponiergehabe folgende Beispiele: Es war häufig zu beobachten, „daß die Schimpansenmännchen der Herde plötzlich anfingen zu rennen, wobei sie sich aufrichteten, herabgefallene Äste hinter sich herschleiften, stampften oder mit den Händen auf den Boden schlugen. Dieses Imponier-Verhalten war stets von lauten“ 11 Schreien begleitet.

Der Kampf in der Schimpansen-Hierarchie geschieht in Form dieses beschriebenen Imponier-Gehabes:

Wenige Minuten später tauchte Goliath auf und begann, sobald er den Rand der Camplichtung erreicht hatte, eines seiner wilden Imponier-Schauspiele in Szene zu setzen. Er mußte Mike gesehen haben; denn er ging, einen großen Zweig hinter sich herziehend, geradenwegs auf ihn zu. Dann sprang er auf einen Baum, der dicht bei Mikes Baum stand, und er verhielt sich still. Einen Augenblick lang starrte Mike zu ihm hinüber, bevor auch er mit dem Imponieren begann, die Äste seines Baumes schüttelte, sich herabschwang, ein paar Steine schleuderte und schließlich in Goliaths Baum kletterte und nun dort an den Ästen rüttelte. Sobald er innehielt, trat Goliath in Aktion, schwang sich im Baum umher und schüttelte die Äste. ... Dieses Schauspiel dauerte fast eine halbe Stunde: Erst drohte der eine, dann der andere, und von Mal zu Mal wurde ihr Gehabe wilder und spektakulärer. Und dennoch: Sieht man davon ab, daß sie einander gelegentlich mit den Enden der Zweige trafen, an denen sie rüttelten, griff während der ganzen Zeit doch keiner der beiden Schimpansen den anderen wirklich an. Plötzlich, nach einer besonders langen Pause, schien Goliaths Widerstand gebrochen. Er lief auf Mike zu, duckte sich neben ihn mit lauten, nervösen pant-grunts nieder und begann ihn mit fieberhafter Intensität zu lausen.“ 12 „Es war das letzte Duell zwischen den beiden Männchen. Von nun an hatte man den Eindruck, daß Goliath die Überlegenheit Mikes akzeptierte, und zwischen den beiden entwickelte sich eine merkwürdig intensive Art der Beziehung. Sie begrüßten einander überschwänglich, umarmten sich, beklopften sich gegenseitig und küßten einander auf den Hals, bevor sie sich niederließen und sich gegenseitig lausten.“ 13

Mike hatte zuvor schon einige neue besondere Verhaltensweisen entwickelt, um seinem Imponiergehabe einen besonderen Ausdruck zu verleihen:

„Wenn Mike mit Vorliebe Gegenstände benutzte, die von Menschen hergestellt waren, so war das vermutlich ein Zeichen seiner außergewöhnlichen Intelligenz. Zwar hatten viele ausgewachsene Männchen gelegentlich statt der üblichen Zweige oder Steine Paraffinkanister mit sich geschleppt, um ihrem Imponieren mehr Nachdruck zu verleihen, aber allein Mike war allem Anschein nach in der Lage gewesen, aus der zufälligen Erfahrung Nutzen zu ziehen, und nur er hatte gelernt, die Kanister bewußt ausfindig zu machen und zu seinem eigenen Vorteil einzusetzen. Es versteht sich, daß die Kanister um ein Vielfaches mehr Lärm verursachten als ein Zweig, wenn sie mit großer Geschwindigkeit auf dem Boden entlanggeschleift wurden. ... Kein Wunder, daß Männchen, die ihm bis dahin übergeordnet waren, eilig auswichen, wenn er daherkam.“ 14

Also können wir bei den Schimpansen dasselbe Imponiergehabe mit neuen, weiter entwickelten und intelligenteren Spielvarianten feststellen. Kein Wunder also, dass der Mensch den Schimpansen im Imponiergehabe überragt, weil er noch intelligentere Lösungsstrategien entwerfen kann. 15

Seit 250 Millionen Jahren gibt es Säugetiere. Primaten bestehen seit 65 Millionen Jahren. Menschen und Schimpansen trennten sich in ihrer Entwicklung vor sechs Millionen Jahren und in der Folgezeit gab es zahlreiche parallele Entwicklungslinien der Primaten, von denen nur eine einzige überlebte: der Homo Sapiens. Diese Linie ist je nach Forscherangabe etwa 25.000 bis 40.000 Jahre alt. In dieser Zeit hat sich das menschliche Gehirn nicht wesentlich verändert, wie zahlreiche Untersuchungen belegen. 16

Würde man die gesamte Entwicklung von Leben auf der Erde auf einem Zeitstrahl von 24 Stunden abbilden, so ergäben sich folgende Werte:

 Säugetiere entstanden vor etwa einer Stunde.

 Primaten bestehen seit etwa 18 Minuten,

 die ersten Menschen seit knapp zwei Minuten

 und der heutige homo sapiens seit etwa einer halben Sekunde. Das heißt, die Großhirnrinde, wie sie bei uns Menschen ausgeprägt ist, hat auf dem Zeitstrahl der Entwicklung abgetragen nur eine Strecke von 0,05% zurückgelegt in Bezug auf das Gehirn von Primaten. Eine ähnliche Relation: Aus der Genomforschung ist bekannt, dass das Genom des Menschen und des Schimpansen zu über 98% übereinstimmen: Hier spiegelt sich also ebenfalls die Relation der Entwicklungszeit.

So gesehen werden Verhaltensähnlichkeiten, die es im gesamten Tierreich gibt, leichter nachvollziehbarer und sind für den Menschen als „Krone der Schöpfung“ vielleicht auch leichter zu akzeptieren. Innerhalb der Gruppe der Primaten müssen sie dann aufgrund hoher genetischer Übereinstimmungen auch besonders hoch ausgeprägt sein. Gleichwohl findet man auch in anderen Tierpopulationen Ähnlichkeiten: ob es ein Rudel von Wölfen ist oder die nur scheinbar zusammenhanglose Ansammlung von Hühnern auf dem Hof, bei denen es aber auch ein eindeutige „Hackordnung“ und „Hühnerleiter“ gibt: Begriffe, die in den menschlichen Sprachgebrauch übergegangen sind.

Statt dieses Buch nun das Hühner- oder Wolfsprinzip zu nennen, habe ich bewusst auf den Begriff des Gorillas abgestellt. In der Welt des Managements bietet der Gorilla die beste Parabel, um das Führungsverhalten zu beschreiben. Letztlich sucht jedes Unternehmen den „Silberrücken“: einen Anführer von höchstem Charisma, dem seine Führungskräfte nachlaufen und den man als oberste Gallionsfigur der Öffentlichkeit präsentieren kann. In der Management-Sprache ist dieser Silberrücken der Chief Executive Officer (CEO) oder im deutschen Sprachgebrauch der Vorstandsvorsitzende oder Sprecher der Geschäftsführung. Der Gorilla als äußerst massiger Primate steht weiterhin für eine ungeheure Kraft, ist aber gleichzeitig auch ein äußerst soziales Wesen, das seinen Clan, die Großfamilie, innerhalb derer er lebt, zusammenhält und gegenüber den feindlichen Stämmen anderer Gorilla-Familien mit seinem Leben verteidigt. – Ist es im Management nicht auch so? Der Wettbewerber, der Konkurrent als nützliches Symbol eines „Feindbilds“?

Manch ein Leser mag beim Lesen dieser Zeilen geschmunzelt haben, weil es ihn an typische Prozesse im Management erinnert, die nach demselben Muster ablaufen. In jeder Situation des Lebens werden solche „Hackordnungen“ festgelegt. Besonders auffällig ist es dann, wenn Menschen neu zusammenkommen. 17 Hier kann man direkt zuschauen, wie die Kräfteverhältnisse überprüft werden: zum Beispiel in Seminaren. Wie bei Birkenbihl im Handbuch für Trainer nachzulesen ist: „Beim Kampf um die Führung geht es immer um den »informellen« Gruppenführer. Denn die Stellung des Seminarleiters als »formeller« Gruppenführer wird ja (wenigstens zunächst) nicht in Frage gestellt. Sollte sich der Seminarleiter als Nicht-Autorität erweisen – was die Gruppe in der Regel am ersten Vormittag testet! – dann sieht er sich ständigen, massiven Angriffen ausgesetzt.“ 18 Das zeigt, dass einerseits in bestimmten, sich neu konstellierenden Situationen der Führer zwar gesetzt ist (das Seminar, die Reiseveranstaltung mit einem Reiseführer, etc.), hier in Form des Seminarleiters; dass andererseits eine solche Führungsposition aber nur dann auch Bestand hat, wenn der Führer nicht nur die Autoritätsposition hat, sondern er tatsächlich eine Autorität ist. Wer hat nicht schon erlebt, dass manches Seminar von den Teilnehmern boykottiert worden ist, weil der Trainer die Führungsrolle durch seine Inkompetenz verlor und damit dann auch seinen Kunden.

„Der Kampf um die informelle Führung findet immer statt! Und zwar gewinnt diesen Kampf immer jener Teilnehmer, der Dominanzstreben mit einem starken Energiepotential vereinigt. Also nicht etwa der, der am meisten weiß – sondern, wer die »stärksten Ellenbogen« besitzt!“ 19 Wie findet dieser Kampf statt? „Kommen wir nunmehr zum nächsten gruppendynamischen Phänomen, dem Kampf um den Platz in der »Hackreihe«. Sie kennen vermutlich den Begriff »Hackreihe« aus der Tierpsychologie, der besagt: in jeder Tiergruppe (z.B. in einer Hühnerschar) wird vermittels (realer oder symbolischer) Zweikämpfe festgestellt, wer wen »hacken« darf. So ergibt sich eine Rangfolge vom stärksten Tier bis zum schwächsten. Diese Hackreihe bleibt solange (für »ewige« Zeiten) intakt, bis ein neues Tief zur Herde stößt. Dann herrscht in dieser Herde solange Unruhe, bis in einzelnen Zweikämpfen ermittelt worden ist, welcher Platz in der Hackreihe dem neuen Gruppenmitglied zusteht.“ 20 Birkenbihl hat in seinen Seminaren feststellen können, dass sich in der Regel folgende unterschiedliche Rollen konstellieren: 21

 der informelle Führer

 der Tüchtigste

 der Oppositionelle

Neben diesen drei aktiven Rollen unterscheidet er noch weitere passive Rollen:

 der Beliebteste

 der Gruppentrottel

 der Anpasser

 der Außenseiter

Wie verlaufen solche systemischen Prozesse in sozialen Systemen? Wie findet man seine Rolle in einem Unternehmens-System? Wie passt sich der einzelne Mensch seinem sozialen System so an, dass er seinen richtigen Rangplatz und seine ihm zustehende Rolle findet?

Das Gorilla-Prinzip

Подняться наверх